Allerhand Kreuzköpf

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Allerhand Kreuzköpf
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Karl Schönherr

Allerhand Kreuzköpf

Erzählungen

Dieses eBook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

DER LÄRCHENE HIES

SCHNAPSJÖRGLS KAMPF UND SIEG

BAUERNFANG

DER RAGGENFUCHS

DER TREFFER-WASTL

DER PFANNENFLICKER-NAZ

ES GREIFT NIX AN

EIN EHRLICHER MENSCH

DAS HEILIGWASSERWEIBELE

DER BAUERNKNECHT AUF DER KLINIK

DIE ÜBERGAB

DER TAG-UND-NACHT-FRANZL

SINGPROB

DER SCHMIERBERLUGGES

EIN PERLAGGSPIEL

DER WILDSCHÜTZ

KINDSTAUF

DER LAPPETE HANNES

EIN ALTER BRAUCH

DER ZUCHTSTIER

Impressum

DER LÄRCHENE HIES

Der Büschlbauer brauchte Geld. Der Holzhändler hielt ihm ein Päckchen Banknoten unter die Nase:

»Da riech, Bauer!« Es roch nach Wald, nach den prächtigen Lärchen und Fichten, die der Büschl in seinem Anteil stehen hatte. Nur schwer entschloß er sich, einige Stämme schlagen zu lassen. Aber der Büschl brauchte Geld, das sagt alles! Und einen tüchtigen Holzknecht brauchte er. Drum ging er zum lärchenen Hies. Der war stark und hochgewachsen wie ein Lärchbaum im Walde. Deswegen, und weil er mit den Stämmen umgehen konnte wie kein zweiter, hießen sie ihn den Lärchenen. An dem, was der Hies allein machte, hatten drei mittlere Knechte genug zu schaffen.

»’s Mittagessen kriegst bei mir, Hies«, meinte der Büschl.

»Teufl eini«, fuhr der Hies auf, »verköstign möcht i mi selber!«

Doch der Bauer bestand auf seinem Willen und setzte ihn auch durch. Er hatte den Hies genommen, um sich drei Knechte zu ersparen, und das Mittagessen drängte er dem Lärchenen auf, damit es auch mit dem Lohn billiger wäre. Brummend fügte sich der Hies ins Mittagessen, das für ihn von Bedeutung werden sollte.

Der Lärchene zählte dermal dreißig Jahre. Die Büschldirn, welche ihm das Mittagessen in den nahen Wald brachte, war etwas jünger. Nichts sagte der Hies, wie sie die Pfanne mit den feisten Schmalznudeln unter einer mächtigen Fichte niederstellte. Und sie sagte auch nur:

»Hies, dein Essn!« Und machte wieder kehrt. Der Hies warf seine Axt weg und hielt sich die Hand vor die Augen, damit ihn die Sonne nicht blende. Dann schaute er der Dirn nach, die flink waldauswärts schritt. Bevor sie in die Wegkrümmung einbog, schaute sie sich noch einmal um, und dann noch ein letztes Mal.

Der Hies aber meinte bei sich selber:

»Teufl eini, dös ist koa lötze!«

Dann machte er sich über die Schmalznudeln her.

Am nächsten Tag war der Hies freundlicher gegen die Dirn. Zwar näherte er sich ihr mit keinem Schritt, aber er hielt bei ihrer Ankunft mit der Axt inne und rief ihr zu: »Dirn, was bringst denn heunt Guets?«

»Fisölsupp und Krapfn!«

Der Hies nickte befriedigt: »Dös mag i!«

»A Holzhacker ißt, was er kriegt!« gab sie zurück und zeigte beim Lachen weiße Zähne. Die konnte auch der Lärchene zeigen.

Die Dirn schaute sich heut zweimal um.

In den nächsten Tagen fingen sie an zu plaudern. Beim Heimgehen schaute sich die Dirn nun schon gleich ein halbes dutzendmal um. Der Hies traf mit seiner Axt nicht mehr mit der früheren Sicherheit die eingehackte Fläche. Das machte ihn gallig. Und als die Büschldirn das vierzehntemal mit dem Essen kam, warb der lärchene Hies um sie:

»Teufl eini, Madl, mechst nit mei Ghilfin werdn?« Sie tat, als ob sie nichts gehört hätte, und sagte: »Knödl und Gselchts hast heut!«

Aber der Holzknecht wußte sich schon bemerkbar zu machen. Und sie wollte. Der Lärchene war talaus und -ein als kreuzbrav und grundehrlich bekannt.

