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Der Neue aus der 1B

Eine der vermummten Gestalten karrt mich mit samt meinem Gefängnis in ein anderes Zimmer, das vollgestopft ist mit modernster Technik. Ich bin stark überwältigt und glaube schon, auf einem fremden Planeten gelandet zu sein. Hier hängt ein Apparat neben dem anderen an der Wand und blinkt oder piept. Für einen Moment vergesse ich glatt meinen Kummer, aber nur kurz. Denn selbstverständlich dient dieser ganze Kram auch nur der Überwachung.

Wie es weitergeht, mal sehen. Da kann ich nur abwarten.

Die Vermummte geht aus dem Raum und lässt mich allein zurück. Doch ich bin gar nicht allein. Vor mir gab es schon einmal ein Opfer. Der Wicht ist in etwa so groß wie ich und liegt ebenso gefesselt im Kerker. Seine Zelle hat die Nummer 1A, meine die 1B.

Ich möchte wetten, dass der auch aus seinem Apartment geflogen ist. Der liegt da wie tot. Wahrscheinlich wurde der genauso verprügelt und gefoltert wie ich. Hab versucht, ihn danach zu fragen, aber der gibt keinen Mucks mehr von sich. Den haben sie echt platt gemacht.

Wie ich sehe, bin ich in meiner Zelle nicht der Einzige. An meinem Fußende sitzt ein Knirps. Der ist noch kleiner als ich. Dafür hat er wesentlich mehr Haare. Ich dachte, ich hab schon jede Menge davon. Natürlich nur auf dem Kopf. Doch der hat überall welche, sogar im Gesicht. Voll die Fellfresse. Einen Knopf im Ohr hat er auch. Ist vielleicht so was wie ’ne Häftlingsnummer.

Ich glaube, ich weiß jetzt, warum der so viele Haare hat. Er ist nämlich echt alt, obwohl er kleiner ist als ich. Der hat schon Stimmbruch. Hab ihn nach seinem Namen gefragt. Den hat er mir in einem ganz tiefen Bass zugebrummt. Er heißt Teddy und ist jetzt mein Freund.

In der anderen Ecke hockt noch jemand. Eine Birne. Die ist aus Plüsch und hat riesengroße Augen. Freundlich ist sie auch, denn sie singt ein Lied für Teddy und mich. La-Le-Lu oder so ähnlich. Das finde ich nett, macht nur entsetzlich müde.

Ich bin noch keine fünf Minuten hier, da geht die Tür auf und so eine Tante im weißen Kittel kommt herein. Sie hat jemanden im Schlepptau. Die beiden schauen in meine Richtung und steuern dann direkt Zelle 1B an. Na prima.

Sie tragen zum Glück keine Masken und ich sehe, die Tante lächelt mich an. Ich fühle mich gleich viel wohler. Prügel gibt es demnach keine.

Die andere Person ist ein Mann. Ich mustere ihn von oben bis unten. Er trägt keinen weißen Kittel und ist mir deshalb sofort sympathisch. Mein Blick bleibt an seinem Gesicht hängen. Boah, das ist triefend nass. Hat der vergessen sich abzutrocknen? Nee. Stopp mal. Der heult, oder?

»Hallo, mein kleiner Schatz«, würgt er hervor.

Moment! Die Stimme kenne ich. Das ist doch dieser Typ. Etwa mein Papa?

»Ich bin dein Papa.«

Ich hab’s gewusst. Aber warum hört er nicht mit dieser Heulerei auf? Ist doch albern. Ich überlege. Hat er vielleicht vorhin schon geheult, als er ins Zimmer kam? Nein, hat er nicht. Erst, als er mich gesehen hat. Es muss demzufolge an mir liegen. Oje, mir schwant Schlimmes. Bin ich etwa so hässlich?

»Gebt mir einen Spiegel«, schreie ich, »sofort!«

Natürlich schert sich niemand um meinen Wunsch. Warum bin ich hier prinzipiell von lauter Ignoranten umgeben?

Ungefragt packt diese Tante im weißen Kittel meine neue Freundin Plüschbirne am Schlafittchen und zieht einfach an dem Faden, der an ihrem Po hängt. Feingefühl hat die nicht gerade, denke ich mir. Das hat Birne bestimmt wehgetan, denn plötzlich jault sie ein Klagelied vor sich hin.

