Ende gut, alles gut

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5





S



ieht immer noch genauso aus wie damals.





Als Michelle das Lokal betrat, war es wie ein Déjà-vu, das keine guten Gefühle in ihr auslöste. Doch es war kein Déjà-vu, denn sie war ja tatsächlich schon einmal hiergewesen. Ein einziges Mal. Und das hatte sie verdrängt, soweit sie konnte.



Den Flügel und die Bühne im Hintergrund hatte sie damals gar nicht so richtig wahrgenommen. Sie war auf etwas anderes konzentriert gewesen. Auf Cait. Automatisch pressten ihre Kiefer sich aufeinander.



»Guten Abend.« Eine junge Frau, die zur Begrüßung der Gäste am Eingang stand, lächelte sie freundlich an. »Eine Person?«



Michelle nickte, während ihr Blick noch immer durch den langgestreckten Raum schweifte. Die Tische im Vordergrund waren schon recht gut besetzt. Ein paar Personen aßen bereits, die meisten unterhielten sich jedoch nur, lachten und erwarteten offensichtlich einen schönen Abend. Oder hatten ihn schon. Mit der Frau, die ihnen gegenübersaß.



»Haben Sie eine Reservierung?«, fragte die junge Frau jetzt.



»Nein.« Michelle schüttelte den Kopf. »Ich habe mich spontan entschieden herzukommen.«



Wie merkwürdig das klang. Normalerweise war sie überhaupt nicht spontan. Sie liebte Überraschungen nicht, egal, ob man sie ihr bereitete oder sie sie anderen bereiten sollte. Planung war ihre Devise. Nur so erreichte man die Ergebnisse, die man erreichen wollte.



»Die Tische an der Bühne sind alle reserviert.« Das Gesicht, das von halblangen dunklen Haaren eingerahmt wurde, schaute sie bedauernd an. »Wir haben heute

Open Mic Night

. Da sind die immer sehr begehrt.«



Open Mic Night.

 Das hieß also, Cindy war heute Abend nicht die einzige, die auf dieser Bühne auftreten würde. Michelle hatte sich schon gefragt, wie es zu diesem Auftritt gekommen war. Schließlich war Cindy keine professionelle Entertainerin. Noch nicht einmal eine Hobby-Entertainerin. Sie war gar keine Entertainerin. Warum sie sich plötzlich dazu entschlossen hatte, daran etwas zu ändern, konnte Michelle sich nicht erklären.



Es sei denn, Candice hatte etwas damit zu tun und sie dazu überredet. Candice stand immer im Rampenlicht. Das war für sie nichts Besonderes, sondern ihr normales Leben. Vielleicht hatte sie Cindy davon überzeugt, dass es auch ihr normales Leben werden sollte. Oder zumindest ein Teil davon. Weil Michelle sich nicht genug um sie kümmerte?



»Würden Sie mir bitte folgen?« Die junge Frau nahm eine Menükarte und ging Michelle voran ein paar Schritte in den Raum hinein.



Mechanisch folgte Michelle ihr, auch wenn sie einmal fast stolperte, weil ihr Blick immer noch auf die Bühne gerichtet war, die leer auf den Auftritt der ersten Person, die sich an diesem Abend dem offenen Mikrofon stellen wollte, wartete. Würde das Cindy sein?



»Bitte.« Mit einem einladenden Lächeln wies die sehr junge Frau – sie war höchstens Anfang zwanzig, vielleicht eine Studentin, für die das hier ihr Nebenjob war – auf einen kleinen Tisch, der in einer Ecke stand. »Mein Name ist Taylor, und ich bin heute ihre Kellnerin.« Sie machte eine kleine Pause, damit Michelle sich setzen konnte, bevor sie fragte: »Wissen Sie schon, was Sie trinken möchten?«



»Bourbon«, sagte Michelle automatisch. »

On the rocks.

