Tasuta

Kunstprojekt (Mumin-)Buch

Tekst
Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

2.3.2. Prosa

Was die Prosatexte betrifft, so zeigen sich vor allem zwei handwerklich besonders spannende Strategien zur Textproduktion, derer sich Jansson bei Überarbeitungen bedient. Daher ist es nicht erstaunlich, dass sich diese Arbeitsmethoden vor allem in den Arbeiten zu Kometjakten und Muminpappans memoarer zeigen. Handelt es sich dabei doch um die Muminbücher, die am häufigsten umgearbeitet wurden. Die erwähnten Strategien sind einerseits das marginale Annotieren, andererseits eine avancierte Schneid- und Klebetechnik. Beide Techniken werden nachfolgend beleuchtet.

a) Marginales Annotieren

In den Arbeiten finden sich gedruckte Versionen verschiedener Muminbücher, in denen die Seiten vor lauter Ergänzungen rund um den und zwischen dem Text zu bersten scheinen so häufig, dass man das marginale Annotieren als eine charakteristische Arbeitstechnik Janssons bezeichnen kann. Laut Davide Giuriato ist das Vorkommen dieser Technik bei Büchern mit einer komplexen Herausgebergeschichte keineswegs erstaunlich, verknüpft er doch vollgeschriebene Marginalien direkt mit Revisionsprozessen, wie sie für Janssons Schaffen typisch sind.1 Giuriato unterscheidet weiter, basierend auf der Art des Bezugstexts, zwischen allographen und autographen Marginalien. Für Jansson trifft letzteres zu.2 Dies ist der Fall, wenn Ausgangstext und der Text in der Marginalie aus der gleichen Feder stammen.3 Wie das erste Beispiel aus den Arbeiten zu Muminpappans memoarer deutlich zeigt (Abb. 23), formiert sich der neue Text in den Marginalien, von wo aus der gedruckte Text kreisförmig umschlossen wird, sodass optisch kaum ein Anfang oder ein Ende auszumachen ist. Die Schreibrichtung ist diffus, variiert zwischen horizontal und vertikal. Die unterschiedlichen Schreibrichtungen kollidieren auf der rechten Seite sogar, wo handgeschriebener horizontal verlaufender Text mit dem gedruckten vertikal verlaufenden zusammenstösst. Die Hinzufügungen und Einschübe sind in Schreibschrift geschrieben, mit blauer Tinte oder Bleistift, und kontrastieren dadurch mit dem schwarz gedruckten Text in Blockschrift. Das Beispiel beweist, wie der Text nicht nur umsponnen, sondern auch durch zahlreiche Streichungen und Einfügungen durchdrungen wird, und den alten Text sozusagen von innen her auflöst. Einige Einschübe sind mit Sternchen oder Nummern versehen, einzelne Textpassagen durch Linien miteinander verbunden. Komplett verworfene Textpassagen sind durchgestrichen. Weiter sind Janssons Marginalien nie nur punktuelle Hinzufügungen, die sich bloss auf einzelne Textpassagen beziehen, sondern beinhalten eine neue Form des gesamten Texts.

Abb. 23:

Marginales Annotieren Muminpappans bravader.

Das marginale Annotieren offenbart in Bezug auf den Aspekt der Materialität einen weiteren interessanten Aspekt, der hier bis anhin jedoch nur angedeutet wurde: die Inkonstanz der visuellen Erscheinung. Jansson operiert mit Text als eine formbare und immer wieder veränderbare grafische Matrix. Im Beispiel aus Kometen kommer äussert sich dies im Seitenlayout, welches sich durch den hinzugefügten handschriftlichen Text auf schier unheimliche Weise auflöst und neu formiert. Die Illustrationen nehmen dabei eine Zwitterrolle ein, in dem sie sowohl der alten wie auch der neuen Fassung angehören (Abb. 24). Das Umarbeiten wird so auch zu einem grafischen Formspiel. Eine Tatsache, die bezeichnend ist für ihr gesamtes künstlerisches Konzept.

Abb. 24:

Marginales Annotieren Kometjakten.

