Tasuta

Winnetou 3

Tekst
Autor:
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Am Hancockberg

Unter Cannon versteht der Amerikaner eine tiefe Felsenschlucht. Das gibt sofort ein Bild des Ortes, den wir jetzt erreicht hatten. Die Bahn führte schon längst durch Echo-Cannon, aber der Schienenbau war nur ein provisorischer, und es gab bei Fertigstellung der Bahn so viele Schwierigkeiten zu überwinden, daß eine bedeutende Anzahl Arbeiter nötig war, diese zu überwältigen.

Eine kleine Seitenschlucht bot uns Gelegenheit, hinabzukommen, und als wir die Tiefe erreichten, trafen wir auch bereits auf die ersten Arbeiter, welche beschäftigt waren, einen Felsen zu sprengen. Sie blickten uns mit Verwunderung entgegen. Zwei fremde, bis an die Zähne bewaffnete Weiße mit einem Indianer an der Spitze, war für sie ein so besorgniserregender Anblick, daß sie die Werkzeuge weglegten und zu den Waffen griffen.

Ich winkte ihnen mit der Hand, ohne Furcht zu sein, und ritt im Galopp auf sie zu.

»Good day!« grüßte ich. »Legt die Büchsen weg. Wir sind Freunde!«

»Wer seid ihr?« fragte einer.

»Wir sind Jäger und kommen mit einer sehr wichtigen Botschaft zu euch. Wer führt hier in Echo-Cannon den Befehl?«

»Eigentlich Ingenieur Oberst Rudge. Weil dieser aber nicht da ist, so müßt Ihr Euch an Master Ohlers, den Zahlmeister, wenden.«

»Wo ist Colonel Rudge?«

»Er ist ausgezogen, einer Bande Railtroublers nach, welche einen Zug vernichtet hat.«

»Ah, also doch! Wo ist Master Ohlers zu finden?«

»Da vorn im Kamp, in der größten Hütte.«

Wir ritten in der angegebenen Richtung davon, und sie blickten uns wißbegierig nach. Nachdem wir fünf Minuten lang die Strecke verfolgt hatten, kamen wir an das Lager. Es bestand aus verschiedenen Blockhäusern und zwei aus rohen Steinen schnell und notdürftig aufgemauerten, lang gestreckten Häusern. Um das Ganze war eine Mauer gezogen, die nur aus lose übereinander gelegten Steinen bestand, trotzdem aber ziemlich fest war und eine Höhe von vielleicht fünf Fuß erreichte. Der Eingang, welcher aus einem stark gezimmerten Tore bestand, war offen.

Da ich keine Hütte bemerkte, so fragte ich einen der an der Schutzmauer beschäftigten Arbeiter nach dem Zahlmeister und wurde nach dem einen der steinernen Gebäude gewiesen. Es waren gar nicht viele Leute zu sehen, und diejenigen, welche ich bemerkte, waren beschäftigt, einen Transportwagen voller Schienen abzuladen.

Wir stiegen von den Pferden und traten in das Gebäude. Sein Inneres bestand aus einem einzigen Raume, in welchem zahlreiche Kisten, Fässer und Säcke lagerten, zum Zeichen, daß dies hier wohl die Proviant-Niederlage sei. Es war eine einzige Person anwesend, ein kleines, dürres Männchen, welches sich bei unserem Eintritte von einer der Kisten erhob.

»Was wollt Ihr?« fragte der Mann, mich erblickend, mit scharfer, dünner Stimme. Da aber sah er Winnetou und fuhr erschrocken zurück. »Ein Indsman! Alle guten Geister!«

»Fürchtet Euch nicht, Sir!« sagte ich. »Wir suchen Mr. Ohlers, den Zahlmeister.«

»Der bin ich,« antwortete er mit einem furchtsamen Blicke hinter seiner großen Stahlbrille hervor.

»Eigentlich gilt unser Besuch dem Colonel Rudge; da dieser aber nicht anwesend ist und Ihr seine Stelle vertretet, Sir, so erlaubt, daß wir Euch unser Anliegen mitteilen.«

»Redet!« sagte er mit einem sehnsüchtigen Blicke nach der Tür.

»Der Colonel ist einer Schar von Railtroublers nach?«

»Ja.«

»Wie viele Leute hat er mit?«

»Müßt Ihr das wissen?«

»Nun, notwendig ist es nicht. Wie viele Männer habt Ihr noch hier?«

»Müßt Ihr das auch wissen?«

Während dieser Frage rückte er immer mehr zur Seite.

»Jetzt noch nicht, eigentlich,« antwortete ich. »Wann ist der Oberst fort?«

»Müßt Ihr auch dieses wissen?« fragte er immer ängstlicher.

