Retourkutsche

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

*

Zwanzig Meilen außerhalb Juárez lag auf einem flachen, mit Bäumen und viel Buschwerk überwucherten Hügel eine weiße und hellstrahlende, riesige Hazienda. Die üppige Vegetation war im Grunde genommen ein Wunder, hier im trockenen Norden von Mexiko, doch nicht, wenn ein reicher Drogenboss für genügend Bewässerung sorgte. Vicente Carrillo Fuentes hatte sich hierhin zurückgezogen, bezahlte brav jeden Monat seine Bestechungsgelder an den Polizeichef und die Armeeführung in der Region und lebte mit seiner Familie seit mehreren Jahren völlig unbehelligt vor der Justiz. An diesem Sonntagnachmittag lag er mit seiner dritten Ehefrau Denise aus Detroit unter ein paar schattigen Bäumen am Pool. Ein Diener servierte ihnen zwei Frozen Margaritas. Die Kinder plantschten mit ein paar Freunden ausgelassen im großen Becken.

»Du hast Sorgen, Vicente«, stellte seine Gattin fest, nachdem sie durch den Strohhalm ein Schlückchen des Getränks gesogen und geschluckt hatte.

Carrillo blickte weiterhin grimmig geradeaus und auf das glitzernde Wasser des Pools, schien erst gar nicht antworten zu wollen.

»Es ist nichts. Das Übliche«, beschwichtigte er dann kurz angebunden.

»Teil deinen Kummer mit mir«, verlangte seine Ehefrau. Denise wusste selbstverständlich von den Drogengeschäften ihres Mannes, hatte sie schon bei ihrem Kennenlernen vermutet. Für einen Geschäftsmann, der sein Geld ehrlich und manchmal auch mühsam verdiente, gab er viel zu viel und viel zu locker aus. Denn Vicente lebte damals so, als wenn jeder Tag sein letzter wäre. Das konnte bei einem Drogenboss der Fall sein. Erst einige Jahre nach ihrer Hochzeit, der Geburt der Zwillinge und ihrer Tochter Felicitas wurde ihr Ehemann ruhiger, legte seine stets ein wenig gehetzt wirkende Art ab. Doch an diesem Nachmittag schien er wieder einmal mehr innerlich aufgewühlt und angespannt. Ein bestimmtes Problem schien seine Gedanken zu fesseln.

Endlich drehte Vicente seinen Kopf zu seiner Frau herum und begann, ihr von seinen Sorgen zu erzählen.

»Das Sinaloa-Kartell hat schon wieder einen meiner Transporte auffliegen lassen. Dabei sah alles so perfekt aus. Wir hatten das Flugzeug in Chihuahua bereits beladen und waren startklar für den Direktflug nach Amarillo. Auch dort war alles längst vorbereitet und der Weitertransport organisiert. Doch kurz vor dem Start tauchte auf einmal die Drogenfahndung auf und beschlagnahmte alles.«

»Und wie viel hast du dabei verloren?«

»Ach«, winkte der Boss des Juárez-Kartells unwirsch ab, »im Prinzip nur den Jet, den wir für knapp zwei Millionen gekauft hatten. Die Ware gehörte mir gar nicht. Was aber wirklich schwer wiegt, das ist die steigende Unzuverlässigkeit meiner Transportwege. Weißt du, Liebes, wir führen pro Jahr für etwa fünf Milliarden Dollar Kokain aus Kolumbien in die USA ein. Gegen eine Milliarde betragen unsere Frachtgebühren. Die zwei Millionen für das Flugzeug fallen also nicht ins Gewicht. Doch meine Geschäftsfreunde in Kolumbien und den USA werden langsam nervös. Viel braucht es nicht mehr und sie wechseln zu Guzman über.«

»Was willst du dagegen unternehmen?«

Carrillo starrte wieder auf die Wasserfläche mit ihren Reflexionen. Bisher hatte er seinen Drink noch nicht angerührt.