»’s werd wohl zum Lebn sein mit dir, Hies?«

»I moan epper wol!«

So lebten sie miteinander dreißig Jahre lang in Armut, glücklich und zufrieden. Dann starb ihm seine treue Gehilfin weg. Wie der Hies von der Leich heimkehrte und in die leere Stube trat, fuhr er sich über sein volles graues Haar und sagte:

»Teufl eini, jetz isch es nimmer fein in derer Stubn, jetz fangt’s mi an, z’verdrießen!«

Dann setzte er sich in den hintersten Winkel der Stube und... ja, ja!

Er war noch immer der gesuchteste Holzknecht im Tal. Von seiner Bärenkraft hatte er nichts eingebüßt. Den Kopf trug er so hoch und frei wie vor dreißig Jahren. Jetzt blieb er oft während der ganzen Woche im Wald. Nur an den Samstagabenden kam er jedesmal mit einem grünen Tannenreisig heim. Das legte er seiner Gehilfin aufs Grab.

Wie er siebzig zählte und im Wald Stämme fällte, da griff wieder das Mittagessen in sein Geschick ein. Es war ein harter Winter. Der Kälte zum Trotz guckte durch die vorn offene Pfaid die wetterharte Brust des Lärchenen. Eben hatte er die Axt weggelegt und wollte zu Mittag essen. Keine Dirn hatte ihm seit damals wieder ein Essen in den Wald gebracht. Er verköstigte sich stets selber. Zog aus seinem Rucksack ein großes Stück Schwarzbrot und ein Fläschchen Voglbeerschnaps. Das war des Lärchenen Mahlzeit. Das Brot war in der Kälte steinhart gefroren. Steckte es der Waldmensch auf eine Weile in den Hosensack zum Auftauen. Wie er dann endlich tapfer einbiß, fielen ihm zwei Zähne auf einmal aus dem Mund. Der Hies drehte die beiden Ausreißer ein Weilchen sinnend in den Händen herum, dann warf er sie verächtlich in den Schnee und brummte:

»Teufl eini, wenn i jetz schon meine Zähnd verlier, was gschiecht denn nacher, wenn i einmal alt werd!«

So meinte er mit seinen sieben Kreuzlein auf dem Rücken. Schließlich kam der Hies auf den Gedanken, ob er nicht etwa gar jetzt schon alt sei, weil ihm die Zähne davonlaufen. Seit diesem Mittagessen faßte der Lärchene den Vorsatz, sich um ein leichteres Geschäft umzuschauen.

Und so lehnte er im nächsten Frühjahr die Axt in die Rumpelkammer und wurde Bergführer.

Jetzt führte er die ungeschickten Herren in den Bergen herum, auf die Frau Hitt, aufs Hafelekar oder auf die prächtige Waldrastspitz. Da machte er Wege von zwölf, dreizehn Stunden und trug noch Sack und Pack der Fremden. Wenn er dann spätabends, von dem beschwerlichen Marsch heimgekehrt, vor seiner Holzhütte saß und aus einem eisernen Pfeifel dampfte, da murmelte er öfter als einmal:

»Teufl eini, jetz bin i a Faulenzer wordn!«

Der Lärchene fühlte sich zu wenig müde.

Er führte die Fremden weit in die Berge und sich selbst tief in die Siebzig hinein. Einmal geleitete er Herren aus Deutschland. Da war einer darunter, der sehr gescheit und pfiffig tat und sich in den Kopf gesetzt hatte, den alten Waldteufel, wie er den Hies nannte, zu hänseln.

»He, Landsmann, wie kommt es denn, daß bei euch in Tirol so oft die Glocken läuten? Was hat das für einen Grund?«

Der Lärchene blieb stehen und schaute den Sprecher groß an: »Ja, Teufl eini, woaßt denn dös nit? Es werd halt der Meßmer am Glocknstrick ziechn!«

Dagegen konnte der Deutsche nichts einwenden. So ging er auf ein anderes Thema über.