Ich will sie verteidigen. Als ihr Freund fühle ich mich dazu verpflichtet, doch vor lauter Kabeln komme ich nicht vom Fleck. Birne ist die Einzige, die durch ihr Gejaule unser Schicksal öffentlich laut bekannt gibt.

Papa heult immer noch. Und solidarisch wie ich bin, heule ich einfach mit. Unsere erste Gemeinsamkeit. Wir sind eindeutig Papa und Sohn. Beide schniefen wir um die Wette, grinsen uns aber letztendlich an. Na ja, ich nicht, nur Papa grinst. Ich muss meine Gesichtsmuskeln erst trainieren. Seit ich auf der Welt bin, hatte ich noch nicht viel zu lachen. Doch das wird sich nun ändern, denn mein Papa ist da und holt mich hier raus.

»Wie soll das Baby eigentlich heißen?«, fragt diese Tante im weißen Kittel meinen Papa.

»Meine Güte«, sage ich zu ihr. »Von welchem Planeten kommst du denn? Was ’n das überhaupt für ’ne Frage. Ich heiße Baby-Schatz. Vorname Baby, Nachname Schatz. Ist das soweit klar?« Dabei verdrehe ich gekonnt meine Augen.

»Er wird Fritz heißen«, antwortet darauf Papa. »Ach nein, Franz, äh, ich meine Fratz. Ich bin ganz durcheinander«, sagt er und kichert.

»Hä? Das nennst du durcheinander? Ich bin wohl im falschen Film. Drehst du jetzt durch? Das werde ich der Mama sagen, kannste aber glauben.«

Meine Meinung scheint ihn nicht zu jucken.

Seit Monaten sagen meine Eltern Baby-Schatz zu mir. Und plötzlich soll ich einen anderen Namen bekommen, von denen einer blöder ist als der andere.

Ich rede mir ganz fest ein, dass mein Papa die Tante im weißen Kittel bloß veralbern will.

Meine Hoffnung schwindet. Mein Papa ist tatsächlich völlig neben der Spur, denn er dreht sich um und verlässt wortlos den Raum. Ich will ihm hinterherrufen, bekomme aber keinen Ton heraus. Ich bin total sprachlos. Er wollte mich mitnehmen und jetzt hat er mich einfach vergessen. Na, wenn das die Mama mal spitzkriegt.


Bio von der Tanke gegen Prügel

So langsam gewöhne ich mich an meine neue Umgebung. Nur das Purzelbaum schlagen im Wasser fehlt mir sehr. Sonst habe ich alles, was ich brauche. Ich werde mich also nicht beschweren.

Es ist warm in meiner Zelle und wenn ich Durchfall habe, kann ich sogar problemlos weiteratmen. Meist kommt schon kurze Zeit darauf eine von den Tanten im weißen Kittel und putzt mir den Po. Das ist wirklich sehr praktisch.

Ebenso der Futterservice. Der läuft hier reibungslos und ist große klasse. Die Fruchtwasser-Plörre ist ab jetzt Geschichte. Ich trinke nur noch hundertprozentige Bio-Milch. Alle vier Stunden wird frische Ware angeliefert. Weder pasteurisiert noch homogenisiert. Und vor allem ist sie ohne Zusätze. Das ist aber noch nicht alles. Das Ganze gibt es nämlich in der Vollfettvariante. Ich kann es mir leisten.

Wie jeder echte Kerl trinke ich nur aus der Flasche. Ich kann kaum genug davon bekommen und verlange immer mehr. Das Zeug ist aber auch ’ne Wucht.

Ich sehe, wie eine Tante im weißen Kittel den Raum betritt und bin sofort aufgeregt. Gleich gibt’s Nachschub. Die vier Stunden sind vorbei und es ist Zeit für meine nächste Ration.

»Nee, das kann jetzt nicht dein Ernst sein.«

Ich bin enttäuscht. Als sie näherkommt, sehe ich, ihre Hände sind leer.

»Wo ist mein Futter!«, brülle ich sie energisch an.

Das scheint sie selbst nicht zu wissen, denn mehr als ein Lächeln hat sie dazu nicht zu sagen. Dann öffnet sie den Deckel von Zelle 1B. Was hat sie vor? Schon fliegen ihre riesigen Pranken auf mich zu. Sie packt mich und holt mich nach draußen. Zum ersten Mal. Ich bin verblüfft, wie groß die Welt doch ist, so außerhalb meiner Zelle.

