Im Eissturm der Amsel

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Fort Lisa
Am Missouri-Fluss im Frühjahr und Sommer 1809

Am Morgen nach dem verheerenden Eissturm der Amsel im späten Frühjahr näherte sich die nächste Katastrophe: Kriegerisch bemalte Gestalten schlichen sich an die Gestrandeten heran, die in den Booten oder am Ufer des Yellowstone Unterschlupf gesucht hatten, und wenn die Anführer nicht in weiser Voraussicht Wachen aufgestellt hätten, wäre es schlimm um die Expedition bestellt gewesen. Der Warnruf riss auch den letzten Abenteurer aus dem Schlaf, und im Nu hatten die Männer hinter Kisten und Bäumen Deckung gesucht. Keine Sekunde zu früh, denn ein Pfeilhagel prasselte auf die Männer nieder. „Nur schießen, wenn ihr ein Ziel vor Augen habt!“, schrie Vazquez. Nach dem ersten Pfeilhagel hechteten einige Männer auf die Boote und gingen hinter dem Aufbau in Deckung. So wollten sie verhindern, dass die Indianer die Boote enterten. Sie hatten es mit Sicherheit auf die Ladung abgesehen. Wieder schlugen Pfeile in das Holz der Kisten und Boote ein und die Männer duckten sich tiefer. Dann erklang ohrenbetäubendes Kriegsgeschrei. „Was für Indianer sind das?“, fragte Pierre, der ebenfalls auf sein Boot geklettert war.

„Scheißegal!“, knurrte ein Trapper. „Ich habe die Schnauze voll von denen!“

Einige Krieger lösten sich aus der Deckung von Büschen und Bäumen und kamen auf Pierres Boot zugerannt. „Achtung, Leute! Sie kommen!“ Er sah, wie einige Männer ihre Gewehre hochrissen, auf das Dach des Laderaumes legten und die Angreifer ins Visier nahmen. „Wartet, bis sie nahe genug sind“, warnte Pierre die Männer.

„Wie nahe denn?“, zischte ein Voyageur. „Die haben uns ja gleich.“

Pierre wartete, bis die Krieger die Planken erreicht hatten, und gab den Befehl zum Schießen. „Feuer!“ Auch von den anderen Booten stieg der Rauch der Salven auf. Gleichzeitig feuerten die Männer, die an Land geblieben waren. Stöhnen und Schmerzensschreie waren zu hören, als mehrere Indianer sich am Boden wälzten. Offensichtlich hatten sie nicht mit einer derartigen Kampfkraft gerechnet. Krieger, die noch laufen konnten, traten den Rückzug an, doch einige blieben am Ufer liegen oder fielen ins Wasser. Pierre fackelte nicht lange. Mit seiner Pistole kletterte er an Land und gab einem Feind mit einem gezielten Schuss den Rest. „Nachladen!“, befahl er gleichzeitig mit überschnappender Stimme. Mit einem Sprung hechtete er in die Deckung einer Kiste am Ufer – gerade noch rechtzeitig, ehe die nächsten Pfeile neben ihm einschlugen.

Dieses Mal waren die Indianer vorsichtiger. Sie nutzten die Deckung und versuchten es mit Ablenkungsmanövern. Ein Indianer zeigte sich kurz und hechtete dann sofort wieder in Deckung, während einige andere versuchten, den Bug des Bootes zu erreichen. Sie wateten durch das Wasser und schossen auf die Männer, die hinter den Aufbauten saßen. „Sie kommen von der Seite!“, schrie Pierre gerade noch rechtzeitig. Mehrere Schüsse dröhnten über das Wasser, und Pierre sah, wie die Indianer wegtauchten. Mit grimmigem Gesicht beobachtete er, wie zwei Männer von einem anderen Boot die Krieger unter Beschuss nahmen. Ihre Köpfe tauchten aus dem Wasser auf, und die Trapper trafen sie mit wohlgezielten Schüssen. Der Rauch des Schwarzpulvers sammelte sich über den Booten, sodass die Männer mit ihren Gewehren kaum noch zu erkennen waren. Auch am Ufer stieg Qualm auf, sodass Menschen, Ausrüstung und Bäume miteinander verschwammen. Jetzt hieß es aufpassen, wenn man nicht die eigenen Leute erwischen wollte. „Alle Mann auf die Boote!“, erschallte nun der Befehl. Pierre kniff die Lippen zusammen, denn damit gaben sie die Ausrüstung preis. Aber wahrscheinlich war es besser, auf ein paar Planen und Kisten zu verzichten, als eigene Leute zu opfern.

