Knochenjob

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Im Bann dieses faszinierenden Blicks dachte Kate mit Grausen an die Worte, die sie dieser offensichtlich unvorbereiteten Frau sagen musste. Sie setzte sich auf den Futon, Cameron neben ihr. »Gehen wir recht in der Annahme, dass Herman Layton Ihr Vater ist?«

»Das tun Sie. Das ist er.« Peri Laytons Gesicht – und ihre atemberaubende Ausstrahlung – verschlossen sich so plötzlich und vollständig, dass Kate sich an einen Bildschirmschoner erinnert fühlte, der einen Monitor verdunkelt. »Was ist mit ihm?« Sie riss die Füße vom Polsterwürfel und setzte sich auf, lehnte sich zu Kate vor.

»Ich fürchte, wir haben schlechte Nachrichten für Sie.«

»Was für schlechte Nachrichten? Sagen Sie’s mir.« Die grünen Augen spießten Kate auf.

»Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, dass vor etwa einer Stunde seine Leiche gefunden wurde –«

»Seine Leiche. Also ist er tot? Mein Vater ist tot?«

»Es tut mir leid, Dr. Layton –«

»Ich habe gesagt, Sie sollen mich Peri nennen«, schnappte sie. »Was ist passiert?«

»Er wurde getötet –«

»Von einem Auto? Bei einem Unfall?«

»Nein. Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen –«

»Um Himmels willen, nun sagen Sie es schon!«

Das versuche ich ja, hätte Kate am liebsten geschrien. »Er wurde erstochen.«

»O Gott, nein.« Mit einer langen, schmalen Hand berührte sie kurz ihre Wange. »Wo?«

»La Brea-Teergruben.«

»Großer Gott. Sein liebster Ort auf der ganzen Welt.« Das Lächeln, das über Peri Laytons gemeißelte Züge glitt, stand im entsetzlichen Gegensatz zu dem Schock und Schmerz in ihren Augen. »Jedenfalls der Welt, in der er lebte. Er ist – er war oft in Rancho La Brea. Er wurde erstochen? Womit? Von wem?«

»Es tut mir leid, wir haben noch keine Antworten auf all diese Fragen«, erklärte Kate. »Seine Leiche wurde von einigen Touristen gefunden, etwa um halb elf heute Morgen, hinter einer der Teergruben.«

»Genau genommen sind es gar keine Teergruben, wussten Sie das? In Wirklichkeit ist es Asphalt …« Peri Layton hatte sich weiter nach vorn gelehnt, die Hände ineinander verkrampft, ihr schmaler Körper angespannt. »Was in diesen Gruben als Blasen durch den Asphalt aufsteigt, ist Metangas, das bei der unterirdischen Verwesung von organischen Stoffen entsteht.« Ihre Stimme war ein Flüstern, ihr Ringen um Kontrolle über ihre Gefühle so spürbar, dass Kate ihr gerne helfen wollte.

»Das wusste ich nicht«, sagte sie.

»Kaum jemand weiß es.« Peris Stimme wurde kräftiger, als sie hinzufügte: »La Brea-Teergruben ist nicht nur ein ungenauer Terminus, er ist auch redundant. Brea ist das spanische Wort für Teer. Der korrekte Name ist Rancho La Brea …« Sie räusperte sich und sagte mit normaler Stimme: »Also, war es ein Überfall, irgendeine Bande?«

Kate sah sie respektvoll an. »Es passt zu keinem der Profile dieser Arten von Tätlichkeiten«, sagte sie. »Es scheint, dass Ihrem Vater nichts gestohlen wurde. Wenn Sie seinen Besitz durchsehen, können Sie uns das vielleicht bestätigen.« Es könnte gut eine Triebtat sein, dachte sie, verübt von einem der Monster, die in den Städten Amerikas herumstreunten, willkürlich zuschlugen und dann weiterzogen, schlangengleich, unsichtbar, praktisch nicht aufzuspüren.

