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Winnetou 3

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Und da kam Pida und bat mich, ihm den Gebrauch meines Stutzens zu erklären! Etwas Besseres konnte ich mir doch gar nicht wünschen. Sollte ich ihm zeigen, wie das Gewehr zu laden, überhaupt zu behandeln war, so mußte er mir die Hände freigeben. Ein Griff in seinen Gürtel nach dem Messer und ein Schnitt durch die Riemen an meinen Füßen, so war ich nicht mehr gebunden und hatte meinen Stutzen mit den vielen Schüssen! Freilich war das ein gewagtes Unternehmen; aber was konnte ich denn mehr wagen als das Leben, welches ich im Falle des Mißlingens doch auch verlieren mußte?

Besser wäre es allerdings gewesen, wenn sich eine Gelegenheit geboten hätte, durch List zu entkommen, ohne mich den Kugeln oder überhaupt Waffen der Roten aussetzen zu müssen. Bis jetzt gab es noch keinen darauf bezüglichen Gedanken; vielleicht fand sich später einer; ich hatte ja noch Zeit.

Also während der Nacht sollte ich mich legen! Es waren rund um den Baum sechzehn Pfähle eingeschlagen, je vier nach jeder der vier Seiten; sie reichten also für vier Gefangene, und aus ihrer Anordnung ersah ich, in welcher Weise man daran befestigt wurde. Wenn man sich zwischen sie hineingelegt hatte, wurden die Hände und die Füße je an einen Pfahl gebunden; dann lag man so, daß die Arme und Beine weit auseinander gespreizt waren, gewiß eine sehr unbequeme Lage, welche den Schlaf wohl kaum aufkommen ließ, aber den Indianern die Sicherheit bot, daß der Gefangene, selbst wenn er nicht bewacht wurde, nicht loskommen konnte.

Während ich diese innerlichen und äußerlichen Betrachtungen anstellte, war es dunkel geworden, und vor den Zelten begannen die Feuer zu leuchten, an denen die Squaws das Abendessen bereiteten. ›Dunkles Haar‹ war es wieder, welche mir das meinige, und Wasser dazu, brachte. Sie mußte ihren Vater bewegt haben, sich die Erlaubnis dazu von Tangua geben zu lassen. Diesesmal sprachen wir nicht miteinander; nur als sie ging, bedankte ich mich. Hierauf verließen mich meine bisherigen Wächter, welche von zwei anderen abgelöst wurden, die sich nicht unfreundlicher zu mir stellten als die vorigen. Ich fragte sie, wann ich mich niederlegen müßte, und sie sagten, daß Pida kommen würde, um dabei zu sein.

Zunächst aber kam statt des jungen Häuptlings ein Anderer würdevollen, langsamen Schrittes herbei – – – ›Eine Feder‹, der Vater von meiner Pflegerin. Er blieb vor mir stehen, betrachtete mich wohl eine ganze Minute lang schweigend und befahl dann den Wächtern:

»Meine Brüder mögen sich entfernen, bis ich sie rufe! Ich habe mit diesem Bleichgesichte zu reden.«

Sie gehorchten ihm sofort; er mußte also in hohem Ansehen stehen, obgleich er kein Häuptling war. Als sie fort waren, setzte er sich vor mich hin, und es verging wieder eine Weile, ehe er in feierlichem Tone anhub:

»Die Bleichgesichter wohnten jenseits des großen Wassers; sie hatten Land genug; aber dennoch kamen sie über das Wasser herüber, um uns unsere Berge, Täler und Ebenen zu rauben.«

Hierauf schwieg er. Seine Worte bildeten nach indianischer Art eine Einleitung, aus der ich schloß, daß er etwas Wichtiges mit mir zu verhandeln hatte. Was konnte das sein? Fast ahnte ich es! Er erwartete wohl eine Antwort von mir; ich schwieg, und so fuhr er nach einer Pause fort:

»Sie wurden von den roten Männern gastfreundlich aufgenommen, vergalten aber diese Gastfreundschaft mit Diebstahl, Raub und Mord!«

Wieder eine Pause.

»Noch heut sind sie nur darauf bedacht, uns zu übervorteilen und immer weiter zurückzudrängen, und wenn ihnen das nicht mit List gelingt, so brauchen sie Gewalt!«

Abermals Pause.

»Wenn ein roter Mann einen Weißen sieht, so kann er gewiß sein, einen Todfeind vor sich zu haben. Oder gibt es etwa unter den Bleichgesichtern welche, die nicht unsere Feinde sind?«

Ich merkte wohl, auf was oder wen er mit dieser Einleitung lossteuerte, nämlich auf meine Person, auf mich selbst. Als ich auch jetzt noch zögerte, eine Bemerkung zu machen, sprach er die direkte Frage aus:

»Will Old Shatterhand mir nicht antworten? Haben die Weißen nicht also an uns gehandelt?«

»Ja, ›Eine Feder‹ hat recht,« gab ich zu.

