Der schottische Lord

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Kapitel 10

Heute sind ihre Hände warm. Warum und sanft. Sie streicht meine Arme hoch, bevor sie mit ihren feuchten Lippen beginnt meinen Hals zu küssen. Ihre Küsse gleiten brustabwärts. Ich atme stöhnend durch, als sie aufblickt, lächelt und ihren Mund an meinen führt.

Atemlos reißt es mich auf. Mein Herz klopft. Oh mein Gott…Ich lasse mich wieder zurückfallen und versuche ruhig zu atmen. Keine Ahnung wann ich zuletzt so einen Traum hatte. In meinem Unterleib zieht sich alles zusammen, in meiner Halsschlagader pumpt der Puls. Fuck. Ich hatte einfach zu lange keinen Sex mehr. Viel zu lange. Ein paar Längen schwimmen wird helfen um mich abzukühlen. Es ist zwar noch früh, aber das brauche ich jetzt. Ich gehe im Bademantel nach unten, mein Blick fällt im Vorbeigehen auf den Flügel. Wieder reagiert mein bestes Stück.

„Das darf doch nicht wahr sein, komm wieder runter Stewart…“, murmle ich für mich selbst und gehe nach draußen. Ich springe ins Wasser und tauche für ein paar Sekunden unter. Nach ein paar Längen fühle ich mich besser. Holly hat Recht, ich trinke zu viel, mein Kopf fühlt sich dumpf an und ich habe schon einmal besser ausgesehen. Holly hat Recht. Soweit bin ich also schon. Schmunzelnd schüttle ich den Kopf und gehe wieder nach oben unter die Dusche. Während ich das heiße Wasser über meine Schultern laufen lasse durchquert sie schon wieder meine Gedanken. Und dieser Traum. Warum zur Hölle träume ich von ihr? Ich schließe meine Augen. Sie hat wirklich schöne Hände. Sie hat auch schöne Augen. Gott…Ich greife nach unten, mein Schwanz scheint das genauso zu sehen. Ich öffne meine Augen wieder und schüttle den Kopf, dann drehe ich das Wasser auf kalt. „Ich hole mir jetzt sicher keine runter und denke dabei an die Krankenschwester meines Vaters…Sicher nicht“, murmle ich. Und wie sie lächelt, da ist ein klitzekleiner Spalt zwischen ihren Schneidezähnen… Ich hole Luft und atme leicht stöhnend durch, dann drehe ich das Wasser wieder auf warm. „Gut…Dann eben doch…Ich kann denken woran ich will wenn ich mir einen runterhole…“ Und wie es scheint, sind die Gedanken an sie bei diesem Vorhaben äußerst effektiv. Es dauert nicht lange und der Druck der mich seit dem Aufwachen begleitet, ist abgebaut. Ich stemme meine Hände an die kalte Duschwand und amte stoßweise durch, dann rolle ich meinen Kopf im Nacken und muss grinsen.

Irgendwie fühle ich mich komisch als ich nach unten gehe, fast als hätte ich etwas Verbotenes getan. Naja…Sie wird es nicht bemerken. Auf jeden Fall bin ich jetzt munter und gut gelaunt. Das Frühstück steht schon auf dem Tisch. Amanda bringt gerade Tee und den frischen Toast der herrlich duftet.

„Guten Morgen Sir“, sagt sie mit gesenktem Blick, was ich erwidere als Holly mit Vater in den Salon kommt. Ich stehe auf und lächle.

„Guten Morgen Vater. Guten Morgen Holly“, sage ich sehr freundlich, fast zu überschwänglich.

„Guten Morgen Lord Tavis“, sagt sie leise.

Mein Gott…Aus ihrem Mund klingt das so heiß…Ich muss kurz geflasht ans Duschen denken, bevor ich mich wieder zusammenreiße.

„Wir wollten doch beim DU bleiben?“, meine ich und reiche ihr das Körbchen mit den Toasts. Sie blickt verlegen auf und nickt dabei, was ich immer noch lächelnd erwidere.

„Ach Vater, Holly wird dir jetzt jeden Tag etwas am Klavier vorspielen“, werfe ich ein, während ich in der Zeitung blättere.

„Wie bitte?“, meint sie irritiert.

