Untreue von Betriebsräten gegenüber Arbeitnehmern

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3. Ergebnis zu I.

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An dieser Stelle bleibt jedenfalls festzuhalten, dass § 119 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG als einziger in Betracht kommender Straftatbestand des Betriebsverfassungsrechts kein wirksames Instrument darstellt, wenn es darum geht, ein rechtswidriges Verhalten der Betriebsratsmitglieder zu sanktionieren, das die Schädigung von Arbeitnehmern zur Folge hat.

Teil 1 Das Verhältnis Arbeitnehmer – Betriebsrat: Ein strafrechtsfreier Raum? › C. Ausschluss staatlicher Strafverantwortung wegen ausreichender Ahndungs- und Kontrollmechanismen des Betriebsverfassungsrechts? › II. Ahndung der Verletzung gesetzlicher Pflichten gemäß § 23 BetrVG

II. Ahndung der Verletzung gesetzlicher Pflichten gemäß § 23 BetrVG

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Das Betriebsverfassungsgesetz hält aber noch eine weitere Sanktionsmöglichkeit gegen den Betriebsrat bereit: Gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG besteht die Möglichkeit der Auflösung des gesamten Betriebsrats oder des Ausschlusses eines Mitglieds wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten. Voraussetzung hierfür ist ein entsprechender Antrag mindestens eines Viertels der wahlberechtigten Arbeitnehmer, des Arbeitgebers oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft beim zuständigen Arbeitsgericht.

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Während die grobe Pflichtverletzung eines einzelnen Betriebsratsmitglieds überwiegend in einem persönlichen Fehlverhalten gegenüber dem Arbeitgeber, den übrigen Betriebsratsmitgliedern oder einzelnen Arbeitnehmern besteht, ist im hier interessierenden Zusammenhang nur das Verhalten des Betriebsrats als Gremium von Bedeutung.

1. Anwendungsbereich

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Um einen Auflösungsantrag zu rechtfertigen, muss eine grobe Verletzung der gesetzlichen Pflichten vorliegen, die in die Gesamtverantwortung des Gremiums fällt.[23] Sie muss objektiv erheblich und offensichtlich schwerwiegend sein.[24] Anders als beim Ausschluss einzelner Mitglieder setzt die Verletzung gesetzlicher Pflichten durch den Betriebsrat als Ganzes kein Verschulden voraus.[25]

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Eine gesetzliche Pflicht, die dem Betriebsrat zugunsten der Arbeitnehmer obliegt, besteht beispielsweise in der Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes gemäß § 75 Abs. 1 BetrVG. Danach hat der Betriebsrat darüber zu wachen, dass jede Benachteiligung von Arbeitnehmern aus Gründen u.a. ihrer nationalen oder ethnischen Herkunft, ihres Alters, Geschlechts oder sexuellen Orientierung, aber auch ihrer politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung zu unterbleiben hat. Selbstverständlich gilt diese Verhaltensanforderung erst recht für das Verhalten des Betriebsrats selbst. Beschlüsse des Betriebsrats, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwider erfolgen, stellen daher eine grobe Pflichtwidrigkeit i.S.d. § 23 BetrVG dar.[26]

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Wegen der außerdem durch § 75 Abs. 1 BetrVG ausgesprochenen Bindung des Betriebsrats an die Grundsätze des Rechts stellt auch der Abschluss einer Vereinbarung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber in Form einer Regelungsabrede mit eindeutig gesetzes- oder tarifwidrigem Inhalt eine grobe Pflichtverletzung dar.[27]

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Außerdem kann sich die grobe Pflichtverletzung auch aus mehreren Einzelakten ergeben, z.B. wenn wiederholt Rechte und Befugnisse der Arbeitnehmer nicht wahrgenommen werden, die dem Betriebsrat zu deren Schutz eingeräumt worden sind. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Nichtwahrnehmung dieser Rechte ermessensmissbräuchlich ist.[28]

