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»Du meinst, ihr wollt, dass die Autopsie sofort gemacht wird.« Everson schürzte die Lippen, streichelte wieder seinen Schnurrbart und warf einen flüchtigen Blick auf die Tragbahre. »Es sieht recht sauber und ordentlich aus. Und heute ist Dienstag, und dienstags ist nie viel los. Ich ruf sofort an, wenn wir fertig sind.«

Die Männer folgten den Sanitätern und der Tragbahre, verließen lachend und redend den Raum. Taylor blätterte in seinen Notizen, Kate setzte sich auf den Rand des niedrigen Bücherschranks aus Teakholz und zog ihr Notizbuch heraus. Ohne aufzublicken fragte sie: »Hast du schon davon gehört?«

»Ja, hab ich. Ich dachte mir schon, dass es eine inoffizielle Absprache geben würde, dass der Täter sich schuldig bekennen und dafür eine milde Strafe zugesichert bekommen würde, aber eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung – verdammt, Kate –«

Sie hörte nicht mehr hin, nahm den Raum noch einmal in allen Einzelheiten in sich auf, während Taylor seine Hetzrede gegen den Irrsinn des Rechtssystems hielt. Sie war am Morgen vor Gericht gewesen, um in einem Fall auszusagen. Der Fall war auf Mai vertagt worden. Das Opfer war erst siebzehn gewesen, der Mörder zweiundzwanzig. Er hatte ein ellenlanges Strafregister, hatte schon Schwierigkeiten mit der Polizei gehabt, als Kate noch für Jugendkriminalität zuständig gewesen war. Er war typisch für die heutigen Kriminellen – und das beunruhigte sie mehr als die inoffizielle Absprache und die milde Strafe. Jünger, sie schienen immer jünger zu werden, waren lange drogenabhängig gewesen und waren es noch, und ihre Verbrechen ließen sie völlig kalt. Ohne Skrupel und ohne lange Überlegung begingen sie die brutalsten Grausamkeiten. Zwar stimmte es, dass die weibliche Kriminalität ebenfalls zunahm, aber sie hatte Hochrechnungen gelesen, nach denen sehr bald drei von vier amerikanischen Männern wenigstens einmal in ihrem Leben ein Gewaltverbrechen begangen haben würden … Die dünne blaue Linie von Männern und Frauen, die ihr Bestes taten, die Gesellschaft zu schützen und ihr zu dienen – wie sollten sie es schaffen, eine derartige Grausamkeit noch viel länger im Zaum zu halten? Nun, sie machte ihre Arbeit, und das war alles, was sie tun konnte. »Ed«, sagte sie schließlich schroff, »das ist erledigt.«

Er seufzte und sah auf seine Notizen. »Das hier war kein Selbstmord, Kate. Das hab ich im Gefühl. Und die Leiche sah ausgesprochen erstaunt aus.«

»Das stimmt«, gab sie zu. »Was haben wir bis jetzt?«

»Code drei, alle Einheiten um sieben Uhr zweiundvierzig alarmiert.« Taylor las sachlich-nüchtern aus dem Polizeibericht und seinen Notizen vor. »Code eins-acht-sieben, ein Verdächtiger im Gebäude. Das Gebäude wurde gegen acht Uhr abgeriegelt. Wir haben eine Liste aller Personen, die sich nach der Abriegelung in den oberen Stockwerken des Gebäudes aufhielten –«

»Wird uns viel bringen«, warf Kate bissig ein.

Taylor sah kurz auf und fuhr dann fort: »Ellen Rose O’Neil betrat das Büro gegen sieben Uhr zwanzig, hörte ein Geräusch, fand das Opfer etwa um sieben Uhr vierzig. Hat den Täter nicht gesehen …«

Taylors Notizen waren immer sehr sachlich und ausführlich, und Kate hörte konzentriert zu. Die Untersuchung des Tatorts war so gut wie abgeschlossen: Fotografien waren gemacht, Skizzen, Messungen, Beschreibungen waren angefertigt und Fingerabdrücke genommen worden. Den Beschäftigten war erklärt worden, dass es notwendig sei, von allen Fingerabdrücke zu nehmen, und alle hatten ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit erklärt. Kate machte sich kurze Notizen.

»Haare ordentlich, Körper leicht verdreht, aber Haltung des Rumpfes normal«, leierte Taylor herunter. »Augen geöffnet. Diamantring, Armbanduhr von Cartier, dreihundert Dollar in der Schreibtischschublade. Keine Unordnung außer Blutspuren auf dem Schreibtisch, wo die Hände des Opfers abgerutscht sind. Blutspuren an der Bar, von der linken Hand des Opfers, wie es aussieht.«

Kate ging um den Schreibtisch herum und schätzte die Entfernung und die Winkel zwischen dem Schreibtisch, dem Sessel und der umgestürzten Bar.