Wie ein Geschenk wickelt sie mich in eine Decke und in unzählige Tücher. Aber schließlich ist fast Weihnachten. Und ich denke mir, wahrscheinlich waren das soeben meine letzten Sekunden in Zelle 1B. Schätze mal, ich werde verschenkt oder verkauft. Und obwohl ich vermute, hier in einen Menschenhändlerring geraten zu sein, bin ich dennoch froh, aus der 1B herauszukommen.

Teddy und Birne bleiben allein zurück. Sie haben Abschiedstränen in den Augen.

»Macht’s gut, meine treuen Freunde«, rufe ich. »Ich werde euch vermissen.«

Die Tür fällt ins Schloss. Leider kann ich nicht mehr hören, was Teddy darauf antwortet. Und Birne, die singt sicherlich noch immer ihr Schlaflied. Das hat sie vorhin schon getan. Danke, liebe Freundin.

Ich werde in einen anderen Raum gebracht. Der ist riesig groß. Hier sehe und höre ich weder blinkende noch piepsende Apparate. Auch die Wände sind nicht weiß und kahl, sondern bunt. Wo bin ich?

Weiter hinten an der Wand steht ein Bett. Die Tante im weißen Kittel bringt mich dorthin. Darin liegt jemand. Eine Frau. Ich sehe sie an und weiß sofort, wer das ist. Meine Mama. Sie ist also diejenige, die mich als Geschenk zu Weihnachten bekommt.

Ich bin gerührt. Zehn ganze Monate haben wir zusammen verbracht und sie ist mir nicht ein einziges Mal von der Seite gewichen. Dann kamen die Maskierten und haben uns gewaltsam voneinander getrennt. Ach, wie sehr ich sie doch vermisst habe, meine liebe Mama. Ab jetzt bleiben wir für immer vereint.

Mama hat mich noch nie gesehen, das ist heute ihre Premiere. Hoffentlich findet sie mich nicht genauso hässlich wie Papa. Vorsichtshalber ziehe ich mir eins von den Tüchern vors Gesicht. Sie soll erst einmal nur meine Stimme hören. Sicher ist sicher. Damit sie mich aber auch wirklich wiedererkennt, trällere ich mal eben laut eines ihrer Lieder, die sie mir früher immer vorgesungen hat.

»Schön ist es auf der Welt zu sein …«

Prompt reißt sie mich in ihre Arme. Dabei verrate ich ihr, dass sie mich glücklich macht und wie sehr ich sie vermisst habe. Ich will ihr auch sagen, was in diesem Laden hier abgeht. Vor allem, dass die Neugeborenen gefoltert werden.

Nur dazu komme ich leider nicht. Schuld daran ist die Tante im weißen Kittel. Entweder ist sie auf Mama und mich eifersüchtig oder sie will mich eiskalt zum Schweigen bringen und den ganzen Schlamassel vertuschen. Denn so wie ich zum Sprechen ansetze, stopft sie mir plötzlich den Mund mit einem Zapfhahn.

 

»Davon lasse ich mich nicht beeindrucken«, würge ich undeutlich hervor.

Zumindest im ersten Moment ist das mein Gedanke. Im zweiten werde ich dann doch schwach und vergesse all meine Vorsätze. Ich spüre den ersten Tropfen und schmecke fette, gehaltvolle Bio-Milch. Meine Milch! Erfreut stelle ich fest, Mama ist meine ganz persönliche Tankstelle. Was bin ich nur für ein Glückspilz.

Es gibt etwas, woran ich mich wohl nie gewöhnen werde. Nach jeder Mahlzeit, wenn ich satt und zufrieden bin, brauche ich zunächst dringend ein kurzes Nickerchen. Aber das gönnt mir keiner von denen. Irgendeiner kommt nach dem Essen immer und verprügelt mich. Das eine Mal ist es eine von diesen Tanten im weißen Kittel, das andere Mal sogar Mama, manchmal auch Papa. Warum? Das weiß ich doch nicht. Sie können es einfach nicht lassen.

Ich habe noch einmal gründlich darüber nachgedacht. Deren Verhalten widerspricht sich vollkommen. Wenn ich also meine Bio-Mahlzeit komplett leertrinke, lächeln sie und loben mich. Aber unmittelbar danach werden die grundlos sauer und es hagelt Schläge auf meinen Rücken. Erinnert mich bissel an Dr. Jekyll und Mr. Hyde.