»Sind sie nicht unsere Feinde?«

»Sie sind es.«

»Sollte es unter ihnen welche geben, die nicht so feindlich gesinnt sind wie die Andern?«

»Es gibt welche.«

»Old Shatterhand mag mir einen nennen!«

»Ich könnte dir mehrere, ja viele Namen sagen, will aber darauf verzichten, denn wenn du die Augen öffnest, so siehst du einen von ihnen vor dir stehen.«

»Ich sehe nur Old Shatterhand!«

»Den meine ich.«

»So nennst du dich also einen Weißen, der nicht so feindlich gegen uns handelt wie die Andern?«

»Nein.«

»Nicht?« fragte er gedehnt und erstaunt, denn mein Nein machte ihn in seinem Konzepte irre.

»Mein roter Bruder hat Worte gebraucht, die nicht das Richtige bezeichnen.«

»Welche Worte?«

»Daß ich nicht so feindlich handle wie die andern Weißen. Ich handle überhaupt nicht feindlich gegen die roten Männer.«

»Hast du nicht welche getötet oder verletzt?«

Ja, aber nur dann, wenn sie mich dazu zwangen. Ich bin nicht etwa, wie deine Worte sagten, nicht ganz, sondern nur ein wenig Feind der Indianer; ich bin auch nicht weder Feind noch Freund von euch, sondern ich bin geradezu ein Freund, ein aufrichtiger Freund der roten Männer. Das habe ich sehr oft bewiesen. Wo ich nur immer konnte, habe ich den roten Männern gegen die Weißen beigestanden und sie gegen die Übergriffe der Bleichgesichter verteidigt. Wenn du gerecht sein willst, mußt du das zugeben.«

»Ich bin gerecht!«

»Denke an Winnetou! Wir sind wie Freunde, und wir sind wie Brüder gegeneinander gewesen! War Winnetou nicht ein roter Mann?«

»Er war es, obgleich ein Feind von uns.«

»Er war nicht euer Feind, sondern ihr habt ihn euch zum Feinde gemacht. Wie er seine Apachen liebte, so liebte er alle Indianer. Er trachtete danach, mit allen in Frieden zu leben; sie aber zogen es vor, sich untereinander zu zerfleischen und aufzureiben. Das war sein Kummer, sein Gram, der ihn niemals verlassen hat. Und wie er fühlte und dachte, so habe ich auch gefühlt und gedacht. Alle unsere Handlungen und unsere Taten sind der Liebe und der Teilnahme entflossen, die wir für die rote Nation hegten.«

Ich hatte ebenso langsam und feierlich gesprochen wie er. Als ich nun schwieg, senkte er den Kopf und saß so mehrere Minuten still; dann hob er ihn wieder und sagte:

»Old Shatterhand hat die Wahrheit gesprochen. ›Eine Feder‹ ist gerecht und gibt das Gute selbst an seinen Feinden zu. Wären alle roten Männer so, wie Winnetou war, und folgten alle Bleichgesichter dem Beispiele, welches Old Shatterhand ihnen gibt, so würden die roten und die weißen Völker wie Brüder nebeneinander leben, sich lieben und einander helfen und die Erde hätte Raum für alle ihre Söhne und ihre Töchter. Aber es ist gefährlich, ein Beispiel zu geben, dem niemand folgen mag: Winnetou ist gestorben, indem ihn die Kugel eines Feindes traf, und Old Shatterhand geht dem Martertode entgegen.«

Jetzt hatte er das Gespräch auf dem Punkte, auf den er es hatte bringen wollen. Ich hielt es für geraten, ihm nicht entgegen zu kommen; darum schwieg ich. Er fuhr also fort:

»Old Shatterhand ist ein Held; er wird viele und große Qualen erdulden müssen. Wird er seinen Peinigern die Freude machen, ihn schwach zu sehen?«

»Nein. Wenn ich einmal sterben muß, so werde ich als ein Mann in den Tod gehen, dem man ein Grab der Ehren errichtet.«

»Wenn du sterben mußt? Hältst du deinen Tod für zweifelhaft?«

»Ja.«

»Du bist sehr aufrichtig!«

»Soll ich dich belügen?«

»Nein. Aber diese Wahrheit zu sagen, das ist außerordentlich kühn von dir!«

»Old Shatterhand ist niemals feig gewesen.«

»So hoffst du wohl auf Flucht?«

»Ja.«

Diese Offenheit war ihm noch viel erstaunlicher als die vorige.