Taylor zog eine Skizze zu Rate, die auf einem Stuhl vor dem Schreibtisch ausgebreitet war. »Nach den Rollspuren zu urteilen, steht die fahrbare Bar normalerweise zwei Meter fünfundneunzig vom Schreibtisch entfernt; sie wurde auf einundsiebzig Zentimeter an ihn herangeschoben.«

Kate kniete sich neben der umgestürzten Bar hin, die mit Fingerabdruckpuder bedeckt war, klopfte mit ihrem Kugelschreiber ein wenig von dem Puder von den Griffen herunter und betrachtete die glänzenden, angetrockneten rotbraunen Blutspuren.

»An den Griffen sind Blutspuren«, sagte Taylor unnötigerweise. »Das weist darauf hin, dass das Opfer sich an der Bar festklammerte und sie dabei umriss.«

Sie nickte und rutschte auf den Knien weiter, untersuchte die Rollspuren im Teppich. Sie versenkte ihren Kugelschreiber in einem Paar tiefer Rillen. »Normalerweise steht die Bar genau an dieser Stelle. Wann wurde sie umgestellt? Warum? Warum steht die Bar um sieben Uhr morgens so dicht neben seinem Schreibtisch? Wir müssen die Putzfrauen fragen, wo die Bar gestern Abend stand.«

Taylor machte eine Notiz.

Sie stand auf, bürstete leicht über ihre graue Hose. »Ziemlich viele Fingerabdrücke auf der Bar.«

Taylor zuckte die Achseln. »Dutzende.«

»Was ist mit dem Inhalt des Schreibtisches?«

»Wir haben eine detaillierte Aufstellung gemacht. Nichts Ungewöhnliches dabei, außer dem Bargeld. Genauso im Schrank. Der Innendienstleiter sagt, es fehlt nichts. Allerdings ist er schwarz –«

»Noch was?«, fragte sie kurz. Taylors Rassismus, der bei jeder Gelegenheit zum Vorschein kam, war eine Quelle ständigen Ärgernisses für sie.

Taylor blätterte in seinen Notizen. »Zigarrenstummel und Asche. Zigarre scheint dem Opfer zu gehören, wir haben sie sichergestellt.«

Sie nickte und ließ ihren Blick noch einmal durch den Raum wandern: über die cremefarbene Ledergarnitur, den Glastisch, auf dem eine abstrakte Silber-Skulptur stand, das Bücherbord, das eine Ansammlung von Plaketten und Trophäen enthielt. Ihr Blick blieb etwas länger auf dem beschmutzten hellen Teppich haften, richtete sich auf die dunkler werdenden, mit Kreide umrandeten Blutspuren auf dem Ebenholzschreibtisch, der mit Fingerabdruckpuder beschmiert und, abgesehen von zwei in einem Marmorständer stehenden Füllfederhaltern, völlig leer war, und auf den riesigen Ledersessel, auf dem der bisherige Besitzer nun nie wieder Platz nehmen würde. Sie ging langsam zu drei schwarzgerahmten und signierten Fotos an der Wand hinüber und betrachtete sie. Fergus Parker, der Lyndon Johnson, Barry Goldwater und Richard Nixon die Hand schüttelte. Sie ging weiter zu einem Familienfoto, das auf dem Schrank stand. »Sind die Angehörigen benachrichtigt worden?«

»Ja, seine Frau. Dritte Ehe. Ein elfjähriger Sohn, eine dreizehnjährige Tochter, sind beide im Internat an der Ostküste. Der Innendienstleiter ist zu der Frau gefahren. Bestand darauf. Hansen hat ihn hingefahren. Die Frau hat ein hübsches Alibi. War von halb sieben bis um acht bei einer Nachbarin. Und ich glaube nicht, dass sie einen Profikiller angeheuert hat.«

Kate nickte. »Ich auch nicht, nein. Er hätte seine eigene Waffe benutzt. Und auf vertrautem, berechenbarem Gelände zugeschlagen.« Sie studierte weiterhin das Foto von Fergus Parkers Familie.

