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Kunstprojekt (Mumin-)Buch

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

3.1. Muminpappans memoarer

„Att bli författare, att vara litterär och bli berömd var temat på Toves nya muminagenda“ „Schriftsteller zu werden, literarisch zu sein und berühmt zu werden war das Thema auf Toves neuer Muminagenda“, schreibt Boel Westin zur Entstehung von Muminpappans memoarer und fasst damit dessen zentrale Themen zusammen.1 Der Titel verrät bereits, dass es sich bei diesem Buch um eine (Auto)Biografie handelt. Ein Werk von solch überragender Bedeutung, dass es als einziges von Pappans Schriften auch in anderen Muminbüchern erwähnt wird.

3.1.1. „Muminpappans memoarer“ als Metatext

„Och skramla inte för mycket för pappa skriver.“ (KK 17) „,[…] Und versucht möglichst wenig zu klappern, weil Vater schreibt.‘“ (KM 19), ermahnt Muminmamma Mumintrollet und Sniff bereits in Kometen kommer, jedoch ohne genauer zu definieren, woran er schreibt. Es ist eine erste vage Andeutung, die sowohl die Spannung steigert als auch Erwartungen weckt. Auch in Farlig midsommar, dem Buch, das auf Muminpappans memoarer folgt, sind Pappans Memoiren nach wie vor Thema. Sie werden gar als Referenz hervorgehoben, die ihn für Mamman ebenfalls zum Stückeschreiber prädestiniert. Ein besonders enger Bezug scheint jedoch zwischen Muminpappans memoarer und Trollkarlens hatt zu bestehen. In Trollkarlens hatt, vor Muminpappans memoarer erschienen, wird besonders häufig auf Pappans Schreibprojekt rekurriert, sodass sein Werk zu einer Art Metatext wird. Endlich wird nach den spärlichen Hinweisen in Kometen kommer hier das Geheimnis um Pappans Arbeit gelüftet, ja es wird sogar explizit eine Gattung genannt und erklärt, auf welche Inhalte sie sich konzentriert: „Därefter drog han [Pappan] sig tillbaka till övre våningen för att skriva sina memoarer. (Den stora boken som handlar om muminpappans stormiga ungdom).“ (TH 18) „Danach zog er [Muminvater] sich in den oberen Stock zurück, um seine Memoiren zu schreiben, das grosse Buch, das von Muminvaters wildbewegter Jugend handelte.“ (DM 17). Ebenfalls in Trollkarlens hatt wird das zentrale Werkzeug eines Autors, Pappans „memoarpenna“ „Memoirenstift“, zum ersten Mal erwähnt. Ein Schreibwerkzeug, das ihn deutlich als Autor ausweist. Schriftträger und Schreibwerkzeug sind laut Grésillon zentrale materielle Parameter, die eine Handschrift kennzeichnen.1 Ferner sind sie zentrale Elemente des Ensembles der Schreibszene, wie sie Davide Giuritao, Martin Stingelin und Sandro Zanetti definieren.

Weiter wird in Trollkarlens hatt gezeigt, wie sämtliche Ereignisse in Pappans Leben zum Inhalt eines Buchs werden, bis er schliesslich lediglich für und durch das Buch zu existieren scheint. Oder wie es Westin formuliert: Das Leben als Buch überschattet das Leben selbst.2 Folgendes Zitat macht dies überdeutlich:

I rummet bredvid satt Mumintrollets pappa och skrev på sina memoarer. Det hade inte hänt nånting roligt att skriva om sen han byggde båtbryggan, så pappan höll istället på med att beskriva sin barndom.[…] Muminpappan skrev och skrev och tänkte på hur alla skulle ångra sig när de läste hans memoarer. Då blev han glad igen, och sa för sig själv: Det är rätt åt dem! (TH 107)

Im Zimmer nebenan sass der Muminvater und schrieb seine Memoiren. Seit er den Bootssteg gebaut hatte, war nichts Aufregendes mehr passiert, über das er hätte schreiben können, daher war der Muminvater dazu übergegangen, stattdessen seine Kindheit zu beschreiben.[…] Der Muminvater schrieb und schrieb und stellte sich vor, wie alle ihr Verhalten bereuen würden, wenn sie seine Memoiren lasen. Da wurde er wieder guter Laune und sagte sich: „Geschieht ihnen recht!“ (DM 129f)

