Im Eissturm der Amsel

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Wambli-luta
Dorf der Tituwan am Heart-Fluss

Als Wambli-luta, der Rote-Adler, nach zwei Tagen wieder das Winterdorf erreichte, war er froh, im warmen Tipi seiner Eltern verschwinden zu können. Ihr Einzug, angekündigt von einem Späher, war eindrucksvoll gewesen. Sie hatten sich geschmückt und mit ihren Farben bemalt und waren in einer Parade durch das Dorf geritten. Sie hatten keine Toten zu beklagen, sodass der Raubzug ein voller Erfolg gewesen war.

Ihr Dorf lag in diesem Winter weiter im Norden als üblich. Sie hatten einen klaren Fluss gefunden, den sie Canté Wakpa, Herz-Fluss, nannten, an dessen Lauf in der sonst eher öden Gegend viele Bäume und Büsche wuchsen. Im Sommer hatten sie auf der Ebene zusammen mit den Gruppen der Sihasapa und Itazipco Bisons gejagt, doch für die Wintermonate war es leichter, in kleineren Gruppen geeignete Lagerstellen zu suchen, damit die Gegend nicht überjagt wurde oder das Holz ausging. Ihre Gruppe nannte sich die „Tinazipe Sica“, die Schlechten Bögen, eine Untergruppe der Hunkpapa, und ihr Häuptling war Mato-ska-cikala, Kleiner-Weißer Bär. Wambli-luta gehörte zu seinem Tiyospaye, denn Mato-ska-cikala war als jüngster Bruder der Großmutter sein Großonkel. Tatsächlich nannte er ihn aber „Lekshi“ – Onkel.

Wambli-luta hängte den Bogen und den Schild an eine Tipistange, zog die Mokassins von den Füßen und ließ sich von seiner Mutter eine Schale Essen geben. Seufzend hockte er sich auf sein Backrest, eine Lehne aus Weidenzweigen, und streckte die nackten Füße in Richtung des Feuers, das in der Mitte des Zeltes brannte. Noch hatte er das mit Fransen besetzte Lederhemd an, das ihn gegen die Kälte schützte. Im Haar trug er noch die Federn, die ihn als Krieger und Späher auszeichneten. Kurz strich er sich fahrig einige Strähnen aus dem Gesicht, die sich aus seinen Zöpfen gelöst hatten. Er wirkte müde, und seine Gesichtszüge zeigten die Anstrengung der letzten Tage. Seine Lippen waren schmal und seine Augen leicht zusammengekniffen. Er seufzte tief, als er seine langen Beine ausstreckte und sich langsam entspannte. An ihm war kein Gramm Fett zu viel. Er war jung, und sein Körper zeigte die Spannkraft eines Menschen, der zu Fuß oder zu Pferd weite Strecken zurücklegte. Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck, als er seiner Schwester einen liebevollen Blick zuwarf. Die Augen zeigten ein lustiges Blitzen, und kleine Grübchen um die Augen verschönerten sein ernstes Gesicht. Er grinste seine Schwester an, die auf ihrem Lager saß und an etwas stickte, und futterte hungrig das Essen. Er wurde wieder ernst, als sein Vater sich ihm gegenüber setzte und höflich wartete, bis sein Sohn seinen Hunger gestillt hatte, ehe er ihn mit einer Handbewegung einlud, über seinen Raubzug zu sprechen. „Habt ihr viel Beute gemacht?“

Wambli-luta nickte erfreut. „Wir fanden ein Dorf der Miwatani und raubten ihnen ein paar Pferde.“ Er lachte vor Begeisterung. „Wir erschreckten ein paar Mädchen, während einige andere sich die Pferde holten. Es war ein guter Coup!“

„Und niemand wurde verletzt?“, erkundigte sich der Vater.

„Niemand!“, betonte der junge Mann. „Die Miwatani schwärmten aus ihrem Dorf heraus, um den Mädchen zu helfen, aber folgten uns nicht. Wir haben ein paar Pfeile verschossen und sie auch. Einige hatten sogar Gewehre, aber sie kamen nicht dazu, auf uns zu schießen; so schnell waren wir wieder weg.“

„Und die Mädchen?“, erkundigte sich die Mutter aus dem Hintergrund.