Taylor sagte: »Bringen viel Zeit mit umgebundenen Lätzchen zu, wie? Alle drei richtige Mastschweine, so wie er.«

Musst du gerade sagen, dachte Kate. »Was ist mit der O’Neil?«

»Nette Person. Einunddreißig. Gelassen. Attraktiv, intelligent. Ruhiges und entschlossenes Verhalten.«

Taylor räusperte sich taktvoll. Kate, die plötzlich auf der Hut war, sah ihn an, aber sein Blick war auf die Berge von Santa Monica gerichtet, die klar und leuchtend in der Ferne zu sehen waren. »Eine Mitbewohnerin kam. Eine Freundin.«

Lesbisch, dachte sie. Oder zumindest hält er sie dafür.

»Blieb eine halbe Stunde bei ihr, wollte, dass sie nach Hause ging, bestand darauf. Als sie ging, kochte sie vor Wut.« Er sah Kate an. »Sie ist Dozentin an der Universität von Los Angeles. Wirtschaftswissenschaftlerin.«

Sie mögen lesbisch sein, dachte Kate amüsiert, gehören aber offensichtlich nicht zu den Lesben, die das offen zugeben. Sie fragte unverblümt: »Besteht Tatverdacht?«

Taylors Grinsen kam schnell und einschmeichelnd. »Dann müsste sie reichlich fix wütend geworden sein. Sie ist neu hier, zweiter Arbeitstag. Oder sie hatte ihre Tage.« Er grinste wieder, zuckte die Achseln, als Kate nicht lächelte. »Wir werden viel Freude an diesem Fall haben, Kate. Dieser Fergus Parker war so beliebt wie Hitler. Als die Leute hier hörten, dass er tot ist, dachte ich schon, sie würden gleich Ringelreihen tanzen und ›Ding Dong, die Hexe ist tot‹ singen. Die Einzige, die traurig aussah, war seine Sekretärin –« Taylor sah seine Notizen durch. »Billie Sullivan. Sehr seltsame Person. Hat einen Gang wie ein Krebs.«

Kate lachte. »Diesmal ist es ein bisschen anders als sonst, Ed. Eine Stütze der Gesellschaft, nicht das Übliche, so wie MacKenzie am Freitag.«

Taylor schob seine fleischigen Lippen vor. »Mrs. MacKenzie ruft neunmal am Tag an. Ihr Mann bekommt auf dem Parkplatz der May Company einen Schlag mit einem Schraubenschlüssel ab, es gibt keine Zeugen, sie kann nicht verstehen, warum wir noch niemanden festgenommen haben. Typisch für diese Leute. Ich erkläre ihr, dass der Parkplatz der May Company nicht gerade mit Spuren übersät war, sie wiederholt ständig, sie würde schließlich Steuern zahlen.«

Kate sagte ungeduldig: »Verschwende nicht noch mehr Zeit mit ihr, lass Lieutenant Bell mit ihr reden. Was ist mit den Angestellten, die hier beschäftigt sind?«

 

»Sind ziemlich mit den Nerven runter. Arbeiten aber alle. Mehr oder weniger.« Taylor fuhr mit der Hand durch sein strähniges blondes Haar, hielt inne, um sich die Kopfhaut zu kratzen. »Der schwarze Innendienstleiter scheint ziemlich auf Draht zu sein. Hat alle beruhigt. Hansen hat die Aussage dieser O’Neil aufgenommen, ich habe mit ihr gesprochen, aber sie konnte uns nicht viel sagen –«

»Moment«, sagte Kate. »Lies noch mal vor, wie sie das Opfer gefunden hat.«

Taylor blätterte zwei Seiten zurück. »Sie war in der Küche, um sich einen Kaffee zu holen. Trat aus der Küche in den nördlichen Korridor, ging mit der Kaffeekanne in der Hand zum westlichen Korridor. Sie wollte Guy Adams welchen anbieten, der, wie sie dachte, im Haus sei. Hörte jemanden wegrennen, eine Tür schlug zu, die Geräusche kamen vom südwestlichen Teil des Korridors, dann hörte sie das Zerschmettern von Glas. Rannte den Korridor hinunter, sah das Opfer und ließ die Kaffeekanne fallen –«

»Gut«, sagte Kate. »Du sagtest, sie war in der Küche, um sich einen Kaffee zu holen. Wer hat den Kaffee gekocht?«

»Sie, nehme ich –« Taylor unterbrach sich. »Ich habe keine Notiz darüber, Kate.«

»Ich will die Kaffeekanne. Und das Glas hier drin. Ich möchte, dass die Kaffeekanne auf Fingerabdrücke untersucht wird. Ich nehme an«, sagte sie, die Worte sarkastisch betonend, während Taylor eifrig schrieb, »dass niemand die Papierkörbe der anderen Büros auf Styroporbecher untersucht hat, dass niemand festgestellt hat, ob auf den Schreibtischen Tassen mit noch warmem Kaffee standen?«

Taylor trat von einem Fuß auf den anderen. »Der Papierkorb in diesem Büro war leer. Im Waschraum der leitenden Angestellten war kein Blut zu sehen, aber wir haben eine chemische Analyse durchgeführt. Wir haben einige benutzte Papierhandtücher sichergestellt –«

»Vielleicht vom Opfer benutzt«, sagte Kate kurz.

