Meditation heilt

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Und ganz persönlich gefragt:

1. Wie ist Ihre Beziehung zu dem „Gefäß“, das Ihr Körper ist?

2. Wie ist Ihr Verhältnis zu dem Bereich Ihres Körpers, der keine Schmerzen hat, sodass sich der Schmerz wie das Salz im See „verteilen“ kann?

3. Worauf schauen Sie, wenn Sie über Ihren Schmerz sprechen? Auf das Salz? Oder den See? Auf Ihre „Triggerpoints“? Oder auf die Spielräume, die Sie haben?

4. Trauen Sie sich zu, selbst Einfluss auf Schmerzverarbeitung zu nehmen, weil Sie der Experte im Schmerzgeschehen sind?

Hand aufs Herz: Wo gehen Sie los? Beim Glas? Oder beim See?

Glas oder See?

Beginnen wir sofort mit einer praktischen Übung. Verschieben Sie diese bitte keinesfalls auf später, machen Sie sie JETZT. Genau jetzt.

Ihre Eigenanamnese

Vielleicht haben Sie die vier Fragen soeben in Gedanken schon beantwortet. Wenn nicht, holen Sie es nach. Schreiben Sie Ihre Antworten kurz und bündig auf. Grübeln Sie nicht lange, selbst wenn Ihre Antwort ungewöhnlich klingt.

Und nun zum Kern: Lesen Sie sich Ihre Antworten laut und deutlich und so bewusst wie möglich vor. Lassen Sie sich dabei jedes einzelne Wort auf der Zunge zergehen. Danach begeben Sie sich in eine bequeme Position, sitzend, liegend oder stehend, schließen für sieben Atemzüge Ihre Augen und ruhen im Kontakt mit Ihrem Atem nach.

Mein Tipp: Heben Sie das Geschriebene bis zum Ende des Buches auf.

Standortbestimmung

Sobald ich mit Klienten zu arbeiten beginne, ist es das Wichtigste, zu wissen, wo wir starten, an welchem Ort wir losgehen. Das haben wir gerade gemacht. Da ich so viel Körperbewusstheit wie möglich aus Ihnen herauskitzeln möchte, animiere ich Sie außerdem dazu, die übliche Schmerzhierarchie zu verlassen und Ihr eigener Experte innerhalb Ihres Schmerzgeschehens zu sein. Ja, Sie lesen richtig. Verlassen Sie den Patientenstatus! Arbeiten Sie sich in den Chefsessel Ihrer Situation vor, sodass Sie als fühlender, reflektierender und wissender Mensch am Ruder Ihrer Schmerzgeschichte sitzen.

Ich ermutige Sie, sich in die Nabe des Geschehens zu begeben, genau in die Mitte hinein, medial, dorthin, wo jegliche Information zusammenläuft.

Tagebuch

Um diesen Prozess klarer zu gestalten, empfehle ich, ihn schriftlich zu dokumentieren. Das hat sich in meiner Arbeit mit Klienten bezahlt gemacht. Kaufen Sie sich ein Tagebuch und führen Sie es als einen Veränderungsdetektor. Falls Sie Ihr Tagebuch im Handy, im Tablet oder im Notebook führen, ist das ebenso in Ordnung. Wichtig ist, dass Sie es bei sich haben und Beobachtungen ad hoc und frisch aufschreiben können. Notieren Sie alles, was sich in Ihrer Wahrnehmung verändert, egal, ob es mit dem Schmerz offensichtlich in Verbindung steht. Warum? Weil jede Art veränderter Perzeption wichtig ist. Jede. Jede einzelne. Sie hat Gewicht, damit Sie die Indikatoren für neuronale Veränderung erkennen können, die im Zuge von Meditationspraxis passiert.

Wenn sich meine Klienten von mir verabschieden und ihren Weg anhand ihrer Notizen rückblickend verfolgen, können sie es oftmals kaum fassen, wie weit sie gegangen sind. O-Ton einer Klientin: „Es ist kaum zu glauben, wie mein Körper damals war.“ Eine andere Klientin beschrieb es wie das Ansehen eines Fotoalbums, in dem sie auf die alten Bilder schaut. „Der Schmerz ist wie Schnee von gestern“, sagte sie. „Schnee, der längst geschmolzen ist.“

Das Tagebuch dokumentiert aber nicht nur Ihre veränderten Wahrnehmungen, sondern es soll außerdem Ihre Ressourcensammlung sein. Sie können es wie ein Kochbuch führen, in dem Sie Rezepte archivieren, Tipps und Tricks sammeln, Zitate, Bilder oder persönliche Bemerkungen hineinpinnen, die Sie später nutzen. Dann greifen Sie auf das zurück, von dem Sie wissen, dass es Ihren aktuellen Bedarf erfüllt.

