Tasuta

Winnetou 3

Tekst
Autor:
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Er kam in seiner Rede nicht weiter, denn ich zog, ohne daß er so etwas erwartet hatte, plötzlich die Knie an den Leib und gab ihm mit den Füßen einen so gewaltigen Stoß, daß er weit fortgeschleudert wurde und, sich nach hinten überschlagend, wieder zu Boden stürzte. Jetzt brüllte er vor Grimm wie ein wildes Tier; er wollte schnell aufspringen, um sich wieder auf mich zu werfen, brachte dies aber nicht fertig. Seine Glieder schmerzten ihn; er kam nur langsam auf, verzichtete aber nicht auf augenblickliche Rache, sondern zog seinen Revolver, richtete ihn auf mich und schrie:

»Deine letzte Stunde ist gekommen, du Hund. Fahr zur Hölle, wo du hingehörst!«

Der ihm nächststehende Indianer faßte ihn bei der Hand; darum ging, als er doch abdrückte, die Kugel fehl.

»Was hinderst du mich?« fuhr er den Roten an. »Ich kann tun, was ich will, und dieser Hund, der mich erst geschlagen und dann getreten hat, muß sterben.«

»Nein, du darfst nicht tun, was du willst,« erklärte Pida, indem er zu ihm trat und ihm warnend die Hand auf den Arm legte. »Old Shatterhand gehört mir, und niemand sonst darf ihn berühren. Sein Leben ist mein Eigentum, und kein Anderer darf es ihm nehmen.«

»Aber ich habe eine Rache gegen ihn, welcher er schon längst verfallen ist!«

»Das geht mich nichts an; du hast meinem Vater, dem Häuptling, einige Dienste erwiesen, für welche er dir erlaubt, bei uns zu sein; das ist aber auch alles! Nimm dir nicht zu viel heraus! Ich sage dir: Wenn du dich an Old Shatterhand vergreifest, so stirbst du von dieser meiner eigenen Hand!«

»Was soll denn eigentlich mit ihm geschehen?« fragte er eingeschüchtert.

»Das werden wir beraten.«

»Was gibt es da erst zu beraten! Was ihr zu tun habt, ist doch klar!«

»Was?«

»Ihn töten.«

»Das wird geschehen.«

»Aber wann? Ihr seid hierher gekommen, um den Tod Winnetous, eures größten Feindes, zu feiern. Wie könnt ihr das besser tun als dadurch, daß ihr grad hier an dieser Stelle Old Shatterhand zu Tode quält, der sein bester Freund gewesen ist!«

»Das dürfen wir nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil wir ihn nach unserm Dorfe schaffen müssen.«

»Oh! Nach eurem Dorfe? Wozu das?«

»Um ihn Tangua, meinem Vater, zu bringen. Old Shatterhand hat ihm einst beide Knie zerschmettert und gehört also ihm. Tangua hat zu bestimmen, auf welche Weise er sterben soll.«

»Unsinn! Ihn erst nach eurem Dorfe schaffen! Das ist eine Dummheit, wie es gar keine größere geben kann!«

»Schweig! Pida, der junge Häuptling der Kiowas, begeht keine Dummheiten!«

»Es ist doch eine! Siehst du denn nicht ein, warum?«

»Nein.«

»Hast du denn nicht erfahren, wie oft dieser Old Shatterhand schon gefangen gewesen ist? Und stets hat er es durch seine List fertig gebracht, wieder zu entkommen. Wenn ihr ihn nicht gleich tötet, sondern erst lange mit euch herumschleppt, wird er bald wieder verschwunden sein.«

»Er wird uns nicht entkommen. Wir werden ihn so behandeln, wie ein so berühmter Krieger behandelt werden muß, aber dabei doch so wachsam sein, daß ihm die Flucht unmöglich ist.«

»Alle Teufel! Auch noch ihn wie einen berühmten Mann behandeln! Wollt ihr ihn nicht gar noch mit Girlanden umwickeln und seine Brust mit Orden behängen?«

»Pida versteht nicht, was du meinst; er weiß nicht, was Girlanden und Orden sind; aber das weiß er, daß wir gegen Old Shatterhand anders sein müssen, als wir gegen dich sein würden, wenn du unser Gefangener wärest.«

