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Winnetou 3

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Pida, der junge, tapfere Häuptling der Kiowas, sagte vorhin, daß Tangua gerecht und weise sei,« fuhr ich fort. »Wenn das wahr ist, wirst du nicht parteiisch handeln.«

»Es ist wahr.«

»So sag, ob du erwartest, von mir eine Lüge zu hören!«

»Nein. Old Shatterhand ist das gefährlichste der Bleichgesichter und mein ärgster Feind, aber er hat nie mit zwei Zungen gesprochen.«

»So sage ich dir, daß kein anderer Mensch als nur ich allein wissen konnte, wo das Papier lag, und was es enthält. Santer hat keine Ahnung davon, und nicht ich, sondern er kam zufällig dazu, als es gefunden worden war. Ich hoffe, daß du mir das glaubst.«

»Tangua nimmt an, daß Old Shatterhand nicht lügt; aber Santer behauptet auch, die Wahrheit gesagt zu haben. Wie soll ich da entscheiden, wenn ich gerecht sein will?«

»Es ist gut, wenn die Gerechtigkeit sich mit der Klugheit paart. Santer ist oft bei den Mugwort-Hills gewesen; er hat dort Gold gesucht, doch ohne es zu finden; das weiß Tangua genau, denn er hat ihm das Suchen ja erlaubt. Er kam auch diesmal nur des Goldes wegen.«

»Das ist Lüge!« fuhr mich Santer an.

»Es ist die Wahrheit,« behauptete ich. »Tangua mag sich bei den drei andern Bleichgesichtern erkundigen. Santer hat sie mitgebracht, damit sie ihm suchen helfen sollen.«

Der Alte tat dies, und Gates, Clay und Summer mußten zugeben, daß es so war, wie ich gesagt hatte. Da machte Santer einen letzten zornigen Versuch:

»Und dennoch kam ich des Papieres wegen! Allerdings wollte ich nebenbei auch wieder nach den Nuggets suchen und nahm diese drei Männer mit, daß sie mir helfen sollten, doch von dem Papiere sagte ich ihnen nichts, weil nur ich davon wissen durfte.«

Das brachte den alten Häuptling wieder aus der Fassung. Er rief mißmutig aus:

»Da hat nun jeder recht! Was soll ich tun?«

»Klug sein,« antwortete ich. »Santer mag uns sagen, ob das Papier Wert für ihn hat oder nicht!«

»Natürlich hat es Wert,« erklärte er. »Es ist sogar von großer Wichtigkeit für mich, sonst würde ich nicht so darauf bestehen, es zu bekommen.«

»Gut! Ist es nur ein Papier, oder sind es mehrere?«

»Mehrere,« antwortete er; er hatte das wohl gesehen, als ich am Grabe saß und las.

»Wie viele? Zwei – drei – vier – fünf?«

Er schwieg, und wenn er jetzt nicht das Richtige traf, so war er überführt.

»Seht, daß er schweigt!« sagte ich. »Er weiß es nicht.«

»Ich habe es vergessen. Wer merkt sich so etwas genau!«

»Wenn diese Papiere so sehr wichtig für ihn sind, muß er genau wissen, um wie viele Blätter es sich handelt. Und selbst wenn er es früher gewußt und dann später vergessen haben sollte, so wird er wenigstens und ganz bestimmt sagen können, ob sie mit Tinte oder mit Blei geschrieben worden sind. Aber ich vermute, daß er auch da wieder schweigen wird.«

Diese letzten Worte sagte ich in stark ironischem Tone, um ihn zu einer schnellen Antwort zu verleiten. Ich erwartete, daß er das Richtige nicht erraten würde, weil im wilden Westen Tinte nur in den Forts zu finden ist und es viel eher vorkommen kann, daß jemand einen Bleistift bei sich hat. Diese Berechnung war richtig, denn er erwiderte meine ironische Bemerkung mit der unbedachten aber zuversichtlichen Behauptung:

»Natürlich weiß ich das, denn so etwas vergißt man nicht. Die Papiere sind mit Bleistift geschrieben.«

»Sollte das kein Irrtum sein?« fragte ich der Sicherheit wegen noch einmal.

»Ich irre mich nicht; es ist Bleistift und nicht Tinte!«

»Gut! Wer von den anwesenden Kriegern hat sprechende Papiere der Bleichgesichter gesehen, so daß er Tinte von Blei unterscheiden kann?«

Es gab einige, die sich getrauten, diese Unterscheidung treffen zu können. Übrigens waren Gates, Clay und Summer da. Darum forderte ich Pida auf:

»Der junge Häuptling der Kiowas mag die Papiere aus meiner Tasche nehmen und sie prüfen lassen, sie aber Santer ja nicht zeigen.«

Er tat dies und ich sorgte dabei dafür, daß die drei Weißen die Zeilen zwar zu sehen, doch nicht zu lesen bekamen. Sie erklärten, daß sie mit Tinte geschrieben seien, und Tangua und Pida stimmten, obgleich sie nicht viel davon verstanden, dieser Meinung bei.