Mir wird jedes Mal schlecht davon. Sie lassen mir nicht einmal so viel Zeit, bis ich mein Essen verdaut habe. Deshalb übergebe ich mich manchmal auf ihr frisches, weißes Tuch, während sie mich verprügeln.

»Das ist nur eure Schuld«, schreie ich dann frustriert. »Schade um das schöne Essen.«

Meistens schaffe ich es aber, mich zu beherrschen. Bis auf einen Rülpser, der rutscht mir regelmäßig heraus. Anfangs war mir das sehr peinlich. Rülpsen zählt bei Herrn Knigge nämlich nicht gerade zu den guten Manieren bei Tisch. Doch genau das finden die Tanten im weißen Kittel, Mama und Papa großartig. Wenn ich aus meinem Bauch solch einen ordentlich lauten Ton heraufhole, hören die sofort auf, mich zu verdreschen. Die loben mich sogar dafür. Kaum zu glauben, aber wahr.

Der Knigge von denen stammt wohl aus dem Mittelalter? Total krass. Verstehe da einer die Erwachsenen.

Ich befürchte, die wissen einfach nicht, was sie wollen. Vielleicht ist das auch normal hier und ich bin bloß im falschen Jahrhundert gelandet. Ach herrje, dann gehört das womöglich zum guten Ton. Aber das werde ich noch herausbekommen.


Ich bin ein Geschwisterkind

Juhu! Teddy, Birne und ich sind auch weiterhin gute Freunde. Wir haben uns kürzlich wiedergefunden und sind uns sogleich stürmisch in die Arme gefallen. Bis auf Birne, die hat keine Arme.

Das war an genau dem Tag, als mich die Tante im weißen Kittel wie ein Weihnachtsgeschenk verpackt und an Mama verschenkt hat. Mama hat mich daraufhin wieder ausgepackt und wir haben eine Weile zusammen gekuschelt. Das war voll schön. Danach habe ich von ihr sogar noch Bio-Milch bekommen. Dabei hat sie zu mir gesagt, ich sei das hübscheste Baby, das sie je gesehen hat. Mann, war ich froh darüber. Nicht auszudenken, wenn sie auch noch losgeheult hätte wie Papa.

An diesem Tag hat mich Mama das erste Mal gesehen. Allerdings glaube ich, sie ist sich noch nicht ganz schlüssig, ob sie mich behalten will, denn ein paar Minuten später tauchte die Tante im weißen Kittel auf. Mama hat mich ihr zurückgegeben und ich musste wieder in meine Zelle.

Jetzt bin ich noch immer in der 1B, gemeinsam mit meinen Freunden Teddy und Birne. Die Regeln haben sich inzwischen gelockert und der ganze Laden läuft etwas entspannter. Ich darf Besuch empfangen, so oft ich will. Zwar werden ausschließlich nur Mama und Papa hereingelassen, aber das ist nicht weiter schlimm. Meine Fans habe ich trotzdem. Sie lassen sich nicht so einfach abwimmeln und dringen bis zur Eingangstür vor. Ich sehe sie jeden Tag, wenn sie ihre Nasen an der Scheibe plattquetschen. Dazu grölen sie und winken mir zu. Ein tolles Gefühl, berühmt zu sein.

Mama kommt mich ziemlich oft besuchen. Das liegt sicher daran, dass sie ebenfalls in diesem Krankenhaus wohnt. Im Gegensatz zu mir darf sie jedoch ihre Zelle verlassen.

Der Papa wohnt nicht hier, denn er lässt sich nur ein Mal am Tag bei mir blicken. Mittlerweile hat er sich an mein Aussehen gewöhnt. Er heult nicht mehr, wenn er mich sieht.

Mama sitzt oft vor der 1B und hält meine Hand. Das gibt mir ein gutes Gefühl und ich bin nicht so allein. Alleinsein bin ich nicht gewöhnt, ich mag es nicht. Als ich im Apartment to go gewohnt habe, war sie immer den ganzen Tag bei mir.

Ich komme nach meiner Mama. Sie sagt, ich sehe ihr total ähnlich. Den kleinen Schmollmund hätte ich eindeutig von ihr. Das finde ich nicht. Ich meine eher, die einzige Gemeinsamkeit, die wir haben, besteht darin, dass wir beide Haare auf dem Kopf haben. Und auch nur dort.