»Ja, stimmt.« Taylors breites Gesicht war leicht gerötet. »Ich selbst habe eine Kaffeetasse auf der Ablage in der Küche gesehen, mit einer bunten Jagdszene drauf. Sie war leer. Wir können den anderen Abfall immer noch einsacken, Kate.«

Vermutlich ist es schwer, mit mir zusammenzuarbeiten, dachte Kate, aber die Leute können so verdammt blöd sein. »Denk doch mal nach, Ed«, sagte sie kalt, »was um alles in der Welt soll das jetzt noch bringen?« Nach einer Weile bedrückend zunehmenden Schweigens fragte sie: »Was ist mit der Presse?«

Taylors Stimme klang steif. »Kovich hat das erledigt.«

»Ed, erinnerst du dich an den Fall vor drei Monaten? An den Typen, der sich seinen Weg aus der Bank of America rausgeschossen hat?«

»Ja, oh Gott, ja, der verrückte Garcia.« Taylors Feindseligkeit milderte sich bei der Erinnerung. »Gott, das Chaos. Gott, die Zeugen.« Seine blauen Augen verdrehten sich in schmerzlicher Erinnerung. »Gott, der Papierkrieg.«

»Hier sind auch eine Menge Leute, Ed. Wir müssen schnell einen Ansatzpunkt finden, ein Muster, Verdachtsmomente.«

Taylor nickte. »Der Personalchef hat uns im Konferenzraum untergebracht. Wenn man die Rollos runterzieht, ist es ein phantastischer Vernehmungsraum.«

»Irgendwelche Vorschläge?« Das war nur teilweise ein Versuch, Taylor versöhnlich zu stimmen. Sie leitete die Ermittlungen, und sie hatte oft mit Taylor – der vor neun Jahren zum Kriminalbeamten befördert worden und seitdem auf dieser Stufe stehen geblieben war – in einem Ermittlungsteam zusammengearbeitet.

»Du wirst mit Ellen O’Neil und dem Innendienstleiter reden wollen. Dieser Fall sollte uns nicht allzu lange in Anspruch nehmen, Kate. Wer auch immer es getan hat, kannte diesen Burschen – das ist ziemlich klar. Und das heißt, der Mörder war ein Amateur. Und das heißt, wir werden ihn kriegen. Also werden wir die Arbeit aufteilen, schnell vorgehen. Du übernimmst die leitenden Angestellten, sie sind mehr dein Stil. Ich übernehme die anderen Beschäftigten. Wir werden jeden verhören, der auch nur im Entferntesten etwas damit zu tun haben könnte.«

»Gut.« Sie war zufrieden. »Ich werde erst mal mit dem schwarzen Innendienstleiter reden. Hat er auch einen Namen?«

»Einen Frauennamen«, wich Taylor aus und blätterte in seinem Notizbuch. »Gail. Freeman. Momentan ist er mit den anderen leitenden Angestellten im Konferenzraum. Sie überlegen, wie sie den Laden leiten sollen, bis der Hauptsitz der Firma einen neuen Chef ernennt.«

Kate begleitete Taylor bis zu einer Tür mit dem Schild Konferenzraum. Durch die Tür war gedämpftes Gelächter zu hören. Sie sagte mit leichter Ironie: »Sie halten anscheinend nicht direkt eine Totenwache für Fergus Parker ab.«

Sie klopfte und öffnete die Tür. Eine Frau und fünf Männer, einer davon schwarz, starrten sie mit schnell ernst werdenden Gesichtern an. Taylor sagte ungezwungen: »Das ist meine Kollegin, Detective Delafield. Sie wird die Ermittlungsarbeiten koordinieren.«

Kate, die sich des psychologischen Wertes ihrer Dienstmarke wohl bewusst war, insbesondere bei einer Gruppe von Menschen, zog das Lederetui aus ihrer Schultertasche und öffnete es mit einer schnellen Bewegung, so dass sie alle einen Blick auf Dienstmarke und Polizeiausweis werfen konnten.

»Gail Freeman.« Der Schwarze war sofort aufgestanden und beugte sich über den breiten, glänzenden Tisch, um ihr die Hand zu geben.

