REBELLION DER GEFÜHLE

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Lopez lachte. „Woher kann der Täter die Cholinesterase-Hemmer bekommen haben?“

„Diese Medikamente werden unter anderem zur Behandlung von Alzheimer Patienten genommen. Eine Überdosierung hat wie bei sehr vielen pharmazeutischen Produkten eine verheerende Wirkung.“

Lopez grübelte. Der Täter musste jemanden kennen, der diese Medikamente einnahm oder legal oder illegal verkaufte. Er und sein Opfer mussten längeren Kontakt zueinander gehabt haben. Lopez schaute sich das Zeitaktivitätsprotokoll an. Leider hatte dieses Modell keine GPS-Fähigkeit und damit keine Routenvisualisierung. Aber das wäre auch zu einfach gewesen, dachte er sich. Die Aktivität startete gegen zehn Uhr morgens. Am frühen Nachmittag wurde eine kurze zehnminütige Pause angezeigt. Danach fuhr Dreschke bis neunzehn Uhr weiter, und es erfolgte eine lange Unterbrechung über drei Stunden. Einer erneuten Aktivität von fünf Minuten folgte die nächste erst nach einer viertel Stunde. Und diese betrug wieder lediglich fünf Minuten. Danach wurde nichts mehr aufgezeichnet. Lopez war sich sicher, dass Dreschke seinen Mörder in einem Restaurant kennengelernt haben musste. Dreschke hätte normal noch zwei Stunden mit dem Fahrrad zurück nach Palma fahren müssen, und das hätte er im Dunkeln nicht erst um zehn Uhr abends gemacht. Jemand hatte ihm vielleicht vorgeschlagen, ihn mit zurückzunehmen. Die kurze Aktivität danach dürfte zum Beispiel auf das Heraufladen seines Fahrrads auf das Auto des Mörders zurückzuführen sein. Nach zehn Minuten Fahrt war der Brunnen erreicht. Sie setzten sich nach dem groben Freimachen auf den Rand, und der Täter ermordete Dreschke nach erwähntem Ritual. Er lehnte das Fahrrad nach dem Tod an die Sträucher der Mauer, so dass es wie ein Selbstmord aussehen sollte. Lopez positionierte den Brunnen auf seiner Karte und berechnete den innerhalb von zehn Minuten mit dem PKW zu erreichenden Umkreis. Dabei gab es nur einen Ort, der überhaupt in Frage kam. Ses Covetes war der Name des kleinen Dorfs. Hier gab es nur eine Tapas Bar, die bei Radfahrern besonders beliebt war. Lopez beschloss direkt morgen zur Öffnungszeit vor der Türe zu stehen. Sein Ziel war es, den Tatvorhergang bildlich nachvollziehen. Zuvor jedoch musste er noch früh Kontakt zum Hotel Esperanza aufnehmen, um zumindest einige Informationen über das Opfer herauszufinden. Trotz fortgeschrittener Stunde rief er die Spurensicherung an und bat sie erneut am folgenden Tag nach eventuellen Reifenspuren eines PKWs oder Kleinlasters zu suchen, mit dem Dreschke zum Tatort gebracht worden sein musste. Was für ein Tag dachte sich Lopez, während er sich einen Zigarillo der teureren Sorte anzündete und ermattet, aber zufrieden nach Hause fuhr.

TAG DREI

Kurz nach sieben betrat der Kommissar das kleine Hotel. Eine ältere Dame an der fast kitschig anmutenden Rezeption erwies sich als die Eigentümerin.

„Buenos días. Mein Kollege hatte Sie bereits gestern darüber informiert, dass Ihr Gast namens Dreschke seinen Aufenthalt in Ihrem Haus nicht mehr fortsetzen wird, da etwas Schreckliches passiert ist. Um Sie nicht durch nähere Angaben zu beeinflussen, habe ich ein paar Fragen an Sie. Dreschke war, wie wir erfahren haben, jedes Jahr mehrfach Gast in Ihrem Haus. Welche spontanen Erinnerungen haben Sie an ihn?“

Die Dame überlegte kurz.