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In diesen oder ähnlich gelagerten Fällen kann also ein Auflösungsantrag an das zuständige Arbeitsgericht gestellt werden. Dieses entscheidet als objektive Instanz über die Begründetheit des Antrags. Demgegenüber ist eine Abwahl des Betriebsrats durch die Arbeitnehmer des Betriebs nicht zulässig,[29] da der Betriebsrat kein imperatives, sondern ein repräsentatives Mandat innehat.[30] Das Arbeitsgericht entscheidet über den Antrag auf Auflösung des Betriebsrats oder Ausschluss eines Mitglieds im Beschlussverfahren, eine einstweilige Verfügung ist nicht zulässig.[31] Die Tatsacheninstanzen haben bei der Bewertung eines Verhaltens als grobe Pflichtverletzung einen Beurteilungsspielraum, der im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt vom Bundesarbeitsgericht überprüft werden kann.[32]

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Diese Vorschrift beinhaltet unter Umständen also weitreichende Konsequenzen für den Betriebsrat als Gremium und ggf. auch für das einzelne Betriebsratsmitglied, aber in der Praxis ergeben sich in formaler Hinsicht auch hier schwer zu überwindende Hindernisse.

2. Nachteile

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Die erste Hürde besteht im Kreis der Antragsberechtigten: Der Arbeitgeber selbst oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft werden (jedenfalls, sofern letztere nicht eine Konkurrenzgewerkschaft ist) einen Antrag gemäß § 23 BetrVG nicht stellen; der Arbeitgeber jedenfalls dann nicht, wenn die grobe Pflichtwidrigkeit auch sein eigenes Verhalten erfasst, was in den hier zu untersuchenden Konstellationen stets der Fall sein wird.

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So bleibt in der Praxis oft allein die Möglichkeit, dass der Antrag auf Auflösung des Betriebsrats von mindestens einem Viertel der Belegschaft gestellt wird. Diese Voraussetzung stellt, insbesondere wenn der Pflichtverstoß nur wenige Arbeitnehmer betrifft, ein kaum zu überwindendes Verfahrenshindernis dar.[33]

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Demgegenüber sucht man ein solches Mindestbeteiligungserfordernis übrigens bei der Errichtung eines Betriebsrats vergeblich: 90 % einer Belegschaft könnten eine Betriebsratswahl durch 10 % der Belegschaft nicht verhindern. Der von dieser Minderheit gewählte Betriebsrat wäre gleichwohl für alle Arbeitnehmer zuständig, mögen sie damit einverstanden sein oder nicht.[34] Damit verlangt ein Antrag auf gerichtliche Überprüfung grob rechtswidrigen Verhaltens eine weit höhere demokratische Legitimation als die Wahl eines Betriebsrates.[35]

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Zudem ist der Antrag ja nur auf die Verhinderung zukünftigen pflichtwidrigen Verhaltens seitens des Betriebsrats gerichtet. Das Verhalten, wegen dessen ein Auflösungsantrag gestellt wird, wird zwar im Hinblick auf grobe Pflichtwidrigkeit gerichtlich überprüft, es wird jedoch durch diesen Antrag nicht aufgehoben oder gar verhindert.[36] Insbesondere dann, wenn es durch ein Fehlverhalten des Betriebsrats zu einer wirksamen Kündigung eines Arbeitnehmers kommt, scheidet der Geschädigte aus dem Sanktionsverbund aus.[37] Letztlich ist der Auflösungsantrag nur ein Mittel für die (verbliebenen) Arbeitnehmer, dem aktuellen Betriebsrat das Misstrauen auszusprechen und statt seiner einen vertrauenswürdigeren Betriebsrat zu wählen. Zur Verhinderung der Durchführung eines rechtswidrigen Betriebsratsbeschlusses eignet es sich nicht.[38] Hierzu ist der Arbeitnehmer auf seine eigene Initiative angewiesen. Beispielsweise im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens kann das Verhalten des Betriebsrats mit überprüft und gegebenenfalls für nichtig erklärt werden, wie es ausnahmsweise im eingangs geschilderten Fall vor dem Landesarbeitsgericht Köln[39] der Fall war.

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Hinzu kommt, dass die Arbeitnehmer oft gar nicht umfassend informiert sind über die Vorgänge, die ihnen grob pflichtwidrig erscheinen mögen, denn sie haben keinen Anspruch gegen den Betriebsrat auf Offenlegung seiner Ermessenserwägungen, die zur Beschlussfassung geführt haben.[40] Daher fehlt es für einen Antrag gemäß § 23 BetrVG häufig an einer sicheren Tatsachengrundlage, was ein zusätzliches Hemmnis darstellt.