Pappan verliert sich zusehends in der Aufbereitung seines Lebens als Erzählung und seiner selbst als literarische Figur, sodass er für die tatsächlichen Geschehnisse um ihn herum blind wird. Zu sehr absorbiert ihn sein fiktionales Alter Ego als Held einer Erzählung. Dies hat fatale Folgen. Während sich Pappan darüber beklagt, dass nichts Spannendes geschieht, wuchert im Haus ein Dschungel derart dicht, dass dadurch sogar die Tür seines Zimmers zuwächst und er in seinem Zimmer eingeschlossen ist. Auch sein Umfeld scheint um die Wichtigkeit monumentaler Ereignisse als Stoff für Pappans Werk zu wissen und hilft ihm gar bei der Auswahl. Als Mumintrollet und seine Freunde von dem sonderbaren Hut, der dem Buch den Titel gibt, plötzlich „fahrbare“ Wolken präsentiert bekommen, weiss dieser daher sofort: „Det här blir ett fint kapitel för dina memoarer […].“ (TH 21) „,Das hier gibt doch ein schönes Kapitel für deine Memoiren‘ […].“ (DM 21). Der magische Hut des Trollkarlen „der Zauberer“ besitzt die Fähigkeit zu verwandeln, was in ihn hineingegeben wird. Dabei ist der Hut jedoch unberechenbar. Er dient als Katalysator sowohl in der Rahmen- wie auch in der Binnenhandlung. In Bezug auf die Schreibszene symbolisiert er die Inspiration. Diese kann so einnehmend sein, dass sie den Autor alles um sich herum vergessen lässt, wie die Szene mit dem Dschungel beweist. Ferner wird anhand des Huts ebenfalls dargestellt, welch nicht zu kontrollierende Kraft die Inspiration ist.

Neben der Beschreibung der immensen persönlichen Bedeutung, die dieses Projekt annimmt, wird auch auf die blosse Materialität von Pappans Kunstwerk eingegangen, die den Stellenwert seiner Memoiren auf einer taktilen Ebene verdeutlicht. Pappans bedeutsames Werk verlangt ein repräsentatives Äusseres, das sowohl die Bedeutung des Inhalts als auch die Bedeutung des Verfassers im wahrsten Sinne des Wortes verkörpert. Trollkarlen lädt zu einem grossen Augustfest ein. Als Geschenk erfüllt er jedem seiner Gäste einen Wunsch. Auf Mammans Anraten hin wünscht sich Pappan einen Einband für seine Memoiren:

Önska dig ett par riktigt fina pärmar till dina memoarer! Ja, det blir bra, sa pappan glad. Alla upphävde rop av beundran, när Trollkarlen överräckte en pärlbesatt pärm av guld och röd saffian. (TH 154)

„Wünsch dir doch einen ganz besonders schönen Einband für deine Memoiren!“ „Ja, das ist gut“, sagte der Muminvater und wurde wieder froh. Alle stiessen bewundernde Rufe aus, als der Zauberer einen mit Perlen besetzten Einband aus Gold und rotem Saffianleder überreichte. (DM 188)

Dem Zitat ist zu entnehmen, dass dieser dekorative Einband seine Wirkung nicht verfehlt, die Zuschauer sind von dem Anblick hingerissen. Auf besagtem Augustfest liest Pappan dem zahlreich erschienenen Publikum schliesslich sogar aus seinen Memoiren vor: „[…] muminpappan bar ut sina memoarer i deras fina pärm och läste högt om sin barndom.“ (TH 158) „[…] der Muminvater brachte seine Memoiren in ihrem schönen Einband heraus und las über seine Kindheit vor.“ (DM 193). Abermals wird das schöne Erscheinungsbild des Buchs betont. Ein Erscheinungsbild, welches das Buch als Kunstobjekt und Faszinosum deutlich in Szene setzt und gleichzeitig die Bibliophilie der Figuren veranschaulicht.