„Er war ein sehr gesundheitsbewusster Mann. Jeden Morgen bestand sein Frühstück nur aus Haferflocken mit Obst und anschließend zwei gekochten Eiern. Er aß keine Wurst, keinen Käse. Lediglich noch Joghurt und diverse frisch gepresste Säfte. Er hat nie geraucht und auch so gut wie keinen Alkohol getrunken.“

„Hatte er Freunde, oder fuhr er immer allein?“

„Wir haben uns ab und zu im Frühstücksraum unterhalten. Dort erzählte er mir jeden Morgen von seinen geplanten Touren, die er nicht wie viele in Gruppen durchführte, sondern fast immer allein. Ganz selten buchte er eine mit anderen Bikern. Gestern allerdings wollte er wieder, wie bei jedem seiner Aufenthalte auf unserer Insel nach Ses Covetes in sein Stammlokal. Dort gibt es wohl eine gute klassische mallorquinische Küche.“

„Hervorragend“, dachte sich Lopez. Es musste sich genau um das Lokal handeln, zu dem er demnächst fahren wollte. Seine Berechnungen mussten also stimmen.

„Seine Welt war das Radfahren auf Mallorca. Was ist mit Dreschke passiert?“

„Das wird Ihnen später ein Kollege mitteilen. Bitte kommen Sie heute Nachmittag in das Polizeipräsidium. Dort wird man Ihnen die eben gestellten Fragen noch einmal stellen und Ihre Antworten schriftlich für mich festhalten. Vielen Dank für Ihre Hilfe.“

Die Bar in Ses Covetes öffnete bereits um neun Uhr. Viele Einheimische tranken, bevor sie zur Arbeit gingen, schnell einen Cortado, also einen Espresso mit wenig Milch. Lopez bestellte zunächst einen Café solo, einen Espresso ohne Milch und eine Ensaïmada, ein typisch mallorquinisches, schneckenförmiges Schmalzgebäck mit Puderzucker. Die Bedienung stellte ihm beides wortlos auf den frisch abgewischten Plastiktisch. Als sie zur Küche laufen wollte, rief Lopez sie zurück.

„Kommissariat Palma, Lopez mein Name. Ich habe ein paar Fragen an Sie und bitte Sie, sich kurz ein wenig Zeit dafür zu nehmen.“

Irritiert und sichtlich aufgeregt setzte sich die Dame an den Tisch.

„Geht es um die illegal vermietete Ferienwohnung dort hinten am Berg?“

„Nein, das ist auch nicht mein Bereich. Es geht um Mord.“

„Aber unsere Speisen oder Getränke sind hoffentlich nicht schuld daran. Ich bin die Eigentümerin der Bar und das wäre für uns fatal.“

Lopez beruhigte sie.

„Nein, es geht um zwei Gäste, die gestern Abend bei Ihnen gewesen sein dürften. Einer davon ist ein Deutscher. Michael Dreschke sein Name, aber das dürfte Ihnen wenig sagen. Von der zweiten Person haben wir keinerlei Anhaltspunkte. Er kann deutscher Staatsangehörigkeit gewesen sein, Engländer, Schwede, Mallorquiner, wir wissen es nicht. Dreschke ist passionierter Radfahrer, so wie viele, die bei Ihnen in der Bar einen Stopp machen. Auffällig könnte für Sie gewesen sein, dass er strohblonde Haare haben muss.“

„Ah, si, si. Er ist jedes Jahr sehr oft auf der Insel, kommt auch jedes Mal zu uns und isst eine große Portion Arros brut mallorquin, den besten heißen Reiseintopf auf Mallorca. Dieser wird in einem Tontopf mit Fleisch, Wurst, Gemüse, Kräutern und Pilzen aus den Zutaten von der Finca meines Onkels zubereitet. Danach isst er immer zwei Stücke unseres Gató de almendra, unserem köstlichen Mandelkuchen, hergestellt nach dem Rezept meiner Großmutter. Normalerweise trinkt er keinen Alkohol dazu, da er noch zweieinhalb Stunden mit dem Fahrrad zurück nach Palma fahren muss. Dieses Mal allerdings hat er bestimmt zwei Gläser Wein und Bier getrunken. So etwas fällt einem dann schon auf. Er hat sich ausgiebig mit einem Mann unterhalten, der ohne Zweifel Mallorquiner war. Auch das war auffällig, da er normalerweise immer nur allein hier ist.“

„Wie sah er aus? Können Sie ihn bitte genau beschreiben?“

„Also ehrlich gesagt achte ich eher auf die Touristen. Die Mallorquiner sind mir bekannt.“

Ihre Mundwinkel schienen ein Lachen anzudeuten.