Ich sehe schmunzelnd auf. Es wäre zu schade, wenn sie ihr musikalisches Talent vergeudet. „Übung Holly. Es wäre schade, wenn du das Klavierspielen vernachlässigst. Musik ist die Melodie der Seele.“

Sie sieht mich immer noch irritiert an, zusätzlich zum verwirrten Blick zieht sie auch noch die Augenbrauen hoch. „Ach ja? Tja…Wenn das der Lord aushält.“

Mein Vater nickt euphorisch. „Ich liebe es, wenn man mir am Klavier vorspielt“, bestätigt er. „Tavis war immer ein sehr ehrgeiziger Klavierspieler, schon als kleiner Junge. Aber Peter, er wollte sich um jeden Preis vor den Stunden drücken.“

Ich atme durch. Peter ist komplett unmusikalisch, das hat sich bis heute nicht geändert, für ihn waren die Stunden eine Qual. Er war lieber draußen im Stall, auch das hat sich nicht geändert. Vater sieht sich nachdenklich um. „Wo ist Peter?“

Ich schaue zu Holly, weil ich schon wieder nicht weiß was ich tun soll und wie erhofft, nimmt sie mir die Antwort ab.

„Lord Peter ist schon aus dem Haus. Wichtige Termine.“ Sie greift nach der Teekanne und lächelt ihn an. „Noch Tee?“

Er nickt freundlich und fragt nicht weiter nach. Sie ist wirklich unglaublich. Mit Leichtigkeit schafft sie es meinen Vater in Schach zu halten und das beste daran, er mag sie. Er mag sie sogar sehr. Es war richtig sie zu fragen hier zu bleiben. Sowas von richtig. Ich lasse die beiden allein, auch wenn ich heute gerne noch länger am Frühstückstisch gesessen wäre. Meine Termine sind bis zum frühen Nachmittag straff geplant, ich habe sie extra so eingeteilt, dass ich danach noch die Felder abreiten kann. Ich will mir selbst ein Bild machen wie die Lage nach dem vielen Regen ist, sonst ist das ja Peters Arbeit. Er fehlt einfach überall und trotzdem bin ich immer noch wütend auf ihn. Was, wenn er wirklich ein Verhältnis mit meiner Frau hat? Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie sich auf ihn eingelassen hat. Er ist ein Womanizer. Vor ihm ist kein Rocksaum sicher und das weiß sie. Ich versuche nicht mehr daran zu denken, was kaum möglich ist. Meine Termine haben sich gezogen und ich bin mit meinen Gedanken immer ganz wo anders. Die frische Luft wird mir hoffentlich guttun und etwas Klarheit in meinen Schädel bringen. Holly sitzt mit Vater bei Tee und Keksen am Tisch. Sie ist blass heute und redet nicht viel. Ich schaue noch schnell ein paar Unterlagen durch, mein Blick bleibt immer wieder an ihr hängen. Was ist denn nur los mit mir? Sie arbeitet für mich und dafür bin ich dankbar. Außerdem ist sie gar nicht mein Typ, auch wenn das nichts zur Sache tut, denn sie ist durchaus sehr hübsch. Natürlich hübsch. Unaufgeregt und doch sexy.

„Auch Tee?“, fragt sie mich freundlich und reißt mich aus meinen Gedanken die sie zum Glück nicht kennt. Ich räuspere mich ein wenig.

„Nein Danke. Ich möchte ein paar Felder abreiten bevor das Wetter umschlägt“, lehne ich ab.

Gequält lächelnd nickt sie. Irgendetwas stimmt heute nicht mit ihr.

„Geht es dir nicht gut?“, frage ich nach.

„Was? Nein…Alles in Ordnung“, entgegnet sie. Meinem Vater kann sie vielleicht gut irgendwelche Geschichten auftischen, aber mir kann sie nichts vormachen. Doch ich habe keine Lust nachzubohren, wenn sie nichts sagen will, soll sie es eben lassen. Mir fehlt heute die Kraft für ihre Spielchen.

„Vergiss nicht Vater am Klavier vorzuspielen“, sage ich noch im Gehen. Ihre Begeisterung hält sich in Grenzen wie mir scheint.

Mein Pferd ist schon gesattelt, ich bin ewig nicht mehr geritten. Dabei liebe ich es. Es ist ein Gefühl von Freiheit, das mir Kraft gibt und Kraft brauche ich momentan mehr als alles andere. Die Felder sehen trotz des anhaltenden Regens sehr gut aus. Eine gute Ernte ist das Um und Auf für die Qualität unseres Whiskys. Ich bin auf jeden Fall zufrieden und weite meinen Ausritt etwas aus. Ein warmer Wind kommt auf, das Wetter wird bald umschlagen, dicke Wolken hängen hinter den sanften Hügeln. Zurück am Hof freue ich mich aufs Abendessen, die frische Luft hat mir ordentlich Appetit gemacht. Ich bin schon gespannt, was sich Eliza heute einfallen lassen hat. Es ist schön mit Holly und Vater am Tisch zu sitzen. Sie isst alles, keine Allüren und sie unterhält nicht nur Vater, sondern auch mich. Es ist nett mit ihr zu plaudern, ich freue mich richtig darauf, als ich ihr geblümtes Kleid aus der Ferne erkenne. Sie steht an der Koppel und reibt sich die Stirn. Keine Ahnung was sie hat. Hoffentlich gibt sie nicht weh oh, oder Vater hat sie verjagt, sie wäre nicht die erste bei der das passiert. Ich nähere mich und steige vom Pferd.