»Ihr Dummköpfe!« fuhr Santer Gates an. »Hätte ich mich doch niemals mit euch abgegeben! Ihr wißt ja nicht einmal, was Tinte und was Bleistift ist!«

»Na, so dumm, wie Ihr da sagt, sind wir doch noch nicht,« entgegnete Gates. »Es war Tinte und wird Tinte bleiben.«

»Ja, und ihr steckt drin in dieser Tinte und werdet nicht so leicht herauskommen!«

Ihm zu sagen, daß sie hätten lügen sollen, das wagte er freilich nicht. Nun wendete sich Pida, indem er die Zettel wieder in die Lederumschläge steckte, an seinen Vater:

»Old Shatterhand hat seinen Gegner überwunden. Mein Vater wird jetzt wissen, ob Santer ein Recht auf diese Papiere besitzt.«

»Sie waren nicht sein, sondern sie gehörten Old Shatterhand,« antwortete der Alte.

»Also sind sie nun mein Eigentum, denn Old Shatterhand ist mein Gefangener. Da sich diese zwei Männer um sie streiten, müssen sie sehr wichtig sein. Ich werde sie gut aufbewahren in meiner Medizin.«

Er steckte sie ein. Das war mir höchst fatal und doch auch wieder lieb. Fatal, weil die Papiere in meinem Interesse doch am besten bei selbst mir aufgehoben waren. Wie sollte ich zu ihnen kommen, im Falle mir die Flucht gelang? Und doch auch lieb, denn ich traute Santern nicht. Im Falle ich sie hätte behalten dürfen, wäre er sehr wahrscheinlich auf den Gedanken gekommen, sie mir zu nehmen, wenn nicht während des Schlafes, dann mit Anwendung von Gewalt; ich war ja gefesselt und konnte mich nicht nachhaltig genug wehren. Da war es doch vielleicht besser, wenn die Blätter sich im Besitze des jungen Häuptlings befanden, an dem er sich nicht vergreifen durfte. Er sagte zu diesem, und zwar in einem Tone, als ob er nun nichts mehr von ihnen wissen wolle und gänzlich auf sie verzichte:

»Ja, behalte sie! Sie werden dir nichts nützen, denn du kannst sie ja doch nicht lesen. Ich hätte sie zwar gern gehabt, denn sie sind mir wirklich wichtig, kann sie aber doch entbehren, weil ich ihren Inhalt vollständig kenne. Kommt, Mesch‘schurs! Wir haben hier nichts mehr zu suchen und wollen sehen, wo wir ein Unterkommen finden.«

Er entfernte sich mit Gates, Clay und Summer, und es fiel niemandem ein, sie zurückzuhalten. Das mit den Papieren war entschieden, und ich erwartete, daß man sich nun mit meiner Person beschäftigen werde. Es kam auch so, doch vorher fragte der Alte seinen Sohn:

»Old Shatterhand hatte die sprechenden Zettel noch bei sich. Habt ihr ihm die Taschen denn nicht leer gemacht?«

»Nein,« antwortete Pida. »Er ist ein großer Krieger; wir werden ihn zwar töten, aber seinen Namen und seine Tapferkeit nicht dadurch kränken, daß wir ihm in die Taschen greifen. Wir haben seine Waffen; das ist genug; alles andere wird er mir doch hinterlassen, wenn er gestorben ist.«

Ich erwartete, daß der Alte nicht damit einverstanden sei, irrte mich da aber, denn er warf einen stolzen, wohlgefälligen, ja fast liebevollen Blick auf seinen Sohn und sagte:

»Pida, der junge Häuptling der Kiowas, ist ein edler Krieger; er schont selbst seine ärgsten Feinde; er tötet sie zwar, aber er beschimpft und entehrt sie nicht. Sein Name wird noch größer und berühmter werden als derjenige von Winnetou, dem Hunde der Apachen. Zum Lohne dafür will ich ihm erlauben, sein Messer in das Herz Old Shatterhands zu senken, wenn dieser so gemartert ist, daß ihm das Leben fliehen will. Pida soll den Ruhm haben, von sich sagen zu können, daß das größte, gefährlichste und berühmteste der Bleichgesichter von seiner Hand gestorben ist. Jetzt hole man die Alten herbei! Wir wollen beraten, wann und wie dieser bissige weiße Hund sein Leben herzugeben hat. Er mag inzwischen an dem Baume des Todes hängen.«