Schnell nahm sie eine erste Einschätzung vor: Nicht sehr dunkle Haut, ungefähr eins fünfundsiebzig groß. Ende dreißig bis Anfang vierzig – möglicherweise älter. Aufrechte Haltung, gewandtes Auftreten. Einfacher dunkler Anzug, gestärktes beigefarbenes Hemd, gedämpfte Krawatte. Kurzes, gut geschnittenes Haar. Polierte Nägel, fester Händedruck.

Er begann, die anderen vorzustellen, sie wandte ihre Aufmerksamkeit der Gruppe am Konferenztisch zu.

Fred Grayson, der ein grüngestreiftes Hemd und eine grüne Krawatte trug, rückte die Hornbrille über seinen eulenhaften haselnussbraunen Augen zurecht und stand auf, um ihr die Hand zu geben. Er nickte, sein Kopf eine Masse regelmäßiger Wellen dicken graubraunen Haars.

Harley Burton, dessen makellos weiße Hemdsärmel über starken, muskelbepackten Armen aufgekrempelt waren, ergriff ihre Hand und schüttelte sie herzhaft. Als er sich wieder setzte, zerrte er an einer schwarz-weiß gemusterten Krawatte und starrte sie mit stechenden dunklen Augen an.

Duane Fletcher fuhr mit der Hand ordnend über den dunklen Haarkranz, der seine kugelrunde Glatze umgab. Sein Händedruck war feucht, sein Lächeln schüchtern. Er trug ein leuchtend gelbes Hemd und eine Krawatte mit gelben und purpurroten Streifen.

Gretchen Phillips, dunkelhaarig, zierlich, sehr hübsch in einer hauchdünnen lila Bluse, nickte lächelnd. Ihre zarten Lippen waren mit blassem Lippenstift betont. Sie sah Kate mit kühlen blaugrauen Augen an, aufmerksam, abschätzend und neugierig.

Guy Adams’ Händedruck war warm und fest, und er hielt ihre Hand einige Sekunden länger als nötig. Sein Jackett und seine Krawatte waren creme-, sein Hemd kaffeefarben. Sie registrierte, dass er sein rötlich-blondes Haar sorgsam frisiert hatte, um zu kaschieren, wie dünn es war. Die grünen Augen blickten sie nicht direkt an. Er sieht aus wie aus einer Werbeanzeige der Brooks Brothers, dachte sie und versuchte erfolglos, eine spontane Abneigung zu unterdrücken.

Sie sagte: »Ich hoffe, dass Sie sich alle darüber im Klaren sind, wie wichtig es ist, dass Sie uns alle Informationen zugänglich machen und dass Sie sich nicht untereinander über den Fall austauschen, bis wir die Vernehmungen abgeschlossen haben. Jeder von Ihnen könnte eine Information von entscheidender Wichtigkeit –«

Ein scharfes Klopfen ertönte, und die Tür wurde aufgestoßen. Mit zunehmender Verblüffung starrte Kate die junge Frau an, die in den Raum geschlichen kam. Ein enger, wuscheliger, marineblauer Pullover bedeckte dünne, hängende Schultern und kaum wahrnehmbare Brüste. Nackte knochige Knie kamen unter einem zerknitterten Khakirock zum Vorschein, der die Umrisse spindeldürrer Oberschenkel erkennen ließ, die in ein hervortretendes Becken und einen vorgeschobenen Bauch übergingen. Ein spitzes Kinn ragte aggressiv nach vorn. Die Frau hatte einen Stoß Aktenordner achtlos unter den Arm geklemmt. Der Rauch einer Zigarette, die sie in der anderen Hand hielt, stieg nach oben.

»Detective Delafield, das ist Billie Sullivan«, sagte Gail Freeman mit ausdrucksloser Stimme. »Fergus Parkers Sekretärin.«

»Ein weiblicher Schnüffler«, krächzte Billie Sullivan und streckte ihre Hand aus. »Der Boss wäre verdammt sauer.«

Kate schaffte es, ein Lachen zu unterdrücken, aber lächeln musste sie trotzdem. Sie ergriff skelettdünne Finger, die sich wie trockene Zweige anfühlten. Vom Konferenztisch kam Gehüstel und Geräusper. Gretchen Phillips kicherte leise.

Billie Sullivan sagte: »Also, wie gefällt Ihnen die Modern Office-Methode, Beschäftigte loszuwerden?« Ihr Lachen klang wie das Zerspringen und Klirren von Glas.