„Holly? Wo ist denn mein Vater?“, frage ich vorsichtig.

Sie sieht mich an, ihr Blick ist irgendwie wirr. „Drinnen. Eliza kümmert sich ein paar Minuten. Ich brauche ein bisschen frische Luft“, stammelt sie.

Sie ist kreidebleich und sieht unglaublich fertig aus. „Dir geht es nicht gut, das habe ich vorhin schon bemerkt. Kann ich etwas tun?“

Sie lächelt verkrampft. „Nein…Es geht gleich wieder. Danke. Ich gehe auch schon wieder hinein. Wir sehen uns dann nachher.“

Ich will noch etwas sagen, aber das geht nicht, weil sie mir einfach den Rücken zuwendet. Diese Frau…Ich verdrehe verwundert die Augen und stelle das Pferd ein. Im Flur schlüpfe ich aus meinen Stiefeln, als ich Elizas Stimme höre. Sie klopft an die Tür der Toilette und redet leise. Ich gehe hinein, Vater sitzt vor dem Schachbrett, Eliza steht immer noch vor der Toilette.

„Hallo Eliza.“

„Guten Abend Tavis.“

Ich sehe sie fragend an. „Was ist denn mit Holly?“, frage ich besorgt nach. Es klingt auf jeden Fall nicht gut. Sie übergibt sich wie es scheint. Eliza zuckt mit den Schultern. „Kopfschmerzen. Ich schätze ein Migräneanfall.“

„Ach so. Ja…“, murmle ich als sich die Tür öffnet. Sie sieht entsetzlich aus, doch sie versucht immer noch die Starke zu spielen.

„Danke Tante Eliza…Ich kümmere mich wieder um den Lord“, sagt sie sehr energisch, auch wenn sie sich dabei kurz am Türrahmen abstützen muss.

„Nein Holly, ich kümmere mich um meinen Vater. Ich bringe dir jetzt eine Schmerztablette, dann legst du dich hin“, ordne ich an.

„Keine Tablette!“, fährt sie mich an und greift sich dabei wieder an die Stirn. Dann sacken ihre Knie ein, sie kann sich gerade noch am Stiegengeländer festhalten. Mein Gott…Wie kann man nur so stur sein? Eliza eilt an ihre Seite und stützt sie. Jetzt ist es genug.

 

„Warte…Ich mache das schon“, schüttle ich den Kopf, hebe sie hoch und trage sie in ihr Zimmer. Sie ist schwerer als gedacht…Na ja…Sie hat schon etwas mehr auf den Rippen, aber ich lasse mir nichts anmerken, ich bin schließlich ein Mann. Und der Lord. Ich setze sie am Bett ab, als sie fast panisch meinen Blick sucht. Ich ziehe ihr die Strickjacke aus und lege ihre Beine ins Bett.

„Keine Tabletten…“, murmelt sie kraftlos.

„Dann hole ich jetzt Dr. Scott“, nicke ich und streiche sanft über ihre Schulter.

„Nein…Ich will mich einfach nur ein paar Minuten ausruhen…Dann geht es schon wieder.“ Während sie das sagt, verdreht sie angsteinflößend die Augen, ich hoffe sie wird nicht ohnmächtig. Doch da öffnet sie ihre Augen wieder, ich suche ihren Blick, sie kneift vor Schmerzen die Augen zusammen. Warum nimmt sie nicht einfach eine Tablette? Herrje…Ich stehe auf und ziehe den Vorhang ein Stück zu und gehe aus dem Zimmer.

„Warum ist deine Nichte eine so unglaublich sture Frau?“, frage ich Eliza kopfschüttelnd.

Sie zuckt nur mit den Schultern und nimmt Vater mit in die Küche. Es ist längst Essenszeit, heute also einmal Abendessen mit dem Personal für den Lord. Dr. Scott ist zufällig in der Nähe und kurze Zeit später auf dem Gut.