Ihr Spannungs-Schmerz-Score (SSS)

An dieser Stelle installieren wir einen Vergleichswert, nach dem ich Sie noch mehrere Male fragen werde.

1. Ihr Spannungsscore: Fühlen Sie den Grad der Anspannung Ihres Körpers und ordnen Sie ihn auf einer Skala von null bis einhundert Prozent ein. Während der Wert null einem völlig entspannten Dasein entspräche, bezöge sich ein Wert von einhundert Prozent auf Ihre maximalste Anspannung. Notieren Sie den Wert und versehen Sie ihn mit dem heutigen Datum.

2. Ihr Schmerzscore: Schätzen Sie den durchschnittlichen Grad Ihrer Schmerzen auf einer Skala von null bis einhundert Prozent ein. Der Wert null wäre gleichzusetzen mit Schmerzfreiheit, während sich einhundert Prozent auf durchgängige Schmerzen in Maximalstärke beziehen. Fügen Sie diesen Wert ebenfalls Ihren Aufzeichnungen hinzu.

Inneres Hilfsmittel Meditation

Und schon sind wir mittendrin im Prozess des Bewusstwerdens, in den Sphären von Innenschau und verfeinerter Perzeption. Wo auch immer Sie losgehen, Meditation ist im Zuge der Schmerzbeeinflussung das Mittel der Wahl. Das ist sie nicht, weil sie unmittelbar heilt, sondern weil sie Aufmerksamkeit und Bewusstheit über intern ablaufende Vorgänge im Inneren Ihres Körpers erzeugt, die mit herkömmlichen Mitteln unantastbar wären.

Wenn Sie mit Ihrem Schmerz sowieso in der Warteschleife stehen, wenn erhoffte Veränderung ausgeblieben ist und das bessere Medikament ebenso, wenn Sie nur noch hoffen – auf die anschlagende Therapie, die OP oder schlichtweg ein Wunder, dann nutzen Sie Ihre Zeit.

Machen Sie das Erlangen von Bewusstheit zu Ihrem persönlichen Instrument. Vorkenntnisse brauchen Sie keine, nur Mut zu Veränderung und einen offenen Blick.

2. KAPITEL

Meditation und die innere Mitte

Meditieren vs. Meditation

Meditatives Basiswissen

Spätestens jetzt sollten wir besprechen, was Meditation bedeutet, was sie kann, das andere Ansätze nicht können, und wie sie rein praktisch funktioniert. Das ist schon deshalb essenziell, weil Meditation erst vor wenigen Jahren in einen Kontext mit Schmerzbewältigung gesetzt wurde und die Innenschau keineswegs zu unserem primären kulturellen Erbe zählt. Was im asiatischen Kulturkreis als normal gilt, wird hierzulande in der Medizin noch immer mit einer gehörigen Portion Argwohn beäugt. Das Wort „spirituell“ in der allopathischen Medizin zu verwenden, kann einem durchaus Ansehen und Glaubwürdigkeit unter Kollegen kosten und das Vertrauen von Klienten ebenso. Scharlatanerie ist das, was man auf dem Schmerzsektor auf jeden Fall ausschließen will.

Zudem ist das publizierte Wissen über das Meditieren relativ jung, sodass nur wenige Mediziner in der Lage sind, Meditation als Heilquelle zu verstehen. Untermauern wir das Ganze deshalb mit den Erkenntnissen fundierter Meditationsforschung, sodass sich Betroffene wie Fachleute sattelfester fühlen, bevor wir einen Schritt auf Neuland wagen.

Inneres Balancieren

„Meditation“ stammt aus dem lateinischen Wortstamm „meditari“ und bedeutet so viel wie: denken, sinnieren oder nachdenken. Da Meditation aber rein gar nichts mit diesen geistig determinierten Aktivitäten zu tun hat, folge ich dem Wortstamm „Medi“, der auch in den Worten Medizin und Medikament liegt. Alle drei Begriffe eint die gemeinsame Intention, den Menschen seine Mitte zurückzubringen. Warum? Weil ihm diese aufgrund verschiedenster Umstände abhanden gekommen oder unzugänglich geworden ist.

