Knochenjob

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4. Kapitel

Während sie mit Cameron zum Dienstwagen zurückging, musterte Kate ihn abschätzend. Sie wusste nicht, wie viel er über ihr Privatleben wusste. Einiges, argwöhnte sie. Die Gerüchteküche des LAPD arbeitete mit Lichtgeschwindigkeit und schloss nie. Sie war mit Abstand der effektivste Teil der Bürokratie. Ihre eigene Taktik war es, ungefragt nichts über sich zu erzählen, ihre sexuelle Orientierung weder zuzugeben noch abzustreiten und persönlichen Fragen mit lockeren und allgemeinen Bemerkungen auszuweichen. Aimee nannte das, mit einem im Watergate-Skandal geprägten Ausdruck, ihre Politik des größtmöglichen Vermeidens von Eingeständnissen. Aimee musste ja auch nicht für das LAPD arbeiten. Eine leitende Beamtin wie Kate würde durch das Bekanntwerden ihrer sexuellen Orientierung ins Zentrum des öffentlichen Interesses geraten. Das erst kürzlich in der Öffentlichkeit breitgetretene Coming-out eines Commanders hatte sie in ihrer Meinung nur bestätigt.

Sie hatte erfreut festgestellt, dass Cameron in Privatangelegenheiten ebenso verschwiegen war wie sie. Er hatte erwähnt, dass seine Frau, mit der er seit zwölf Jahren verheiratet war, in der Polizeiakademie unterrichtete und dass sie seine Begeisterung für Freiluftsport teilte, darüber hinaus sprach er nicht über sein Privatleben. Wenn Cameron nicht das Bedürfnis hatte, über seine Frau oder über Einzelheiten seiner Freizeitgestaltung zu sprechen, warum sollte sie es tun?

Anscheinend war er, im Gegensatz zu ihrem ersten Partner Ed Taylor, nicht homophob, doch ehe das bewiesen war, konnte sie nicht sicher sein. Ihre letzte Partnerin, Torrie Holden, war zwar nicht homophob, aber auf ihre eigene passiv-aggressive Weise genauso schlimm gewesen wie Taylor.

Kate dachte mit Bitterkeit an Torrie Holden. Die Verantwortung für das Gonzales-Fiasko lag zwar auf ihren Schultern, doch die Schuld daran trug Torrie, die gestern zu einer von ihr selbst geleiteten Morduntersuchung vor Gericht ausgesagt hatte. Kate erwartete von keiner Polizistin unter irgendwelchen Umständen, vor Gericht zu lügen – Lügen waren die Zuflucht derer, die ihre Arbeit nicht sorgfältig erledigten –, aber der Fall Gonzales war jetzt ein Trümmerhaufen, weil Torrie im Zeugenstand zugegeben hatte, dass eins der Beweisstücke, ein zerrissenes Hemd, aus einem Zimmer stammte, das nicht im Durchsuchungsbefehl angegeben war. Torrie wusste genau, dass sie keinen Bereich betreten durfte, der nicht in diesem Befehl genannt wurde. Sie hätte entweder nicht in das Zimmer gehen dürfen oder den Durchsuchungsbefehl ergänzen lassen müssen. Nach dem korrekten Urteil des Gerichts, das jegliche durch den Durchsuchungsbefehl nicht abgedeckte Beweisstücke als unzulässig erachtete, hatte Torrie, ohne ein Wort mit Kate oder der Staatsanwältin Marlene Dixon zu wechseln, den Gerichtssaal verlassen und ihr Vergehen damit noch verschlimmert.

Typisch für sie, dachte Kate, als sie die Schlüssel für den Dienstwagen aus ihrer Umhängetasche riss. Torrie Holden war grundfeige, ihr Verhalten nach ihrer Aussage vor Gericht passte zu ihrem Verschwinden nach der Schießerei, bei der Kate verwundet worden war. Dem Himmel sei Dank für Lieutenant Mike Bodwin, der Kate vor einem Monat unter Vermeidung von Peinlichkeiten für alle Beteiligten geschickt von dieser Problempartnerin befreit hatte, indem er sie nach seiner Beförderung zum Captain zu seinem neuen Posten in Hollenbeck mitnahm.

Aber jetzt, in diesem Moment, steckte Kate in der Klemme. Aimee hatte sie erst ein Mal mitten in einer Ermittlung angerufen, als Onkel Herbert, nach Tante Paula ihr nächster Verwandter, plötzlich an einem Herzanfall gestorben war. Dieser Tage wurde Aimees beste Freundin aus Kindertagen unaufhörlich von ihrem Ex-Ehemann belästigt. Eigentlich gab es gar nichts zu überlegen. Cameron sollte denken, was er wollte.

