Der schottische Lord

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Kapitel 6

„Ich gehe mit Vater in den Park, heute scheint das Wetter einmal zu halten“, meint Kendra und lächelt wie immer. Sie sieht heute fürchterlich blass aus.

„Ja. Ich muss dann auch los. Du bist so durchsichtig heute, fühlst du dich nicht wohl?“, frage ich sie während ich meine Unterlagen zusammensuche.

„Nein…Es geht mir gut, alles bestens. Ich war nur die letzten Tage wenig an der frischen Luft, das wird es sein.“

Ich nicke nicht ganz zustimmend. Sie sollte einmal etwas ordentliches Essen. Immer dieser vegane Kram. Salat, Sprossen und irgendwelche Ersatzprodukte, das kann doch nicht gesund sein und vom Geschmack will ich gar nicht reden. Doch ich behalte das besser für mich, meine Meinung zu dem Thema hat schon mehrfach für Streit gesorgt, darum lasse ich es. Ich halte nichts von diesem neumodernen Ernährungskram, zumal es nichts zu bringen scheint. Sie ist viel zu mager und meistens blass. Sie geht mit Vater nach draußen, ich suche noch meine Autoschlüssel und folge den beiden ein paar Augenblicke später. Gedankenversunken sehe ich auf, als ich Holly über den Platz schlendern sehe. Heute sieht sie nicht aus wie ein Pferdemörder. Den dunklen Regenmantel hat sie gegen eine lange Strickjacke getauscht. Die dunklen langen Haare trägt sie offen. Irgendwie erinnere ich mich so gar nicht an sie. Es kann doch nicht sein, dass ich kein Bild mehr zu ihr habe, wo sie doch früher meist einmal im Jahr hier war. Ich sollte mich noch einmal ordentlich entschuldigen. Im Castle gehen mir bis auf Eliza sowieso schon alle Damen aus dem Weg, ich möchte James nicht verärgern. Ich bin auf ihn angewiesen, darum soll nicht gerade der Anschlag auf seine Nichte zwischen uns stehen.

„Holly!“, rufe ich ihr nach, weil sie ohne einen Blick auf ihre Umgebung schnurstracks Richtung Koppeln läuft. Sie hält an und dreht sich zu mir um. Ich gehe ihr entgegen, auch sie ist blass, obwohl, das kann ich noch verstehen nach meiner Attacke von gestern.

„Guten Morgen“, sagt sie leise und lächelt dabei verhalten.

„Guten Morgen. Entschuldigung, ich möchte nicht unhöflich sein und Sie beim Vornamen ansprechen, Mrs.?

Sie sieht mich verlegen an. „Ach das passt schon. Einfach Holly.“

Ich nicke und überlege, ob sie jetzt einen blauen Fleck am Oberarm hat, weil ich sie so angepackt habe. Hoffentlich nicht.

„Bitte verzeihen Sie mir, ich wollte sie nicht erschrecken.“

„Nein, nein, kein Problem“, stammelt sie und sieht durch mich hindurch, als Vater und Kendra plötzlich hinter mir stehen.

„Tavis, wer ist die junge Dame?“, fragt er mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Vater. Das ist Holly. Holly Skelton. Du weißt doch noch, die Nichte von James Skelton.“

„Barnes“, sagt sie und blickt dabei schüchtern zu meinem Vater.

Natürlich. Sie wird verheiratet sein. Sie ist in Peters Alter, oder etwas jünger, Anfang dreißig schätze ich. Ich ziehe die Augenbrauen hoch. Das nächste Fettnäpfchen. Ich entschuldige mich höflich, doch sie ignoriert mich und begrüßt stattdessen Vater. Keine Ahnung, aber ich habe das Gefühl sie hat immer noch Angst vor mir, sie weicht schüchtern zurück und sieht mich nicht richtig an. Kein Wunder. Ich habe ihr ein Gewehr vor die Nase gehalten und so wie ich aussehe, wird sie denken ich bin ein komplett Irrer. Ich bin ein Irrer. Sie blickt zu Kendra, darum stelle ich sie vor.