„Er war so einen Meter siebzig groß, dunkelhaarig, keine Locken, sondern normal geschnittenes Haar.“

„Wie alt war er ungefähr?“

„Ich schätze ihn so um die fünfzig Jahre. Aber was auffällig war, waren beim Bezahlen seine Hände. Für einen mittelalten Mann hatte er sehr abgenutzte Hände. Seine Finger waren auch recht dick. Fast so ähnlich wie die meines Onkels der viel auf dem Land gearbeitet hat. Er nahm noch eine Flasche Wasser mit auf den Weg, da er wohl meinte dadurch seinen Alkoholspiegel senken zu können.“

Lopez hatte zunächst nicht mit so vielen Informationen gerechnet und ließ seine Freude erkennen, indem er der Dame auf die Schulter klopfte. Diese allerdings rückte direkt mit ihrem wackelnden Holzstuhl einen halben Meter weiter nach rechts von ihm.

„Konnten Sie sehen, ob sie zusammen gegangen sind und ob sie beide mit dem Fahrrad da waren?“

„Michael kommt immer damit. Da er aber nicht mehr fahrtüchtig war, und den Weg nach Palma zurück meines Erachtens nach auch nicht mehr gefunden hätte, hat ihn der Bekannte mit seinem Auto mitgenommen. Sie haben das Fahrrad in einen Kleintransporter gelegt und sind weggefahren.“

„Was für ein Kleintransporter und was für eine Farbe hatte er, und welches Kennzeichen?“

Lopez wurde nervös.

„Señor Lopez, es war dunkel und ich hatte auch noch zu arbeiten. Vergessen Sie das bitte nicht. Die Farbe muss dunkel gewesen sein, auf keinen Fall hell. Er war von der Größe her so ähnlich wie der, der dort auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht.“

Lopez drehte sich um und sah einen circa zehn Jahre alten VW Transporter, und zwar den der kleinsten Kategorie.

„Ich gehe davon aus, dass Sie das Kennzeichen auch nicht lesen konnten.“

„Nein. Ich musste wie erwähnt arbeiten.“

Er merkte den langsam unfreundlicher werdenden Tonfall der Dame.

„La cuenta por favor, die Rechnung bitte und vielen Dank für Ihre ausführlichen Informationen.“

Die Bedienung lief Richtung Küche, kehrte aber plötzlich abrupt wieder um.

„Wer ist eigentlich tot?“

„Dreschke. Den werden Sie hier nie mehr sehen. Ich bitte Sie heute Nachmittag bei meinen Kollegen im Präsidium erneut auszusagen, damit wir Ihre wertvollen Angaben im Protokoll schriftlich festhalten können.“

Lopez legte seine Visitenkarte und zwanzig Euro als Dank für alles auf den Tisch und beschloss erneut direkt zum Tatort zu fahren, um die Ergebnisse der erweiterten Untersuchung der Spurensicherung zu verfolgen. Er fuhr den staubigen Weg, der sich zwischen den Feldern entlang zog, und stellte sich parallel vor, wie Dreschke, alkoholisiert neben seinem Mörder sitzend im VW Bus hin- und hergeschaukelt wurde. Was hat sein Mörder ihm wohl auf dem Weg zum Brunnen erzählt? Das Märchen einer Prinzessin, die im Brunnen liegt und aufersteht, wenn er hineinschaut? Auf jeden Fall muss es überzeugend gewesen sein. Lopez wurde bereits dreihundert Meter vor dem Tatort von einem Kollegen abgefangen, um keine weiteren Spuren zu zerstören.