»Nun, ich werde Euch erklären, warum – —«

Ich hielt inne, denn ich hatte niemand mehr, zu dem ich sprechen konnte. Der kleine Master Ohlers war nämlich mit einigen ganz unbeschreiblichen Angstsprüngen an uns vorüber und zum Eingange hinausgeflogen. Im nächsten Augenblicke warf er die Türe zu; die langen Eisenstangen klirrten; der Riegel in dem mächtigen Vorlegeschlosse schrillte – wir waren gefangen.

Ich drehte mich um und blickte die beiden Gefährten an. Der ernste Winnetou zeigte seine prachtvollen Elfenbeinzähne; der dicke Fred zog ein Gesicht, als ob er Zucker und Alaun verschluckt hätte, und ich – lachte laut und herzlich auf über die nette Überraschung.

»Gefangen, aber nicht Isolierhaft!« rief Walker. »Das Männchen hält uns für Spitzbuben!«

Draußen erscholl der laute Ton einer Signalpfeife, und als ich an die schießschartenartige Fensteröffnung trat, sah ich die draußen beschäftigten Arbeiter zum Tore hereinspringen, welches sogleich geschlossen wurde. Ich zählte sechzehn Mann. Sie standen mit dem Zahlmeister draußen an der Umfassungsmauer und schienen ihre Instruktionen zu erhalten; dann zerstreuten sie sich in den einzelnen Blockhütten, jedenfalls, um ihre Gewehre zu holen.

»Die Exekution wird bald beginnen,« meldete ich den Andern. »Was tun wir bis dahin?«

»Wir stecken uns eine Zigarre an,« meinte Fred.

Er langte nach einem geöffneten Zigarrenkistchen, welches auf einem der Ballen stand, nahm eine Zigarre heraus und brannte sie an. Ich folgte seinem Beispiele; Winnetou aber tat es nicht.

Bald darauf wurde die Tür vorsichtig geöffnet, und die dünne Stimme des Zahlmeisters ermahnte uns bereits von draußen:

»Schießt nicht, ihr Halunken, sonst erschießen wir euch!«

Er trat an der Spitze seiner Leute ein, welche mit bereit gehaltenen Gewehren an der Tür postiert blieben, während er sich hinter ein mächtiges Faß stellte und von diesem verschanzten Lager aus uns drohend seine lange Vogelflinte zeigte.

»Wer seid ihr?« fragte er mit zuversichtlicher Stimme, da er sich unter dem Schutze seiner Leute und des Fasses für unangreifbar hielt.

»Dummheit!« lachte Walker. »Vorhin nanntet Ihr uns Halunken, und jetzt fragt Ihr uns, wer wir sind. Geht hinter Eurem Fasse vor, dann werden wir mit Euch reden!«

»Fällt mir nicht ein! Also, wer seid ihr?«

»Prairiejäger.«

Da Walker die Antworten übernehmen zu wollen schien, so verhielt ich mich schweigend.

Der Zahlmeister fragte weiter:

»Wie ist euer Name?«

»Tut nichts zur Sache!«

»Also renitent! Ich werde euch noch die Zunge lösen; darauf könnt ihr euch verlassen! Was wollt ihr hier in Echo-Cannon?«

»Euch warnen.«

»Warnen? – Ah! – Vor wem?«

»Vor den Indsmen und Railtroublers, welche Echo-Cannon überfallen wollen.«

»Pshaw, macht euch nicht lächerlich! Ihr gehört zu den Railtroublers und wollt uns überlisten. Aber da kommt ihr an die Rechten!« Und sich an seine Leute wendend, befahl er: »Nehmt sie gefangen und bindet sie!«

»Wartet noch ein Weilchen!« meinte Fred.

Er langte in die Tasche. Ich ahnte, daß er sein Legitimationszeichen als Detektive vorzeigen wolle, und sagte zu ihm:

»Das ist nicht notwendig, Fred. Laßt das Ding stecken! Wir wollen doch einmal sehen, ob siebzehn Railroader es wagen werden, drei richtige Westmänner anzugreifen. Wer nur einen Finger gegen uns zuckt, der ist eine Leiche.«

Ich machte die grimmigste Miene, die mir möglich war, warf die Büchse über den Rücken, nahm in jede Hand einen Revolver und schritt dem Eingange zu. Winnetou und Walker folgten. Einen Augenblick nach dieser Demonstration war der tapfere Zahlmeister verschwunden; er hatte sich so tief wie möglich hinter dem Fasse niedergeduckt, und nur der gegen das Dach emporragende Lauf seiner Flinte gab den Ort an, wo Master Ohlers unter Umständen anzutreffen sei.