3.1.2. „Muminpappans memoarer“ als Buch im Buch

Der Titel Muminpappans memoarer ist überdeutlich betreffend Urheberschaft und Gattung des vorliegenden Texts. Auch die Pose in der Vignette, die sich zu Beginn des Buchs findet, lässt keinen Zweifel bezüglich des Protagonisten aufkommen.1 Die Vignette zeigt Pappan in einem (Selbst-)Porträt, das Boel Westin an das Selbstporträt von Rembrandt erinnert.2 Darauf ist Pappan in gebieterischer Pose abgebildet, einen Arm auf eine Säule gestützt, die Stirn in strenge Falten gelegt. Es handelt sich dabei um eine Selbstthematisierung des Autors. Diese sei immer kontextgebunden, schreibt Victor Stoichita. Als kontextgebundene Selbstprojektion definiert er „diejenige Darstellung des Autors, die in ein Werk eingefügt ist, als dessen Schöpfer dieser sich auf die eine oder andere Weise erklärt.“ Thematisiert werde dabei die Trias „Macher“, das „Machen“ und das Ergebnis des „Machens“.3 Das Gemälde wird umrahmt von einem üppigen Kranz aus Blumen und Früchten. Darin versteckt sind weitere Figuren, die sein Leben dekorieren, wie Boel Westin bemerkt.4 Mit anderen Worten, es handelt sich dabei um eine bildliche Präsentation des Ensembles. Hingegen verfügt das Bild weder über eine Signatur noch eine Inschrift, wie dies für (Selbst-)Porträts üblich ist. In den älteren Versionen wurde dieses Bild sogar für das Buchcover gewählt, was dessen Aussagekraft die Erzählung betreffend unterstreicht.

a) Die Vorworte

Das Buch im Buch wird laut Uwe Japp meist in eine Rahmenhandlung eingebettet. Darin werden klassischerweise die Umstände geschildert, die schliesslich zum Buch im Buch führen.1 Dies wiederum resultiert letztlich in einem mehrstimmigen Text. Entsprechend verhält es sich auch bei Muminpappans memoarer.

Muminpappans memoarer besteht aus zwei Erzählebenen, einer Rahmenhandlung und einer Binnenhandlung. Letztere macht umfangmässig beinahe das ganze Buch aus. Sowohl die Rahmen- als auch die Binnenhandlung verfügen über ein Vorwort. Auf der Ebene der Rahmenhandlung unter dem Titel „Prolog“, in der Binnenhandlung unter dem Titel „Företal“ „Vorwort“. Beide Vorworte handeln inhaltlich von der Motivation, die dem Schreibprojekt zugrunde liegt. Diese wird jedoch konträr geschildert. Im Prolog beschreibt ein Erzähler den Entstehungskontext wie folgt: Pappan ist krank, gelangweilt und von seinem nahen Tod überzeugt. Im Angesicht seines vermeintlich baldigen Ablebens quält ihn ebenfalls die Angst, sein Leben könne in Vergessenheit geraten. Darauf überreicht ihm Mamman schliesslich ein Heft mit dem konkreten Vorschlag, er solle die Erlebnisse seiner Jugend darin festhalten, um dies zu verhindern. Im „Företal“ schildert Pappan als Ich-Erzähler das Projekt als wertvollen und unumgänglichen Dienst an der Allgemeinheit, welches er auf vielfachen Wunsch verwirklicht:

 

Ja, jag ger vika för familjens övertalningar och frestelser att få berätta om mig själv, för jag medger villigt att det är en stor lockelse att bli läst över hela mumindalen![…] Jag är skyldig mig själv, min samtid och mina efterkommande en beskrivning av vår märkvärdiga ungdom som inte är fri från äventyrlighet. (MM 12f)

Ja, ich gebe den Überredungen meiner Familie nach und der Versuchung, von mir selbst zu erzählen, denn ich muss gestehen, dass eine grosse Verlockung darin liegt, im ganzen Mumintal gelesen zu werden![…] Ich schulde mir selbst, meinen Zeitgenossen und meinen Nachkommen eine Beschreibung unserer denkwürdigen Jugend, die nicht frei von abenteuerlichen Erlebnissen war. (MWJ 10f)

Gleichzeitig macht er auch keinen Hehl daraus, dass seine Beweggründe nicht gänzlich uneigennützig sind und er sich durchaus Ruhm und Ehre durch seine Arbeit erhofft. Wie Jürgen Nelles für Die Lebens-Ansichten des Katers Murr postuliert, so ist das Vorwort des Buchs im Buch als performativer Akt zu verstehen, „der das Buch, von dem die Rede ist, auf der fiktiven Ebene zum Buch erklärt.“2 Dasselbe geschieht im Falle von Pappans Werk. Die Schreibszene wird zu Beginn des Vorworts ebenfalls visuell dargestellt. Eine Abbildung zeigt Pappan als Autor, mit Heft, Schreibfeder und Tintenfass als Attribute. Seine Augen sind nach oben gerichtet, tief in Gedanken versunken3.