Oder anders formuliert: Die Marginalie stellt eine liminale Zone dar, in der der gedruckte Text zum Gegenstand einer Selbstlektüre wird, die sich ihrerseits wieder im Schreiben äussert. Gleichzeitig verwandelt sich dadurch der bereits gedruckte Text wieder in einen Entwurf.4 Wie Uwe Wirth erläutert, schwindet durch eine solche Arbeitsweise die scharfe Grenze zwischen Produktion und Rezeption einerseits, und Schreiben und Lesen andererseits.5 Davide Giuriatos Definition der Marginalie spitzt diese Betrachtungen noch weiter zu: „Die Marginalie ist die Spur eines Leseaktes, der sich schreibend realisiert. Sie ist diejenige Zone am Rand einer Seite, in der Schreibakt und Leseakt restlos koinzidieren.“6 Dies impliziert neben der Unstetigkeit des physischen Erscheinungsbildes auch eine solche in Bezug auf Janssons Funktion im Entstehungsprozess, nimmt sie doch deutlich eine Doppelrolle als Autorin und Leserin ein. Dadurch kommentiert sie ihre eigene Arbeit in einer Art Metasprache ständig. Das Umarbeiten ist auf diese Art betrachtet ein Akt der Selbstkontrolle und Selbstreflexion. Das Lesen und Schreiben, respektive Gestalten ihrer Werke bildet einen eigenen Kreislauf, in dem diese Übergänge fliessend sind. „Das Hin und Her zwischen den teilweise nebeneinander ablaufenden Prozessen macht alle beteiligten Grössen beweglich und veränderbar (auch das ,Ziel‘) und erklärt die Dynamik des Textentstehungsprozesses.“7

Besagter Kreislauf bedingt weiter eine theoretische Unendlichkeit. Oder in Wirths Worten: „Das kommentierende Dazuschreiben ist eine Dynamik, die niemals zu einem Ende kommt.“8 Der vorübergehende Zustand einer Textversion wird zu einem Zustand unter vielen, was in letzter Konsequenz bedeutet, dass der Zustand des zum Druck gelangten Texts beliebig ist.9 Eine solche Betrachtungsweise problematisiert die Kanonbildung, ja stellt eine solche gar gänzlich in Frage. Dies ist jedoch zentraler Teil des Konzepts der critique génétique, der es darum geht, den Status des „definitiven“ Texts zu entheiligen.10

Schliesslich ist noch anzumerken, dass sich diese Marginalien nicht nur in den gedruckten Versionen finden, sondern auch in den Textentwürfen auf losem Papier. Findet sich kein „natürlicher“ Rand wie bei den Büchern, kreiert Jansson selbst einen, so etwa in einer Vorarbeit zu Kometen kommer, wo sie mit einem Bleistift auf der linken Seite eine vertikale Linie zieht und dadurch von Beginn weg bewusst einen Raum schafft für spätere Anmerkungen oder Korrekturen (Abb. 25). Da diese Marginalie also, sofern sie nicht bereits besteht, auch künstlich geschaffen wird, scheint sie unabdingbarer Bestandteil janssonscher Arbeitsweise zu sein. Die Seitenränder enthalten bei diesem Beispiel jedoch keinen Text, sondern Illustrationen, die nicht immer in direktem Zusammenhang mit der Erzählung stehen. Es handelt sich dabei häufig um Vögel oder Figurenskizzen. Ebenfalls findet sich ein Alphabet, das wie eine Schreibübung anmutet.

Abb. 25:

Marginales Annotieren Kometen kommer. Detail.