Gretchen Phillips kicherte nochmals. Gail Freeman fragte streng: »Billie, haben Sie den Sonderbericht für Philadelphia fertiggestellt?«

»Fast. Den beschissenen Teil habe ich Ellie zum Tippen gegeben.« Sie fügte hinzu: »Die Büroidiotin, schreibt gerne Zahlen.« Diese letzte Bemerkung schien an Kate gerichtet gewesen zu sein, aber Billie Sullivans weit auseinanderstehende grünliche Augen sahen in zwei verschiedene Richtungen, und Kate war nicht ganz sicher. Billie schob ihr büscheliges, karottenfarbenes Haar aus der blassen, sommersprossigen Stirn und zog an ihrer Zigarette, ihre Wangen wirkten durch den Sog wie ausgehöhlt. Zischend stieß sie einen dünnen Rauchstrom aus.

»Billie, pass mit der Asche auf diesem hellen Teppich auf«, warnte Fred Grayson.

Sie warf einen Blick voll unverhüllter Verachtung auf Fred Grayson, deponierte die Aktenordner in einem unordentlichen Stapel auf dem Tisch des Konferenzraums und schnippte, ohne mit der Wimper zu zucken, zentimeterlange Asche in ihre Handfläche. Dann machte sie zwei lange abgehackte Schritte, wobei ihr skelettartiger Körper sich in Form eines Fragezeichens zusammenkrümmte, und schüttete die Asche aus ihrer Handfläche in den Papierkorb. Sie hob einen Fuß mit einer dicken Sandale daran und drückte ihre Zigarette an der Reliefsohle aus, wobei Funken kaskadenartig herabstürzten. Sie warf die geschwärzte Kippe in den Papierkorb.

»Um Himmels willen«, murmelte Fred Grayson.

»Danke, Billie.« Gail Freemans Stimme klang distanziert und förmlich. »Bitte bringen Sie mir den Bericht, sobald er fertiggestellt ist.«

»Sicher. Sir«, fügte sie hinzu und grinste, wobei sie ein gelbes Wolfsgebiss enthüllte. Ein blaues Augenlid senkte sich über ein auf nichts Bestimmtes gerichtetes Auge. Kate konnte nicht einmal erraten, wem das Zwinkern gegolten hatte. Billie Sullivan trottete zur Tür und drehte sich um. »Es war eine Freude, Sie kennenzulernen, Lady Cop.« Die Tür schloss sich, und wieder war ein Geräusch wie zerspringendes Glas zu hören – Billie Sullivans Lachen.

»Gail«, sagte Fred Grayson, »diese … diese Frau …«

»Einer der ersten Punkte auf unserer neuen Tagesordnung«, sagte Gail Freeman kurz. Er erhob sich. »Warum verlegen wir die Konferenz nicht in dein Büro, Fred? Ich habe der Polizei diesen Raum versprochen.«

Guy Adams erhob sich augenblicklich. Gretchen Phillips sammelte die Aktenordner ein, die auf dem Tisch lagen. »Wenn Sie bitte noch bleiben würden, Mr. Freeman«, sagte Kate.

Die leitenden Angestellten strömten davon. Duane Fletcher blickte nervös über seine Schulter, als sei Gail Freeman ein Opfer, dem ein ungewisses, aber zweifellos schreckliches Schicksal bevorstand.

»Eine hässliche Sache, Mr. Freeman«, sagte Kate ruhig.

»Gail.« Freeman verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie offen an. »Das Schlimmste, was ich je gesehen habe, war der Kerl, der ohne Kopf und mit herausquellenden Eingeweiden in den Schützengraben fiel, in dem ich saß.«

Kate sagte sanft: »Ich war in Da Nang. Marineinfanterie, Nachschubkorps. Aber so etwas habe ich erst gesehen, als ich zur Polizei ging.«

»Pusan«, sagte Freeman und grinste über ihre Verwirrung. »Ein anderer Krieg. Korea. Ich bin älter, als ich aussehe.«

»Dreiundfünfzig, Kate«, sagte Taylor.

Taylor verschwendet bereits Zeit, dachte sie irritiert. »Mr. Freeman, wäre es möglich, uns außer diesem noch einen weiteren Raum zur Verfügung zu stellen?«

»Luther Garrett ist gestern nach San Francisco gefahren. Sein Büro ist hinten neben der Textverarbeitung.«

»Ich werde sein Büro nehmen, Kate«, sagte Taylor. »Wenn du mich brauchst, ich bin da drin und vernehme die Angestellten.«

 

»Wir können Sie ausrufen lassen«, sagte Freeman.