»Ich muss telefonieren«, sagte sie zu ihm. »Würdest du fahren?«

»Klar«, sagte er und fing geschickt die Schlüssel auf, die sie ihm zuwarf.

Kate kletterte auf den Beifahrersitz, zog ihr Handy aus der Umhängetasche und gab den Code für ihre Nummer zu Hause ein.

Aimee nahm schon nach einem halben Klingeln ab und begrüßte sie mit einem leisen »Hi«.

»Bist du okay?«, fragte Kate ebenso leise, starrte durch die Windschutzscheibe, ohne etwas zu sehen. »Wie geht es dir? Was ist los?«

»Mir geht es schon viel besser, ehrlich«, sagte Aimee. »Kate, deine Tante ist hier.«

»Meine Tante? Du meinst doch nicht Tante Agnes.«

»Doch.«

»Sie ist hier? In Los Angeles?«

»Mehr als das.«

»Sie ist da«, sagte Kate. »Sie ist in –« Sie brach ab, plötzlich wurde ihr Camerons Anwesenheit sehr bewusst. »Sie ist da? Ist es das, was du mir sagen willst?«

»Das ist es, was ich dir sagen will. Ich bin im Arbeitszimmer, die Tür ist zu. Sie ist im Wohnzimmer. Und du bist nicht allein, so dass du nicht reden kannst, stimmt’s?«

»Stimmt. Wie … ist sie reingekommen?«

»Kate, sei vernünftig. Was sollte ich denn tun? Ihr die Tür vor der Nase zumachen?«

»Ja, zum Teufel. Sag ihr, sie soll verschwinden«, zischte Kate. »Sag ihr, ich hab dir befohlen, das zu tun. Sag ihr, dass du krank bist. Wie kann diese Frau es wagen –«

»Süße, ich weiß, was du von ihr hältst«, sagte Aimee beschwichtigend. »Ich habe das Einzige getan, was ich tun konnte, nämlich die Polizei gerufen. Meine Polizistin.«

»Sag ihr, sie soll gehen!«, befahl Kate. »Sag ihr, sie soll abhauen, zum Teufel! Sag ihr, ich will sie nicht sehen.«

»Das weiß sie, Kate. Sie sagt, sie will dir etwas erzählen. Vorher geht sie nicht.«

»Ich will es nicht hören. Zum Kuckuck, ich bin mitten in einem Fall, ich –«

»Das habe ich ihr auch gesagt.«

»Es wird noch Stunden dauern, bis ich nach Hause komme –«

»Auch das habe ich ihr gesagt. Sie sagt, sie wartet, bis du hier bist, egal wie lange. Sie behauptet, sie sei es dir schuldig, dich etwas wissen zu lassen. Es tut mir leid, dass ich anrufen musste, Kate, aber ich wollte dich nicht einfach so hier hereinspazieren lassen –«

»Klar. Das ist lieb von dir. Es tut mir leid, dass du meinetwegen damit behelligt wirst –«

»Das ist in Ordnung. Pass auf, ich hab ihr Tee gemacht –«

»Tu Arsen rein«, murmelte Kate unbarmherzig.

»Ich könnte meine Spice Girls-Platte auflegen«, fiel Aimee ein. »Damit könnte ich sie vertreiben.«

Kate kicherte gegen ihren Willen über diesen durchsichtigen Versuch, ihre Laune zu bessern. Dem Himmel sei Dank für Aimee, besonders an einem Tag wie diesem. Das Gonzales-Chaos, ein neuer Mordfall mit einem Grünschnabel als Partner und jetzt Tante Agnes. »Als wären deine Grippe und Marcies Belästigungen nicht schon genug«, sagte sie zu Aimee. »Tut mir wirklich leid. Du hast gar nichts damit zu tun. Es tut mir leid, dass du meinetwegen da reingezogen wirst.«

»Kate, vielleicht … ich glaube, wenn sie den ganzen Weg von Michigan hierherkommt, muss es um etwas wirklich Wichtiges gehen –«

»Nur für sie«, gab Kate zurück. »Ich komm nach Hause, sobald ich kann. Ich bin froh, dass es dir besser geht.«

»Mir geht es bestens«, sagte Aimee. »Sei vorsichtig«, fügte sie hinzu und beendete das Gespräch.

