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Winnetou 3

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»Es ist nun vollständig dunkel, und wir wollen aufbrechen. Meine Brüder mögen mir folgen!«

Wir kletterten Einer hinter dem Andern den Berg hinan, auf demselben Wege, den Winnetou vorher mit mir eingeschlagen hatte. Das leise Emporklimmen war jetzt in der Finsternis viel schwieriger als vorhin, und wir brauchten länger als eine Stunde, bis wir den Krater erreichten. Unten brannte ein mächtiges Feuer, und bei dem Scheine desselben sahen wir die Gefangenen und ihre Wächter liegen. Kein Wort, kein Laut drang herauf zu uns.

Wir befestigten zunächst das Seil, welches lang genug war, an einen Steinblock und warteten dann auf das Erscheinen der Feuer. Es dauerte nicht lange, so zeigten sich dort im Osten nacheinander drei, vier, fünf Flammen, welche den Feuern eines Lagers ganz ähnlich sahen. Jetzt blickten und horchten wir gespannt nach dem Kessel hinab. Wir sollten uns nicht getäuscht haben, denn bereits nach kurzer Zeit sahen wir einen Wilden aus einer Spalte erscheinen, der den Andern einige Worte sagte. Diese erhoben sich sofort und verschwanden mit ihm durch die Spalte, um die Feuer zu betrachten.

Jetzt war es Zeit für uns. Ich ergriff den Anfang des Seiles, um den ersten zu machen, jedoch Winnetou nahm ihn mir aus der Hand.

»Der Häuptling der Apachen ist der Führer,« sagte er. »Mein Bruder komme hinter ihm.«

Es war ausgemacht worden, daß die Unsrigen uns in solchen Zwischenräumen folgen sollten, daß, nachdem das Seil den Boden erreicht hatte, sich nur je vier auf einmal an demselben befanden. Winnetou trat an. Ich ließ ihn bis zum ersten Vorsprunge kommen und folgte dann. Mir folgte Fred. Es ging viel schneller bergab, als wir gedacht hatten, da wir uns kaum halten konnten. Zum Glücke hielt das Seil, welches von oben langsam herab- und uns nachgelassen wurde.

Natürlich rissen wir eine Menge Steine und Geröll zur Tiefe hinab; es war ja so dunkel, daß wir dies gar nicht vermeiden konnten. Einer dieser Steine mußte ein Kind getroffen haben, denn es begann zu schreien. Sofort erschien der Kopf eines Indianers in der vorn Feuer erleuchteten Spalte. Er hörte und sah das Niederprasseln des Gerölls, blickte in die Höhe und stieß einen lauten Warnungsruf aus.

»Vorwärts, Winnetou!« rief ich. »Es ist sonst Alles verloren!«

Die Männer oben merkten, was unten vorging, und ließen das Seil schnell laufen. Eine halbe Minute später hatten wir den Boden erreicht, zu gleicher Zeit aber blitzten uns aus der Spalte einige Schüsse entgegen. Winnetou stürzte zu Boden.

Ich blieb vor Schreck halten.

»Winnetou, mein Freund,« rief ich, »hat eine Kugel getroffen?«

»Winnetou wird sterben,« antwortete er.

Da erfaßte mich eine Wut, welcher ich nicht zu widerstehen vermochte. Soeben langte Walker hinter mir an.

»Winnetou stirbt!« rief ich ihm zu. »Drauf!«

Ich nahm mir nicht erst Zeit, den Stutzen vom Rücken zu reißen oder ein Messer oder einen Revolver zu ergreifen. Mit hoch erhobenen Fäusten stürzte ich mich auf die fünf Indianer, welche bereits aus der Spalte gedrungen waren. Der vorderste unter ihnen war der Häuptling; ich erkannte ihn sogleich.

»Ko-itse, fahre nieder,« rief ich ihm zu.

Ein Faustschlag traf ihn an die Schläfe; er brach zusammen wie ein Holzklotz. Der neben ihm haltende Wilde hatte bereits den Tomahawk gegen mich zum Schlage erhoben; da fiel der Schein der Flamme hell auf mein Gesicht, und er ließ erschreckt das Schlachtbeil niedersinken.

»Ká-ut-skamasti – Schmetterhand!« rief er laut.

»Ja, hier ist Old Shatterhand. – Fahre dahin!« rief ich.

Ich kannte mich nicht. Der zweite Hieb traf den Mann, so daß er niedersank.

»Ká-ut-skamasti!« riefen die Indsmen zaudernd.