»Wie ist … hat mein Vater gelitten?«

»Anscheinend ging es sehr schnell«, sagte Kate. Sie sah keinen Anlass, dieser Frau von Eversons Mutmaßungen über die Zerstörung der inneren Organe zu berichten. »Alles werden wir erst nach der Autopsie wissen.«

»Autopsie?«

»Vorschrift bei einem Mordfall.«

»Ja, natürlich. Ein Mordfall …«

Während sie zusah, wie Peri Layton darum rang, die Ausmaße dessen, was über sie hereingebrochen war, zu begreifen, bemühte sich Kate, den leidenschaftslosen Teil ihrer eigenen Seele gegen das aufkommende Mitleid abzuschirmen. Sie wusste, dass die überzeugendste Trauer oft von den Mördern selbst ausgedrückt wurde. Aber sie musste eine Beziehung zwischen ihnen aufbauen, und Peri Laytons Wunsch nachzukommen, sie bei ihrem Vornamen zu nennen, schien ein guter Anfang. »Peri«, sagte sie, »wer würde ihm schaden wollen?«

»Ich kann mir nicht vorstellen …«

»Hatte Ihr Vater Feinde?«

»Feinde …«

Peris Blick war gleichermaßen von Nachdenklichkeit und Schmerz erfüllt, und Kate sah Cameron an, um ihm zu bedeuten, er solle warten. Aber Cameron war völlig von den Postern und Fotografien an den Wänden eingenommen. Kate warf einen kurzen Blick darauf; alle zeigten Peri in khakifarbenen Hosen und Hemden, zusammen mit anderen, vermutlich Wissenschaftlerinnen, vielleicht Geologen, beim Untersuchen oder Ausgraben von Felsen vor einem Wüstenhintergrund.

Peri sagte schließlich: »Mein Vater ist – war ein unkonventioneller Mensch und ein sehr schwieriger –«

»Die Fußspuren der Zeit«, sagte Cameron. »Sind Sie die Peri Layton?«

»Ja«, sagte Peri leise. »Ich danke Ihnen, dass Sie meine Arbeit kennen. Es ist schon lange her, dass dieses Buch veröffentlicht wurde.«

»Es ist ein Privileg, Sie kennenzulernen«, sagte er. Er deutete auf das Poster, das im Zentrum der Bilder hing, und fragte: »Ist das Mary Leakey?«

»Ja.«

»Bei den Fußspuren?«

Sie nickte. »Die G2-Spur. Ohne meinen Vater wäre ich nicht bei der Ausgrabung dieser Fußabdrücke dabei gewesen.«

Kate hatte keine Ahnung, worüber sie redeten, aber sie sagte nichts, um Cameron die Möglichkeit zu geben, seinerseits eine Beziehung aufzubauen.

Cameron sagte: »Verzeihen Sie, Peri, mir ist klar, dass dies jetzt kaum der geeignete Zeitpunkt ist.«

»Ich weiß Ihre Rücksicht zu schätzen, Detective Cameron.«

In die nun folgende Stille hinein fragte Kate: »Haben Sie Geschwister? Gibt es weitere Angehörige?«

»Meine Mutter. Ich bin Einzelkind«, antwortete Peri. »Mutter lebt in Hollywood. Meine Eltern haben sich vor etwa fünfundzwanzig Jahren getrennt.«

»Ich weiß, dass das schwer ist«, sagte Kate, »aber wir brauchen eine formale Identifikation durch eine nahe Angehörige.«

»Das mache ich«, sagte Peri und presste die Lippen zusammen. »Meine Mutter ist eine starke Frau, aber es gibt keinen Grund dafür, dass sie das durchmacht – und in meinem Beruf habe ich genauso mit dem Tod zu tun wie Sie in Ihrem.«

Nicht mit dem Tod aus Fleisch und Blut und Gedärmen, dachte Kate. Eher mit uraltem, wissenschaftlichem Labortod, nach diesen Fotos zu urteilen. Sie fragte: »Haben Sie sich gut mit Ihrem Vater verstanden?«

»Sie meinen, ob ich heute Morgen in Rancho La Brea war, um ihn umzubringen?«

Kate senkte den Blick auf ihr Notizbuch und fragte sich, ob diese Antwort der Entrüstung über ihre Frage entsprang oder einer Art Selbstschutz oder noch etwas anderem. »Sie sagten, er war schwierig. Fanden Sie ihn schwierig?«

Cameron schob hinterher: »Wollen Sie sagen, dass Sie sich nicht gut mit Ihrem Vater verstanden haben?«

»Mein Vater und ich verstanden uns prima«, gab Peri zurück. »Ich nehme an, ich habe zu viele Krimis gelesen, in denen jeder verdächtig ist.«

Kate war zufrieden mit Cameron, er hatte seine Fähigkeit, gute Fragen zu stellen, durch seine Hochachtung für Peri nicht beeinträchtigen lassen.