Was die Eisenbahner betraf, so schienen sie nicht die mindeste Lust zu haben, das Vorbild ihres Herrn und Meisters zu mißachten. Sie bildeten Spalier und ließen uns ganz ungehindert passieren.

Das also waren die Leute, welche den Ogellallah und Railtroublers widerstehen sollten! Das gab eine schlechte Perspektive auf die nächsten Tage.

Ich wandte mich jetzt um und sagte zu den Railroadern:

»Jetzt könnten wir euch einschließen, Mesch‘schurs, aber wir wollen es nicht tun. Schafft den tapfern Master Ohlers heraus, damit wir es zu einer verständigen Rede bringen. Das ist notwendig, wenn ihr nicht von den Sioux ausgelöscht werden wollt!«

Nach einiger Anstrengung gelang es ihnen, den Kleinen an das Tageslicht zu expedieren, und nun erzählte ich ihnen alles, was geschehen war. Als ich geendet hatte, saß der Zahlmeister vor Angst kreideweiß auf dem Quadersteine, auf welchem er Platz genommen hatte, und sagte mit unsicherer Stimme:

»Sir, jetzt glaube ich Euch, denn es wurde uns erzählt, daß dort am Unglücksplatze zwei Männer ausgestiegen sind, um eine Lerche totzuschießen. Also dieser Gentleman ist Master Winnetou? Habe die Ehre, Sir!« Dabei machte er dem Apachen eine tiefe Verneigung. »Und der andere Gentleman ist Master Walker, den sie den dicken Walker nennen? Habe die Ehre, Sir! Und nun möchte ich auch Ihren Namen wissen!«

Ich nannte ihm denselben, natürlich meinen Geburts-, nicht aber meinen Prairienamen.

»Habe die Ehre, Sir,« sagte er, ebenfalls mit einer Verbeugung gegen mich. Dann fuhr er fort: »Also Ihr glaubt, daß der Colonel den Zettel gesehen hat und schleunigst kommen wird.«

»Ich vermute es.«

»Das würde mir lieb sein, außerordentlich lieb; Ihr könnt es mir glauben!«

Ich glaubte es ihm auch ohne Versicherung und Schwur. Er aber erklärte uns:

»Ich habe nur vierzig Mann zur Verfügung, von denen die meisten jetzt draußen auf der Strecke beschäftigt sind. Würde es nicht am besten sein, Echo-Cannon sofort vollständig zu räumen und uns auf die nächste Station zurückzuziehen?«

»Wo denkt Ihr hin, Sir! Seid Ihr ein Hase? Was sollen Eure Vorgesetzten von Euch denken! Es wäre ja sofort um Eure Stellung geschehen!«

 

»Wißt Ihr was, Sir? Mein Leben ist mir lieber als meine Stellung. Verstanden!«

»Ich glaube es Euch! Wie viele Leute hat der Oberst bei sich?«

»Gerade hundert und zwar die tapfersten.«

»Das merke ich!«

»Und wie viele Indsmen waren es?«

»Über zweihundert mit den Railtroublers.«

»O weh! Sie schießen uns in Grund und Boden! Ich kenne keine andere Hilfe als die Flucht!«

»Pshaw! Welches ist die bevölkertste Station von hier?«

»Promontory. Es werden dort jetzt gegen dreihundert Arbeiter sein.«

»So telegraphiert hin und laßt Euch hundert bewaffnete Männer schicken!«

Er sperrte den Mund auf und starrte mich an; dann sprang er empor, schlug die Hände freudig zusammen und rief:

»Wahrhaftig, daran hätte ich nicht gedacht!«

»Ja, Ihr seid ein ganz gewaltiges, strategisches Genie, wie es scheint! Die Leute mögen Proviant und Munition mitbringen, wenn es Euch daran fehlen sollte. Und merkt Euch die Hauptsache: es muß alles so geheim wie möglich gehen, da sonst die roten Späher merken, daß sie verraten sind. Telegraphiert das mit! Wie weit ist es denn von hier bis Promontory?«

»Einundneunzig Meilen.«

»Wird eine Maschine mit Wagen dort sein?«

»Stets.«

»Gut, so können, wenn Ihr jetzt telegraphiert, die Hilfsmannschaften bereits morgen vor Tagesanbruch hier eintreffen. Morgen abend werden wohl die Späher kommen; bis dahin haben wir Zeit, den Kamp noch mehr zu befestigen. Laßt jetzt Eure vierzig Mann zusammengreifen, um die Umfassungsmauer um drei Fuß zu erhöhen! Die Leute von Promontory werden morgen mithelfen. Sie muß so hoch werden, daß die Indsmen nicht hereinsehen und bemerken können, wie viele Männer hier anwesend sind.«