Die Gattung, obwohl schon seit Trollkarlens hatt kein Geheimnis mehr, wird in den Vorworten explizit erwähnt. Pappan zitiert im Vorwort aus denjenigen einer anderen grossen Persönlichkeit, wie er ebenfalls festhält, und definiert dadurch sogleich das Ziel seiner Arbeit, wie auch der geeignete Moment beziehungsweise das geeignete Alter für ein solches Unterfangen:

Men jag styrker mig själv med de anmärkningsvärda visdomsord jag hittat i en annan stor personlighets memoarer och återger dem här: „Alla, av vad stånd de än må vara, som har uträttat något gott i världen eller något som verkligen tycks vara gott, borde, om de är sanningsälskande och goda, egenhändigt skildra sitt liv, likväl ej börja med detta vackra företag förrän de uppnått fyrtio års ålder.“ (MM 11)

Jedoch ziehe ich Kraft aus den bemerkenswerten Weisheitsworten, die ich in den Memoiren einer anderen grossen Persönlichkeit gefunden habe und die ich hier wiedergeben möchte: „Alle, von welchem Stande sie auch seien, die etwas Tugendsames oder Tugendähnliches vollbracht haben, sollten, wenn sie sich wahrhaft guter Absichten bewusst sind, eigenhändig ihr Leben aufsetzen, jedoch nicht eher zu einer so schönen Unternehmung schreiten, als bis sie das Alter von vierzig Jahren erreicht haben.“ (MWJ 9f)

Ausserdem positioniert er sich so als grosser Kenner autobiografischer Literatur. Agneta Rehal-Johansson vergleicht das Vorwort mit dem von Giovanni Casanova, seines Zeichens Autobiograf und Lebenskünstler. Sie weist etwa auf denselben Schreibstil hin.4 Im Prolog ist es Mamman, die eine konkrete Genrebezeichnung anspricht: „Kallas det inte memaorer eller nånting när man skriver om sitt liv? Nä, memoarer, sa pappan.“ (MM 9) „,Nennt man das nicht Memaoren oder so ähnlich, wenn man über sein eigenes Leben schreibt?‘ ,Nein, Memoiren‘, sagte der Muminvater.“ (MWJ 8). Philippe Lejeune bezeichnet Memoiren als Nachbargattung der Autobiografie. Diese wiederum definiert er wie folgt: „Rückblickende Prosaerzählung einer tatsächlichen Person über ihre eigene Existenz, wenn sie den Nachdruck auf ihr persönliches Leben und insbesondere auf die Geschichte ihrer Persönlichkeit legt.“ Grundlegend dabei ist die Identität zwischen Autor, Erzähler und Figur.5

Die Diskrepanz zwischen den Schilderungen in den Vorworten weist auf Pappans Unzuverlässigkeit als Erzähler hin. Ferner beinhaltet dies eine Auseinandersetzung mit der Autorinstanz, welche einen Einblick gewährt in das Selbstverständnis einer solchen. Die Unzuverlässigkeit wird noch weiter unterstrichen. Im folgenden Zitat relativiert er sogar selbst explizit den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen:

Och jag är ganska snäll och håller på sanningen om den inte är för tråkig (min ålder har jag glömt).[…] Men med undantag för några små överdrifter och förväxlingar som säkert bara höjer lokalfärg och eldighet skall den här självbiografin bli fullständigt sanningsenlig. (MM 12)

Auch bin ich voller guter Absichten und halte mich an die Wahrheit, wenn sie nicht allzu langweilig ist (wie alt ich bin, habe ich vergessen).[…] Aber abgesehen von einigen kleineren Übertreibungen und Verwechslungen, die gewiss nur zum Lokalkolorit und zum feurigen Stil beitragen, wird diese Autobiografie vollkommen wahrheitsgetreu werden. (MWJ 10)

Normalerweise werden hohe Ansprüche an die Authentizität gestellt, wenn sie auf Fakten beruhen soll, schreibt Maria Nikolajeva,6 was bei der gewählten Gattung der Fall ist. Doch genau dieser Anspruch wird hier gezielt untergraben, stattdessen werden die Kategorien Fiktion und Autobiografie bewusst ins Wanken gebracht. Zwischen das Gegensatzpaar „Fiktion“ und „Autobiografie“ ist in der neuen Literaturwissenschaft die Kategorie der „Autofiktion“ getreten.7 Damit ist die Meinung verbunden, dass jede Autobiografie gleichzeitig auch Fiktion ist. Gerade die (Auto)Fiktion aber „lässt den Autor als denjenigen, der fingiert und sich selbst fingiert, in Erscheinung treten.“8 Das macht sie somit ebenfalls zum Mittel einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Rollenbild des Autors.