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Zuletzt spricht gegen die praktische Wirksamkeit eines Auflösungs- oder Ausschließungsantrags auch das Folgende: In Ermangelung der Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes kann bis zur Rechtskraft eines Auflösungs- oder Ausschließungsbeschlusses sehr leicht die vierjährige Amtszeit eines Betriebsrats zu Ende gehen, so dass sich mit der Neuwahl das Verfahren überholt hätte. Denn selbst wenn derselbe Betriebsrat noch einmal gewählt werden würde, könnte er nicht wegen einer Pflichtverletzung in der vorangegangenen Legislaturperiode aufgelöst werden.[41] Ebenso ist der Ausschluss eines Betriebsratsmitglieds nur in der Amtsperiode möglich, in der die Pflichtverletzung stattgefunden hat.[42]

3. Ergebnis zu II.

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Das bedeutet im Ergebnis, dass sämtliche rechtlichen Konsequenzen für persönliches Fehlverhalten mit dem Amt, innerhalb dessen es gezeigt wurde, untergehen. Damit könnte man von einer „umgekehrten Immunität des Betriebsratsmandats“ sprechen: Sanktionen gemäß § 23 BetrVG für Pflichtverletzungen bei der Amtsführung als Betriebsratsmitglied, und seien sie auch vorsätzlich begangen, treffen den Amtsinhaber nur während seiner Amtsinhaberschaft und können maximal deren Verlust bedeuten.

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Dieses Risiko eignet sich kaum als ernstzunehmende Mahnung zur Rechtstreue.

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Damit bleibt die Möglichkeit zur Auflösung des Betriebsrats gemäß § 23 BetrVG in ihrer generalpräventiven Wirkung weit hinter der des allgemeinen Strafrechts zurück und ist also auch nicht geeignet, dessen Anwendung obsolet zu machen.

 

Teil 1 Das Verhältnis Arbeitnehmer – Betriebsrat: Ein strafrechtsfreier Raum? › C. Ausschluss staatlicher Strafverantwortung wegen ausreichender Ahndungs- und Kontrollmechanismen des Betriebsverfassungsrechts? › III. Rechtsschutzmöglichkeiten der Arbeitnehmer gegen den Betriebsrat im Rahmen einzelner Mitbestimmungsrechte

III. Rechtsschutzmöglichkeiten der Arbeitnehmer gegen den Betriebsrat im Rahmen einzelner Mitbestimmungsrechte

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Nachdem sich das allgemeine betriebsverfassungsspezifische Sanktionsinstrumentarium als weitgehend stumpfes Schwert gegen einen sich rechtswidrig verhaltenden Betriebsrat erwiesen hat, sollen im Folgenden Rechtsschutzmöglichkeiten betroffener Arbeitnehmer im Rahmen bestimmter einzelner Mitbestimmungsentscheidungen des Betriebsrats betrachtet werden. Der Betriebsrat verfügt schließlich über zahlreiche Mitwirkungsrechte, die unmittelbare Auswirkungen auf die Situation einzelner Arbeitnehmer haben können. Möglicherweise hat der betroffene Arbeitnehmer hier jeweils Einwirkungsmöglichkeiten auf den Betriebsrat, sei es beispielsweise mittels Einforderung der Geltendmachung seiner Rechte durch den Betriebsrat oder durch Kontrolle der Rechtmäßigkeit der ihn betreffenden Betriebsratsentscheidung. Die Existenz solcher Einwirkungsmöglichkeiten des von einer konkreten Maßnahme betroffenen Arbeitnehmers könnte ebenfalls eine strafrechtliche Einmischung überflüssig machen. Daher werden nachfolgend einzelne Mitwirkungsrechte des Betriebsrats auf die Möglichkeit einer Einflussnahme durch den betroffenen Arbeitnehmer untersucht. Vor dem Hintergrund, dass die Untreue gemäß § 266 StGB stets einen Vermögensschaden voraussetzt, werden insbesondere diejenigen Mitbestimmungsrechte näher betrachtet, die sich auf Höhe oder Fortdauer des Vergütungsanspruchs beziehen. Dies wird in erster Linie bei personellen Einzelmaßnahmen gemäß §§ 99 bis 105 BetrVG der Fall sein, wobei allerdings gleich der erste Fall hiervon eine Ausnahme darstellt, da er zwar Auswirkungen auf die Vergütung des Arbeitnehmers haben kann, aber grundsätzlich keine personelle Einzelmaßnahme darstellt.