»Old Shatterhand,« rief auch Walker. »Das seid Ihr, Charles? O, da begreife ich Alles. Jetzt haben wir gewonnen. Drauf!«

Ich erhielt einen Messerstich in die Schulter, aber das fühlte ich gar nicht. Zwei der Wilden fielen von den Schüssen Freds, und den Dritten schlug ich noch nieder. Mittlerweile kamen immer mehrere der Unsrigen herab; ihnen konnte ich die Indsmen überlassen. Ich wandte mich zu Winnetou und kniete neben ihm am Boden nieder.

»Wo ist mein Bruder getroffen?« fragte ich.

»Ntságe tche – hier in der Brust,« antwortete er leise, die Linke auf die rechte Seite der Brust legend, welche sich von seinem Blute rötete.

Ich riß das Messer heraus und schnitt ihm die Santillodecke, welche sich heraufgeschoben hatte, kurzweg herunter. Ja, die Kugel war ihm in die Lunge gedrungen. Mich erfaßte ein Schmerz, wie ich ihn in meinem ganzen Leben noch nicht gefühlt hatte.

»Noch wird Hoffnung sein, mein Bruder,« tröstete ich.

»Mein Freund lege mich in seinen Schoß, daß ich den Kampf erkenne!« bat er.

Ich tat es, und nun konnte er sehen, daß alle Indsmen, sobald sie sich in der Spalte sehen ließen, sofort der Reihe nach in Empfang genommen wurden. Unsere Leute kamen nach und nach alle herab. Die Gefangenen wurden von den Fesseln befreit und erhoben laute Rufe der Freude und Dankbarkeit. Ich beachtete das alles nicht; ich sah nur den sterbenden Freund, dessen Wunde aufhörte zu bluten. Ich ahnte, daß er sich innerlich verbluten werde.

»Hat mein Bruder noch einen Wunsch?« fragte ich ihn.

Er hatte die Augen geschlossen und antwortete nicht; ich aber hielt seinen Kopf in meinen Armen und wagte nicht die geringste Bewegung.

Der alte Hillmann und die anderen von ihren Banden befreiten Settlers griffen nach den umherliegenden Waffen und drangen in die Spalte ein. Auch das beachtete ich nicht, denn mein Blick hing nur an den bronzenen Zügen und geschlossenen Lidern des Apachen. Später trat Walker zu mir, welcher auch blutete, und meldete:

»Sie sind alle ausgelöscht!«

»Dieser wird auch auslöschen!« antwortete ich. »Sie alle sind nichts gegen diesen Einen!«

Noch immer lag der Apache bewegungslos. Die braven Railroaders, welche sich so gut gehalten hatten, und die Settlers mit den Ihrigen bildeten um uns einen stummen, tief ergriffenen Kreis. Da endlich schlug Winnetou die Augen auf.

»Hat mein guter Bruder noch einen Wunsch?« wiederholte ich.

Er nickte und sagte leise:

»Mein Bruder Schar-lih führe diese Männer in die Gros-Ventre-Berge. Am Metsur-Flüßchen liegen solche Steine, wie sie suchen. Sie haben es verdient!«

»Was noch, Winnetou?«

»Mein Bruder vergesse den Apachen nicht. Er bete für ihn zum großen, guten Manitou! Können diese Gefangenen mit ihren wunden Gliedern klettern?«

»Ja,« antwortete ich, obgleich ich sah, wie die Hände und Füße der Settlers unter den schneidenden Fesseln gelitten hatten.

»Winnetou bittet sie, ihm das Lied von der Königin des Himmels zu singen!«

Sie hörten diese Worte. Ohne erst meine Bitte abzuwarten, winkte der alte Hillmann. Sie erklimmten einen Felsenabsatz, der zu Häupten Winnetous hervorragte, um den letzten Wunsch des Sterbenden zu erfüllen. Seine Augen folgten ihnen und schlossen sich dann, als sie oben standen. Er ergriff meine beiden Hände und hörte nun das Ave Maria beginnen:

»Es will das Licht des Tages scheiden;

Nun bricht die stille Nacht herein.

Ach, könnte doch des Herzens Leiden

So, wie der Tag vergangen sein!

Ich leg‘ mein Flehen dir zu Füßen;

O trag‘s empor zu Gottes Thron,

Und laß, Madonna, laß dich grüßen

Mit des Gebetes frommem Ton:

Ave, ave Maria!«

Als nun die zweite Strophe begann, öffneten sich langsam seine Augen und richteten sich mit mildem, lächelndem Ausdrucke zu den Sternen empor. Man sang.

»Es will das Licht des Glaubens scheiden;

Nun bricht des Zweifels Nacht herein.

Das Gottvertraun der Jugendzeiten,

Es soll uns abgestohlen sein.

Erhalt, Madonna, mir im Alter

Des Glaubens frohe Zuversicht.

Schütz meine Harfe, meinen Psalter.