Kate klappte das Telefon zusammen und steckte es zurück in ihre Umhängetasche. Cameron hatte sich betont aufs Fahren konzentriert und geradeaus gestarrt. Jetzt blickte er an ihr vorbei auf das Beverly Wilshire Hotel mit seinen Fahnen, die im heißen Wind der Beverly Hills flatterten, und sagte beiläufig, behutsam: »Wenn du ein Problem hast –«

»Es ist kein Problem, Joe«, sagte Kate und wählte ihre Worte sorgfältig. »Es ist eine gottverdammte Plage. Eine Tante, die beschlossen hat, in mein Leben einzudringen. Ich will nichts mit ihr zu tun haben. Aber jetzt ist sie nach Los Angeles gekommen –«

»Woher?«

»Michigan. Wo ich aufgewachsen bin.«

»Du hast sie echt gefressen, was?«

»Und wie. Ich kann sie auf den Tod nicht ausstehen«, hörte Kate sich sagen. »Schon als ich ein kleines Kind war, redete sie mir ein, ich sei verantwortlich für die Krankheit meiner Mutter und später für ihren Tod. Wie sich herausstellte, war das alles Schwachsinn. Die Leukämie meiner Mutter hatte verdammt noch mal weder mit meiner Geburt noch sonst irgendwie mit mir zu tun. Aber ich glaubte diesen Schwachsinn die ganze Zeit, ich konnte es nicht anders sehen.« Wie ein außer Kontrolle geratenes Fahrzeug redete Kate weiter. »Sie trieb einen Keil zwischen meine Mutter und mich. Meine Mutter fragte sich noch, als sie starb, warum ihre einzige Tochter zu blöd war, ein anständiges Verhältnis zu ihr aufzubauen …« Zu ihrem eigenen Ärger erstickte sie fast an ihrer Wut, ihre Augen schwammen in Tränen.

»Ich würde sie gerne selbst mit Arsen füttern«, sagte Cameron mit Nachdruck, die Augen starr auf die Fahrbahn geheftet. »Was Erwachsene Kindern antun. Irgendeine Ahnung, was die alte Zimtzicke jetzt von dir will?«

»Vielleicht mir die Schuld an etwas anderem geben. Oder mir etwas, was ich nicht wissen will, über meine Eltern erzählen.« Stocksauer auf sich, weil sie diesem neuen Partner so viel über sich anvertraute, sagte sie brutal: »Die gute alte Tante Agnes kann von mir aus in meinem Wohnzimmer tot umfallen.«

»Wenn ich je von einem echten Motiv für einen Mord gehört habe, dann hast du es«, pflichtete Cameron ihr bei. »Habe ich richtig gehört, ging es um eine Frau, die belästigt wird? Sorry, ich wollte nicht lauschen.«

»Schwer zu vermeiden, wenn du direkt daneben sitzt.« Ein Glucksen brach aus ihr hervor, und sie spürte, wie ihre Wut auf ihrem Höhepunkt verpuffte. Dankbar für sein Mitgefühl und verwundert über das Maß, in dem sie sich plötzlich und unerklärlicherweise in seiner Gegenwart wohlfühlte, ermahnte sie sich streng zur Vorsicht. »Eine Freundin wird von ihrem Exmann verfolgt«, sagte sie.

 

Cameron sah sie scharf an. »Belästigt er sie, oder schleicht er ihr heimlich hinterher?«

»Er belästigt sie.«

»Besser als ein heimlicher Verfolger«, sagte Cameron und beugte sich vor, um die Klimaanlage herunterzudrehen. »Die sind krank. So verdammt verrückt –«

»Wem sagst du das? Ich hatte zwei Fälle –«

»Da kannst du so verflucht wenig machen«, sagte Cameron, als hätte er sie nicht gehört, »nur hoffen, dass sie geradewegs in dein Haus kommen, so dass du deine Schrotflinte benutzen kannst.«

»Ein Exmann, der vor Eifersucht durchdreht, ist auch nicht gerade ein Picknick«, sagte Kate grimmig.

»Ja, wem sagst du das?«, entgegnete Cameron mit deutlicher Schärfe. »Diese Freundin, ist sie schon alles durch?«

»Verbotsverfügung, Polizeiakte, die ganze Mühle. Ihre Freundinnen können nicht verstehen, warum ich diesen Kerl nicht einfach verhaften und in eine Zelle werfen kann. Ich bin genauso frustriert wie die arme Marcie. Aber nicht halb so verängstigt«, sagte sie nüchtern und dachte daran, wie sie diese dünne, hohläugige Frau erst letzten Mittwoch nach der Arbeit vor ihrer Wohnungstür gefunden hatte. Verzweifelt, zusammengekauert und mit hängenden Schultern hatte Marcie auf Aimee gewartet.