1. Mitbestimmung bei vorübergehender Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG

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In § 87 Abs. 1 BetrVG finden sich ganz überwiegend Angelegenheiten mit kollektivem Bezug.[43] Dem Betriebsrat wird beispielsweise in Fragen der betrieblichen Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb (Nr. 1) oder hinsichtlich Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit (Nr. 2) ein Mitbestimmungsrecht eingeräumt. In Abgrenzung zu bloßen Mitsprache- oder Mitwirkungsrechten des Betriebsrats ist hier die Einigung mit dem Arbeitgeber obligatorisch.[44] Die Form, in der die Gegenstände des § 87 BetrVG geregelt werden, richtet sich nach der gewünschten Wirkung: Soll die Regelung normativen Charakter haben, wird die Form einer Betriebsvereinbarung gemäß § 77 BetrVG gewählt werden, bei Maßnahmen, die der Arbeitgeber ansonsten im Rahmen seines Direktionsrechts anordnen würde, reicht eine sogenannte Regelungsabrede aus. Kommt eine Einigung nicht zustande, ist gemäß § 78 Abs. 2 BetrVG die Einigungsstelle anzurufen. Ihr Spruch ersetzt notfalls die grundsätzlich vorzugswürdige Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.[45]

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Trotz des kollektiven Charakters dieses Mitbestimmungsrechts können mit seiner Hilfe auch individuell wirksame Regelungen getroffen werden. Z.B. hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der vorübergehenden Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit, wobei eine Verkürzung zumeist die Anmeldung von Kurzarbeit und eine Verlängerung vor allem Überstunden meint.[46] Da die hier eingeräumte Mitbestimmungsbefugnis grundsätzlich der Verteilungsgerechtigkeit und dem Überlastungsschutz der Arbeitnehmer in ihrer Gesamtheit dient,[47] herrscht nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ein kollektivrechtlicher Bezug vor, der auch die Entscheidung darüber erfasse, ob und wie viele Überstunden von welchen Arbeitnehmern geleistet werden dürfen.[48]

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Das bedeutet, dass der einzelne Arbeitnehmer, der bei ausreichend vorhandener Arbeit Überstunden machen möchte, um zusätzliches Geld zu verdienen, hierzu die Zustimmung des Betriebsrats benötigt.[49] Auf das Ob und Wie der Betriebsratsentscheidung hat er jedoch keinerlei Einfluss. Ob der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht ausübt, liegt in seinem Ermessen. Allein, wenn er sich überhaupt nicht mit der mitbestimmungsrelevanten Angelegenheit beschäftigt, stellt dies u.U. eine grobe Pflichtverletzung dar, die einen Auflösungsantrag gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG rechtfertigen würde.[50] Andere Sanktionen sieht das Betriebsverfassungsgesetz für diesen Fall nicht vor. Aber auch wenn er sich mit der Angelegenheit beschäftigt hat, ist der Betriebsrat dem betroffenen Arbeitnehmer nicht auskunftspflichtig über die Gründe, die sein Ermessen gelenkt haben. Rechtsschutzmöglichkeiten der betroffenen Arbeitnehmer gegen die Entscheidung des Betriebsrats existieren nicht.

2. Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen gemäß § 99 BetrVG

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Die Mitbestimmungsrechte in personellen Einzelmaßnahmen gehören zu den wichtigsten Beteiligungstatbeständen in der Betriebsverfassung und berühren das individualvertragliche Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in besonderer Weise.[51]

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Nach § 99 Abs. 2 BetrVG hat der Betriebsrat das Recht, die Zustimmung zu einer vom Arbeitgeber geplanten Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung und Versetzung zu verweigern mit der Folge, dass der Arbeitgeber die geplante Maßnahme grundsätzlich nicht durchführen darf. Es bleibt ihm gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG in diesem Fall lediglich, die Ersetzung der Zustimmung beim Arbeitsgericht zu beantragen. Zu diesem Antrag ist nur der Arbeitgeber berechtigt. Der einzelne Arbeitnehmer kann die gerichtliche Ersetzung der zustimmenden Betriebsratsentscheidung nicht beantragen, auch wenn er durch die Zustimmungsverweigerung nachteilig betroffen ist.[52]