Meditation ist für mich im medizinischen Kontext ein Weg der Regeneration, der zurückführt zum Zentrum, zurück in die Balance – in einen inneren Zustand, in dem ein jeder Mensch gesund, heil und intakt ist.

Meditation ist ein Mittel, das individuelle Ressourcen aktivierbar macht. Und genau dafür sollte unsere MEDI-zin da sein und ein MEDI-kament ebenso.

Der „Zustand Meditation“

Umgangssprachlich bezieht sich der Begriff Meditation zumeist auf das Praktizieren einer Meditationstechnik. Man sagt: „Ich meditiere“ und meint damit, dass man etwas tut. Mittels bestimmter Meditationsmethoden sollen bestimmte „Zustände“ oder „Ziele“ erreicht werden.

Und damit komme ich zu einem ersten Fakt, der wesentlich für jede Meditationspraxis ist, ganz unabhängig von Symptomatik, Diagnose, Lifestyle oder Schmerz: Alle praktizierten Meditationstechniken sind ein Mittel, um den Zugang zum Zentrum des Körpers zu erschließen, sodass sich ein Empfinden von Balance und innerer Stille, der „Zustand Meditation“, einstellen kann. Übungen dienen als Vehikel, das in diesen Zustand hineinführt. Sie sind Handreichung, ein Instrument.

Der Begriff Meditation kann also auf zwei Ebenen verwendet werden, zum einen in Bezug auf das Praktizieren einer Meditationstechnik und zum anderen als Beschreibung des medialen, zentrierten Zustandes Meditation.

Vereinfacht könnte man sagen: Der Mensch meditiert, um sich den Zugang zum Zustand Meditation zu erschließen und so zentriert wie möglich zu sein.

Meditieren heißt nicht sitzen

Wenn vom Meditieren die Rede ist, assoziieren die meisten meiner Klienten es mit stillem Sitzen. Abgeleitet von unzähligen Buddhastatuen, die Europa in den Neunzigerjahren epidemiemäßig überschwemmten, hat sich in vielen Köpfen eingegraben, dass Meditieren bedeutet, still zu verharren, was zudem in einer möglichst aufgerichteten Sitzposition stattzufinden hat. Wer am längsten still sitzen kann, gilt als Meister der Materie und folglich als weise, erfahren und mit dem Innenleben vertraut. Wer hingegen nur kurze Zeit in Stille verbringen kann und seine Gedanken dabei nicht zum Verstummen bringt, outet sich als Laie. Er muss noch üben, sagt man, er muss noch disziplinierter sein, damit sich sein Organismus an das Kontemplieren gewöhnt.

Genau hier interveniere ich drastisch, denn diese Annahmen sind nicht nur oberflächlich, sondern aus neuromuskulärer Sicht auch schlichtweg verkehrt. Auf welchem Wege jemand innerlich ruhig wird, durch welche Mittel sich jemand zentriert fühlt und sich von den allgemeinen inneren und äußeren Turbulenzen distanzieren kann, ist keine Frage des Sitzenkönnens, sondern eine des Nervensystems, das angesprochen werden muss und infolgedessen zur Ruhe kommt.

 

Schmerzerfahrene atmen zumeist auf, wenn ich ihnen das erkläre. Erst kürzlich hatte ich eine Meditationssitzung, in der die Teilnehmerin regelrecht erleichtert war. „Ich bin so froh, dass ich nicht mehr sitzen muss. Ich habe mich immer nur gequält.“ Und eine andere Klientin erkannte inmitten eines Retreats: „Mensch, … jetzt weiß ich erst, dass ich von Meditation mehr verstehe, als mir klar gewesen ist.“

Buddha

Es ist aus mehreren Gründen sinnvoll, im Einklang mit dem Körper zu meditieren und ihm ein Mitspracherecht zu geben, wenn es im Inneren still werden soll.

Ich habe das Gefühl, dass der Ursprung vieler Missverständnisse bezüglich der Rolle des Körpers beim Meditieren tatsächlich bei Buddha liegt, beziehungsweise bei dem, was als Statue von ihm übriggeblieben ist. Abgesehen davon, dass das Meditieren ein absolut individueller Vorgang ist, bleibt eine Statue eine Statue und ist als solche kein Mensch.

