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Winnetou 4

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Fünftes Kapitel. Am Deklil-to

Ich hatte den nächsten Tag dazu bestimmt, einen Überblick über die ausgegrabenen Skripturen zu gewinnen, sah mich aber leider in der Hoffnung, dies tun zu können, getäuscht. Wir saßen noch beim Morgenkaffee, da tauchte am südlichen Rande der Lichtung die Gestalt eines Indianers unter den Bäumen hervor und kam auf uns zu. Es war der Winnetou von gestern abend. Er wendete sich nur an den »Jungen Adler«. Uns andere schien er mit keinem Blick zu berühren. Er sprach seine Muttersprache, nicht englisch.

»Es kommen Reiter«, meldete er.

»Woher?« fragte unser junger Freund.

»Zwischen Nordwest und West.«

»Wie viele?«

»Eine große Schar. Man konnte sie nicht zählen. Sie waren noch zu weit entfernt.«

»So komm wieder, sobald es möglich ist, ihre Zahl zu bestimmen!«

Der Winnetou entfernte sich, kehrte aber schon nach vielleicht zehn Minuten zurück und berichtete:

»Es sind Reiter und Reiterinnen. Zwanzig Männer und viermal zehn Squaws, mit vielem Gepäck auf Maultieren hinterher.«

»Wie weit entfernt von hier?« fragte der »junge Adler«.

»Sie werden in einer Viertelstunde den Nugget-tsil erreichen.«

»Sie mögen kommen. Man beobachte sie, aber ohne sich von ihnen sehen zu lassen. Es sind die Squaws der Sioux, die nach dem Mount Winnetou wollen. Wer die Männer sind, das weiß ich jetzt noch nicht. Wir reiten von hier nach dem Deklil-to. Ich glaube nicht, daß ich deiner Hilfe noch einmal bedarf.«

Hierauf entfernte sich der Winnetou, ohne eine einzige Silbe, die nicht von seiner Pflicht geboten war, auszusprechen. Das war Disziplin! Als unser alter, guter Pappermann erfuhr, wen wir hier bei uns zu erwarten hatten, kam er in eine Aufregung, die er zwar verbergen wollte, aber nicht verbergen konnte. Die Gebrüder Enters fühlten sich unsicher. Sie fragten, ob sie sich vielleicht zurückziehen sollten.

»Ihr gehört jetzt zu uns, und ihr bleibt bei uns«, antwortete ich. »Wie ich eigentlich heiße, ist zu verschweigen.«

Damit war diese Sache abgemacht. Ich sah mit meinem Herzle den Nahenden mit großem Interesse entgegen, obgleich ich es bedauerte, auf die Durchsicht der Manuskripte nun verzichten zu müssen. Es verging eine Viertelstunde nach der anderen. Diese Leute nahmen sich Zeit. Endlich, nach über einer Stunde, hörten wir schon von weitem den Lärm, den sie machten. Sie kamen zu Fuß. Die Pferde waren wegen der steilen Stellen, die es gab, unten am Berg gelassen worden. Wir wurden bemerkt, noch ehe sie unter den Bäumen hervorgetreten waren. Das schlossen wir aus dem Umstand, daß die lauten Stimmen jetzt plötzlich verstummten. Hierauf sahen wir einen sehr langen und sehr hageren Menschen erscheinen, der sich in einem sonderbar hochbeinigen, schlingernden Gang auf uns zu bewegte. Er war nicht indianisch gekleidet, sondern er trug einen sehr eleganten Yankeeanzug mit einem sehr weißen und sehr hohen Kragen und ebenso weißen, glänzenden Manschetten. An seiner Brust prahlte eine große, echte Nadelperle, und an seinen Fingern glänzten verschiedene Diamanten nebst anderen Edelsteinen. Aber seine Hände waren groß, sehr groß, seine Füße ebenso, und seine Nase – – oh, diese Nase! Die konnte nur von einer riesennasigen indianischen Mutter und einem noch riesennasigeren armenischen Vater stammen und war dann an ihren beiden Seiten derart abgeschliffen worden, daß sich nur die dünne Scheidewand erhalten hatte. Zu dieser Nase erschienen die wimperlosen, zudringlichen Äuglein viel zu klein. Das Gesicht war schmal. Der Kopf glich einem Vogelkopfe, aber dieser Vogel war ganz gewiß kein kühner Adler, sondern nur ein monstreschnabeliger Pfefferfresser.