Was das für ein Baum war, das sollte ich sogleich sehen und erfahren. Ich wurde zu einer unten vielleicht zwei Fuß starken Kiefer geschafft, um welche rundum Pfähle je zu vieren eingerammt waren, deren Zweck ich erst am Abende kennen lernte. Diese Kiefer hieß der Baum des Todes, weil an ihr diejenigen Gefangenen angebunden wurden, welche dem Martertode geweiht waren. An dem untersten Aste hingen die dazu nötigen Riemen bereit. Ich wurde in der Weise an den Stamm befestigt, wie einst Winnetou und sein Vater an ihren Bäumen gehangen hatten, als sie in unsere Hände und in diejenigen der Kiowas geraten warenSiehe Band I Seite 218. Zwei bewaffnete Krieger setzten sich als Wächter rechts und links von mir nieder. Vor dem Zelte des Häuptlings bildete sich, Tangua gegenüber, ein Halbkreis der Ältesten, um über mein Schicksal, oder vielmehr, da dasselbe schon beschlossen war, über die Art und Weise meines Todes zu beraten. Ehe damit begonnen wurde, kam Pida zu mir und untersuchte die Riemen. Sie waren fürchterlich straff angezogen; er lockerte sie ein wenig und sagte zu den Wächtern:

»Ihr sollt streng auf ihn achtgeben, aber nicht ihn quälen. Er ist ein großer Häuptling der weißen Jäger und hat niemals einem roten Krieger unnötige Schmerzen bereitet.«

Dann entfernte er sich wieder, um an der Beratung teilzunehmen.

Ich stand aufrecht an den Baum gebunden, mit dem Rücken an demselben, und sah die Menge der Frauen, Mädchen und Kinder, welche herbeikamen, um mich zu betrachten. Die Krieger hielten sich fern; ja selbst die Knaben, die kleinen ausgenommen, waren schon zu stolz, mich mit ihrer Neugierde zu belästigen. Haß las ich in keinem einzigen Gesichte, sondern nur eine mit Achtung gepaarte Neugierde. Sie wollten den weißen Jäger sehen, von dem sie so viel gehört hatten und dessen Tod ihnen ein Schauspiel bieten sollte, wie es so grausam und aufregend vielleicht noch nicht dagewesen war.

Unter ihnen fiel mir eine junge Indianerin auf, welche noch nicht Squaw zu sein schien. Sie ging, als sie mein Auge auf sich gerichtet sah, abseits, blieb dort abgesondert von den Andern stehen und sah nur noch verstohlen zu mir herüber, als ob sie sich schäme, bei den gewöhnlichen ›Gaffern‹ gestanden zu haben. Sie war nicht gerade schön, aber doch auch keineswegs häßlich; ich hätte sie lieblich nennen mögen. Ihre weichen Gesichtszüge gewannen durch den milden, ernsten und offenen Blick ihres großen Auges an Interesse. Dieses Auge erinnerte mich lebhaft an Nscho-tschi, wenn sie auch sonst keine Ähnlichkeit mit der Schwester des Apachen hatte. Einer augenblicklichen Regung folgend, nickte ich ihr freundlich zu. Da errötete sie bis unter die Haarwurzeln, wendete sich ab und entfernte sich; nach kurzer Zeit blieb sie einen Augenblick lang stehen, um sich noch einmal nach mir umzusehen, dann verschwand sie im Eingange eines der größeren und besseren Zelte.

 

»Wer war die junge Tochter der Kiowas, welche dort allein stand und jetzt fortgegangen ist?« fragte ich meine Wächter.

Es war ihnen nicht untersagt worden, mit mir zu sprechen, und so antwortete der Eine:

»Das war Kakho-Oto, die Tochter von Sus-Homascha, der sich schon als Knabe die Auszeichnung errungen hat, eine Feder im Haar zu tragen. Gefällt sie dir?«

»Ja,« antwortete ich, obgleich diese Frage in meiner Lage und von einem Roten ziemlich sonderbar klang.

»Die Squaw unsers jungen Häuptlings ist ihre Schwester,« fügte er hinzu.

»Pidas Squaw?«

»Ja.«

»So ist sie also mit Pida verwandt?«

»Ja. Du siehst ihren Vater mit der einen großen Feder im Schopfe dort bei der Beratung sitzen.«

Damit war das kurze Gespräch beendet; es sollte aber Folgen haben, die ich ganz und gar nicht beabsichtigt hatte.