»Gut, gut! Ich weiß nun, woran ich bin. Ich habe auch Rechte auf ihn, große Rechte; ich wollte euretwegen auf diese Rechte verzichten; sein Leben sollte euch gehören; nun aber denke ich anders. Er gehört mir ebenso gut wie euch, auch wenn ihr denkt, ihn ›als einen berühmten Mann‹ zu behandeln, so werde wenigstens ich desto mehr dafür besorgt sein, daß es ihm nicht allzu wohl geht. Euch mag er täuschen; euch wird er entfliehen; ich aber werde darüber wachen, daß er den Lohn, den er an mir und vielen Andern verdient hat, auch wirklich bekommt. Wenn ihr ihn nach eurem Dorfe schafft, so reite ich mit.«

»Ich kann dir nicht verbieten, mit uns zu kommen, aber ich wiederhole meine Rede: Wenn du dich an ihm vergreifst, so erleidest du den Tod durch meine eigene Hand! Und nun werden wir darüber beraten, was jetzt geschehen soll.«

»Das bedarf keiner Beratung, ich kann es euch jetzt gleich sagen.«

»Deine Stimme wird nicht gebraucht; du gehörst nicht in die Beratung unsrer alten und weisen Männer.«

Er wendete sich ab und suchte die ältesten unter seinen Kriegern aus; mit diesen setzte er sich abwärts nieder, um sich mit ihnen zu besprechen. Die Andern hockten sich um mich her und flüsterten sich so leise Bemerkungen zu, daß ich sie nicht verstand. Sie waren jedenfalls außerordentlich froh darüber und ebenso stolz darauf, Old Shatterhand gefangen zu haben. Sie wußten, mich tot zu martern, das war für sie eine große Ehre und brachte ihnen einen Ruhm, um den sie sicher jeder andere Stamm beneidete.

Ich tat, als ob ich sie gar nicht beachtete, prüfte aber heimlich jedes einzelne Gesicht und das, was in oder auf demselben geschrieben stand. Das war keine erbitterte, leidenschaftliche und rücksichtslose Feindschaft. Damals, als ich noch keinen Namen besaß und ihren Häuptling so schwer verwundet, ja zum Krüppel geschossen hatte, damals war die Wut, die sie auf mich hatten, geradezu gnadenlos. Seitdem waren Jahre vergangen, und die damalige hochgradige Erbitterung hatte sich gelegt; ich war bekannt geworden und hatte oft und oft bewiesen, daß ein roter Mensch für mich einen ebenso hohen Wert besaß wie ein weißer. Höchstens war es nur Tangua, der Häuptling, welcher mich noch ebenso grimmig haßte wie früher, eine ganz natürliche Folge seiner Gebrechlichkeit, welche er mir zu verdanken hatte; denn daß er eigentlich selbst daran schuld war, das gab er wohl nicht zu.

Daß ich Pida damals gefangen genommen und trotz der zwischen uns herrschenden Feindschaft so schonend behandelt hatte, mußte für mich in die Wagschale fallen; ich war jetzt für die Kiowas wohl mehr der viel besprochene Old Shatterhand, als der Weiße, den ihr Häuptling gezwungen hatte, ihn in die Beine zu schießen. Das sah ich den Blicken an, welche sie auf mich warfen und die ich beinahe respektvoll nennen möchte. Das durfte mich aber ja nicht verführen, in Beziehung auf meine gegenwärtige Lage irgendwelche Hoffnung zu hegen. Sie mochten mich achten, so sehr sie wollten, ich hatte keine Gnade zu erwarten. Ja, einen Andern hätten sie jedenfalls noch eher freigelassen als mich, dessen Gefangennahme und Tötung ihnen den Neid aller andern roten Nationen einbringen mußte. In ihren Augen war ich dem gewissen, unvermeidlichen Tod am Marterpfahl verfallen, und wie ein Weißer in höchster Spannung ins Theater geht, wenn das Werk eines großen Dichters oder Komponisten gegeben wird, grad so und noch begieriger waren sie schon jetzt darauf, zu sehen, wie Old Shatterhand sich bei den Qualen verhalten werde, denen er entgegen ging.

Trotzdem ich mir dies sagte oder sagen mußte, hatte ich nicht die geringste Angst, ja auch nicht einmal Sorge um mich. Welchen Gefahren war ich nicht schon glücklich entgangen! Es war mir auch jetzt gar nicht so zumute, als ob ich mich nun vollständig aufzugeben hätte. Der Mensch muß bis zum letzten Augenblicke hoffen, aber freilich auch all das Seinige dazu beitragen, daß diese Hoffnung in Erfüllung gehe. Wer das nicht tut, der ist allerdings verloren.