»Gut.« Sie entließ Taylor mit einem Kopfnicken. »Mr. Freeman, soweit ich weiß, war das Opfer Geschäftsführer dieser Zweigniederlassung. Wer leitet den Betrieb jetzt?«

»Offiziell niemand. Diese Entscheidung wird von Philadelphia aus getroffen, vom Hauptsitz der Firma. Das kann ein paar Tage dauern.«

»Verständlich. Aber hat niemand Fergus Parker vertreten, wenn er geschäftlich unterwegs oder im Urlaub war?«

Freeman schüttelte den Kopf. »Er war immer telefonisch erreichbar. Allerdings, wenn er fand, dass es nicht dringend genug war, machte er einen zur Sau.«

Kate grinste. »Vor Jahren habe ich mal für so jemanden gearbeitet. Wir nannten ihn den Unberechenbaren Kollegen.«

»Ich würde Fergus Parker nicht unberechenbar nennen, paranoid vielleicht«, sagte Freeman trocken.

»Das klingt, als hätten Sie nicht viel für ihn übrig gehabt«, sagte sie beiläufig und beobachtete ihn.

Freeman sah sie fest an. »Lassen Sie es mich so ausdrücken. Ich habe die Leiche identifiziert. Ich fand, das Messer stand ihm ausgesprochen gut.«

Kate räusperte sich energisch, um ein Lachen zu unterdrücken. »Es scheint Sie nicht sehr zu kümmern, ob Sie der Tat verdächtigt werden oder nicht.«

Freeman lachte kurz. »Ich bin nur einer von vielen.«

»Wirklich?« Sie steckte ihr Notizbuch in ihre Schultertasche, um ihn zum Reden zu ermutigen. »Wer sonst würde Fergus Parker gern tot sehen?«

Freeman schüttelte den Kopf und lehnte sich gegen den Tisch, Hände in den Hosentaschen. »Ich spreche nur für Gail Freeman. Ganz besonders unter den gegebenen Umständen. Ich höre zu, wenn geredet wird, aber ich verbreite keinen Klatsch.«

Sie erforschte sein strenges Gesicht mit den asketischen Wangenknochen. Sogar mit offenem Jackett und leicht verrutschter Krawatte bewahrte er eine gelassene Eleganz. Kühl sagte sie: »Wollen Sie nicht, dass der Mörder gefasst wird?«

Freeman zuckte die Achseln. »Sicher bin ich neugierig, wer es war, der ihm das Lebenslicht ausgeblasen hat.«

»Nicht unbedingt ein Er. Es könnte ebenso gut eine Frau gewesen sein.«

»Ja. Vergeben Sie mir meine vorurteilsbeladene und sexistische Bemerkung.«

Kate war amüsiert, aber sie sagte hart: »Mr. Freeman, ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich kooperativ zeigen, in vernünftigen Grenzen.«

»Das werde ich. In vernünftigen Grenzen.« Seine Stimme verriet auch nicht den leisesten Hauch von Sarkasmus.

»Ist Ihnen irgendein Grund bekannt, weswegen der Tote sich selbst etwas angetan haben könnte?«

»Sich selbst etwas angetan haben? Meinen Sie … Selbstmord?« Gail Freeman gluckste, dann begann er zu lachen, ein Lachen, das schnell immer lauter, volltönender und ansteckender wurde.

Kate erwischte sich beim Grinsen. »Ich nehme an, die Antwort ist nein.«

»Ganz entschieden nein. Der Mann war der Mittelpunkt seines Universums. Er liebte es, seine Macht zu gebrauchen und zu missbrauchen. Jemand hat’s ihm gegeben, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.«

»Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich etwas herumzuführen, damit ich ein Gefühl für die Aufteilung der Räume gewinne? Zuerst der Empfangsraum, denke ich.«

»Sicher.« Er hielt Kate die Tür auf und ging neben ihr den Flur entlang. »Eine Frage noch. Haben Sie etwas dagegen, dass ich Billie Sullivan entlasse?«

»Warum wollen Sie sie jetzt entlassen? Wollen Sie sie nicht behalten, wenn der neue Geschäftsführer kommt, wegen der Kontinuität?«

»Sie würde nichts Nützliches beitragen, nur Gift verspritzen.« Freemans Stimme hob sich, wurde eindringlich. »Sie leistet keine nennenswerte Arbeit. Und sie stört das Betriebsklima. Das bisschen Arbeit, das Parker ihr gegeben hat, hat sie immer an die anderen Sekretärinnen weitergegeben. Wenn ich sie deswegen zur Rede stellte, sagte Parker immer, sie hätte zu viel zu tun. Die anderen Angestellten verachten sie.«