»Ein Krimi-Thema können wir jetzt gleich abhandeln«, sagte Cameron freundlich. »Wo waren Sie heute Morgen?«

Peri knallte ihre Füße zurück auf den Polsterwürfel, warf Cameron einen giftigen Blick zu und murmelte: »Hier.« Sie deutete auf den Büchertisch neben ihrem Sessel. »Genau hier, bei der Vorbereitung meiner Vorlesung heute Abend. Ich habe kein Alibi. Also nehmen Sie mich fest.«

»Peri«, griff Kate ein, »ich habe Sie gefragt, wie gut Sie sich mit Ihrem Vater verstanden haben, weil wir nichts über ihn wissen. Wir versuchen uns möglichst schnell ein Bild zu machen, damit wir wissen, wo wir anfangen sollen.«

»Es tut mir leid.« Peri rieb sich das Gesicht mit beiden Händen und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Ich bin einfach total durcheinander. Natürlich erwartet man, irgendwann seine Eltern zu verlieren, aber um Gottes willen doch nicht durch Mord. Wir standen uns besonders nahe. Er stand mir näher als irgendjemandem sonst in seinem Leben«, fügte sie hinzu.

Bei dem traurigen Ton in Peris Stimme fragte sich Kate, ob es nur um den Tod ihres Vaters ging oder ob sie auch beklagte, dass er so viele seiner Gefühle auf sein einziges Kind gerichtet hatte. Ihr eigener Vater war so zu ihr gewesen, nach dem Tod ihrer Mutter.

»Wie alt war er?«, fragte Kate, obwohl sie das schon aus seinem Führerschein wusste.

»Sechsundsiebzig.«

»Ich nehme an, er war pensioniert?« Als Peri Layton nickte, hakte Kate nach: »Was hat er vorher getan?«

»Er war technischer Lektor. Wechselte ständig die Stelle, kündigte aus den nichtigsten Anlässen. In dem Beruf und mit seinem Fachwissen konnte er sich das leisten.« Sie schüttelte den Kopf in kummervoller Erinnerung. »Meine Mutter hat das ganz verrückt gemacht.«

»Hat er sich an einem dieser Arbeitsplätze Feinde gemacht?«

Nach einer Pause sagte Peri: »Ich kann es nicht mit Gewissheit sagen, aber es gab nichts Herausragendes. Mein Vater hat zu seiner Zeit nicht wenige Auseinandersetzungen vom Zaun gebrochen, er war sehr streitlustig und ist keinem Ärger aus dem Weg gegangen. Aber er blieb auch nirgends sehr lange.«

»Außer in dem Haus, in dem er lebte.«

»Ja. Ich konnte ihn nicht dazu bringen, zu mir zu ziehen, nicht mal für kurze Zeit. Weder ihn noch meine Mutter.« Sie deutete auf den Garten. »Nicht einmal in dieses wunderbare Haus, das mir die Stiftung überlassen hat, bis ich wieder ins Ausland muss.«

 

»Warum hatte er die Gitter vor den Fenstern, Peri?«

»Das war nichts Ungewöhnliches, glauben Sie mir.« Sie zuckte mit den Schultern. »Nur wieder das gleiche alte Muster. Er verriegelte jedes Haus, in dem wir wohnten, doppelt und dreifach. Er war sehr misstrauisch, argwöhnisch.«

»Anscheinend gab es dafür ja doch einen gewissen Grund«, bemerkte Cameron.

»Ich kann mir nicht einmal vorstellen –« Peri führte den Satz nicht zu Ende.

Kate fragte: »Können Sie sich irgendeinen konkreten Grund denken für sein Misstrauen und seinen Argwohn?«

»Mutter sagte immer, das kam durch den Krieg. Aber trotzdem …« Peri hob die Schultern und drehte in einer Geste der Ratlosigkeit ihre Handflächen nach oben. »Als ich aufgewachsen bin, fühlte ich mich besser beschützt als die meisten Menschen. Mir kam es vor, als seien wir ständig von Regierungsleuten umgeben.«

»Regierungsleuten? Worum ging es dabei?«

»Unschätzbar wertvolle vermisste Fossilien. Es ging darum, dass mein Vater Marineoffizier war, im Stab der Amerikanischen Botschaft in Beijing 1941 –«

Kate hörte ein unterdrücktes Geräusch von Cameron.

