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Kunstprojekt (Mumin-)Buch

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4.4. Epiloge/Prologe

Auf den ersten Blick verfügt kaum ein Muminbuch über ein Vorwort, respektive über ein Nachwort. Als Vorwort bezeichnet Gérard Genette

[…] alle Arten von auktorialen oder allographen Texten (seien sie einleitend oder ausleitend), die aus einem Diskurs bestehen, der anlässlich des nachgestellten oder vorangestellten Textes produziert wurde. Das ,Nachwort‘ wird also als Variante des Vorworts angesehen […].1

Lediglich Trollkarlens hatt und Muminpappans memoarer verfügen über ein Vorwort in einem klassischen Sinn, also schriftlich. In Trollkarlens hatt beginnt die eigentliche Handlung mit Mumintrollets Erwachen im Frühling. Die Einleitung hingegen beschreibt Geschehnisse, die sich ein paar Monate zuvor zugetragen haben. Ausführlich wird durch einen Erzähler beschrieben, wie sich die Muminfamilie auf den Winterschlaf vorbereitet. So erfährt man etwa, welche Nahrungsmittel sie vorher einnehmen.

In Muminpappans memoarer sind gar zwei Vorworte auszumachen. Ein erstes mit dem Titel „Prolog“. Darin berichtet ein Erzähler über den Entstehungskontext von Pappans Memoiren. Im darauf folgenden „Företal“ (Vorwort) berichtet Muminpappan als Ich-Erzähler über dasselbe. Beide Vorworte enthalten also, wie Gérard Genette für das Vorwort definiert, „die Ankündigung des Themas[…] und Bestimmung des narrativen Ausgangspunktes […].“2 Damit ist eine zentrale Funktion des Vorworts formuliert. Im vorliegenden Fall schildern die unterschiedlichen Erzählstimmen spannenderweise divergierende Entstehungsumstände der Memoiren. Weiter introduzieren die Vorworte die beiden Erzählebenen und präsentieren so die Architektur der mehrstimmigen Erzählung. Des Weiteren ist das Vorwort im Falle von Muminpappans memoarer auch ein wirkungsvolles Mittel, um Pappan als Autor zu inszenieren und die gewählte Gattung zu pointieren, denn das „[…] fiktive aktoriale Vorwort simuliert das Autobiografievorwort […].“ Es ist „[…] den Ich-Erzählern vorbehalten […].“3 Weiter betont Uwe Wirth die Bedeutung des Vorworts als Ort der Selbstreflexion: „[…] Das Vorwort stellt das Konzept jenes Werks vor, dem es vorangestellt ist.[…] Zugleich verkörpert das Vorwort aber auch das Konzept seiner eigenen Rahmungsfunktion […].“4

Muminpappans memoarer verfügt nicht nur über zwei Vorworte, sondern auch über einen Epilog. Das Originalnachwort sei eine Seltenheit, schreibt Genette. Als Grund dafür nennt er das Fehlen der zentralen Funktionstypen des Vorworts: „[…] den Leser bei der Stange halten und führen, indem man ihm erklärt, warum und wie er den Text lesen soll.“5 Im vorliegenden Fall ist der Epilog der Ort, an dem die beiden Erzählebenen schliesslich gänzlich kollidieren. Der Höhepunkt der Handlung ist in diesem Fall in den Epilog ausgelagert.

4.4.1. Visuelle Prologe

Die Ausstattung der Muminbücher zeigt auffallend viele Karten, die jeweils auf dem Schmutztitel, gegenüber der Titelseite, von fünf Büchern gedruckt sind: Farlig midsommar, Trollkarlens hatt, Pappan och havet, Trollvinter und Sent i november. Bereits ihre Positionierung im Buch sieht Anthony Pavlik als ein Indiz dafür, dass sie weit mehr sind als nur schöner Schmuck: „[…] maps are usually separated from the text rather than fitting within the text or on facing pages, and this would seem to suggest a view of these maps as serving a larger purpose than that of simply adding decorative value.“1 Für die nachfolgende Analyse sind sie Teil des paratextuellen Rahmungsapparats und werden entsprechend als visuelle Vorworte gelesen. Victor Stoichita bezeichnet Karten als „eine ins Gemälde selbst eingebrachte Darstellungsoberfläche.“2 Analog sind die Karten als eine Metaebene zu sehen, die den Aufbau der Erzählung schildert. Klaus Müller-Wille vergleicht die Karten mit der Skizze, welche die Theaterratte Emma in Farlig midsommar über das Theater anfertigt, um dessen Funktionsweise zu erläutern. In gleichem Masse werde durch die Karten das „Maschinenwerk der Erzählung“ offenbart.3