Wambli-luta machte eine verächtliche Handbewegung. „Ich habe nur ihre langen, dürren Beine gesehen, als sie weggerannt sind.“

Die Schwester kicherte hinter ihrer vorgehaltenen Hand, während die Mutter den Kopf schüttelte. „Dürre Beine! Die konntest du doch gar nicht sehen.“

„Doch! Ganz genau! Sie hatten die Kleider hochgezogen, um schneller zu rennen. Und ihre Roben haben sie auch fallen lassen. Ich hätte ganz einfach eins von ihnen rauben können.“

„Und warum hast du es nicht? Solange du bei Mädchen nur dürre Beine siehst, wirst du nie eine Ehefrau finden.“ Deutlich war der Vorwurf zu hören.

„Hohch. Ein Mädchen hätte ich fast erwischt. Sie versteckte sich unter einem seltsamen Gerüst. Es sah aus wie ein Gestell, das wir für unsere Toten bauen, aber es stand inmitten ihrer Felder.“

„Dort vertreiben sie die Vögel, wenn die Ernte naht“, erklärte der Vater. Dann blinzelte er belustigt. „Und was hat das Mädchen dort gemacht?“

„Nichts!“ Der junge Mann verschwieg, dass die Frau mutig genug gewesen war, um ihn anzugreifen und vom Pferd zu ziehen. Das war wohl die unrühmlichste Situation in seinem ganzen Leben gewesen! Er hoffte, dass niemand seiner Freunde es gesehen hatte.

„Nichts?“, wunderte sich der Vater.

Wambli-luta nickte. „Nichts. Ihre Leute kamen, und ich ließ sie laufen. Sie war sehr hübsch.“

„Ahhh, also doch nicht nur dürre Beine!“, meinte die Mutter triumphierend.

„Nein!“, gab Wambli-luta offenherzig zu. „Das nächste Mal hole ich sie mir!“ Seine Stimme klang entschlossen.

Die Eltern lachten über diesen Scherz, ahnten aber, dass ihr Sohn vielleicht erneut dorthin gehen würde. So ein hübsches Miwatani-Mädchen spukte ihm offensichtlich im Kopf herum.

„Wo sind die Pferde, die ihr erbeutet habt?“

Mit seinen Lippen, die er mit dem typischen „Entengesicht“ vorschob, deutete Wambli-luta auf den Eingang des Zeltes. „In der Mitte des Dorfes. Wir entscheiden später, wer sie erhält.“ Der junge Mann beugte sich vor und knetete seine Füße durch. Dann schlüpfte er in die warmen Mokassins. Gedankenverloren begann er damit, seine Haare zu entflechten. Es wurde Zeit, sich für den Abend herzurichten. Die Mutter nahm eine Bürste aus dem Schwanz des Stachelschweins und bürstete vorsichtig durch das lange Haar, dann legte sie es in drei Zöpfe. Zwei davon flocht sie seitlich am Kopf und umwickelte sie mit Otterfellstreifen. Den dritten, der über den Scheitel des Mannes gebunden wurde, fiel einfach hinten in den Nacken. Stolz musterte sie ihre Kinder. Wambli-luta zählte um die achtzehn Winter, während seine Schwester höchstens zwölf Winter zählte. Auch sie war hochgewachsen und schlank und ihre schwarzen Augen hatten einen weichen Schein. Ihr Bruder hatte ein markantes Kinn, das er gerne trotzig vorstreckte, und eine leicht gebogene Nase.

Seine Schwester hatte ein weicheres Gesicht, das eindeutig nach der Mutter geriet, nur dass bei dem jungen Mädchen die vielen Runzeln fehlten. Einst musste die Mutter eine wahre Schönheit gewesen sein, aber die vielen Hungerwinter hatten ihre Spuren hinterlassen. Die Mutter hieß Phazu-washté-win, Hübsche-Nase, und die Tochter Anpao-win, Morgendämmerung. Der Vater zählte bereits über fünfzig Winter und wurde Wahukheza-ksaheya, Gebrochene-Lanze, genannt. Er trug eine kleine Narbe unter dem rechten Auge, sodass sein Gesicht immer leicht zusammengekniffen wirkte. Viele Lachfalten deuteten aber auf ein freundliches Wesen hin. Gebrochene-Lanze lachte gern und viel. Die Zeit der Kriegszüge war für ihn vorbei, und so saß er gern mit den anderen Männern bei einem Wettspiel beisammen. Er war von den Häuptlingen als Wakincun gewählt worden, einer von vier Männern, denen die Verwaltung des Dorfes unterlag. Er hatte also eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Fast täglich saß er mit den anderen im Tipi, beriet über anstehende Maßnahmen und ließ die Entscheidungen über einen Herold verkünden.