 Und seien Sie vorsichtig mit dem Soda.«



Taylor nickte, legte die Menükarte vor Michelle hin und drehte sich um.



Obwohl Michelle ihr hinterherschaute, als sie sich nun zur Theke begab, sah sie sie nicht wirklich. Sie war nur ein Teil dieses Raumes, der vor ihrem Blick verschwamm. Sie erinnerte sich. Sie wollte es nicht tun, aber sie konnte es nicht verhindern.



Als sie damals hier hereingekommen waren, Cait und sie, hatte sie sich nicht sehr intensiv umgeschaut. Es war Caits Aufgabe gewesen, sich um sie zu kümmern, so wie es ihre, Michelles Aufgabe gewesen war, sich in Orlando um Cait zu kümmern. Hier in Miami hatte sie nicht die Verantwortung.



Im Nachhinein war dieses Lokal ihr wie ein dunkler Vorhof zur Hölle erschienen, aber jetzt stellte sie fest, dass es gar nicht so dunkel war. Es war keine Schmusekneipe, die mit schummrigem Licht dazu einlud, hier das Vorspiel für spätere Sexgelage abzuziehen. Es war in erster Linie ein Restaurant, in dem Frauen allein unter Frauen sein konnten, für einen schönen Abend zu zweit.



»Haben Sie sich schon entschieden?« Taylor kehrte zurück, stellte den Bourbon vor Michelle hin und blickte sie fragend an.



Michelle schüttelte den Kopf »Ich glaube, ich will nichts essen. Ich habe keinen Hunger.« Das war eindeutig die Wahrheit, denn jeglicher Appetit, den sie eventuell hätte haben können, war ihr schon längst vergangen. »Später vielleicht.« Sie lächelte kurz, aber das Lächeln verschwand sofort wieder von ihren Lippen.



Taylor nickte berufsmäßig lächelnd, wie sie es auch getan hätte, wenn Michelle etwas bestellt hätte, und verschwand an die Tür zurück, um weitere Gäste zu begrüßen. Sie würde in kurzen Abständen wiederkommen, um entweder Michelles Glas aufzufüllen oder ihre Bestellung fürs Essen aufzunehmen, sobald Michelle Lust dazu hatte.



Anscheinend sollte die

Open Mic Night

 nun beginnen, denn das Bühnenlicht strahlte auf, und der Raum wurde leicht verdunkelt. Eine etwas ältere Frau – möglicherweise die Besitzerin dieses Lokals – betrat die Bühne, nahm das Mikrofon und begrüßte die Gäste mit einem Scherz, der das Publikum zum Lachen brachte.



Michelle nicht, aber sie hatte auch gar nicht richtig zugehört. Aufregung machte sich in ihr breit. Sie spürte die Anspannung, die ihre Finger sich fester um ihr Bourbonglas legen ließen.



Wie üblich waren die meisten, die sich für dieses Event angemeldet hatten, Stand-up Comedians. Eine ältere Frau begann den Reigen, und offenbar war sie vielen der Anwesenden schon bekannt, denn begeisterter Applaus begrüßte sie, als sie die Bühne betrat. So, wie die Besitzerin, die gleichzeitig die Bühne verließ, kurz ihre Hand liebevoll über die Hüfte der Künstlerin gleiten ließ, konnte man vermuten, dass sie wahrscheinlich ein Paar waren.



Nach diesem ersten Auftritt, der das Publikum richtig angeheizt hatte, erschien eine junge Frau mit einer Gitarre auf der Bühne, die ziemlich schüchtern wirkte. Durch das bereits freundlich gestimmte Publikum nahm ihre Schüchternheit jedoch schnell ab, nachdem sie die ersten Akkorde angeschlagen hatte und die ersten Liedzeilen des Countrysongs, den sie sang, von ihren Lippen geflossen waren.



Danach übernahmen die Stand-up Comedians wieder das Ruder, nur unterbrochen von einer Frau, die selbstgeschriebene Gedichte vortrug, bis Michelle bei ihrem dritten Bourbon angekommen war.