b) Textcollagen

Hur gick det sen? ist das einzige Buch, in dem Jansson Perforationen als Gestaltungsmittel einsetzt. Ein Blick in die Textkreation offenbart jedoch eine klare Vorliebe für das Arbeiten mit Schere und Kleber, also für eine stark haptische Art der Textproduktion. Dies ist der Fall in den Vorarbeiten für mehrere Muminbücher. Konkret handelt es sich um eine avancierte Kleb- und Schneidetechnik. Bei der Kreation von neuen Texten zerschneidet Jansson den gedruckten Text in verschiedene Teile, die schliesslich auf einem Blatt Papier auf unterschiedlichste Art neu zusammengefügt werden. Dadurch erhält der Text eine skulpturartige, teilweise beinahe skurrile Form, wie Abbildung 26 zeigt. In diesem Beispiel ist ferner eine kaskadenartige Arbeitsrichtung zu beobachten. Mit anderen Worten, die Textfragmente sind von oben nach unten angebracht. Doch damit nicht genug: Aus den einzelnen Teilen werden wiederum Passagen oder auch nur einzelne Wörter herausgeschnitten. Dadurch entstehen zahlreiche Löcher, die entweder leer bleiben oder mit neuem Inhalt gefüllt werden. Oft werden auch eine Art Schneisen in die Textblöcke hineingeschnitten, durch die dann der neue handgeschriebene Text in den alten eindringen kann. Die Entwürfe werden so zu grafisch spannenden Collagen. Jansson reiht sich mit dieser Collagen-Praktik in eine lange Tradition ein. Hanno Möbius nennt Platons Menexenos-Dialog als die frühste Erwähnung von Collage. Sokrates bezeichne dort „die standardisierte Verwendung immergleicher Formeln und Redestrukturen in Festreden“ mit diesem Begriff. Während Janssons Beispiele ihre Collagenhaftigkeit dezidiert betonen, sollte die Collage in der Antike im Ergebnis „verborgen bleiben und nicht offensichtlich werden, wie man es heute im Allgemeinen von einer Montage erwartet.“ In der Antike sei daher „eine sehr eingeschränkte und zudem negative Bedeutung von Collage feststellbar.“1

Abb. 26:

Textcollage Muminpappans memoarer. Detail.

Durch die Fragmentierung des Texts in verschiedene, neu kombinierbare Einheiten wird dieser bewusst vergegenständlicht, um ihn mobil und formbar zu machen. Eindrücklich wird so demonstriert, wie Text eine materielle Komponente hat, die man mit Schere und Kleber beeinflussen kann. „Der Künstler wird Handwerker […].“2, bringt es Almuth Grésillon treffend auf den Punkt. Handschriftliche Ergänzungen umrahmen die eingeklebten Teilstücke, werden diesen vor- oder nachgestellt oder fügen Textbausteine zusammen. Das Schneiden und Kleben ersetzt den klassischen schriftlichen Revisionsakt also nicht, sondern erweitert diesen lediglich, um eine äusserst taktile Komponente.3 Der handgeschriebene Text ist immer in Schreibschrift, eine klare Präferenz für ein Schreibmittel lässt sich jedoch auch hier nicht erkennen. Jansson schreibt mit Bleistift, Tinte oder Kugelschreiber. Weiter ist sichtbar, dass Tove Jansson hier immer mit kariertem Papier als Hintergrund arbeitet. Dabei handelt es sich nicht um lose Blätter, sondern um Hefte. Streichungen und Korrekturen sind in einigen wenigen Fällen ebenfalls zu sehen.

 

Austauschprozesse und der Prozess der Textentwicklung werden bei dieser Arbeitsweise auf dem Papier sichtbar.4 Dies geschieht jedoch keinesfalls zufällig, sondern aus mehreren Gründen gewollt. So zeigt Abbildung 27 etwa, wie nicht nur grössere Textblöcke ausgeschnitten werden, sondern auch bloss einzelne Sätze, die sorgfältig extrahiert und dann wieder eingeklebt werden. Umgekehrt wird gedruckter Text ebenfalls lediglich mit einem handschriftlichen Einschub ergänzt, für den zuerst ein entsprechender Hohlraum geschaffen wurde. Dabei schien Jansson bestrebt, das ausgeschnittene Textstück so wenig wie möglich zu beschädigen, wie Abbildung 28 veranschaulicht. Es wird lediglich eine einzelne Schneise in das Fragment geschnitten im Bestreben, den Rest möglichst ganz zu lassen. Hier können Aspekte wie Arbeitseffizienz oder Zeiteinsparung kaum eine Rolle gespielt haben. Vielmehr ist es ein Beispiel für die oben erwähnte bewusste Inszenierung der Collagenhaftigkeit. Die eingeklebten Textstücke haben die Funktion von grafischen Elementen, die gekonnt in Szene gesetzt werden. Es wird ein neuer Text geschaffen, in dem die Bauteile der alten Version deutlich sichtbar bleiben. Durch diese Taktik der partiellen Wiederverwertung entsteht gleichzeitig ein bewusst kreiertes Memento an das vorige Œeuvre. Das „[…] Brechen und Schneiden, das Fragmentieren, Splittern und Facettieren […]“ bezeichnet Helmut Friedel als ein wesentliches Prinzip der Kunst des 20. Jahrhunderts. Ausserdem postuliert er, gerade der Schnitt sei „eine der kritischen Formen der Kunst.“5 Oder: Das Schneiden erzeugt, sei es in den Vorarbeiten genauso wie in den gedruckten Texten, ein Inszenieren der physischen Präsenz des Materials durch dessen Elimination. „Denn durch den Schnitt tritt mit einem Mal die Idee des Bildes, das Dargestellte zurück.“6 Oder in Dieter Merschs Worten, der behauptet