„Guten Abend Sir, geht es ihrem Vater nicht gut?“, fragt er besorgt nach während er eintritt.

„Nein…Dem geht es blendet. Ich habe Ihnen doch von Mrs. Barnes, seiner Krankenschwester erzählt. Sie hat ihn wirklich im Griff, aber leider geht es ihr nicht gut. Ich weiß nicht…Sie hat schlimme Kopfschmerzen und will keine Tablette…Was kann das bedeuten?“, frage ich besorgt nach.

„Ich sehe nach ihr“, lächelt er mich an. Ich weise ihm den Weg zu Hollys Zimmer und warte. Nachdenklich gehe ich im Flur auf und ab, als ich stehen bleibe und nach Luft schnappe. Schwanger. Vielleicht ist sie schwanger? Das würde passen. Ich kratze mich am Bart. Scheiße…Wenn sie schwanger ist und ihr Arschlochmann hat sie stehen gelassen…Nein…Ich will nicht, dass sie schwanger ist. Dr. Scott kommt wieder aus dem Zimmer und reißt mich aus meinen Gedanken.

„Ist sie schwanger?“, frage ich sehr direkt und sehe ihn dabei eindringlich an.

Scott sieht mich irritiert an. „Nein Sir…Es ist ein Migräneanfall. Keine Sorge, ich habe ihr eine Spritze gegeben, sie wird jetzt ein paar Stunden tief schlafen, danach sollte es ihr besser gehen.“

Ich nicke erleichtert. „Ok…Verstehe…Aber warum nimmt sie nicht einfach eine Tablette dagegen?“

„Sie ist sehr erschöpft, ich konnte mich nicht wirklich mit ihr unterhalten, vielleicht eine Allergie“, lächelt er verklemmt.

Natürlich. Arztgeheimnis. Aber es ist mir auch egal. Hauptsache es geht ihr bald besser.

„Ich habe morgen ohnehin einen Termin für die Blutabnahme ihres Vaters, dann sehe ich sehr gerne noch einmal nach Mrs. Barnes“, schlägt er vor.

„Ja, Danke. Kann ich noch etwas tun? Braucht sie etwas?“

Er schüttelt den Kopf und geht zur Tür. „Nein, wie gesagt, sie schläft jetzt erst einmal. Gute Nacht Lord Stewart.“

„Danke…Gute Nacht, Dr. Scott.“

Ich schließe die Tür hinter ihm und lehne mich kurz mit dem Rücken daran. Eigentlich wollte ich nach dem Essen noch ins Krankenhaus, doch jetzt habe ich weder Hunger, noch Lust dorthin zu fahren. Ich gehe nach unten, Vater scheint die Gesellschaft in der Küche heute sehr zu gefallen.

„Und?“ Eliza sieht mich besorgt an.

„Dr. Scott hat ihr eine Spritze gegeben, sie schläft jetzt“, nicke ich und lasse mich auf einen Stuhl fallen.

„Tut mir leid, wenn Holly das ganze Abendprogramm durcheinandergebracht hat“, stammelt sie.

„Ach was, ich habe mich wirklich über ihren Zustand erschrocken. In diesem Haus gibt es seit Jahrhunderten dasselbe Programm, dann war es heute eben einmal anders“, schüttle ich den Kopf. „Hauptsache es geht ihr bald besser. Vielleicht ist sie überfordert, oder sie hat zu wenig Freizeit?“

„Nein, das glaube ich nicht. Soll ich dir das Essen hochbringen?“, meint sie lächelnd.

„Ich habe keinen Appetit…War ein anstrengender Tag“, murmle ich.

Sie nickt seufzend. „Ich kümmere mich sehr gerne um den Lord.“

„Das mache ich schon. Wir spielen jetzt die Schachpartie zu Ende, nicht wahr Vater?“

Er sieht sich nachdenklich um. „Ja…Aber wo ist Lady Holly?“

Ich ziehe die Augenbrauen hoch. James schmunzelt ohne mich anzusehen. Lady Holly. Nun ist sie also schon eine Lady. Tja…So schnell kann das gehen.

„Sie braucht ein bisschen Ruhe“, entgegne ich selbst auch ein wenig amüsiert.

Nach dem Schachspiel, bei dem ich schon andauernd gähnen musste, war ich froh, dass Vater schnell eingeschlafen ist. Ich nehme das Babyfon aus der Ladestation und öffne die Tür zu Hollys Zimmer einen Spalt. Das Licht aus dem Flur fällt auf ihr Gesicht. Sie schläft tief und fest. Nach einer heißen Dusche und einem Anruf im Krankenhaus wo sich nichts verändert hat, falle ich ins Bett.