»Ich vermute, irgendeiner aus meiner Organisation redet, hat die Seite gewechselt. Es kann gar nicht anders sein.«

»Und wen hast du in Verdacht?«

»Jeden und keinen. Für meine engsten Vertrauten lege ich meine Hand ins Feuer. Doch bei einem dieser Kerle würde ich sie mir wahrscheinlich verbrennen. Bloß bei welchem?«

Ein anderer Diener kam um den Pool herum zum Ehepaar, trug auf einem Tablett ein Handy herbei.

»Ein Anruf, Señor, aus der Stadt.«

Vicente griff nach dem Telefon.

»Ja?«

Seine Stimme hatte jede Unsicherheit verloren. Hart, klar und fordernd drang sie an das Ohr seines Gesprächspartners.

»Es gab einen Überfall. Auf unsere Zentrale in Juárez. Vor zwei Stunden«, tönte es aus dem kleinen Lautsprecher. Carrillos Gesicht nahm eine fahle Farbe an.

»Ein Überfall? Von wem?«, schnarrte er ungeduldig ins Mikrofon.

»Es waren zwei Mexikaner. Sie haben anschließend Feuer gelegt. Das Gebäude ist vollständig ausgebrannt.«

»Wie viele Tote?«

»Keine Toten. Unsere Wächter wurden bloß ausgeschaltet. Dann durchsuchten die beiden Männer die Büros, nahmen wohl auch einige der Akten mit, legten Feuer und brachten unsere Leute ins Freie, bevor sie so rasch verschwanden, wie sie aufgetaucht waren.«

Vicente Carrillo war einen Moment lang still, dachte angestrengt nach.

»Habt ihr die Kerle gefilmt?«

»Ja, natürlich. Die Kameras in der Lerdo funktionierten einwandfrei.«

Die Mine des Kartellbosses hellte sich etwas auf.

»Okay. Treffen wir uns bei Alvarez. In einer Stunde. Ruf die Jungs zusammen.«

Als er die Leitung unterbrochen hatte, blickte ihn seine Frau Denise aufmerksam an.

»Ein Überfall? Wo? Gab es Tote?«

Carrillo schien immer noch nachzudenken, antwortete seiner Gattin geistesabwesend: »Nein, keine Toten. Das ist das Seltsame. Irgendjemand hat meine Zentrale in der Stadt überfallen, die Wachen ausgeschaltet und Feuer gelegt. Doch sie ließen alle meine Leute am Leben. Ich begreife das nicht. Das ergibt doch keinen Sinn?«

Denise kümmerte sich in der Regel kaum um die Geschäfte ihres Gatten. Dass er wegen des anhaltenden Kriegs zwischen den rivalisierenden Drogenkartellen immer öfters gereizt und manchmal auch verbitterte war, kannte sie schon. Doch ratlos hatte sie ihn noch nie zuvor erlebt.

»Vielleicht ein Außenseiter? Ein Neuer? Der noch gewisse Skrupel kennt?«, versuchte sie die Gedanken ihres Ehemannes in eine bestimmte Richtung zu lenken.

»Nonsens. Niemand in unserem Geschäft kann sich den Luxus von Skrupeln leisten. Das ganze sieht mir auf den ersten Blick eher nach einer Polizeiaktion aus. Doch die mexikanische hat dafür gar nicht die richtigen Leute. Die würden auch gleich mit fünfzig oder gar hundert Mann anrücken, das gesamte Gebiet absperren, Unbeteiligte evakuieren und erst danach stürmen. Doch diesmal sollen es bloß zwei Mann gewesen sein, die meine Leute ausschalteten.«

»Stecken vielleicht die Amerikaner dahinter?«

»Die hätten zwar die richtigen Männer für so was, doch warum sollten sie sich ihre Geschäfte mit uns verderben? Immerhin bezahlen wir sie fürstlich für ihre Dienste.«

»Vielleicht ein Konkurrent deiner amerikanischen Freunde?«

Carrillo dachte einen Moment lang in diese Richtung nach.