„Rückzug auf die Boote!“, gab auch Pierre den Befehl. „Nehmt ein paar Kisten mit!“

Einige Männer, die hinter den Kisten in Deckung gegangen waren, griffen nach den Transportschlaufen und liefen über die Planke auf das Boot zurück. Dann ließen sie die Kisten einfach fallen und hechteten in Deckung. Mehrere Pfeile schlugen ein, und zum ersten Mal pfiffen auch Kugeln über das Wasser. Einige Indianer hatten offensichtlich Gewehre. Eine Salve aus den Gewehren der Trapper antwortete ihnen. Am Mündungsfeuer hatten die Männer erkannt, wo die Indianer sich versteckten, und daraufhin gezielt in diese Richtung geschossen. Niemand konnte sehen, ob sein Schuss irgendwelchen Schaden angerichtet hatte, denn es wurde plötzlich still. Auch bei den anderen Booten kehrte Ruhe ein. „Was ist jetzt los?“, wunderte sich Pierre.

Ein Trapper richtete sich etwas auf und blickte vorsichtig über den Rand des Daches. „Alles still!“, meldete er.

Pierre nickte. „Okay, wir geben Feuerschutz und ihr holt noch ein paar Kisten!“, ordnete er an.

Die Voyageure schüttelten die Köpfe. „No, no … wir sind doch keine Zielscheiben!“

„Jetzt habt euch nicht so. Bisher haben die Pfeile kaum Schaden angerichtet!“

„Ja, weil wir hübsch in Deckung geblieben sind! Wir sind doch nicht lebensmüde! Geh doch selbst, wenn dir das Zeug so wichtig ist.“

Pierre kniff die Augen zusammen und gab zwei weiteren Trappern das Zeichen, ihm zu folgen. „Alors!“, murmelte er. „Wir rennen zu der Ausrüstung dort, gehen in Deckung – und wenn die Luft rein ist, dann treten wir den Rückzug an.“

Die beiden nickten nur und machten sich bereit, ihm zu folgen. „Und passt auf, dass ihr niemanden erwischt, der zu uns gehört.“ Die drei warteten einen Augenblick, doch am Ufer blieb alles ruhig. „Jetzt!“, flüsterte Pierre, richtete sich auf und rannte über die Planke zum Ufer. Schwer atmend ging er hinter einer Kiste in Deckung. Schon hockten die anderen ebenfalls am Ufer. Nichts rührte sich, und so sahen sie sich verwundert an.

„Sind die weg?“

„Scheint so!“

„Okay, nehmt die Ladung und geht zurück. Ich gebe euch Deckung.“

Die beiden Männer schnappten sich die Kiste und trugen sie auf das Boot zurück. Alles blieb ruhig, und so kamen nun mehr Männer an Land und bargen die Ladung. Auch bei den anderen Booten trauten sich die Männer von Bord. Langsam verzogen sich die Rauchschwaden und gaben den Blick auf die Umgebung frei.

„Gibt es Verletzte?“, erschallte der Ruf von den anderen Booten.

„Hier … niemand!“, gab Pierre zurück.

„Bei uns sind zwei verwundet!“, kam es von einem Boot weiter stromabwärts.

„Wir haben einen Toten!“

Nach und nach kamen die Meldungen, und es schien, als wären sie mit einem blauen Auge davongekommen. Die Indianer hatten einige Kisten gestohlen, mehrere Männer verletzt und einen getötet. Doch dann hatten sie den Angriff abgebrochen. Vielleicht hatten sie zu viele Verluste erlitten oder wollten warten, bis Verstärkung eingetroffen war.

„Wer waren diese Rothäute?“, fragte ein Voyageur, der wohl zum ersten Mal auf so einer Expedition dabei war.

„Pekuni-Blackfeet!“ antwortete Pierre tonlos. Er hatte es langsam satt, gegen diesen Stamm zu kämpfen. „Ausgeburten des Teufels.“

„Nicht schon wieder!“, schimpfte der junge Mann, der von den anderen nur „Shorty“ genannt wurde. Er war eigentlich ziemlich groß und hager, sodass keiner wirklich wusste, woher er diesen Spitznamen hatte. Vielleicht lag es an dem Gewehr, das kürzer war als die Rifles, die die anderen Trapper besaßen.