Wenn wir den Ursprung buddhistischer Statuen zurückverfolgen, wird leicht verständlich, wie es zu der in Stein gemeißelten Darstellung von Buddha kam. Künstler vergangener Epochen hatten offenbar das Bedürfnis, dem inneren Stillsein mit stilistischen Mitteln Ausdruck zu verleihen. Dasselbe passiert auch heute in der angewandten Kunst. Durch Malerei, Poesie, Musik oder Bildhauerei werden Daseinszustände ausgedrückt, die mit herkömmlichen Mitteln ungesagt bleiben. Im Falle der Buddhastatuen hat das bestens funktioniert. Die meisten Skulpturen symbolisieren Stille, Gleichmaß und innere Rast. Sie animieren zur inneren Einkehr und erinnern an den „Ruhepol“, den jeder Mensch in seinem Zentrum hat.

Doch diese inneren Qualitäten als Maßgabe im Außen zu verwenden, ist ein Irrtum mit weitreichenden Konsequenzen. Die Annahme, dass der Mensch nur in starrer, versteinerter Pose zu innerer Ruhe gelangen kann, hat für ganze Generationen von Meditierern ein folgenschweres Missverständnis erzeugt. Das Halten einer bestimmten Sitzposition zum Allgemeinrezept fürs Meditieren zu erheben, lenkt den Fokus von der Essenz der Innenschau ab.

Tatsächlich bin ich im Laufe der Jahre einigen Menschen begegnet, die sich vom Meditieren abgewandt haben, weil sie „das mit dem Sitzen“, so einer meiner Klienten, oder „… dieses unnatürliche, steife Gehabe“, so ein anderer, nicht bewältigt haben.

Weder das bewegungslose Sitzen noch eine bestimmte Körperhaltung sind dafür verantwortlich, dass der innere Zustand von Stille erlebt werden kann. Es ist eine der wunderbarsten Erfahrungen, die ich kenne, im Außen aktiv zu sein, doch innen absolut still.

Falls Sie ein Beispiel brauchen, schauen Sie sich auf YouTube Videos von Sufitänzern an. In hoher Geschwindigkeit drehen sie sich um ihre eigene Achse, doch im Zentrum ihres Körpers scheint keine einzige Regung zu sein.

Der westliche Körper ist anders

Tatsächlich gibt es Menschen, die sich in der klassischen Lotosposition verharrend wohlfühlen und mit überkreuzten Beinen sitzend gut entspannen können. Ich habe häufig in Asien meditiert und beobachtet, dass das durchaus geht.

Doch ich habe auch begriffen, welchen Hintergrund das hat. Weil viele asiatische Menschen nicht auf Stühlen, sondern im Kontakt mit dem Boden groß werden, haben sie ein anderes Verhältnis zu körperlicher Haltung und entspannter Position. Viele von ihnen sitzen deshalb im Lotossitz anstrengungsfrei, natürlich, mühelos und bequem. Es entsteht keine Spannung im Körper und folglich auch kein innerer Kampf. Insofern ist es für sie naheliegend, in dieser Position nach innen einzukehren, genau so, wie das Europäer auf ihre Weise tun.

Wenn Sie zu denjenigen Meditierern zählen, die sich sitzend beim Meditieren quälen, sich auf den Meditationshocker zwingen und sich während der Introvision aus Spannungsgründen öfter nachkorrigieren müssen, dann probieren Sie andere Wege des Meditierens aus. In diesem Fall dürften Techniken, die an Bewegung, Tanz, Kreation, Atmung oder Stimme gebunden sind, für Sie viel besser geeignet sein. Mehr dazu in den Kapiteln vier und fünf.

Verabschieden Sie sich zunächst von der Idee des Sitzens als Maßgabe, es sei denn, es gefällt Ihnen absolut anstrengungslos und leicht.

Erfahren statt Üben

Ob sitzend oder nicht, das bloße Praktizieren von Meditationsmethoden ist trotzdem noch nicht das, was Ihnen automatisch das Erfahren Ihres „inneren Zentrums“ garantiert. Und das bringt uns zu einer weiteren Fehlannahme, die nicht nur an Schmerz gewöhnten Meditierern, sondern auch beschwerdefreien Introvisionären geläufig ist.

Während beim Meditieren weder die Dauer des Verharrens noch die äußere Haltung maßgeblich sind, ist es gut zu wissen, welche Meditationsmethode zu der individuellen Konstitution Ihres Körpers und zu Ihrer Schmerzsituation passt. Vielleicht staunen Sie jetzt. Es ist nicht automatisch so, dass jeder Mensch mit jeder Methode glücklich ist. Menschen sind verschieden. Ihre Nervensysteme sind hochdifferenziert. Ihre Schmerzgeschichte ist, wie wir wissen, unterschiedlich geprägt und höchst individuell.