»CIA, NSA und Heimatschutzministerium fressen uns aus der Hand. Wenn überhaupt, dann käme nur die ATF in Frage.«

»Die ATF?«

»Alcohol, Tobacco and Firearms, die letzte US-Behörde, die uns ernsthaft bekämpft. Doch dieser Überfall trägt kaum ihre Handschrift. Sie dürften auch kaum über Spezialeinheiten verfügen, die im Ausland operieren.«

»Und was ist mit der DEA?«

»Gemäß meinen Freunden bei der CIA operiert die DEA derzeit überhaupt nicht hier in Mexiko.«

»Vielleicht war es doch das Sinaloa-Kartell von Guzman?«

»Nein, mein Schatz, dann hätte keiner meiner Leute überlebt. Aber wir haben die Kerle wenigstens auf Video aufgezeichnet. Vielleicht bringt uns die Auswertung der Aufnahmen mehr Klarheit. Ich fahr rüber zu Gonzales.«

Damit erhob sich Carrillo von seiner Liege, winkte den Kindern im Pool freundlich lächelnd zu und verschwand im Haus. Denise Carrillo widmete sich wieder ihrer Cosmopolitan.

*

Acht Männer hatten sich im Hinterzimmer von Gonzales Alvarez versammelt. Alvarez betrieb einen Schlachthof mit angeschlossener Großmetzgerei, war Mitglied im Stadtparlament von Juárez und seit vielen Jahren ein enger Freund von Carrillo. Das Juárez-Kartell durfte seine Räumlichkeiten als Ausweichquartier benutzen, auch wenn Alvarez sonst nichts mit dem Drogenhandel zu tun hatte und davon auch in keiner Weise profitierte. Doch Carrillo und er waren als Nachbarkinder vor mehr als dreißig Jahren gute Freunde geworden, hatten auch gemeinsam die Schulbank gedrückt und große Pläne für ihre Zukunft geschmiedet.

»Also, was habt ihr bislang herausgefunden?«, leitete Carrillo die Zusammenkunft seiner Führungskräfte ein.

»Leider nicht viel mehr, Vicente«, meinte sein derzeitiger Stellvertreter, Armando Vasquez, »ich hab mir die Video-Aufnahmen zwar schon mehrere Male angeschaut, aber darin nichts wirklich Greifbares gefunden, das uns weiterbrächte.«

»Und was hast du mit unseren Versagern gemacht, die sich so dämlich überrumpeln ließen?«

»Ihre Leichen liegen längst in der Wüste. Man wird sie wohl morgen oder übermorgen finden. Wir haben ihnen auch die Köpfe abgeschlagen und diese an einem ganz anderen Ort vergraben, damit es nach Morden des Zetas-Kartells aussieht.«

Carrillo nickte zufrieden.

»Also gut. Dann lasst mich auch mal die Aufnahmen sehen.«

Vasquez schaltete das Deckenlicht im bereits abgedunkelten Raum aus und startete den Beamer. An der Wand erschienen Bilder der schmalen Gasse zu ihrem ehemaligen Hauptquartier, darauf zwei betrunkene Mexikaner, die sich der Türe zum Hauptquartier des Juárez-Kartells schwankend näherten. Sie blieben stehen, dann zog einer seine Hose runter und pinkelte an die Mauer. Die Tür ging auf und zwei Wächter stürzten heraus, wurden durch den anderen Mexikaner mit Elektroschockern gestoppt, während der Pinkler bereits durch den Eingang ins Innere des Gebäudes stürzte. Wenig später kam dieser Mann wieder heraus und gemeinsam zogen die beiden Mexikaner die immer noch paralysierten Wachen ins Haus hinein und schlossen dann die Tür hinter sich.

 

Vasquez spulte den Film vor, die Uhrzeit in der Ecke rechts oben lief rasch weiter und knapp vier Minuten später öffnete sich die Türe wieder und die drei Wächter wurden in die Gasse getrieben. Sie mussten sich hinsetzen, danach machten sich die beiden Mexikaner davon.

»Das ist alles«, vermeldete Armando Vasquez.