Karten in Büchern sind vor allem in der Kinderliteratur keine Seltenheit und erinnern unmittelbar an Fantasy-Literatur. In diesem Genre haben die Karten meist eine Funktion in der Erzählung, werden etwa von den Figuren verwendet, ja sind gar Kunstwerke der fiktionalen Welt, wie Ricardo Padrón für Karten in J.R.R. Tolkiens Werken erwähnt: „[…] they allow us to imagine that they themselves constitute artifacts from Middle Earth.“4 In den Muminbüchern ist dies nicht der Fall. In den Erzählungen selber kommen lediglich in Pappan och havet Karten vor: eine hängt im Muminhaus und zeigt Pappans entlegene Insel als winzigen Punkt im Meer. Die zweite fertigt Mamman auf der Insel an, eine Karte über das Mumintal. Diese Karten sind jedoch anderer Art als diejenigen, die als Vorworte als Einstieg in die Erzählung fungieren. Bei Tove Janssons Karten stammen Text und Bild aus der gleichen Feder, was laut Pavlik eher eine Ausnahmesituation darstellt. In seinem Artikel erwähnt er Jansson explizit als Beispiel. Für ihn spielt dies bei der Diskussion und Interpretation der Relation von Text und Bild eine wichtige Rolle.5

Gemeinsam ist allen Karten eine Signatur, ein Rahmen und kartografische Elemente wie beispielsweise die Windrose. Auch tragen alle Karten einen Titel. Ansonsten weisen sie jedoch grosse Unterschiede auf, weshalb es angebracht erscheint, die Karten in szenische Karten einerseits und atmosphärische Karten andererseits einzuteilen. Dabei gilt jedoch nicht die Machart aus einer technischen Perspektive als Zuordnungskriterium, sondern deren Semiotik.

a) Szenische Karten

Die Karten der ersten beiden Muminbücher Trollkarlens hatt und Farlig midsommar gleichen sich von ihrer Architektur her stark und werden daher in einer Kategorie als szenische Karten zusammengefasst. Beide Karten zieren zahlreiche kleine Details, sodass sie auf den ersten Blick beinahe an Wimmelbilder erinnern. „Bei jedem Bild begründet der Rahmen die Identität der Fiktion. Einem Bild zusätzlich zu seinem wirklichen einen gemalten Rahmen zu geben, heisst die Fiktion zu potenzieren.“1 Potenzieren bedeutet in diesem Zusammenhang die Fiktion zu stärken. Betrachtet man die gerahmten Karten umgeben vom Rahmen, der die physische Beschaffenheit des Mediums Buch mit sich bringt, gilt dies auch für die hier zu untersuchenden Karten.

In Trollkarlens hatt findet sich die detaillierteste der fünf Karten.2 Ihre grobe topologische Struktur wird durch Wasser, Land und Berge definiert. Weiter lässt sich eine Einteilung des dargestellten Gebiets in einen Innen- und einen Aussenraum erkennen. Einerseits zeigt die Karte das Mumintal, welches den Innenraum ausmacht. Dessen Mittelpunkt scheint das Muminhaus (schw. Muminhuset) zu bilden. Dessen Beschriftung setzt sich durch die Grösse von den anderen ab, was den Status des Muminhauses als Zentrum weiter zementiert. Ein Gebäude im Jugendstil, wie Tove Holländer bemerkt.3 Auf dieses laufen die beiden eingezeichneten Wege zu. Umgeben wird das Mumintal andererseits von den erwähnten Aussenräumen, auf die auch Klaus Müller-Wille verweist.4 Sie sind mit Schriftbanderolen gekennzeichnet, so etwa die „Ensliga bergen“ (Die einsamen Berge). Wie man in Kometen kommer erfährt, ist dort eine Gruppe Wissenschaftler beheimatet, abgeschieden in einer Art Elfenbeinturm. Weiter die berüchtigte „Hattifnattarnas ö“ „die Insel der Hattifnattar“, die im Meer zu sehen ist. Dort hat Muminpappan sein sagenumwobenes Lotterleben geführt. Ebenfalls beschriftet ist die Grotte (schw. Grottan), welche der Muminfamilie und ihren Freunden Schutz vor dem Kometen bietet. Es handelt sich dabei um Örtlichkeiten, die in den Muminbüchern eine spezifische Funktion ausüben. Als verbindendes Moment zwischen den Innen- und Aussenräumen schlängelt sich der Fluss durch das ganze abgebildete Gebiet. Er zieht sich durch das Mumintal und verliert sich dann hinter den Bergen. „Symboliskt markerar floden också en övergång från en tillvaro till en annan, i detta fall från trygghet till det obekanta.“ „Symbolisch markiert der Fluss auch einen Übergang von einem Dasein in ein anderes, in diesem Fall von Sicherheit zum Unbekannten“, schreibt Janina Orlov.5 Auch der Fluss ist zentraler Handlungsort vieler Abenteuer der ersten Muminbücher, wie Tove Holländer festhält.6 Die erwähnten Elemente finden sich auch in anderen Karten wieder, verfügen über einen hohen Wiedererkennungswert.