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Der Betriebsrat kann seine Verweigerung der Zustimmung auf die Gründe gemäß § 99 Abs. 2 Nrn. 1 bis 6 BetrVG stützen. Diese sind inhaltlich so ausgestaltet, dass sie den Betriebsrat sowohl zum Wächter über die allgemeine Einhaltung von Gesetzen, Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen, wie z.B. der Auswahlrichtlinien gemäß § 95 BetrVG, als auch über die Wahrung der Grundsätze über die Gleichbehandlung von einzelnen Arbeitnehmern erheben. Er wird damit sowohl im kollektiven Interesse, als auch zum Schutz des einzelnen Arbeitnehmers tätig.[53] Dabei kann beides auch miteinander in Widerstreit geraten. Denn nicht immer sind einzelne Arbeitnehmer vor Benachteiligungen zu schützen, es kann auch vorkommen, dass die Gewährung eines Vorteils für den Einzelnen sich als kollektiv ungerecht darstellt und deswegen vom Betriebsrat unterbunden wird.[54] In einem solchen Fall hätte auch der einzelne Arbeitnehmer gegebenenfalls hinzunehmen, dass z.B. eine Höhergruppierung, die der Arbeitgeber ihm gerne gewähren möchte, vom Betriebsrat unter Tarifgerechtigkeitsgesichtspunkten blockiert wird.[55] Eine solche Abwägung von kollektiven und Einzelinteressen obliegt dem Betriebsrat zu Recht,[56] problematisch erscheint es jedoch, dass die Nachvollziehbarkeit seiner Entscheidung allein zugunsten des Arbeitgebers gewährleistet ist, denn gemäß § 99 Abs. 3 S. 1 BetrVG hat er nur im Fall der Zustimmungsverweigerung die Gründe, die ihn hierzu bewogen haben, anzugeben. So hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, die Entscheidung des Betriebsrats nachzuvollziehen, um ggf. einen Zustimmungsersetzungsantrag beim Arbeitsgericht zu stellen. Dies ist anders bei der ausdrücklichen Zustimmung gemäß § 99 Abs. 1 Hs. 2 BetrVG und der Zustimmungsfiktion gemäß § 99 Abs. 3 S. 2 BetrVG, die dann eintritt, wenn der Betriebsrat seine Zustimmung nicht schriftlich innerhalb einer Woche nach Unterrichtung durch den Arbeitgeber verweigert. Weder die ausdrückliche, noch die fiktiv erteilte Zustimmung sind zu begründen. So kann der Betriebsrat allein durch sein Schweigen z.B. einer belastenden personellen Maßnahme den Weg ebnen. Selbst wenn tatsächlich ein Verweigerungsgrund gemäß § 99 Abs. 2 Nrn. 1 bis 6 BetrVG vorliegt, hindert dies die Fiktion der Zustimmung nicht. Das heißt, dass nur eine dem Arbeitgeber widersprechende, nicht aber eine ihm nützliche, weil zustimmende, Entscheidung begründet werden muss. Der durch die personelle Maßnahme belastete Arbeitnehmer hat demgegenüber keinerlei Anspruch auf Zugang zu Informationen darüber, warum der Betriebsrat ihr zugestimmt hat. Damit bezeugt schon der Normaufbau anschaulich, dass der Gesetzgeber es offenbar nicht in Erwägung gezogen hat, dass der Betriebsrat von seinem Mitbestimmungsrecht in anderer Weise als zugunsten der Arbeitnehmer Gebrauch machen könnte. Auch ein Blick auf den Wortlaut bestätigt diese Annahme, denn anders ist es kaum zu erklären, dass die Verweigerungsgründe in § 99 Abs. 2 BetrVG insgesamt 6 Ziffern umfassen, die ihrerseits teilweise nochmals in Alternativen untergliedert sind,[57] während dieser Regelungsaufwand auf der Rechtsfolgenseite förmlich verpufft, indem es mit der Wendung „kann die Zustimmung verweigern“ selbst bei Vorliegen einer oder mehrerer Zustimmungsverweigerungsvoraussetzungen dem Betriebsrat freigestellt wird, die Zustimmung zugunsten des Betroffenen tatsächlich zu verweigern. Wenn der Betriebsrat sogar einer rechtswidrigen personellen Maßnahme (vgl. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG) nach dem Wortlaut die Zustimmung lediglich verweigern kann, aber nicht muss, steht dies strenggenommen im Widerspruch zur Verhaltensvorgabe des § 75 Abs. 1 BetrVG, nach der der Betriebsrat an die Grundsätze von Recht und Billigkeit gebunden ist. Wenngleich in diesem Fall die praktische Relevanz wegen § 134 BGB eher gering sein dürfte,[58] so wird hier insbesondere deutlich, dass der Gesetzgeber offenbar gar nicht in Erwägung gezogen hat, dass der Betriebsrat sich nicht rechtstreu verhalten könnte.[59] Dennoch ist es keineswegs auszuschließen, dass der Betriebsrat sich eben nicht redlich verhält, also seine Mitbestimmungsentscheidung nicht am Wohl der Arbeitnehmer ausrichtet, sondern sich stattdessen auf die Seite des Arbeitgebers stellt. Denn gerade diese Situation, in der der Arbeitgeber in wirtschaftlich für ihn relevanten Zusammenhängen auf das Wohlwollen des mit Veto-Rechten ausgestatteten Betriebsrats angewiesen ist, birgt einen hohen Korruptionsanreiz, dem andererseits aber keinerlei Entdeckungsrisiko der Beteiligten gegenübersteht. Dass dem letztlich vor allem betroffenen Arbeitnehmer noch nicht einmal Informationsrechte zugestanden werden, zeugt von einem kaum zu rechtfertigenden Vertrauen in die Arbeitnehmervertretung. Transparenz als Mittel der Wahl bei der Korruptionsvermeidung[60] wird im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung zugunsten des Arbeitnehmers jedenfalls nicht gewährleistet.