Die Beratung währte lange, wohl über zwei Stunden; dann wurde ich geholt, um mein Schicksal zu vernehmen. Ich hatte lange Reden über die Verbrechen der Weißen überhaupt, dann über meine eigenen anzuhören. Tangua brachte einen nicht enden wollenden Bericht über unsere damalige Gegnerschaft, welche mit der Lähmung seiner beiden Beine endete; es blieb natürlich auch nicht unerwähnt, daß ich dann später Sam Hawkens befreit und mich an Pida vergriffen hatte; kurz, ich bekam ein Sündenregister zu hören, gegen welches keine Gnade oder Schonung aufkommen konnte; aber noch viel länger war dann das Verzeichnis der Qualen, die meiner warteten. Ich glaube nicht, daß unter allen Weißen, welche jemals von den Indianern zu Tode gemartert worden sind, sich einer befunden hat, der eines so fürchterlichen und langsamen Todes gestorben ist, wie mir in Aussicht stand. Ich konnte außerordentlich stolz auf diese große Auswahl sein, denn sie war der sicherste Maßstab der Achtung, in welcher ich bei diesen liebenswürdigen Leuten stand. Das einzige Tröstliche dabei war, daß man mir eine Gnadenfrist stellte, was seinen Grund in dem Umstande hatte, daß eine Abteilung der Kiowas sich nicht daheim befand; sie sollte nicht um den Hochgenuß kommen, Old Shatterhand sterben zu sehen, und darum mußte ihre Rückkehr abgewartet werden.

Ich verhielt mich bei Verkündigung dieses Urteilsspruches natürlich so, wie sich ein Mann, der den Tod nicht fürchtet, verhalten muß, sagte aber das, was ich zu sagen hatte, so kurz wie möglich und hütete mich sehr, eine Äußerung zu tun, durch welche meine roten Richter sich beleidigt fühlen konnten.

Das war dem in solchen Fällen gewöhnlichen Verhalten ganz entgegengesetzt, da es für ein Zeichen des Mutes gehalten wird, wenn der Verurteilte seine Peiniger auf alle mögliche Weise zu erbittern trachtet. Ich unterließ das wegen Pida, der sich so edelmütig gegen mich benahm, und auch wegen des Verhaltens der Kiowas überhaupt; ich hatte bei ihnen eine ganz andere Aufnahme gefunden, als nach ihrem Charakter und der zwischen ihnen und den Apachen herrschenden Feindschaft zu erwarten gewesen war. Daß die Ruhe, welche ich zeigte, mir für Feigheit ausgelegt werden könne, das hätte wohl ein Anderer zu befürchten gehabt, ich aber nicht.

Als ich zurückgeführt wurde, um wieder an den Baum des Todes gebunden zu werden, kam ich an dem Zelte vorüber, welches dem alten ›Eine Feder‹ gehörte. Seine Tochter stand unter dem Eingange. Mir gar nichts dabei denkend, blieb ich stehen und fragte sie:

»Meine junge rote Schwester freut sich wohl auch sehr darüber, daß der böse Old Shatterhand ergriffen worden ist?«

Sie errötete wie vorhin, als ich ihr zunickte, zögerte einen Augenblick und antwortete dann:

»Old Shatterhand ist nicht bös.«

»Woher weißt du das?«

»Alle wissen es.«

»Warum wollt ihr mich denn da töten?«

»Du hast Tangua gelähmt und bist kein Bleichgesicht mehr, sondern ein Apache.«

»Ich bin ein Bleichgesicht und werde es stets bleiben.«

»Nein, denn Intschu tschuna hat dich damals unter die Apachen aufgenommen und dich sogar zu einem ihrer Häuptlinge gemacht. Hast du nicht Winnetous Blut und er das deinige getrunken?«

»Das haben wir allerdings getan; aber es hat nie ein Kiowa durch mich ein Leid erlitten, außer wenn er selbst mich dazu zwang; das mag ›Dunkles Haar‹ ja nicht vergessen!«

»Wie? Old Shatterhand kennt meinen Namen?«

»Ich habe mich nach ihm erkundigt, denn ich sah, daß du die Tochter eines großen und vornehmen Kriegers bist. Mögest du noch so viele schöne Sonnen erleben, wie mir nur noch Stunden übrig bleiben!«

Ich ging. Meine Wächter hatten nichts dagegen gehabt, daß ich mit ihr sprach; ein anderer Gefangener wäre nicht mit solcher Rücksicht behandelt worden. Das war nicht bloß eine Folge von Pidas Charakter und Gesinnung, sondern sicher auch des Umstandes, daß sein Vater ein Anderer geworden war. Und diese Veränderung hatte ihren Grund nicht in dem Alter, welches entweder milder stimmt oder die Tatkraft raubt, sondern die Gesinnung des Sohnes hatte ihren Einfluß auf den Vater nicht verfehlt. Ein edles Reis gibt dem alten Stamme neuen Wert und bessere Säfte.