Santer hatte sich zu meinen bisherigen drei Gefährten gesetzt und sprach leise und angelegentlich auf sie ein. Ich ahnte, was der Gegenstand seiner Rede war. Auch sie hatten oft von Old Shatterhand gehört; sie wußten, daß ich kein Lump, kein Schurke war, und so konnte sein gegenwärtiges Verhalten zu mir unmöglich einen guten Eindruck auf sie hervorgebracht haben. Dazu kamen die stillen Vorwürfe, die sie sich wahrscheinlich machten. Sie hatten auf seine Veranlassung hin mich nicht nur direkt belogen, sondern mir auch verschwiegen, daß die Indianer gekommen waren. Sie trugen also die eigentliche Schuld an meiner Gefangennahme, und das beunruhigte sie wahrscheinlich, denn sie waren keine ganz schlechten Menschen. Nun gab sich Santer jedenfalls Mühe, ihnen die Angelegenheit in ein solches Licht zu stellen, daß sie ihm keine Vorwürfe machen konnten.

Die Beratung dauerte gar nicht lange. Die Roten, welche an derselben teilgenommen hatten, erhoben sich von ihren Plätzen, und Pida verkündete seinen Leuten:

»Die Krieger der Kiowas werden nicht hierbleiben, sondern nach ihrem Dorfe aufbrechen, sobald sie gegessen haben; sie mögen sich also fertig machen, bald von hier fortzureiten.«

Ich hatte so etwas erwartet, nicht aber Santer, welcher die Sitten und Anschauungen der Indianer nicht so genau kannte wie ich. Er sprang überrascht auf, näherte sich Pida und fragte:

»Fort wollt ihr? Es war aber doch bestimmt, daß wir einige Tage hierbleiben würden!«

»Es ist oft etwas bestimmt worden, was später anders wurde,« antwortete der Häuptling.

»Ihr wolltet den Tod Winnetous feiern!«

»Das werden wir auch tun, nur heut noch nicht.«

»Wann denn?«

»Das werden wir von Tangua erfahren!«

»Aber welchen Grund könnt ihr denn haben, so plötzlich andern Sinnes zu werden?«

»Wir sind dir keine Rechenschaft schuldig; aber ich will es dir dennoch sagen, weil es dabei Old Shatterhand auch mit hört.«

Und mehr zu mir als zu Santer gewendet fuhr er fort:

»Als wir hierherkamen, um uns über den Tod Winnetous, des Häuptlings der Hunde der Apachen zu freuen, ahnten wir nicht, daß uns sein Freund und Bruder Old Shatterhand in die Hände fallen sollte. Dieses wichtige Ereignis ist eingetreten und verdoppelt unsere Freude. Winnetou war unser Feind, aber doch ein roter Mann; Old Shatterhand ist auch unser Feind und dazu ein Bleichgesicht; sein Tod muß noch größern Jubel hervorbringen, als derjenige von Winnetou, und die Söhne und Töchter der Kiowas werden den Tod dieser ihrer beiden berühmtesten Gegner zu gleicher Zeit feiern. Hier steht nur ein geringer Teil unserer Krieger, und ich bin nicht alt genug, um zu bestimmen, wie Old Shatterhand sterben soll. Da muß der ganze Stamm zusammenkommen, und Tangua, der größte und älteste der Häuptlinge, muß seine Stimme erheben, um zu sagen, was geschehen soll. Darum bleiben wir nicht hier, sondern wir beeilen uns, heimzukommen, denn unsere Brüder und Schwestern können nicht früh genug hören, was geschehen ist.«

 

»Aber es gibt keinen geeigneteren Ort, Old Shatterhand zu Tode zu martern, als den, wo wir uns jetzt befinden! Er, euer Feind, stirbt bei den Gräbern derjenigen, um derentwillen er euer Feind geworden ist!«

»Das weiß ich auch. Aber ist es denn schon fest bestimmt, daß er an einem andern Orte sterben soll? Können wir nicht hierher zurückkehren?«

»Das geht nicht, weil Tangua, der doch dabei sein muß, nicht reiten kann.«

»So läßt er sich von zwei Pferden hertragen. Mag er bestimmen, was er wolle, auf alle Fälle wird Old Shatterhand hier begraben werden.«

»Auch wenn er unten am Salt-Fork sterben muß?«

»Auch dann.«

»Er soll hierher geschafft werden?«

»Ja.«

»Von wem?«

»Von mir.«

»Unbegreiflich! Welchen Grund kann ein vernünftiger roter Krieger dazu haben, sich mit dem Kadaver eines toten, weißen Hundes solche Mühe zu geben!«