Du bist mein Heil; du bist mein Licht!

Ave, ave Maria!«

Nun zog Winnetou meine Hände an seine verwundete Brust und flüsterte:

»Schar-lih, nicht wahr, nun kommen die Worte vom Sterben?«

Ich konnte nicht sprechen. Ich nickte weinend, und die dritte Strophe begann:

»Es will das Licht des Lebens scheiden;

Nun bricht des Todes Nacht herein.

Die Seele will die Schwingen breiten;

Es muß, es muß gestorben sein.

Madonna, ach, in deine Hände

Leg ich mein letztes, heißes Flehn:

Erbitte mir ein gläubig Ende

Und dann ein selig Auferstehn!

Ave, ave Maria!«

Als der letzte Ton verklungen war, wollte er sprechen – es ging nicht mehr. Ich brachte mein Ohr ganz nahe an seinen Mund, und mit der letzten Anstrengung der schwindenden Kräfte flüsterte er:

»Schar-lih, ich glaube an den Heiland. Winnetou ist ein Christ. Lebe wohl!«

Es ging ein konvulsivisches Zittern durch seinen Körper; ein Blutstrom quoll aus seinem Munde; der Häuptling der Apachen drückte nochmals meine Hände und streckte seine Glieder. Dann lösten sich seine Finger langsam von den meinigen – er war tot!

Was soll ich weiter erzählen? Die wahre Trauer liebt die Worte nicht! Käme doch bald die Zeit, in der man solche blutige Geschichten nur noch als alte Sagen kennt!

Wir hatten dem bleichen Tode oft von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden; der wilde Westen gebietet, an jedem Augenblicke auf ein plötzliches Ende gefaßt zu sein. Und doch, als der beste, der treueste Freund, den ich je besessen habe, nun als Leiche vor mir lag, wollte mir das Herz brechen; ich befand mich in einem Seelenzustande, welcher sich nicht beschreiben läßt. Welch ein herrlicher Mensch war er gewesen! Und nun so plötzlich »ausgelöscht, ausgelöscht!« Grad so wird binnen kurzem seine ganze Rasse ausgelöscht sein, deren edelster Sohn er gewesen ist.

Ich wachte die ganze Nacht hindurch, wortlos, mit heißen, trockenen Augen. Er lag in meinem Schoße, grad so, wie er gestorben war. Was ich dachte, und was ich fühlte? Wer möchte das wohl fragen! Wäre es möglich gewesen, wie gern, o wie so gerne hätte ich die fernere Zeit meines Lebens mit ihm geteilt und nur die Hälfte derselben gelebt! So, wie er jetzt in meinem Schoße lag, war einst Klekih-petra in dem seinen gestorben und dann auch seine Schwester Nscho-tschi.

 

Seine Todesahnung hatte ihn also nicht betrogen, und mit kluger Voraussicht hatte er den Ort bestimmt, an welchem er begraben sein wollte. Da die deutschen Steinschneider dort die begehrten Halbedelsteine finden sollten, waren sie sehr gerne bereit, mit hinzureiten, wodurch mir der Transport des geliebten Toten außerordentlich erleichtert wurde.

Früh am andern Morgen verließen wir den Berg, da wir jeden Augenblick das Eintreffen der Wilden erwarten konnten. Der Leichnam des Apachen wurde in Decken gehüllt und auf ein Pferd befestigt. Von hier bis in die Gros-Ventre-Berge war es nur zwei Tagereisen; dorthin richteten wir unseren Weg, und zwar so vorsichtig, daß kein Indianer unsere Spur aufzufinden vermochte.

Am Abend des zweiten Tages erreichten wir das Tal des Metsur-Flüßchens. Dort haben wir den Indianer begraben, unter christlichen Gebeten und mit den Ehren, die einem so großen Häuptlinge bewiesen werden müssen: Er sitzt mit seinen sämtlichen Waffen und seinem vollständigen Kriegsschmucke aufrecht auf seinem deshalb erschossenen Pferd im Innern des Erdhügels, welchen wir um ihn wölbten. Auf diesem Hügel wehen nicht die Skalpe erschlagener Feinde, wie man es auf dem Grabe eines Häuptlings zu sehen gewohnt ist, sondern es sind drei Kreuze darauf errichtet worden.

Irn Sande des Tales fanden sich nicht nur die verheißenen Steine, sondern an einer Stelle auch eine Ansammlung von Goldstaub, mit dem sich die Rallroaders für den Verfolgungsritt entschädigten. Eine Anzahl von ihnen entschloß sich, mit den Settlers hier eine Ansiedelung zu gründen, welche wieder den Namen Helldorf führt. Die Andern kehrten nach Echo-Cannon zurück, wo sie erfuhren, daß der Railtroubler Haller an seiner Wunde gestorben sei. Seine Mitgefangenen wurden bestraft.