Der Anspruch nach Korrektheit spiegelt sich in den Reaktionen des Publikums, welches den Wahrheitsgehalt des Inhalts durchaus auch in Frage stellt und Pappan mit seiner Unzuverlässigkeit konfrontiert: „Men en hel del har du nog bara hittat på, sa Sniff. Visst inte, utbrast Muminpappan. På den tiden hände det verkligen saker! Vartenda ord är sant! Naturligtvis, ett och annat kan ju vara en åning förstärkt här och var…“ (MM 44) „,Aber viele Sachen hast du dir bestimmt bloss ausgedacht‘, bemerkte das Schnüferl. ,Natürlich nicht‘, protestierte der Muminvater. ,Damals war wirklich noch etwas los! Jedes Wort ist wahr! Klar, das eine oder andere mag ja hin und wieder ein wenig verstärkt sein…‘“(MWJ 49). Abermals gesteht Pappan, Inhalte absichtlich verändert zu haben. Pappan als Autor ist daher keinesfalls bloss kindlich naiv, sondern ebenfalls „[…] direkt maliciös och avsiktligt tvetydlig i sitt självporträtt och sin historieskrivning“ „direkt böswillig und absichtlich zweideutig in seinem Selbstporträt und seiner Geschichtsschreibung“, wie Agneta Rehal-Johansson festhält.9

Sowohl im Prolog wie auch im Företal zeigt sich, welch zentrale Rolle Mamman im Zusammenhang mit Pappans Schreibtätigkeit inne hat. Schliesslich ist sie es auch, die für die richtige Schreibatmosphäre sorgt, indem sie die Kinder dazu anhält, sich ruhig zu verhalten, damit Pappan mit der Arbeit beginnen kann: „Och nu ska ni hålla er riktigt tysta för idag börjar din pappa skriva sina memoarer.“ (MM 10) „,Aber jetzt müsst ihr ganz leise sein, heute fängt dein Vater nämlich an seine Memoiren zu schreiben.‘“ (MWJ 8). Diese Worte bilden die Überleitung zur Binnenerzählung. Im Vorwort schliesst Pappan Mamman gar in seine Danksagungen mit ein. Weiter initiiert Mamman den Schreibakt nicht nur, sondern betreut und steuert ihn, ja korrigiert sogar dessen Rezeption. Sie ist es auch, die das Geschriebene als Erste zu hören bekommen wird: „Jag kommer inte att läsa ett ord förrn ett helt kapitel är färdigt och först läser jag det bara för dig och sen för de andra.“ (MM 9f) „,Ich lese kein Wort vor, bevor das ganze Kapitel fertig ist. Zuerst werde ich es dir vorlesen, dann erst den andern.‘“ (MWJ 8), versichert ihr Pappan. Die Memoiren setzen dort ein, wo Pappan als Säugling vor einem Waisenhaus aufgefunden wird und umfassen dann die Zeitspanne bis er auf seine zukünftige Frau trifft. In Anlehnung an die Tradition der Genieästhetik schildert Pappan sich als jungen Sturm und Dränger, als Originalgenie, welches unter speziell günstigen Sternen geboren ist. Von Natur aus zu Grossem berufen. „Den skrivande pappan representerar lusten, dikten och fantasin, allt det som författaren Tove Jansson höll allra högst.“ „Der schreibende Pappan repräsentiert die Lust, das Gedicht und die Fantasie, all dies, was die Autorin Tove Jansson am höchsten hielt“, schreibt Westin diesbezüglich.10 Vergleicht man dies jedoch mit der bildlichen Darstellung Pappans als Autor, auf die bereits eingegangen wurde, offenbart sich ein Widerspruch zwischen der Textinstanz und dem visuell dargestellten Autorkonzept. Pappan ist mit Attributen abgebildet (Schreibfeder und Tintenfass), die für ein altertümliches und patriarchalisches Autorkonzept stehen.