»Uff, uff!« stieß er hervor, indem er beide Hände erhob. »Du bist bis jetzt sehr nachsichtig behandelt worden; man wird dir größere Strenge zeigen müssen!«

»Ich fürchte keine Strenge; sie erschreckt mich nicht; ich bin vielmehr stolz darauf, dir die Wahrheit nicht verschwiegen zu haben. Dies hätte kein Anderer getan.«

»Old Shatterhand hat recht. Nur er kann die Kühnheit besitzen, so ehrlich zu sagen, daß er die Flucht ergreifen will. Es ist das nicht nur kühn, sondern verwegen!«

»Nein. Ein Verwegener handelt entweder nicht mit klarer Einsicht oder aus dem Grunde, daß er nichts mehr zu verlieren hat. Meine Aufrichtigkeit aber hat einen guten Grund und einen ganz besonderen Zweck.«

»Welchen?«

»Ich kann ihn dir nicht sagen, sondern du mußt ihn dir denken.«

Was ich ihm nicht sagen durfte, war das: Er kam jedenfalls, um mich dadurch zu retten, daß er mir seine Tochter zur Frau anbot. Wenn ich darauf einging, so wurde ich nicht getötet, sondern erhielt meine Freiheit wieder nebst einer jungen Frau dazu, mußte aber Kiowa werden. Darauf konnte ich natürlich nicht eingehen, ich war also gezwungen, ›Eine Feder‹ mit seinem Antrage zurückzuweisen, was ihn nicht nur außerordentlich kränken, sondern mit Rachedurst erfüllen mußte. Um dem vorzubeugen, sagte ich ihm so aufrichtig, daß ich meinen Tod nicht für so sicher hielt wie er. Das sollte heißen: Biete mir deine Tochter nicht an, denn ich rette mich auch, ohne daß ich der Mann einer Indianerin werde. Wenn er diesen Wink verstand, entging er der Kränkung und ich seinem Hasse und seiner Rache. Er sann auch wirklich nach, kam aber leider nicht auf den richtigen Gedanken, denn er sagte in einem nach seiner Art pfiffig überlegenen Tone:

»Old Shatterhand will uns nur Sorge um ihn bereiten, obwohl er weiß, daß er nicht entkommen kann. Er hält es unter seiner Würde, einzugestehen, daß er verloren ist; aber ›Eine Feder‹ läßt sich nicht dadurch irre machen. Du weißt genau, daß du verloren bist.«

 

»Ich weiß genau, daß ich entfliehen werde!«

»Du wirst zu Tode gemartert!«

»Ich werde entkommen!«

»Flucht ist unmöglich, denn wenn ich sie für möglich hielte, so würde ich mich selbst hersetzen, um dich zu bewachen; entkommen wirst du also nicht; aber daß du dem Tode entgehest, dazu ist allerdings eine Möglichkeit vorhanden.«

»Welche?« fragte ich, da er nun einmal nicht davon abzubringen war.

»Mit meiner Hilfe.«

»Ich bedarf keiner Hilfe!«

»Du bist doch noch viel stolzer, als ich dachte. Wer weist eine Hilfe zurück, mit welcher er sein Leben retten kann!«

»Der, welcher diese Hilfe nicht braucht, weil er es versteht, sich selbst zu retten.«

»Du bleibst bei deinem Stolze, der lieber untergeht als jemand Dank schuldet. Aber ich fordere keinen Dank; ich will Dich frei sehen. Du weißt, daß ›Dunkles Haar‹ bei dir gewesen ist?«

»Ja.«

»Sie ist meine Tochter. Sie hat großes Mitleid mit dir.«

»Da muß Old Shatterhand ein sehr bedauerns- und beklagenswerter Mensch, aber kein tapferer Krieger sein! Mitleid ist ja eine Beleidigung!«

Ich bediente mich mit Absicht dieses barschen Ausdruckes, um ihn zum Aufgeben seiner Absicht zu bringen; aber auch dies gelang mir nicht; er versicherte im milden Tone:

»Beleidigen wollte ich dich nicht. Noch ehe sie dich sah, hat sie von dir so viel gehört. Sie weiß, daß Old Shatterhand der größte weiße Krieger ist, und möchte dich gern retten.«

»Das zeigt, daß ›Dunkles Haar‹ ein gutes Herz besitzt; aber daß sie mich rettet, ist geradezu eine Unmöglichkeit.«

»Es ist nicht unmöglich, sondern sogar leicht.«

»Du befindest dich im Irrtume.«

»Nein. Du kennst alle Gebräuche der roten Männer, aber dieser scheint dir unbekannt zu sein. Du wirst auf denselben eingehen, denn du hast zu ›Dunkles Haar‹ gesagt, daß sie dir gefällt.«