Das Glöckchen, welches Winnetou vergraben hatte, ist nach der neuen Ansiedelung geholt worden, wo die Settlers wieder ein Kapellchen errichtet haben. Wenn nun seine helle Stimme erschallt und die frommen Ansiedler ihr Ave Maria ertönen lassen, so denken sie stets an den Häuptling der Apachen und sind überzeugt, daß ihm erfüllt worden ist, was er sterbend durch ihre Lippen betete:

 
»Madonna, ach, in deine Hände
Leg ich mein letztes, heißes Flehn:
Erbitte mir ein gläubig Ende
Und dann ein selig Auferstehn!
Ave, ave Maria!«
 

Das Testament des Apachen

Winnetou tot! Diese beiden Worte sind genügend, um die Stimmung zu bezeichnen, in welcher ich mich damals befand. Es war, als ob ich mich von seinem Grabe gar nicht trennen könnte. Ich saß in den ersten Tagen schweigend bei demselben und sah dem regen Treiben der Menschen zu, welche an der neuen Niederlassung arbeiteten. Ich sage, ich sah zu, aber eigentlich sah ich nichts. Ich hörte ihre Stimmen, und dennoch hörte ich nichts. Ich war geistesabwesend. Mein Seelenzustand glich demjenigen eines Mannes, der einen Hieb auf den Kopf erhalten hat und, nur halb betäubt, alles wie von weitem hört und alles wie durch eine mattgeschliffene Glasscheibe sieht. Es war ein wahres Glück, daß die Roten unsere Spur nicht gefunden hatten und also unseren jetzigen Aufenthalt nicht entdeckten! Ich war jetzt nicht der Mann, es mit ihnen aufzunehmen. Oder wäre es doch vielleicht möglich, daß mich eine solche Gefahr aus meiner Selbstverlorenheit aufgerüttelt hätte? Vielleicht!

Die guten Leute gaben sich Mühe, mir Interesse für ihr Tun und Treiben abzugewinnen, aber der Erfolg trat nur langsam ein. Es verging eine halbe Woche, ehe ich mich aufraffte und ihnen bei der Arbeit half. Die wohltätige Wirkung davon ließ nicht auf sich warten; man mußte mir zwar jedes Wort abgewinnen, doch stellte sich die alte Tatkraft wieder ein, und ich war bald Derjenige, nach dessen Rat und Ansicht sich die Andern richteten.

Das währte zwei Wochen, dann sagte ich mir, daß ich nicht länger bleiben dürfe. Das Testament des Freundes zog mich fort, nach dem Nugget-tsil, wo wir Intschu tschuna und seine schöne Tochter begraben hatten. Auch war es meine Pflicht, nach dem Rio Pecos zu reiten und die Apachen von dem Tode des berühmtesten und besten ihrer Häuptlinge zu unterrichten. Zwar wußte ich, wie schnell die Kunde von einem solchen Ereignisse über die Prärie zu laufen pflegt – sie konnte schon vor mir dort eintreffen – aber ich mußte doch selbst hin, weil ich als der Augenzeuge der traurigen Begebenheit der sicherste Berichterstatter war. Die Ansiedler brauchten mich nicht notwendig, und wenn sie ja einen geübten Westmann nötig hätten, so durften sie sich an Walker wenden, welcher entschlossen war, einige Zeit bei ihnen zu bleiben. Es gab einen herzlichen Abschied von den braven Leuten, und dann trat ich den weiten Ritt auf meinem Schwarzschimmel an, der sich gut ausgeruht hatte.

Ein Anderer an meiner Stelle wäre wohl bemüht gewesen, auf seinem Wege möglichst viele Punkte zu berühren, wo es Menschen gab; ich tat das Gegenteil und mied dergleichen Orte; ich wollte niemand sehen, wollte allein mit meiner Trauer sein.

Dieser Wunsch wurde mir bis zum Beaver-Creck des Nordkanadian erfüllt, wo ich ein sehr gefährliches Zusammentreffen mit To-kei-chun, dem Häuptling der Comanchen, hatte, dem wir damals so glücklich entgangen waren. Während wir uns im Norden mit den Sioux herumgeschlagen hatten, war im Süden von den Comanchen wieder einmal das Kriegsbeil ausgegraben worden, und To-kei-chun hatte sich mit siebzig Kriegern nach dem ihnen heiligen Makik-Natun aufgemacht, um bei den dort befindlichen Häuptlingsgräbern den Kriegstanz aufzuführen und die »Medizin« zu befragen. Dabei waren ihm mehrere Weiße in die Hände gefallen, die an dem Marterpfahle sterben sollten; es gelang mir aber, sie ihm zu entreißen. Dieses Erlebnis jedoch übergehe ich hier, weil es in keiner Beziehung zu Winnetou steht, und werde es bei einer späteren Gelegenheit erzählen. Ich brachte diese Weißen bis an die Grenze von Neu-Mexiko, wo sie sich in Sicherheit befanden, und hätte von dort aus eigentlich direkt nach dem Rio Pecos gekonnt; aber das Testament Winnetous war mir zu wichtig, als daß ich über dasselbe noch länger hätte in Ungewißheit sein mögen, und so richtete ich meinen Ritt nach Südosten, um zunächst den Nugget-tsil aufzusuchen.