Wambli-luta erhob sich und verließ das Tipi. Seine Eltern, die Großmutter und die Schwester folgten ihm. Sie hatten schöne Kleidung angelegt, um die siegreiche Rückkehr gebührend zu feiern. Eine gewisse Aufregung machte sich bei allen bemerkbar. In der Mitte des Dorfes hatten sich schon viele Menschen versammelt. Frauen standen in ihre Roben gehüllt in einem weiten Kreis, dazwischen huschten Kinder hin und her. Zwei Akicitas der Canté-tinza-Gesellschaft, die mit der Ordnungsfunktion über das Dorf betraut waren, hielten die Neugierigen zurück und ließen genügend Platz für die folgende Darbietung. Wambli-luta stellte sich zu den anderen Kriegern, die prächtig geschmückt darauf warteten, ihre Heldentaten zu erzählen. Sie hatten niemanden getötet, also verzichteten sie auf die schwarze Bemalung und den Waktegli, den Siegestanz. Stattdessen wurden die erbeuteten Pferde in den Kreis geführt. Thimahel-okile, Den-man-im-Zeltsucht, ein bewährter Krieger und Anführer des Kriegstrupps, machte eine große Geste mit der Hand. „Seht, was wir erbeutet haben! Die Miwatani haben sich in ihren Hütten verkrochen wie Feiglinge. Erst als wir ihre Pferde raubten, kamen sie aus ihren Löchern hervor. Sie schossen auf uns, doch unsere Medizin war stärker! Nun besitzen wir ihre Pferde!“ Stolz saß er auf seinem Pferd, ganz und gar der Anführer und Krieger. Er zählte dreimal zehn und fünf Winter, und sein Körper war sehnig und kraftvoll. Er hatte eine hohe Stirn mit tiefliegenden Augen, und sein Gesicht wurde dominiert von einer Nase, die wie der Schnabel des Adlers gebogen war. Er flößte schon durch sein Aussehen Respekt ein, doch jetzt – im vollem Kriegsschmuck und mit den Federn, die hinten im Haar hingen, wirkte er geradezu respekteinflößend.

Die Frauen antworteten mit einem hohen Trällern auf die kleine Schmährede, während die Männer und Jungen laut jubelten. „Ich habe entschieden, wer diese Pferde erhält!“, fuhr Thimahel-okile mit der natürlichen Autorität des Anführers fort. Er nahm zwei Pferde an ihren Stricken und führte sie zu einem einfach gekleideten Mann. „Diese sind für die Ohunkeshni – für unsere Alten und Schwachen, die nicht mehr für sich selbst sorgen können. Bestimme du, wer sie am nötigsten braucht.“ Zum ersten Mal lächelte er kurz, und sein Antlitz zeigte nun ein ausgeglichenes Gemüt und wahre Zuneigung zu den Menschen, die er beschützte.

 

Ein wohlwollendes Gemurmel folgte dieser Großzügigkeit. Der angesprochene Mann nickte bescheiden und nahm die beiden Pferde in seine Obhut. Er sah sich kurz um und trat dann zu einer Frau mittleren Alters, deren kurz geschnittene Haare darauf hindeuteten, dass sie erst vor kurzem ihren Mann verloren hatte. An ihrer Seite standen ein Junge von vielleicht zwölf Wintern und ein kleineres Mädchen. Ohne Worte drückte er der Frau den Strick in die Hand, die sich mit einem Nicken bedankte und dann mit dem Pferd verschwand. Das andere Pferd gab er einem älteren Krieger, der ein lahmes Bein hatte und mit einem Stock gehen musste. Wieder antwortete ein beifälliges Murmeln, dann wandte sich die Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen zu. Thimahel-okile zerrte ein weiteres Pferd herbei, das nervös tänzelte. Es war eine hübsche, junge Stute.

„Dieses Pferd ähnelt einem mutigen Mädchen, auf das einer unserer Krieger stieß. Sie hätte ihn fast überrumpelt.“

Wambli-luta ahnte, was ihm blühte, und senkte machtlos den Blick. Wahrscheinlich würde das ganze Volk in Zukunft über ihn spotten. Er trug es mit Fassung und zuckte mit einem schiefen Grinsen mit den Schultern.