»Sie werden es vom Berge aus sehen, Sir!«

»Sie werden es nicht sehen. Ich werde den Spionen der Ogellallah entgegenziehen und Euch, sobald ich sie bemerke, ein Zeichen geben. Dann verstecken sich Eure Leute in die Blockhäuser, und die Indsmen werden glauben, daß sie es nur mit Wenigen zu tun haben. Noch heut schlagen wir rundum an der Innenseite der Umfassungsmauer Pfähle in die Erde und nageln Bretter oder Bohlen darauf. So entstehen Bänke, auf welche sich beim Überfalle unsere Leute stellen, um über die Mauer hinausschießen zu können. Wenn ich richtig vermute, so ist der Colonel bereits morgen um die Mittagszeit hier. Dann sind wir mit den Leuten von Promontory über zweihundertvierzig Mann gegen zweihundert Feinde. Wir stehen hinter der Mauer gedeckt; die Roten aber haben keine Deckung und erwarten keine Gegenwehr; es wäre also eine Unglaublichkeit, wenn wir sie nicht gleich mit der ersten Salve so heimschicken, daß sie das Wiederkommen vergessen.«

»Und dann verfolgen wir sie!« jubelte der kleine Mann ganz begeistert, denn meine Anordnungen hatten ihm ungeheure Courage gemacht.

»Das wird sich finden! Jetzt aber sputet Euch! Ihr habt dreierlei zu tun: uns einen Imbiß nebst Nachtlager zu besorgen, nach Promontory zu telegraphieren und Eure Leute zum Bau der Mauer anzustellen.«

»Soll geschehen, Sir, sofort! Es wird mir gar nicht einfallen, vor den Roten auszureißen. Und was Euch betrifft, so sollt Ihr ein Souper haben, ein Abendessen, mit dem Ihr zufrieden seid. Ich bin nämlich selbst Koch gewesen. Verstanden?«

Es läßt sich in kurzem sagen, daß alles so geschah, wie ich es vorgeschlagen hatte. Unsere Pferde bekamen ein gutes Futter und wir ein gutes Essen. Master Ohlers schien wirklich mit dem Küchenlöffel bewanderter zu sein, als mit der Vogelflinte. Die Leute arbeiteten wie die Riesen an der Erhöhung der Mauer. Sie gönnten sich selbst während der Nacht keine Ruhe, und als ich am frühen Morgen vom Schlafe erwachte und nach der Arbeit sah, erstaunte ich über den Fortschritt, den sie gemacht hatte.

Ohlers hatte mit dem hier anhaltenden Nachtzuge mündliche Nachrichten nach Promontory geschickt, doch war schon seine Depesche berücksichtigt worden, denn zwar nicht bereits während der Nacht, sondern am frühen Vormittage noch traf ein Zug ein, welcher die verlangten hundert Männer brachte und mit ihnen alles, was an Waffen, Munition und Proviant notwendig war.

Diese Leute machten sich sogleich an die Arbeit, so daß die Mauer bereits am Mittag vollendet war. Auf meine Anregung wurden auch sämtliche vorhandenen leeren Fässer mit Wasser gefüllt und hinter die Einfassung geschafft. So viele Leute wollten trinken, und man konnte ja nicht wissen, ob man nicht eine kleine Belagerung auszuhalten oder ein Feuer zu löschen haben würde.

Die Nachbarstationen waren benachrichtigt worden, doch sollten die Züge wie gewöhnlich expediert werden, um die Feinde nicht aufmerksam zu machen.

Nach dem Mittagessen verließen wir drei, Winnetou, Walker und ich, den Cannon, um nach den Spähern auszublicken. Wir hatten diesen Dienst übernommen, weil wir uns am liebsten auf uns selbst verließen; auch hatte sich von den Railroadern keiner zu dem gefahrvollen Gange gemeldet. Es wurde ausgemacht, daß im Cannon ein Sprengschuß getan werden solle, sobald einer von uns dreien mit der Meldung zurückkehre, daß er die Spione gesehen habe.

Wir mußten uns nämlich teilen. Die Indsmen kamen jedenfalls von Norden, und da gab es nach der Aussage des Zahlmeisters drei Richtungen, aus denen sie sich nähern konnten. Ich hatte die westliche Prairie übernommen, Winnetou die mittlere und Walker die östlichste, so daß er denselben Weg zu überwachen hatte, auf welchem wir selbst nach dem Cannon gekommen waren.