b) Schreiben – lesen – schreiben

Der Schreibakt ist in erster Linie dadurch gekennzeichnet, dass er immer wieder unterbrochen, gestört, wird. Pappan beendet sein Werk vor dem Vorlesen nicht, sondern trägt einer ausgewählten Runde, bestehend aus Mumintroll, Snusmumrik und Sniff, jeweils die neusten Kapitel seiner Arbeit vor. Muminmamman gehört, wie erwähnt, ebenfalls zu diesem erlesenen Kreis. Wie man dank dem Vorwort weiss, bekommt sie bereits vor den anderen das aktuellste Kapitel zu hören. Eine solche Situation wird jedoch nie explizit beschrieben. Wenn Pappan dem Rest der Gruppe jeweils vorträgt, ist sie nie anwesend. Ihre Bemerkungen beweisen aber, dass sie vom Inhalt tatsächlich Kenntnis hat. Das Narrativ oszilliert so ständig zwischen den beiden Erzählebenen. Gleichermassen ergibt sich ein stetiger Wechsel zwischen Schreiben und Lesen, beziehungsweise zwischen Pappan als Produzenten und Rezipienten. Schreiben und Lesen, so wird ebenfalls deutlich, sind Tätigkeiten, die im beschriebenen Schaffungsprozess eng zu führen sind. „Professionelles Lesen ist[…] schreibendes Lesen“, beschreibt Aleida Assmann diesen Zusammenhang.1 Sie räsoniert weiter:

Was sich in dem Zwischenraum zwischen Leser und Text ebenfalls breit gemacht hat, ist das Bewusstsein von der Präsenz und konstruktiven Kraft der materiellen Medien Buch und Schrift, die die Formen der Lektüre entscheidend beeinflussen.2

Dieses Bewusstsein äussert sich in Muminpappans memoarer in einem Fachgespräch über das Machen von Literatur, welches sich durch den Akt des Vorlesens zwischen dem Autor und den Rezipienten entspinnt. Die beiden Erzählebenen sind kausal miteinander verbunden, das heisst, die Binnenerzählung enthüllt den Teil von Pappans Leben, von dem sein Umfeld bis anhin keine Kenntnis hatte. Die Übergänge sind in der Regel deutlich materiell gekennzeichnet. Meist markiert das Schliessen respektive das erneute Öffnen von Pappans Stift beziehungsweise Heft den Übergang von einer zur anderen Erzählebene: „Han skruvade holken på memoarpennan […].“ (MM 23) „Er schraubte die Kappe auf seinen Federhalter […].“ (MWJ 23). Oder: „Han funderade en stund, så tog han upp memoarpennan och fortsatte att skriva om sin ungdom.“ (MM 61) „Er überlegte eine Weile, dann nahm er seinen Federhalter und setzte den Bericht über seine Jugend fort.“ (MWJ 70). Gerade bei diesen Übergängen wird immer wieder auf Pappans Schreibwerkzeug und den Schriftträger referiert, die hier nicht nur seinen Beruf und dessen charakteristische Tätigkeit symbolisieren, sondern auch die intradiegetische Erzählebene. Mit anderen Worten: Die Schreibszene wird durch materielle Parameter gerahmt, die sie konstituieren respektive ermöglichen. Teilweise wird explizit auf die Unterbrechung des Vortrags hingewiesen: „Jaha, så här långt har jag kommit, sa Mumintrollets pappa med sin vanliga röst och tittade upp ur memoarerna.“ (MM 59) „,So, bis hierher bin ich gekommen‘, sagte der Muminvater mit seiner normalen Stimme und sah von seinen Memoiren auf.“ (MWJ 67). Der Hinweis auf das Wechseln der Stimme in einem narrativen wie auch in einem physischen Sinn ist in diesem Zitat noch speziell hervorzuheben, da darin ebenfalls die Körperlichkeit des Schreibens zum Ausdruck kommt. Diese kann sich vom „Kratzen mit der Feder über das Hämmern der Schreibmaschine bis hin zur Flüchtigkeit der Stimme beim Diktieren“ erstrecken.3