Also dieser Mann kam auf uns zugeschlingert, blieb vor uns stehen, ohne zu grüßen, betrachtete uns, Einen nach dem Anderen, wie leblose Gegenstände oder wie völlig wertlose Personen, die sich das gefallen lassen müssen, und fragte dann:

»Wer seid ihr?«

Seine Stimme klang scharf und spitz. Leute mit solchen Stimmen pflegen gefühl- und rücksichtslos zu sein. Er erhielt nicht sogleich eine Antwort, darum wiederholte er seine Frage:

»Wer seid ihr? Ich muß das wissen!«

Mir und dem Herzle fiel es nicht ein, ihm Rede zu stehen, dem »Jungen Adler« noch viel weniger. Die beiden Enters hatten Grund, sich nicht hervorzutun, und so war es schließlich Pappermann, welcher das Wort ergriff:

»Ihr müßt das wissen? Ihr müßt? Ah, wirklich? Wer zwingt Euch dazu?«

»Zwingt?« fragte der Mann erstaunt. »Von einem Zwang ist keine Rede. Ich will?«

»Ah, Ihr wollt! Das ist freilich etwas Anderes! Nun, so wollt einmal! Bin neugierig, wie weit Ihr es mit diesem Eurem Willen bringt!«

»Genauso weit, wie ich eben will! Wenn es Euch etwa beliebt, mir mit Albernheiten zu antworten, so haben wir die Mittel in den Händen, Euch zu zwingen, ernst zu sein!«

Wir Anderen alle saßen. Nur Pappermann hatte gestanden, als der Fremde kam. Er schritt jetzt langsam auf ihn zu, stellte sich gewichtig vor ihm auf und fragte:

»Zwingen? Uns zwingen? Etwa Ihr? Den Mann, der das sagt, muß ich mir doch einmal genauer betrachten!«

Er faßte ihn bei den Armen, drehte ihn nach rechts, nach links, schließlich ganz um sich herum, schüttelte ihn, daß alle Knochen wackelten, und sagte dann:

»Hm! Sonderbar! Bin doch sonst nicht so dumm! Aber aus diesem Kerl werde ich mir nicht klug. Ihr seid kein Ganzindianer, sondern nur ein halber? Ist das richtig?«

Der Gefragte wollte aufbrausen, anstatt willig und direkt zu antworten, da aber schüttelte der alte Westmann ihn zum zweiten Mal und warnte:

»Halt! Keine Grobheiten oder gar Beleidigungen! Die vertrage ich nicht! Wer hierher kommt und uns, ohne zu grüßen, zwingen will, uns aushorchen zu lassen, wie es ihm beliebt, der ist erstens ein ungezogener Mensch und zweitens ein Schafskopf sondergleichen. Hier ist unser Lagerplatz. Nach den Gesetzen der Prärie gehört er uns, bis wir ihn verlassen. Wir waren eher da als Ihr. Wir sind hier daheim. Wer unser Heim betritt, der hat höflichst zu grüßen und sich auszuweisen, wer er ist und was er will. Verstanden? Und nun sagt mir vor allen Dingen erst einmal Euern Namen! Aber schnell! Ich scherze nicht! Sondern ich pflege solche Vögel, wie Ihr seid, sehr schnell richtig pfeifen zu lehren!«

Er hielt ihn noch an beiden Armen fest, so fest, daß der Fremde das Gesicht vor Schmerz verzog und kleinlaut antwortete:

»So laßt doch wenigstens los! Mein Name ist Okih-tschin-tscha. Bei den Bleichgesichtern heiße ich Antonius Paper!«

»Antonius Paper und Okih-tschin-tscha? Schön! Aber ein Ganzindianer seid Ihr nicht?«

»Nein.«

»Sondern nur ein halber, ein Mischling?«

»Ja.«

»Eure Mutter war Indianerin?«

»Ja.«

»Von welchem Stamme?«

»Sioux.«

»Und Euer Vater?«

»Der kam aus dem gelobten Land herüber und war von Geburt Armenier.«

»Schade, jammerschade!«

»Wieso?«

»Es tut mir so leid um das gelobte Land, daß es sich die Ehre, Euch geboren zu haben, hat entschlüpfen lassen! Die Armenier sind, wenn sie herüberkommen, immer Händler. Ihr wohl auch?«

»Ich bin Bankier!« erwiderte der Fremde stolz. »Nun aber laßt mich los! Und sagt auch, wer Ihr seid!«

»Das soll geschehen. Ich bin ein alter, wohlbekannter Prärieläufer und heiße Pappermann, Maksch Pappermann, verstanden? Nebenbei ist es mein ganz besonderes Metier, grobe Leute höflich und dumme Menschen gescheit zu machen. Ihr seid nicht allein? Eure Begleiter stecken noch da drüben unter den Bäumen?«