Thimahel-okile aber empfand Wohlwollen mit dem jungen Mann, denn er wandte sich mit erhobener Stimme an ihn. „Wambli-luta hat Mitleid gezeigt und das Mädchen laufen lassen. Vielleicht wäre es besser gewesen, sie mitzunehmen, denn er würde sie ganz sicher besser beschützen als diese Erdlochbewohner! Also gebe ich ihm diese Stute, damit er in Zukunft ein hübsches Mädchen mitbringen kann!“

Wambli-luta warf dem Redner einen Blick tiefster Dankbarkeit zu. Erhobenen Hauptes, sodass niemand seine Erleichterung bemerkte, schritt er in den Kreis und nahm das Pferd in Empfang. Seine Ohren rauschten immer noch, als er sich an den Rand stellte, dem Pferd beruhigend den Hals klopfte und dann die Zeremonie verfolgte. Alle Krieger wurden erwähnt und ihre Taten mit blumigen Worten gepriesen. Auch Krummes-Bein, ein guter Freund von Wambli-luta und entfernter Cousin, wurde für seine Tapferkeit geehrt. Er zählte etwa so viele Winter wie Wambli-luta, war aber von gedrungenem Körperbau. Er hatte einen leichten Bauchansatz, was für junge Männer eher ungewöhnlich war. Sein Gesicht war rund wie der Vollmond, und er hatte geschwungene fleischige Lippen. Er hatte meist ein ausgeglichenes Wesen und liebte es, seine Freunde zu necken und darüber zu lachen. Seine Augen blitzten meist lustig. Diese Anerkennung freute Wambliluta besonders, denn eine Verletzung hatte dem jungen Mann schwer zu schaffen gemacht. Es war gut, dass Krummes-Bein seine Kraft wiedergefunden hatte! Ein Pferd nach dem anderen wurde verteilt, bis zum Schluss nur noch zwei Pferde übrig blieben, die Thimahel-okile für sich behielt. Das war ausgesprochen großzügig, und die Beliebtheit dieses Kriegers stieg. Als Sohn eines der Häuptlinge würde er wohl in dessen Fußstapfen treten, und alle vermuteten, dass er ebenfalls zum Häuptling ernannt werden würde.

Als es dunkel wurde, verschwanden die Menschen in ihren Zelten, wo bereits ein gutes Essen auf sie wartete. Geschichten wurden erzählt, und Wambli-luta musste mehrmals von seinem Abenteuer berichten. Er schmückte es etwas aus und verschwieg, dass dieses Mädchen ihn vom Pferd gezogen hatte. Aber irgendwo kam die Geschichte auf, dass er vom Pferd gesprungen war und sie mit seinem Beil fast getötet hätte. Anscheinend hatte man ihn doch beobachtet, aber nicht gesehen, dass er nicht ganz freiwillig vom Pferderücken abgestiegen war. Auch gut! Er hütete sich, etwas zu sagen, denn dass er nun als großzügig dastand, war ihm nur recht.

Die Zeit des Winters war hart, und so brach niemand mehr zu einem Raubzug auf. In den Zelten wurden Geschichten erzählt, die Waffen erneuert und neue Kleidung hergestellt. Die Männer, Frauen und Kinder erfreuten sich an Wettspielen, und so mancher Wetteinsatz wechselte den Besitzer. Auch Wambli-luta blieb im Zelt, obwohl er darauf brannte, seinen Mut zu beweisen. Manchmal zog er seine Schneeschuhe über und brach auf, um seinen Eltern ein wenig frisches Fleisch zu bringen. Die Tiere hatten ihr dichtes Winterfell, das gerne für Umhänge, Mützen und einfache Handschuhe verwendet wurde. Kinder bauten sich Schlitten aus Knochen und rutschten die vereisten Hänge am Flussufer hinunter oder balgten sich in Schneeballschlachten.