»Die beiden Männer trugen Stoffbeutel auf sich, als sie rauskamen. Was haben sie mir gestohlen?«

»Wir sind noch dabei, es herauszufinden. Doch das Gebäude ist völlig ausgebrannt. Teilweise sind sogar die Decken eingestürzt. Den Tresor haben wir allerdings bereits gefunden und auch in Sicherheit gebracht. Er wurde nicht aufgebrochen, was auch kein Wunder ist, da die Eindringlinge ja bloß ein paar Minuten Zeit hatten. Welche Papiere gestohlen wurden, das versuchen wir mit Hilfe unserer Buchhalter derzeit herauszufinden. Auf den ersten Blick dürfte ihnen bloß unwichtiges Zeug in die Hände gefallen sein.«

»Und nach was sieht dieser Überfall in euren Augen aus?«

Carrillo blickte seine engsten Vertrauten der Reihe nach in die Gesichter. Doch die zuckten bloß mit ihren Schultern oder grinsten verlegen.

»Wir haben keine Ahnung. Gegen ein anderes Kartell spricht, dass unsere Leute am Leben geblieben sind. Und von einer verdeckten Polizei- oder gar Armeeaktion hätten wir bestimmt schon im Vorfeld erfahren.«

»Lasst mich die Aufnahme noch einmal sehen.«

Vasquez spulte das Band zurück und ließ es wieder anlaufen.

Als die beiden Wächter nach draußen stürmten, rief Carrillo plötzlich »Stopp!«.

Das Bild blieb stehen, zeigte die Szene kurz vor dem Angriff mit den Schockpistolen.

»Etwas zurückspulen ... noch etwas ... halt!«, kommandierte Carrillo, dann deutete er auf den pinkelnden Mann auf der rechten Seite des Bildes, »seht doch! Er ist ein Gringo!«

Seine Männer starrten auf das Bild, konnten ihrem Boss jedoch nicht sogleich folgen.

»Schaut euch doch nur seinen Schwanz an, ihr Idioten! Der ist doch viel zu hell für einen Mexikaner!«

*

Jules hatte den Flug nach Las Vegas genommen, wollte sich mit Toni Scapia persönlich treffen und die nächsten Schritte besprechen. Manuel Gonzales hatte sich anerboten, in Juárez einen Trupp aus zuverlässigen Männern auf die Beine zu stellen, die den spärlichen Hinweisen aus den gestohlenen Akten nachgehen konnten. Er würde dabei auf Leute aus Mexiko City zurückgreifen, denn hier an der Grenze zu den USA war die Gefahr einer Unterwanderung durch Spitzel der örtlichen Drogenmafia viel zu groß.

Henry seinerseits wollte mit den vier Festplatten zuerst einmal nach London zurückkehren, um sie dort auswerten zu lassen. Danach plante er weiter nach Bogota in Kolumbien zu reisen, wo er einen vor vielen Jahren ausgewanderten Briten treffen wollte. Jason Meltings war als Journalist für die London Times tätig und würde ihn auf den neuesten Stand in Sachen Drogenanbau und Schmuggel bringen und ihm bestimmt auch sagen können, wie groß der Anteil der Rebellenorganisation FARC an diesem Geschäft war. Vielleicht konnte er ihm sogar Hinweise über Verbindungen zu US-Behörden geben.

Toni und Jules trafen sich nicht in der Stadt, sondern am Hoover Staudamm, an der Grenze zu Arizona. Dutzende von Touristen schwirrten um sie herum, knipsten Fotos und staunten über das mächtige Bauwerk. Die beiden Männer standen etwas abseits vom Trubel, stützten ihre Unterarme auf das Geländer der Staumauer und betrachteten das Wasser tief unter sich. An den Felsrändern war ein breiter, heller Streifen zu sehen. Er zeigte auf, wie tief der Pegel des Stausees derzeit lag. Viel zu viel Wasser wurde dem einst so wilden Colorado viele hundert Meilen weiter stromauf zur Bewässerung von Plantagen entrissen. Der einst mächtige Fluss war längst gezähmt, versickerte zur Schande der USA sogar im Erdreich von Kalifornien, noch bevor er den Pazifik erreichen konnte. Was für ein überaus trauriges Ende für den Erschaffer des Naturwunders Grand Canyon.

»Wie kommst du voran? Wo stehen wir?«

Jules Frage enthielt keinerlei Tadel, eher Aufmunterung.