Bei Papa ist das anders. So wie er möchte ich nun wirklich nicht aussehen. Er hat überall Haare. Jede Menge. Erinnert mich ein bisschen an meinen Freund Teddy. Nur so gut brummen kann er nicht, doch das ist nicht weiter schlimm.

»Ach, du liebes bisschen!«, rufe ich.

Schlagartig bröseln mir die Schuppen vom Kopf. Auf diesen Schreck brauche ich erst einmal dringend meinen Schnuller. Ich muss mich beruhigen. Hektisch suche ich nach ihm. Wo ist das verdammte Ding bloß? Ich schreie wie am Spieß, bis eine von den Tanten im weißen Kittel auftaucht.

»Ich will meinen Schnuller. Sofort!«, brülle ich sie an.

Sie hilft mir rasch beim Suchen. Wenigstens so viel Anstand hat sie. Ansonsten lässt sie sich von meinem Geschrei nur wenig beeindrucken und bleibt die Ruhe selbst. Da muss ich sagen, das finde ich höchst dreist. Aber immerhin findet sie das Ding und gibt es mir.

»Danke, kannst jetzt wieder abdampfen«, knurre ich sie an, was sie auch umgehend beherzigt.

So langsam beruhige ich mich von dem Schreck. Ich weiß jetzt nämlich, warum Teddy die ganze Zeit neben mir liegt. Er ist auch ein Kind von Papa. Ich bedecke mein Gesicht mit beiden Händen. Ungläubig schüttle ich den Kopf und kann es kaum fassen. Sind wir gar Zwillinge?

Ich verstehe nun die Hintergründe. Wie ich darauf gekommen bin? Na ist doch ganz einfach. Ich habe eins und eins zusammengezählt. Also: die Mama sagt, ich komme nach ihr. Der Grund dafür, mein Apartment war in ihrem Bauch. Klar soweit? Meine Schlussfolgerung daraus: Teddy war in Papas Bauch, denn mit den vielen Haaren kommt er eindeutig nach ihm. Demnach ist Teddy mein Bruder und wir sind Geschwister. Das ergibt Sinn.

Ich glaube, Mama arbeitet hier. Zumindest hat sie den Job von den Tanten im weißen Kittel übernommen, seit sie mich geschenkt bekommen hat. Aber vielleicht sind Mamas auch nur dazu da, um ihren Kindern als persönliche Assistentin zu dienen.

Das Gleiche sehe ich bei den anderen Babys. Jedes hat seine eigene Mama, einschließlich privater Zapfsäule mit Bio-Milch.

Wenn ich mit dem Essen fertig bin, putzt sie mir den Po und entfernt den stinkenden Haufen aus meiner Windel. Wie der da wohl reinkommt?

Bei Teddy macht sie das nicht, er ist Papas Kind. Papa hat Teddy noch nie den Po geputzt. Er trägt nicht mal eine Windel. Einen Haufen habe ich bei ihm bisher auch noch nie gesehen, das ist sehr merkwürdig. Ich muss unbedingt herausfinden, ob er den heimlich entsorgt.

Warum Birne bei mir in der Zelle ist, das weiß ich bis heute nicht. Sie kommt weder nach meiner Mama noch nach Papa. Ich nehme an, sie ist ein Findelkind. Das erklärt auch, warum sie den ganzen Tag heult und so komische Lieder summt, von denen Teddy und ich immer einschlafen. Ich kann sie trotzdem gut leiden.


Der schwarze Punker, mein neuer Freund

Wenn meine Mama bei mir vor der 1B sitzt, ist sie echt nett. Sie redet mit mir und streichelt mich. Ich finde es auch anständig, dass sie mich füttert. Das Einzige, das ich nicht ausstehen kann, sie schlägt mich nach dem Essen genauso wie die Tanten im weißen Kittel.

Ich bin mir sicher, das hat sie sich einreden lassen. Das war schon damals so, als ich noch im Apartment to go zu Hause war. Wir beide waren unzertrennlich, ein richtig gutes Team. Doch dann kamen Leute und haben sie bequatscht, sie solle mithelfen, dass ich ausziehe. Leider kein sehr willensstarker Mensch, darum hat sie mitgemacht. Das Gleiche ist wohl jetzt der Fall. Na ja, besser von ihr verdroschen zu werden als von den anderen, sage ich mir.