 

„Hola Rafael, es ist erstaunlich. Der Mörder muss aller Voraussicht nach mit einem Kleintransporter bis circa einhundert Meter vor den Brunnen gefahren sein. Die Spuren des Wagens waren so perfekt überarbeitet, dass wir sie wirklich nur durch Zufall finden konnten, da nach der Tat bereits diverse Wagen, unter anderem Ihrer und unserer darübergefahren sind. Er muss die Spuren bei der Rückfahrt immer in aufeinanderfolgenden Abständen bearbeitet haben. Zunächst hat er mit einem mitgebrachten Rechen den Weg gekehrt. Dann hat er diesen mit ebenfalls mitgebrachten Steinen, Pflanzen und Zweigen unregelmäßig bestreut. Geschickt gemacht, aber nicht so pedantisch, dass wir nicht noch einige Dinge entnehmen konnten. Es handelte sich wie erwähnt um einen Kleintransporter, dessen Reifenabdrücke wir selbstverständlich genommen haben.“

Lopez war klar, dass der Begleiter im Lokal sein Mörder war. Der Hinweis, dass es sich um einen Kleintransporter handelte, stimmte mit der Angabe der Eigentümerin des Lokals überein. Was aber war, wenn der Mörder seine Reifen sofort entsorgt hatte? Lopez wusste, dass der Mörder dafür sorgen würde, dass auch weitere Spuren auf Sitzen oder im Kofferraum vernichtet würden. Es war bereits mittags und er musste zunächst seinen Bericht mit den Neuigkeiten eingeben.

Lopez fuhr eine halbe Stunde nur an Feldern vorbei. Ganz selten sah er in der Ferne eine Finca. Er genoss diese Strecke, da er die Natur liebte. Erst ab S´Arenal hatte ihn die Zivilisation wieder, und die Straßen bis Palma waren stark befahren. Am Polizeipräsidium angekommen, setzte sich Lopez sofort an sein Notebook und tippte die einzelnen Details seines Besuchs in der Bar in Ses Covetes ein. Beim Eingeben der Täterbeschreibung schrie er auf einmal laut „ich Idiot“ in den Raum. Eine Assistentin klopfte an die Türe und öffnete sie.

„Ist alles in Ordnung? Habe ich gerade den Ruf „Ich Idiot“ vernommen, oder war das der Kollege der Spurensicherung, der die Reifenspuren vielleicht direkt beim ersten Mal hätte entdecken sollen?“ Sie konnte sich das Lachen nicht verkneifen, prustete laut in den Flur, in dem gerade Kollege Antonio Díaz vorbeilief.

„Hola Rafael. Was ist denn mit unserer Assistentin los?“

„Die Tatsache, dass ich in meinem Zimmer „Ich Idiot“ gerufen habe, hat sie wohl übermotiviert und gefreut.“

„Warum haben Sie sich so genannt?“

„Machen Sie bitte die Türe zu Antonio. Ich erkläre es Ihnen.“

Díaz setzte sich auf einen mit mallorquinischem Stoff bezogenen Holzstuhl, der direkt unter der Wanduhr stand.

„Ich gebe gerade die neuen Informationen über den Brunnenmörder ein. Beim Eintippen der Merkmale „Abgenutzte Hände und dicke Finger“ schoss mir plötzlich die Tatsache in den Kopf, dass diese, wie Sie wissen, auch der Mörder von Kapitän Sturm hatte. Auch von ihm konnten aufgrund derselben Merkmale keine Fingerabdrücke genommen werden. Dieses würde auch die Tatsache bestärken, dass er keine Handschuhe beim Mord angehabt haben dürfte.“

„Das heißt es ist ein Mörder“ riefen beide zusammen in erkennbarem Ton in den Raum hinein.

Erneut ging die Türe auf und Assistentin Esmeralda stellte sich beide Arme in die Hüften gestützt, fragend in den Raum hinein.

„Ist das hier die Generalprobe für ein neues Theaterstück?“ Sie verließ erneut laut lachend das Zimmer.

Lopez und Díaz guckten sich an und klatschten mit ihren Handflächen ein lautes Give me five.

„So macht Arbeiten Spaß Antonio.“

Lopez ging wie so oft, zu seinem Fenster und schaute auf die belebte Straße. Er umfasste wieder den Fenstergriff, da er sich einbildete, dass er in dieser Position schon oft gute Ideen erzeugen konnte. Den Rücken seinem Kollegen zugewandt, sprach er laut gegen das gekippte Fenster.