„Die sind schlimmer als Grizzlys!“, fluchte Pierre. „… Wird Zeit, dass wir in friedlichere Gewässer gelangen.“

Sie bereiteten dem Toten ein würdiges Begräbnis und standen traurig um das kleine Holzkreuz, das ein Voyageur gebastelt hatte. Immerhin konnten sie diesen Mann beerdigen, während andere ihre letzte Ruhe vermutlich bei den Fischen gefunden hatten. Manuel Lisa sprach ein Gebet, und alle murmelten „Amen“.

Dann ließen Lisa und Vasquez die Ladung wieder verladen und gaben den Befehl zum Aufbruch. Mit Stangen stießen sie die Boote in die tiefere Rinne des Flussarms und nahmen ihre Fahrt wieder auf. Nach zwei Meilen vereinigte sich der Arm wieder mit dem Yellowstone, und die Männer manövrierten die Boote in die Mitte des Flusses. Wachsam behielten sie die Ufer im Auge. Sie waren immer noch in Schussweite. Pierre ließ die Kisten im Laderaum verstauen und gab dann Befehl, dass die Trapper mit geladenen Waffen Ausschau nach Indianern halten sollten, während die Voyageure wieder an den Stangen standen und das Boot vorwärts bewegten. Die Barkassen hatten keinen Aufbau und wurden von den Männern gerudert.

Gegen Mittag trieben sie an dem gekenterten Boot vorbei. Es war auf eine Sandbank aufgelaufen, und die Männer konnten sehen, dass es leer war. Entweder hatte es die Ladung verloren, oder die Indianer hatten es geplündert. Vorsichtig manövrierten sie ihre Boote um die Sandbank herum und blickten schweigend auf das gekenterte Boot. Immer noch fehlten sechs Mann der Besatzung. Dann wurde das Schweigen zum Entsetzen, als sie sahen, dass am Aufbau einer ihrer Trapper festgenagelt worden war. Er hing dort nackt, mit ausgestreckten Armen, und teilweise war ihm die Haut abgezogen worden. Sein Kopfhaar fehlte, und Pfeile ragten aus dem Körper hervor. Es war eine Warnung: Kommt nicht mehr zurück, oder euch passiert das Gleiche!

„Armer Teufel!“, flüsterte Shorty. „Ob sie die anderen auch erwischt haben?“

„Hoffentlich nicht. Gott sei ihren armen Seelen gnädig!“

„Wollen wir ihn nicht begraben?“ Unsicher blickten einige Männer ihren Kapitän an. Dieser schüttelte nur stumm den Kopf, wandte den Blick von dem Misshandelten ab und konzentrierte sich wieder auf den Fluss. Das war wahrscheinlich nur ein Trick, um die Männer näher ans Ufer zu locken. Der arme Teufel war tot. Es hatte keinen Sinn, das Leben der anderen zu gefährden. Auch die anderen Boote setzten die Fahrt fort, ohne sich in die Falle locken zu lassen. Am Ufer blieb es still. Entweder waren die Indianer schlau genug, sich zu verstecken, oder sie waren wirklich verschwunden. Pierre hoffte, dass ihnen niemand mehr in die Hände gefallen war. Aber wenn die Blackfeet die anderen erwischt hatten, würden sie es die Weißen garantiert wissen lassen. Arnel stellte sich neben ihn und sah ihn vorwurfsvoll an. „Findest du das richtig?“

 

Pierre ignorierte seinen Blick. „Vasquez und Lisa halten ja auch nicht an … weil sie genau wissen, dass es eine Falle ist.“

Arnel nickte unglücklich. „Diese dreckigen Injuns!“ Aus seinem Mund klang das irgendwie seltsam, und Pierre sah ihn verblüfft an.

„Wirklich!“, rechtfertigte sich Arnel. „Meine Mutter war eine Yankton … die sind friedlich!“

„Behauptest du!“, brummte Pierre.

Dann horchte er auf, als sich plötzlich am Ufer ein völlig nackter Mann aufrichtete, der mit Winken auf sich aufmerksam machte. Auch auf den anderen Booten sichtete man den Mann und forderte ihn mit Rufen auf, zu ihnen zu schwimmen. Der Mann zögerte kurz, sah sich um und watete dann ins Wasser. Mit einem Satz tauchte er unter und verschwand kurz aus dem Blickfeld der anderen. Keine Sekunde zu früh, denn am Ufer tauchten wie aus dem Nichts Blackfeet auf, die mit Pfeilen auf die Stelle schossen, an der der Mann zuletzt gestanden hatte.