„Sie sind so blass Mrs. Barnes, geht es Ihnen nicht gut?“, meint Kendra musternd.

Ja, sie ist entsetzlich blass. Vermutlich auch eine Veganerin, obwohl sie auf den ersten Blick nicht so aussieht.

„Nein…Alles in Ordnung“, stammelt sie.

Mir wird das jetzt zu viel Smalltalk, darum verabschiede ich mich. Ich bin auch schon spät dran. Weil ich die letzten Tage nicht in der Brennerei war, ist dort einiges liegen geblieben, ich befürchte es wird ein langer Tag.

Kapitel 7

Ich sehe Holly aus dem Augenwinkel an, mit meinem rechten Zeigefinger tippe ich monoton auf das Lenkrad. Gerade habe ich sie am Straßenrand aufgelesen. Sie war auf dem Heimweg, ganz schön weit weg vom Castle. Es ist zwar ein schöner Tag, aber es hängen bereits dicke dunkle Wolken am Himmel die bald auslassen dürften. Wie gewohnt weicht sie mir aus, ich glaube sie ist nur sehr widerwillig in mein Auto gestiegen, auch wenn ich ihr damit einen Gefallen tun will, weil es noch ein ziemlicher Fußmarsch gewesen wäre. Warum gehen mir eigentlich alle Frauen aus dem Weg? Zumindest die, die keine Flittchen sind und das ist sie mit Sicherheit nicht, denn damit kenne ich mich zur Abwechslung einmal wirklich aus. Sie ist eher zurückhaltend, heute fast schon wieder zu verschämt. Das kann ich nur sehr schwer verstehen und schon gar nicht einschätzen. Dabei habe ich sie sehr freundlich angelächelt und versucht besonders höflich zu sein. Sie sieht mich noch nicht einmal an, wenn sie mit mir spricht. Bin ich echt so ein Monster? Wahrscheinlich hat sie immer noch Angst vor mir. Da sie nun schon länger hier Urlaub macht, sollte sie mir unseren Zusammenstoß im Stall aber nicht mehr nachtragen. Ich versuche nicht mehr darüber nachzudenken, zumal sie gerade auch ziemlich stur aus dem Fenster blickt. Sie hat erzählt, dass sie nicht mehr so lange hierbleiben will. Ich habe vor ein paar Tagen aufgeschnappt, dass sie wohl Probleme mit ihrem Ehemann hat. Scheint überall ähnliche Schwierigkeiten zu geben, was das Zwischenmenschliche betrifft. Wie nicht anders zu erwarten springt sie gleich aus dem Auto nachdem ich im Hof angehalten habe.

„Danke…“, sagt sie noch mit gesenktem Blick und läuft Richtung Hintereingang.

„Sicher…Kein Problem. Gerne“, entgegne ich, aber sie dreht sich nicht mehr um. Sie ist wirklich seltsam. Vielleicht auch schüchtern. Keine Ahnung. Auf dem Weg zur Tür blicke ich in den Himmel. Bald wird es wieder regnen, die Wolken bauen sich immer bedrohlicher auf. Heuer ist dieser Regen besonders hartnäckig. Ich komme gerade rechtzeitig zum Tee, ich bin heute bewusst früher nach Hause gegangen. Kendra spricht kaum, sie ist in ein Schachspiel mit meinem Vater vertieft. Seit Tagen sieht sie ganz fürchterlich blass aus. Ihre sonst meist kunstvoll in Szene gesetzten roten Haare hängen auch unmotiviert über die Schultern. Sonst legt sie so viel Wert darauf das alles stimmig ist, aber im Moment scheint sie sich ganz und gar nicht wohl zu fühlen. Sie meint es ist nur eine kleine Magenverstimmung, was ich ihr nicht abnehme.

„Soll ich nicht doch besser Dr. Scott rufen? Du siehst jetzt noch schlechter aus als heute Morgen“, frage ich sie vorsichtig und gieße ihr Tee nach.