»Ich will es dir sagen, damit du Pida, den jungen Häuptling der Kiowas, besser kennen lernst, als du ihn zu kennen scheinst, und damit Old Shatterhand erfährt, wie ich es ihm danke, daß er mich damals nicht getötet, sondern gegen ein Bleichgesicht ausgewechselt hat.«

Und sich abermals mehr an mich als an ihn wendend erklärte er:

»Old Shatterhand ist zwar unser Feind, aber ein edler Feind. Er konnte unten am Rio Pecos Tangua einst erschießen, hat dies aber nicht getan, sondern ihn nur gelähmt. So hat er stets gehandelt; alle roten Männer wissen das und müssen ihn deshalb ehren. Sein Tod ist unvermeidlich; aber er soll den Tod eines großen Helden sterben, indem er uns beweist, daß ihm Martern, die noch kein Mensch erduldet hat, keinen Laut des Schmerzes zu entlocken vermögen. Und dann, wenn er gestorben ist, soll sein Leib nicht im Flusse von den Fischen gefressen oder auf der Prärie von den Wölfen und Geiern zerrissen werden. Ein bewährter Häuptling, wie er ist, muß ein Grab erhalten zu unserer eigenen Ehre, die wir ihn besiegten. Und wo soll dieses Grabmal stehen? Pida hat gehört, daß Nscho-tschi, die schöne Tochter der Apachen, ihm einst ihre Seele schenkte; darum soll seine Leiche neben der ihrigen ruhen, damit sein Geist in den ewigen Jagdgründen mit dem ihrigen sich vereinigen möge. Das ist der Dank, den Pida ihm bringt, dem er das Leben schenkte. Meine roten Brüder haben meine Worte vernommen, sie sind mit mir einverstanden?«

Er sah sich fragend im Kreise der Seinigen um.

»Howgh, howgh, howgh!« erscholl es zustimmend aus aller Mund.

Wahrlich, dieser junge Kiowa war ein ungewöhnlicher und, nach seinen Verhältnissen, ein edler Mensch! Daß er so bestimmt von meinem Martertode sprach, das berührte mich jetzt gar nicht, aber daß dieser Tod ein so fürchterlicher, also ein für mich so ruhmvoller sein sollte, dafür mußte ich ihm dankbar sein, und daß er mich neben Intschu tschuna und Nscho-tschi begraben wollte, das war ein Zug von Zartgefühl, wie man es bei einem Roten gar nicht zu finden glaubt. Während seine Krieger ihr beistimmendes Howgh aussprachen, lachte Santer laut auf und rief mir zu:

»Kerl, da muß man dir ja gratulieren! In den ewigen Jagdgründen mit einer hübschen Indianerin Hochzeit machen, wer es doch auch so gut haben könnte. Ich wollte, ich könnte wenigstens als Gast dabei sein, da ich nicht der Bräutigam sein darf! Willst du mich nicht einladen?«

Ich hätte ihn gar keiner Erwiderung würdigen sollen, antwortete ihm aber doch:

»Eine Einladung ist nicht nötig, denn du wirst noch viel eher dort sein, als ich.«

»Ah, wirklich? Du denkst also an Flucht? Gut, daß du das so offen sagst; ich werde dich festhalten; darauf kannst du dich verlassen!«

Jetzt brachen die Indianer auf, um in das Tal hinabzusteigen, wo sie ihre Pferde gelassen hatten. Man gab mir die Füße frei, band mich aber an zwei Rote, zwischen denen ich gehen mußte. Pida hing sich meine beiden Gewehre über. Santer folgte mit den drei andern Weißen, welche ihre Pferde führten, denn wir hatten unsere Tiere mit heraufgenommen; das meinige nahm ein Kiowa am Zügel.

Unten angekommen, wurde wieder gelagert. Die Indsmen brannten einige Feuer an und brieten sich Wildbret, welches sie mitgebracht hatten. Sie hatten auch Dürrfleisch in ihren Sattelsäcken. Ich bekam ein vortreffliches und so großes Stück, daß ich es kaum aufessen konnte, verzehrte es aber doch, denn es lag mir sehr daran, gut bei Kräften zu bleiben. Man mußte mir, damit ich essen könne, die Hände freigeben, bewachte mich aber während dieser kurzen Zeit so gut, daß mir ein Fluchtgedanke gar nicht kommen konnte. Dann, als gegessen worden war, wurde ich auf mein Pferd festgebunden, und der Ritt nach dem Dorfe der Kiowas begann.

Draußen auf der Ebene angekommen, drehte ich mich im Sattel um, um noch einen Scheideblick auf den Nugget-tsil zu werfen. Ob ich die Gräber Intschu tschunas und seiner Tochter wiedersehen würde? Hoffentlich! Denn wenn man mich als Leiche zurückbrachte, konnte ich nicht mehr sehen.

