Weggesperrt

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Weggesperrt
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Katrin Fölck

Weggesperrt

Imprint: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN: 978-3-7375-8561-3

© Katrin Fölck 2015

Titelbild: © vrabelpeter1/

Fotolia.com

Prolog

Ich bin anders als du.

Und spätestens dann, wenn du mich erblickst, wirst auch du es erkennen.

Dabei wird es dir wie allen anderen vor dir ergehen: Dein Erschrecken wird sich in Entsetzen wandeln und letztendlich wirst du froh sein, dich wieder von mir abwenden zu können.

Mit diesem Umstand lebe ich schon seit meiner Geburt, und genau so lange versucht man seither, meinen Makel vor der Außenwelt zu verbergen.

Ich habe gelernt, damit umzugehen, obwohl ich mir meiner Unvollkommenheit erst an jenem Tag bewusst wurde, als ich das erste Mal einen anderen Menschen sah.

Du bist ein Kind des Glücks. Im Gegensatz zu mir. Dir steht es frei, was du mit deinem dir geschenkten Leben anfängst. Ich bin in meiner Welt gefangen. Einer Welt der Isolation und Ausgeschlossenheit.

Vieles von dem, was das Leben für dich bereithält, bleibt mir verwehrt. Vieles davon erschließt sich mir nicht einmal.

Ich habe keine Wahl. Außer der, meinem Dasein zu fristen.

Das Einzige, was mich umtreibt, ist die Frage nach dem

Warum?

1

Gerade erst habe ich es erfahren.

Von ihnen selbst. Ich kann kaum in Worte fassen, wie ich mich jetzt fühle. Es ist, als hätte ich eben eine Ohrfeige bekommen.

Mein Blut ist in Wallung. Meine Ohren glühen. Die Endorphine jagen durch meinen Körper, während ihre Worte immer noch in mir nachhallen.

Ihr Geständnis hat vor allem eins in mir ausgelöst: Verwirrung und Sprachlosigkeit. Neben der anfänglichen Erschütterung der unerwarteten Offenbarung wegen durchlebe ich nunmehr Gefühle wie Ungläubigkeit und Fassungslosigkeit, wobei es mich am Meisten verwundert, dass ich derartig schockiert über ihre Eröffnung reagiere: Habe ich es doch ohnehin schon längst vermutet. Auch, weil der tägliche Blick in den Spiegel es so offensichtlich anzeigte und erkennbar machte: Ich sehe anders aus als sie. Anders als meine Eltern und anders als mein kleiner Bruder. Denn meine Mutter hat blonde Haare und mein Vater braune. Genauso wie mein Bruder auch. Ich dagegen habe schwarzes Haar. Doch das auffälligste und damit eindeutig augenfälligste Merkmal meiner Andersartigkeit sind meine mandelförmigen Augen, welche mir damit einen fremdländischen Touch geben und mich so unweigerlich zu dem machen, was ich bin: ein Exot.

Nun also weiß ich die ganze Wahrheit: Nämlich, dass mein leiblicher Vater Hoang Thanh Quang heißt und mein angeblicher Vater Roland mein Stiefvater ist. Mein Name lässt dabei nicht das Geringste meiner Herkunft erkennen. Es ist ein ganz normaler Name wie ihn tausende andere Mädchen in diesem Land ebenso tragen wie ich: Emily.

Warum sich meine Eltern gerade heute dazu entschlossen haben, mir davon zu erzählen, weiß ich nicht. Vielleicht, weil sie dachten, dass es an der Zeit wäre und ich mit meinen vierzehn Jahren alt genug dafür bin, es zu erfahren.

Auch, wenn sich diesbezüglich innerhalb unserer Familie nichts Wesentliches ändert, bringt ihre Offenbarung doch einiges ins Rollen. Zum Beispiel, dass ich ab jetzt meine Gewohnheiten und Vorlieben genauer unter die Lupe nehme und mit denen meiner Mutter vergleiche, um zu wissen, was ich von ihr oder was ich möglicherweise von meinem biologischen Vater mitbekommen habe. Und er lässt den Wunsch in mir wachsen, meinen richtigen Vater kennen lernen zu wollen.