Sie nippt an ihrer Tasse und schüttelt den Kopf, bevor sie einen Zug am Schachbrett macht. „Nein. Er war doch gestern hier. Es ist alles in Ordnung Tavis. Frauenbeschwerden.“

Ich ziehe die Augenbrauen hoch. Frauenbeschwerden. Verstehe. Ich bin aufgrund unseres nicht vorhandenen Sexlebens nicht so im Bilde wann genau diese Frauenbeschwerden auf der Matte stehen. Darum nicke ich nur und streiche über ihre Schulter, als Peter zur Tür herein poltert.

„Wir müssen reden“, sagt er und blickt mich eindringlich an.

„Reden? Worüber denn?“, entgegne ich mit hochgezogenen Augenbrauen. Er sieht wütend aus, keine Ahnung welche Laus ihm über die Leber gelaufen ist, aber er neigt auch bei einer Kleinigkeit dazu über zu reagieren. Die meiste Zeit ist er viel zu impulsiv, mit einer der Gründe, warum ich das Hauptgeschäft am Gut führe.

„Unter vier Augen.“ Er geht voraus ins ehemalige Raucherzimmer, das inzwischen meist als Büro fungiert. Ich schließe die Tür hinter uns und sehe ihn abwartend an.

„Ja? Was denn?“

„Ganz toll Tavis. Ganz toll“, schüttelt er den Kopf.

„Komm schon Peter, raus damit, nicht so theatralisch bitte“, fordere ich ihn auf und lasse mich in den alten, wuchtigen Ledersessel fallen.

„Slater. Jessica Slater“, sagt er leise. „Klingelt es da bei dir?“

Ich verdrehe die Augen. „Wird das ein Ratespiel?“

„Ihr lieber Gatte verkauft die an unsere Felder angrenzenden Flächen nicht wie ursprünglich vereinbart. Kann es sein, dass es etwas mit dir zu tun hat?“

Ich stehe auf und atme genervt durch. „Was?“ Kopfschüttelnd beuge ich mich zu ihm. „Ich habe wirklich mehr als nötig gewesen wäre getan. Monatelang. Ich hatte diese Tussi einfach satt mit ihrem Plastikbusen. Leg du dich doch auf sie. Scheiße…“ Ich spreche bedacht leise, auch wenn ich lieber schreien würde, doch Kendra soll natürlich keinesfalls hören worum es geht.

„Mich will sie aber nicht…Zur Hölle! Und jetzt?! Fuck!“ Peter schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. „Hättest du nicht warten können bis die Verträge unter Dach und Fach sind? Oder etwas mehr Feingefühl ihr gegenüber, das wäre angebracht gewesen!“

Ich springe vom Sessel auf. „Feingefühl?! Sag mal spinnst du jetzt total? Ich bin doch hier nicht die männliche Hure! Ich scheiße auf die Felder! Soll er sie sich sonst wohin stecken! Glaub mir, er wird schon noch angekrochen kommen, oder glaubst du eine dumme Blondine lenkt die Millionengeschäfte von Slater?“, stoße ich schon nicht mehr ganz so leise aus.

„Du checkst echt gar nichts Tavis! Gar nichts! Wir hatten doch schon den Plan für die Produktion im nächsten Jahr, wie stellst du dir das denn vor?“ Er schreit jetzt definitiv und das lasse ich mir nicht gefallen.

„Ich war sowieso dagegen! Wir produzieren ausreichend und ich finde wir sollten das auch so belassen! Ich bin nicht für Quantität, sondern für Qualität!“

Er kommt näher zu mir und bleibt nur ein paar Zentimeter vor mir stehen. Bedrohlich baut er sich vor mir auf, was mich allerdings total kalt lässt. „Du hast keinen Plan, du bist grundsätzlich immer gegen alles. Mach doch mit dem alten Krempel und deinen Scheißtraditionen was du willst!“ Er atmet aggressionsgeladen aus und stürmt aus dem Zimmer. Das macht er immer. Abhauen, wenn er nichts mehr zu sagen weiß.

 

„Wir sind noch nicht fertig Peter!“, laufe ich ihm hinterher. Wir stürmen vorbei an Kendra und meinem Vater, hinunter in die Küche. „Warum läufst du eigentlich immer davon, wenn dir die Argumente ausgehen?“, rufe ich ihm nach. „Das ist sowas von lächerlich!“ Jetzt schreie ich.