Allmählich wird meine Mama wieder die Alte. Gott sei Dank.

Sie kommt gerade auf meine Zelle zu. Heute besucht sie mich schon früh am Morgen. Darüber freue ich mich. Doch plötzlich tut sie etwas, das mich glatt umhaut. Was für ein Glück, dass ich schon liege. Sie öffnet einfach den Deckel von der 1B und hebt mich heraus. Das finde ich so super, dass ich vor Freude ganz laut schreie: »Ich bin ein Star, hol mich hier raus!«

Anschließend entführt sie mich klammheimlich in ihr Zimmer.

Als sie die Tür aufmacht, verschlägt es mir prompt die Sprache. Wow, denke ich, die muss stinkreich sein. Bin ich hier im Four Seasons? Die Mama hat in ihrem Zimmer so viel Platz, sie kann sogar um ihr Bett komplett herumlaufen, hat ein extra Badezimmer und eine Badewanne. Ist mir letztens gar nicht aufgefallen. An diesem Tag war ich aber auch sehr aufgeregt, denn da habe ich zum ersten Mal meine Mama erblickt.

Bei mir in der 1B habe ich gerade mal so viel Platz, dass ich ausgestreckt liegen kann. An Umherlaufen ist da nicht zu denken. Und mein Badezimmer ist nur eine Alternativlösung im selben Raum. Ich wohne sozusagen in einer All-in-one-Zelle. Ich habe eine Windel als Toilette, Feuchttücher statt Badewanne und all das spielt sich auf einem viertel Quadratmeter ab, auf dem ich auch noch schlafen muss.

Jetzt legt mich Mama auf ihr riesiges Bett.

»So mein kleiner Fratz, und das hier ist dein neuer Freund«, sagt sie.

Ich bin irritiert. Sie hat Fratz zu mir gesagt. Ist das zu glauben? Auf einmal nennt sie mich auch nicht mehr Baby-Schatz, genau wie Papa. Das hat er ihr eingeredet. Verdammt! Warum muss sie immer auf andere hören. Ich finde den Namen Fratz doof. Fratz-Schatz. Das klingt für mich eher nach ’nem schnellen Rührkuchen. Außerdem haben sie mal wieder entschieden, ohne mein Recht auf Mitsprache in irgendeiner Weise zu beachten. Das ist ganz schön gemein.

Moment mal, hat sie nicht gerade was von einem neuen Freund gesagt? Wen meint die denn, hier ist doch gar niemand. Aber grundsätzlich habe ich nichts gegen neue Freunde.

Vorsichtig schaue ich mich um. Und tatsächlich, ich bemerke einen Schatten aus dem Augenwinkel. Wo kommt ’n der so schnell her, frage ich mich. Liegt der schon die ganze Zeit auf Mamas Bett? Etwa länger als ich? Das gefällt mir nicht.

Ich drehe meinen Kopf und sehe ihn grimmig von der Seite her an. Im selben Moment jagt mir der Schreck durch die Glieder.

»Um Himmels willen, ein schwarzer Punker!«

Vor Entsetzen kreische ich auf, zwinge mich aber gleich wieder zur Ruhe, denn ich bekomme Mitleid. Er muss ein Brandopfer sein, denke ich. Deshalb ist er ganz schwarz und hat ’ne Glatze. Die paar restlichen weißen Fusseln auf der Stirn hat das Feuer wahrscheinlich nicht erwischt.

»Was is ’n dir passiert?«, frage ich ihn.

»Wieso?«, fragt der Verkohlte zurück.

Ich versuche es noch einmal. »Warum bist ’n du so schwarz, biste verbrannt?«

»Ach du meine Nase! Verbrannt?« Darüber lacht der schwarze Punker nur blöde. »Ich bin Pittiplatsch, der Liebe, ’n Kobold, aber kannst Pitti zu mir sagen.«

Pittiplatsch, der Liebe, dass ich nicht lache. Mein Mitleid verpufft schlagartig und ich weise ihn gleich in seine Schranken.

»Damit eins klar ist, Kohlebold. Das hier ist meine Mama und die hat nur mich lieb. Haste das kapiert?«

»Heul doch, platschquatsch. Im Übrigen heißt es Kobold und nicht Kohlebold.«

Na der hat vielleicht Nerven, mir zu widersprechen.