»Leider nur schleppend. Der erste der drei ursprünglichen Zielpersonen könnte sich vielleicht für eine Erpressung eignen.«

Jules Lederer verzog sein Gesicht, als wenn er Magenschmerzen verspüren würde.

»Ganz schlecht«, war sein Kommentar zum halbherzig vorgetragenen Vorschlag von Toni Scapia.

»Der zweite Kerl hat leider vor drei Tagen Selbstmord begangen.«

»Dann fällt der wohl auch aus?«

Der Schweizer versuchte, seiner Stimme einen belustigten Klang zu verleihen, was ihm nicht wirklich gelang.

»Den dritten lasse ich nun Rund-um-die-Uhr von einer Detektei verfolgen. Er fliegt nämlich oft nach Los Angeles und San Francisco und ich frage mich wozu? Wenn sie in diesem Anwaltsbüro vor allem von Briefkastenfirmen leben, dann sind Flüge zu Kunden doch überflüssig?«

»Ja, das ist ein möglicher Ansatzpunkt, Toni. Bleib auf jeden Fall an ihm dran. Doch wie steht es mit deinen Ermittlungen in Delaware? Hast du dort schon etwas unternehmen können?«

Toni Scapia schnaufte hörbar.

»Die Adresse dort erbrachte bislang recht wenig. Sie gehört einer sehr großen Kanzlei, die mit Sicherheit zehntausende von Scheinfirmen für ihre Kunden repräsentiert. Dieses Büro zu unterwandern ist in meinen Augen wenig sinnvoll. Es käme einer weiteren Suche nach der Nadel im Heuhaufen gleich.«

»Und was schlägst du stattdessen vor?«

Der Tonfall von Jules Frage verriet, dass er mit einer besseren Strategie seines amerikanischen Freundes rechnete.

»Es gibt eine angesehene, mittelgroße Anwaltskanzlei in Wilmington. Sun, Heuscher & Bush heißt sie und besitzt einige Niederlassungen und Zweigstellen. Sie vertreten immer wieder US-Behörden vor Gericht. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie auch für die Gründung von Scheinfirmen hinzugezogen wird.«

»Das ist durchaus möglich. Doch wie willst du das in Erfahrung bringen?«

»Du weißt, ich habe Verbindungen zu einigen eher zwielichtigen Leuten. Einer davon ist ein gewisser Michael Langtry. Er war der Chef-Buchhalter von Enrico Monti. Enrico sitzt wegen mehrfachem Anlagebetrug seit fünf Jahren hinter Gittern und wird dort noch eine lange Zeit schmoren. Dieser Michael Langtry hat sich von mir anheuern lassen. Ihn will ich entweder bei Sun, Heuscher & Bush in Wilmington einschleusen oder noch besser direkt bei einer ihrer kleineren Agenturen. Er kann dort für uns den Maulwurf spielen.«

Jules dachte einen kurzen Moment lang nach.

»Wenn er genügend verlässlich ist und dichthalten kann?«

»Ich hab ihm erzählt, um was es uns geht, ohne allzu sehr ins Detail zu gehen. Er kennt das Risiko. Für eine Million Dollar ist er bereit, uns zu helfen.«

»Gut. Deine Entscheidung. Doch wie willst du ihn einschleusen?«

»Oh, dazu müssen wohl erst ein paar Stellen bei denen frei werden.«

»Du denkst dabei doch hoffentlich nicht an Verletzte oder gar Tote?«

»Nein, nein. Ich denke dabei an ein paar freie Stellen in meinen Büros in Miami und New York, die ich unbedingt durch Angestellte von Sun, Heuscher & Bush besetzen will. Die Angebote an die Damen und Herren werden so fabelhaft ausfallen, dass sie ihnen kaum widerstehen werden.«

*

Vicente Carrillo Fuentes hatte vorsorglich seine Los Aztecas ausgeschickt. Sie sollten einige Mitglieder anderer Banden aufspüren und töten, nur um sicher zu gehen, dass eine dem Überfall angemessene Rache verübt wurde, falls doch ein anderes Kartell hinter dem Angriff auf sein Hauptquartier stecken sollte.