»Nicht wahr, in der Nähe von euch, in Hall, ist ein großes Narrenhaus?«

»Ja«, meinte der Hies, »gehst aber nit eini, gelt, sunst lassn sie dich nimmer aus!«

»Aber das Narrenhaus ist ja nur für die Tiroler Bauern bestimmt!« Der Lärchene schob mit der Faust seinen Hut zurück und gab zur Antwort:

»Teufl eini, du hast recht, für die Bauern gheart’s! Für dö herrischen Pelzkappn wär’s ja viel zu kloan!«

Da versuchte es noch ein anderer mit einer verfänglichen Frage: »Wo geht denn hier der Weg nach Berlin?«

Der Hies kratzte sich hinter den Ohren und schob seinen Hut noch weiter zurück. Dann meinte er ruhig: »Esl! Der Weg geaht nit, giehn mußt du!«

Wie der Lärchene einmal von einer Bergtour zurückkam, kehrte er mit großem Hunger in einem Wirtshaus ein.

»Knödl für drei«, rief er der Wirtin zu.

Die Wirtin, in der Meinung, daß der Hies noch zwei Begleiter habe, kochte für drei hungrige Bergführer. Als das Essen fertig war, sagte der Hies: »Bring mir mein Toal!«

 

Es war eine tüchtige Schüssel voll. Der Alte aß seine Knödel ruhig, aber sicher auf.

Die Wirtin setzte sich zu ihm und fragte: »Wo werdn denn die andern zwoa sein?«

»Bring mir die Knödl vom zwoatn, sonst werdn sie schlecht!«

Die zweite Portion verschwand ebenso wie die erste. »Um Himmls willn, wo steckn denn die andern zwoa?« jammerte die Wirtin.

»Teufl eini, bring mir noch die Knödl vom drittn!«

Wie der Lärchene auch die dritte Schüssel voll ruhig auslöffelte, wurde der Wirtin unheimlich zumute. »Aber, Hies, werst sechn, so viel Knödl liegn dir im Magn!«

»Wenn sie grad amal liegn bleibetn a acht, vierzehn Tag!«

Dann warf der Hies den Löffel weg, zahlte für drei und ging wohlgemut weiter.

Und eines Tages, wie ihm schon die Achtziger über den Rücken hinaufkrabbelten, fühlte sich der Lärchene »gspaßig«. Er hatte im Frühjahr die Wiese gewässert und war an die drei Stunden bis über die Knie hinauf im Bach herumgewatet. Dann legte er sich ins Gras und ließ sich von der Sonne die pudelnasse Krippe trocknen. Bald legte er sich auf den Rücken, bald auf den Bauch, um der Sonne das Geschäft zu erleichtern. Dann ging er in die Stube, und da wurde ihm gspaßig. Das Essen schmeckte ihm nicht recht. Im Verlaufe des Nachmittags wurde dem Hies alleweil minder.

»Teufl eini«, meinte er, »i woaß nit, wie s Kranksein ist, aber mi kimmt für, i bin lötz!«

Am selben Tag, während noch die Sonne schien, legte sich der zäh knorrige Hies ins Bett. Das kam ihm so seltsam vor, beim hellichtchten Tag im Bett zu liegen, daß er lachen mußte.

»Teufl eini, dös ist gspaßig!«

Er tastete sich wieder heraus und kam bis zur Tür. Dort stürzte er bewußtlos zusammen. Sie trugen ihn wieder ins Bett. Und als er zu sich gekommen war, machte man ihm klar:

»Hies, mach dei Sach mit dem Herrgott ab!«

Der Lärchene kratzte sich hinter dem Ohr und fragte:

»Teufl eini, isch es Zeit?«

»Ja! Wir werdn an’ Geistlich holen!«

Der Hies machte eine abwehrende Bewegung.

»Teufl eini«, flüsterte er, »laßts mi glei mit’n Herrgott selber redn! Mit ihm bin i per du, da red i mi leichter! Zun Pfarrer mueß i Ös oder gar Sie sagn, dös bring i nit zsamm!«

Lang und schwer rang er. Endlich, nach drei Tagen, mußte sich der Lärchene geben.

»Teufl eini« ist zeitlebens sein Leibspruch gewesen, aber er wird schon zum Herrgott gekommen sein, der brave, lärchene Hies.