»Ich kann die Situation sehr gut nachvollziehen«, sagte Kate. »Meiner … bei einer Freundin im Büro ging es ähnlich zu. Sie hat schließlich gekündigt. Aber ich möchte Sie bitten, noch ein wenig zu warten. Bis das Anfangsstadium der Ermittlung abgeschlossen ist. Aufgrund ihrer Tätigkeit in unmittelbarer Nähe des Opfers könnte sie wertvolle Informationen besitzen, von denen Sie nichts wissen.«

»Ihre Bitte hält sich in vertretbarem Rahmen.« Freeman deutete auf Fergus Parkers Büro. »Kann ich dieses Büro reinigen lassen? Riecht wie eine Kloake mit all dem verschütteten Schnaps.«

»Ich fürchte nicht. Der Tatort muss unverändert bleiben, solange die Prüfung unserer Berichte noch aussteht. Wir werden Sie dann benachrichtigen. Die Tür des Büros wird verschlossen und versiegelt. Der Korridor wird freigegeben, sobald die Spurensicherung fertig ist. All die Flaschen da drin – ich vermute, dass Fergus Parker ganz gerne mal etwas trank?«

»Meines Wissens nicht. Jedenfalls nicht während der Arbeitszeit. Wir hatten immer Eis für ihn im Kühlschrank, aber er brauchte es nur, wenn er Kundenbesuch hatte.«

Kate zog ihr Notizbuch heraus und skizzierte grob den Empfangsraum: die Fahrstühle, die Türen, den Empfangstisch. Gail Freeman bemerkte im Plauderton: »Es ist bestimmt eine Herausforderung, als Frau bei der Kriminalpolizei zu sein.«

Wie immer, wenn sie daran erinnert wurde, wie ungewöhnlich sie war, fühlte sie diese altbekannte schwere Verdrossenheit. Das ermüdende Wissen, dass sie sich immer von ihrer Umgebung abgehoben hatte. Immer.

Immer. Als Kind und als Jugendliche war sie größer, stärker und aggressiver gewesen als die anderen Mädchen, nach deren Maßstäben hoffnungslos unweiblich im Aussehen und im Verhalten. Die ebenso wie sie uniformierten Frauen im Marineinfanteriekorps hatten sie wegen ihrer ungewöhnlichen körperlichen Stärke und ihren außergewöhnlichen Führungsqualitäten abgelehnt. Sie war die einzige Frau, die in ihrer Abteilung der Polizeibehörde von Los Angeles widerstrebend immer weiter befördert worden war, als die Polizeiführung nach hartnäckigen Rückzugsgefechten den zunehmenden öffentlichen Forderungen nach personellen Veränderungen allmählich nachgegeben hatte.

Und immer hatte es diesen ganz entscheidenden Unterschied gegeben: Sie war eine Frau, die sich nur zu anderen Frauen hingezogen fühlte.

Dass sie mit ihrem Anderssein immer auffiel, hatte ihr nichts mehr ausgemacht, nachdem sie Anne getroffen hatte. Solange es Anne gegeben hatte, die sie mit ihrem ganzen Anderssein geliebt hatte …

Sie sah Gail Freeman an. Selbst wenn sie gern über dieses Thema gesprochen hätte, war dafür keine Zeit, und da Gail Freeman im Augenblick einer der Tatverdächtigen in einem Mordfall war, wäre das auch kaum angemessen gewesen. Sie sagte mit genau berechneter Distanz in Stimme und Gesichtsausdruck: »Es ist bestimmt eine Herausforderung, als Schwarzer Ihre Position zu bekleiden.«

Freeman gab keine Antwort. Er lehnte mit verschränkten Armen am Empfang und beobachtete sie.

Der Mann ist ein erstklassiger Schauspieler, entschied sie. Sie sagte: »Würden Sie die Empfangssekretärin bitten, herzukommen?«

»Sicher. Judy ist in der Buchhaltung und macht die Ablage.« Er hob den Hörer von der Kontrollkonsole hinter dem schwarzen Pult und wählte eine Nummer. Seine verstärkte Stimme ertönte aus dem Lautsprecher an der Decke, unterbrach die Hintergrundmusik. »Judy Markham bitte zum Empfang.«

Wenige Augenblicke später kam eine blauäugige, vollbusige junge Frau Anfang zwanzig, wie Kate schätzte, in den Empfangsraum, schob einen Zipfel ihrer weißen Seidenbluse in den roten Schottenrock und warf das lange glatte blonde Haar mit routiniertem Schwung aus dem Gesicht. Kate fand, dass es eine Freude war, sie anzusehen.