„Die Mordmethode war unterschiedlich, aber auch wieder ähnlich. Mit einer Eisenstange erschlagen und mit einem Anker am Meeresboden fixiert. Das andere Opfer mit einer Glasflasche erschlagen und zusätzlich mit einem Giftmix ermordet. Hinzu kam, dass dem ersten Opfer die Zunge abgeschnitten und dem zweiten der rechte Fuß abgehackt wurde. Sollte es sich eventuell um einen Serienmörder handeln, oder war es reiner Zufall? Beide Opfer hatten tendenzmäßig etwas mit Umwelt zu tun. Der Kapitän durch die Zerstörung der Seegraswiesen und deren Ökosystem, sowie der Radfahrer, der laut Kommissar Voigt in Freiberg auch kein Umweltfreund zu sein schien. Handelte es sich bei dem Mörder wie bereits beim ersten Mord vermutet, um einen radikalen Umweltschützer? Beide Tatorte waren außergewöhnlich. Woher hatte der Mörder die abgenutzten Finger? Handwerker, Bauern waren nur zwei der Berufsgruppen, die mir spontan einfallen würden.“

Lopez konnte nicht mehr denken.

„Rafael, sie müssen eine Fahndung rausgeben, auch wenn noch nicht sehr viele Merkmale des Mörders vorliegen. Aber allein die abgenutzten Fingerkuppen und die auffällig dicken Finger sind Merkmale, die nicht jeder Mensch hat. Alle bisher erarbeiteten Merkmale sind Standard und treffen auf viele Personen zu.“

Lopez war müde und wusste, dass seine Kreativität nachließ. Seine Frau hatte heute außerdem Geburtstag und er hatte ihnen einen Tisch in einem sehr guten Restaurant mit typisch mallorquinischem Essen hinter Palma Richtung Portals Nous reserviert.

„Antonio, Sie werden mich in den nächsten Tagen weiter begleiten. Sollte es sich um einen Serienmörder handeln, reicht meine alleinige Kraft nicht mehr aus.“

Díaz überlegte kurz.

„Im Delegieren waren Sie immer schon ohne Konkurrenz. Ich helfe Ihnen gerne, auch wenn ich eigentlich abseits dieses Falls genug zu tun hätte.“

Spontan umarmte Lopez seinen Kollegen. Erneut ging die Türe auf und Esmeralda trat sichtlich irritiert herein.

„Happy End des Theaterstücks? Wie kitschig.“ Sie murmelte etwas vor sich hin und knallte die Türe zu.

„Antonio, bitte kümmern Sie sich um das Erstellen der Fahndungsblätter mit unseren Fachabteilungen.“

Díaz lachte. „Wie bereits erwähnt, Delegieren war schon immer Ihre Stärke.“

Lopez liebte die mallorquinische Küche. Das Geburtstagskind und er fuhren gegen neun Uhr abends Richtung Restaurant. Das Lokal war traumhaft auf einem Felsvorsprung gelegen. Die Tische standen direkt an den Rändern der Klippen, sodass den Gästen bei Wind die Salzluft mild in das Gesicht wehte. Beeindruckend war der Blick bis zum Horizont und das glasklar spiegelnde Wasser. Oft ankerten direkt vor dem Lokal riesige Yachten, von denen auch viele Eigentümer im Restaurant den Champagner fließen ließen. Lopez schaute sich um, ob eventuell einer der vielen Prominenten, die auf Mallorca fest oder zeitweise wohnten, anwesend sein könnte, aber unter den bisher Anwesenden konnte er keinen erkennen. Die beiden Tische vor und hinter ihnen waren allerdings noch unbesetzt.

„Ich nehme, wie immer, wenn ich hier bin, den Hummersalat mit exotischen Früchten und Wildseehecht mit Reis.“

„Das wusste ich. Wenn man sich lange kennt, weiß man schon im Voraus, was der Partner nimmt.“

Lopez bestellte Wolfsbarsch aus dem Ofen und Octopus Carpaccio. Als sie mit dem angeblich besten Cava der Insel auf ihren Geburtstag anstießen, kam eine Gruppe von vier Personen auf die Terrasse, und setzte sich hinter die Ehefrau von Lopez.