[…] dass von „Materialität“ immer nur in einem negativen Sinne gesprochen werden kann; sie ist nicht einfach da, greifbar, sondern besetzt eine nicht explizit zu machende Stelle, ein „Abwesen“, das sich zuweilen im „Zwischen“ zusammenspielender oder konfligierender Stoffe abzeichnet oder aus ihm „herausbricht“.7

Letztlich zeigt sich in Arbeiten solcher Art ein künstlerisches Tun, das in einer regelrechten „Ästhetik des Produzierens, der Montage und der Collage“8 gipfelt, die quasi vor den Augen des Betrachters genuin entwickelt wird.

Abb. 27:

Textcollage Muminpappans memoarer. Detail.

Abb. 28:

Textcollage Muminpappans memoarer. Detail.

2.3.3. Zusammenfassung

Bei der Präsentation der ausgewählten Arbeitstechniken wurde zwischen Lyrik und Prosa unterschieden. Dabei erwies sich die Arbeit an den Gedichten als stark gattungsspezifisch. Bei der Betrachtung der Vorarbeiten zur Lyrik ist das schier mantrische Wiederholen ganzer Gedichte oder einzelner Strophen besonders hervorzuheben. Die Wiederholungen sind Ausdruck eines Kristallisationsprozesses, einem Ringen um eine finale Version eines Kunstwerks, in diesem Fall eines Gedichts, der sich auf dem Papier materialisiert. Spannenderweise werden überholte Versionen jedoch nicht etwa vernichtet oder unleserlich gemacht, sondern fristen eine Koexistenz. Auf diese Art wird der Übergang vom Entwurf zum Produkt, oder vom Produzieren zum Produkt, oszillierend. Weiter werden Texte bereits innerhalb eines definierten visuellen Erscheinungsbildes konzipiert. So ist die für den Text in Den farliga resan vorgesehene Einteilung in Vierzeiler bereits in den Vorarbeiten zu erkennen. Dabei werden die einzelnen Textblöcke zu grafischen Formelementen, die es letztlich als Ganzes auf der Buchseite zu platzieren gilt.

Was die Vorarbeiten zu den Prosatexten betrifft, so wurden zwei Taktiken zur Text(re)produktion vorgestellt: das marginale Annotieren und eine Collagetechnik. In der ersten Arbeitsweise reformiert sich das visuelle Erscheinungsbild durch das Hinzufügen von neuem Text, der sich um den bereits bestehenden formiert. Dies ist insofern eine äusserst subversive Arbeitsweise, als dass dadurch das Gestaltungsbild der Seite aufgelöst wird. In der Collagetechnik setzt Jansson ausgeschnittene Textfragmente aus gedruckten Versionen neu zusammen, ergänzt sie gegebenenfalls mit handgeschriebenem Text und kreiert so eine neu orchestrierte Version. Es entsteht sozusagen ein Buch aus einem Buch. Mit dem Ziel, die einzelnen Komponenten nicht gänzlich verschmelzen zu lassen, sondern sie im Gegenteil quasi auszustellen. Gerade durch das Arbeiten mit Schere und Kleber wird die Materialität des vorliegenden Dokuments durch Schnittkanten, oder durch das, was sich in Merschs Worten eben nicht „zeigt“, in Szene gesetzt.

Darin besteht auch die ideologische Gemeinsamkeit der vorgestellten Arbeitspraktiken: Produzieren und das Produkt respektive der Entwurf und das Kunstwerk sind Teil eines Kreislaufs. Dieser ständige Wechsel des „Aggregatszustands“ wird von Jansson regelrecht inszeniert, indem sie „Alt“ und „Neu“ konsequent nebeneinander bestehen lässt. Dies wird vor allem in den Textcollagen deutlich, wo versucht wird, aus Altem etwas Neues zu kreieren. Das Umarbeiten zeigt sich hier als eine kreative Strategie und ebenfalls als Instrument ständiger Selbstreflexion, da beide Techniken ein intensives Auseinandersetzen mit dem bereits Geschaffenen bedingen.