»Vielleicht können wir uns was ausdenken«, sagte Cameron.

»Vielleicht«, antwortete Kate. Es gab nichts, was sie tun konnten – er wusste das so gut wie sie. »Themawechsel«, verkündete sie, als sie auf dem Wilshire Boulevard an der Ecke Fairfax Street die frühere May Company passierten, die goldene, kreisförmige Fassade verwahrloster denn je. Der Laden war vor einigen Jahren geschlossen worden und wartete noch auf seine Renaissance. »Was sind das für Fußspuren, über die du mit Peri gesprochen hast?«

»Weißt du, wer die Leakeys sind? Louis, Mary, Richard?« Camerons Stimme wurde mit seinem Eifer, ihre Frage zu beantworten, höher.

»Vage. Es gab irgendwelche wichtigen Funde über den frühen Menschen in Afrika – waren sie das?«

»Richtig. Louis und Mary arbeiteten jahrzehntelang an derselben Ausgrabungsstelle. Sie haben wichtige Entdeckungen gemacht, ehe Lucys Skelett in Äthiopien auftauchte. Dann starb Louis, und Mary war diejenige, die eine Spur menschlicher Fußabdrücke ausgrub – etwa dreieinhalb Millionen Jahre alt. Peri war eine der Studentinnen, die bei den Ausgrabungen dabei waren.«

Kate spürte, wie eine Gänsehaut ihre Arme überzog. »Fußspuren, die in die Zeit der ersten menschlichen Wesen zurückreichen – ich kann mir nicht vorstellen …«

»Ich mir auch nicht. Diese Fußspuren zu finden – für mich ist das aufregender als alle Schädel und Skelette, die sie je ausgebuddelt haben, zusammen.«

»Das finde ich auch«, sagte Kate, überrascht von ihrem eigenen wachsenden Interesse. »Wann war das?«

»Lass mich nachdenken … Ich würde sagen, vielleicht … ’78.«

Sie ermahnte sich, ihre Politik des Nichteindringens ins Privatleben ihres neuen Partners zu beachten, und bemerkte vorsichtig: »Du weißt eine Menge über dieses Thema, Joe.«

»Kein Zufall.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe davon geträumt, Paläontologe zu werden. Oder Geologe. Seit mich mein Dad das erste Mal in die Wüste mitgenommen hat und ich mein erstes Fossil gefunden habe. Ich hab am College ein paar Seminare besucht …«

»Aber du bist Polizist geworden.«

»Ja, na ja …« Er lächelte verlegen. »Sicherheit, weißt du? Gute Bezahlung, gute Sozialleistungen. Wissenschaft ist großartig, aber Stellen und Gelder kommen und gehen. Bullen braucht die Welt immer.«

Kate nickte. Dieser Grund wurde von Polizisten am häufigsten genannt, nicht Idealismus. Sicherheit – neben einer Spur Idealismus – war auch der Grund, warum sie selbst beim LAPD angefangen hatte.

»Klingt, als wäre dein Vater ein netter Kerl«, sagte sie.

Ein Schatten von etwas, das Kate nicht identifizieren konnte, kroch über Camerons Gesicht. »Ja«, sagte er kurz, und sie war klug genug, das Thema fallen zu lassen.

»Ich verstehe die Begriffe nicht ganz«, gestand sie, als Cameron in die Curson Avenue einbog. »Was ist der Unterschied zwischen Peri als Paläoanthropologin und einer Paläontologin?«

»Eine Paläontologin studiert die Fossilien von prähistorischen Pflanzen und Tieren. Peri beschäftigt sich mit prähistorischen Menschen – unsere Ursprünge, die Werkzeuge, die wir benutzt haben, kulturelle Entwicklung, dieser ganze Kram«, antwortete Cameron und parkte den Dienstwagen zwischen dem Einsatzfahrzeug und einem Kombi mit dem Logo der Los Angeles Times auf der Tür. Zwei Streifenwagen standen noch am Schauplatz des Mordes, die Blaulichter ausgeschaltet.

Sie und Cameron gingen noch einmal den Weg zum Tatort hinter der großen Grube. Ein Gitarrenspieler, neben seinen Füßen eine Zigarrenkiste für Spenden, klimperte vor sich hin und sang Tom Dooley. Die Aussichtsplattform vor dem Museum war immer noch von Kindern bevölkert und Kate bemerkte: »Die Teilnehmer deines Einführungsseminars über den Tod sind weiterhin sehr aufmerksam.«

»Du findest also, wir sollten Kinder vollkommen vom Tod abschirmen«, forderte Cameron sie heraus.