Ich klomm die steilen Felswände empor, trat oben in den Urwald ein und hielt mich dann am Rande einer Seitenschlucht immer nach Norden zu. Nach ungefähr dreiviertel Stunden erreichte ich einen Ort, der für mein Vorhaben wie geschaffen schien. Auf der Kuppe des Urwaldes stand eine riesige Steineiche und neben ihr eine schlanke Tanne. Ich kletterte an der letzteren empor und gelangte dadurch auf einen starken Ast der Eiche, hier war deren Stamm dünn genug zum Klettern, und ich turnte mich nun an ihr so weit empor, als es möglich war.

Das frische, volle Laub der Krone verbarg mich so vollständig, daß ich von unten gar nicht bemerkt werden konnte; vor meinem Blicke aber lag die Gegend so klar und offen da, daß ich alle lichten Grasstellen und das Gipfelmeer des Waldes weithin übersehen konnte. Ich machte es mir so bequem wie möglich und hielt dann scharfe Wacht.

Stundenlang saß ich da oben, ohne etwas Auffälliges zu bemerken, aber das durfte meine Wachsamkeit nicht ermüden. Endlich sah ich im Norden vor mir eine Schar Rabenkrähen sich von den Baumwipfeln erheben. Das konnte aus Zufall geschehen sein; aber die Vögel erhoben sich nicht in geschlossener Schar, um sofort einer bestimmten Richtung zuzufliegen, sondern sie ›streuten‹ in die Lüfte empor, kreisten einige Minuten wie ratlos über den Wipfeln und ließen sich dann eine Strecke davon vorsichtig auf die Bäume, wieder nieder. Sie mußten aufgestört worden sein.

In kurzer Zeit wiederholte sich dasselbe Spiel und dann zum dritten- und viertenmal. Es war klar: es kam irgend ein Wesen, vor dem die Krähen sich fürchteten, von Norden her durch den Wald geschlichen, und zwar so ziemlich in gerader Richtung auf meinen Standort zu. Ich kletterte so eilig wie möglich nieder und pirschte mich vorsichtig auf die Gegend zu, vorsichtig immer meine Fährte zerstörend.

Dabei erreichte ich ein ganz undurchdringlich erscheinendes Buchendickicht, in welches ich mich hineinarbeitete. Hier legte ich mich zur Erde nieder und wartete. Nicht lange, so kam es geschlichen, nicht hörbar, sondern lautlos wie Gespenster; eins, zwei, drei, fünf, sechs Indianer schritten an meinem Versteck vorüber, einer nach dem andern. Ihre Füße berührten nicht den kleinsten Teil eines abgebrochenen und zu Boden gefallenen Ästchens; das Knicken desselben hätte Geräusch verursacht.

Das waren die Späher. Sie trugen die Kriegsfarben.

Kaum waren sie vorüber, so huschte ich hervor. Es war klar, daß sie den dichtesten Wald aufsuchen würden; auch mußten sie jeden Schrittbreit untersuchen, ehe sie vorwärts drangen. Das hielt sie auf. Ich aber konnte den geraden Weg einschlagen, die lichtesten Stellen benutzen und ohne Sorge vor Entdeckung keimkehren. Ich mußte ihnen also einen bedeutenden Vorsprung abgewinnen. Im eiligsten Laufe kehrte ich zurück, und es war kaum eine Viertelstunde vergangen, so glitt ich die steile Wand des Cannons hinab und auf das Lager zu.

Da unten herrschte ein regeres Leben als vorher, und ich bemerkte sofort, daß neue Leute angekommen waren. Eben schritt ich über die Schienenstrecke, als ich zu meinem größten Erstaunen Winnetou bemerkte, welcher von der Höhe herabgeklettert kam. Ich erwartete ihn und fragte, als er herangekommen war:

»Mein roter Bruder kommt zu gleicher Zeit mit mir! Hat er etwas gesehen?«

»Winnetou kommt, weil er nicht mehr zu warten braucht,« antwortete er. »Mein Bruder Schar-lih hat ja die Späher entdeckt!«

»Ah! Woher weiß dies Winnetou?«

»Winnetou saß auf einem Baume und nahm sein Rohr zur Hand. Da erblickte er weit im Westen einen andern Baum. Das war die Gegend meines Bruders, und weil mein Bruder klug ist, so wußte Winnetou, daß er diesen Baum ersteigen werde. Dann nach langer Zeit erblickte Winnetou viel Punkte am Himmel. Das waren Vögel, welche vor den Spähern flohen. Mein Bruder mußte dies auch bemerken und nun die Späher beobachten. Darum kehrte der Häuptling der Apachen zum Lager zurück, denn die Späher sind da.«

Das war wieder einmal ein Beispiel von dem Scharfsinne dieses Indianers.