Der Weg von hier nach dem Dorfe am Salt-Fork des Red River ist bekannt; ich brauche ihn nicht zu beschreiben; auch geschah unterwegs nichts, was des Erwähnens wert wäre. Die Roten bewachten mich außerordentlich scharf, und wenn sie dies nicht getan hätten, so wäre mir die Flucht doch nicht möglich geworden, weil Santer sein Wort hielt und dafür sorgte, daß ich nicht die geringste Gelegenheit dazu bekam. Er gab sich alle Mühe, mir den Ritt so schwer wie möglich zu machen, mir Unbequemlichkeiten zu bereiten und mich zu ärgern. Was das letztere, nämlich den Ärger betrifft, so waren seine Anstrengungen vergeblich, denn es fiel mir nicht ein, mich durch die höhnischen Reden, mit denen er mich fort und fort überschüttete, aufregen zu lassen; ich setzte ihm den unerschütterlichsten Gleichmut entgegen und tat ihm nicht ein einziges Mal den Gefallen, ihm eine Antwort zu geben. Und seine anderen Bemühungen wurden von Pida zurückgewiesen, welcher nicht duldete, daß mir meine Lage peinlicher gemacht wurde, als unbedingt notwendig war.

Gates, Clay und Summer wurden von den Indsmen fast gar nicht beachtet; sie mußten sich an Santer halten. Ich bemerkte gar wohl, daß sie gern einmal mit mir gesprochen hätten, was ihnen von Pida wahrscheinlich nicht verboten worden wäre, doch Santer wußte es stets zu verhindern. Es lag ihm natürlich sehr viel daran, zu verhüten, daß ich Gelegenheit fand, sie aufzuklären. Übrigens behandelte er sie keineswegs als gute Kameraden. Sie hätten ihm helfen sollen, nach dem Golde zu suchen, und ich war vollständig überzeugt, daß er sich ihrer, sobald es gefunden worden war, unbedingt entledigt hätte; er wäre, wenn es hätte sein müssen, selbst vor einem dreifachen Morde nicht zurückgeschreckt. Jetzt aber hatte sich die Situation verändert. Sie hatten ihm jedenfalls mitgeteilt, daß ich der Meinung gewesen war, Winnetou habe die Nuggets fortgeschafft, und die Blätter, die er in meinen Händen gesehen hatte, mußten in seinen Augen ein Beweis dafür sein, daß diese Meinung das Richtige traf. Wenn aber das Gold weg war, so war es vergeblich, nach demselben zu suchen, und er hatte keine Leute mehr nötig, die ihm dabei helfen sollten. Darum waren Gates, Clay und Summer ihm jetzt eine Last, welche er am liebsten abgeschüttelt hätte. Aber wie? Konnte er sie einfach fortschicken? Nein. Er mußte sie mitnehmen, tat dies jedoch nur in der Absicht, sich ihrer bei der ersten Gelegenheit zu entledigen.

Es läßt sich denken, daß sein ganzes Dichten und Trachten von nun an auf meine Papiere gerichtet war; er hegte den heißen Wunsch, sie in seine Hände zu bringen. Sie mir offen zu nehmen, das durfte er wegen Pida nicht wagen. Es gab zwei Wege für ihn, sie zu bekommen: entweder er stahl sie mir während des Schlafes, oder er wartete unsere Ankunft im Dorfe ab, um Tangua zu bestimmen, sie ihm zuzusprechen. Es war für ihn gar nicht schwer, auf einem dieser Wege seinen Zweck zu erreichen. Die Papiere befanden sich noch in derselben Tasche. Wohin hätte ich sie verstecken sollen? An irgend einer Stelle meiner Kleidung? Das hätte heimlich geschehen müssen, also wenn ich allein war; aber da war ich ja stets gefesselt. Und dem Häuptlinge hatte er Dienste erwiesen, wofür ihm dieser dankbar war. Wie leicht mußte es da für ihn sein, Tangua zu bewegen, mir die Blätter zu nehmen und sie ihm zu geben! Das verursachte mir Kopfschmerzen. Um mich selbst, um meine Person und mein Leben, war ich nicht besorgt, desto mehr aber um die Hinterlassenschaft meines Winnetou.