Peter dreht sich kopfschüttelnd um. „Es ist doch egal was ich sage, du hast sowieso immer Recht! Das wird sich nie ändern! DU wirst dich nie ändern Tavis! Mach doch was du willst es ist mir scheißegal! Alles hier ist mir mittlerweile scheißegal!“ Er stürzt durch den Hinterausgang hinaus. Mein Herz klopft. Immer wieder die gleiche Laier. Ständig diese unnötigen Streitereien. Erst jetzt fällt mir auf, dass Eliza und ihre Nichte am Tisch sitzen. Gott…was ist denn jetzt schon wieder los? Holly wischt sich die Tränen aus ihrem verweinten Gesicht. Immer dieser Frauenkram.

„Geht es Ihnen nicht gut?“, frage ich vermutlich mit dem falschen Ton, weil ich immer noch geladen von dem Streit bin.

„Was…Nein…Es geht schon…“, stammelt sie schluchzend als der Gärtner mit einem Haufen Blumen Zeugs hereinkommt. Genervt drehe ich mich um und gehe wieder nach oben. Kendra steht am Treppenabsatz und schüttelt den Kopf. Sie sieht mich verständnislos an.

„Warum könnt ihr euch nie ruhig unterhalten und eine gemeinsame Lösung finden?“ Ihre Stimme ist leise und klingt gekränkt. Manchmal glaube ich, sie hält mehr von den Worten meines Bruders als von mir. Dabei hat sie sie gar keine Ahnung.

„Lass mich bitte Kendra, du verstehst das nicht“, antworte ich und gehe an ihr vorbei.

„Ja…Ich verstehe nie etwas“, murmelt sie noch, doch ich verlasse das Haus und werfe die Tür schwungvoll hinter mir zu. Es reicht mir einfach. Ich habe sowas von genug. Was glaubt er wer er ist? Den Rest vom Nachmittag verschanze ich mich in der Brennerei. Natürlich ist es blöd das Slater die Felder jetzt nicht verkauft. Sie liegen wunderbar und hätten unsere Anbaugebiete hervorragend ergänzt. Ich starre auf die Pläne und denke nach. Peter hat schon irgendwie recht, aber es ist schwer, das zuzugeben. Auch Kendra hat recht, wenn wir einmal normal reden könnten, wäre es einfacher. Dieser ewige Streit macht mich krank. Ich lehne mich in meinem ledernen Schreibtischsessel zurück und denke nach. Niemals wieder werde ich mich für ein Geschäft selbst verkaufen. Ich will es einfach nicht mehr. Diese ewigen Frauengeschichten die sich im Nachhinein nie als besonders Vorteilhaft für mich erwiesen haben machen keinen Sinn. Ich bin wirklich nicht mehr als eine männliche Nutte. Die Geschäftsnutte. Ich schließe meine Augen. Genaugenommen haben mich diese Frauen ausgenutzt, nicht ich sie. Das ist ab heute ein für alle Mal vorbei. Mit dieser Erkenntnis fahre ich zurück zum Castle. Es schüttet wie aus Kübeln, ich habe Mühe die Straße zu sehen, die Scheibenwischer schaffen die Wassermengen kaum. Scheißwetter. Vielleicht sollte ich mich entschuldigen. Nein…Ich entschuldige mich grundsätzlich nie. Es würde meine Autorität untergraben. Mir fallen die Worte meines Vaters als er noch nicht krank war ein. „Du bist ein Lord. Es gilt, was du sagst. Unwiderruflich.“

Ich bin der Lord. Es ist einfach so. Emotionale Ausbrüche sind nicht mein Ding. Es ist nun einmal so wie es ist. Ich gehe ihn den Salon, Vater sitzt mit Holly am Schachbrett. Sie hat in den letzten Wochen öfter mit ihm gespielt, er scheint sie verwunderlicher Weise zu mögen. Eigentlich akzeptiert er niemanden außer Kendra. Wenn sie hier ist, geht es Kendra vielleicht schlechter.

„Ist Kendra nicht hier?“, frage ich ziemlich direkt.