Die ausgewählten Beispiele, sowohl konzeptioneller wie auch textgenerierender Art, belegen eine Produktionsästhetik, die in Janssons modus operandi zum Ausdruck kommt. Er besteht aus einer ständigen Reflexion über eine bestimmte Künstleridentität, über das Produzieren von Kunst und Literatur im Spannungsfeld der unterschiedlichen Disziplinen (Malerei und Schriftstellertum), in dem sie sich bewegt.

3. Zur Inszenierung des Schreibens

Während das vorige Kapitel den Schaffensprozess anhand verschiedener Vorarbeiten beleuchtete, stehen in der folgenden Analyse desselben die Schreibszenen in den Muminbüchern im Mittelpunkt. Das Mumintal beherbergt zahlreiche Künstler mannigfaltiger Couleur: Maler, Sänger, und Schriftsteller. Evelyne Arizpe etwa weist auf die Präsenz von Texten in den Muminbüchern hin, die in den unterschiedlichsten Formen vorkommen: schriftlich, dramatisiert, mündlich oder gar visuell. Nachrichten finden sich auf Hinweisschildern, in Briefen, in Büchern, ja sogar auf dem Papier, in dem Brote eingepackt werden.1 Dabei erfüllen sie meist eine zentrale Rolle im Narrativ. Beispielsweise wird in Farlig midsommar ein Flugblatt verfasst, welches über die geplante Theateraufführung informiert und die verschiedenen Handlungsstränge zusammenführt. Als Schriftsteller kann vor allem Pappan ein beeindruckendes Schaffen vorweisen. Zu seinen Werken zählen eine Autobiografie, ein Theaterstück und eine wissenschaftliche Abhandlung. Diese Werke nehmen als Buch im Buch beziehungsweise Stück im Stück viel Raum in den Erzählungen ein. Entsprechend zahlreich sind auch die Schreibszenen. Das Buch im Buch ist in der Literatur keinesfalls eine neue Escheinung und hat sich vor allem in der Fantasy-Literatur etabliert. Mit den Erzählungen und Romanen der Romantik hat es eine erste Hausse erfahren als „Erklärungsmedium für Schreib-, Lese- und Lebensdiskurse.“2 Auch in den Muminbüchern wird mittels Schreibszenen das Produzieren von Literatur als Kunst thematisiert. Entsprechend wird im nachfolgenden Kapitel die Inszenierung des Produzierens und Rezipierens von Literatur als Kunst anhand von Schreib- respektive Leseszenen herausgearbeitet.

Bis anhin hat sich die Literaturwissenschaft darauf beschränkt, „die Geschichte des Schreibens aus der Perspektive seiner Semantik vorwiegend als Geschichte der Literatur, der Rhetorik und der Poetik zu behandeln“. Die Körperlichkeit und Instrumentalität des Schreibakts hingegen, sei in der Literaturwissenschaft kaum beachtet worden.3 Rüdiger Campes Definition der Schreibszene basiert jedoch genau darauf:

Sie [die Worte „écrire“ und „écriture“] können sich offenbar einmal auf die Schrift als eine Instanz der Sprache im Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit beziehen, implizieren aber immer auch eine Praktik, ein Repertoire von Gesten und Vorkehrungen. Diese fundamentale sprachlich-gestische Beziehung wird im folgenden durch „die Schreibszene, Schreiben“ bezeichnet.4

Campe plädiert dafür, statt lediglich nach den Darstellungsformen der Schreibszene ebenfalls nach den „Imperativen ihrer Inszenierung“ zu suchen.5 Das Schreiben wird in Anlehnung daran als eine soziale Praktik verstanden, deren materielle Komponente nachfolgend im Mittelpunkt steht. Dies wiederum bedeutet, dass es für die Szene des Schreibens einen Rahmen benötigt, ein mit entsprechendem „Dekor“ geschmücktes Setting, in dem der Schreibakt stattfinden kann. „Szene“ im Wort „Schreibszene“ bedeutet also vor allem auch „Inszenierung“. Davie Giuriato, Martin Stingelin und Sandro Zanetti heben bei der Beschreibung von Schreibszenen das Element des Widerstandes im Prozess des Schreibens hervor. Sie vertreten gar die Ansicht, das Schreiben werde immer dort thematisch, wo sich Widerstände im Prozess des Schreibens einstellen, wo der Schreibprozess gestört wird. Diese könnten auf allen Ebenen des Schreibakts vorkommen.6 Entsprechend definieren sie die Schreibszene wie folgt:

Wenn unter „Schreibszene“ die historisch und individuell von Autor(in) zu Autor(in) veränderliche Konstellation des Schreibens verstanden wird, die ihren Ort innerhalb eines durch Sprache (Semantik des Schreibens), Instrumentalität (Technologie des Schreibens) und Gestik (Körperlichkeit des Schreibens) gemeinsam bestimmten Rahmens hat und dabei thematisch wird, ohne dass dieses Beziehungsgefüge als Gegenstand oder Quelle eines möglichen oder tatsächlichen Widerstands zum Problem würde, so hat sich für diejenigen Fälle, in denen sich einzelne oder mehrere Faktoren in diesem Ensemble in ihrer Heterogenität und Nicht-Stabilität an sich oder gegenseitig derart aufzuhalten beginnen, dass das Ensemble als instabiles und problematisches Beziehungsgefüge thematisch wird, der Begriff der „Schreib-Szene“ – mit einem sperrigen Bindestrich – angeboten. Die Singularität der „Schreibszene“ entspringt der Prozessualität des Schreibens; die Singularität jeder einzelnen „Schreib-Szene“ der Problematisierung des Schreibens, die es zu (Auto)Reflexion anhält, ohne dass es sich gerade in seiner Instabilität gänzlich transparent werden könnte.7

Die Definition der Schreibszene macht deutlich, dass mit den erwähnten Widerständen ebenfalls die Körperlichkeit und die Instrumentalität des Schreibakts gemeint sind.

Die Schreibszene, so wird die Analyse zeigen, ist meist gekoppelt an eine Leseszene, in der das Geschriebene vorgetragen wird. Dabei wird einerseits der Autor zum Rezipienten seiner eigenen Erzählung. Das Publikum andererseits wird teilweise in einem solch hohen Masse in den Entstehungsakt des Texts miteinbezogen, dass es seinerseits zum Produzenten wird. Dies impliziert eine Prozesshaftigkeit des künstlerischen Wirkens, wie sie im vorherigen Kapitel „Zur Inszenierung des ,Machens‘“ ebenfalls festgestellt wurde.

Eng gekoppelt an Schreibszenen sind Darstellungen der Autorschaft. Diese ist im hiesigen Kontext insofern relevant, als dass Vorstellungen von Autorschaft die Produktion und Rezeption von Texten regeln.8 Die Begriffe „Autorschaft“ und „Autorschaftskonzept“ werden in Anlehnung an Nathalie Amstutz als eine Vorstellung von Autorschaft verstanden und nicht als „Rekonstruktion eines Gesichts.“9 Auch Wolfgang Behschnitt versteht den fiktiven Autor auf einer abstrakten Ebene als textuelles Konstrukt. Der Autor, so Behschnitt, schafft auf diese Weise in „einem Akt der Selbstvermehrung ,Dichterpersönlichkeiten‘, was sich als Erzähler- und Autorrollen interpretieren lässt“.10 Im Feld der unterschiedlichen Autorbilder definiert Anne Bohnenkamp das inspirierte Genie einerseits, und den poetischen Handwerker andererseits als die markantesten Gegensatzpaare.11

Zusammenfassend wird nachfolgend das Schreiben als Prozess in seinen poetologischen und materiellen Komponenten untersucht. Die Analyse beschränkt sich auf die Autorschaft Pappans. Entsprechend umfasst sie Muminpappans memoarer, wo er als Autobiograf erscheint. Des Weiteren gehören ebenfalls Farlig midsommar, wo sich Pappan als Dramatiker betätigt, sowie Pappan och havet, wo er sich wissenschaftlichen Studien widmet, zum Untersuchungsmaterial. In der Analyse werden die erwähnten Muminbücher chronologisch abgehandelt. Im Falle von Muminpappans memoarer tragen das Buch der Muminreihe und das Buch, welches Pappan darin verfasst, denselben Namen. Daher wird nachfolgend Pappans Werk in Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt. Hierbei werden ebenfalls Schreibszenen berücksichtigt, die dieses Projekt betreffen, jedoch in anderen Muminbüchern zu finden sind.