Bereits bevor wir den Kamp betraten, kam uns ein Mann entgegen, den ich vorher hier noch nicht gesehen hatte.

»Ah, Sir, Ihr kehrt von der Suche zurück?« fragte er. »Meine Leute sahen Euch vorn Felsen steigen und meldeten es mir. Meinen Namen kennt Ihr bereits. Ich bin Colonel Rudge und habe Euch großen Dank abzustatten.«

»Dazu hat es Zeit, Colonel,« antwortete ich. »Jetzt ist es vorerst notwendig, den Sprengschuß zu lösen, damit mein Kamerad gewarnt werde. Gebt dann auch Befehl, daß sich die Leute verbergen, denn bereits in einer Viertelstunde werden die Spione der Ogellallah von da oben herab das Lager beobachten.«

»Well, soll geschehen! Geht einstweilen herein; ich werde mich gleich wieder einstellen.«

Einige Augenblicke später erdröhnte der Schuß, der so stark war, daß Walker ihn jedenfalls hören mußte. Dann zogen sich die Arbeiter in die Blockhäuser und die andern Räumlichkeiten zurück, so daß nur einige wenige Leute zu bemerken waren, die sich scheinbar mit der gewöhnlichen Streckenarbeit beschäftigten.

Rudge suchte uns darauf im Vorratsraume auf.

»Nun, vor allen Dingen, was habt Ihr jetzt bemerkt, Sir?« fragte er mich.

»Sechs Ogellallah, welche die Spione sind.«

»Well! Wir werden dafür sorgen, daß sie sich täuschen! Hört, wir alle hier sind Euch den größten Dank schuldig, Sir, Euch und Euren Gefährten. Sagt, auf welche Weise wir Euch dankbar sein können!«

»Dadurch, daß Ihr gar nicht vom Danke redet, Sir. Habt Ihr meinen Zettel gefunden?«

»Allerdings.«

»Und seid auch meiner Warnung gefolgt?«

»Wir sind sogleich umgekehrt, sonst könnten wir ja noch nicht hier sein. Aber es scheint, als ob wir grad zur rechten Zeit hier angekommen seien. Wann denkt Ihr wohl, daß die Herren Ogellallah und Railtroublers kommen werden?«

»Sie werden uns in der morgenden Nacht angreifen.«

»So haben wir ja genugsam Muße, uns vorher richtig kennen zu lernen, Sir,« lachte er. »Kommt, bringt Euren roten Freund mit. Ihr sollt mir liebe Gäste sein!«

Er führte mich und Winnetou nach dem andern Steingebäude, welches in mehrere Abteilungen zerfiel. Die eine derselben bildete seine Wohnung, welche Raum genug für uns hatte. Oberst Rudge war eine kernhafte Natur, der ich es zutraute, daß er sich vor den Indsmen nicht fürchtete. Wir hatten sehr bald Vertrauen zu einander gewonnen, und auch Winnetou, dessen Name dem Obersten übrigens schon längst bekannt war, schien Wohlgefallen an ihm zu finden.

»Kommt, Mesch‘schurs, wir wollen einer guten Flasche den Hals brechen, da wir es mit den Roten doch noch nicht tun können,« meinte der Ingenieur. »Macht es euch bequem, und denkt, daß ihr bei einem Schuldner wohnt. Wenn Euer Kamerad, der dicke Walker, kommt, soll er uns Gesellschaft leisten.«

Wir waren von jetzt an überzeugt, daß wir von dem Felsen herab beobachtet wurden, wir verhielten uns danach. Bald kehrte auch Fred zurück; er hatte nichts gesehen, aber den Signalschuß deutlich vernommen.

So lange es noch Tag war, gab es nichts zu tun, doch wurde uns die Zeit nicht lang. Rudge hatte viel erlebt und war ein guter Erzähler. Als dann der Abend hereinbrach und die Indsmen also nichts mehr sehen konnten, wurden die Befestigungen vollendet, und es freute mich dabei, daß der Colonel meinen Anordnungen seinen Beifall gegeben hatte.

 

So verging die Nacht, und so verging auch der nächste Tag. Es war Neumond, und der Abend senkte sich vollständig dunkel in die Schlucht herab. Dann aber begannen die Sterne zu glänzen und verbreiteten eine solche Helle, daß man einen ziemlich breiten Ring des sich um die Einfassungsmauer ziehenden Terrains leidlich überblicken konnte.