„Nein, sie wollte an die frische Luft“, antwortet sie ohne aufzusehen.

„An die frische Luft? Es schüttet doch wie aus Kübeln“, entgegne ich kopfschüttelnd. Will sie sich auch noch eine Lungenentzündung holen? Ich merke wie sich die bereits abgeflaute Wut wieder in mir aufbaut. Machen denn hier alle was sie wollen? Holly ignoriert mich. Das bringt mich noch mehr in Rage. Was hat sie eigentlich hier verloren? Ich gehe auf sie zu und amte genervt durch.

„Sie können gehen. Ich bin jetzt da.“

Jetzt sieht sie auf. Ihr Blick ist undefinierbar. Nein. Sie verabscheut mich. Genauso schaut sie mich an.

„Natürlich“, sagt sie leise und steht auf. Meinen Vater jedoch lächelt sie an. „Ich bin jederzeit für eine Revanche bereit.“

Er erwidert ihr Lächeln. Ich habe das Gefühl mir fliegt gleich das Hirn weg. „Ich bin bereit, wenn Sie es sind“, meint er und greift nach ihrer Hand. Ich verfolge dieses unnötige Geplänkel und verstehe nicht wann mein Vater so gefühlsduselig geworden ist.

„Schönen Abend noch“, verabschiedet Holly sich von Vater und geht ohne ein Wort Richtung Küchenabgang. Ich hasse es ignoriert zu werden. Was bildet sie sich eigentlich ein? Ich gehe ihr hinterher.

„Mrs. Skelton“, rufe ich ihr nach.

Sie bleibt stehen, ich glaube sie hat gerade die Augen verdreht. „Barnes“, sagt sie und sieht mich dabei einschüchternd an. Aha. Jetzt also so.

„Was?“, frage ich irritiert von ihrem Blick nach. Niemand sieht mich einschüchternd an. Schon gar nicht eine Frau.

„Holly Barnes“, sagt sie mit einem genervten Durchamten.

„Ach so, ja. Genau. Entschuldigen Sie bitte meine unangemessene Art aber…“

Sie unterbricht mich, was mich schon wieder irritiert.

„Schon gut. Es ist bestimmt unangemessen das sich ein Mann aus ihrem Stand rechtfertigen muss.“ Sie wendet mir ihren Rücken zu und geht erhobenen Hauptes hinunter. Wäre ich nicht immer noch irritiert, würde ich das ziemlich frech finden. Ja, sogar außerordentlich inadäquat. Ein Mann meines Standes? Sie weiß gar nicht wovon sie redet, denn sonst würde sie in einem angemessenen Ton mit mir sprechen. Ich gehe zurück in den Salon und kann nur den Kopf schütteln.

Kendras ist wie vom Erdboden verschluckt, keine Ahnung wo sie steckt, das ist so gar nicht ihre Art. Vermutlich ist es wegen dem Streit am Nachmittag. Sie erscheint auch nicht zum Abendessen, langsam mache ich mir doch Sorgen. Ich sitze mit Vater allein am Tisch, Peter ist auch nicht hier. Er erzählt mir irgendwelche alten Geschichten, mein Kopf tut weh, ich kann und will seinen Anekdoten nicht folgen. Nach dem Dinner besteht er darauf, dass ich ihm noch etwas am Klavier vorspiele. Dabei komme ich mir immer vor wie ein kleiner Junge. Zumindest verbessert er mich inzwischen nicht mehr, so wie er es tat als ich noch ein Kind war. Mein Spiel war ihm selten gut genug. Danach bringe ich ihn zu Bett, ich mache das so gut wie nie, doch heute bleibt mir nichts anders übrig. Danach falle ich völlig fertig in den alten Ohrensessel. Ich trinke ein Glas Whisky und denke nach. Lange. Ein wirrer Traum reißt mich aus dem Sessel, ich bin eingenickt. Ich sehe zum Fenster, ein Einsatzfahrzeug mit Blaulicht fährt heran. Scheiße! Kendra! Hoffentlich ist ihr nicht passiert. Völlig durcheinander laufe ich hinaus. Ein junger Polizist kommt mir entgegnen.