Das Kiowadorf lag noch an derselben Stelle wie früher, also an der Einmündung des Salt-Fork in den Red River. Wir mußten den letzteren überschreiten und taten dies an einer Stelle, wo das Wasser seicht war. Dann, als wir nur noch einige Stunden zu reiten hatten, schickte Pida zwei Reiter voraus, welche unsere Ankunft melden sollten. Welche Aufregung, welchen Jubel mußte die Nachricht hervorbringen, daß der gefangene Old Shatterhand mit dabei war!

Wir befanden uns noch auf der offenen Prärie und sahen noch lange nicht den Wald, welcher an den Ufern der beiden Flüsse stand, da kamen uns schon Reiter entgegengesprengt, nicht in geschlossenen Trupps, sondern einzeln oder zu zweien oder dreien, wie die verschiedene Schnelligkeit ihrer Pferde es ergab. Es waren Kiowas, von denen jeder der Erste sein wollte, der Old Shatterhand zu sehen bekam.

Keiner versäumte, uns mit einem lauten Schrei, einem schrillen Ruf zu begrüßen, einen kurzen, forschenden Blick auf mich zu werfen und sich dann hinten anzuschließen. Ich wurde nicht etwa angestaunt und angegafft, was an einem zivilisierten Orte sicherlich geschehen wäre; diese Roten sind viel zu stolz, sich das Interesse, welches sie fühlen, oder die Aufregung, in der sie sich befinden, anmerken zu lassen.

So wurde unser Trupp von Minute zu Minute größer, ohne daß ich eine Belästigung dabei empfand, und als wir endlich den Wald vor uns liegen sahen, der hier am Salt-Fork nur einen schmalen Streifen bildete, hatte ich wohl an die vierhundert Indianer um mich her, lauter erwachsene Krieger. Das Dorf mußte an Ausdehnung und Bewohnerzahl gewonnen haben.

Unter den Bäumen standen die Zelte, in denen sich jetzt wohl kein einziger Mensch befand, denn alles, was da lebte, stand oder bewegte sich im Freien, um uns kommen zu sehen. Da gab es eine Menge Weiber, alte und junge, halberwachsene Burschen, Mädchen und Kinder. Diese brauchten nicht so zurückhaltend zu sein wie die ernsten, wortkargen Krieger, und sie machten von dieser Freiheit denn auch einen solchen Gebrauch, daß ich mir hätte die Ohren zuhalten mögen, wenn dies bei meinen gefesselten Händen möglich gewesen wäre. Sie schrien, jauchzten, brüllten, lachten, quiekten, kurz, machten einen Skandal, der mir zur Genüge bewies, wie außerordentlich willkommen ich diesen Leuten war.

Da aber hob Pida, welcher voranritt, die Hand, machte mit derselben eine schnelle, wagrechte Bewegung und sofort verstummte der Lärm. Auf ein weiteres Zeichen von ihm bildete die Reiterschar einen Halbkreis, in dessen Mitte ich genommen wurde, Pida neben mir, dabei zwei Rote, deren besondere Aufgabe es war, ja nicht von meiner Seite zu weichen. Santer drängte sich mit heran; der junge Häuptling tat so, als ob er ihn gar nicht sähe.

Wir ritten auf ein großes Zelt zu, dessen Spitze mit Häuptlingsfedern geschmückt war. Vor dem Eingange desselben befand sich in halb sitzender, halb liegender Stellung Tangua. Er hatte außerordentlich gealtert und war dürr wie ein Skelett geworden, aus dessen tiefen Augenhöhlen mich ein Blick traf, spitz wie ein Dolch, scharf wie ein Bowiemesser und unversöhnlich wie – wie – nun eben wie Tangua. Sein langes Haar war weiß wie Schnee geworden.

Pida sprang vom Pferde; seine Krieger taten dasselbe und traten eng um uns zusammen. Jeder wollte die Worte hören, mit denen ich von Tangua empfangen wurde. Man band mich vom Pferde los und ließ mir zunächst noch die Füße frei, so daß ich stehen konnte. Ich selbst war auch nicht wenig neugierig auf die ersten Empfangsworte des Alten, hatte aber lange auf sie zu warten.

Er betrachtete mich von oben bis unten, dann von unten bis oben, noch einmal und noch einmal; es war ein grausamer Blick, der mir hätte Angst einflößen können. Dann schloß er die Augen. Kein Mensch sprach; es herrschte die tiefste Stille, die nur von dem Geräusch, welches die Pferde hinter uns machten, unterbrochen wurde. Das war mir unangenehm, und eben wollte ich zuerst das Schweigen brechen, da sagte er, langsam und feierlich, ohne die Augen zu öffnen:

 

»Die Blume hofft auf den Tau; er will nicht kommen; sie senkt das Haupt und welkt; schon ist sie am Sterben, da kommt er endlich doch!«

Wieder schwieg er eine Weile; dann begann er abermals:

»Der Büffel scharrt im Schnee, unter welchem er keinen Grashalm findet. Er brüllt hungrig den Frühling herbei, der nicht kommen will; er magert ab, sein Höcker schwindet; seine Kraft wird klein, und fast muß er verenden. Da weht ein warmer Wind, und hart am Tode sieht er den Frühling noch.«

Es trat wieder eine Pause ein.