Der Degen erwischt mein Gesicht und gleitet ganz mühelos über meine Haut. Ich spüre nichts außer Wut, Hass und Rache. Ich atme ein und mit dem Ausatmen verliere ich meine Wahrnehmung. Alles tritt zurück. Da ist nur noch er. Ich bin wie von Sinnen, bis er zu Boden geht. Atemlos sehe ich auf ihn hinab. Das Blut tropft von meinem Kinn auf seinen Körper. Mir wird zuerst schwindelig, dann schlecht.

Panisch reißt es mich auf. Ich schnappe nach Luft und sehe mich irritiert um. Nach ein paar Momenten lasse ich mich wieder in mein Kissen sinken. Schon wieder dieser Traum. Seit zwanzig Jahren immer wieder dieser Traum. Mein Herz klopft. Ich sehe auf mein Handy, kurz nach elf. Mein Nacken tut weh. Ich bin so aufgewühlt, dass ich sowieso nicht schlafen kann, darum stehe ich auf um nach Holly zu sehen. Ich mache mir Sorgen um sie, der Himmel weiß warum. Leise öffne ich ihre Tür, ihre Decke ist zurückgeschlagen, aber von ihr keine Spur. Im Salon ist sie auch nicht, ich gehe zum Küchenabgang, unten brennt Licht. Ich gehe nach unten, wo sie im rosa Pyjama und flauschiger Strickjacke steht. Sie will sich wie es aussieht gerade Tee machen, als sie erschrocken zusammenzuckt, vermutlich weil ich plötzlich hinter ihr stehe.

„Entschuldige. Ich wollte dich nicht erschrecken“, lächle ich sie an und nehme ihr den Teekessel ab.

„Macht nichts“, murmelt sie. „Hab ich dich geweckt?“

Ich mache die Gasplatte an und schüttle den Kopf. „Nein, ich konnte nicht schlafen. Geht es dir besser?“

Sie lächelt, etwas verlegen wie mir scheint, aber unglaublich süß. Ihre Haare sind noch feucht und sehen ganz anders aus als sonst. Lockig würde ich sagen.

„Ja, Danke, dass du den Arzt gerufen hast. Mir ist das ziemlich unangenehm…“

„Nein, das muss es nicht. Ich habe mich ziemlich über deinen Zustand erschrocken, gut, wenn es dir jetzt wieder besser geht.“

„Sehr viel besser“, bestätigt sie, als sie wieder zusammenzuckt, weil der Teekessel zu pfeifen beginnt. Sie dreht sich zögerlich um und gießt den Tee auf. Ich bin immer noch geflasht von ihren Haaren, darum gehe ich ablenkend zum Kühlschrank und werfe einen Blick hinein. Das fehlende Abendessen lässt meinen Magen nun doch ein wenig rebellieren. Ich kratze mich am Kinn und drehe mich zu ihr. „Hunger?“

„Nein…“, lächelt sie.

Ich hole die Dose mit unserer selbstgemachten Wurst und noch so einige andere Leckereien aus dem Kühlschrank und stelle alles auf die Anrichte. An ihrem Tee nippend sieht sie mir zu. Ich setze mich auf den Hocker und öffne die Dose. Ein verführerischer Duft steigt auf.

„Das ist unsere selbstgemachte Trockenwurst aus Wildfleisch. Sicher nicht probieren?“, frage ich sie noch einmal.

Ich scheide ein Stück ab und reiche es ihr. Sie zuckt mit den Schultern, irgendwie ist das Schüchterne auch süß, selbst wenn mich ihre Spielchen etwas nerven. Es ist nervig, gleichzeitig aber auch heiß. Wie eine scheue Katze. Sie nimmt die Wurst und ich müsste mich sehr täuschen, wenn es ihr nicht schmeckt.

„Komm, setz dich zu mir“, fordere ich sie auf.

Zögerlich nimmt sie Platz, während ich alles aufschneide. Ich versuche ihre Zurückhaltung zu ignorieren, vielleicht hilft ja das um sie zum Auftauen zu bringen. Und es hilft tatsächlich wie es scheint.

„So hat das mein Dad früher immer gemacht. Man muss einfach zugreifen, wenn es so unglaublich einladend vor einem liegt“, meint sie und beginnt zu essen, was sich wie ein kleiner Sieg anfühlt.

„Danke noch einmal das du geblieben bist, wenn du nicht wärst, ich weiß nicht wie ich das mit Vater schaffen würde“, bedanke ich mich. Ich finde es ist an der Zeit, ihr das einmal zu sagen.