Als ich wieder angebunden war, blieben mir nicht nur die Krieger, sondern auch die Weiber und die Kinder fern; es schien ein darauf bezüglicher Befehl erteilt worden zu sein, und das war mir lieb, denn es ist nicht angenehm, als seltenes Schaustück an einem Baume zu hängen und angestaunt zu werden, wenn es auch nur von Kindern ist.

Später sah ich ›Dunkles Haar‹ aus ihrem Zelte treten; sie hatte ein flaches, tönernes Gefäß in der Hand und kam damit zu mir.

»Mein Vater hat mir erlaubt, dir zu essen zu geben. Willst du es nehmen?« fragte sie.

»Gern,« antwortete ich; »nur kann ich mich meiner Hände nicht bedienen, weil sie gefesselt sind.«

»Du brauchst nicht losgebunden zu werden, ich will deine Dienerin sein.«

Das, was sie gebracht hatte, war gebratenes und in Stücke zerschnittenes Büffelfleisch. Sie hatte ein Messer in der Hand, mit welchem sie die Stücke aufspießte und mir in den Mund schob. Old Shatterhand, von einer jungen Indianerin wie ein Kind ›gefuttert‹! Ich hätte trotz meiner keineswegs beneidenswerten Lage darüber lachen können. Zu schämen brauchte ich mich nicht, denn die, welche sich mir so hilfreich erwies, war keine zimperliche weiße Lady oder Signorina, sondern eine Kiowa-Indianerin, welcher solche Situationen nicht mehr fremd waren.

Die beiden Wächter sahen sehr ernsthaft zu, doch schien es mir, als ob sie nur mit Anstrengung ein Lächeln unterdrückten. Als ich den letzten Bissen erhalten hatte, hielt es der eine von ihnen an der Zeit, das gute Mädchen dadurch zu belohnen, daß er aus der Schule schwatzte:

»Old Shatterhand hat gesagt, daß ›Dunkles Haar‹ ihm sehr gefällt.«

Sie sah mich prüfend an, ich glaube, daß ich fast ebenso rot geworden bin, wie sie es war; dann wendete sie sich, um zu gehen. Aber sie hatte nur wenige Schritte gemacht, da drehte sie sich wieder zu mir um und fragte:

»Hat dieser Krieger jetzt die Wahrheit gesprochen?«

»Er fragte mich, ob du mir gefällst, und ich habe ja gesagt,« antwortete ich der Wahrheit gemäß.

Sie ging und ich erteilte dem Plauderer einen Verweis, der aber gar keinen Eindruck auf ihn machte.

Am Spätnachmittage sah ich Gates, welcher zwischen den Zelten umherschlenderte.

»Darf ich einmal mit diesem Bleichgesichte sprechen?« fragte ich meine Aufseher.

»Ja,« lautete der mir günstige Bescheid. »Doch dürft ihr nicht etwa von Flucht reden!«

»Was das betrifft, so braucht mein roter Bruder keine Sorge zu haben.«

Ich rief Gates zu mir, und er kam langsam und zögernd herbei wie einer, der nicht recht weiß, ob er es tun darf oder nicht.

»Nur immer heran!« forderte ich ihn auf. »Oder ist Euch verboten worden, mit mir zu sprechen?«

»Mr. Santer sieht es nicht gern,« gestand er.

»Hat er das gesagt?«

»Ja.«

»Das glaube ich. Er befürchtet, daß ich Euch ein helles Licht anbrenne über ihn.«

»Ihr denkt noch immer falsch von ihm, Mr. Shatterhand!«

»Ich nicht, sondern Ihr!«

»Er ist ein Gentleman!«

»Das könnt Ihr nicht beweisen, während ich Euch das Gegenteil mit höchst schlagenden Gründen zu belegen vermag.«

»Ich mag sie nicht hören. Ihr seid ihm einmal feindlich gesinnt.«

»Allerdings, und zwar so feindlich, daß er alle Veranlassung hat, sich vor mir in acht zu nehmen.«

»Vor Euch? Hm! Sir, nehmt es mir nicht übel, wenn ich Euch das sage, aber vor Euch braucht sich niemand mehr in acht zu nehmen.«

»Weil ich hier sterben soll?«

»Ja.«

»Zwischen Sollen und Werden ist ein großer Unterschied. Ich habe schon oft sterben sollen, bin aber noch nicht getötet worden! Könnt Ihr denn wirklich glauben, daß Old Shatterhand ein so schlechter Kerl ist, wie Santer sagt?«

»Ich glaube da alles oder auch nichts. Ihr seid Feinde; wer da recht hat, ob er oder Ihr, das geht mich nichts an.«

»So solltet Ihr mich wenigstens nicht täuschen und belügen!«

»Wann habe ich das getan?«

»In den Mugwort-Hills, als Ihr mir verschwieget, daß die Kiowas da waren. Wäret Ihr ehrlich gewesen, so stände ich jetzt nicht als Gefangener hier!«