Eine Meditationstechnik muss zum jeweiligen Nervensystem passen, mit ihm „klicken“. Erst dann kann sich der Zustand von Meditation in Ihre Wahrnehmung einschleichen. Und erst dann hat Schmerzempfinden eine reale Chance, verändert in Ihr Empfinden einzugehen.

Deshalb werde ich Sie in den Meditationskapiteln mit verschiedenartigen Techniken der Innenschau bekannt machen, sodass Sie diejenige wählen können, die zu Ihrem Naturell am besten passt.

Schmerz und Meditation

Nachdem Sie jetzt wissen, dass Meditation auch abseits des stillen Sitzens gelingen kann und es gut ist, wenn die Technik mit Ihrem individuellen Nervensystem harmoniert, gibt es noch einen dritten Punkt, der für das Meditieren unter Schmerzen maßgeblich ist.

Meditationstechniken funktionieren nämlich nicht wie Gymnastikübungen, die Ihnen der Physiotherapeut oder Personal-Trainer empfiehlt: „Wenn Sie diese Übung dreißig Tage lang morgens, mittags und abends für fünfundvierzig Minuten machen, werden Sie eine Schmerzreduktion von fünfundsiebzig Prozent spüren. Und wenn Sie es auf ein halbes Jahr bringen, sind Sie ein für alle mal frei von Schmerz.“

Wir dürfen nicht den Fehler machen, Meditation als „Variante X“ dem Menü therapeutischer Maßnahmen hinzufügen, die das Pillenschlucken oder den Gang zum Therapeuten eins zu eins ersetzt.

Wenn das „Heilmittel Meditation“ bei Schmerzen greifen soll, empfehle ich Ihnen, sich von jeglicher Zielorientierung in der Meditationspraxis zu verabschieden. Meditation ist keine physiotherapeutische Anwendung oder leistungsbezogene Unternehmung, weder Wettkampf noch Selbstdisziplinierungsmaßnahme oder Sport.

Noch einmal: Das Erfahren des Zustandes von Meditation ist der springende Punkt. Dieser kann Ihnen nur geschehen, wenn Sie für Ihr Nervensystem das richtige Klima kreieren. Wenn Ihnen das mittels einer Technik gelingt, wunderbar!

Evaluation

Weil das Meditieren also ohne Leistungsanspruch auskommen muss, schließt das auch ein, dass Sie durchaus über Jahrzehnte hinweg meditieren können, ohne Ihre Mitte je berührt zu haben. Und umgekehrt. Es gibt Menschen, die haben in ihrem Leben keine einzige Meditationsübung praktiziert und sind mit ihrer Mitte bestens vertraut. Deshalb die Unterscheidung: Meditation als Übung betrachtet kann zu einer zentrierenden Erfahrung führen, doch bleibt genau dieses Erreichen der Mitte ohne Garantie.

Darüber hinaus existiert auch keine klassifizierbare Maßgabe und kein evaluierbarer Nachweis, wann die „Erfahrung Meditation“ eintritt, und genauso wenig, wann sie ausbleibt. Glücklicherweise erkennen Hirnforscher mittels bildgebender Verfahren immer mehr, wie sich dieser Zustand im Gehirn darstellt, welche Hirnareale involviert sind und wie sich die Effekte desselben bei längerer Meditationspraxis in das Leben integrieren. Nur haben Sie als Meditationswillige in Ihrem Wohn-, Hotel- oder Arbeitszimmer weder EEG noch MRT, die Ihnen den messbaren Beweis vor Augen halten. Deshalb müssen Sie sich selbst die Mühe machen, empfindungssicher zu werden. Finden Sie in Eigenregie heraus, wie sich der Zustand von Meditation anfühlt und wie er sich innerhalb Ihrer Körperwelt bemerkbar macht.

Genau darin besteht die Herausforderung bei jeglicher Form von Innenschau: Sie als Praktizierende sind bezüglich der „Erfahrung Meditation“ auf sich allein gestellt. Weder der erfahrenste Meditationslehrer, Buddha persönlich noch der Dalai Lama, säße er neben Ihnen auf dem Meditationshocker, könnte letztlich sagen, wann Meditation eintritt und wann nicht. Sie müssen es selbst erfühlen. Sie lernen, es selbst zu erkennen, und genau darin liegt ein großer Teil des Wertes von Meditation.