Dieser Weg war gefährlich, denn er führte mich durch das Gebiet der feindlichen Comanchen und dasjenige der Kiowas, vor denen ich mich erst recht nicht sehen lassen durfte. Ich traf auch auf verschiedene Fährten und Spuren, nahm mich aber außerordentlich in acht und kam glücklich und unbemerkt bis in die Nähe des Gualpaflusses. Dort stieß ich auf Hufeindrücke, die genau die Richtung hatten, welche die meinige war. Ich wollte mich von Roten nicht sehen lassen und mit Weißen nicht abgeben, hätte also von dieser Fährte abweichen sollen. Aber da wäre ich zu einem Umwege gezwungen gewesen, und es war ja auch wichtig, zu erfahren, ob hier Indianer oder Bleichgesichter geritten waren. Darum folgte ich der Spur, welche vielleicht eine Stunde alt sein mochte.

Bald sah ich, daß es drei Reiter gewesen waren, und dann kam ich an eine Stelle, wo sie kurze Zeit angehalten hatten. Einer von ihnen war abgestiegen, um wahrscheinlich einen gelockerten Riemen fester anzuziehen. Der Eindruck seiner Füße verriet mir, daß er Stiefel anhatte, also ein Weißer war, und weil ich keine Veranlassung hatte, anzunehmen, daß ein Weißer jetzt und hier sich in Gesellschaft von zwei Indianern befinde, lautete der einfache Schluß, daß ich drei Bleichgesichter vor mir hatte.

Es fiel mir nicht ein, ihretwegen von meiner Richtung abzuweichen, und ich ritt auf ihrer Fährte weiter. Ich war ja, falls ich auch mit ihnen zusammentraf, nicht gezwungen, bei ihnen zu bleiben. Sie waren langsam geritten, und so kam es, daß ich sie nach zwei Stunden vor mir sah. Zu gleicher Zeit erblickte ich auch die Hügel, zwischen denen sich der Fluß hier abwärts schlängelte.

Es war gegen Abend, und ich hatte die Absicht gehabt, am Flusse zu nachtlagern; es war wohl nicht nötig, diese Absicht wegen der drei Fremden aufzugeben. Sehr wahrscheinlich hatten sie dasselbe vor; aber ich war ja nicht gezwungen, ihnen Gesellschaft zu leisten. Kurz nachdem sie in dem Gesträuch, welches die Hügel bedeckte, verschwunden waren, erreichte ich dasselbe auch, und als ich an den Fluß gelangte, waren sie grad damit beschäftigt, ihre Pferde abzuschirren. Sie schienen recht gut beritten und ebenso bewaffnet zu sein, aber ihr Aussehen war nicht sehr vertrauenerweckend.

Sie erschraken, als sie mich so plötzlich sahen, beruhigten sich aber schnell, erwiderten meinen Gruß und kamen, als ich in einiger Entfernung von ihnen anhielt und nicht vollends zu ihnen hinritt, zu mir heran.

»Mann, habt Ihr uns erschreckt!« sagte der Eine von ihnen.

»Habt ihr ein böses Gewissen, daß euch mein Anblick solchen Schreck einjagt?« fragte ich.

»Pshaw! Wir schlafen auf unsern Gewissen; also müssen sie gut sein, denn ein böses Gewissen ist kein sanftes Ruhekissen, wie Ihr wissen werdet. Aber der Westen ist eine gefährliche Gegend, und wenn so plötzlich ein Fremder vor einem auftaucht, möchte man am liebsten mit der Hand gleich nach dem Messer greifen. Dürfen wir fragen, woher Ihr kommt?«

»Vom Beaver-Fork herüber.«

»Und wo wollt Ihr hin?«

»Nach dem Rio Pecos.«

»Da habt Ihr weiter als wir. Wir wollen nur nach den Mugworthills.«

Das erregte meine Aufmerksamkeit, denn die Mugworthills waren ganz dieselbe Berggruppe, welche von Winnetou und seinem Vater Nugget-tsil genannt worden war. Was wollten diese drei Männer dort? Auch ich wollte hin. Sollte ich mich ihnen anschließen? Da war es nötig, zu erfahren, welche Absicht sie hinführte. Darum fragte ich:

»Mugworthills? Was ist das für eine Gegend?«

»Eine sehr schöne. Es steht sehr viel wilder Beifuß dort, und Beifuß heißt auch Mugwort; daher der Name. Aber es ist nicht nur Beifuß dort zu finden, sondern etwas noch ganz Anderes.«

»Was?«

»Hm! Wenn Ihr das wüßtet! Werde mich aber hüten, es zu sagen! Würdet wohl gleich mit nach den Mugworthills wollen!«

»Plappermaul!« fuhr ihn der Zweite an. »Rede doch nicht so dumm daher!«

»Pshaw! Woran man gern denkt, das hat man auf der Zunge. Was seid Ihr denn eigentlich, Fremder?«

Es läßt sich denken, daß das, was er jetzt gesagt hatte, mich frappierte. Er sprach wirklich von dem Nugget-tsil; ich selbst hatte damals den Beifuß gesehen, welcher massenhaft dort wuchs. Seine Worte klangen so geheimnisvoll; ich beschloß, bei diesen Leuten hier zu bleiben, ihnen aber nicht zu sagen, wer ich war. Ich erteilte ihm also die Auskunft:

»Bin Fallensteller, wenn Ihr nichts dagegen habt.«

»Habe gar nichts einzuwenden. Und Euer Name? Oder wollt Ihr ihn verschweigen?«

»Kann ihn frei und allen Leuten nennen. Ich heiße Jones.«

»Seltener Name, außerordentlich selten!« lachte er. »Ob wir ihn uns wohl merken können? Wo habt Ihr denn Eure Fallen?«

»Die sind mir von den Comanchen genommen worden, mit der ganzen Jagdbeute von zwei Monaten.«

»Das ist Pech!«

»Ja, großes Pech. Bin aber doch froh, daß sie mich nicht selbst auch erwischt haben.«

»Glaube es. Diese Kerls verschonen keinen Weißen, zumal in der jetzigen Zeit.«

»Sind die Kiowas nicht ebenso schlimm?«

»Ja.«

»Und dennoch wagt ihr euch in ihr Gebiet?«

»Bei uns ist‘s etwas Anderes; wir sind sicher bei ihnen. Haben gute Empfehlungen, sehr gute. Mr. Santer ist der Freund ihres Häuptlings Tangua.«

Santer! Man kann sich denken, daß mich dieser Name förmlich elektrisierte. Ich hatte Mühe, meine Überraschung unter einer gleichgültigen Miene zu verbergen. Diese Leute kannten Santer. Nun stand es fest, daß ich mich ihnen anschließen würde. Ein anderer Santer als der, der uns wiederholt entkommen war, konnte nicht gemeint sein, denn er war ja der Freund des Häuptlings Tangua genannt worden.

»Ist dieser Santer ein so einflußreicher Mann?« erkundigte ich mich.

»Will es meinen! Wenigstens bei den Kiowas. Aber sagt, wollt Ihr nicht absteigen? Der Abend ist nahe, und Ihr wollt doch am Flusse übernachten, wo es Wasser und auch Futter für Euer Pferd gibt?«

»Hm! Ich kenne euch nicht, und ihr selbst sagtet vorhin, daß man vorsichtig sein müsse.«

»Sehen wir aus wie schlechte Kerls?«

»Nein; aber ihr habt mich zwar ausgefragt, aber mir noch nicht gesagt, wer ihr seid.«

»Das könnt Ihr sogleich erfahren. Wir sind Westmänner und treiben bald dieses und bald jenes. Man nährt sich, wie man kann. Ich heiße Gates; hier neben mir steht Mr. Clay, und der Dritte da ist Mr. Summer. Seid Ihr nun zufrieden?«

 

»Yes.«

»So steigt endlich ab, oder reitet weiter, ganz wie Ihr wollt.«

»Wenn ihr erlaubt, werde ich bei euch bleiben; es ist in dieser Gegend immer besser, wenn mehrere beisammen sind.«

»Well. Bei uns seid Ihr sicher aufgehoben. Der Name Santer schützt uns Alle.«

»Was ist dieser Santer eigentlich für ein Gentleman?« erkundigte ich mich, indem ich abstieg und mein Pferd anhobbelte.