Noch in derselben Nacht überfielen drei bekiffte Jugendliche ein Kino und ballerten mit ihren AK-47 wild um sich, schoben ein Magazin nach dem anderen ein, leerten sie auf die in Panik flüchtenden Zuschauer. Die Polizei zählte später acht Tote, dreiundvierzig zum Teil schwer Verletzte und über fünfhundert Einschusslöcher. Am nächsten Tag wurde das Basketball-Turnier einer öffentlichen Schule beschossen. Zwei Jugendliche von fünfzehn Jahren starben, sechs weitere wurden verletzt. An der Kreuzung Morelia und Balcón de la Nube fand die Polizei einen Morgen später vier Männer in einem völlig zerschossenen Mercedes Cabriolet. Sie wurden als Mitglieder der Mexides identifiziert.

Der Krieg der Kartelle schien in eine neue, noch brutalere Phase getreten zu sein und etliche Polizisten quittierten noch am selben Tag ihren Dienst. Bürgermeister José Reyes Ferriz rief den Gouverneur der Provinz an und bat um die Entsendung weiterer Einheiten der Armee. Sein Hilferuf wurde umgehend an den Präsidenten Mexikos weitergeleitet.

Vicente Carrillo Fuentes ließ an diesem Morgen den Vertrauensmann der CIA zu sich rufen. Jeffrey Immels, ein stets glatt rasierter Blondschopf mit markanten Gesichtszügen und maßgeschneiderten Anzügen schien sehr aufgebracht, als er vor den Boss des Juárez Kartells trat.

»Sind Sie wahnsinnig geworden, Vicente? Sie können doch nicht die Hölle entfachen und haufenweise Unschuldige umbringen, nur weil irgendjemand Ihr Hauptquartier abgefackelt hat.«

Carrillo hob beschwichtigend seine Arme, zeigte seinem Besucher die offenen Handflächen.

»Das sind bloß ein paar kleine Denkzettel, Jeffrey, die längst schon fällig waren. Kein Grund zur Beunruhigung. Die anderen Kartelle werden meine Wut verstehen und ihre eigenen Jungs zurückhalten.«

»Und warum haben Sie mich zu sich gerufen?«

»Es gibt da ein Problem. Ich suche nämlich zwei Gringos, die hinter dem Überfall auf mein Hauptquartier stecken. Ich denke, sie sind von auswärts eingeflogen worden. Ich möchte von Ihnen darum die Passagierlisten sämtlicher angekommenen und abgeflogenen Maschinen in El Paso seit dem achten Februar. Bis wann können Sie sie mir liefern?«

Jeffrey Immels biss sich auf die Unterlippe. Er wusste, dass sein Gegenüber keinen Spaß verstand, wenn er eine solche Forderung stellte. Trotzdem versuchte er einen Einwand.

»Vicente, ich verstehe ja Ihren Zorn. Doch die Passagierlisten sind geheim. Die kann ich Ihnen nicht kopieren.«

»Unsinn. Die CIA hat bestimmt Zugriff auf die Daten.«

Immels nickte.

»Das stimmt schon. Doch auf den Listen finden sich auch viele unserer eigenen Männer und die CIA hat etwas dagegen, wenn Außenstehende von möglichen Operationen der Agency Wind bekommen.«

»Sagen Sie mir nicht, die CIA wäre für den Überfall auf mich verantwortlich.«

Die Stimme Carrillo hatte einen gefährlichen Unterton angenommen und Jeffrey Immels zuckte unwillkürlich zusammen.

»Nein, selbstverständlich nicht. Davon hätte ich längst erfahren.«

»Dann gibt es auch keinen Grund, mir die Namen zu verweigern. Ihr könnt eure Leute vorher von den Listen streichen.«

Immels nickte diesmal zögerlich.

»Okay. Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann.«

»Danke, Jeffrey, das wäre auch schon alles«, meinte Carrillo nun wieder freundlich lächelnd, ließ sogar seine blendend weißen Zähne blitzen. Doch Immels kam es vor, als blickte er auf das fletschende Gebiss eines gereizten Pumas.