»Ja.«

»Es sind Frauen dabei?«

»Ja.«

»Siouxfrauen, die nach dem Mount Winnetou wollen?«

»Ja. Woher wißt Ihr das?«

»Das ist meine Sache, nicht Eure. Wer sind die Männer dabei?«

»Das sind die Herren vom Komitee mit ihrer Dienerschaft und den Führern.«

»Was für ein Komitee?«

»Das Komitee für den Denkmalbau eines – – —«

Er hielt inne. Es fiel ihm ein, daß Weiße als Mitwisser ja eigentlich ausgeschlossen seien. Darum fuhr er fort:

»Fragt sie selbst! Ich bin nicht ermächtigt, über die Zwecke dieses Komitees Auskunft zu erteilen! Und laßt mich nun doch endlich los!«

Da schüttelte Pappermann ihn noch einmal tüchtig durch, gab ihn dann frei und sagte:

»So kehrt zu ihnen zurück, und sagt ihnen meinen Namen! Besonders den Damen! Es sind einige dabei, die mir beistimmen werden, daß man hier zu grüßen hat!«

Herr Antonius Paper schlingerte wieder über die Lichtung hinüber, bis er unter den Bäumen verschwand. Sein Indianername Okih-tschin-tscha bedeutet in der Siouxsprache soviel wie »Mädchen«. Er schien sich also schon von Jugend auf durch männliche Taten und männliche Eigenschaften nicht allzusehr ausgezeichnet zu haben. Er war der Kassierer des »Denkmalkomitees für Winnetou«. Man wird sich erinnern, daß gerade er und sein Verhältnis zu Old Surehand mir gleich von Anfang an als nicht vertrauenswert erschien. Nun ich ihn heut zum ersten Mal sah, war der Eindruck, den er auf mich machte, kein günstiger. Das Herzle dachte ebenso.

»Ein Mischling!« sagte sie. »Du bist doch immer der Meinung, daß diese Halbblutleute meist nur die schlimmen Eigenschaften ihrer Eltern erben?«

»Ja, meist. Aber schau! Man kommt!«

Kaum hatte der Halbindianer da drüben den Namen Pappermann genannt, so hörten wir den frohen Ruf einer weiblichen Stimme, und gleich darauf erschienen zwei Frauengestalten, die mit eiligen Schritten über die Lichtung herüberkamen. Die Eine war Aschta, die wir am Kanubisee gesehen hatten, die Andere wahrscheinlich ihre Mutter. Die übrigen Ladies folgten ihnen auf dem Fuß, hinter ihnen die Männer in langsameren, würdigeren Schritten.

Wir standen alle auf.

»Mir wird ganz schwach!« sagte Pappermann.

Er lehnte sich an den nächsten Baum. Aber seine alten, guten, treuen, ehrlichen Augen standen weit offen und waren mit seligem Ausdruck auf die beiden, sich nähernden Frauen gerichtet.

 

Man sah sofort, daß diese Beiden Mutter und Tochter waren, so sprechend ähnlich, so fast völlig gleich zeigten sie sich nicht nur in Beziehung auf ihre Gesichtszüge, sondern auch in Hinsicht auf ihren Gang, ihre Haltung und die Art, sich zu bewegen und sich auszudrücken.

Dazu kam, daß sie völlig gleich gekleidet waren. Die vierzig Indianerinnen stimmten in ihren Anzügen überhaupt alle überein. Auch trugen sie alle den Stern des Clan Winnetou.

Aschta hießen beide. Sie kamen Hand in Hand. Die Mutter war beinahe fünfzig Jahre alt, aber immer noch schön, und zwar von jener Schönheit, an welcher die Seele nicht weniger Anteil hat als der Körper.

»Da ist er!« sagte die Tochter, indem sie auf Pappermann zeigte. »Und dort steht der ,Junge Adler‘, von dem ich dir auch erzählte.«

Aber die Mutter achtete jetzt nicht auf den Letzteren, sondern nur auf den Ersteren. Sie gab die Hand ihrer Tochter frei, blieb einen Augenblick stehen, ließ ihren Blick über ihn gleiten und sagte:

»Ja, er ist es, der Liebe, der Gute, der Bescheidene!«

Sie trat bis ganz zu ihm heran, ergriff seine Hände, hob ihre schönen, dunklen, aber klaren Augen zu seinem Gesicht empor und fragte:

»Warum kamt Ihr nicht? Warum seid Ihr uns ausgewichen, immer und immerfort? Es ist grausam, den Dank der Herzen, die es ehrlich meinen, abzulehnen. Bitte, gebt mir Eure Stirne; ja, gebt sie mir!«

Er bog den Kopf nieder. Sie hob die Hände, zog ihn näher und küßte ihn auf die Stirne und auf die beiden Wangen. Da konnte er sich nicht länger halten. Er brach in ein lautes Schluchzen aus, drehte sich um und entfernte sich mit eiligen Schritten, in den Wald hinein.

»Hier wird geküßt!« hörte man eine scharfe, spitze Stimme erklingen.