Wambli-luta war froh, als die ersten warmen Winde den Schnee schmelzen ließen und die Zugvögel in ihrer Formation nach Norden flogen. Gänse, Enten, selbst Kraniche und Kormorane kehrten zurück und bauten ihre Nester. Längst waren die gepunkteten Prärieläufer zu sehen, die in dem weiten Grasland ihre Nester im Gras versteckten, oder Blauhäher, die mit frechem Kreischen auf andere Vögel losgingen. Die Hunkpapa wollten südwärts bis zum Inyan-wakachapi-Wakpa, dem Cannonball-Fluss, ziehen. Ihre Abreise hatte sich verzögert, denn ein später Eissturm hatte sie überrascht. Anschließend mussten erst einige Tipis geflickt und neue Stangen geschlagen werden, weil einige durch den Sturm zu Bruch gegangen waren. Die Jahreszeiten konnten in diesem Land tückisch sein. Bald darauf brachen die Familien auf und zogen nach Süden, um sich mit den anderen Gruppen zu treffen. Das Dorf wurde größer, als immer mehr Gruppen eintrafen und sich die Familien gegenseitig begrüßten. In der Mitte des Dorfes wurde ein Ratstipi aufgeschlagen, und im Umkreis standen die Tipis der Kriegergesellschaften. Überall wimmelte es von Menschen und dazwischen kläfften die Hunde, bis sie sich schließlich zu einer großen Meute vereinten. Interessiert beobachtete Wambli-luta, wie auch die Tokala-Gesellschaft in der Dorfmitte ihr Zelt aufschlug und eine Gruppe ihrer Mitglieder von Zelt zu Zelt ging und um Material für die Instandsetzung ihrer Regalia bat. Bei manchen Zelten, in denen ein kleines Kind lebte, das sie mochten, riefen sie ihr Sprüchlein: „Enkelkind, ich möchte etwas ausbessern, aber ich habe die Materialien nicht. Kannst du uns etwas geben?“ Es war selbstverständlich, dass die Eltern das Kind dann mit dem, was sie entbehren konnten, zum Zelt der Tokala schickten. Manchmal waren es gefärbte Stachelschweinborsten, Messingteile zum Verzieren, Sehnen zum Nähen, Felle oder anderes Zierrat. Manche Familien waren aber auch so großzügig, dass sie ein Pferd stifteten. Nur einem Kind war es gestattet, das Zelt der Tokala zu betreten. Für erwachsene Nicht-Angehörige war es tabu.

Die Gruppe der Männer kam auch am Zelt von Gebrochene-Lanze vorbei, und die Mutter suchte einige Dinge heraus, die für die Männer von Wert sein könnten. Sie fand einige Otterfelle, die benutzt wurden, um die Tokala-Lanzen, die Banner der Gesellschaft, einzuwickeln. Sie gab die Geschenke ihrer Tochter, die eifrig zum Zelt der Tokala lief, um sie dort abzugeben. Sie galt als Kind, weil sie ihre Pubertätsriten noch nicht erfahren hatte.

Wambli-luta wusste, dass die Tokala-Gesellschaft die Zeit im Frühjahr nutzte, um die Mitglieder in Versammlungen einzuberufen und auf ihre Aufgaben vorzubereiten. Er war noch von keiner Gesellschaft eingeladen worden, und so versuchte er, tapfere Taten zu vollbringen, um von ihnen endlich wahrgenommen zu werden. Auch der Angriff auf das Miwatani-Dorf war ein solcher Versuch gewesen. Er war immerhin der Erste gewesen, der auf das Dorf zugeprescht war. Es war sein Glück gewesen, dass die Verteidiger so überrascht gewesen waren, dass sie nicht gefeuert hatten. Thimahel-okile hatte seinen Mut lobend erwähnt. Ob das jemanden beeindruckt hatte?

Manchmal saß Wambli-luta an der Außenseite des Tipis, nutzte die Wand als Rückenlehne, schnitzte an einem neuen Pfeil und beobachtete heimlich das Treiben im Dorf. Jungen übten mit ihren Kinderbögen das Zielen auf rollende Reifen aus Weidenzweigen, kleine Mädchen verschwanden an den Händen ihrer Mütter zum Holzsammeln, Krieger übten mit ihren Pferden, Männer und Jungen kehrten mit Fischen vom Fluss zurück oder hatten die ersten Gänse erlegt. Wenn das Wetter es zuließ, verbrachte man die Zeit außerhalb des Tipis. Selbst die Kochstellen wurden nach draußen verlegt. Wambli-luta beobachtete, wie die Mutter zusammen mit der Tochter die Felle ausschüttelte und über einem Busch ausklopfte. Es staubte, und die beiden husteten unter Kichern.

Einige Tage später hielten die Tokala ihre erste Versammlung ab. Zwei Tipis wurden zusammengelegt, sodass ein großes Versammlungstipi entstand, in dem alle Mitglieder Platz fanden. Diese wurden zusammengerufen, und Wambli-luta beobachtete voller Sehnsucht, wie die Männer in ihrer Regalia herbeiströmten. Viele trugen ein Fuchsfell um die Schultern, sodass der Kopf nach vorne und der Schwanz nach hinten fiel. Manche hatten das erste Drittel eines Fuchskiefers mit einem Band aus Otterfell an der Stirn befestigt. Am Hinterkopf trugen die Männer einige Krähenfedern, die nach unten hingen, und zwei aufrecht stehende Adlerfedern. Aus dem Zelt klang die zeremonielle Trommel, und die Lieder der Gesellschaft wurden gesungen. Dann erklang leises Gemurmel, als über wichtige Dinge gesprochen wurde. Nach einer gefühlten Ewigkeit verließen schließlich zwei Peitschenträger das Zelt und sahen sich suchend um. Wambli-luta stockte der Atem, als er sah, wie die beiden auf ihn zukamen. Unsicher erhob er sich von seiner Position und blickte den beiden entgegen. Die beiden Peitschenträger blieben vor ihm stehen und nickten ihm zu. „Die Tokala laden dich ein!“