Als ich meiner Mutter allerdings davon erzähle, versucht sie augenblicklich, mich wieder von meiner Idee abzubringen. „Ich sei noch viel zu jung, die Reise zu teuer… Außerdem würde sie niemals zulassen, dass ich alleine so weit in ein unbekanntes Land reise… Des Weiteren würde es Roland verletzen, da er mich doch wie seine eigene Tochter aufgezogen hätte…“ sind einige der Argumente, die sie anbringt. „Wenn ich wolle, würde sie mir jedoch gerne alles über meinen Vater erzählen, was sie wüsste.“, lenkt sie ein…

Vorerst gebe ich mich geschlagen. Mein Vorhaben jedoch gebe ich nicht auf. Ich muss einfach wissen, wer

Hoang Thanh Quang ist. Was ihn als Mensch ausmacht, wie er ist und was ich, außer meinen Augen und den Haaren, noch von ihm habe. In Zukunft bin ich allerdings schlauer und behalte meinen Plan für mich.

Mir ist klar, dass es einiges an Zeit brauchen würde, meine Absicht in die Tat umzusetzen. Natürlich weiß ich auch, dass ich nicht umhin käme, die Sprache meines Vaters zu erlernen. Dies stellt sich jedoch als der schwierigste Part meines Vorhabens dar.

Vietnamesisch zu lernen ist nicht gerade einfach. Viele Wörter verfügen im Vietnamesischen über ein und denselben Wortstamm. Durch verschiedenartige Zeichengebung über dem Vokal verändert sich dieser dadurch nicht nur in Betonung und Aussprache, sondern vor allem inhaltlich. Spricht man das Wort nun falsch aus, würde man sein Gegenüber verwirren, da das Gesagte keinen oder einen anderen Sinn ergibt. Von der eigenen Blamage mal ganz abgesehen. Schlimmer jedoch wäre es, seinen Gesprächspartner möglicherweise dadurch zu beleidigen.

Eine derartige Situation will ich auf jeden Fall vermeiden. Aus diesem Grund kaufe ich mir neben obligatorischen Wörterbüchern auch Hörbücher zum Erlernen der Sprache meines Vaters. Trotzdem dauert es, bis ich meinen ersten zögerlichen Sprachversuch beim vietnamesischen Obstverkäufer um die Ecke wage.

Ich bin dreiundzwanzig Jahre alt, als ich schließlich das Geld für meine Reise zusammen habe. Und obwohl meine Mutter immer noch nicht sonderlich von meiner Idee begeistert ist, kann sie es mittlerweile verstehen, dass ich meinen Vater kennen lernen will. Sie ist es auch, die mich am Tag der Abreise zum Flughafen bringt und mir noch einige Scheine extra zusteckt.

Im Flieger dann kann ich allerdings nicht leugnen, dass mir doch etwas mulmig bei dem Gedanken ist, allein in ein so fernes und fremdes Land zu reisen. Wohl oder übel muss ich mir einen Moment der Selbstüberschätzung eingestehen. Doch jetzt gibt es keinen Weg mehr zurück. Dafür ist es zu spät.

2

„Vietnam, da bin ich!“, jubele ich innerlich, während mein Herz einen kleinen

Freudensprung macht, als ich endlich, nach elf Stunden Flug, in Noi Bai aus dem Flieger steige. Doch da weiß ich noch nicht, was mir demnächst bevorsteht.

Die hohe Luftfeuchtigkeit, die hier vorherrscht, lässt mir schon nach kürzester Zeit den Schweiß aus allen Poren treten. Meine Bluse klebt bereits an mir. Ebenso meine Shorts.

Doch es ist nicht nur die Hitze, die mich schwitzen lässt. Schon auf der Fahrt vom Flughafen in die Stadt bekomme ich einen Vorgeschmack auf das, was mich hier erwartet: Bereits jetzt, am Morgen, herrscht auf den Straßen ein für mich schier undurchschaubares Chaos, ein einziges Gewusel an unzähligen Fahrrädern, Mopeds, Motorrädern, Lastkraftwagen und Autos, die sich hinter-, oder auch nebeneinander, links oder rechts vom Taxi, ihren Weg vorwärts bahnen. Auf den Gehsteigen machen sich die Menschen emsig daran, ihre Verkaufsstände, Waren und Garküchen aufzubauen. Die ganze Szenerie strahlt eine dermaßen ungekannte Lebendigkeit aus, dass sie auf mich einerseits erschreckend wie faszinierend zugleich wirkt.