Sie senkt ihren Blick und atmet durch. „Hier werde ich gebraucht und darüber bin ich froh.“

Ich sehe sie nachdenklich an. Es würde mich schon interessieren was mit ihrem Ehemann los ist. „In England wirst du nicht gebraucht?“

„Nein…Nicht mehr…“, sagt sie leise ohne aufzusehen.

„Keiner der auf dich wartet?“

Sie schüttelt nur wortlos den Kopf. Meine Güte…Sie lässt sich auch wirklich alles aus der Nase ziehen, also versuche ich es anders.

„Eliza meint du hast dich in England um ein krankes Kind gekümmert? Wie es scheint kannst du ziemlich gut mit Menschen umgehen, mein Vater ist beste Beispiel dafür.“

Sie schließt kurz ihre Augen, wie es aussieht ist ihr meine Frage unangenehm. „Hat dir Eliza auch erzählt, dass ich das Kind umgebracht habe?“

Ich lege das Messer weg und sehe sie ungläubig an. „Rede keinen Unsinn Holly.“

Ich weiß, was es bedeutet einen Menschen umgebracht zu haben und ich glaube kaum, dass sie weiß wovon sie gerade spricht.

„Habe ich aber.“ Ihr Blick verändert sich, sie krallt ihre Finger in die Pyjamahose an ihren Oberschenkeln. Etwas Wahres muss an ihren Worten dran sein, sonst würde sie nicht so reagieren, auch wenn ich kaum glaube, dass sie jemanden getötet hat.

„Erzähl es mir“, sage ich darum leise.

Auf einmal ist sie wie ausgewechselt. Nach kurzem Zögern spricht sie. Sie erzählt von einem Kind, einem sehr kranken Kind um das sie sich gekümmert hat und mit jedem ihrer Worte spüre ich, wie sehr sie diesen Jungen liebte. Ihre Pflege war augenscheinlich aufopfernd. Sie ist aufgelöst und außer sich. Er war alles für sie, das merke ich schon nach ein paar Sätzen. Das bestätigt mir auch, dass sie ihn keinesfalls umgebracht hat. Selten war mir etwas so klar, ohne es wirklich zu wissen. Diese Frau kann gar niemandem etwas antun. Sie ist unbeschreiblich fürsorglich und liebevoll. Auch wenn ich bis jetzt kaum etwas von ihr weiß, ich kenne niemanden der so ist wie sie.

„Ich dachte er könnte wieder gesund werden, auch wenn das unmöglich war.“ Ihre Stimme wird immer leiser. „Es war am Tag vor seinem Geburtstag.“

„Was ist passiert?“, frage ich vorsichtig nach.

„Wir haben Kuchen gebacken“. Sie schließt ihre Augen, Tränen lösen sich. Ich weiß nicht was ich tun soll, ich möchte nicht das sie weint und doch glaube ich es ist gut, wenn sie spricht. „Er hat mir geholfen. Haselnuss-Karottenkuchen mit Zitronenglasur.“ Sie lächelt kurz, die Tränen tropfen auf ihre Hose.

„Das klingt doch hervorragend“, lächle ich auch.

„Ja…Hätte er nicht eine Nussallergie gehabt.“ Sie legt ihre Hände vors Gesicht und beginnt zu schluchzen. Überfordert ziehe ich sie weg und versuche ruhig zu bleiben.

„Nussallergie?“

„Ja. Die hat sich scheinbar durch seine Krankheit entwickelt haben mir die Ärzte erklärt. Es war nie die Rede von irgendwelchen Allergien, auch seine Eltern wussten nichts davon…Sonst hätte ich das doch nicht gemacht…“ Sie schnappt nach Luft. „Wir waren allein zu Hause. Theos Mutter war einkaufen für die Party am nächsten Tag. Wir hatten so viel Spaß. So viel Spaß…“ Wieder schließt sie kurz ihre Augen, bevor sie weiterspricht. „Dann wurde er auf einmal ganz still. Vielleicht habe ich zu spät reagiert…Ich weiß nicht…“ Sie sieht mich kopfschüttelnd an. „Er lief ganz blau an und bekam keine Luft mehr. Ich war komplett panisch und versuchte alles richtig zu machen. Ich griff in die Küchenlade und holte ein kleines spitzes Messer heraus und führte einen Luftröhrenschnitt durch. Ganz ohne nachzudenken habe ich den Schnitt gesetzt. Einfach so. Dann bekam er zwar wieder so lange Luft, dass ich den Notarzt rufen konnte, aber ich hätte das nicht tun dürfen. Ich bin nur Krankenschwester, keine Ärztin. Ich habe meine Kompetenzen überschritten.“

 

Ich kann nicht fassen was sie erzählt. Ich kann diese Frau einfach nicht fassen. Es ist unglaublich. Ich kenne niemanden der so ist wie sie. Absolut niemanden. „Einen Luftröhrenschnitt?“, frage ich ungläubig nach.