Ein jeder der vorhandenen Männer war mit einer Büchse und einem Messer versehen. Viele besaßen auch Revolver oder Terzerole. Da die Indianer ihre Angriffe gewöhnlich nach Mitternacht, kurz vor dem Morgengrauen unternehmen, so standen nur die wenigen Posten auf den Bänken, und die Andern lagen, sich leise unterhaltend, im Grase umher. Draußen regte sich kein Lüftchen; aber das war eine trügerische Ruhe, und als die Mitternacht gekommen war, erhoben sich die Ruhenden, griffen zu ihren Gewehren und nahmen die ihnen angewiesenen Plätze auf den Bänken ein. Ich stand mit Winnetou am Tore, den Henrystutzen in der Hand. Die Büchse hatte ich in der Wohnung gelassen, da der Stutzen hier besser am Platze war.

Wir hatten uns auf alle vier Seiten der Einfassung gleichmäßig verteilt, zweihundert und zehn Mann stark, denn dreißig Mann waren nach einem verborgenen Tale detachiert worden, um die dort in Sicherheit gebrachten Pferde zu beschützen.

Die Zeit schlich, wie von Schnecken getragen. Mancher mochte bereits denken, daß alle unsere Befürchtung vergeblich gewesen sei, da aber, horch! da erklang es, als sei ein Steinchen an eine der Eisenschienen gestoßen worden. Gleich darauf bemerkte ich jenes fast unhörbare Geräusch, welches ein Ungeübter für das Wehen eines ganz, ganz leisen Lüftchens halten würde – sie kamen!

»Aufgepaßt!« flüsterte ich meinem Nebenmanne zu.

Dieser gab das Wort leise weiter, so daß es im Verlaufe einer Minute die Runde machte. Unendlich flüchtige, geisterhafte Schatten huschten durch die Nacht, nach rechts, nach links, ohne daß dabei der geringste Laut zu hören war. Es bildete sich uns gegenüber eine Fronte, welche sich ausbreitete und nach und nach um das ganze Lager dehnte. Im nächsten Augenblicke mußte es beginnen.

Die Schatten näherten sich. Sie waren nur noch fünfzehn – zwölf – zehn – acht – sechs Schritte von der Mauer entfernt. Da erscholl eine laute, sonore Stimme durch die Nacht:

»Selkhi Ogellallah! Ntsagé sisi Winnetou natan Apaches! Shne ko – Tod den Ogellallah! Hier steht Winnetou, der Häuptling der Apachen! Gebt Feuer!«

Er erhob seine silberbeschlagene Büchse, und bei ihrem Blitze leuchtete es rund um den ganzen Kamp auf. Es waren in einem einzigen Augenblicke über zweihundert Schüsse gefallen. Nur ich allein hatte nicht geschossen; ich wollte die Wirkung unserer Salve abwarten, welche wie ein Gericht vom Himmel so plötzlich, so tödlich über die Feinde hereinbrach. Eine ganze, lange Minute herrschte die tiefste Stille, dann aber brach es los, jenes furchtbare Geheul, welches die Nerven zu zerreißen und die Knochen zu zermalmen droht. Das Unerwartete unserer Salve hatte den Wilden geradezu die Sprache geraubt, jetzt aber klang es wie aus den Mäulern von tausend Teufeln durch den Cannon.

»Nochmals Feuer!« kommandierte die Stimme des Obersten, welche man selbst durch das diabolische Geheul hindurch vernehmen konnte.

Eine zweite Salve krachte und dann rief Rudge:

»Hinaus, und mit den Kolben drauf!«

Im Nu waren die Männer über die Mauer hinaus. Wer von ihnen vorher noch bange gewesen war, der fühlte jetzt den Mut des Löwen in sich. Kein einziger Indsman hatte einen Versuch machen können, die Mauer zu ersteigen.

Ich blieb auf meinem Posten. Draußen entwickelte sich ein Rachekampf, der nicht lange anhalten konnte, denn die Reihen der Gegner waren so fürchterlich gelichtet, daß sie ihr Heil nur in der Flucht suchen konnten. Ich sah sie vorüberhuschen, die dunklen Gestalten – ah, das war ein Weißer! Wieder einer! Die Railtroublers hatten auf der andern Seite gestanden und flohen jetzt an mir vorüber.

Jetzt erst legte ich meinen Stutzen an. Fünfundzwanzigmal schießen zu können, ohne laden zu müssen, das war mir jetzt von Vorteil. Acht Schüsse gab ich ab, dann fand ich keine Ziele mehr. Die unverletzten Feinde waren geflohen; die Andern lagen am Boden oder versuchten, sich fortzuschleppen, aber es gelang ihnen nicht, denn sie wurden umstellt, und wer sich nicht ergab, der wurde niedergemacht.