»Ein Gentleman mm wahren Sinne des Wortes. Wir werden ihm viel zu verdanken haben, wenn es wirklich so kommt, wie er uns gesagt und versprochen hat.«

»Kennt ihr ihn schon lange?«

»Nein. Wir haben ihn erst vor einiger Zeit zum ersten Male gesehen und getroffen.«

»Wo?«

»In Fort Arkansas. Aber warum fragt Ihr so nach ihm? Ist er Euch bekannt?«

»Würde ich mich nach ihm erkundigen, wenn er mir bekannt wäre, Mr. Gates?«

»Hm, das ist richtig!«

»Ihr sagtet, sein Name gebe euch Sicherheit, und da ich bei euch bin, befinde ich mich, sozusagen, auch unter seinem Schutze. Da muß ich mich doch für ihn interessieren. Nicht?«

»Yes. Setzt Euch nun zu uns her, und macht es Euch bequem! Habt Ihr zu essen?«

»Ein Stück Fleisch.«

»Wir haben mehr. Wenn Ihr nicht genug habt, könnt Ihr noch von uns bekommen.«

Erst hatte ich diese Drei für Landstreicher angesehen; nun, da ich sie beobachten konnte, war ich mehr und mehr geneigt, sie für ehrliche Leute zu halten, das heißt, was man im Westen, wo es einen andern Maßstab gibt, noch so knapp ehrlich nennt. Wir schöpften uns an einer klaren Stelle des Flusses Wasser und aßen unser Fleisch. Dabei betrachteten sie mich von oben bis unten. Dann meinte Gates, der überhaupt für sie das Wort zu führen schien:

»Also um Eure Fallen und Felle seid Ihr gekommen? Das ist bedauerlich. Wie wollt Ihr Euch nun nähren?«

»Zunächst von der Jagd.«

»Sind Eure Gewehre gut? Ihr habt nicht nur eins, sondern sogar zwei, wie ich sehe.«

»Sie sind leidlich. Diese alte Donnerbüchse schießt mit Kugeln und für Schrot habe ich das kleine Gewehr.«

Ich hatte den Stutzen im selbstgefertigten Überzuge stecken. Hätte ich die beiden Namen Henrystutzen und Bärentöter gesagt, so hätten sie sofort gewußt, wer ich war.

»Da seid Ihr ein sonderbarer Heiliger. Ihr schleppt zwei Gewehre mit Euch, das eine für Kugeln, das andere für Schrot. Man nimmt doch ein Doppelgewehr, ein Lauf für Schrot und der andere für die Kugel!«

»Ist richtig; bin aber einmal an dieses alte Schießzeug gewöhnt.«

»Und was habt Ihr da unten am Rio Pecos vor, Mr. Jones?«

»Nichts Besonderes. Es soll dort leichteres Jagen sein als hier.«

»Wenn Ihr meint, daß die Apachen Euch dort jagen lassen, so hat man Euch gut berichtet. Glaubt doch diesen Unsinn nicht! Hier habt Ihr nur die Fallen und Felle verloren; dort aber könnt Ihr leicht um Euern eigenen Pelz kommen. Müßt Ihr denn partout hin?«

»Nein, das gar nicht.«

»So kommt mit uns!«

»Mit euch?« stellte ich mich erstaunt.

»Ja.«

»Nach den Mugworthills?«

»Ja.«

»Was soll ich dort?«

»Hm! Ich weiß nicht, ob ich es Euch sagen darf. Was meint ihr dazu, Clay und Summer?«

Die beiden Genannten sahen einander fragend an, und dann erklärte Clay:

»Die Sache ist zweifelhaft. Mr. Santer hat uns verboten, davon zu sprechen, und doch auch gesagt, daß er gern mehr passende Männer dazu nehmen möchte. Mach, was du willst.«

»Well,« nickte Gates. »Wenn Mr. Santer noch Andere engagiert, können wir ihm auch einen mitbringen. Ihr seid also jetzt an nichts gebunden, Mr. Jones?«

»Nein,« antwortete ich.

»Und habt Zeit?«

»So viel ich will.«

»Würdet Ihr Euch an einer Sache beteiligen, welche Geld, viel Geld einbringen kann?«

»Warum nicht. Geld verdient jeder gern, und wenn es viel oder gar sehr viel ist, so sehe ich nicht ein, warum ich nicht mitmachen soll. Nur muß ich natürlich wissen, um was es sich handelt.«

»Selbstverständlich! Es ist eigentlich ein Geheimnis, aber Ihr gefallt mir; Ihr habt ein so ehrliches, treuherziges Gesicht und würdet uns gewiß nicht übervorteilen und betrügen.«

»Na, ein ehrlicher Kerl bin ich freilich; das könnt ihr glauben.«

»Ich glaube es. Also, wir wollen nach dem Mugwortberge, um dort Nuggets zu suchen.«