Sie nickt. „Ich habe das sooft im Krankenhaus gesehen. Ich wusste nicht was ich sonst machen hätte sollen, er bekam doch keine Luft mehr.“

Jetzt ist der Moment in dem ich tausend prozentig weiß, dass sie die einzig richtige Wahl für die Pflege meines Vaters war. Jetzt ist der Moment in dem ich sie einfach gerne in den Arm nehmen würde, doch das würde zu weit gehen, darum greife ich nur nach ihrer Hand. „Du hast ihn nicht umgebracht, du hast ihm das Leben gerettet.“

„Er hat es aber trotzdem nicht geschafft“, flüstert sie tränenerstickt.

„Du hast alles richtig gemacht Holly. Es gibt keinen Grund dir dafür Vorwürfe zu machen. Macht dir deswegen jemand Vorwürfe?“

„Nein…“, stammelt sie. „Aber ich habe dieses Kind geliebt Tavis. Er hätte noch leben können.“

Ich amte durch. Geliebt. Sobald Liebe im Spiel ist, tut es weh. Immer.

„Die Liebe tut weh Holly. Immer. Wenn du liebst, ist das mit Schmerzen verbuchen.“

Sie sieht mich ungläubig durch ihre verweinten Augen an.

„Dein Mann, du bist doch verheiratet? Warum bist du hier? Weil er dir wehgetan hat, oder?“

Sie senkt ihren Blick und nickt zaghaft.

„Siehst du. Meine Frau. Schwanger von einem anderen Mann. Der Junge, gestorben – ohne Vorwarnung. Meine Mutter hat meinen Vater verlassen als er sie am meisten brauchte. Er hat es nie überwunden. Die Liebe ist ein Zustand.“ Ich meine sehr ernst was ich sage.

„Liebst du deine Frau denn nicht?“, fragt sie nach.

Seufzend atme ich durch. Liebe ich meine Frau? Mit so einer direkten Frage habe ich nicht gerechnet und ich bin mir auch nicht sicher ob ich sie beantworten kann wie sie es hören will.

„Kendra war meine erste richtige Freundin. Sie war das schönste Mädchen weit und breit und es war unbeschreiblich sie zu erobern. Dann studierte ich in den USA und vergaß sie für einige Zeit. Ich habe wirklich alles Mögliche ausprobiert und wurde mit nichts und niemandem glücklich. Es war eine schlimme Zeit. Als ich zurück kam wusste ich, sie ist die Frau die ich heiraten muss um Ruhe zu finden. Ich hege eine tiefe Verbundenheit zu Kendra, aber sie ist hier nicht glücklich und ich habe die Ruhe die ich gesucht habe bis heute nicht gefunden.“

Während ich noch spreche wird mir klar, dass ich Dinge sage, die sie nichts angehen und von denen ich nicht will, dass sie sie weiß.

„Ich weiß, dass es die wahre Liebe gibt. Ganz bestimmt“, meint sie und stopft sich unerwartet ein Stück Wurst in den Mund. Ihr hat das Gespräch wie es scheint geholfen. Sie sieht auf. „Aus dieser schlimmen Zeit hat du deine Narbe?“

Gut. Das geht sie jetzt wirklich nichts an. Absolut nichts. Ich will nicht, dass sie mich so musternd ansieht, darum wende ich mich ab.

„Darüber möchte ich nicht sprechen. Du würdest es nicht verstehen“, sage ich kühl.

Sie sieht mich komisch an, darum stelle ich eine Frage, um von mir abzulenken.

„Was war dann?“

„Wann?“, fragt sie nach.

„Nachdem das Kind gestorben ist.“

Sie zuckt mit den Schultern. „Alles ist zusammengebrochen. Meine Arbeit. Meine Ehe. Mein Leben. Nichts war mehr wie zuvor. Ich bin in ein tiefes Loch gefallen und komme da nicht wieder heraus.“

Langsam verstehe ich. Dieses tiefe Loch kenne ich nur zu gut. „Darum kein Alkohol und keine Tabletten?“

Sie nickt. „Vor allem Tabletten. Ich habe es erst an einem Punkt gecheckt an dem es fast zu spät war. So tief will ich niemals wieder fallen.“

Ich sehe sie an und will nicht mehr nachfragen. Sie hat viel durchgemacht, das spüre ich. Es wird eine andere Gelegenheit geben darüber zu reden. Für heute habe ich sie genug ausgefragt. Während ich sie so ansehe, habe ich plötzlich ein Bild vor Augen. Auf einmal fällt mir wieder ein, wie sie früher bei James auf Besuch war. Ich muss lächeln.