Kurze Zeit später brannten zahlreiche Feuer draußen vor der Mauer, und man konnte die schauerliche Ernte sehen, welche der Tod in so kurzer Zeit gehalten hatte. Ich mochte nichts sehen, gar nichts. Ich wandte mich ab und ging nach der Wohnung des Colonels. Kaum hatte ich mich dort niedergesetzt, so trat auch Winnetou ein. Ich blickte ihm erstaunt entgegen.

»Mein roter Bruder kommt?« fragte ich. »Wo hat er die Skalpe seiner Feinde, der Sioux-Ogellallah?«

»Winnetou wird keinen Skalp mehr nehmen,« antwortete er. »Seit er die Musik vom Berge herab gehört hat, tötet er den Feind, aber läßt ihm die Haarlocke seines Hauptes. Howgh!«

»Wie viele hat der Apache getötet?«

»Winnetou zählt nicht wieder die Häupter der Gefallenen. Warum soll er zählen, da sein weißer Bruder keinen tötet!«

»Woher weißt du das?«

»Warum schwieg das Gewehr meines Freundes Schar-lih, bis die weißen Männer an ihm vorüberflohen? Und warum schoß er diese nur in das Bein? Nur diese allein hat Winnetou gezählt. Es sind ihrer acht. Sie liegen draußen und sind gefangen, denn sie konnten nicht entkommen.«

Diese Zahl stimmte; ich hatte also gut getroffen und meinen Zweck erreicht, einige der Railtroublers in unsere Hand zu bekommen. Vielleicht war Haller dabei. Vom Übrigen mochte ich nichts sehen, denn ich war ja ein Mensch und ein – – Christ!

Es dauerte nicht lange, so trat Walker herein.

»Charles, Winnetou, kommt heraus! Wir haben ihn!« rief er.

»Wen?« fragte ich.

»Haller.«

»Ah! Wer hat ihn gefangen?«

»Niemand. Er war verwundet und konnte nicht weiter. Es ist wunderbar! Es sind acht Railtroublers verwundet worden, und alle acht an derselben Stelle, nämlich am Beckenknochen, so daß sie sofort stürzten und liegen blieben.«

»Das ist allerdings eigentümlich, Fred!«

»Es hat sich nicht ein einziger verwundeter Ogellallah ergeben, aber diese acht Weißen haben um Pardon gebeten.«

»Sind ihre Wunden lebensgefährlich?«

»Man weiß es nicht; man hat noch keine Zeit zur Untersuchung gehabt. Warum sitzt Ihr hier? Kommt heraus! Es sind im allerhöchsten Falle nur achtzig Feinde entkommen!«

Das war fürchterlich! Aber hatten sie es besser verdient? Diese Menschen hatten heut eine Lehre erhalten, von welcher sicherlich noch in später Zeit erzählt wurde. Es gab Szenen, welche jeder Feder spotten, und als ich am frühen Morgen die Leichen hoch getürmt übereinandergeschichtet sah, da mußte ich mich fröstelnd abwenden, Ich mußte unwillkürlich an das Wort eines neueren Gelehrten denken, daß der Mensch das größte Raubtier sei.

Erst am Nachmittage kam per Bahn ein Arzt, welcher die Verwundeten untersuchte. Ich hörte, daß Haller nicht zu retten sei. Er selbst hatte bei der Erklärung, daß seine Wunde tödlich sei, nicht die mindeste Reue gezeigt. Walker war zugegen gewesen. Er kam zu mir hereingestürzt und rief mir mit erschrockenem Gesichte zu:

»Charles auf! Wir müssen fort!«

»Wohin?«

»Nach Helldorf-Settlement.«

Dieses Wort erschreckte mich.

»Warum?« fragte ich.

»Weil es von den Ogellallah überfallen wird.«

»Mein Gott! Ist‘s möglich! Woher wißt Ihr das, Fred?«

»Dieser Haller hat es gesagt. Ich saß bei ihm und sprach mit dem Colonel. Dabei erwähnte ich den Abend, welchen wir auf Helldorf-Settlement verlebten. Haller lachte höhnisch auf und meinte, daß wir einen solchen Abend dort wohl nicht wieder erleben würden. Und als ich in ihn drang, erfuhr ich, daß die Niederlassung überfallen werden soll.«

»Herr des Himmels, wenn dies wahr wäre! Fred, holt rasch Winnetou, und laßt unsere Pferde kommen. Ich will selbst zu Haller.«

Ich hatte diesen Menschen noch nicht wiedergesehen. Als ich in das Blockhaus trat, in welchem die verwundeten Gefangenen lagen, stand gerade der Colonel bei ihm. Er lag todesbleich auf einer blutigen Decke und stierte mich mit trotzigen Augen an.