Jetzt kommt Mama zum Bett und nimmt mich auf den Arm.

»Siehste«, rufe ich ihm zu, »ich bin die Nummer eins. Es kann eben nur einen geben.« Frech strecke ich meine Zunge zu Pitti heraus.

 

Mama geht mit mir hinüber zur Badewanne. Klasse, die hat genau meine Größe. Muss sie extra für mich besorgt haben.

Als Erstes nimmt sie diese ganzen Abhördinger von meinem Körper. Das ist sehr schlau von ihr. So können mich die Tanten im weißen Kittel nicht aufspüren. Vorsicht ist besser als Nachsicht.

Dann hebt sie mich in die Wanne und taucht mich in das warme Wasser.

»Wuah!« Für einen Moment erschrecke ich gewaltig und schreie.

Puh, ist das nass. War das in Mamas Bauch auch so? Ich kann mich gar nicht mehr erinnern. Ich glaube, es ist einfach schon zu lange her. Doch ratzfatz bin ich wieder ganz in meinem Element und habe mich daran gewöhnt.

Ich finde Wasser einfach klasse und kann mich nicht mehr zurückhalten. Wie verrückt zappele ich in meiner neuen Wanne.

»Guck mal, ich kann schwimmen. Ich bin ein Fisch.«

Dabei spritze ich alles nass. Auch meine Mama bekommt eine volle Ladung ab. Wie es scheint, gefällt ihr das nicht so ganz. Denn sie verzieht ihr Gesicht und trällert schrill die Tonleiter. Das hohe C erreicht sie dann doch nicht.

Was soll ich dazu sagen, meine Schuld ist es nicht. Aber ich glaube, sie hat trotzdem ihren Spaß.

Danach trocknet sie mich ab und wickelt mich in eine Windel. Viel zu hektisch für meinen Geschmack, denke ich eben noch, schon wird mir klar, warum.

Ganz so taff, wie ich anfangs dachte, ist Mama leider doch nicht. Offenbar hat sie Schiss bekommen, weil sie mich aus der Zelle geholt hat, und hofft jetzt, dass es noch niemand bemerkt hat. Denn gleich nach dem Abtrocknen stöpselt sie wieder alle Kabel an meinen Körper und nimmt mich auf den Arm. Oje, ich ahne Schreckliches. Sie will mich wohl tatsächlich zurück in die 1B bringen. Das ist ein herber Rückschlag für mich und erschüttert mein Vertrauen in meine Mama.

Ich wehre mich heftig dagegen und setze alles daran, Mama zur Vernunft zu bringen.

»Angsthase, Pfeffernase, morgen kommt der Osterhase«, singe ich ihr ins Ohr.

Das ist nicht gerade sehr feinfühlig, ich weiß, aber genau meine Absicht. Blöderweise kümmert sie das gar nicht. Ihre Angst vor den weißen Kitteln ist stärker. Doch noch gebe ich nicht klein bei und ziehe ein letztes Ass aus dem Ärmel, okay, aus der Windel. Viel mehr trage ich nicht am Leib. Ich setze nun verbissen auf die Taktik: Beleidigte Leberwurst.

»Wieso darf der schwarze Punker bleiben und ich nicht!«

Dabei bäume ich mich voll auf und werfe Pitti über Mamas Schulter hinweg einen extrem strengen Blick zu. Einen, der sich so richtig gewaschen hat. Aber auch davon lässt sie sich nicht erweichen. Sie zieht ihr Ding gnadenlos durch und bringt mich zurück in Zelle 1B. Ich bin mächtig empört und fühle mich irgendwie diskriminiert.

»So geht das nicht«, rufe ich ein letztes Mal.

Als Antwort lächelt sie mich an und gibt mir einen Nasenstupser.

»So, kleiner Fratz, jetzt wird geschlafen.«

»Warum hier und nicht in dem großen Bett, so wie der Verbrannte?«, brülle ich ihr hinterher.

Doch Mama bleibt stur. Meine Meinung interessiert sie nicht. Ohne auf meine Frage einzugehen, schließt sie endgültig die Tür hinter sich und ich bleibe zurück. Schade. Wenigstens sind Birne und mein Zwillingsbruder Teddy bei mir und trösten mich.


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