Was ist der Mensch doch für ein sonderbares, unbegreifliches Geschöpf! Dieser Indianer hatte mich gekränkt, beleidigt und verhöhnt, wie noch nie vorher ein Anderer, mich gehaßt und verfolgt, mir nach dem Leben getrachtet, und wie hatte ich ihm das vergolten? Mit Nachsicht. Anstatt ihn zu erschießen, hatte ich ihm meine Kugel nur in die Beine geschickt, und das auch nur notgedrungen. Und nun er vor mir lag als die Ruine eines Kriegers, eine Menschenhaut, die über klappernde Knochen gezogen ist, mit hohler Stimme wie im Traume, wie aus dem Grabe redend, da dauerte er mich, da tat er mir leid, und ich wünschte, ich hätte damals gar nicht auf ihn geschossen. Und das fühlte und das wünschte ich, obgleich ich wußte, daß er nach Rache förmlich lechzte und jetzt die Augen nur im Übermaße der Freude, des Entzückens geschlossen hielt, des Entzückens darüber, daß er nun endlich, endlich den Durst nach meinem Blute stillen könne. Ja, der Mensch ist zuweilen ein höchst sonderbarer Kerl, zumal wenn er – – ein Deutscher ist!

Jetzt sprach er von neuem, ohne etwas Anderes als seine blutleeren Lippen zu bewegen:

»Tangua war die Blume und war der hungernde Büffel. Er sehnte sich und brüllte nach Rache; sie wollte nicht kommen. Er schwand dahin von Mond zu Mond, von Woche zu Woche, von Tag zu Tag; sie zögerte noch immer. Schon war ihm der Tod des Alters nahe, da kam sie doch!«

Während er dies ganz in der vorigen Weise gesprochen hatte, riß er jetzt plötzlich die Augen weit auf, richtete sich, soweit ihm seine steifen Beine dies gestatteten, in die Höhe, streckte die hagern Arme mit den weit auseinander gespreizten zehn Fingern nach mir aus und schrie mit überschnappender Stimme:

»Ja, sie kommt, sie kommt! Sie ist da, sie ist schon da! Ich sehe sie; ich sehe sie hier, da gleich vor mir! Hund, wie, wie, wie sollst du sterben!«

Er sank ermattet zurück und schloß die Augen wieder. Niemand wagte es, die Stille zu unterbrechen; selbst Pida, sein Sohn, schwieg. Erst nach einer längeren Weile öffnete er die Lider wieder und fragte:

»Wie ist diese stinkende Kröte in eure Hände gefallen? Ich will es wissen.«

Diese Gelegenheit ergriff Santer sofort. Ohne zu warten, ob Pida, dessen Sache dies doch gewesen wäre, antworten werde, erwiderte er schnell:

»Ich weiß es am besten. Soll ich es dir sagen?«

»Sprich!«

Santer erzählte, versäumte aber nicht, sein Verdienst dabei in das hellste Licht zu stellen. Niemand unterbrach ihn. Pida war zu stolz dazu, und mir konnte es höchst gleichgültig sein, ob der Kerl sich lobte oder nicht. Als er zu Ende war, fügte er hinzu:

»Es ist also leicht einzusehen, daß ihr es mir zu verdanken habt, daß ihr euch an ihm rächen könnt. Gibst du das zu?«

»Ja,« nickte der Alte.

»Würdest du mir dafür einen Gefallen erweisen?«

»Wenn ich kann.«

»Du kannst.«

»So sag, was du wünschest!«

»Old Shatterhand hat in seiner Tasche ein sprechendes Papier, welches ich haben möchte.«

»Hat er es dir genommen?«

»Nein.«

»Wem gehört es?«

»Ihm nicht; er hat es gefunden. Ich aber bin nach den Mugwort-Hills geritten, um es zu suchen; leider kam er eher.«

»Es sei dein. Nimm es ihm ab!«

Santer war froh, dieses Resultat erreicht zu haben; er näherte sich mir. Ich sagte nichts, bewegte mich auch nicht, sah ihm aber drohend in das Gesicht. Er bekam Angst und zögerte, sich an mir zu vergreifen.