»Ich, wieso?«, sagte Kate unschuldig. »Warum schlägst du nicht vor, dass die Gerichtsmediziner eine Außenstelle in Disneyland eröffnen?«

Camerons Kichern erstarb, als die Los Angeles Times-Reporterin Corey Lanier ihnen den Weg verstellte.

»Ah, die große Detective Delafield«, sagte Lanier mit rauer Stimme. »Also, wer ist das Opfer, was ist los, und stehen Sie kurz vor einer Verhaftung?«

»Kein Kommentar, Corey«, sagte Kate und lächelte sie an.

»Ah, die große und stets mitteilsame Detective Delafield«, sagte Lanier. Sie schob ihre Sonnenbrille zurück auf ihr glattes, honigfarbenes Haar und zog einen Notizblock mit Kuli aus einer vollgestopften Umhängetasche. Jede einzelne Silbe dehnend, wiederholte sie: »Kein … Kommentar«, während sie die Worte schrieb. Sie deutete auf den grinsenden Cameron. »Möchte der lachende Clown etwas hinzufügen?«

Kate sagte: »Detective Cameron fügt sein eigenes ›Kein Kommentar‹ hinzu.«

»Kein Kommentar von Detective Cameron«, sagte Lanier und schrieb die Worte pflichtschuldig auf ihren Block. »Darf ich mich auf ähnliche Erhellungen freuen, während der Fall vorangeht?«

»Dürfen Sie«, sagte Kate.

»Einen schönen Tag noch, Detectives«, sagte Lanier und ging an ihnen vorbei.

»Huiuiui«, sagte Cameron und drehte sich um, um die geschmeidige, katzenartige Gestalt der Reporterin davongehen zu sehen.

»Das hat eine kleine Vorgeschichte«, sagte Kate.

»Da wäre ich nie drauf gekommen«, erwiderte Cameron.

»Vielleicht erzähle ich sie dir eines Tages«, sagte Kate. Aber das würde noch lange dauern. Ihre Beteiligung im Fall Luke Taggart und der Mord an der Apparition Alley wühlten noch immer zu viele Gefühle auf.

Herman Laytons Leiche war weggebracht worden, aber das gelbe Absperrband markierte noch den Mordschauplatz. Seine losen Enden flatterten im heißen, vom Ölgestank durchdrungenen Wind. Touristen in Shorts trieben vorbei, starrten auf das Band, den einzelnen Polizisten, der das Gelände bewachte, und auf die Weißgekleideten von der Spurensicherung, die die Parkbank mit verschiedenen Sprays, grauem Pulver und Abziehband bearbeiteten.

»Das ist grotesk. Ich komme nicht darüber hinweg, wie abartig das ist«, sagte Cameron. »Hier, an dieser prähistorischen Grabungsstelle mit dem aufsteigenden Teer, stehen Beamte der Spurensicherung und nehmen mit der modernsten Technik Fingerabdrücke.«

»Kate, Joe –« Hansen lief auf sie zu. »Worum es geht …« Er blätterte in seinem Notizbuch und zog eine Seite zurate. »Es gibt hier eine Ausstellung mit vielen Knochen; sie öffnet nur einmal am Tag –«

»Ja, ich hab sie vor Jahren gesehen«, warf Cameron ein.

»Dort hat Marella Moore – sie gehört zum Personal, sie nennen sie Dozentin – dort hat sie es gefunden.«

Kate war am Ende ihrer Geduld mit Hansen. Sie fragte ungehalten: »Was denn? Zum Kuckuck, Fred, was hat sie gefunden?«

»Einen Teil eines uralten Schädels, einen Kieferknochen.«

»Und? Was ist daran so besonders?«

Cameron mischte sich ein. »Solche Sachen haben sie hier schon früher gefunden. Die Knochen der La Brea-Frau –«

»Nichts dergleichen. Glauben Sie mir, das hier ist etwas Besonderes. Dieser wurde nicht im Teer gefunden, er wurde an einer bestimmten Stelle platziert. Die Leute hier meinen, ihre Fossilien sind nie mehr als vierzigtausend Jahre alt. Dieser Kieferknochen ist viel, viel älter.«

»Das muss ein gottverdammter Witz sein«, murmelte Cameron.