Erst auf den zweiten Blick erkennt man schliesslich die vielen wunderlichen Kreaturen zu Land und zu Wasser. Bei genauem Hinsehen sind mehrmals Tofslan und Vifslan auszumachen. Ferner steht Snusmumriken neben seinem Zelt, Bisamråttan schläft in der Hängematte und rund um das Muminhaus gibt es neben dem Holzschuppen (schw. vedbod) vielerlei Gewächs, das rein optisch zwar nicht genau zu bestimmen ist, jedoch sind die verschiedenen Pflanzen beschriftet. So weiss man um den Flieder (schw. syren), den Jasmin (schw. jasmin) und den Tabak (schw. tobak), der dort wächst.

Bemerkenswert ist weiter die Karte in der Karte, denn diese enthält den Grundriss des Muminhauses. Es sind zwei Abbildungen, die jeweils eine Innenansicht des jeweiligen Stockwerks bieten. Sämtliche Räume sind eingezeichnet. Aus dem Plan wird weiter ersichtlich, wem die einzelnen Räume gehören. Jeder hat sein eigenes Zimmer im Muminhaus. Privaträume und Funktionsräume befinden sich auf unterschiedlichen Stockwerken. In den Zimmern sind gar Möbelstücke angedeutet. Deutlich zu erkennen ist etwa ein grosser runder Tisch im weitläufigen Salon (schw. Salong). Darum herum stehen ein paar Stühle. Die vorhin erwähnte Aufteilung in Innen- und Aussenraum wird hier nochmals wiederholt. „[…] the carefully depicted Moomin House functions as a slightly messy bohemian yet tolerant bastion against a neurotic and rigid outer world.“, schreibt Christina Ljungberg zu dieser Darstellung.7 Das Muminhaus symbolisiert in seiner Art die Werte, welche die Muminfamilie vertritt.

 

Ebenso detailreich ist die Karte von Farlig midsommar gestaltet.8 Im Gegensatz zur Karte in Trollkarlens hatt zeigt sie jedoch nicht das Mumintal, sondern „Granviken“ „die Tannenbucht“, eine Bucht fernab vom Mumintal. Entsprechend befindet sich in der Mitte nicht das Muminhaus, sondern das neue Zuhause der Muminfamilie und ihren Freunden: das Theater. Weiter sind sowohl Publikum wie auch zwei Schauspieler zu sehen. Um das Theater herum gruppieren sich die übrigen Handlungsorte der Erzählung. So etwa das Gefängnis oder das Haus der Filifjonkan. Die unterschiedlichen Handlungsorte repräsentieren die verschiedenen Erzählstränge, die Basis für das komödiantische Verwirrspiel. Die Örtlichkeiten sind zusätzlich noch beschriftet, ja gar mit einem kurzen Kommentar zu ihrer Funktion in der Erzählung versehen: „Här körde de på grund“ „Hier stiessen sie auf Grund“ heisst es neben dem Theater. „Viken där de gömde sig“ „Die Bucht, in der sie sich versteckten“, „Rönnen där de sov“ „Die Eberesche, in der sie schliefen“ und „Lilla My i syskrinet“ „Lilla My im Nähkorb“ lauten weitere Spezifizierungen zu den Geschehnissen an den unterschiedlichen Handlungsorten. Der Weg des Nähkorbs, der Lilla My als Rettungsinsel dient, ist gar durch eine gestrichelte Linie eingezeichnet und so optisch nachzuverfolgen.