»Das ist wieder eine Täuschung. Ich habe dies nicht zu ihr gesagt.«

»Sie gestand es mir aber doch! Und meine Tochter hat mir noch keine Unwahrheit gesagt.«

»So liegt eine Verwechslung der Personen vor. Sie brachte mir zu essen. Da fragte mich der Wächter, ob sie mir gefalle, und ich sagte ja. So ist es.«

»Das ist ganz dasselbe; sie hat dir gefallen. Weißt du, daß derjenige zum Stamme gehört oder in denselben aufgenommen werden kann, der eine Tochter desselben zu seiner Squaw macht?«

»Ja.«

»Auch wenn er vorher ein Feind oder gar ein Gefangener desselben gewesen ist?«

»Ich weiß es.«

»Und daß ihm dann seine Schuld erlassen und sein Leben geschenkt wird?«

»Auch das ist mir bekannt.«

»Uff! So wirst du mich verstehen.«

»Ja, ich verstehe dich.«

»Meine Tochter gefällt dir, und du gefällst ihr. Willst du sie zur Squaw nehmen?«

»Nein.«

Es trat eine tiefe, lange Stille ein. Das hatte er nicht erwartet. Ich war ein Kandidat des Todes und sie eines der begehrenswertesten Mädchen, die Tochter eines der angesehensten Krieger des Stammes, und dennoch schlug ich sie aus! War so etwas möglich?

Endlich fragte er, aber sehr kurz:

»Warum nicht?«

Konnte ich ihm meine eigentlichen Gründe sagen? Daß ein gebildeter Europäer nicht seine ganze Existenz dadurch vernichten kann, daß er ein rotes Mädchen heiratet? Daß einem solchen Manne die Ehe mit einer Indianerin nicht das bieten kann, was sie bieten soll und muß? Daß Old Shatterhand nicht zu den weißen Halunken gehört, die eine rote Squaw nehmen, nur um sie später zu verlassen; die oft gar bei jedem andern Stamme eine andere Frau haben? Diese und viele andere Gründe, welche nicht innerhalb seines Horizontes lagen, konnte ich sie ihm sagen? Nein. Ich mußte einen Grund bringen, den er verstehen und begreifen konnte, und darum antwortete ich:

»Mein roter Bruder hat gesagt, daß er Old Shatterhand für einen großen Krieger halte, dies scheint aber nicht wahr zu sein.«

»Es ist wahr.«

»Und doch soll ich mein Leben aus der Hand eines Weibes nehmen? Würdest du das tun?«

»Uff!« rief er aus.

Dann war er still. Dieser Grund schien ihm einzuleuchten, wenigstens einigermaßen. Nach einiger Zeit fragte er mich:

»Was denkt Old Shatterhand von ›Eine Feder‹?«

»Daß er ein großer, tapferer und erfahrener Krieger ist, auf den sich sein Stamm im Kampfe und bei der Beratung verlassen kann.«

»Du würdest mein Freund sein mögen?«

»Sehr gern.«

»Und was sagst du zu ›Dunkles Haar‹, die meine jüngste Tochter ist?«

»Sie ist die liebste und beste Blume unter den Töchtern der Kiowas.«

»Ist sie eines Mannes wert?«

»Jeder Krieger, dem du erlaubst, sie zur Squaw zu nehmen, kann stolz darauf sein.«

»Du weisest sie also nicht zurück, weil du mich oder sie verachtest?«

»Das sei fern von mir! Aber Old Shatterhand kann sein Leben verteidigen, kann sich dasselbe erkämpfen, aber es aus der Hand eines Weibes nehmen, das kann er nicht.«

»Uff, uff!« nickte er.

»Soll Old Shatterhand etwas tun, worüber jeder, der es am Lagerfeuer erzählen hört, die Nase rümpft?«

»Nein.«

»Soll man von Old Shatterhand sagen: Er ist vor dem Tode ausgerissen und einer hübschen, jungen Squaw in die Arme gelaufen?«

»Nein.«

»Habe ich nicht die Pflicht, meinen Ruf und meine Ehre zu wahren, selbst wenn ich deshalb mein Leben auslöschen lassen muß?«

»Ja.«

»So wirst du nun begreifen, daß ich nein sagen muß. Aber ich danke dir, und ich danke auch ›Dunklem Haare‹, deiner schönen Tochter! Ich wollte, ich könnte euch in anderer Weise als nur in Worten dankbar sein!«