»– und er verbrachte den Zweiten Weltkrieg in einem Kriegsgefangenenlager bei Tsientsin –«

»Moment«, unterbrach Cameron, als könnte er nicht länger an sich halten. »Sie schreiben über ihn in Ihrem Buch.« Er klopfte sich mit der Hand an den Kopf, als wolle er die Blockade seiner Erinnerung weiter aufbrechen. »Ihr Vater gehörte zu der Einheit von Marines, die versucht hat, den Pekingmenschen aus China herauszubringen, bevor der Krieg begann.«

»Stimmt genau. Zu denen gehörte er.«

Das letzte Mal, dass Kate sich derart von einem Gespräch ausgeschlossen gefühlt hatte, verbrachte sie einen ganzen Abend in Gesellschaft von Menschen, die leidenschaftlich über klassische Musik diskutierten. »Entschuldigung«, sagte sie, »aber wer oder was ist der Pekingmensch?«

Peri fragte Cameron: »Soll ich es Ihrer Partnerin erklären?«

»Wer könnte das besser? Kate, es ist phänomenal …«

Der Anflug eines Lächelns glitt über Peris Züge, als sie Kate anblickte. »Ungewöhnlich ist, dass Ihr Partner weiß, was der Pekingmensch ist, nicht, dass Sie es nicht wissen, Detective Delafield. Wenige Menschen außerhalb meines Fachgebiets verfügen über detailliertes Wissen um unsere Funde. Mein Vater war einer davon, aber trotzdem kehrte er aus dem Krieg zurück, ohne völlig begriffen zu haben, womit er da in Berührung gekommen war –«

»Es ist eine absolut faszinierende Geschichte, Kate«, warf Cameron ein.

Verärgert über seine Unterbrechungen, nahm Kate sich vor, ihn anzuweisen, diese Angewohnheit abzulegen.

Peri sagte: »Pekingmensch ist die populäre Bezeichnung für die fossilen Überreste eines der ältesten Vorfahren des Menschen. Amerikanische und chinesische Paläontologen fanden die Fossilien Anfang 1937 während einer ganzen Reihe von Entdeckungen in Zhoukoudian in China. Sie gehörten zu den ersten wirklich wichtigen Entdeckungen in der Geschichte der Paläontologie.«

Es klang wie der Auszug aus einem Vortrag, und Kate nahm an, das es das auch war. Beeindruckt nickte sie. Sie begann, Camerons Hochachtung für diese Frau zu verstehen.

»Nachdem Japan in China einmarschiert war«, fuhr Peri fort, »versprach unsere Regierung die zeitweilige Aufbewahrung und den Schutz der Fossilien. Die Paläontologen in Beijing ließen sie verpacken und für den Transport vorbereiten. Sie wurden der Einheit meines Vaters zur Verwahrung übergeben – sie waren auf dem Weg, China zu verlassen, mit dem Zug zur Küste, um dort an Bord eines amerikanischen Schiffes zu gehen.« In ihre Geschichte versunken, schüttelte Peri traurig den Kopf. »Die Fossilien gingen am 8. Dezember 1941 auf die Reise. Jenseits der internationalen Datumsgrenze war es der 7. Dezember 1941, der Tag von Pearl Harbor. Der Zug erreichte die Küste – und wurde von japanischen Soldaten umzingelt und eingenommen. Mein Vater kam in ein Kriegsgefangenenlager. Die Fossilien verschwanden. Darüber, was mit ihnen geschehen ist, existieren kontroverse Meinungen.«

»Die Japaner haben sie konfisziert?«, schlug Kate vor; sie musste die offensichtliche Frage stellen, ihr Ermittlerinnensinn war mit dem Rätsel beschäftigt.

»Manche Leute glauben das immer noch, aber die Japaner haben während der Jahre der Besatzung so gründlich nach ihnen gesucht, dass man meinen sollte, sie hatten sie nicht.«

»Oder sie wussten nicht, dass sie sie hatten«, sagte Kate.

»Oder sie wussten nicht, dass sie sie hatten«, stimmte Peri zu. »Nach dem Krieg wurde die Suche auf die ganze Welt ausgedehnt. Mein Vater wurde immer wieder von Agenten unserer Regierung oder Taiwans befragt. Auch von Dutzenden von Forschern, viele davon aus Japan. Zahlreiche Bücher und Artikel erschienen während dieser Zeit und dann wieder in den Siebzigern. Mein Vater war sein Leben lang an Paläontologie interessiert und lehnte nie ein Interview ab. Er hörte nie auf zu hoffen, dass irgendeine Frage eine Erinnerung ans Licht zerren würde, die irgendwie zum Wiederfinden des Pekingmenschen führen würde …« Peri verlor sich, in ihren Gefühlen gefangen.