Durch den Diskurs über das entstehende Werk werden die Zuhörer konzeptionell in den Schaffungsprozess involviert. So werden sie etwa nach dem Vorlesen explizit nach ihrer Meinung gefragt: „Pappan slog igen häftet och tittade förväntansfullt på sina åhörare. Nå, vad tycker ni? frågade han.“ (MM 44) „Der Muminvater klappte sein Heft zu und sah seine Zuhörer erwartungsvoll an. ,Na, was haltet ihr davon?‘, fragte er.“ (MWJ 49). Pappans Co-Autoren bringen sich zu einem breiten Spektrum an formalen und inhaltlichen Aspekten ein und reflektieren die Geschehnisse, vor allem aber auch die Art der Erzählung der intradiegetischen Ebene. So beinhaltet das Gespräch etwa Punkte wie den Spannungsaufbau: „Läs mera! ropade Sniff. Hur gick det sen?[…] Nästa gång, sa Muminpappan mystiskt. Det var spännande, va? Men ser du, det är en av knixarna med skriveri att sluta ett kapitel just när det är som hemskast.“ (MM 87) „,Lies weiter !‘, rief das Schnüferl. ,Was ist dann passiert?‘[…] ,Nächstes Mal‘, sagte der Muminvater geheimnisvoll. ,Das war ganz schön spannend, was? Aber genau das ist einer der Tricks beim Schreiben, dass man ein Kapitel immer dann beendet, wenn es am aufregendsten ist.‘“ (MWJ 103), doziert Pappan. Gerne setzt sich Pappan als versierter Verfasser in Szene, der das System des Cliffhangers gekonnt erklärt. Sein Publikum scheint bezüglich seines Könnens jedoch bedeutend skeptischer, wie der folgende Gesprächsausschnitt offenbart:

 

Spöket är bra, sa Mumintrollet som låg med täcket upp till öronen. Det ska du ha med. Men alla de där sorgliga känslorna tycker jag är lite onödiga. Det blir så långt. Långt? utbrast pappan sårad. Vad menar du, långt? Det ska vara sorgliga känslor i memoarer. Alla memoarer har dem.[…] Kanske han borde förkorta det där kapitlet om känslor. Kanske det verkade fånigt och inte alls gripande? Kanske hela boken var fånig! (MM 123)

„Das Gespenst ist gut“, sagte Mumin, der sich die Decke bis an die Ohren gezogen hatte. „Das musst du unbedingt drin lassen. Aber diese ganzen traurigen Gefühle finde ich ein bisschen unnötig. Das wird so lang.“ „Lang?“, rief der Muminvater gekränkt aus. „Was meinst du damit – lang? Zu Memoiren gehören nun mal traurige Gefühle. Die kommen in allen Memoiren vor.“[…] Vielleicht sollte er dieses Kapitel über die Gefühle etwas kürzen? Vielleicht wirkte das nur lächerlich und kein bisschen ergreifend? Vielleicht war ja das ganze Buch lächerlich! (MWJ 147f)

Agneta Rehal-Johansson stellt fest, dass die Zuhörer eher rücksichtsvoll als ehrlich sind in ihren Rückmeldungen.4 Auch wenn die Kritik äusserst zurückhaltend angebracht wird, trifft sie Pappan zutiefst, ja lässt ihn sogar das ganze Projekt in Frage stellen, wie am Ende des Zitats deutlich wird. Wie bereits erwähnt, ist es Mamman, die ihm darauf aus dieser Schaffenskrise hilft. In Mumintrollets Kommentar bezüglich des Gespensts zeigt sich, dass er dieses als Figur betrachtet, von der er sich für den Inhalt der Diegese einen Mehrwert verspricht und die folglich zwingend Teil der Erzählung erscheinen muss. Dadurch wird abermals auf das Spannungsverhältnis zwischen Fiktion und Autobiografie rekurriert.

Auch realistisch-pragmatische Überlegungen zur Autorschaft und die ökonomischen Aspekte der Buchproduktion werden in der Diskussion nicht ausgespart. So etwa, wenn Mumintrollet den finanziellen Aspekt des Schreibens anspricht: „[…] Blir vi rika när din bok är färdig? Hemskt rika, sa Muminpappan allvarligt. Då tycker jag vi tar och delar, föreslog Sniff.“ (MM 59) „,[…] Wenn dein Buch fertig ist, werden wir dann reich?‘ ,Sehr reich‘, erklärte der Muminvater ernst. ,Aber dann teilen wir‘, schlug das Schnüferl vor.“ (MWJ 68). Sniff scheint hier auch keine Zweifel bezüglich seines Beitrags zur Erzählung zu haben, der seiner Meinung nach eine Gewinnbeteiligung verdient. Die Bandbreite der diskutierten Punkte öffnet sich weiter. Im folgenden Zitat wird über den verwendeten Duktus diskutiert:

Pappa, sa Mumintrollet. Pratade man verkligen sådär onaturligt på den tiden? Döm om min häpnad och lända till fröjd och min inre syn och sånt där. Det är inte alls onaturligt, sa pappan förargad. Tror du man kan prata slarvigt när man författar?! Jamen ibland gör du det, invände hans son. Och du låter Rådd-djuret prata vanligt. Äsch, sa pappan. Det är lokalfärgen. Förresten är det stor skillnad på vad man berättar om saker och vad man tycker om dem, jag menar – en fundering eller en beskrivning är ju nånting helt annat när man pratar och dessutom ska allt det där mest gå på känsla…Tror jag…Pappan tystnade och började bekymrad bläddra i memoarerna. Tycker ni jag har använt för ovanliga ord? frågade han. Det gör nog ingenting, sa Mumintrollet. Det var ju för så länge sen och man kan nästan gissa vad du menar. (MM 45f)

„Pappa“, sagte Mumin. „Hat man damals tatsächlich so unnatürlich gesprochen? Man stelle sich meine Verwunderung vor, zur Freude gereichen, vor meinem inneren Auge und so was?“ „Das ist kein bisschen unnatürlich“, sagte der Muminvater verärgert. „Glaubst du etwa, man kann beim Verfassen eines Buches einfach so daherreden?“ „Aber manchmal tust du das trotzdem“, wandte Mumin ein. „Und das Schusseltier lässt du ganz normal reden.“ „Na und“, sagte der Muminvater. „Das ist Lokalkolorit. Übrigens besteht ein grosser Unterschied zwischen dem, was man über die Dinge erzählt, und dem, was man von ihnen hält, also ich meine – wenn man spricht sind Gedanken oder Beschreibungen ja was ganz anderes, und ausserdem muss das alles aus dem Gefühl kommen…Gaube ich…“ Der Muminvater verstummte und begann bekümmert in seinen Memoiren zu blättern. „Findet ihr, dass ich zu viele ungewöhnliche Wörter verwendet habe?“, fragte er. „Ich glaube, das macht nichts“, sagte Mumin. „Das alles ist ja schon so lange her, und man kann fast erraten, was du meinst.[…]“ (MWJ 50f)

Die Sprechweise ist ein ganz zentrales Element der Figurengestaltung, dessen sich Pappan bedient, um seine Charaktere zu formen. Darüber hinaus geht er auf so komplexe Sachverhalte wie den Unterschied zwischen mündlicher und schriftlicher Sprache ein. Weiter betont er die Wichtigkeit, mit den Texten Emotionen zu wecken. Pappan gewährt dabei tiefe Einblicke in grundlegende Gedanken des Schaffensprozesses.

Mehr und mehr beeinflussen die Reaktionen auf das Gehörte den weiteren Verlauf und die Art der Erzählung. Wie bereits erwähnt, entsteht die Erzählung vor den Augen des Publikums. Das Schreiben erhält dadurch einen stark prozessualen Charakter, in dem der Autor ständig mit der endlichen Form ringt, diese immer wieder überdenkt, ja sogar komplett in Frage stellt und sich letztlich dem Einfluss von anderen Akteuren, die am Entstehungsprozess beteiligt sind, offensichtlich nicht gänzlich entziehen kann. So äussert sich Pappans Publikum, im folgenden Beispiel Snusmumriken, auch konkret zum Inhalt. Die Anmerkungen fallen äusserst präzise aus und werden ad hoc umgesetzt: „[…] skriv mer om Joxaren, hör du. Lämna inte bort nånting! Mumintrollets pappa nickade, lade häftet i gräset och skrev vidare.“ (MM 46) „,[…] schreib noch mehr über Jojoks, ja? Lass nichts aus! Der Muminvater nickte, legte das Heft ins Gras und schrieb weiter.‘“ (MWJ 51). Die bereits angesprochene Tendenz, die Geschehnisse seiner Jungend sehr selektiv niederzuschreiben, gelangt dort an ihre Grenzen, wo er dem Publikum gewisse Abschnitte seines Lebens gänzlich vorenthalten will. So etwa seine Zeit mit den Hattifnattar. Pappan weigert sich, sich konkret zu diesen Vorkommnissen zu äussern, wodurch ein regelrechter Mythos entsteht. Bei seinen Co-Autoren sorgt er mit seiner Zurückhaltung für Entrüstung:

Pappa. Var det inte så att du rymde med hattifnattarna sen? Nåja, sa pappan generat, det kan ju hända. Men det var mycket mycket senare. Jag funderar på att inte alls ta med det. Det tycker jag visst att du ska, utbrast Sniff. Levde du dålighetsliv sen då? (MM 87f)