»Uff, uff, uff! Old Shatterhand ist ein ganzer Mann. Es ist zu beklagen, daß er sterben muß. Was ich ihm vorschlug, war das einzige Mittel, ihn zu retten; aber ich sehe ein, daß er als tapferer Krieger es nicht annehmen kann. Wenn ich das meiner Tochter sage, wird auch sie ihm nicht zürnen.«

»Ja, sage ihr das! Es würde mir sehr leid tun, wenn sie dächte, daß ich dich nur ihretwegen zurückgewiesen hätte.«

»Sie wird dich noch mehr lieben und ehren als bisher, und wenn du am Marterpfahle stehst und alle Andern dabei sind, um deine Qualen zu sehen, wird sie im tiefsten und dunkelsten Winkel ihres Zeltes sitzen und ihr Angesicht verhüllen. Howgh!«

Nach diesem Bekräftigungsworte stand er auf und entfernte sich, ohne wieder davon zu sprechen, daß er bei mir Wache sitzen wolle. Die Wächter nahmen, als er fort war, ihre Plätze wieder ein.

Gott sei Dank, das war glücklich überwunden! Das war eine Klippe, an welcher meine Hoffnung auf Rettung sehr leicht hätte Schiffbruch leiden können, denn wenn ich ihn mir zum Feind gemacht und seine Rachsucht herausgefordert hätte, so wäre seine Wachsamkeit mir unbedingt gefährlicher gewesen als alles andere.

Bald darauf kam Pida, und ich mußte mich niederlegen. Mit weit auseinander gespreizten Armen und Beinen wurde ich an vier Pfähle gebunden, doch bekam ich eine zusammengerollte Decke als Kopfkissen und wurde mit einer zweiten zugedeckt.

Kaum war Pida fort, so bekam ich einen andern Besuch, einen Besuch, über den ich mich außerordentlich freute: Mein Schwarzschimmel war es, der in der Nähe geweidet hatte, ohne sich den andern Pferden beizugesellen, und, nachdem er mich liebkosend beschnaubt hatte, sich neben mir niederlegte. Die Wächter hinderten ihn nicht daran; das Pferd konnte mich doch nicht losbinden und entführen.

Diese Treue des Schimmels war jetzt für mich von großem Werte. Wenn mir die Flucht ja gelang, so war dies wahrscheinlich in der Nacht, und wenn es mein Pferd stets so machte wie heute, so daß es des Abends zu mir kam, so brauchte ich mich nicht mit einem andern, minderwertigen zu begnügen oder mir die schwere und zeitraubende, darum gefährliche Arbeit zu machen, es zu suchen.

Es war so, wie ich vermutet hatte: ich konnte nicht schlafen. Die auseinandergezogenen Arme und Beine begannen zu schmerzen und schliefen dann ein. Wenn ich ja einmal einschlummerte, so wachte ich sehr bald wieder auf, und es war geradezu eine Erlösung für mich, als der Morgen anbrach und ich wieder los- und an den Baum gebunden wurde.

Wenn dies noch viele Nächte so geschah, so mußte ich trotz der guten körperlichen Ernährung physisch herunterkommen; aber sagen durfte ich nichts, denn über Schlaflosigkeit sich beklagen, wie wäre Old Shatterhand da blamiert gewesen!

Ich war neugierig, wer mir das Frühstück bringen würde. Ob ›Dunkles Haar‹? Wohl kaum, denn ich hatte ihren Vater zurückgewiesen! Aber sie kam doch. Sie sagte kein Wort, aber in ihren Augen las ich, daß sie nicht etwa über mich zornig, sondern vielmehr traurig war.

Als Pida kam, um nach mir zu sehen, erfuhr ich, daß er mit einem Trupp seiner Krieger auf die Jagd reiten und erst am Nachmittage wiederkommen werde. Ich sah sie kurze Zeit darauf auf die Prärie hinaussprengen.

Einige Stunden vergingen; da sah ich Santer unter den Bäumen erscheinen. Er führte sein gesatteltes Pferd an der Hand, hatte sein Gewehr übergeworfen und kam gerade auf mich zu. Er hielt vor mir an und sagte:

»Ich will auch auf die Jagd und halte es für meine Schuldigkeit, Euch dies zu melden, Mr. Shatterhand. Wahrscheinlich treffe ich Pida da draußen, der Euch so wohl gewogen ist und mich so wenig leiden kann.«

Er schien eine Antwort zu erwarten, aber ich tat so, als ob ich ihn weder gehört noch gesehen hätte.

»Ihr seid wohl taub geworden, he?«

Wieder keine Antwort.

»Das tut mir leid, nicht bloß um Euch, sondern auch meinetwegen!«

Er streichelte mir mit höhnischer Zärtlichkeit den Arm.

»Fort, Halunke!« fuhr ich ihn an.