Sofort wurden sie von den Männern an Bord unter Beschuss genommen, sodass sie sich unter Geschrei zurückziehen mussten. Kurz tauchte der Kopf des Mannes auf, dann tauchte er wieder unter. Wieder fielen Pfeile ins Wasser, und die Männer erkannten, dass die Indianer sich einen Spaß daraus machten, den Weißen vor sich her zu hetzen.

„Hierher!“, schrien sie, als der Kopf wieder aus den Fluten auftauchte. Mit letzter Kraft erreichte der Mann ein Boot und klammerte sich an der Bordwand fest. Ihm fehlte jedoch die Kraft, sich hochzuziehen. Wieder flogen Pfeile, und einer traf den Mann am Arm.

„Helft mir!“, brüllte dieser verzweifelt. Eine Salve nahm die Indianer am Ufer unter Beschuss, die sich lieber in Deckung begaben. Sie lachten höhnisch und machten Drohgebärden. Sie sprangen auf ihre Pferde und galoppierten am Ufer entlang. Von dort schossen sie weiter mit Pfeilen auf die Boote. „Helft mir doch!“, rief der Mann. „Ich rutsche ab!“

Zwei Mann nahmen sich schließlich ein Herz: Sie verließen die Deckung, beugten sich über die Bordwand und zogen den Mann mit einem Ruck ins Boot.

Dann ließen sie sich platt auf den Boden fallen, als weitere Pfeile in ihre Richtung flogen. Einer der Männer hielt eine Plane hoch und lenkte so einen Pfeil ab, der ihn sonst getroffen hätte.

Pierre schnaufte durch, als er erkannte, dass der Mann es geschafft hatte. Wie er die kalte Nacht überlebt hatte, wäre eine spannende Geschichte! Ein Mann mehr, der gerettet werden konnte. Dann wurde sein Gesicht grau vor Entsetzen, als sie an einem weiteren Mann vorbeitrieben, der auf entsetzliche Weise entstellt und an einem Baum gefesselt zur Schau gestellt wurde. Fehlten noch drei! Er betete, dass es ihnen nicht ähnlich ergangen war. Immer wieder schaute er zu den Ufern auf beiden Seiten und hoffte, dass dort jemand auftauchte und durch Winken zu verstehen gab, dass es ihm gutging.

An diesem Tag geschah weder das eine noch das andere. Die Indianer blieben unsichtbar, und von den drei Vermissten gab es kein Lebenszeichen. Entweder waren sie ertrunken, oder die Indianer hatten sie erwischt. „Merde!“, fluchte Pierre zwischen den Zähnen hindurch.

Am Abend legten sie an einer der vielen Inseln an, die dadurch entstanden waren, dass der Fluss Nebenarme bildete. Sie waren vollständig vom Wasser umschlossen und konnten so gut verteidigt werden, weil Angreifer erst den Fluss überwinden mussten, und sich nicht im Schutz von Büschen und Bäumen anschleichen konnten. Die Männer verzichteten darauf, Lodges aufzubauen, da der Himmel klar war. Es blies immer noch ein kalter Wind, sodass die Männer sich gern um die Feuer setzten und aufwärmten. Kaffee wurde ausgeschenkt und dann die warme Suppe verteilt. Jeder hatte seine Tasse und seine Schüssel dabei und sorgte selbst dafür, dass sie gesäubert wurde. Dann wurden die Läufe der Waffen mit dem Ladestock sorgfältig gereinigt. Das Überleben hing davon ab, dass die Vorderlader reibungslos funktionierten, und so nahmen sich die Männer hierfür Zeit. Auch die Pistolen hatten Steinschlösser, die regelmäßig geputzt werden mussten. Nach dem Kampf mit den Indianern waren die Läufe verrußt, und auch die Mechanik des Hahns musste überprüft werden. Leises Gemurmel erhob sich über dem Wasser, als die Männer über die letzten Tage sprachen. Ihre Gedanken galten den Freunden, die nicht heimkehren würden.