SCHNAPSJÖRGLS KAMPF UND SIEG

Sie hießen ihn den Schnapsjörgl, nicht mehr und nicht weniger.

Mit welchem Recht, das ist noch nicht ganz festgestellt. Keine Menschenseele wußte genau, ob Jörgls Nase vom Wein oder Schnaps herrühre. Nur erfroren war sie nicht, darüber waren alle so ziemlich einig. Der Jörg hatte wohl zuerst den Schnaps-Jörgl tapfer von sich abgewehrt, wie weiland sein hoher Patron den wüsten Drachen; denn er hätte lieber der Wein-Jörgl geheißen, weil das fast nobel und vornehm klingen täte. Gerade deswegen haben es die Leute aber nicht getan, damit dem Jörg der Stolz nicht allzusehr den Kopf verdrehe.

Solange die gelehrten Herren nicht den Unterschied zwischen einer Schnaps- und einer Weinnase wissenschaftlich festzustellen vermögen, muß er den Schnaps-Jörgl dulden und sich denken, die dummen Leute verstehn’s nicht besser.

Der Jörg war ein mittelgroßes Männchen, dem so das fünfzigste Jahr im Blute schleichen mochte. Er frettete sich auf zwei wohlausgebildeten Säbelbeinen und unter beständigem Durst durch das Leben. Das von den Beinen ließ er nicht gelten. Er behauptete, die Hosen seien krumm. Den Durst gab er zu, aber auch die gehörige Deutung ließ er nicht fehlen. Er sei als kleiner Bub häufig zur Sommerszeit auf der schattenlosen Halde gelegen; da habe ihm die heiße Julisonne seine Leber ausgedörrt, und bis zu seinem Lebensende werde er an den Folgen dieses jugendlichen Leichtsinns zu tragen haben.

Jörgls krumme Lodenhose war an den unteren Rändern stark ausgefranst und gezackt, wie die Zinnen einer alten Burg. Dazu stimmte auch das düstere, altertümliche Grau des Stoffes. Und wie so eine alte Ruine weit weg vom ebenen Boden in der Höhe nistet, so machte es auch Jörgls Hose. Sie war stark bodenscheu. Auch Schießscharten und Risse zeigten sich daran in Menge.

Jörgls Nase war ein Meisterstück der Malerei. Die Farben hatten ihm aber auch ein schönes Stück Geld gekostet. Ein Netz himmelblauer Äderchen, violette Punkte, dazwischen wieder Fleckchen von der Farbe der sanften Morgenröte angefangen bis zum intensiven Zinnober. Und das war alles in lieblicher Unordnung durcheinandergemischt.

Jörgls Äuglein, die stets in feuchtem Glanze schimmerten, saßen wie auf Stielen und quollen zwischen den beständig entzündeten Lidern stark hervor. Den schütteren, grauen Schnauzbart trug das versoffene Männlein kurz geschoren. Die einzelnen Borsten standen in einem rechten Winkel von den gedunsenen Lippen ab und sahen bewundernd zur Nase auf. Seine Ohren und Hände waren blau, ebenso die Wochentage allesamt, nicht etwa nur der Montag.

Der Jörgl war einmal ein wohlhabendes Bäuerlein gewesen. Er hatte drei, wenn auch kleine Höfe sein eigen genannt. Jetzt war er mit dem dritten bald fertig. Alles verschlang die ausgedörrte Leber. Wenn der Jörg überhaupt jemals klagte, so hatte er dafür seinen stereotypen Spruch: »Jetz han i nacher drei Höf versoffen und noch alleweil Durst!« Oft und öfter stiegen ihm bange Gedanken auf, wie das noch enden werde. Das versauerte ihm den Wein, aber er trank ihn doch. Früher hatte er getrunken aus Lust und Liebe zum Wein, jetzt trank er aus Schwermut. Im Grunde blieb sich das gleich. Er purzelte jetzt ebensogut in seinem täglichen Dampf auf der Straße herum wie in früheren Zeiten, aber er verhielt sich nicht mehr so schroff ablehnend gegen wohlmeinenden Zuspruch. Als einmal die Bußprediger ins Dorf kamen und alles in die Kirche lief, schlich sich auch der Jörgl mit seiner durstigen Kehle ein. Er blieb ganz hinten bei der Kirchtür stehen, denn er war einer von den Feuerscheuen, die sich hart neben dem Ausgang aufstellen, damit sie gleich draußen sind, wenn es zu brennen anfängt. Ganz bescheiden an die Wand gelehnt, horchte der Jörgl dem Prediger zu. Aber er verstand keine Silbe, denn die Kirche war von schlechter Akustik. So hielt er die Hand ans Ohr, um besser zu hören. Als er auch jetzt noch nichts auffaßte, benutzte er seinen Hut als Schalltrichter. Nun fing er endlich ein Wort auf; das hatte wie Trunkenbold geklungen. Da war es mit seiner Bescheidenheit aus. Breitspurig schob er sich vor. Nach allen Seiten drängte er die Leute auseinander und wer nicht weichen wollte, bekam eins mit dem Ellenbogen.