»Oh, reden könnt Ihr, aber hören nicht. Schade, jammerschade! Wollte Euch einiges fragen.«

Er sah mir frech in das Gesicht. Das seinige hatte dabei einen ganz eigentümlichen, ich möchte sagen, teuflisch triumphierenden Ausdruck. Er hatte irgend etwas in petto; das war gewiß.

»Ja, wollte Euch fragen,« wiederholte er. »Würdet Euch dafür interessieren, wenn Ihr es hörtet, Mr. Shatterhand.«

Er sah mich erwartungsvoll an, ob ich etwas sagen würde. Als dies nicht geschah, lachte er:

»Hahahaha, gibt das ein Bild! Der berühmte Old Shatterhand am Todesbaume, und der Schurke Santer ein freier Mann! Aber es kommt noch besser, viel besser, Sir. Ist Euch vielleicht ein Wald bekannt, hin, ja, so eine Art Fichtenwald oder Indeltsche-tschil?«

Dieses Wort elektrisierte mich. Es stand ja in Winnetous Testament. Ich fühlte, daß meine Augen ihn durchbohren wollten.

»Ach, da guckt er mich an, als ob er anstatt der Augen Säbel im Kopfe hätte!« lachte er. »Ja, ja, es soll solche Wälder geben, wie ich gehört habe!«

»Schurke, wo hast du das her?« fragte ich.

»Daher, woher ich auch den Tse-schosch habe. Kennst du den vielleicht?«

»Alle Wetter! Ich werde.«

»Warte nur, warte!« unterbrach er mich. »Was ist denn das für ein sonderbares Ding, ein Deklil-to, oder wie es heißt? Ich möchte.«

»Kerl!« rief, nein, schrie, nein, brüllte ich. »Du hast die Papiere, die ich dem.«

»Ja, die habe ich!« fiel er mir mit höhnisch-triumphierendem Gelächter in die Rede.

»Du hast Pida bestohlen!«

»Bestohlen? Unsinn, Blödsinn! Ich habe nur geholt, was mir gehört. Nennt man das stehlen? Ich habe die Papiere; ich habe sie mit der ganzen Emballage.«

Bei diesen Worten klopfte er an seine Brusttasche.

»Haltet ihn! Nehmt ihn fest!« schrie ich, fast außer mir, den Wächtern zu.

»Mich halten?« lachte er, indem er schnell in den Sattel stieg. »Versucht es doch!«

»Laßt ihn nicht fort!« brüllte ich. »Er hat Pida bestohlen; er darf nicht entkommen, nicht – – —«

Die Worte, welche ich weiter sprechen wollte, erstickten in der Anstrengung, die ich machte, mich vom Baume loszureißen. Santer ritt davon, ritt im Galopp davon, und die Wächter waren zwar aufgesprungen, taten aber nichts, als daß sie ihm mit verständnislosen Augen nachstierten. Winnetous Testament! Der letzte Wille meines Bruders Winnetou war gestohlen worden! Da draußen jagte der Dieb schon über den offenen Plan, und kein Mensch machte Miene, ihn zu verfolgen!

Ich war außer mir und zog, zog, zog mit aller Gewalt an dem Riemen, der meine Hände fest am Baume hielt. Ich dachte nicht daran, daß er gradezu unzerreißbar war und daß ich auch nicht fortgekonnt hätte, wenn er zerrissen wäre, weil meine Füße doch auch festgebunden waren. Ich fühlte auch die Schmerzen nicht, welche sein Einschneiden in die Handgelenke hervorbringen mußte; ich zog und zog und schrie und schrie – – – da stürzte ich plötzlich vornüber auf die Erde; der Riemen war zerrissen.

»Uff, uff!« riefen die Wächter; »er ist los, er ist los!«

Sie griffen nach mir, um mich zu halten.

»Laßt mich, laßt!« brüllte ich. »Ich will ja gar nicht fliehen; ich will nur los, um Santer zu verfolgen und festzuhalten! Er hat Pida, euern jungen Häuptling, bestohlen.«

 

Mein Geschrei hatte natürlich das ganze Dorf rebellisch gemacht. Alles eilte herbei, um mich festzuhalten. Das war verhältnismäßig leicht, weil ich noch mit den Füßen festhing und es hundert Hände gab, die sich nach mir ausstreckten; aber ohne Hiebe und Stöße von meiner und Schrammen und Beulen von ihrer Seite ging es doch nicht ab, bis ich mit den Händen wieder fest am Baume hing.

Die roten Kerls rieben sich die Stellen, an denen ich sie getroffen hatte, schienen mir aber gar nicht sehr böse darüber zu sein, sondern äußerten ihr außerordentliches Erstaunen nur darüber, daß ich den Riemen zerrissen hatte.