Pierre saß mit Arnel und Shorty zusammen, die nachdenklich ins Feuer starrten. Sie hielten ihre Waffen in den Händen, obwohl sie mit der Reinigung schon fertig waren. Wie oft hatten sie mit den anderen gesungen und Karten gespielt? Sie dachten an Huey, der so gerne beim Kartenspielen geschummelt hatte, oder an Louis, der zuhause eine Frau und zwei Kinder hinterließ. Manuel Lisa wollte die Familien benachrichtigen und ihnen den Lohn auszahlen. Sie beneideten den Mann nicht, denn traurige Nachrichten zu überbringen, war niemals leicht. „Scheiß Injuns!“, meinte Shorty ernüchtert.

Arnel zuckte etwas zusammen. „Pass auf, was du sagst!“

„Ich meine ja nicht dich!“, entschuldigte sich Shorty. „Du bist ein guter Indianer!“

Arnel presste traurig die Lippen zusammen. „Na ja … nur zur Hälfte. Aber es stimmt schon … es gibt halt solche und solche.“

Pierre schüttete den Kopf. „Es gibt solche und Blackfeet!“, betonte er.

Die beiden nickten wortlos. Kurz breitete sich Schweigen aus, dann schenkte Pierre erneut Kaffee aus. Shorty tat mindestens drei Löffel Zucker hinein und leckte sich die Lippen. „Gutes Zeug!“, lobte er gedankenverloren. „Der weckt Tote auf.“

„Nicht Louis und Huey oder die anderen armen Teufel.“

„Non!“, stimmte Pierre ihm zu. „Hoffen wir auf bessere Beziehungen zu den Mandan und Arikara.“

„Hmh!“, grunzten Arnel und Shorty.

Nach weiteren zwei Wochen, die ohne Zwischenfälle verliefen, erreichten die Boote schließlich die Mündung des Yellowstone in den Missouri. Der Yellowstone hatte unendlich viele Biegungen, sodass sie immer wieder hatten kreuzen müssen, um die optimale Linie zu fahren. Das hatte Zeit gekostet. In der Vogelfluglinie waren es nur 250 Meilen, doch mit den vielen Windungen verdoppelte sich die Entfernung. Sie waren ohne weitere Probleme vorangekommen und blickten nun auf den beeindruckenden Zusammenfluss, der sich vor ihnen öffnete. Auch hier wäre ein geeigneter Ort für einen Handelsposten gewesen, aber nach dem Geschmack der Teilhaber war er noch zu nah an den kriegerischen Blackfeet oder Assiniboine. Also trieben sie weiter den Strom flussabwärts. Hier wurde die Fahrt leichter, denn der Missouri hatte etwas mehr Tiefgang und weniger Windungen. Die Umgebung war hügelig, teilweise mit Gras, teilweise mit Fichten bewachsen. An den Ufern lagen oft Treibholz und angeschwemmte Kadaver. Hin und wieder sahen sie in der Ferne Jagdgruppen von vorbeiziehenden Indianern, die jedoch nicht näher kamen. Am Ufer standen oft Gabelbockantilopen, und einmal sahen sie sogar einen Elch. Die Ufer des Flusses und seiner Nebenarme war inzwischen wieder von Enten, Gänsen und Reihern bevölkert, die dort ihre Nester bauten. Die Männer suchten abends nach den Eiern und erlegten die eine oder andere Ente.

Nach weiteren zehn Tagen kamen sie an der Mündung des Little Missouri vorbei. Hier hatte Manuel Lisa bereits gute Erfahrungen mit den Stämmen gemacht, und so gab er Befehl, nach einem geeigneten Lagerplatz Ausschau zu halten. Die Gegend war zerklüftet, mit vielen Tälern und kargen Hügeln. Der Fluss war hier breit, manchmal mit Untiefen und dann wieder mit Sandbänken, auf die man auflaufen konnte, wenn man nicht aufpasste. Viele kleine Bäche mündeten in den Fluss, doch wenn eine Barkasse den Bach näher in Augenschein nahm, war es oft nur eine Ausbuchtung des Missouri mit schlammigem Boden. Die Hochwasserlinie an den Felsen und Ufern zeigte, dass das Gebiet weiträumig überschwemmt wurde und es daher nicht ratsam war, ein Fort zu bauen. Sie wollten ihren Stützpunkt aber auch nicht zu weit weg vom Wasser errichten, da sonst alles über eine weite Entfernung geschleppt werden musste.