Cameron sagte: »In Ihrem Buch klang es, als sei Ihr Vater besessen gewesen.«

»Ja. Ja, das war er. Mein armer Vater … wenn man mit dem Verlust von Zeugnissen der Menschheitsgeschichte zu tun hat, die zu den unschätzbarsten gehörten …«

»Seine Besessenheit hatte offensichtlich keine Auswirkungen auf Sie«, bemerkte Kate trocken.

»Scheinbar nicht«, antwortete Peri, ebenfalls unbewegt. »Nur insofern, als ich Paläoanthropologin wurde.«

Kate wechselte ein sehr kurzes Lächeln mit ihr, dann schrieb sie pflichtgemäß eine Kurzfassung dieser Informationen über Herman Layton in ihr Notizbuch. So interessant es auch war, sie glaubte nicht, dass es irgendetwas mit ihrem Fall zu tun haben könnte, außer dem merkwürdigen Zufall, dass Herman Layton in einem Museum voller prähistorischer Fossilien gestorben war. »Erzählen Sie uns etwas über Ihre Mutter«, schlug sie vor.

»Wo soll ich anfangen? Was wollen Sie wissen?«

»Wie lauten ihr Name und ihre Adresse, Peri?«, fragte Cameron.

Kate sah ihn anerkennend an. Gute Strategie – eine einfache Frage stellen, um jemanden zum Reden zu bringen.

»Arlene«, antwortete Peri. »Arlene Rose Layton«, diktierte sie, während Cameron in sein Notizbuch schrieb. Sie nannte eine Adresse in der Kenmore Avenue in Hollywood. »Sie behielt den Namen meines Vaters – das ist alles, was sie von ihm behielt. Sie konnte mit seinen ständigen Stellenwechseln nicht leben, daher ging sie ans College und ließ sich als Lehrerin ausbilden. Ich hatte nicht bemerkt, wie unglücklich sie war, bis ich in Berkeley das College abgeschlossen habe. Ich nahm den Doktorhut ab, und sie reichte die Scheidung ein.«

Das Foto in Herman Laytons Brieftasche musste von dieser Abschlussfeier stammen, vermutete Kate.

Peri fuhr fort: »Mir ist nie ganz klar geworden, ob ich dankbar oder verlegen darüber sein sollte, dass meine Mutter meinetwegen in einer unglücklichen Ehe ausharrte. Seitdem ist sie immer glücklich gewesen – mit ihrem Lehrberuf und ihrem engen Kreis von Freundinnen.«

»Wie alt ist sie?«, erkundigte sich Kate.

»Einundsiebzig – fünf Jahre jünger als mein Vater. Jetzt ist sie natürlich pensioniert.«

»Hatte sie noch Kontakt zu Ihrem Vater?«

»Ja, gelegentlich. Sie gingen sehr höflich miteinander um. Wann immer ich in meinem Beruf Ehrungen empfing, nahmen sie gemeinsam an der Zeremonie teil. Sie spielen – sie spielten in demselben Club in Santa Monica Bridge, jeden Freitagnachmittag. Mein Vater bezahlte ihre Mitgliedschaft – das wusste sie nicht.« Peri schüttelte den Kopf und machte sich auf dem Block neben sich eine Notiz. »Ich muss das jetzt übernehmen …«

»Sie erwähnten einen Kreis enger Freundinnen Ihrer Mutter«, sagte Cameron. »Wie ist das bei Ihrem Vater?«

»Nur ein paar alte Kumpane im Bridge-Club. Vater war ein ziemlicher Einzelgänger.«

»Mir ist klar, dass das weit hergeholt ist, Peri, aber gibt es Hinweise im Leben Ihres Vaters auf …« Kate suchte nach einer taktvollen Formulierung. »Gibt es irgendetwas, weshalb Sie annehmen könnten, dass Ihr Vater in etwas verwickelt war, das er vor Ihnen verbarg?«

»Was denn zum Beispiel? Drogen? Prostitution? Sie haben recht, das ist wirklich weit hergeholt. Der Gedanke, dass mein Vater mit Kokain handeln soll …« Sie zog eine Grimasse. »Das ist lächerlich.«

Kate dachte nicht an Drogen. Ein Mann in Herman Laytons Alter wäre eher an irgendeiner Sorte verbotener Glücksspiele beteiligt. Je oller, je doller, wie ihr Vater immer gesagt hatte, und nach dem zu urteilen, was Peri über Herman Laytons Streitlust erzählt hatte und über seine Neigung, keinem Ärger aus dem Weg zu gehen …

Kates Pieper ging. Sie sah auf die Nummer, es war das Revier.