»Uff, uff, uff – – – losgekommen – – hätte kein Büffel zerrissen – – – hätte kein Mensch glauben können!«

Solche und ähnliche Bewunderungsrufe wurden laut, und nun erst fühlte ich die Schmerzen in meinen Handgelenken, welche bluteten, denn der Riemen hatte mir, ehe er zerriß, daß Fleisch bis auf die Knochen zerschnitten.

»Was steht ihr hier und starrt mich an!« herrschte ich ihnen zu. »Habt ihr noch nicht verstanden, was ich gesagt habe? Santer hat Pida bestohlen. Schnell auf die Pferde! Holt ihn zurück!«

Aber keiner gehorchte. Ich war außer mir und schrie immerfort, bis endlich Einer kam, der verständiger als die Andern war, nämlich ›Eine Feder‹. Er drängte die Andern auseinander, kam zu mir und fragte, was geschehen sei. Ich sagte es ihm.

»Das sprechende Papier gehörte also jetzt Pida?« erkundigte er sich zum Überflusse.

»Natürlich, natürlich! Du hast ja auch dabei gesessen, als es ihm zugesprochen wurde!«

»Und du weißt genau, daß Santer mit demselben entflohen ist und nicht wiederkommen will?«

»Ja, ja!«

»So müssen wir Tangua fragen, was geschehen soll, denn er ist der Häuptling.«

»Fragt ihn meinetwegen, fragt! Aber zögert nicht, sondern macht schnell, schnell, schnell!«

Aber er zauderte noch, denn er sah den Riemen, den ich zerrissen hatte, an der Erde liegen, bückte sich, betrachtete ihn, schüttelte den Kopf und fragte den ihm nächststehenden Roten:

»Das ist der Riemen, den er zerrissen hat?«

»Ja.«

»Uff, uff! Ja, er ist Shatterhand! Und dieser Mann muß sterben! Warum ist er kein roter Krieger, kein Kiowa, sondern ein Bleichgesicht!«

Nun erst ging er fort und nahm den Riemen mit; die Andern außer meinen Wächtern folgten ihm.

Nun wartete ich mit Spannung, mit verzehrender Ungeduld darauf, wann die Verfolgung des Diebes beginnen werde. Keine Spur davon! Nach kurzer Zeit ging das ruhige Dorfleben in seinen bisherigen Bahnen weiter. Das hätte mich rasend machen können. Ich bat meine Aufseher, sich doch zu erkundigen. Sie durften nicht fort. Sie riefen einen Andern herbei, durch den ich erfuhr, Tangua habe die Verfolgung untersagt; an den sprechenden Papieren liege nichts, denn Pida könne es nicht lesen und nicht brauchen.

Man kann sich meine Aufregung, meinen Ärger, nein, nicht bloß Ärger, sondern meine Wut denken! Ich knirschte mit den Zähnen, daß meine Wächter besorgt zu mir aufblickten, und war nahe daran, mich wieder loszureißen, trotz der Schmerzen, die mir das verursachte. Ich stöhnte förmlich vor Grimm. Aber was konnte das nützen und helfen? Nichts, gar nichts! Ich mußte mich darein ergeben. Das sah ich endlich ein und zwang mich, wenn nicht zur innern, so doch zur äußern Ruhe. Aber die erste Gelegenheit zur Flucht mußte benutzt werden, und wenn die Hindernisse dabei noch so bedeutend sein sollten; das nahm ich mir vor!

So mochten drei Stunden vergangen sein, als ich eine weibliche Stimme laut rufen hörte. Ich hatte vorhin gesehen, aber es nicht beachtet, daß ›Dunkles Haar‹ aus ihrem Zelt getreten und fortgegangen war. Jetzt kam sie eiligen Laufes und laut schreiend zurück, verschwand im Eingange und kam dann mit ihrem Vater wieder heraus, der, auch laut rufend, mit ihr davonrannte. Alle, die sich in der Nähe befanden, liefen hinter ihnen her. Da mußte etwas, und zwar etwas Wichtiges geschehen sein! Vielleicht bezog es sich auf den Diebstahl der Papiere!

Es dauerte nicht lange, so kam ›Eine Feder‹ stracks nach der Stelle gerannt, wo ich am Baume stand, und rief mir schon von weitem zu:

»Old Shatterhand versteht alles. Ist er auch ein Arzt?«

»Ja,« antwortete ich, in der Hoffnung, zu einem Kranken geführt zu werden, denn da mußte man mich ja losbinden.