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Dem einzelnen durch eine Maßnahme gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG belasteten Arbeitnehmer bleiben nur rechtliche Schritte gegen den Arbeitgeber, wie die Beschwerde beim unmittelbaren Vorgesetzten gemäß § 84 BetrVG oder ggf. gemäß § 13 Abs. 1 AGG, wenn er sich durch die fragliche Maßnahme wegen seiner Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts oder anderen im § 1 Abs. 1 AGG aufgeführten Gründen benachteiligt sieht.

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Bei seiner Beschwerde gemäß § 84 BetrVG hat der Arbeitnehmer gemäß Abs. 1 S. 2 die Möglichkeit, ein Mitglied des Betriebsrats zur Unterstützung hinzuzuziehen. Davon wird er jedoch kaum Gebrauch machen, wenn er sich durch die an sich gebotene, aber vom Betriebsrat unterlassene Zustimmungsverweigerung von eben diesem verraten fühlt.

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Aus demselben Grund wird er bei einer Zurückweisung der Beschwerde durch den Arbeitgeber auch kaum den nächsten vorgesehenen Schritt gehen und den Betriebsrat einschalten. Daher dürfte sich der Arbeitgeber, der den Betriebsrat hinter sich weiß, keinem allzu großen Druck ausgesetzt sehen, der Beschwerde dieses einzelnen Arbeitnehmers abzuhelfen. In diesem Fall bleibt dem Arbeitnehmer nur übrig, gegen den Arbeitgeber ein arbeitsgerichtliches Verfahren zur Aufhebung der für rechtswidrig gehaltenen Maßnahme zu führen.

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Gegen den Betriebsrat selbst kann er sich gemäß § 84 BetrVG nicht beschweren. Hier bleibt wiederum nur der Antrag gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG,[61] behaftet mit den oben erwähnten Nachteilen.[62] Es bleibt zusammenfassend festzustellen, dass die Konzeption des § 99 BetrVG erhebliche Korruptionsgefahren zu Lasten des betroffenen Arbeitnehmers birgt, da ihm weder Informationsrechte, noch wirksame Rechtsmittel gegen einen pflichtwidrig zu seinem Nachteil agierenden Betriebsrat zur Verfügung stehen.