»Und jetzt kommt etwas ganz Besonderes«, kündigte nach dem Abgang einer Komikerin, die nicht mehr als freundlichen Applaus aus dem Publikum hatte herausholen können, die Besitzerin, die offensichtlich auch die Moderatorin des Abends war, mit einem Augenzwinkern an. »Eine Künstlerin, die neu auf dieser Bühne ist. Mit etwas, das man an

Christmas Eve

 vielleicht nicht so erwartet.«



Das Publikum war mit jedem ihrer Worte leiser geworden, weil sie schon allein mit ihrer Stimme eine Atmosphäre erzeugt hatte, als wollte sie ein Geheimnis verraten. Wenn alle ganz genau zuhörten.



Michelle saß kerzengerade auf ihrem Stuhl. Sie hielt sich kaum noch darauf. Wenn das jetzt Cindy war . . .



Und tatsächlich, sie war es, denn die Conférencière lüftete das Geheimnis schon. »Lockt sie bitte mit einem Applaus heraus.« Sie begann leise in die Hände zu klatschen. »Ich präsentiere euch . . . Cindy Claybourne!«



Atemlose Stille wurde von erwartungsvoll klatschenden Händen abgelöst, verwandelte sich aber sofort wieder in atemlose Stille, als Cindy die Bühne betrat. Gleich darauf ertönte von einem Tisch eine Art Johlen und dann sogar ein Pfeifen. Das von einigen anderen aufgenommen wurde.



Michelle hätte gar nicht mehr die Luft gehabt zu pfeifen – wenn sie das überhaupt hätte tun wollen –, denn Cindys Outfit raubte ihr das letzte bisschen Atem, das sie noch zur Verfügung gehabt hatte. Sie hatte es ja gewusst, Candice hatte es ausführlich genug angekündigt, aber etwas zu wissen und etwas zu sehen waren immer noch zwei verschiedene Dinge.



Das schulterfreie weiße Kleid, das wirklich wie eine zweite Haut saß, ging fast bis zum Boden, aber als Cindy einen Schritt auf den Flügel zumachte, öffnete es sich mit einem langen Schlitz, der Cindys Bein wie eine lockende Versuchung herausblitzen ließ. So einen Schlitz hatte Michelle selbst bei Frauen wie Candice selten gesehen. Es schien, als wäre das Kleid noch einmal extra nach oben geöffnet worden.



Sie hörte, wie einige im Publikum nach Luft schnappten, als Cindy nun weiterging. Hatte sie immer schon so schwingende Hüften beim Gehen gehabt? Mittlerweile hatte sich eine Frau im Smoking an den Flügel gesetzt und blickte Cindy entgegen.



Cindy ging lächelnd auf sie zu, nickte und lehnte sich dann ziemlich lasziv an den Flügel, das Bein vorgestellt, das der Schlitz frei sehen ließ. Das Mikrofon stand direkt vor ihr, und mit ihrer melodischen Stimme kündigte sie an: »Ihr kennt dieses Lied alle. Es ist das einzige Weihnachtslied, das keinen eigenen Titel braucht. Es heißt einfach nur . . .«, sie machte eine Kunstpause, »

The Christmas Song



Die Frauen im Saal klatschten begeistert, und Cindy und ihre Begleiterin am Klavier warteten ab, bis sie sich wieder beruhigt hatten, dann schlug die Pianistin die ersten Akkorde an, entwickelte die Melodie ins Intro, und auf einmal erklang Cindys Stimme. »

Chestnuts roasting on an open fire . . .

«



Tat sie das extra? Michelle lief es abwechselnd heiß und kalt den Rücken herunter. Sie hatte immer schon gewusst, dass Cindy eine sehr melodische Sprechstimme hatte, aber ihre Singstimme war . . . mehr als melodisch. Sie war verführerisch, hauchte manche Noten nur, sang andere, als wäre sie in einer Kirche, und dann wieder, als wollte sie sämtliche hier anwesenden Frauen gleich vernaschen. Wenn ihr Outfit schon sexy war, aber wie sie dieses Lied sang, das war fast schon . . . mehr als erotisch.