Wambli-luta schluckte schwer. Endlich! Endlich würde er ein Mitglied dieses Bundes werden. Es gab auch andere Bünde, aber sein Herz schlug nur für diese Kriegergesellschaft. Seit er Knabe war, hatte er sich zuerst in den Jugendgesellschaften hervorgetan, war als Wasserträger mitgeritten und hatte seine ersten Kämpfe bestanden. Er war nicht unbekannt, und nun wurde seine Geduld belohnt.

Die beiden Peitschenträger nahmen ihn in ihre Mitte und führten ihn zum Versammlungszelt. Auch seine Eltern nahmen nun wahr, dass etwas Besonderes geschah, und folgten ihrem Sohn. In der Nähe des Zeltes versammelten sich immer mehr Schaulustige, die darauf warteten, welcher Kandidat nun eingeführt wurde. Frauen trällerten ihre Zustimmung, als sie Wambli-luta erblickten. Dieser hob stolz das Haupt, als er langsam und feierlich zu dem Zelt geleitet wurde. Er würde sich dieser Ehre würdig erweisen. Dann duckte er sich und betrat das Versammlungszelt. Alle Mitglieder der Gesellschaft waren bereits anwesend: die beiden Anführer, unter ihnen Thimahel-okile, zwei Männer, die das Essen verteilten, ein Pfeifenträger, die vier Lanzenträger, ein Herold, vier Männer an der Trommel und dahinter vier Sängerinnen sowie ungefähr zwanzig weitere Mitglieder, unter ihnen Krummes-Bein. Die beiden Peitschenträger blieben hinter ihm stehen, als müssten sie verhindern, dass er aus dem Zelt flüchtete. Im Zelt erhob sich der Pfeifenträger, musterte ihn von oben bis unten und erhob schließlich seine Stimme. „Ich sehe hier einen mutigen jungen Mann, den wir als Tokala aufnehmen wollen. Unsere Ziele und Tugenden, die wir von unseren Mitgliedern fordern, sind hoch gesteckt. Wir weichen niemals zurück und stellen uns zwischen den Feind und unsere Angehörigen. Wir haben erlebt, dass auch du diese Anforderungen erfüllst; deshalb nehmen wir dich als einen der Unseren auf.“

Wambli-luta blieb still. Sein Blut rauschte vor Aufregung, und er fühlte sich, als würde er erneut gegen dieses Dorf reiten. Dann blinzelte er, denn mit der Ehre kam auch die Verantwortung. Man erwartete von ihm, dass er ohne zu zögern sein Leben gab, wenn es die Situation erforderte. Er senkte den Blick und hörte auf die Stimme des Herolds, der laut seine Vorzüge und bisherigen Heldentaten aufzählte. Er hatte sie fast vergessen: Wie er todesmutig sein Dorf verteidigt hatte, als er noch im Knabenalter gewesen war; wie er einige Bisons von den Frauen weggetrieben hatte, die der Herde beim Beerensammeln in die Quere gekommen waren; wie er mit anderen Männern ein Gegenfeuer gelegt hatte, als ein Präriefeuer ausgerechnet auf das Dorf zuraste. Dann erzählte der Herold, wie er todesmutig gegen die Miwatani geritten war und es seinen Kampfgefährten ermöglicht hatte, die Pferde zu stehlen. Wambli-luta staunte, dass der Herold so genau über ihn Bescheid wusste! Dann lauschte er aufmerksam, als der Herold von den tapferen Taten der anderen Männer erzählte. Viele von ihnen waren bereits im Kampf gefallen, ganz so, wie es ihre Bestimmung gewesen war. War es auch seine Bestimmung, sein Leben zu geben? Er war so in Gedanken versunken, dass er nicht bemerkte, wie der Pfeifenträger ihn ansah und auf eine Antwort wartete. „Hast du gehört, was ich gesagt habe?“, wiederholte der Mann.