„Da sitze ich ja genau richtig. Ich wusste, dass wir noch irgendeinem Promi oder auch Pseudo-Promi begegnen würden. Dreh Dich bitte nicht um, aber der Tisch hinter Dir ist gerade durch bekannte Größen der Investor Mafia besetzt worden. Den einen Mann kenne ich aus diversen Zeitungen. Er ist vom Image her nicht gerade positiv besetzt. Die Botox-Barbie neben ihm ist seine Frau. Bei dem anderen Ehepaar handelt es sich entweder um Kunden oder um Kollegen.“

„Wieso Investor Mafia?“

„Man nennt das Ganze „Gentrifizierung“. Wie Du weißt, werden doch viele unserer alten Geschichtsträchtigen Stadtteile durch deren Sanierung oder Umbau so teuer, dass mallorquinische Familien nicht mehr dort wohnen können. Die Investoren kaufen die oft zerfallenen Gebäude für sehr wenig Geld und bauen sie zu Luxusimmobilien um. Selbst in früher ärmeren Stadtteilen wohnen zeitweise danach plötzlich nur noch wohlhabende, meist ausländische Käufer. Eine kranke Entwicklung, die auch ich nicht unterstützen kann.“

Lopez schaute, was sein „Freund“, der Investor, bestellt hatte. Er hatte als Hauptspeise zu seinem teuren mallorquinischen Rotwein „Caracoles“, ein typisches Schneckengericht, das es normalerweise nicht auf der Karte des Restaurants gab. Für den besonderen Gast und seine Frau, deren Bestellung sogar von der auf der Insel für ihre Kochkunst bekannten Köchin serviert wurde, aber schon. Lopez hätte nie geahnt, dass dieses Restaurant solche großen Portionen zubereiten konnte. Ihm war bewusst, dass dieser Mann hier und in diversen anderen lukullischen Lokalitäten der Insel mit Sicherheit einen Sonderstatus hatte. Es schien zudem sein Stammlokal zu sein, da der wartende Chauffeur sogar seinen Wagen direkt vor dem Eingang des Hauses parken durfte. Ein Platz, der sonst durch absolutes Halteverbot herausstach. Geld regiert die Welt, dachte er sich. Der Tisch hinter Lopez blieb frei. Zu fortgeschrittener Stunde vernahm er ein lautes Lachen der eindeutig angeheiterten Ehefrau des Investors.

„Unser Sohn ist ja leider nicht mehr unter uns, aber vielleicht über uns“, sagte sie der attraktiven Bedienung. Lopez und seine Frau fanden diesen Satz ziemlich geschmacklos, schoben es aber auf ihren Alkoholpegel. Beide liebten es, Leute zu beobachten und über sie zu lästern. Bei ihm hing es mit seinem Beruf zusammen. Beide fragten sich wieviel Hummergerichte man für die Kosten aller bisherigen Schönheitsoperationen der Botox-Barbie essen könnte, und sie waren sich einig, dass eine LKW-Ladung nicht ausreichen dürfte.

Die Verabschiedung des Immobilieninvestors endete in einer Zeremonie. Zuvor allerdings wurde neugierig in die kleine Ledermappe mit der bezahlten Rechnung hineingeschaut. Dem Glänzen der Augen des „Chef de sonó“, dem obersten Kellner zufolge, fiel das Trinkgeld noch höher als erhofft aus. Neidvoll beobachtet von den anderen Gästen des Restaurants wurden beide Ehepaare von fast allen Bedienungen und sogar dem Küchenchef sowie der Sous Chefin mit Verbeugungen verabschiedet. Lopez und seiner Frau hingegen wurden lediglich ein „bis zum nächsten Mal“ hinterhergerufen. Sie sahen, wie alle vier in die dunkle Limousine einstiegen, und von dem Fahrer, der die ganze Zeit im Wagen gewartet haben musste, hinausgefahren wurden. Lopez und seine Frau stiegen in ihren kleineren SUV ein, der, wie viele Autos der Einheimischen auf Mallorca versehen mit Beulen und Kratzern war. Das hing nicht unbedingt mit der Fahrkunst der Fahrer zusammen, sondern mit den engen Gassen in den Dörfern der Insel sowie den beengten Parkverhältnissen in den Städten. Mancher Mallorquiner war sogar stolz auf solch ein Auto.

„Lieber ein zerbeulter Wagen in dem Leben wie bei uns herrscht, als eine schwarze, makellose Limousine, bei der man denkt, dass man mit einem Leichenwagen fährt.“

Beide lachten und stellten zu Hause fest, dass es ein wunderbarer Abend war.