Das war der Halbindianer, der bei den anderen Männern hinter den Frauen stand. Aller Augen richteten sich auf ihn.

»Welch ein Wort«, rief Aschta, die Tochter, aus. »Er soll es büßen! »

Sie hob drohend den Arm und eilte zornig auf ihn zu.

»Aschta! » erklang da die Stimme der Mutter. »Berühre ihn nicht! Er ist schmutzig!«

Die Tochter hemmte ihren Schritt und ging zur Mutter. Diese nahm sie wieder bei der Hand und sagte, so daß alle es hörten:

»Komm, wir gehen, den Andern, den Freund, den Retter zu suchen, denn er steht höher, tausendmal höher als jener dort, der es wagt, über Dankbarkeit zu spotten!«

Beide entfernten sich in der Richtung, nach welcher Pappermann den Platz verlassen hatte. Ich war der Meinung, daß hierauf zwischen uns und den Neuangekommenen ein kurzer Verlegenheitszustand eintreten werde, der unbedingt überwunden werden mußte, aber ich hatte mich geirrt. Mr. Antonius Paper oder vielmehr Mr. Okihtschin-tscha schien eine dicke Haut zu besitzen, durch welche Strafreden, wie die soeben angehörte, nicht zu dringen vermochten. Er tat, als ob nicht das Geringste vorgefallen sei, und ergriff sofort wieder das große Wort, indem er sich an die bei ihm stehenden Gentleman wendete, die alle indianisch gekleidet waren, obgleich man ihnen ansah, daß sie nicht mehr der Prärie oder dem Urwald angehörten:

»Der Sprecher der hier lagernden Gesellschaft hat sich leider entfernt. Er kann uns also nicht sagen, wer die Anderen, die Zurückgebliebenen sind. Wir werden es aber erfahren. Ich sorge dafür!«

Er kam auf uns zu.

»Der Unglückselige!« sagte das Herzle. »Er wird doch nicht etwa mit dir anbinden?«

»Er würde sofort wieder abgebunden sein!« lachte ich vergnügt.

Ihre Befürchtung erwies sich als begründet. Der Mann wendete sich an mich. Alle Welt schaute nach ihm und war auf seine Fragen und meine Antworten gespannt.

»Mr. Pappermann hat es für gut gehalten, sich zurückzuziehen«, begann er; »ich frage also nun Euch. Wie ist Euer Name?«

»Ich heiße Burton«, antwortete ich.

»Und die Lady da neben Euch?«

»Ist meine Frau.«

»Die beiden Gentlemen, die hinter Euch stehen?«

»Sind Brüder. Mr. Hariman Enters und Mr. Sebulon Enters.«

Den »jungen Adler« sah er nicht, weil dieser abseits stand. Er fuhr in seinem Verhör fort:

»Wo kommt Ihr her?«

»Aus dem Osten.«

»Wo wollt Ihr hin?«

»Nach dem Westen.«

»Redet nicht so dumm! Das ist ja eben der Westen, wo Ihr seid! Und wenn ich einmal frage, so will ich Namen und Orte wissen, nicht aber alberne Ausdrücke, aus denen man sich nichts nehmen kann!«

Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, so bekam er eine derartige Ohrfeige von mir, daß er sich halb um sich drehte und dann niederstürzte. Hierauf wendete ich mich nach rechts:

»Die Ladies wollen verzeihen, daß es hier genauso aus dem Wald schallt, wie hineingesprochen wird; wir sind ja eben im Wald!«

Und nach links hinüber fügte ich hinzu:

»Ich bitte einen der andern Gentlemen, die Unterhaltung mit mir fortzusetzen. Mr. Paper wird wahrscheinlich darauf verzichten.«

»Verzichten?« rief er aus, indem er sich vom Boden aufraffte. »Fällt mir nicht ein! Ich bin geschlagen worden – geschlagen! Das erfordert Strafe – sofortige Strafe!«

Er suchte hastig in seinen Taschen herum und brachte zunächst ein Messer hervor, eine sehr elegante, sogenannte Sicherheitsklinge, die er sehr behutsam, um sich ja nicht selbst zu stechen, öffnete. Dann kam ein kleiner, allerliebster Salonrevolver zum Vorschein, den er entsicherte und spannte. Nach diesen großartigen Vorbereitungen wollte er sich von neuem an mich machen. Die Folge wäre eine noch größere Blamage gewesen, zu der es aber nicht kam, denn einer der Gentlemen schob ihn beiseite und sagte:

»Steckt diese Waffen wieder ein, Mr. Paper! Mit gewalttätigen Leuten spricht man anders!«

Er tat mit verbindlichem Lächeln zwei Schritte auf mich zu, machte mir eine noch verbindlichere Verbeugung und begann:

»Wir wünschen, uns Euch vorzustellen, Mr. Burton. Ich bin Agent, Agent für alles mögliche, und heiße Evening. Hier steht Mr. Bell, Simon Bell, Professor der Philosophie. Und da steht Ihr Mr. Edward Summer, der auch Professor ist, nämlich Professor der Klassikal-Philologie. Genügt Euch das?«

Man sah es ihm an, daß er erwartete, mir außerordentlich imponiert zu haben, und ich gestehe auch gern ein, daß diese beiden Professoren bisher meine Hochachtung besaßen; gesehen hatte ich sie noch nie. Ich war also gern bereit, so höflich wie möglich zu sein und ihnen in jeder Weise entgegenzukommen, zumal diese vier Männer im Verein mit Old Surehand ja das Komitee bildeten, in dessen Hände das Schicksal des geplanten Winnetoudenkmals gegeben war. Ich verbeugte mich also ebenso verbindlich, wie er es getan hatte und antwortete:

»Ich fühle mich geehrt, so hervorragende Männer der Wissenschaft kennenzulernen, und erkläre mich bereit, dies, wenn ich Euch dienen kann, zu beweisen.«

»Das ist mir lieb, sehr lieb! Ich werde Euch sofort Gelegenheit geben, diesen Beweis zu führen. Wir sind nämlich in einer wichtigen Angelegenheit gekommen, diesen Platz hier zu besichtigen. Wir glaubten, niemand hier zu finden. Eure Gegenwart ist uns störend.«

So unendlich höflich, wie er das sagte, so unendlich rücksichtslos war es auch. Ich sah die beiden Professoren an und antwortete nicht sogleich.

»Ihr versteht mich doch?« fragte er.

»Gewiß«, erwiderte ich. »Es ist ja deutlich genug.«

»Nun?«

»Ihr wünscht, daß wir uns entfernen?«

»Ja.«

»Wir alle?«

»Alle!«

»Wie weit?«

»Welch eine Frage! Ich meine ganz selbstverständlich nicht nur zehn oder zwanzig oder fünfzig Schritte! Ihr sollt fort von hier, vollständig weg, weg, weg!«

»Wünschen das auch die Herren Professoren?«

Die Herren bejahten diese Frage sehr energisch, und der Agent fügte noch überdies erklärend hinzu:

»Ihr scheint ein übermäßig gewalttätiger Mann zu sein. Unsere Angelegenheit aber ist eine so zarte, feine und diskrete, daß Ihr ganz gewiß an keine Stelle paßt, an der wir uns befinden.«

»Das sehe ich ein, Mr. Evening; ja wirklich, das sehe ich ein. Wir werden diesen Platz also verlassen.«

»Nicht nur zum Schein?«

»Nein.«

»Und wann?«

»Sofort. Ich bitte nur um soviel Zeit, als wir nötig haben, das Zelt abzubrechen und die Pferde zu satteln.«

»Die sei Euch gern gewährt. Ich sehe, Ihr seid vernünftiger, als wir dachten!«

Ich wendete mich mit meiner Frau nach dem Zelt und bat die beiden Enters, uns zu helfen.

»Wie schade! jammerschade!« klagte das Herzle leise. »Diese uns so heilige Stätte in dieser Weise verlassen zu müssen!«

Ich sah ihr an, das Weinen stand ihr nahe.

»Sei ruhig, Schatz!« bat ich. »Wir kommen auf dem Rückweg wieder her, und gewiß in anderer Weise und in anderer Begleitung!«

»Aber muß es denn sein? Müssen wir denn weichen? Grad diesen Menschen weichen? Haben wir nicht ein viel, viel größeres Recht, hier zu sein, als sie? Ist es nicht vielleicht eine Schwäche von dir?«

»Im Gegenteil, ein Sieg.«

»Da möchte ich dich fast bitten, mir dies zu beweisen!«

»Ist gar nicht nötig, du wirst es ganz von selbst einsehen, und zwar noch ehe wir gehen. Wir liefern hier unser erstes, bedeutendes Avantgardegefecht für unser Ideal. Du wirst den Sieg bald sehen, vielleicht auch hören! Ich bitte, dich mit dem Einpacken soviel wie möglich zu beeilen!«

Mit diesem Einpacken ging es bedeutend schneller, als wir dachten. Die Herren vom Komitee hatten die Güte, uns einige von ihren Hands zur Hilfe zu stellen, so daß wir grad fertig und zum Aufbruch bereit waren, als Aschta, die Mutter und Aschta, die Tochter mit Pappermann aus dem Wald zurückkehrten. Sie kamen Hand in Hand, er in der Mitte, auf beiden Seiten von Mutter und Tochter geführt. Sein altes, liebes Gesicht strahlte im Ausdruck einer tiefen, reinen, heiligen Freude. Als er die Maultiere bepackt sah, uns beiden Pferden stehend und den »Jungen Adler« sogar schon im Sattel sitzend, rief er verwundert aus:

»Was ist das? Wollt ihr etwa fort?«

»Ja, fort«, antwortete ich. »Steigt auf!«

»Unmöglich! Ich habe versprochen, zu bleiben!«

»So bleibt! Wort muß man halten! Ich aber habe versprochen, den Nugget-tsil zu verlassen, und zwar sofort.«

»Wem?«

»Den Gentlemen da.