»Nuggets!« rief ich aus. »Gibt‘s dort welche?«

»Schreit nicht so sehr! Nicht wahr, das packt Euch an? Ja, es gibt dort welche.«

»Von wem wißt ihr das?«

»Eben von Mr. Santer.«

»Hat er sie gesehen?«

»Nein, denn da würde er sich hüten, uns dazu zu nehmen, sondern das Nest für sich allein behalten.«

»Also nicht gesehen? Er vermutet es nur? Hm!«

»Es ist keine Vermutung, sondern Gewißheit, daß es dort welche gibt. Er kennt auch den ungefähren Ort, aber nicht die genaue Stelle.«

»Das wäre sonderbar!«

»Ja, sonderbar, aber dennoch wahr und richtig. Ich werde es Euch genau so erklären, wie er es uns erzählt hat. Habt Ihr einmal von einem gewissen Winnetou gehört?«

»Dem Häuptling der Apachen? Ja.«

»Ist Euch auch ein gewisser Old Shatterhand bekannt?«

»Habe mir auch von ihm erzählen lassen.«

»Die sind dicke Freunde miteinander und früher einmal an den Mugworthills gewesen. Der Vater von Winnetou war auch dabei und auch noch andere Rote und Weiße. Mr. Santer hat sie belauscht und dabei gehört, daß Winnetou mit seinem Vater nach den Bergen wolle, um Nuggets zu holen. Wenn man sie nur so holen kann, wann und wie es einem beliebt, so müssen sie doch in Masse zu haben sein. Gebt Ihr das zu?«

»Ja.«

»Nun hört weiter! Mr. Santer hat sich auf die Lauer gestellt, um den beiden Apachen zu folgen und den Ort zu entdecken. Das kann man ihm auch gar nicht verdenken, wie Ihr einsehen werdet, denn was wollen diese roten Kerls mit dem Golde, welches sie gar nicht brauchen können? Sie haben kein Geschick dazu.«

»Ist es ihm gelungen?«

»Leider nicht ganz. Er ist ihnen nachgegangen; sie hatten auch die Schwester Winnetous mit. Er hat sich nach ihren Spuren richten müssen, und dabei versäumt man immer Zeit. Als er in die Nähe der Stelle gekommen ist, sind sie schon fertig und auf der Rückkehr gewesen. Eine ärgerliche Geschichte!«

»Gar nicht ärgerlich!«

»Nicht? Wieso?«

»Er brauchte sie nur ruhig an sich vorüberzulassen und dann auf ihren Spuren weiterzugehen; diese hätten ihn zu den Nuggets geführt.«

»Alle Wetter! Das ist wahr! Ihr seid kein übler Kerl, wie ich da höre, und könnt uns wohl von Nutzen sein. Aber leider ist es anders gekommen. Er hat geglaubt, und zwar mit Recht geglaubt, daß sie Nuggets bei sich hatten, und auf sie geschossen, um ihnen dieses Gold abzunehmen.«

»Traf er gut? Waren sie tot?«

»Der Alte und das Mädchen, ja; ihre Gräber befinden sich dort. Er hätte auch Winnetou eine Kugel gegeben, hat aber fliehen müssen, weil Old Shatterhand plötzlich dazugekommen ist. Dieser hat ihn mit weißen und roten Kerlen verfolgt und bis zu den Kiowas getrieben, mit deren Häuptling er dann Freund geworden ist. Später ist er nach den Mugworthills zurückgekehrt, mehrere Male, ja viele Male, und hat sich fast die Augen ausgesucht, aber nie etwas gefunden. Jetzt nun hat er den guten Gedanken gehabt, Leute zu engagieren, die ihm suchen helfen sollen. Mehrere sehen ja mehr als einer. Diese Leute sind wir drei, und wenn Ihr wollt, könnt Ihr mit uns reiten.«

»Habt Ihr denn Hoffnung auf Erfolg?«

»Große sogar. Die Roten sind so schnell von dem Fundorte zurückgekehrt, daß er gar nicht weit von der Stelle liegen kann, wo Mr. Santer auf sie getroffen ist. Es ist also nur eine kurze Strecke abzusuchen, und es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn wir das Gold nicht entdeckten. Wir haben ja Zeit genug dazu. Wir können Wochen und Monate lang suchen, denn kein Mensch treibt uns fort. Was denkt Ihr von der Sache?«

»Hm! Eigentlich gefällt sie mir nicht.«

»Warum?«

»Es klebt Blut daran.«

»Seid nicht so dumm! Haben wir oder habt Ihr es vergossen? Trifft uns oder Euch die Schuld? Nicht die Spur! Was liegt an zwei Roten, die erschossen worden sind? Sie werden doch alle ausgerottet und ausgelöscht! Was geschehen ist, das geht uns nichts an. Wir suchen das Gold; wir finden es und leben dann wie Astor und wie andere Millionäre.«