»Ihr habt gehört, was der Häuptling befohlen hat, Sir,« sagte er zu mir.

Diesmal gebrauchte er das Du nicht und nannte mich sogar Sir. Ich antwortete nicht. Darum fügte er noch hinzu:

»Mr. Shatterhand, es ist das Beste für Euch, Euch nicht zu weigern. Ergebt Euch also drein! Ich werde Euch jetzt in die Tasche greifen.«

Er trat noch näher und streckte die Hände aus; da stieß ich ihm die meinigen, obgleich sie zusammengebunden waren, indem ich sie zu einer Doppelfaust zusammenlegte, unter das Kinn, so daß er hintenüber und zur Erde flog.

»Uff!« riefen einige Rothäute wohlgefällig.

Tangua aber war anderer Ansicht, denn er rief zornig:

»Dieser Hund wehrt sich, obgleich er gefesselt ist! Bindet ihn so, daß er sich nicht bewegen kann, und nehmt ihm dann das sprechende Papier aus der Tasche!«

Da endlich ergriff sein Sohn Pida zum ersten Male das Wort, indem er zu ihm sagte:

»Mein Vater, der große Häuptling der Kiowas, ist weise und gerecht; er wird auf die Stimme seines Sohnes horchen.«

Während der Alte bis jetzt wie abwesend, wie in einem Zustande der Entrücktheit gesprochen hatte, wurde sein Auge jetzt klarer; er sah Pida hell an, und auch seine Stimme war eine andere, nicht mehr so dumpf, als er antwortete:

»Warum spricht mein Sohn diese Worte? Ist das Unrecht, was das Bleichgesicht Santer gefordert hat?«

»Ja.«

»Warum?«

»Nicht Santer hat Old Shatterhand besiegt, sondern wir haben dies getan. Old Shatterhand hat auf alle Gegenwehr verzichtet und keinen von uns verletzt, sondern sich mir freiwillig übergeben. Wessen Gefangener ist er da?«

»Der deinige.«

»Wem gehören also sein Pferd, seine Waffen und Alles, was er bei sich trug?«

»Dir.«

»Ja, mir. Ich habe eine große, eine wertvolle Beute gemacht. Wie kann da dieser Santer das sprechende Papier für sich verlangen?«

»Weil es ihm gehört.«

»Kann er das beweisen?«

»Ja. Er ist nach den Mugwort-Hills geritten, um es zu suchen, Old Shatterhand aber kam ihm zuvor.«

»Wenn er es gesucht hat, muß er es gekannt haben, muß also wissen, was es enthält. Mein Vater mag sagen, ob das richtig ist oder nicht!«

»Es ist richtig.«

»So soll Santer uns jetzt sagen, welche Worte das Papier zu sprechen hat.«

»Ja, das mag er tun. Wenn er es kann, so kennt er es, und es ist sein.«

Diese an Santer gerichtete Aufforderung brachte ihn in nicht geringe Verlegenheit. Er konnte sich freilich denken, daß sich der Inhalt der Blätter auf das am Nugget-tsil versteckt gewesene Gold bezog; aber wenn er das behauptete, und es stellte sich dann etwas anderes heraus, so hatte er gelogen. Und wenn es wirklich so war, durfte er es sagen? Es mußte ihm ja daran liegen, womöglich alleiniger Besitzer des Geheimnisses zu bleiben. Darum versuchte er es mit der Ausrede:

»Was das sprechende Papier enthält, ist für keinen andern Menschen von Wichtigkeit, als nur für mich allein. Daß es mir gehört, habe ich dadurch bewiesen, daß ich allein seinetwegen nach den Mugwort-Hills geritten bin. Daß Old Shatterhand es vor mir fand, ist nur ein Zufall gewesen.«

»Das war klug gesprochen,« erklärte Tangua. »Santer soll das sprechende Papier bekommen; es ist sein Eigentum.«

Da war es für mich Zeit, auch ein Wort zu sprechen, denn ich las aus Pidas Gesicht, daß er sich bewogen fühlte, seinen Widerstand aufzugeben. Darum sagte ich:

»Ja, das war klug, aber nicht wahr gesprochen. Santer ist nicht dieses Papieres wegen nach den Mugwort-Hills gekommen.«

Der Alte fuhr bei dem Klange, dem Tone meiner Stimme zusammen, wie jemand, der vor einer Gefahr erschrickt. Er zischte mich giftig an:

»Der stinkende Hund beginnt zu bellen, doch wird es ihn gar nichts nützen!«