Sie fanden schließlich eine Stelle, die zumindest einen langen Strand hatte, an dem die Boote anlegen konnten. Im Hinterland gab es viele Bäume und die Umgebung war flach genug, dass es nicht möglich war, von oben unter Beschuss genommen zu werden. Ein Boot nach dem anderen rutschte auf das sandige Ufer, und die Männer sprangen an Land. Einige Springmäuse suchten das Weite, und eine Familie Stinktiere verschwand erhobenen Schwanzes. Sofort brachen einige Trapper auf, um die Umgebung gegen Überfälle zu sichern. Sie besetzten zwei kleinere Hügel in der Ferne und gaben dann mit Winken zu verstehen, dass alles ruhig war. Erst einmal wurde nur die Ausrüstung für ein kleines Nachtlager ausgeladen, weil man prüfen wollte, ob der Standort wirklich geeignet war. Es wurde inzwischen sommerlich warm, sodass die Männer keine Lodges aufbauten, sondern nur ihre Decken am Boden ausbreiteten. Es hatte seit Tagen nicht mehr geregnet, und so war der Lagerplatz trocken. Schnell wurden Feuer entzündet, Kessel darübergehängt, Wasser vom Fluss geholt und Essen gekocht.

Vazquez und Lisa waren bereits unterwegs, um noch ein wenig die Umgebung zu erkunden. Ihr erster Eindruck war nicht schlecht. Der Boden stieg schnell an, und die Wasserlinie zeigte, dass das höher gelegene Gelände nicht überflutet wurde. In der Umgebung gab es genug Holz, sodass ein Fort samt Häusern und Palisaden errichtet werden konnte. Für den Handel mit den Indianern war das optimal. In der näheren Umgebung fanden die Trapper keine Spuren von Bibern, aber in den vielen Buchten wären bestimmt welche zu finden.

In den nächsten Tagen waren die Männer emsig damit beschäftigt, Holz für das Fort zu schlagen. Die Voyageure entluden die Schiffe und stapelten die Waren unter den Planen, die über einfache Gerüste gezogen wurden. Erste Indianer trafen ein, die sich neugierig dem entstehenden Handelsposten näherten. Lisa verteilte großzügig Geschenke, um die Kunde verbreiten zu lassen, dass hier ein Handelsposten entstand. Sehr zufrieden rückten die Indianer ab und versprachen, mit Pelzen zurückzukehren.

Pierre besuchte bei seinen Erkundungen ein befestigtes Dorf der Hidatsa, die von William Clark seit seiner Expedition „Minnitari des Missouri“ genannt wurden. Sie lebten in Erdhütten wie die Mandan, sprachen aber eine andere Sprache. Die Frauen befanden sich bereits auf den Feldern, um den Mais anzubauen. Kinder rannten herum und beobachteten ihn mit ihren schwarzen Augen. Obwohl es noch recht frisch war, liefen sie fast nackt herum. Einige Männer saßen auf den Erdhütten in der Sonne und unterhielten sich.

Pierre hatte ein besonderes Anliegen, konnte sich aber in dieser Sprache nur mit Gesten verständlich machen. Er rauchte mit einigen Männern eine Pfeife und tauschte harmlose Neuigkeiten aus, ehe er mit seinem wahren Anliegen herausrückte. „Ich möchte eine Frau eintauschen!“, zeigte er in Zeichensprache, was die Männer aber kaum beeindruckte. Entweder gab es hier keine Mädchen im heiratsfähigen Alter, oder dieses Volk sah es nicht so gerne, wenn ihre Frauen weiße Trapper heirateten. Pierre war enttäuscht, denn für den Winter wünschte er sich eine Squaw an seiner Seite. Sie waren fleißig und wärmten einem im Winter das Bett. Er hatte nicht vor, sie eines Tages in die Zivilisation mitzunehmen, sondern wollte sie ihrem Volk zurückgeben, wenn er erst genug verdient hatte. Er hatte das schon bei anderen Trappern erlebt und empfand es als eine gute Sache. Ein Handel auf Zeit.

Unverrichteter Dinge kehrte er zum Fort zurück, bei dem immerhin schon die Palisaden standen. Manuel Lisa nannte es stolz „Fort Lisa“. Inzwischen waren die Männer dabei, das Haupthaus mit dem Handelsraum zu bauen. Es hatte zwei Stockwerke: unten den Handelsraum und oben mehrere Kammern, in denen die Anführer und einige der Trapper schliefen. Gleichzeitig entstanden weitere Hütten, in denen die anderen Männer untergebracht wurden. Das Schlagen der Äxte hallte durch das Tal und kehrte als Echo von den umliegenden Hügeln zurück.