Kate fragte: »Wo ist diese Ausstellung?«

Hansen, der bereits den Pfad hinunterging, sagte: »Ich bringe Sie hin. Der Paläontologe ist schon ganz zappelig, er will das Ding unbedingt ins Labor befördern, um es zu beschützen. Aber ich habe nicht zugelassen, dass er es anfasst, ehe Sie beide hier sind. Er wartet auf Sie.«

Kate bewegte sich nicht. »Fred, das ist alles sehr interessant, und ich sehe es mir auch gerne an, aber was hat ein Kieferknochen, wie alt auch immer, mit Herman Layton zu tun?«

»Es geht um das, was Jamison – das ist der Paläontologe – gesagt hat. Kate, das ist überhaupt nicht mein Gebiet. Lassen Sie sich von Jamison erklären, was das alles bedeutet, so wie er es mir erklärt hat. Reden Sie einfach mit ihm, okay?«

»Gut«, sagte sie, schnitt ihm das Wort ab. Ihr Gebiet war es auch nicht, aber Hansen machte alles nur noch schlimmer.

»Ich habe das Gefühl …«, sagte Cameron.

Kate drehte sich zu ihm um.

»Ich stimme mit Fred überein«, sagte er schnell, als er ihren Gesichtsausdruck sah. »Sprechen wir mit dem Paläontologen.«

Kate, die von Hansen und Cameron gründlich die Nase voll hatte, lief schweigend zwischen den beiden Männern her. Sie hatte das eindeutige Gefühl, dass der sonst so langweilige Hansen jetzt die Grenze zum Theatralischen überschritten hatte. Sie gingen einen breiten Asphaltweg entlang, der an die anmutigen, blassgrünen und weißen Kurven und Winkel des futuristischen Kunstmuseums grenzte. Vom Gelände der La Brea-Teergruben durch einen eisernen Palisadenzaun getrennt, lag es hinter einer niedrigen, dekorativen Einfassung aus Steinplatten und einem Rasenstück.

Der rissige, von Efeu flankierte und von Ästen überhangene Belag des verschlungenen Wegs, auf dem sie gingen, war mit Sonnenflecken gesprenkelt und verspielt mit den Abdrücken großer gelber Katzenpfoten dekoriert. Direkt hinter einer kleinen, gemauerten Fußgängerbrücke sorgte ein hoher Maschendrahtzaun, oben mit Stacheldraht umwickelt, für die Sicherheit der Grabungsausrüstung, die durch grüne, laubbedeckte Plastikplanen gleichermaßen geschützt und getarnt wurde. Kate erblickte eine Schlange Touristen, die hintereinander durch ein offenes Maschendrahttor in eines der Gebäude gingen, ein moderner rötlich brauner Bau. Auf dem Schild am Eingang, verziert mit einem stilisierten Säbelzahntiger, war zu lesen: Page Museum Grube 91 – Ausgrabungen ab sofort bis zum 7. September, daneben hing eine Auflistung der Wochentage und Öffnungszeiten.

»Sie machen hier zwei Monate im Jahr Ausgrabungen«, fing Cameron an.

»Die zwei heißesten Monate«, stellte Kate fest. Der starke Teergeruch, den der warme Wind herübertrug, drang auf sie ein.

Er zuckte die Schultern. »Touristensaison.«

Hinter dem Zaun standen mehrere Gebäude aus dunklem Holz, weiter hinten aufgestapelte Öltonnen, kleine Schuppen und, halb verborgen hinter Bäumen, ein klappriger weißer Wohnwagen, der offenbar als Büro diente. Zu ihrer Rechten waren einige Bereiche ebenfalls mit Maschendraht umzäunt, um die Touristen von den feuchten Asphaltgruben fernzuhalten. Offenbar war dies ein aktives Museum mit laufenden Ausgrabungen.

Ein unscheinbares rundes Gebäude tauchte hinter den Bäumen auf, umgeben von niedrigen Betonbänken, ein cremeweiß gestrichenes Steinfundament, darüber Blechplatten, deren Farbe teilweise bis auf die weiße Grundierung abgeblättert war. Ein Maschendrahttor war zurückgerollt worden; an seinem Riegel hing ein großes Vorhängeschloss aus Messing. Ein unauffälliges Schild gab bekannt, dass die Schaugrabungsstelle vorübergehend geschlossen war und die La Brea-Fossilien im Page Museum gezeigt wurden. Die Flügeltür des Gebäudes, mit Messingstangen vergittert, stand offen.

 

»Mir wurde gesagt, dieser Eingang sei normalerweise abgeschlossen«, sagte Hansen, als er Kate und Cameron hereinführte. »Nur einmal am Tag, um ein Uhr, kommt eine Dozentin und führt eine Gruppe über das Gelände.«

»Es ist auf jeden Fall einen Besuch wert«, sagte Cameron.