Ich deutete dabei auf die Herren vom Komitee.

»Wir sind ihnen zu gewalttätig!« fügte Hariman Enters hinzu, um seinem Ärger Luft zu machen.

»Nicht zart, nicht fein, nicht diskret genug!« vervollständigte Sebulon Enters. »Sie meinen, daß Mr. Burton an keine Stelle paßt, an der sie sich befinden!«

»Das ist eine Lüge, eine ganz unverschämte, flegelhafte Lüge!« brauste Pappermann auf. »Mr. Burton ist ein Gentleman, wie es hier unter uns wohl keinen —«

»Still!« unterbrach ich ihn. »Wem habt Ihr versprochen, hierzubleiben?«

»Diesen beiden Ladies.«

»Wie lange hierzubleiben?«

»Das wurde nicht gesagt. Gewiß aber war gemeint, bis wenigstens morgen. Wir haben uns soviel zu erzählen. Müßt Ihr wirklich fort, wirklich?«

»Ja, unbedingt! Ihr könnt ja hierbleiben und morgen nachkommen!«

»Was? Euch allein lassen, Euch und Mrs. Burton? Da wäre ich ja der größte Halunke, den es gibt! Nein, nein! Ich reite mit! Ich bitte die Ladies, mir mein Wort zurückzugeben! Sie werden es tun, gewiß, gewiß! Denn ich verspreche ihnen, daß wir uns bald, sehr bald wiedersehen!«

Er küßte ihnen in bärenhafter, aber um so rührender Zartheit die Hände und ging zu seinem auch schon gesattelten Maultier. Da richtete sich die Mutter hoch auf und fragte mit lauter, gebieterischer Stimme über den Platz hinweg:

»Was ist hier geschehen? Ich will es wissen, ich, das Weib Wakons, des Unbestechlichen, der sich weigerte, Mitglied dieses Komitees zu sein! Wer sagt es mir, wer?«

»Der wird es dir sagen, der da kommt«, antwortete ihre Tochter, indem sie auf den »jungen Adler« deutete, der sein Pferd in tänzelndem Schritt nach der Stelle trieb, wo beide standen.

Als er sie erreicht hatte, rief er mit weithin vernehmbarer Stimme:

»Ich bin ein Winnetou vom Stamm der Apatschen. Ich kehre aus den Wohnorten der Bleichgesichter heim zur Stätte meiner Ahnen. Man nennt mich den ,jungen Adler‘– – —«

»Der junge Adler – – der junge Adler – – der junge Adler!« raunte es von Mund zu Mund. Man kannte diesen Namen, obgleich sein Träger noch so jung an Jahren war.

Er fuhr fort:

»Ich erkläre hiermit im Namen aller Winnetous vom Stamm der Apatschen, daß dieses Komitee nicht würdig ist, die große Frage, vor deren Lösung wir hier stehen, zu entscheiden! Der Schlag in das Gesicht war wohl verdient, war die einzig richtige Antwort, die es gab! Nicht nur Antonius Paper, sondern das ganze Komitee hat ihn erhalten. Ich habe gesprochen. Howgh!«

 

Er nahm sein Pferd vorn hoch, um den Platz zu verlassen.

»Auch du willst fort?« fragte die Mutter.

»Auch ich? Vor allen Dingen ich! Doch sehen wir uns wieder«, antwortete er.

»Wann und wo?« fragte die Tochter.

»Am Mount Winnetou.«

Diese beiden Fragen und Antworten wurden nicht in englischer Sprache, sondern im Apatsche ausgesprochen. Die Mutter fügte in leiserem Ton hinzu:

»Du bist ein Liebling Wakons, meines Gatten. Du wirst auch ihn am Mount Winnetou sehen. Kommst du vielleicht schon vor den Tagen der Ausstellung zu Tatellah-Satah?«

»Ich hoffe es.«

»So sag ihm, daß Aschta, das Weib Wakons und zugleich die Tochter des größten Medizinmannes der Seneca, im Kampf gegen den Unverstand mit allen Frauen der roten Rasse an seiner Seite steht.«

»Ich danke dir in seinem Namen. Wie kommt es, daß ihr trotzdem mit dem Komitee dieses Unverstandes reitet?«