„Ja!“, antwortete Wambli-luta mit belegter Stimme. „Ich werde all dies befolgen. Ich bin ein Tokala!“

 

„Waho!“, riefen die Mitglieder zufrieden. „He washtélo!“

Der Pfeifenträger trat hervor und flehte um Beistand:

„Tunkashila, hilf mir bei meinem Unterfangen.

Steh mir bei, bei allem, was ich vorhabe!

Habe Mitleid mit mir und sei mir gnädig.

Hilf mir, meine Feinde zu besiegen.“

Einer der Essensverteiler trat hinzu und hob einen Beutel mit gelber Farbe hoch. Sorgsam begann er, das Gesicht von Wambli-luta zu bemalen, während der Pfeifenträger den Anwärter über seine Pflichten aufklärte: „Wir erwarten von dir, dass du in allen Situationen Mut zeigst! Ein Tokala ist stets großzügig und teilt seine Habseligkeiten mit den Armen. Wir stehen immer füreinander ein! Vergiss das nie. Du sollst niemals die Frau eines anderen Mitglieds nehmen, ohne ihn vorher gefragt zu haben. Wir erwarten von dir, dass du gut zu deinen Frauen bist und sie stets gleich behandelst, auch wenn es eine Gefangene von einem anderen Stamm ist. Es ist deine Pflicht, die Witwe eines Tokala vor Unheil zu bewahren und ihr deinen Schutz zu gewähren, bis sie wieder einen Mann gefunden hat, der für sie sorgt. Ebenso solltest du einem Tokala, der keine Frau hat, eine deiner Frauen abgeben, wenn du mehr als eine hast. Du darfst nicht stehlen – es sei denn, von deinen Feinden. Hast du das verstanden?”

Wambli-luta nickte. Es waren Selbstverständlichkeiten, die von ihm gefordert wurden. Einzig die Tatsache, dass er fortan an erster Stelle in den Kampf reiten sollte und als Letzter den Kampfplatz verlassen durfte, war hart. Dafür würden sie Lieder über ihn singen! Das allein war wichtig. Das Leben war kurz, und er wollte es in Ehren verbringen. Voller Stolz sang er zum ersten Mal das Lied, das ihn nun bis an sein Lebensende begleiten würde:

„Ich bin ein Fuchs.

Es ist meine Bestimmung zu sterben.

Wenn es irgendetwas gibt, das schwierig ist,

wenn es irgendetwas gibt, das gefährlich ist,

liegt es an mir, es zu tun.“

Die Trommel setzte ein, und die Männer sangen weitere Lieder, die nur den Tokala vorbehalten waren. Dahinter saßen zwei Männer, die einen fast kahlgeschorenen Kopf hatten, mit ihren Rasseln. Auch diese Männer waren mit gelber Farbe bemalt. Sie hatten sich diesen „Tokala-Haarschnitt“ als Gelübde rasieren lassen, sodass nur am Scheitel ein Büschel Haare stehen blieb. Manche ließen sich die Haare auch auszupfen, sodass die Kopfhaut ganz wund war. Hinter den Männern fielen die vier Frauen mit ihren hohen Stimmen in den Gesang ein. Wambli-luta war so stolz, dass er tief einatmen musste, um die Emotionen zu kontrollieren, die über ihn hereinstürzten. Dann kamen die beiden Peitschenträger und trieben ihn mit Schlägen an, seinen Tanz zu zeigen. Wambli-luta machte es ihnen nicht so leicht, sodass die beiden ziemlich fest zuschlagen mussten, um ihn zum Tanzen zu bringen. Wambli-luta bewegte sich mit kräftigen, wohlgesetzten Schritten, die zeigen sollten, dass er auch im Kampf seine volle Kraft einsetzen würde. Schwer atmend durfte er sich anschließend wieder zu den anderen stellen. Die zwei Männer, die die Ehre hatten, das Essen zu verteilen, brachten den beiden Anführern zwei Löffel der Suppe, die herangeschleppt wurde. Die Tokala hatten nicht selbst gekocht, sondern zwei Mitglieder waren durch das Dorf gegangen und hatten einfach einen kleinen Stock an die Tipis von wohlhabenden Familien gesteckt. „Die Tokala sind hungrig! Bringt uns Essen!“, hatten sie gerufen. Es wurde als Ehre angesehen, für die Kriegergesellschaften kochen zu dürfen. Das Essen wurde verteilt und auch an die Zuschauer, die vor dem Zelt standen, ausgegeben. Gerade ärmere Familien freuten sich, dass sie sich endlich einmal sattessen konnten. Die Familie von Wambli-luta verteilte großzügige Geschenke an die Umstehenden, um die Aufnahme ihres Sohnes in den Kriegerbund zu feiern. Kleider, Mokassins, Felle und Vorräte wurden an Bedürftige verteilt, während ihr Sohn immer noch bei den anderen Mitgliedern stand und mit ihnen die Lieder sang. Seine Stimme stach unter den anderen hervor, als er mit Inbrunst die Lieder sang, die er schon so oft gehört hatte. Nun durfte auch er sie endlich singen! Nun gehörte er dazu. Dankbar musterte er die beiden Anführer, ließ dann seinen Blick über die anderen schweifen: ein Pfeifenbewahrer, der die heilige Pfeife der Tokala hütete; vier Lanzenträger, zwei Peitschenträger, ein Herold, zwei Essensverteiler, vier Trommler und vier Frauen, die als Schwestern gesehen wurden; den Hüter der Trommel und zwei Männer, die den seltsamen Haarschnitt der Tokala trugen, und ungefähr zwanzig weitere Mitglieder, darunter auch drei Knaben von vierzehn Wintern, die als Wasserträger und Pferdehirten fungierten. Das war jetzt seine Gemeinschaft! Hier gehörte er dazu! Die Männer begannen zu tanzen, und die beiden Peitschenträger stießen auch die Letzten an, damit niemand faul auf den Fellen sitzen blieb.