»Du kannst also Kranke heilen?«

»Ja.«

»Aber nicht Tote erwecken?«

»Ist jemand tot? Wer ist es?«

»Meine Tochter.«

»Deine Tochter? ›Dunkles Haar‹?« fragte ich erschrocken. »Nein, sondern ihre Schwester, die Squaw des jungen Häuptlings Pida. Sie lag gefesselt an der Erde und regte sich nicht. Der Medizinmann hat sie untersucht und gesagt, daß sie gestorben sei, erschlagen von Santer, dem Diebe der sprechenden Papiere. Will Old Shatterhand mitkommen und ihr das Leben wiedergeben?«

»Führt mich zu ihr!«

Ich wurde vom Baume gelöst und dann mit wieder zusammengebundenen Händen und lang gefesselten Füßen durch das Dorf nach Pidas Zelt geführt. Daß ich dieses und die Lage desselben jetzt kennen lernte, war mir außerordentlich lieb, weil sich in demselben, wie ich ja wußte, meine beiden Gewehre befanden. Der Platz wimmelte von roten Männern, Frauen und Kindern, welche ehrerbietig eine Gasse bahnten, so daß ich hindurch konnte.

Ich trat mit ›Eine Feder‹ in das Zelt, in welchem ›Dunkles Haar‹ und ein alter häßlicher Kerl neben der am Boden liegenden vermeintlichen Leiche hockten; dieser Kerl war der Medizinmann, Beide standen auf, als sie mich eintreten sahen. Ich überflog mit einem Blicke den ganzen Raum. Ah, da links lag mein Sattel mit der Decke, und an einer der Seitenstangen hingen meine Revolver, und über ihnen steckte das Bowiemesser! Diese Gegenstände befanden sich hier, weil der Besitzer des Zeltes jetzt ihr Eigentümer sein sollte. Es läßt sich denken, wie froh ich darüber war!

»Old Shatterhand mag die Tote ansehen, ob er sie wieder lebendig machen kann!« bat mich ›Eine Feder‹.

Ich kniete nieder und untersuchte sie mit den gefesselten Händen. Erst nach längerer Zeit entdeckte ich, daß ihr Blut noch in Bewegung war. Ihr Vater und ihre Schwester hielten ihre Augen mit angstvoller Spannung auf mich gerichtet.

»Sie ist tot, und kein Mensch kann Tote erwecken,« erklärte der Medizinmann.

»Old Shatterhand kann es,« behauptete ich.

»Du kannst es, du? Wirklich?« fragte ›Eine Feder‹ schnell und froh.

»Wecke sie auf, o wecke sie auf!« bat mich ›Dunkles Haar‹, indem sie mir beide Hände auf die Schulter legte.

»Ja, ich kann es, und werde es tun,« wiederholte ich; »aber wenn das Leben wiederkehren soll, so darf kein Mensch als ich allein bei der Toten sein.«

»Wir sollen also hinaus?« fragte der Vater.

»Ja.«

»Uff! Weißt du, was du verlangst?«

»Was?« fragte ich, obgleich ich es sehr wohl wußte.

»Hier sind deine Waffen. Wenn du sie bekommst, bist du frei. Versprichst du mir, sie nicht anzurühren?«

Es läßt sich denken, wie schwer mir die Antwort wurde. Mit dem Messer konnte ich meine Fesseln trennen. Hatte ich dann die Revolver und den Stutzen, so hätte ich den sehen mögen, der so tollkühn gewesen wäre, sich an mich zu wagen! Aber nein! Es konnte dabei zum Kampfe kommen, was zu vermeiden war, und es widerstrebte mir, die Ohnmacht eines Weibes zu einem solchen Zwecke auszubeuten. Auf einem für weibliche Arbeiten aufgespannten Felle sah ich verschiedene Handwerkszeuge, Nadeln, Bohrer und dergleichen liegen, dabei auch zwei oder drei kleine Messer, wie sie von den Indianerinnen zum Auftrennen der starken, festen Sehnennähte gebraucht werden. Diese kleinen, dünnen Klingen pflegen sehr scharf zu sein. Ich brauchte nur ein solches Messer, um bald frei zu sein. Darum antwortete ich getrost:

»Ich verspreche es. Ihr könnt, um ganz sicher zu sein, die Waffen ja auch mit hinausnehmen!«

»Nein, das ist nicht nötig. Was Old Shatterhand verspricht, das hält er sicher. Aber das genügt noch nicht.«

»Was noch?«

»Du könntest, da du einmal vorn Baume los bist, die Flucht auch ohne diese Waffen und in anderer Weise ergreifen. Willst du mir versprechen, dies jetzt nicht zu tun?«

»Ja.«

»Wieder zum Baume des Todes zurückzukehren und dich anbinden zu lassen?«

»Ich gebe dir mein Wort darauf!«