Seine permanente Verzückung über diesen Ort ging Kate allmählich auf die Nerven. Sie fragte Hansen knapp: »Haben die Befragungen schon etwas ergeben?«

»Nichts. Sie laufen noch.«

Säulen, weiße gemauerte Wände und eine Decke mit mehreren riesigen Oberlichtern kamen in Sicht. Zwischen den vergitterten Fenstern hingen einzelne Zeichnungen von Tieren auf bernsteingelbem Hintergrund: ein Bär, ein Kamel, ein Bison, ein Säbelzahntiger, ein Mastodon mit kunstvoll geschwungenen Stoßzähnen, wie die Skulptur im Tümpel. Eine Treppe mit einem Metallgeländer, das an Gefängniszellen erinnerte, führte entlang der Rundung des Gebäudes nach unten, wo der Boden aussah wie eine Schlackenhalde. Hinter dem gelben Polizeiband, das den Raum am Fuß der Treppe abriegelte, stand ein großer bärtiger Mann neben dem Streifenpolizisten Manuel Jimenez.

Kate blieb vor einer großen Fotografie des Schlackenbodens stehen und überflog eine lange Auflistung von Tier- und Vogelknochen, die die einzelnen, mit Buchstaben versehenen Knochen auf dem Foto bezeichneten. Während sie die Stufen hinunterging, sah sie Knochen in allen Größen und Formen, mit denen der bräunlich graue teerbefleckte Felsen übersät war. Der Besucherraum stank nach Teer.

Als sie näher kam, entdeckte sie einen glänzenden Knochen in der Größe ihrer Handfläche, auffällig platziert auf dem Beton unter dem Metallgeländer, knapp oberhalb des grau-beigen Felsens und des vordringenden Asphalts. Von einer Farbe wie dunkler Lehm, mit leichtem Grünstich und besetzt mit großen, flachen, weißlichen Backenzähnen erschien er wie ein grob gearbeiteter Zahnersatz. Was daneben lag, sah aus wie Verpackungsmaterial, eine Schachtel mit verblichenen Schablonenbuchstaben, daneben Seidenpapier und flaumige Fasern, wahrscheinlich Watte, einige Lagen Gaze und eine Schicht normales Papier, alles vergilbt und augenscheinlich mürbe vom Alter.

Der schlaksige, bärtige Mann starrte auf den Kieferknochen, als habe er Angst, dass er verschwinden würde; Jimenez, die Arme vor der kräftigen Brust verschränkt, beobachtete ihn.

Hansen sagte: »Hier arbeiten alle ehrenamtlich; Marella Moore ist eine der Dozentinnen. Ein Tourist sah den Knochen und fragte sie danach. Moore warf einen Blick darauf und benachrichtigte Betty Parsons, die Laborleiterin. Sie rief Jamison. Wir waren fast zufällig dabei, unsere Mitarbeiter waren hier, um ein paar Fragen zu stellen. Jimenez erwähnte es mir gegenüber und erzählte auch, wie aufgeregt die Mitarbeiter waren, und – ich bin schon viel zu weit.«

Der bärtige Mann stand auf und ging auf den Ballen seiner turnschuhbekleideten Füße auf sie zu, vorsichtig, als trage er ein randvolles Glas. »Greg Jamison«, sagte er. »Sind Sie die zuständigen Ermittler?«

»Sind wir.« Kate stellte sich und Cameron vor und dachte, dieser Paläontologe mit seinen ausgebeulten Jeans, dem Polohemd und dem altmodisch langen Haar verkörperte genau ihre Vorstellung von jemandem, der an irgendeinem gottverlassenen, heißen, windigen Ort glücklich seine Tage mit der Suche nach Fossilien verbrachte. »Was ist hier los, Mr. Jamison?«

»Sagen Sie es mir.« Seine Stimme war ein belegter Tenor, sie klang, als sei sie von der Sonne ausgedörrt. Jamison deutete ruckartig mit dem Kopf auf den Gegenstand, der unter dem Geländer lag, sein blondsträhniges Haar flog vor und zurück. »Ich weiß nicht, warum Ihr Sergeant nicht zulässt, dass wir –«

»Weil hier heute Morgen ein Mann umgebracht wurde.«

»Das ist mir klar. Alle hier, mich eingeschlossen, hat dieser Vorfall sehr erschüttert. Aber was hat ein hominider Unterkiefer damit oder mit der Polizei zu tun?« Er ging in die Hocke, vorsichtig, als könnte sein Körper schädliche Luftströme verursachen, und heftete seinen Blick wieder auf den Kieferknochen.