Es war mitten in der Nacht, als ein müder und erschöpfter Mann zu seinen Eltern zurückkehrte. Die Schwester schlief bereits, doch die Eltern saßen am glimmenden Feuer und sahen ihm voller Stolz entgegen. „Mein Sohn“, murmelte der Vater.

„Vater!“, antwortete Wambli-luta und setzte sich vor ihm hin. Er hielt still, als der Vater ihm die Hand auf die Schulter legte.

„Lebe deine Vision!“, mahnte der Vater eindringlich.

Wambli-luta nickte voller Ernst. Vor einigen Wintern hatte sein Vater ihn in die Einsamkeit mitgenommen, damit die Geister ihm eine Vision schicken würden, die ihn vor kommenden Gefahren schützte. Als junger Krieger, der sich bewähren wollte, brauchte er diesen Schutz umso mehr. Damals hatten die Geister ihm einen merkwürdigen Traum geschickt: Ein Fuchs hatte einen Hasen gerissen, doch dann war ein Adler hinabgestiegen und hatte ebenfalls den Hasen gepackt. Der Fuchs wollte nicht aufgeben und biss sich weiter in dem Hasen fest. Dabei wurde er immer höher in die Lüfte gehoben, bis er im Horst des Adlers landete, in dem zwei Junge saßen. Die Adlermutter gab ihnen den Hasen und erblickte dann den Fuchs. „Was machst du hier?“, fragte sie verblüfft.

„Wenn du mein Fressen stiehlst, fresse ich eben deine Jungen!“, antwortete der Fuchs.

Das Adlerweibchen plusterte sich auf und starrte den Fuchs mit zornigen Augen an. „Wie kannst du es wagen! Ich werde auch dich gleich packen!“

Der Fuchs hüpfte schnell davon und versteckte sich in einem Felsenloch. „Und ich warte hier, bist du wieder zur Jagd aufbrichst!“, drohte er.

Der Adler kam näher, aber das Loch war zu klein, und so konnte sie den Fuchs nicht herausziehen. „Du wirst verhungern, wenn du dich hier versteckst!“

Der Fuchs lachte nur. „Nicht so schnell wie deine Jungen, wenn du sie nicht fütterst. Ich halte es hier eine ganze Weile aus.“

Der Adler legte den Kopf schief. „Und was schlägst du nun vor?“

Der Fuchs überlegte eine Weile. „Du fängst mir einen weiteren Hasen und legst ihn mir dort unten an die Felsen. Wenn du ihn gefangen hast, klettere ich hinunter und du hast deinen Frieden.“ „Nein!“, sagte das Weibchen. „In dieser Zeit könntest du meine Brut fressen.“

„Hohch, ich lege mich doch nicht mit einem Adler an!“

Der Adler überlegte eine Weile und stimmte dann zu. „Gut, ich hole dir deinen Hasen.“ Mit tüchtigen Schlägen erhob sich das Weibchen in die Lüfte und machte sich auf die Suche nach Beute.

Schnell kam der Fuchs heraus und fraß das Kaninchen. Dann blickte er auf die Brut. „Eure Mutter sollte besser lernen, dass der Fuchs klüger ist!“