Darin besteht die wirkliche Herausforderung in der Meditationspraxis: Meditation ist ein Experiment, das alleinig in Ihren Händen liegt. Sie gleicht eher einer Reise ins Unbekannte, als dass Sie Ihnen einen Meditationsplan zum Besiegen des „Gegners Schmerz“ in die Hände legt.

Der Zustand Meditation

Wie der Zustand Meditation letztlich erlebt und verbal ausgedrückt wird, könnte unterschiedlicher nicht sein. Sowohl in historischen Berichten als auch in der gegenwärtigen Meditationskultur trifft man auf verschiedenste Beschreibungen. Doch so sehr die Ausdrucksweise auch differiert, so deutlich kristallisiert sich ein und derselbe Fakt heraus: Meditation macht sich als innerer Daseinszustand bemerkbar, in dem keine Identifikation mit den wahrnehmbaren Vorgängen im Innen und Außen besteht. Bewegung, Aktivität, Empfindung, Gedankenfluss, also jeglicher innerer und äußerer „Verkehr“ besteht weiter, nur verbleibt dieser in der Peripherie. Die Distanz zu aller Art von Reizen ist deutlich, das Nicht-Involviertsein in wahrnehmbare Vorgänge arbeitet sich als „Erlösung von allem“ heraus.

Ich selbst empfinde es so, dass ich „keine innere Institution“ vorfinde, die etwas will, die etwas forciert, die sich einhakt oder mit Inhalten „von etwas“ befasst. Diese Triebkraft in mir, die mich sonst zu Aktivitäten animiert, die antreibt, vorschlägt, anschubst und Handlung dirigiert, ist von mir beurlaubt worden. Ich ruhe in mir wie auf einer inneren Insel, auf der ich einfach nur „bin“. Und nicht einmal das.

Meditation bezieht sich nicht auf Gedankenfreiheit, innere Totenstille oder auf das komplette Anhalten des inneren Tumults. Sie äußert sich in einem Nicht-Verhaftetsein, das wiederum auf der Distanz zu jeglicher inneren und äußeren Bewegung beruht.

Meditation live

Aus reinem Interesse höre ich meinen Klienten zu, wenn sie den Zustand von Meditation mit ihren Worten beschreiben.

„In Meditation zu sein …?“, Martina lächelt. „Es ist relativ unspektakulär. Ich tauche ab und gut.“ Während Klaus seine Augen schließt und seinem Kopf erlaubt, in die „Beach-Haltung“ zu gehen, macht es Anne ebenfalls ganz simpel: Sie knüpft an eine Erfahrung in einem Meditationsworkshop an, als sie unerwartet tief in sich eintauchte: „Ich bin einfach nur da, wie damals, als alles, was ich nicht bin, von mir abgeblättert ist.“

Und mir fällt eine Geschichte ein, die mir ein Freund erzählt hat:

Schmerz konkret

Der Vater

Jörgs Vater litt an einer Krebserkrankung. Schmerzen waren über Jahre hinweg seine Begleiter. Als er in einem Hospiz lag, bekam er Besuch von seinem Sohn. Die beiden hatten sich über viele Jahre entzweit, weil Jörgs Lebensweise und die Prioritäten, die er in seinem Leben setzte, nicht denen des Vaters entsprachen. Als Jörg auf der Bettkante saß, sprach ihn sein Vater ganz unerwartet auf ein bis dahin heikles Thema an: „Sag mal, wie machst du das eigentlich, das mit der Meditation?“

Jörg traute seinen Ohren nicht. Sein alter Vater interessierte sich für Meditation! Ausgerechnet er stellte ihm eine Frage zu dem Lebensbereich, den er nie akzeptiert hatte. Egal. Jörg mühte sich, seinen Vater auf möglichst simple Weise über die Eckpfeiler von Meditation aufzuklären. Er tat sein Bestes, damit das eigentlich Unsagbare für seinen Vater, den Laien, verstehbar wurde.

Sein Vater hörte ihm aufmerksam zu. Doch als Jörg zu Ende erzählt hatte, winkte er ab. „Ach, … das ist mir alles zu kompliziert“, sagte er. „Weißt du, wie ich das mache? Ich lehne mich einfach zurück ins Kissen und denke an nichts.“

 

Innere Balance

Ich möchte hier noch einmal am Wortstamm „Medi“, an der Mitte, anknüpfen. Ausgehend davon, dass es unterschiedliche Wege gibt, wie und wodurch der Zustand der Mitte berührt werden kann, bleibt die Frage, wo wir denn sonst sind, wenn nicht mittig, ausgewogen und zentriert.