»Der Zufall führte uns mit ihnen zusammen. Sie hingen sich an uns, obgleich wir das nicht wünschten. Sie wollen erfahren, was wir in unserm Campmeeting am Mount Winnetou beraten und beschließen werden. Wir teilen es ihnen nicht mit. Wir übergeben dir unsern Freund und Retter und bitten dich, über ihn zu wachen. Wer ist das Bleichgesicht, welches sich mit seiner Squaw bei dir befindet?«

»Hat Pappermann es euch nicht gesagt?«

»Nein. Wir fragten ihn, aber er schwieg. Doch scheint er diese beiden sehr, sehr hochzuachten.«

Ich hielt so nahe bei ihnen auf dem Pferd, daß ich diese Worte hörte. Die Mutter glaubte, von mir, dem Weißen, nicht verstanden zu werden. Der »junge Adler« warf einen fragenden Blick herüber. Er hätte den beiden Frauen gar so gern gesagt, wer ich war. Ich gab ihm mit den Augenlidern die Erlaubnis dazu. Da trieb er sein Pferd‘ noch einen Schritt weiter an sie heran und sprach:

»Wenn dieser Weiße und seine Squaw nicht erfahren sollen, was ihr jetzt mit mir redet, so müßt ihr leiser sprechen.«

»Warum?«

»Er versteht die Sprache der Apatschen.«

Sie erschrak.

»So hat er uns ja schon verstanden!« hauchte sie schnell und verlegen.

»Allerdings, und zwar jedes Wort. Aber du hast nicht nötig, zu erschrecken. Er ist ein Freund Winnetous, und er ist auch der deinige, der Eurige. Er will nicht, daß man jetzt schon seinen Namen erfährt; aber wenn ihr mir versprecht, verschwiegen zu sein, so darf ich ihn euch nennen.«

»Wir werden verschwiegen sein!«

»Nun wohl, es ist Old Shatterhand.«

»Old Shat – – —!« Sie konnte den Namen vor Ueberraschung nicht ganz aussprechen. Sie erbleichte für einen Augenblick. Dann rötete sich unter der zurückkehrenden Blutwelle ihr Gesicht um so mehr. »Ist das wahr? – Ist das wahr?«

»Ja, es ist wahr; er ist es«, versicherte der »Junge Adler«.

»Der beste, der wahrste, der treueste Freund und Bruder unseres Winnetou! Zum ersten Mal im Leben sehe ich ihn! O könnte ich – – könnte ich – —!«

Sie sprach auch diesen Satz nicht ganz aus. Sie schlug die Hände zusammen und schaute wie hilflos zu mir empor. Ihre Tochter aber trat zu mir heran und küßte, ehe ich es verhindern konnte, meinen Steigbügelriemen. Ebenso schnell zog sie auch den Rocksaum meines Herzle an die Lippen.

»Und das ist seine Squaw – – – seine Squaw!« fuhr die Mutter fort. »O, hätte ich doch nicht versprochen, zu schweigen! Ich würde vor Freude jubeln, jubeln, jubeln!«

Da schwang das Herzle sich vom Pferd, umarmte sie, küßte sie auf Mund und Wangen und sagte in englischer Sprache:

»Ich verstehe nicht, was Ihr sprecht, aber ich lese es aus Euren Augen und von Euren Lippen. Ich liebe euch beide! Ich begrüße euch! Wir sehen uns wieder, bald, bald! Jetzt aber müssen wir fort!«

Sie gab der Tochter denselben dreifachen Kuß wie der Mutter und stieg dann wieder auf das Pferd. Ich reichte den beiden lieben, schönen Indianerinnen die Hand und sagte:

»Wakon, der unermüdliche Forscher und Finder, steht hoch in meinem Geist und noch höher in meiner Seele; denn es ist die Seele seiner Nation, nach der er sucht. Ich freue mich, gehört zu haben, daß ich ihn am Mount Winnetou sehen werde. Und ich bin stolz darauf, schon heut seiner Squaw und seiner Tochter begegnet zu sein. Am meisten aber beglückt es mich, zu wissen, daß wir Verbündete sind. Das Andenken Winnetous gehört in die Herzen unserer Männer und Frauen, in die Seelen unserer Völker, nicht aber auf die kahlen, windigen Höhen prahlerischer Oeffentlichkeit. Ich bitte, zu verschweigen, daß ihr mich hier getroffen habt. Wir sehen uns wieder! Zur rechten Zeit an der richtigen Stelle!«