Jetzt, da der Bußprediger von den Trunkenbolden sprach, fühlte der Jörgl seine eigene Sache abgewandelt. Nachdem er sich bis unmittelbar unter die Kanzel vorgearbeitet hatte, blieb er stehen und lauschte. Von Zeit zu Zeit ließ er seine Stielaugen feindselig und verächtlich über die Menge hinschweifen. Er betrachtete sie alle als fremde, unberechtigte Eindringlinge.

Der Prediger sprach scharf. Kalt und heiß wurde es dem Jörgl von seinen Worten. Und je länger er lauschte, desto mehr fühlte er jetzt eigentlich seine Nichtswürdigkeit. »A recht elendiger, verblitzter Kerl bin i, verlottert und versumpft, wo mich nur die Haut anrührt!« Das war seine eigene Meinung. Zerknirscht ließ er seinen Kopf sinken. Aber zwischendrein überkam ihn wieder der Stolz. Hochmütig reckte er dann seine Kupfernase zur Kanzel empor, damit sie der Prediger sehen und sich freuen sollte, daß es da unten nicht lauter naseweise Leute gäbe, sondern auch erfahrene Männer, die ihn verstünden und imstande wären, das nachzufühlen, was er spräche.

Als der Geistliche darauf zu reden kam, wie die Trunksucht Hab und Gut verschlinge, da seufzte der Jörgl beklommen und nickte gar verständnisinnig, »’s dritte Höfl in der Arbeit und noch alleweil Durst!«

Man solle dem guten Engel folgen und nicht dem Teufel, der einen immer und immer wieder hineinziehen wolle in den Sumpf. Zuerst koste es eine große Überwindung, aber bei gutem Willen müsse es schon gehen. »Es muß gehn«, dachte sich der Jörgl, »der Lamblwirt ist der Sumpf; für geh ich heut, und wenn i vor Durst zsammfalln sollt! Will doch sechn, ob i mich nit derzwingen kann!«

Das war sein fester Vorsatz, als er, beständig mit dem Kopfe schüttelnd, zur Kirchtür hinauswackelte. Dieses Schütteln fiel den Leuten auf, und einer von den »Feuerscheuen« im Hintergrunde raunte ihm ins Ohr: »Was hast denn, Jörgl?«

Der Jörgl schaute den Frager mit tiefer Schwermut an und meinte dann traurig: »Was werd i denn habn? Durst han i, aber i trink nix!« Und dabei blickte er scheu zum Lamblwirtshaus hinüber, das keine zwanzig Schritt weit von der Kirche stand. Das war der Sumpf, an dem er vorüber mußte.

Wie er mit seinem Vorsatz im Herzen über die Straße trottete, merkte er schon, wie sich in seinem Innern der gute Engel und das Teufelchen um seinen Durst stritten. Das war ein Gewirr und Geschwätz durcheinander, daß dem Jörgl Hören und Sehen verging. »Engl, sei stad, und Tuifl, du aa!«

Das Engelchen bat in einschmeichelndem Tone um das Wort.

Der Jörgl schlug es rundweg ab. »Stad bist!«

»Zuerst soll das Teufele redn! Er hat’s Vorrecht, mit ihm bin i besser bekannt!«

»Also, du sagst, i soll einigehn ins Wirtshaus? Gar nit dumm gredt! Warum soll i einigehn? Weil i an’ Durst hab, sagst? An’ Durst han i, dös stimmt!«

Da meldete sich das Engelchen: »Trink a Wasser, Jörgl!«

»Dös geht nit, da krieg i gleich die Wasserspeibn!«

»Und wenn du an’ Wein trinkst, kriegst wieder an’ Rausch!« warnte der gute Engel.