Ich entsteige nach einer dreiviertel Stunde Fahrt dem Taxi, entlohne den Fahrer mit den von ihm geforderten Dong und betrete das von mir bereits in Deutschland gebuchte Hotel in der Altstadt Hanois, das mir Unterkunft für die nächsten Tage sein würde. Doch schon beim Einchecken stoße ich auf das erste Hindernis: das Zimmer ist erst ab vierzehn Uhr bezugsfertig. Das heißt für mich, fünf Stunden warten.

Um die Zeit sinnvoll zu nutzen, entschließe ich mich, einen Spaziergang zum nahe gelegenen Hoan-Kiem-See zu machen.

Glücklicherweise kann ich meine Reisetasche im Hotel lassen, was meinen Ausflug um einiges erleichtert, meine ich. Dass das ein Trugschluss ist, wird mir in dem Moment wieder bewusst, als ich meinen Fuß hinaus auf den Gehweg setze und somit die Sicherheit des Hotels aufgebe.

Der bloße Anblick des Treibens um mich herum bringt mich schon wieder zum Schwitzen, und die Überquerung der Straße stellt mich schier vor eine unlösbare Aufgabe: Um mich herum geht es zu wie in einem Bienenstock. Wie sollte ich da über die von angenommen hundert Mopeds, die gleichzeitig die Straße befahren, kommen?

Auch wenn ich mich noch so sehr bemühe, die hier vorherrschenden Regeln und das Fahrverhalten der Vorbeifahrenden zu ergründen, überblicke ich es nicht wirklich. Besser, ich warte solange, bis ich mich einem Grüppchen anschließen kann, das ebenfalls auf die andere Straßenseite will. Zu meiner

Überraschung klappt das besser als gedacht, und ich komme unbeschadet auf der gegenüberliegenden Seite an, ganz ohne mit jemandem zusammenzustoßen oder gar unter die Räder zu kommen.

Der vorherrschende Verkehr bedarf meiner ganzen Aufmerksamkeit. Doch selbst auf den Gehsteigen wird jeder Meter ausgenutzt, um Waren oder Dienstleistungen anzubieten oder einfach nur, die Motorroller zu parken. So muss ich oft auf die Straße ausweichen.

Ich schlendere in einem Gewirr an engen Gassen durch das Alte Viertel, welches auch „Viertel der 36 Gassen“ genannt wird, obwohl es meinem Erachten nach wohl mehr als doppelt so viele zu sein scheinen. Jede der Gassen trägt den Namen der Handwerkszunft oder des Produktionsgewerbes, welches hier früher angesiedelt war. Auch heute finden sich neben unzähligen Läden und Verkaufsständen noch kleinere Produktionsstätten, in denen man Korbmacher, Steinmetz, Schneider, Schuster oder Friseur beim Arbeiten zusehen kann. Oft befindet sich die „Werkstatt“ gleich auf dem Gehsteig.

 

Die typischen Tunnel- oder Röhrenhäuser, die nicht viel breiter als zwei Meter sind und ich anfangs für Hauseingänge gehalten habe, prägen hier überall das Stadtbild. Gerade durch die Erhaltung dieses Urtümlichen hat sich das Alte Viertel damit seine außergewöhnliche Atmosphäre bewahrt.

Die vielen Straßenhändler bieten ihre Waren auf ungewöhnlichste Art und Weise an, so dass man als Europäer nur darüber staunen kann: Eine Vietnamesin mit dem für dieses Land typischem „non la“, dem Kegelhut, nutzt ganz unkompliziert einfach zwei leere Bierkästen als Abstellfläche für ihre mobile Garküche, andere sitzen auf kleinen bunten Plastikhockern oder auf dem Boden, neben sich zahlreiche Schüsseln, in denen sich Obst, Gemüse oder andere Sachen befinden. Das Fahrrad wird zum Verkaufsstand, indem es einfach mit der zu verkaufenden Ware wie Krügen oder Bananen behangen wird. Außerdem ist es nicht nur Fortbewegungs-, sondern gleichsam Transportmittel, wie ich sehen kann, genau so wie die Motorroller.