 



»Na, gefällt es dir?« Das war eine andere Stimme da fast direkt an ihrem Ohr.



Nachdem sie zusammengezuckt war, drehte Michelle sich zu Candice um, die hinter ihr stand und ihr ins Ohr geflüstert hatte. Sie musste sich von der Küchentür herangeschlichen haben, denn sonst hätte Michelle sie gesehen.



»Hast du schon jemals solche heißen Kastanien aus dem Feuer holen müssen?«, fuhr Candice sie aufziehend fort und wies mit ihrem Kinn auf Cindy auf der Bühne.



»Du bist dafür verantwortlich, oder?«, fragte Michelle endlich, nachdem sie sich halbwegs wieder gefasst hatte, und drehte ihr Gesicht zur Bühne zurück, wo Cindy sich zwischenzeitlich ein wenig auf den Flügel gelegt hatte und sich dort räkelte. Zudem streichelte sie ihn bei jeder Silbe, die sie sang, mit sanften Fingern, als wäre es kein Flügel, sondern etwas anderes.

Jemand

 anderes.



»Nein, du«, sagte Candice und ließ sich neben ihr am Tisch nieder. »Wenn du dich nicht so blöd angestellt hättest mit Weihnachten, wäre das nicht nötig gewesen.«



Das konnte Michelle so nicht akzeptieren, aber sie konnte auch nicht antworten, weil sie ihre Augen nicht von Cindy nehmen konnte und das eine Kurzatmigkeit bei ihr verursachte, die sich fast so anhörte, als hätte sie ihr Leben lang geraucht.



»Nun geh schon nach vorn«, forderte Candice sie ungeduldig auf. »Für mich macht sie das nicht, was sie da oben veranstaltet.«



Normalerweise ließ Michelle sich keine Befehle erteilen, aber jetzt stand sie fast wie in Trance auf und durchquerte das Lokal, ging an den Tischen vorbei, als wäre sie durch ein unsichtbares Band mit der Bühne verbunden und würde mit aller Kraft herangezogen.



So dunkel war es im Raum nicht, dass Cindy sie nicht sehen konnte, als sie bei den vorderen Tischen angekommen war, und es schien fast, als würde sie kurz stutzen, aber sie unterbrach ihren Vortrag nicht. Auch nicht die lasziven Bewegungen auf dem Flügel, bei denen man annehmen musste, dass sich seine Farbe gleich von Schwarz in Rot verwandeln würde.



Cindys Augen ließen Michelle nicht los, als sie nun zum Ende des Liedes kam. Scheinbar war sie davon so abgelenkt, dass sie, als sie gerade »Merry Christmas to . . .« hauchte, als ob das eine Aufforderung zum Sex wäre, auf einmal das Gleichgewicht verlor, von der glatten Oberfläche des Flügels nicht gehalten werden konnte und herunterfiel. Sie fiel nicht nur auf die Bühne, sondern rutschte wie auf einer Eisbahn bis an den Rand – und dann darüber.



Auch wenn Michelle noch nie so etwas getan hatte, öffnete sie sofort ihre Arme, griff nach Cindy und fing sie auf.



». . . youuu!«, hauchte Cindy mit dem letzten Ton des Liedes, lag in Michelles Armen, als ob sie da nie wieder aufstehen wollte, zog ihren Kopf zu sich herunter und versank in einen tiefen Kuss mit ihr.



Das Publikum johlte, schrie, pfiff, stand auf und klatschte. Es war eine Bombenstimmung.



Aber davon bekam Michelle nichts mit. Sie hielt Cindy im Arm und wusste auf einmal, dass sie nichts anderes tun wollte. Alles, was sie sich vorgestellt hatte, hatte nur in ihrer Fantasie existiert.