»Ich nehme an, Sie müssen telefonieren«, sagte Peri und zeigte auf den Schreibtisch am anderen Ende des Zimmers. »Es ist auch eins im Wohnzimmer, wenn Sie allein sein wollen.«

»Danke, dieses ist in Ordnung«, sagte Kate und stand auf. Befangen ging sie zum Schreibtisch hinüber. Sie fühlte sich unbehaglich, weil sie wusste, dass Peri Laytons Augen auf ihr ruhten.

»Ich stelle zu Sergeant Hansen durch«, sagte Madge Carter zu Kate. »Außerdem hast du eine Nachricht von Aimee, du sollst sie so bald wie möglich zu Hause anrufen. Nicht dringend, aber wichtig.«

»Wurde ihr mitgeteilt, dass ich an einem Fall arbeite?«

»Ja.«

»Danke, Madge«, sagte Kate. Sie war beunruhigt. Aimee war wegen einer leichten Grippe zu Hause, und sie wusste, sie sollte nicht versuchen Kate anzurufen, wenn sie mit einer Ermittlung befasst war. Hatte sich ihr Zustand so sehr verschlechtert? Vielleicht war auch etwas mit Marcie geschehen …

»Ich stelle zu Seargent Hansen durch.«

»Kate«, sagte Hansen, »Sie und Joe sollten schnell herkommen. In einem der Ausstellungsräume wurde etwas gefunden. In Verbindung mit dem, was heute Morgen passiert ist, erscheint es mir zu merkwürdig für einen Zufall. Die Leute, die hier arbeiten, sind ganz aus dem Häuschen deswegen.«

»Was ist es?«

»Keine Leiche, das kann ich Ihnen sagen. Aber es ist nicht so leicht zu beschreiben, Kate. Sie müssen es selbst sehen.«

»Wir kommen sofort«, sagte Kate, in Gedanken zu sehr mit Aimee beschäftigt, um darauf zu bestehen, dass Hansen sie ausführlicher informierte.

Cameron, der Kates Abschiedsworte gehört hatte, stand auf. Kate zog eine ihrer Karten aus ihrem Notizbuch und ging zurück zu Peri, um sie ihr zu geben. »Es tut mir sehr leid, Peri, wir müssen gehen«, sagte sie mit echtem Bedauern. »Haben Sie jemanden, den Sie anrufen können, damit er oder sie Ihnen Gesellschaft leistet?«

»Ich muss jetzt erst mal zu meiner Mutter, bevor sie die Neuigkeiten anderweitig erfährt –«

»Der Name Ihres Vaters wurde nicht veröffentlicht«, versicherte Kate ihr.

»Bestimmt nicht von Ihnen. Aber solche Dinge sprechen sich herum. Ich muss zu ihr gehen und bei ihr sein.«

»Natürlich«, sagte Kate und dachte, dass Peri Layton zweifellos ihre eigenen Erfahrungen mit Pressehaien gemacht hatte. »Der Gerichtsmediziner wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen.«

»Hier ist die Nummer, unter der Sie mich erreichen können«, sagte Peri und kritzelte sie auf die Rückseite ihrer eigenen Visitenkarte.

Trauer zeichnete sich in Peris Gesicht ab wie eine Maske, und Kate sagte mitfühlend: »Wir melden uns wieder, sobald wir können. Wir halten Sie ständig auf dem Laufenden über das, was wir herausfinden. Wenn noch irgendetwas ist, wenn Sie sich an etwas erinnern, wenn Sie reden wollen, rufen Sie mich bitte an. Jederzeit. Wenn ich nicht auf dem Revier bin, sagen Sie, ich hätte gesagt, man soll mir Bescheid geben. Peri«, fügte sie hinzu, »das mit Ihrem Vater tut mir sehr leid.«

»Mir auch«, sagte Cameron. »Mein Beileid.«

»Danke«, entgegnete Peri. Leise fügte sie hinzu: »Ich weiß, dass Sie das nicht nur in offizieller Funktion sagen, und ich danke Ihnen sehr.«