Ein Zweirad dieser Art ist gerade an mir vorbeigefahren, wobei ich dieses und den Fahrer kaum mehr gesehen habe, so über und über beladen mit in Folie eingeschweißten Sechserpacks an Wasserflaschen. Hier kein Einzelfall, wäre das bei uns gänzlich unvorstellbar.

Die Kreativität der Händler bei der Präsentation ihrer Waren ist überaus sehenswert. Dabei sind der Phantasie bei Aufbau und Gestaltung keinerlei Grenzen gesetzt.

Immer wieder werde ich aufs Neue angelockt, wenn sich vor mir Unmengen an Früchten oder Gewürzen zu einem farbenfrohen Gesamtbild zusammenfinden oder zu kleinen Kegeln aufgeschichtet worden.

Neben kleinen lebenden Fischen, die in Plastiktüten zum Verkauf angeboten werden, finden sich zwischen ihnen auch immer wieder Stände mit verschiedensten Meeresfrüchten wie Garnelen, Muscheln, Schnecken und Fischen.

Die Fleischstände meide ich, ebenso den Imbiss, der eine Art „hot dog“ anbietet, welcher für mich jedoch nicht als solcher erkennbar ist. Vieles von dem, was hier gegrillt, geröstet oder gebraten und gesotten auf den Tisch der Garküchen und Restaurants bzw. an den Ständen an den Kunden gebracht wird, werde ich nicht probieren.

Hier reiht sich Laden an Laden, Verkaufsstand an Verkaufsstand, Garküche an Garküche. Schon aufgrund der Vielfältigkeit des Angebotes könnte man durchaus den ganzen Tag hier zubringen, auch ohne etwas zu kaufen, was jedoch äußerst schwer fällt, da die Verkäufer schon ziemlich beharrlich sind.

Der vielen Eindrücke wegen, die auf mich einstürmen, fühle ich mich bald überfordert und verlasse das Viertel Richtung Hoan-Kiem-See.

Ich setze mich erschöpft auf eine der Bänke, die zum Verweilen einladen, und lasse meinen Blick übers Wasser hin zum dreistöckigen Schildkrötenturm Thap Rua, dem Wahrzeichen Hanois, schweifen.

Hier ist es ruhiger. Langsam beginne ich mich zu akklimatisieren. Bald wird es mir jedoch zu langweilig, nur die Leute zu beobachten, außerdem verspüre ich starkes Verlangen nach einem Kaffee.

Ich fasse mir ein Herz und frage zwei vorübergehende junge Vietnamesinnen, wo ich einen Kaffee trinken könne. Das Cafe „Pho Co“, welches sie mir empfehlen, finde ich jedoch erst, nachdem ich ein zweites Mal nach dem Weg frage. Dafür ist es seinen Besuch wert und belohnt mich mit einem herrlichen Blick auf den See und einem sehr leckeren „ca phe sua da“, was kalter Kaffee mit süßer dickflüssiger Kondensmilch auf Eiswürfeln ist.

Ich komme mit zwei Touristen aus Belgien ins Gespräch, die annehmen, ich sei eine Einheimische und könnte ihnen helfen, eine von ihnen gesuchte Straße zu finden, da ich mich vor Ort auskenne. Als ich den Irrtum aufkläre und ihnen erzähle, dass ich aus Deutschland komme und hier nach meinen Wurzeln suche, wünschen sie mir viel Glück bei meinem Vorhaben.

Die Zeit vergeht viel schneller und angenehmer als gedacht und so mache ich mich langsam auf den Rückweg zu meinem Hotel. Dort angekommen, kann ich nun endlich mein Zimmer beziehen.

3

Die Einrichtung des Zimmers ist überschaubar. Außer einem Doppelbett befinden sich nur noch ein kleiner Kühlschrank mit Minibar und ein Flachbildschirm, der an der Wand befestigt ist, darin. Dafür hat es ein Fenster. Das angrenzende Bad ist mit einer Wanne ausgestattet.

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?