Die Wochen vergingen schnell, und Pierre bekam den Auftrag, mit einigen Trappern zur Jagd zu gehen und die Vorräte aufzufüllen. Er nahm Shorty und Arnel, deren Gesellschaft er sehr schätzte. Der jungen Männer redeten nicht viel und taten, was man ihnen sagte. Schweigend machte sich der Trupp am frühen Morgen auf, um die Umgebung nach Wild zu erkunden. Als sie bis zum Mittag immer noch nichts gefunden hatten, runzelte Pierre sorgenvoll die Stirn. Keine Spuren von Hirschen oder Bisons. Selbst Weißwedelhirsche und Gabelbockantilopen ließen sich nicht sehen. Es war nicht gut, wenn sie einzig und allein auf die Lieferungen von Indianern angewiesen waren. „Wir sollten ein paar Pferde eintauschen!“, stellte er fest.

 

„Vielleicht haben die Injuns hier alles weggejagt?“, überlegte Arnel.

Pierre nickte gedankenverloren. „Kann sein. Hier sind ja einige ihrer Dörfer. Aber ich wundere mich, dass hier keine Bisons sind.“

„Die kommen vielleicht später!“

Shorty spuckte einen Priem Kautabak auf den Boden. Er hatte eigentlich immer etwas im Mund. Wenn er keinen Priem in der Backe hatte, dann kaute er Jerky oder knabberte an einem Grashalm.

Pierre ließ seinen Blick über das Land schweifen und stützte sich auf seine Rifle. „Zum Fallenstellen müssen wir wohl ein ganzes Stück stromaufwärts und dort die kleinen Nebenflüsse absuchen.“

„Yep!“

„Lass uns zum Missouri zurückkehren, da erwischen wir wenigstens ein paar Enten.” Pierre raufte sich müde die Haare.

„Davon werden wir aber nicht satt! Wenn wir nicht auf ein paar Bisons stoßen, müssen wir Fleisch von den Indianern tauschen.” Für den schweigsamen Shorty war dies eine ziemlich lange Äußerung.

„Mit Pferden wird es besser!”, versprach Pierre. „Solange müssen wir halt angeln.” Es sollte wie ein Scherz klingen, aber in seiner Stimme lag eine gewisse Anspannung. Er wusste, dass die dreihundert Mann bald alle mitgebrachten Vorräte aufgebraucht hätten. Das war schlecht, denn die Expedition sah vor, dass sie sich selbst versorgten und Mehl und Mais erst im Winter erhielten. Hin und wieder schoss ein Trapper einen Hirsch, aber das reichte nicht für all die hungrigen Mäuler.

Sie kehrten tatsächlich ohne Jagdbeute zurück und berichteten über ihre Erfahrungen. „Wir sollten Pferde eintauschen, dann decken wir eine größere Umgebung ab.”

Lisa machte sich keine Sorgen. „Ach, bald kommen die Bisons, dann haben wir Fleisch genug! Ich schicke morgen einige Männer los, die Fleisch und Pferde von den Indianern eintauschen. Weiter südlich befindet sich ein Dorf der Minnitari des Südens – es wäre gut, wenn du sie begleitest!”

Pierre wackelte mit dem Kopf hin und her. „Warum tauschen wir nicht mit den Mandan? Wir könnten mit einer Barkasse dorthin fahren. Die waren uns doch bei der Herfahrt wohlgesonnen.”

Lisa lächelte. „Gute Idee. Ihr fahrt dort mit einer Barkasse hin, tauscht Fleisch und Vorräte und kommt dann wieder zurück.”

„Und die Pferde?”

„Ich verhandle mit dem Häuptling der Minnitari des Missouri. Wir werden schon ein paar Pferde bekommen.” Er machte eine beruhigende Handbewegung. „Alles klar?”, erkundigte er sich.

Pierre grinste. „Alles klar!”, antwortete er enthusiastisch. Er freute sich über den Auftrag, denn er kam seinen Wünschen entgegen: Er wollte noch etwas ganz anderes eintauschen! Er hoffte darauf, dass die Mandan seinen Wünschen eher entgegenkamen. „Vielleicht kommen ja auch bis dahin die Bisons“, meinte er, um von seinen wahren Gedanken abzulenken.

Lisa nickte. „Das wäre gut!