Das hier war Weihnachten, wie es sein musste.



»Ich bin so froh, dass du da bist«, flüsterte Cindy ihr mit strahlenden Augen zu, als der Kuss endete. »Frohe Weihnachten.«



Und auf Michelles Gesicht breitete sich genau das Lächeln aus, das man normalerweise nur beim Weihnachtsmann sah, wenn er Geschenke verteilte. Oder bei den Kindern, die sie erhielten.



»Frohe Weihnachten«, flüsterte sie auch, während sie in Cindys zärtliche Augen sah und fühlte, dass ihre eigenen genauso viel Zärtlichkeit auf Cindy zurückstrahlen ließen. »Diesmal und ab jetzt in jedem Jahr.«



ENDE





Manuela Schopfer

 Diebische Weihnachten




1



»Oje«, seufzte Romy. »Schon wieder?«



»Ja, leider«, stöhnte Paula im gleichen Tonfall. Das Glöckchen über der Tür klingelte noch, während sie zum Verkaufstresen kam, hinter dem Romy stand. »Ich kann es ja selbst kaum glauben, aber sie haben gestern Abend schon wieder zugeschlagen.« Ihren Blick auf den Tresen gesenkt, zog Paula sich die Mütze vom Kopf. »Wenn ich nur wüsste, wer dahintersteckt.«



Na ich!

 dachte Romy, verkniff es sich aber, es zu sagen. Bemüht, das Zucken in ihren Mundwinkeln zu unterdrücken, versuchte sie, ihrer Stimme einen niedergeschlagenen Tonfall zu verleihen. »Und was macht ihr jetzt?« Eigentlich war es ihr jedoch egal. Für sie zählte nur, dass ihre gestrige Diebestour genau den Erfolg gebracht hatte, den sie sich davon erhofft hatte. Nämlich, dass Paula jetzt hier bei ihr war.



Paula zuckte die Schultern, und ein paar der dicken Schneeflocken, die sie von draußen in Romys Laden hereingetragen hatte, purzelten herunter. »Bald ist Weihnachten, und der Weihnachtsbaum auf dem Dorfplatz ist ohne die Weihnachtsdeko einfach nur ein Tannenbaum.« Sie drehte die Mütze in ihren Händen. »Hast du noch ein paar Weihnachtskugeln übrig?«



Jaaa!

 schrie Romy beinahe laut heraus. Stattdessen nickte sie, schob ihre Hand über den Tresen und streichelte liebevoll über Paulas Hand. »Ich habe mir schon so was gedacht«, schmunzelte sie.



Den Blick auf ihre Hände gesenkt, spürte sie das feine Kribbeln in ihrer und wie es sich weiter über den Arm in ihrem ganzen Körper ausbreitete. Auch wenn sie bis jetzt den Mut noch nicht aufgebracht hatte, der Wunsch, mehr von Paula zu spüren und ihr nahe zu sein, wuchs mit jedem Tag mehr und mehr.



»Komm«, sagte sie. Mit ihrem Kopf deutete sie nach hinten zu den Regalen, in denen sich die Weihnachtskugeln dicht neben dem Lametta und anderen Dekoartikeln stapelten. »Ich habe noch zwei, drei Kisten voll.«



Schweren Herzens löste Romy die Verbindung ihrer Hände und wandte sich ab, um nach hinten zu gehen. Glücklicherweise war gerade kein anderer Kunde im Laden. Sie unterdrückte das Lächeln, das sich auf ihre Lippen legen wollte. Schließlich hatte sie alles auf eine Karte gesetzt in der Hoffnung, dass ihr Plan aufgehen würde.



»Hilf mir bitte mal, sie nach vorn zu tragen«, rief sie Paula über die Schulter zu.