»Seid Ihr etwa aufrichtiger gewesen?«

»Habe ich Euch getäuscht, oder gar betrogen?«

»Ja.«

»Wann und wie?«

»Ihr nanntet Euch Jones!«

»Das nennt Ihr einen Betrug, Mr. Gates?«

»Natürlich!«

»Betrug ist die widerrechtliche Aneignung eines Vorteils über einen Andern. Von so etwas ist aber bei mir keine Rede gewesen. Daß ich meinen Namen verschwieg und einen andern nannte, möchte ich nicht einmal List nennen, sondern es war die einfachste Notwendigkeit. Santer ist ein vielfacher Mörder, ein großartiger Betrüger, ein ganz außerordentlich gefährlicher Mensch; er trachtet auch mir nach dem Leben. Ihr waret seine Gefährten. Durfte ich Euch da sagen, wer ich bin, und daß ich nach den Mugwort-Hills wollte?«

»Hm!« brummte er.

»Hm? Nehmt es mir nicht übel, Mr. Gates, aber wenn Ihr da noch im Zweifel seid, ob ich recht habe oder nicht, so kann ich Euch nicht begreifen.«

»Ihr hättet uns trotz alledem die Wahrheit sagen sollen; das waret Ihr uns schuldig!«

»Ich war euch gar nichts schuldig, verstanden! Ihr seid unerfahrene Leute; ja das seid ihr, wenigstens so einem Westmann gegenüber, wie ich bin; da mußte ich zurückhaltend sein. Und dazu hatte euch Santer engagiert, den ihr mit eurem Lobe bis zum Himmel erhobt. Da mußte ich meinen Namen verschweigen.«

»Hättet Ihr ihn uns genannt, so hätten wir Euch doch wohl Glauben geschenkt!«

»Nein!«

»Doch!«

»Nein! Das kann ich Euch beweisen.«

»Womit denn?«

»Glaubt Ihr mir etwa jetzt, wo Ihr doch nun wißt, daß ich Old Shatterhand bin?«

»Daran seid Ihr nur selber schuld, weil Ihr uns belogen und hintergangen habt!«

»Ausrede! Ihr wißt jetzt, wer ich bin und weshalb ich meinen Namen verschweigen mußte, und habt, was die Hauptsache ist, gesehen und erfahren, wie Santer gegen mich handelt.«

»Er will Euch ja gar nichts tun.«

»Wer hat das gesagt?«

»Er selbst.«

»Wann?«

»Vorhin erst wieder.«

»Damit will er Euch täuschen. Er brennt förmlich darauf, mich um das Leben zu bringen.«

»Nein, er sagt keine Lüge!«

»Seht Ihr, daß Ihr selbst jetzt noch zu ihm haltet, mir aber mißtraut! Da wäre es erst recht vergeblich gewesen, wenn ich mich an den Mugwort-Hills Euch offenbart hätte. Ich habe mir dort ja alle Mühe gegeben, Euch zu beweisen, daß er es unredlich meint. Das glaubt Ihr selbst jetzt noch nicht, wo es für Euch doch Pflicht- und Herzenssache sein sollte, es nicht mit ihm zu halten, sondern mir beizustehen, mir, dem Gefangenen, der elend hingemordet werden soll!«

»Er sagte vorhin, daß er Euch retten will.«

»Lüge, nichts als Lüge! Ich sehe, Ihr seid nicht zu überzeugen. Er hat Euch umgarnt, und Ihr müßt durch Schaden klug werden.«

 

»Von Schaden ist keine Rede. Gegen Euch mag er anders gewesen sein, weil Ihr ihn verfolgt und nach dem Leben getrachtet habt, mit uns aber meint er es ehrlich.«

»So hofft Ihr noch immer auf das Gold?«

»Ja.«

»Es gibt keins in den Mugwort-Hills!«

»So liegt es wo anders.«

»Wo denn?«

»Das wissen wir nicht, werden es aber erfahren.«

»Von wem?«

»Santer will es entdecken.«

»Auf welche Weise? Hat er Euch das gesagt?«

»Nein.«

»Da habt Ihr es ja wieder, daß er nicht ehrlich und aufrichtig gegen Euch ist!«

»Er kann uns doch nicht etwas sagen, was er selbst noch gar nicht weiß!«

»Er weiß es; er weiß es sogar ganz genau, nämlich auf welche Weise er den Ort entdecken kann, an dem sich die Nuggets jetzt befinden!«

»Wenn Ihr das sagt, müßt Ihr es doch auch wissen?«

»Allerdings.«

»So sagt es mir!«

»Das geht nicht.«

»Ah! Seht Ihr, daß Ihr selbst nicht ehrlich seid! Und da sollen wir es mit Euch halten!«