„Lord Stewart?“

„Ja…Um Gottes Willen, was ist denn passiert?!“

„Guten Abend. Es gab einen Unfall. Unten an der Küstenstraße“, atmet er durch.

„Was?! Zur Hölle! Sprechen Sie schon weiter!“, fahre ich ihn an.

Ich hänge geschockt an seinen Lippen. Kendra und Peter sind mit dem Auto von der Straße abgekommen und haben sich mehrfach überschlagen. Sie wurden ins Krankenhaus gebracht. Über ihren Zustand kann er nichts sagen. Eliza und James steuern auf mich zu. Sie legt fast schützend ihren Arm um mich, doch ich will das gerade gar nicht.

„Ich muss sofort ins Krankenhaus“, murmle ich verwirrt.

„Ich fahre dich“, meint James und folgt mir.

„Nein…Ist nicht nötig…“ Ich gehe ins Haus und nehme meine Jacke und die Autoschlüssel, als auf einmal Holly hinter mir steht.

„Ich kann inzwischen hierbleiben, damit ihr Vater nicht allein ist“, sagt sie leise. Schon wieder sieht sie mich nicht an. Diese Ignoranz mir gegenüber bringt mich auf die Palme, ich habe allerdings keine Zeit mich darüber weiter aufzuregen.

„Ja…Wie sie glauben“, blaffe ich sie an und verlasse das Haus. Ich habe keine Kraft über ihr Verhalten mir gegenüber nachzudenken. Was ist passiert? Was zur Hölle ist passiert? Es hat wieder angefangen zu regnen. Die Fahrt zum Krankenhaus erscheint mir endlos und ich bin nicht auf die Straße konzentriert. Tausend Dinge schwirren mir durch den Kopf. Hoffentlich ist alles nicht so schlimm. Bestimmt ist es nicht so schlimm.

Doch dieser Wunsch scheint sich nicht zu erfüllen. Im Krankenhaus muss ich zuerst einmal ewig warten bis sich ein Arzt zu mir bemüht. Alles erscheint mir so dilettantisch. Ich bin mir nicht sicher, ob meiner Frau und meinem Bruder hier kompetent geholfen werden kann. Weil mich das so aufregt, habe ich mich mit einer Krankenschwester angelegt. Es kann doch nicht sein, dass mir hier keiner etwas sagen kann? Leider sah die das ganze nicht so entspannt, darum muss ich jetzt schon eine gefühlte Ewigkeit am Gang warten. Es wird langsam hell. Ich stehe am Fenster und verstehe die Welt nicht mehr, als endlich ein Arzt auf mich zukommt.

„Mr. Stewart?“, meint er und lächelt freundlich.

Scheiße, ich kann nicht lächeln.

„Wie geht es ihnen?“, frage ich ungeduldig. „Kann ich rein?“

Er erklärt mir die schwerwiegenden Verletzungen, die sowohl Kendra als auch Peter haben. Ich glaube nicht alles zu verstehen, mir wird kurz flau. Sie liegen im Koma und die nächsten Stunden werden zeigen wie es weiter geht. In meinem Kopf dreht sich alles.

„Kann ich rein?“, wiederhole ich.

„Kurz. Wirklich nur kurz. Sie brauchen jetzt Ruhe damit sich die Funktionen im Körper wieder stabilisieren können.

„Ja. Sicher“, stammle ich und folge ihm.