Augenblicklich blieb sie stehen, als sie sah, dass Paula immer noch wie angewachsen am Tresen stand und mit gesenktem Blick über genau die Stelle auf ihrer Hand streichelte, wo Romy sie noch vor ein paar Sekunden berührt hatte.



Ach,

 seufzte Romy innerlich,

ich würde dich gern an ganz anderen Stellen streicheln . . .

 Sie gab sich einen Ruck. »Magst du mir helfen?«, bat sie erneut in der Hoffnung, Paula damit nach hinten und zu ihr zu locken.



»Ja, ja . . . natürlich«, stotterte Paula, während ihr Kopf hochschoss und eine feine Röte sich auf ihre Wangen legte. Schnell kam sie um den Tresen herum und gesellte sich zu ihr.



Noch während Paula sich ihr näherte, beugte sich Romy nach vorn und zog ein paar Kisten von unten aus dem Regal, hob den Deckel an und sah hinein. »Hier hätten wir noch ein paar, die von der Größe her passen dürften.« Sie blickte aber nur mit einem Auge auf die Weihnachtskugeln in der Kiste, denn Paula stand viel zu dicht neben ihr, als dass sie sich noch auf irgendwelche Weihnachtsdeko konzentrieren konnte.



Genüsslich schloss sie die Augen, und ihr Brustkorb hob sich mit einem tiefen Atemzug an. Obwohl von einem dicken Wintermantel eingehüllt, umspielte Paulas Duft ihre Sinne und ließ sie davon träumen, wie verlockend ihre Haut erst duften würde, wenn sie zärtliche Küsse darauf verteilte.



»Geht es dir gut?« Paulas strich mit der Hand sanft über Romys Rücken und löste kleine Hitzewellen aus, die sich bis in die hinterste Ecke ihres Körpers ausbreiteten.



»Ja«, krächzte Romy undeutlich. Schnell richtete sie sich wieder auf und räusperte sich. Aber der Blick in diese strahlenden grünen Augen, die sie fürsorglich zu betrachten schienen, verschlug ihr beinahe den Atem. »Es geht mir gut . . . danke«, fügte sie kaum hörbar hinzu.

Ich würde dich nur gern küssen,

 dachte sie, während ihre Augen über die weichen Rundungen von Paulas Lippen glitten.



Zögernd trat sie einen Schritt näher an Paula heran und verringerte damit den Abstand zwischen ihnen. Ihre Hand legte sich wie von selbst auf Paulas Arm, strich über den Stoff entlang hinunter, bis sie den ausgefransten Rand des Ärmels erreicht hatte. In ihren Fingerkuppen kribbelte es. Sie konnte die Wärme von Paulas Hand bereits fühlen, es trennten sie nur noch wenige Zentimeter.



»Also diese drei«, sagte Paula in diesen beinah magischen Moment hinein. Sie trat einen Schritt zurück und wandte ihr Gesicht schnell ab. Ihr Finger zeigte auf die Kisten im Regal, die Romy vorhin ein Stück nach vorn gezogen hatte. Ohne auf eine Antwort zu warten, schnappte sie sich die erste Kiste und marschierte damit zwischen den Regalen hindurch nach vorn.



»Schade«, seufzte Romy.



Mit hängenden Schultern beobachtete sie Paula dabei, wie sie den Korridor entlangging. Der lange Wintermantel schmiegte sich wie eine zweite Haut an Paulas Körper. Auch wenn er etwas abgewetzt erschien, er betonte trotzdem bei jedem Schritt Paulas Hüften und ließ Romy nur zu gut erahnen, was für weiche Rundungen sich darunter befanden.



Schnell stellte Paula die Kiste auf den Tresen und trat den Rückweg zu Romy an. »Sind das die beiden anderen?«, fragte sie bereits auf halber Strecke.



Romy nickte nur stumm. Sie konnte ihre Augen nicht von Paulas Finger lösen, der die obersten Knöpfe des Mantels durch die Knopflöcher flutschen ließ.