Wir ritten fort, mit höflichem Gruß für die Frauen, doch ohne einen Blick für die Männer. Es ging langsam dieselben Steilungen hinab, die wir heraufgekommen waren. Unten sahen wir die Pferde derer stehen, die uns vertrieben hatten; sie kümmerten uns nicht. Dann, als der Weg eben wurde und wir aus dem Wald herauskamen, konnten wir eine größere Schnelligkeit entwickeln und unsern Ritt beeilen. Denn nun wir einmal den Nugget-tsil verlassen hatten, galt es, unser nächstes Ziel, den Deklil-to so bald wie möglich zu gewinnen, weil der größte Teil der Strecke zwischen hier und dort aus feindlichem Land bestand. Die alten, blutrünstigen Zeiten waren ja, Gott sei Dank, vorüber, aber der Haß, der damals regierte, war noch nicht tot; der lebt heute noch. Das war sehr deutlich aus den Briefen zu ersehen, die ich von To-kei-chun, dem Häuptling der Racurroh-Komantschen, und von Tangua, dem ältesten Häuptling der Kiowa, erhalten hatte. Unser Weg führte durch das Gebiet dieser beiden Stämme, und ich war mir sehr wohl bewußt, daß ich, wenn auch keinen wirklichen Leichtsinn, aber doch gewiß ein Wagnis beging, indem ich mit meiner Frau, die den doch immerhin möglichen Gefahren nicht gewachsen sein konnte, grad diese schlimme Gegend durchquerte. Ich hatte kein ganz gutes Gewissen, hütete mich aber, ihr dies zu sagen.

Sie hatte keine Ahnung von diesen meinen Gedanken. Sie war ganz unbefangen. ja, noch mehr, sie war sogar sehr heiter. Während wir auf ebenem Boden im köstlichen Galopp nebeneinander dahinflogen, warf sie mir von der Seite her zuweilen einen heimlich sein sollenden Blick zu, den ich aber doch wohl bemerkte. Ich verstand diese Blicke. Sie kann kein Unrecht ertragen, auch dann, wenn dieses Unrecht nicht in einer Tat, sondern nur in einem Gedanken besteht. Es muß heraus. Sie muß es bekennen. Eher läßt es ihr keine Ruhe. Sie hatte jetzt so etwas, was sie loswerden wollte. Daher ihre Blicke. Endlich, als sie wieder einmal so forschend herüberschaute, sah ich ihr voll in das Gesicht und forderte sie lachend auf:

»Na also, heraus damit!«

»Womit?« fragte sie.

»Mit dem Geständnis!«

»Geständnis? Was sollte ich wohl zu gestehen haben?«

»Irgend Etwas.«

»Aber was?«

»Das hoffe ich von dir zu erfahren!«

»So? Höre, was hältst du wohl von einer Ehe, in welcher die arme, unglückliche Frau ihren Mann nie ansehen darf, weil er bei jedem Blick, den sie auf ihn richtet, glaubt, sie habe ihm ein Geständnis zu machen?«

»Meine Meinung lautet dahin, daß diese arme, unglückliche Frau sehr glücklich verheiratet ist, denn sie hat einen Mann, der sie kennt und durchschaut!«

»Hm! Der aber trotzdem nicht weiß, was sie ihm bekennen und gestehen soll, denn er sagt immer nur: ,Ich hoffe, es von dir zu erfahren!‘ Leider ist es in diesem jetzigen, einen, einzigen Fall endlich, endlich einmal richtig, daß ich dir Abbitte zu leisten habe. Ich war nicht einig mit dir. Wenn auch nur im Stillen, aber doch.«

»Nicht einig? Inwiefern?«

»Ich wäre so gern da oben geblieben. Ich wollte nicht weichen. Ich hielt es wirklich für eine Schwäche von dir, ihnen Platz zu machen.«

»Und aber nun?«

»Ja, aber nun! Du hattest Recht! Wären wir geblieben, so hätte es nur Gehässigkeiten gegeben, herüber und hinüber. Also eher eine Niederlage, als einen Sieg. Auch an eine ruhige Durchsicht der ausgegrabenen Manuskripte wäre nicht zu denken gewesen. Hier aber sind wir frei, ohne Zank und Streit und Bitterkeit, und – – das erste, große Avantgarde-Gefecht, von dem du sprachst, ist gewonnen.«

»Das siehst du ein?«

»Aber gern, sehr gern! Diese ältere Aschta, die Frau Wakons, hat mir imponiert. Sie ist ein Charakter, eine groß angelegte Frau. Kein einziges von all den Komiteemitgliedern reicht geistig an sie heran. Die ist wahrlich nicht nach dem Mount Winnetou unterwegs, um dort Suffragettenreden zu halten! Die weiß, was sie will! Aber sie sagt es nicht; das imponiert mir ganz besonders! Indem du dich vertreiben ließest, hast du dir in ihr eine Helferin gewonnen, die nicht zu unterschätzen ist.«