Bei den schriftlichen Informationen ist weiter auf die verwendete Typografie hinzuweisen, die in dieser Karte in Szene gesetzt wird. Oben erwähnte Kommentare an den Leser sind in einer künstlerischen Schreibschrift gehalten. Dies erweckt den Eindruck eines persönlichen Kommentars. Die Aufschrift „Båtar uthyras“ „Boote zu vermieten“ auf einem Schild ist hingegen mit grossen Blockbuchstaben geschrieben. Alles weist bereits auf ein komplex gestaltetes Narrativ hin. Dabei ist die Karte eine willkommene Hilfe. Sie klärt die geografischen Zusammenhänge der unterschiedlichen Handlungsorte und führt den Leser durch das Tohuwabohu der turbulenten Handlung. Die Bedeutung der Hinweise offenbart sich erst in der Retrospektive gänzlich, wenn man den Inhalt der Erzählung kennt. Die Karte lädt daher dazu ein, immer wieder – vor, während oder nach der Lektüre – konsultiert zu werden.

Schliesslich ist auch diese Karte, wie bereits angedeutet, voll mit kleinen Details: So sieht man etwa Snusmumriken beim Fischen. Eine weitere Darstellung zeigt ihn mit einem Ast in der Hand fuchtelnd. Mumintrollet und Snorkfröken stehen daneben. Vögel verteilen die Flugblätter mit den Informationen zur geplanten Theateraufführung. Es sind Szenen der Handlung, die auf der Karte quasi gleichzeitig geschehen, wodurch der zeitliche Ablauf kollabiert.

b) Atmosphärische Karten

Ein Blick in Pappan och havet, Trollvinter und Sent i november zeigt Karten ganz anderer Art. Die äussere Handlungslinie dieser Erzählungen ist stark reduziert. Der Fokus liegt auf emotionalen Prozessen. Diese Entwicklung spiegelt sich ebenfalls in den Karten wider, die im Vergleich zu den bereits behandelten weitaus spartanischer gestaltet sind. Statt zahlreicher kleiner Details werden Landschaften gezeigt, die die Gemütslage des Narrativs symbolisieren: „[..] rather than being an illustration of a particular moment in the story, the map encapsulates the essence of the narrative, the atmosphere of Moominvalley.“1 Sie stellen im Sinne Gernot Böhmes eine Atmosphäre dar, die er wie folgt beschreibt:

[…] In der Wahrnehmung der Atmosphäre spüre ich, in welcher Art Umgebung ich mich befinde. Diese Wahrnehmung hat also zwei Seiten: auf der einen Seite die Umgebung, die eine Stimmungsqualität ausstrahlt, auf der anderen Seite ich, indem ich in meiner Befindlichkeit an dieser Stimmung teilhabe und darin gewahre, dass ich jetzt hier bin. Wahrnehmung qua Befindlichkeit ist also spürbare Präsenz. Umgekehrt sind Amtosphären die Weise, in der sich Dinge und Umgebung präsentieren.2

In anderen Worten: Durch die Karten wird die Fiktion auf eine visuelle Art und Weise emotional aufgeladen und so für den Leser erfahrbar gemacht. Klaus Müller-Wille spricht in diesem Zusammenhang von einer seelischen Kartografie.3 Abstrakte Karten lenken die Aufmerksamkeit der Leser weg von Details auf einen komplexen Plot. Dabei sind die Leser aufgefordert, selbständig die Zusammenhänge zu erarbeiten zwischen den Charakteren, ihren Handlungen und dem Terrain, in dem sie sich bewegen.4