Kendra liegt ganz ruhig da. Blass. Durchsichtig. Sie hat viele Schnitte im Gesicht und an den Armen. Es zerreißt mich sie so zu sehen. Verletzt. Hilflos. An einem Haufen Schläuchen hängend. Sie darf nicht leiden. Ich sehe sie an und fühle mich fürchterlich. Dann streiche ich noch über ihre Hand und gehe zu Peter. Sein Hals ist stabilisiert, einige Wirbel sind gebrochen. Man kann noch nicht sagen, wie sich das auf seine Motorik auswirkt. Man müsse abwarten, was die nächsten Tage bringen. Ich verlasse das Krankenhaus nur ungern, aber ich verstehe auch, dass ich nichts ändern kann und die beiden Ruhe brauchen. Voller wirrer Gedanken in meinem Kopf fahre ich zurück zum Castle. Warum war sie mit Peter unten an der Küste unterwegs? Ich verstehe das einfach nicht. Mein ganzer Körper fühlt sich taub und gefühllos an. Ich halte vor dem Castle und sehe auf die grauen Gemäuer die im dämmrigen Licht mystisch aussehen. Mein Kopf ist voll und gleichzeitig leer. Ich gehe in Haus und habe ganz vergessen, dass Holly wegen Vater hiergeblieben ist. Ich bleibe mit Abstand vor ihr stehen, sie ist in Vaters Sessel eingeschlafen. Sie sieht ganz friedlich aus, irgendwie beruhigt mich das gerade, keine Ahnung warum. Ich gehe näher und streiche sanft über ihre Schulter, als sie die Augen aufreißt. Sie sieht mich an, als stünde der Allmächtige vor ihr und springt fast panisch auf.

„Tavis…Entschuldigung…Ich bin wohl kurz eingenickt…“ Nach Luft schnappend weicht sie zurück, sinkt dann aber wieder in den Sessel. Dieses Spiel das sie treibt kann ich nicht aushalten. Es ist ein kindisches Benehmen, ich verstehe es nicht, schon gar nicht nach dieser Nacht. Zurückweichen, wegschauen, davonlaufen. Keine Ahnung was mit dieser Frau nicht stimmt.

„Danke, dass Sie hier waren“, sage ich darum bestimmt. Mir ist lieber, wenn Sie jetzt geht, sonst rege ich mich noch mehr auf. Jetzt sieht sie mich auf einmal an. Aber schon wieder mit einem vorwurfsvollen Beigeschmack. „Das ist doch selbstverständlich. Wie geht es Peter und ihrer Frau?“, fragt sie, was wie eine Pflichtfrage klingt.

„Nicht gut. Sie liegen beide im Koma“, entgegne ich trocken.

Ihr Blick verändert sich. „Oh mein Gott…Das ist ja fürchterlich…“, murmelt sie und steht auf.

„Kendra hat schwere innere Verletzungen. Peter ebenfalls, aber er hat zusätzlich noch ein paar gebrochene Wirbel.“

Wieder sieht sie mich an. Mitleidig vielleicht. „Wenn ich etwas tun kann“, sagt sie leise.

„Was sollten Sie denn schon tun können?“ Ich gehe zum Barwagen. Wenn sie nicht gleich geht, drehe ich durch. Ich kippe einen großen Schluck Whisky hinunter. Sie steht immer noch gleich da. Los geh schon…Ich verdrehe die Augen, aber so, dass sie es nicht sieht.

 

„Auch einen?“ Ich schenke mir noch ein Glas ein, sie schüttelt den Kopf.

„Und Sie sollten das besser auch lassen, Sie brauchen jetzt einen klaren Kopf.“

Oh Gott. Eine Bestimmerin. Ich hasse Frauen die immer alles kontrollieren wollen, vor allem das, was sie nichts angeht. Kein Wunder, dass sie Probleme mit ihrem Ehemann hat. Das kostet mich nur einen Lacher. Ich leere mein Glas. Sie dreht sich um und geht. Eingeschnappt wie mir scheint.

„Warum fährt meine Frau mitten in der Nacht mit meinem Bruder im Auto herum?“, rufe ich ihr nach. Sie bleibt stehen und dreht sich noch einmal um. Sie sieht mich zwar nachdenklich an, zuckt aber nur mit den Schultern.

„Ihr Frauen wisst doch immer auf alles eine Antwort. Was machen die beiden zusammen unten an der Küstenstraße?“, wiederhole ich vielleicht etwas zu laut.

Sie hebt ihr Kinn ungewohnt selbstbewusst an und verlässt ohne eine Antwort auf meine Frage das Haus.

„WARUM?“, sage ich laut zu mir selbst. „Warum…“ Dann kann ich nicht mehr. Ich sinke zusammen und habe das Gefühl alles bricht unter mir zusammen.