»Ich würde aufrichtig mit Euch sein, wenn ich Euch trauen dürfte. Ihr könnt mir keine Vorwürfe machen, denn Ihr selbst zwingt mich, verschwiegen zu sein. Wo habt Ihr hier denn Euer Unterkommen gefunden?«

»Wir wohnen zusammen in einem Zelte, welches Santer für uns ausgewählt hat.«

»Und er selbst wohnt auch bei Euch?«

»Ja.«

»Wo liegt dieses Zelt?«

»Neben dem, welches Pida gehört.«

»Sonderbar! Und das hat er sich selbst ausgesucht?«

»Ja. Tangua erlaubte ihm, da zu wohnen, wo er wollte.«

»Und da hat er sich grad neben Pida einlogiert, der ihm kein solches Wohlwollen wie sein Vater entgegenbringt? Hm! Nehmt Euch in acht! Es kann leicht vorkommen, daß Santer plötzlich verschwunden ist und Euch hier sitzen läßt. Dann steht zu erwarten, daß in den Gesinnungen der Roten für Euch plötzlich eine Änderung eintritt.«

»Welche?«

»Jetzt dulden sie Euch; dann aber betrachten sie Euch als Feinde. Ob es dann in meiner Macht steht, Euch zu helfen, das muß ich bezweifeln.«

»Ihr – – uns – – helfen – – —?« stotterte er erstaunt. »Mr. Shatterhand, Ihr sprecht ja grad so, als ob Ihr Euch auf freiem Fuße befändet und ein Freund der Kiowas wäret!«

»Ich habe meine Gründe dazu, denn – – —«

»Donner!« unterbrach er mich. »Jetzt sieht er, daß ich da bei Euch stehe!«

Santer trat nämlich grad jetzt zwischen den Zelten hervor, erblickte ihn und kam rasch herbei.

»Ihr scheint schreckliche Angst vor diesem Kerl zu haben, dem Ihr doch ein so großes Vertrauen schenkt!« sagte ich in ironischem Tone.

»Angst nicht, aber er will es nun einmal nicht haben, daß wir zu Euch gehen.«

»So lauft fort, und bittet ihn um Verzeihung und um Gnade, Mr. Gates!«

»Was habt Ihr hier zu suchen, Gates?« rief Santer schon von weitem. »Wer hat Euch gesagt, daß Ihr Euch mit diesem Menschen unterhalten sollt?«

»Ich kam nur zufällig vorüber, und da redete er mich an,« antwortete der Angedonnerte.

»Hier kann es keinen Zufall geben. Packt Euch fort! Ihr kommt mit mir!«

»Aber, Mr. Santer, ich bin doch kein Kind und – —«

»Ihr schweigt und geht mit mir! Vorwärts!«

Er ergriff ihn beim Arme und zog ihn mit sich fort. Was mußte er diesen drei unerfahrenen Männern alles vorgelogen haben, daß sie es so mit ihm hielten und sich dazu eine solche Behandlung von ihm gefallen ließen!

Selbstverständlich waren mir Wächter gegeben worden, welche leidlich englisch verstanden; sie hatten also gehört, was wir verhandelt hatten, und da bekam ich wieder einen Beweis dafür, daß mein Ansehen bei ihnen ein ganz anderes war als dasjenige von Santer, denn der Eine von ihnen, welcher mir immer geantwortet hatte, während der Andere sich schweigsam verhielt, machte, als Santer mit Gates fortging, die Bemerkung:

»Das sind Schafe, die einem Wolf folgen; er wird sie auffressen, sobald er Hunger bekommt. Warum glauben sie nicht der Warnung Old Shatterhands, der es doch gut mit ihnen meint!«

Kurze Zeit darauf kam Pida, um zwar meine Fesseln zu untersuchen, aber auch sich zu gleicher Zeit zu überzeugen, daß ich mich nicht zu beklagen hatte. Er deutete auf die erwähnten Pfähle, welche je zu vieren in die Erde gerammt waren, und sagte:

»Old Shatterhand wird vom langen Stehen ermüdet sein; er soll in der Nacht hier zwischen den Pfählen liegen; wünscht er vielleicht schon jetzt, sich niederzulegen?«

»Nein,« antwortete ich; »ich kann es noch aushalten.«

»So mag es nach dem Abendessen geschehen. Hat der weiße Jäger noch einen Wunsch?«

»Ja, eine Bitte.«

»Sage sie mir; wenn ich kann, werde ich sie gern erfüllen.«

»Ich möchte dich vor Santer warnen.«

»Vor diesem? Der ist gegen Pida, den Sohn des Häuptlings Tangua, ein Ungeziefer!«