Genau hier muss ich den Finger in die Wunde halten: Wenn chronischer Schmerz seit langem im Körper sitzt und Intervention wenig Effekt zeigt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Betroffene seine innere Balance eingebüßt hat und keine Vorstellung vom Rückweg existiert. Natürliche Regulationsmechanismen, die in unserer Innenwelt Tausende von Prozessen miteinander koordinieren, haben ihr fließendes Zusammenspiel verloren. Vorgänge natürlicher Selbstregulation sind außer Kraft gesetzt, die körpereigene Homöostase, welche ein ausgewogenes System im Organismus beschreibt, greift nicht mehr.

Anstelle dessen lebt der Schmerzbetroffene in konstanter Schieflage, in einem Ausnahmezustand auf Dauer, im inneren Extrem.

Verantwortlich dafür zeichnet das zentrale Nervensystem, das alle im Körper ablaufenden Vorgänge überwacht, bündelt und nach Bedarf auspendelt, je nachdem, was uns im Leben geschieht. Im Fall von Schmerz arbeitet es in Dysbalance und aus dieser kommt es nicht ohne Weiteres heraus.

Dysbalance hat viele Namen

Viele Faktoren, durch die sich Dysfunktion bemerkbar macht, sind Ihnen sicherlich bekannt, vor allem, wenn Ihr Schmerz seit langem besteht.

Betrachten wir einmal das autonome Nervensystem als jenen Teil nervaler Steuerung, der mit seinen sympathischen und parasympathischen Nervenanteilen das Pendel zwischen Aktion und Ruhe schwingt. Ist dieses innere „Pendel“ intakt, haben wir nach einer Anstrengung das Bedürfnis, zu ruhen, und dann ruhen wir aus. Genauso ist es umgekehrt, wenn sich nach ausgiebiger Erholung ein Verlangen nach Aktion einstellt und wir dann aktiv werden. Ist dieses System aus der Balance geworfen, überwiegt einer der beiden Anteile konstant und beide pegeln sich nicht wieder auf den Urzustand ein.

Das kann dann so aussehen: In Dysbalance Lebende kommen nicht mehr zur Ruhe, selbst wenn sie sich danach sehnen und ihr Körper hundemüde ist. In der Nacht sind sie hellwach, anstatt zu schlafen, und am Tag, wenn sie aktiv sein wollen, fühlen sie sich antriebslos und matt. Auf Dauer wird dieser Zustand zur Last. Chronisches Gestresstsein, Nervosität, Dauerdruck, innere Hast melden sich und Erschöpfung, die schnell im „Burnout“ münden kann. Betroffene sagen auch: „Meine Batterien sind leer“ oder kürzer: „Ich bin k.o.“ Wenn dieselben „Batterien“ aber aufgeladen werden könnten, im Urlaub, am Wochenende oder einem freien Tag, gelingt es nicht. Es ist, als wäre der Zugang zu dem alles ausgleichenden „Pendel“ komplett versperrt.

Genauso verhält es sich im Schmerzzustand. Schmerz bedeutet funktionelle Schieflage per se, die mit der Abkopplung von internen Selbstregulationssystemen verbunden ist und die übergeordnete Funktionsweise als Mensch verzerrt. Neuronen geben dem Übertragen von Schmerzsignalen den Vorrang, anstatt anderen sensorischen Reizen gleichrangige Beachtung zu schenken. Das „innere Pendel“ ist beim Übertragen schmerzerzeugender Impulse hängengeblieben, das Nervensystem auf Schmerzmodus getrimmt.

Chronifizierter Schmerz ist vergleichbar mit einer inneren Dysbalance auf Dauer und diese braucht einen sinnvoll gesetzten Impuls. Meditation kann diesen liefern, indem sie die innere Reset-Taste drückt.