So steht die Karte in Pappan och havet im krassen Gegensatz zu den bereits gezeigten.5 Sie ist gar die entleerteste von allen. Zu sehen ist eine karge Insel mitten im Meer. Prominent platziert und sofort auffallend ist der Leuchtturm, Sinnbild für Pappans Lebenskrise. Ebenfalls zu sehen ist ein kleines Boot. Der Besitzer ist nicht genau zu erkennen. Weiter ist der Gumpen auszumachen, Pappans Forschungsobjekt. Im Vordergrund des Bildes sind zwei Seeungeheuer abgebildet. Es handelt sich hierbei um eine Karte, die durch eine starke Metaphorik aufgeladen ist und damit die zentralen Themen der Erzählung zusammenfasst: Das Schiff steht für eine Reise, der Leuchtturm für Pappans Sinnkrise und die Ungeheuer im Meer für die Feindseligkeit desselben respektive auch für die Personifizierung der Natur. Ferner ist es die einzige Karte, die auf einen realen Ort ausserhalb der Bücherwelt referiert: „Finska viken“ „Finnische Bucht“. Um dies zu unterstreichen, sind gar die geografischen Koordinaten angegeben. Im Gegensatz zu all den anderen Karten fehlt bei dieser Karte der gemalte Rahmen, was der endlosen Weite des Meeres Ausdruck verleiht, gleichzeitig die Abbildung mehr als Gemälde denn als Karte „auslaufen“ lässt.

Die Karte in Trollvinter zeigt eine Landschaft, die man bereits aus Trollkarlens hatt kennt: Das Muminhaus, der Fluss und die Aussenräume wie „Hattifnattarnas ö“ „die Insel der Hattifnattar“, „Ensliga Bergen“ „Die einsamen Berge“ und „Grottan“ „die Grotte“.6 Alles ist jedoch unter einer dicken Schneedecke begraben. Ein krasser Wechsel zum bis anhin präsentierten Mumintal, in dem es immer Sommer zu sein schien. Es bleibt die einzige Karte, welche das Mumintal im Winter zeigt, umso deutlicher daher deren Symbolkraft. Auch hier sind kartografische Elemente vorhanden. Allerdings bricht das Dargestellte mit dem Kartografischen, indem der Schnee dargestellt wird. Ein Indiz dafür, dass diese Darstellung zwischen Gemälde und Karte oszilliert. Abgebildet sind deutlich weniger Figuren als in den bereits gezeigten szenischen Karten: fremde Wintergestalten, neben Mumintrollet und anderen auch bereits bekannten Figuren wie Lilla My, Hemulen und Mårran. Da man sie lediglich im Sommer kennengelernt hat, wirken sie reichlich fremd in der Winterlandschaft.

Die Karte in Sent i november besteht aus zwei Karten, die jeweils mit einer Schriftbanderole beschriftet sind (Abb. 4). „Karta över Mumindalen“ „Karte über das Mumintal“ ist auf der ersten, grösseren Schriftbanderole zu lesen. Diese Karte nimmt auch den grössten Teil der Abbildung ein. Die Bäume im Mumintal haben ihre Blätter verloren. Es ist Herbst. Es sind keine Figuren auszumachen, alles wirkt trostlos und verlassen. Sogar die Windrose in der linken oberen Ecke enthält keine schriftlichen Zeichen mehr. Im Wald sieht man Pappans Glaskugel auf einem Sockel stehen, ebenfalls verlassen. Als ein weiteres Detail ist Snusmumrikens Zelt zu erwähnen, welches abgebildet ist. Es ist eine Karte, die das Thema des Nichtseins und des Verlusts verarbeitet. Sie verheisst das Schlimmste, denn im Mumintal fehlt das Wichtigste: die Muminfamilie.

Im unteren Drittel findet sich eine weitere Karte, eine Küstenkarte, wie auf der kleinen Schriftbanderole zu lesen ist (schw. Kustkarta). Die Perspektive ist, wie der Name bereits andeutet, eine gänzlich andere als bei der oberen. Das Mumintal zeigt sich hier als ein Punkt in seiner weiteren Umgebung. Ein Magnet, der Besucher von nah und fern anzieht. Markiert ist neben dem Mumintal das Tal der Filifjonkan (schw. Filifjonkans dal), die letzte Siedlung (schw. Den sista bebyggelsen), und schliesslich beginnt die Einöde (schw. Ödemarken börjar). Der Text ist auch hier wieder typografisch auffällig in einer Schreibschrift gestaltet, die an Schatzkarten aus Abenteuerromanen erinnern.