»Dös ist wahr!« meinte nachdenklich der Jörgl.

»A Räuschl ist besser als a Fieber!« gab das Teufelchen zurück.

Da schmunzelte der Jörgl. »Das Tuifele ist kein heuriger Has!«

»Jörgl, es ist Sünd«, lispelte der gute Geist.

»A Räuschl in Ehrn hat Gott und die Welt gern. Denk auf den Noah, Jörgl«, sprach der Versucher.

»Akkrat aso ist’s«, bestätigte der Jörgl. »Ja, ja, der Noah hat vor lauter Rausch gar nimmer ins Bett einigfundn! So steht’s in der Bibel!«

»Geh, Jörgl, tu dich überwinden«, flehte der Engel wieder.

»Dös möcht i gern!«

Er war hart bis ans Wirtshaus gekommen und blieb unschlüssig vor der Tür stehen.

»Jörgl, denk auf den Wirt! Er hat ein Weib und acht Kinder, die wolln alle lebn«, meinte der Teufel.

»Da wär ich ja auf die Weis a Lump, wenn i nit einergang«, fuhr der Jörgl auf. »Die armen Hascherln! Solang i auf der Welt bin und an’ Kreuzer Geld han, sollen die Kinder kein Hunger leidn!«

»Jörgl, zeig an’ gutn Willen!« bat eindringlich der Engel.

»An’ gutn Willen han i schon, und an’ Eselsdurst dazue! Mehr brauch i nit!« polterte der Jörgl und machte einen Schritt gegen die Tür.

Da kicherte das Teufelchen schadenfroh.

Der Engel aber gab seine Sache noch nicht verloren.

»Jörgl«, flehte er, »grad ein einzigs Mal tu mir den Gfallen und geh vorbei, i bitt dich! Wirst sehn, wie wohl und selig du dich fühlst, wenn du dich ein einzigs Mal überwunden hast.«

Der Jörgl schwankte. Ein Weilchen stand er unschlüssig da mit seinem guten Vorsatz und seinem Eselsdurst. Dann schrie er plötzlich: »I tu’s! I geh vorbei!«

Aber als wenn das Lammwirtshaus ein großer Magnet gewesen wäre und der Jörgl ein Häufchen Eisenfeilspäne, es zog ihn mit magischer Kraft immer näher zur Tür. Der gute Engel versuchte, väterlich mit sanftem Ruck dem seelenstarken Jörgl nachzuhelfen und ihn in gerader Richtung mit der Straße zu erhalten. Der Jörgl merkte selbst mit Entsetzen, wie ihn eine unsichtbare Gewalt immer näher gegen den Sumpf hin zerrte.

Er stemmte sich mit seinen Säbelbeinen dagegen. Heute wollte er nicht mehr nachgeben.

Wie er da diesen schweren Seelenkampf ausfocht und schon nahe daran war, zu unterliegen, kam ihm plötzlich ein rettender Gedanke. Entschlossen riß er seinen Hut vom Kopf und warf ihn am Wirtshause vorüber weit über die Straße. Der Wind tat ein übriges und trug ihn noch ein Stück weiter. Nun mußte er am Wirtshaus vorbei. Wie er den Hut wieder eingefangen hatte, da durchschauerte den versoffenen Jörgl ein wonniges Gefühl. Verächtlich blickte er nach dem Wirtshaus zurück.

»Auskommen bin i«, murmelte er selig. »Engele, du hast nit glogen! Wie wohl mir jetz ist, dös kann i kein Menschn sagn! An’ gutn Willen braucht’s, sonst nix! Hätt’s nicht gmeint, was ich für a wütige Kraft in mir han! Respekt vor dir, Jörgl! Weil du heut so ausnahmsweis brav gwesen bist, zahl i dir a halbe Spezial!«

 

Mit festen Schritten ging er dem Wirtshaus zu. Weder dem Engel noch dem Teufel schenkte er mehr Gehör. Er war ganz im Bewußtsein seines eben errungenen Sieges aufgegangen. Diese Tat verdiente Belohnung. Und die beste Belohnung dünkte dem Jörgl ein Weindl.