»Sehr richtig! Aber auch das Ungeziefer hat man zu beachten, wenn es sich einnisten will. Ich habe gehört, daß er jetzt neben dir wohnt?«

»Ja; das Zelt stand leer.«

»So nimm dich in acht, daß er nicht in das deinige kommt! Er scheint die Absicht dazu zu haben.«

»Ich werfe ihn hinaus!«

»Das kannst du tun, wenn er offen kommt. Wie aber, wenn er sich heimlich herbeischleicht, ohne daß du es bemerkst?«

»Ich würde es bemerken.«

»Auch wenn du nicht im Zelte wärest?«

»So würde sich meine Squaw in demselben befinden und ihn fortjagen.«

»Er trachtet nach dem sprechenden Papiere, welches du genommen hast.«

»Er wird es nicht bekommen.«

»Ja, geben wirst du es ihm wohl nicht; aber kannst du es verhüten, daß er es dir stiehlt?«

»Selbst wenn es ihm gelänge, heimlich in das Zelt zu gelangen, so würde er es nicht finden, denn es ist außerordentlich gut verwahrt.«

»Ich hoffe das. Würdest du mir vielleicht erlauben, es noch einmal anzusehen?«

»Du hast es doch schon gesehen und gelesen.«

»Nicht ganz.«

»So sollst du es ganz sehen, doch nicht jetzt, denn es wird dunkel. Morgen früh, wenn es hell geworden ist, werde ich es bringen.«

»Ich danke dir! Und noch eins: Er trachtet nicht nur nach dem sprechenden Papiere, sondern auch nach meinen Gewehren. Sie sind berühmt, und er möchte sie sehr gern haben. In wessen Händen befinden sie sich jetzt?«

»In den meinigen.«

»So verwahre sie gut!«

»Sie sind vortrefflich aufgehoben. Selbst wenn es ihm gelänge, am hellen Tage mein Zelt zu betreten, würde er sie nicht sehen. Ich habe sie in zwei Decken geschlagen und unter mein Lager gelegt, damit sie ja nicht feucht werden, Sie gehören von jetzt an mir. Ich werde in dem Ruhme, einen Henrystutzen zu besitzen, dein Nachfolger sein, und da wird Old Shatterhand mir eine Bitte gewähren.«

»Wenn ich kann, sehr gern.«

»Ich habe die Gewehre genau betrachtet. Mit dem Bärentöter kann ich schießen, aber mit dem Stutzen nicht. Würdest du mir vor deinem Tode wohl zeigen, wie man es zu machen hat, um ihn zu laden und mit ihm zu schießen?«

»Ja.«

»Ich danke dir! Du hättest es nicht notwendig, mir dieses Geheimnis mitzuteilen. Wenn du es mir nicht sagtest, so wäre mir der Stutzen nutzlos. Da du es aber tust, werde ich dafür sorgen, daß du bis dahin, wo deine Martern beginnen, alles bekommst, was dein Herz begehrt.«

Er ging, ohne zu wissen, was für eine Hoffnung er in mir erweckt hatte.

Offen gestanden, hatte ich geglaubt, aus der Anwesenheit von Gates, Clay und Summer einen Nutzen ziehen zu können. Selbst wenn sie auch nicht grad Freunde von mir sein wollten, hatten sie als Weiße doch die Pflicht, sich meiner möglichst anzunehmen. Wenn sie das wollten und taten, so mußte sich irgend eine Gelegenheit finden, mir zum Loskommen vorn Baume des Todes zu verhelfen. Hatte ich nur erst die Fesseln von den Händen, dann konnte mich gewiß niemand halten. Leider aber mußte ich diesen Gedanken aufgeben. Das Verhalten von Gates hatte mir bewiesen, daß ich auf ihn und seine beiden Gefährten nicht rechnen durfte.

Ich war also auf mich ganz allein angewiesen. Aber auch da fiel es mir nicht ein, zu verzagen. Es mußte, mußte und mußte sich ein Weg finden, dem Martertode zu entgehen. Nur ein allereinzigesmal die Hand frei und ein Messer in derselben! Das war doch nicht unmöglich, ja nicht einmal schwer. Übrigens hatte ich zwar den Gedanken noch nicht gehabt, aber er kam mir jetzt, nämlich der Gedanke an ›Dunkles Haar‹. Sie schien Teilnahme für mich zu hegen, und ich wußte ja sehr wohl, wie vielen Weißen es gelungen ist, eine solche Teilnahme zur Flucht auszunützen. Mochte kommen, was da wollte, fort mußte ich! Fort, fort, und wenn ich noch im letzten Augenblicke, ehe man mich an den Marterpfahl band, zum verzweifelten Mittel greifen sollte!