Die präsentierten Karten als Vorworte verfolgen unterschiedliche Zwecke. Mit zahlreichen Details bezüglich der Handlungsorte, einzelner Szenen oder Figurenbewegungen bieten sie eine Orientierungshilfe durch das Narrativ. Immer wieder können sie während des Lesens konsultiert werden. Im Gegensatz zu den szenischen Karten zeigen die atmosphärischen keine Details der Handlung und scheinen auch nicht in erster Linie durch diese führen zu wollen. Der Fokus liegt auf der emotionalen Einstimmung auf die Erzählung. Alle Karten sind Ausdruck einer profunden Reflexion der jeweiligen Erzählung und offenbaren die Säulen, die diese im Wesentlichen ausmachen.

4.5. Fussnoten

Wesentlicher Bestandteil von Tove Janssons Erzählkunst ist eine Mehrstimmigkeit, die jeweils eine neue Diskursebene eröffnet. Dabei sind Fussnoten ein Mittel, das sie einsetzt und zu eben diesem Zweck funktionalisiert. Ein Hilfsmittel, welches traditionell eher mit wissenschaftlichen Texten oder einer enzyklopädischen Praxis assoziiert wird. Fussnoten sind jedoch auch in narrativen Texten keine neue Erscheinung.1 „Unter dem älteren Terminus Glosse[…] reicht dieser Brauch auf das Mittelalter zurück“, führt Gérard Genette aus.2 Diese Anmerkung weist auch sogleich auf die Problematik der Begrifflichkeit hin, denn im Zusammenhang mit der Fussnote haben sich unterschiedliche Bezeichnungen (Glosse, Anmerkung, Kommentar) etabliert, die nicht immer deutlich voneinander abgegrenzt respektive synonym verwendet werden.3 Im Folgenden wird der Begriff Fussnote gebraucht. Dieser bezeichnet in Anlehnung an Sabine Zubarik alle Anmerkungsformen,

[…] die auf räumlich und graphisch abgesonderter Ebene mit einem Verweis im Haupttext einen weiteren Diskurs führen, seien sie auf jeder Seite unterhalb des Textes, am Ende eines Abschnitts, eines Kapitels oder sogar des gesamten Textes angebracht.4

Weiter treten Fussnoten nach Genette definitionsgemäss punktuell auf und sind auf ein Detail des Texts bezogen.5 Dies bildet die Grundlage für die nachfolgende Gruppierung der Fussnoten. So wird geklärt, welche konkreten Funktionen die Fussnoten auf inhaltlicher Ebene haben. Denn sie ermöglichen unterschiedliche „punktuelle Nuancierungs- oder Dämpfungseffekte[…] oder, wie man in der Musik sagt, Registerwechsel, die dazu beitragen, die berühmte und mitunter unliebsame Linearität des Diskurses zu mildern.“6 Auf einer abstrakteren Ebene besitzt die Fussnote auch die Eigenschaft „[…] to extend, explain, or define the fictional premises of the work.“7 Sabine Zubarik bezeichnet die Fussnote gar als eine

[…] Referenz auf die Gemachtheit des Textes, sowohl in seiner Materialität als Schriftstück, als auch in seiner Eigenschaft als fiktives Erzählwerk. Sie lässt den Arbeitsprozess des Erfindens, Schreibens und Editierens durchscheinen und ist in ihrer Position am Rand des Textes oftmals der Ort, an dem der Autor den Leser in den kreativen Akt, samt seinen Schwierigkeiten, miteinbezieht.8

Dabei betont sie nicht nur deren Funktion was die Leserführung betrifft, sondern ebenfalls dessen Fähigkeit, auf die Gegenständlichkeit des Buchs und die Fiktionalität dessen Inhalts zu referieren. In diesem Sinne werden auch in den Muminbüchern durch die Fussnoten Fiktionsbrüche herbeigeführt, indem unterschiedliche Aspekte der Erzählung kommentiert werden. So wird abermals die Gemachtheit der Erzählung in Erinnerung gerufen. Ferner eröffnet die Metabene der Fussnoten dem Leser einen tiefen Einblick in Denkmuster, die dem Narrativ strukturell zugrunde liegen. Schliesslich ist die Fussnote auch ein grafisches Gestaltungsmittel. Sie organisiert die Buchseite, indem sie auf deren Rand, wie auch in selbige hinein verweist. Im Folgenden sind die Fussnoten aufgrund ihres Inhalts in die drei Kategorien explikative, dialogische und informative Fussnoten unterteilt.