Schmerz scheut Gegenwart

Wenn ich mit Klienten über die verlorene Homöostase spreche und über das Wiederherstellen von Mitte und Balance, begrüßen sie dies zumeist mit sprühendem Interesse. Rückkehr zur Balance? Ja! Das hört sich fantastisch an. Sobald ich jedoch erkläre, dass dieser Vorgang der inneren Reorganisation über das Ankommen im jetzigen Moment führt, über gesteigerte Aufmerksamkeit, Bewusstheit und Präsenz, wandelt sich dieselbe Offenheit schnell in Vorsicht, mitunter in Widerstand, Angst und Aversion. Und das aus gutem Grund, denn Menschen mit Schmerzen scheuen nichts mehr als den gegenwärtigen Moment. Sie fürchten den Augenblick, in dem der Körper aufheult und rebelliert, in dem er kämpft, quengelt, hämmert, bohrt und brennt. Deshalb ist es für viele Betroffene naheliegender, sich aus der Gegenwart auszuklinken, um von den aktuellen Problemen abgelenkt zu sein. Dieser Sachverhalt trifft den Nagel insofern auf den Kopf, als er erklärt, warum die Kombination von Meditation und Dauerschmerz ausgesprochen brisant ist.

Die gestörte innere Balance im Schmerzgeschehen geht immer im nahtlos verschweißten Doppelpack mit zeitlicher Flucht einher, mit dem Abdriften heraus aus dem schmerzhaften Moment.

Schmerz konkret

Irina

verzweifelte seit fünfzehn Jahren an Rheumatoidarthritis und hatte mehrmals über Meditation nachgedacht. „Ich würde gern meditieren, aber es macht mir Angst. Es ist hundertmal leichter, wenn ich weniger mit mir selbst beschäftigt bin.“

Karen

„Es ist, als müsste ich die Kontrolle aufgeben … Ich bin ja gerade froh, dass ich alles im Griff habe …“, überlegt sie. Dabei weiß Karen von ihrem inneren Splitt: Obwohl sie stolz darauf ist, ihre Schmerzen unter Kontrolle zu haben, weiß sie dennoch insgeheim, dass dieser Zustand nur ein sehr oberflächlicher ist.

Margot

„Sobald ich ruhig werde, fällt alles, womit ich meinen Schmerz in Schach halte, wie ein Kartenhaus zusammen …“, sagt Margot und verplant bewusst jede freie Minute, die sie hat. Auch Margot weiß, dass ihre zeitweilige Schmerzfreiheit nur auf sehr dünnem Eis steht.

Schmerzgeplagte fürchten das Hier und Jetzt, den jetzigen Moment. Er ist wie der Gang nach Canossa. Warum? Ganz einfach: Er tut weh.

Balance entsteht in der Gegenwart

Es ist also kein einfacher Schritt, einem Schmerzerfahrenen den Kontakt mit der Gegenwart schmackhaft zu machen. Was bringt er in Bezug auf Schmerz, wo der Moment gerade das ist, was am meisten plagt?

Bringen wir es auf den Punkt: Dieser Schritt ist unverzichtbar, weil alles, was zukünftig besser werden soll, ausschließlich in der Gegenwart eingeleitet werden kann. Wenn die Zukunft schmerzfrei sein soll und es im konkreten Schmerzfall Potenzial zu Veränderung gibt, dann liegt die Chance dazu im gegenwärtigen Moment. Nur in diesem ist es möglich, zu fühlen und wahrzunehmen. Und nur aus diesem gegenwärtigen Empfinden heraus sind Abläufe im Körper reflektierbar und offen für Adaption. Im Wahrnehmen des Moments und folglich vieler ungezählter Momente bekommen Schmerzerfahrene die Zügel für die Veränderung ihrer Situation erst wirklich in die Hand. Die Wahrheit ist: Schmerztherapie beginnt im Jetzt.

Ihr 7-Punkte-Katalog

Fassen wir an dieser Stelle zusammen, was Sie in Vorbereitung auf Ihre meditativen Explorationen schon einmal abspeichern können.

1. Meditation beschreibt einen inneren Zustand der Mitte, den Sie erfahren und wahrnehmen können.

2. Meditation holt Sie aus der funktionellen Schieflage heraus und gibt Ihnen Ihre innere Balance zurück.

3. Es ist das Erfahren des „Zustands von Meditation”, durch den eine veränderte Schmerzverarbeitung ausgelöst wird.

4. Die Meditationstechnik, die Sie in diesen Zustand hineinführen kann, muss mit Ihrer körperlichen Konstitution harmonieren.

5. Beim Meditieren müssen Sie nicht sitzen. Es gibt viele Optionen, innerlich zentriert zu sein.

6. Meditation ist ein inneres Experiment, das eigenverantwortlich in Ihren Händen liegt.

7. Schmerztherapie startet in der Gegenwart. Genau: im Hier und Jetzt.

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