Wie soll ich es nur anstellen?

 fragte sie sich. Sie trat einen Schritt näher an Paula heran, die sich gerade vorgebeugt hatte und eine Kiste auf die andere stellte. Zaghaft streckte Romy ihre Hand aus, und beinahe hätte sie Paula auch berührt, zog sie aber schnell wieder zurück, als Paula sich aufrichtete, die beiden Kisten anhob und mit ihnen nach vorn marschierte.



Romy seufzte wieder. Konnte Paula denn nicht spüren, wie sehr sie sich nach ihr sehnte? Sie folgte Paula zwischen den Regalen hindurch wieder nach vorn.



»Was schulde ich dir?«, fragte Paula sachlich und tastete ihre Manteltaschen ab, wohl auf der Suche nach ihrer Geldbörse.



»Nichts. Ich . . . Das ist eine Spende«, erwiderte Romy und strich mit einem Finger an der Kante der Verkaufstheke entlang. Schließlich war sie es, die die Weihnachtsdeko geklaut hatte, und das nur aus egoistischen Gründen. Da konnte sie doch jetzt für den Ersatz nicht auch noch Geld verlangen.



»Oh . . . Danke.« Paula beugte sich leicht über die Theke und legte ihre Hand auf Romys. »Das ist sehr nett von dir.« Ein kleines Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Sanft strich sie kurz über Romys Hand, bevor sie sie zurückzog und eilig die Knöpfe ihres Mantels wieder schloss.



Was? Nein, bleib doch noch hier!

 Beinahe hätte Romy es laut gesagt. Ihre Finger krallten sich in die Kante der Theke. Paula durfte doch jetzt nicht schon wieder gehen. Sie hatte ihr doch noch gar nicht gesagt, dass . . . dass . . . »Ich werde dir tragen helfen«, bot sie schnell an. Wenn Paula es wirklich so eilig hatte, dann würde sie sie eben begleiten.



»Das ist wirklich nicht nötig«, wehrte Paula ab. »Ich kann jetzt zwei Kisten mitnehmen und komme dann in ein paar Minuten zurück, um die dritte zu holen.«



Und wie nötig das ist!

 protestierte Romy innerlich. Schließlich hatte sie sich vergangene Nacht fast den Hintern abgefroren, als sie die Kugeln geklaut hatte. Die Frostbeulen durften nicht umsonst gewesen sein. Beinahe hätte sie mit der Faust auf die Theke gehauen, um ihrem Willen Nachdruck zu verleihen.



Stattdessen nahm sie kurzerhand ihren Wintermantel vom Haken und schlüpfte hastig hinein. »Das mach ich doch gern«, beteuerte sie. »Außerdem tut es mir gut, noch etwas an die frische Luft zu kommen«, fügte sie noch hinzu, in der Hoffnung, Paula würde sich davon überzeugen lassen.



»Und was ist mit deinem Laden?«, gab Paula zu bedenken. »Kannst du den einfach so alleinlassen?«



Kurz stutzte Romy.

Da hat sie recht,

 musste sie zugeben.

Aber wenn ich schon Weihnachtsdeko klaue, dann kann ich auch den Laden für ein paar Minuten schließen.

 »Ach«, winkte sie lässig ab, »ich häng einfach das Schild ran, dass ich gleich wieder da bin.«

Jetzt bin ich schon so weit, jetzt zieh ich es durch,

 rechtfertigte sie ihre Entscheidung vor sich selbst. Schließlich stand ihr Entschluss fest: Diese Weihnacht würde sie mit Paula unter dem Weihnachtsbaum liegen und sie lieben.

Jawohl!

 



»Schön«, freute Paula sich. Zumindest ließ das leichte Lächeln, das ihre Mundwinkel umspielte, das erahnen.



Romys Blick glitt über die Theke. »Warte«, sagte sie.



»Ja?« Paula hielt in ihrer Bewegung inne. Die zwei Kisten vor sich haltend, sah sie Romy erwartungsvoll an.


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