Kate wandte sich Cameron zu, der über dieses Thema viel mehr wusste als sie. Aber der starrte ebenfalls gebannt auf den Knochen. Verärgert sagte sie zu Jamison: »Sergeant Hansen sagte, Sie haben diesen Knochen als sehr alt bestimmt.«

Der Paläontologe sah zu ihr auf, seine Augen von einem so blassen Blau, als seien auch sie von der Sonne gebleicht. »Das ist er, falls er das ist, was ich glaube. Wie ich schon dem Sergeant sagte, seiner Gebissform und Morphologie nach scheint er ein Exemplar eines Homo erectus zu sein, was hieße, dass er etwa zwei Millionen Jahre alt ist.«

»Himmel!« Das Wort brach aus Cameron hervor.

»So scheint es«, ermahnte Jamison ihn streng. »Es könnte auch ein Haufen Scheiße sein. Wie ich dem Sergeant schon sagte, eine Paläoanthropologin, eine Spezialistin für hominide Fossilien, muss ihn untersuchen. Wir haben gerade jetzt eine der Besten der Welt in der Stadt.«

»Und zwar wen?«, fragte Kate, aber sie wusste es schon und verstand jetzt, warum Hansen sie gerufen hatte.

Jamison antwortete: »Die Gastprofessorin für Paläoanthropologie an der Universität von Los Angeles: Dr. Peri Layton.«

»Verstehen Sie?«, fragte Hansen.

»Ich verstehe, Fred. Und ich danke Ihnen. Joe und ich übernehmen jetzt.« Hansen machte Anstalten zu gehen, und sie wandte sich an den Paläontologen: »Mr. Jamison –«

»Greg«, sagte er.

»Greg, Sergeant Hansen konnte Ihnen keine Auskünfte darüber geben, warum wir an diesem Fund so interessiert sind, denn er durfte Ihnen den Namen des Opfers nicht nennen, ehe wir die nächsten Angehörigen benachrichtigt hatten. Jetzt können wir es Ihnen sagen. Der Tote ist Herman Layton, Peri Laytons Vater.«

Jamison starrte sie an, sprachlos.

Sie fragte: »Wann wurde der Knochen gefunden?«

»Kurz nach Beginn der täglichen Ein-Uhr-Führung.« Seine Stimme war nur noch ein benommenes Flüstern. »Das ist total grotesk.«

»Hat ihn jemand berührt?«

»Nein. Ich wollte ihn gerade von hier wegbringen, als Ihre Kollegen hereinkamen.«

Cameron, der ebenso fassungslos aussah wie Jamison, sagte: »Wenn dieses Fossil sich wirklich als Homo erectus entpuppt … Aber es leuchtet mir ein, dass Sie skeptisch sind.«

»Mir nicht«, sagte Kate. »Klären Sie mich auf.«

Seinen Blick auf den Kieferknochen geheftet, sagte Jamison: »Lassen Sie es mich so sagen, Detective. Niemand sollte auch nur daran denken, die Presse zu informieren.«

Kate dachte daran, wie Corey Lanier den Schauplatz verlassen hatte. Sie stellte sich den Tobsuchtsanfall der Times-Reporterin vor, wenn sie das gesamte Ausmaß der Story erkannte, die sie vor der Nase gehabt hatte.

Jamison fuhr fort: »Es könnte sein, dass jemand dies für einen guten Witz hält. In meinem Fach gibt es viele Kontroversen und manchen recht spektakulären Betrug. Haben Sie vom Piltdown-Menschen gehört?«

»Klar. Na ja, was ich aus dem College noch im Kopf habe … Jemand fand … War es das Missing Link? Es entpuppte sich als Fälschung. Oder habe ich das mit Lucy verwechselt?«

»Nein, Sie liegen goldrichtig. Lucy ist echt. Ihr Skelett wurde 1974 in Äthiopien gefunden. Die Fälschung des Piltdown-Menschen wurde 1915 in England angefertigt. Es dauerte ganze vierzig Jahre, sie zu entlarven – bis heute eine Peinlichkeit für mein Fach. Dieser Unterkiefer muss von jemandem, der sich mit Hominiden auskennt, authentisiert werden.«

Kate sagte: »Wir werden ihn fotografieren müssen, samt der Verpackung, in dieser Position. Und ihn dann mitnehmen und auf Fingerabdrücke untersuchen.«

»Was?« Er ging einen Schritt auf sie zu. »Fingerabdrücke? Mitnehmen? Sie dürfen ihn nicht einmal berühren

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