„Was?“, meint sie und sieht mich fragend an, vermutlich weil ich so grinse.

„Ich erinnere mich an ein Mädchen mit dunklen Locken und einem rotweiß gepunkteten Kleid. Ach ja, und weiße Turnschuhe.“

Jetzt lächelt sie auch. Sei schüttelt belustigt den Kopf. „Wie kommst du denn darauf?“

„Drüben bei Eliza und James, du hast vor dem Haus auf der Bank gesessen“, fällt mir ein.

„Echt? Das ist dir gerade eingefallen?“

„Ja, es sind die Haare.“ Inzwischen sind sie trocken geworden und sehen hammermäßig aus. Dichte dunkle Locken die glänzend über ihre Schultern fallen. Es steht ihr unglaublich gut, selbst im Pyjama und mit verheulten Augen sieht sie umwerfend aus. „Warum lässt du sie nicht so wie sie sind?“

Sie streicht sich mit der Hand durch die Locken. „Sieht glatt besser aus“, stellt sie fest.

Das kann ich absolut nicht teilen, denn ich finde sie sollte sie nie wieder glatt machen. Ich schüttle den Kopf. „Nein. So ist es besser. Viel besser.“

Ihre Wangen röten sich ein bisschen, aber sie lächelt. Zum Glück. Auch das steht ihr viel besser als die Tränen von vorhin. Ich könnte noch ewig mit ihr reden und es gibt so vieles, dass ich über sie wissen will, doch es ist spät und sie sollte sich ausruhen nach ihrer Kopfschmerzattacke. Darum beginne ich aufzuräumen. Holly blickt seufzend aus dem Fenster. „Wann hört das endlich auf?“ Es regnet schon wieder.

„In ein-, zwei Wochen sollte es besser werden. Komm gehen wir schlafen. Es ist verboten spät.“

Sie nickt und geht nach oben, ich folge ihr, dabei komme ich mir wie ein Trottel vor, weil ich auf ihren Hintern starre. Ich verdrehe für mich selbst die Augen und folge ihr wortlos. Vor der Treppe zum Obergeschoss bleibt sie stehen.

„Gute Nacht Tavis. Danke fürs Zuhören und für alles andere auch.“

Ich nicke und sehe sie dabei an. Für alles andere auch? Wofür denn? Und schon wieder durchqueren mich Gedanken, die nicht hierhergehören. Ich will sie anfassen. Jetzt. Überall. Ich will noch viel mehr als das. Genau das will ich tun. Ich nähere mich ihr langsam und bleibe eine Handbreite entfernt vor ihr stehen. Eigentlich rechne ich damit, dass sie zurückweicht, doch sie sieht mich nur an. Es ist, als würde kurz die Zeit stehen bleiben. Wie von selbst hebe ich meine Hand und streiche durch eine Lockensträhne, die in ihr Gesicht ragt. Ich fahre mit meinem Zeigefinger ihren Wangenknochen entlang, mein Herz klopft schneller, ich halte die Luft an. Sanft ziehe ich ihr Kinn an mein Gesicht und küsse sie. Das passiert ganz von selbst. Ja…Ich küsse sie, dabei zieht sich alles wohlig in mir zusammen und das Beste, sie wehrt sich nicht. Plötzlich beginne ich zu denken. Fuck. Was mache ich hier eigentlich? Auch wenn ich weitermachen will, mein Verstand hält mich davon ab. Ich löse mich von ihr. So geht das nicht Stewart. Langsam öffnet sie ihre geschlossenen Augen.

„Gute Nacht Holly“, hauche ich leise, mehr bringe ich nach diesem ungemessenen Ausbruch nicht heraus. Ich gehe ohne noch einmal zurück zu sehen nach oben und schließe schnell die Tür hinter mir.

„Was machst du? Scheiße was machst du?“, sage ich mir selbst und kneife die Augen zusammen. „Das kannst du nicht machen…“

Ich lasse mich ins Bett fallen und atme durch. Sie ist toll…Und sie schmeckt himmlisch…Süß…Ja…Diese weichen heißen Lippen…Ich schließe meine Augen. Gott…Sie schmeckt…Nach mehr…