REBELLION DER GEFÜHLE

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TAG VIER

Es war wieder einer dieser typischen mallorquinischen Sommertage. Die Sonne schien bereits nach dem Aufgehen warm auf das kleine Schlafzimmerfenster von Lopez Wohnung. Die sogenannten Dormitorios hatten grundsätzlich immer kleinere Fenster als die anderen Wohnbereiche, um die Hitze nicht schon morgens in die Schlafräume einziehen zu lassen. Die Wohnung von ihm und seiner Frau lag mitten in Palmas Stadtviertel Son Es-spanyolet. Ein ursprünglich stilles Wohnviertel. Nur fünfzehn Gehminuten von der Markthalle Santa Catalina, der Hafenpromenade und der Altstadt entfernt. Die letzten Monate allerdings wurde diese malerische Ruhe permanent durch illegale Vermietungen diverser Apartments und Häuser gestört. Touristen aller Länder ließen die Nacht zum Tag werden. Auch der Bau moderner Apartment- und Reihenhäuser zu unbezahlbaren Preisen löste bei Lopez und seiner Frau eine gewisse Traurigkeit aus. Immer mehr ihrer alteingesessenen mallorquinischen Nachbarn zogen weg und verkauften ihre alten, sanierungsbedürftigen Häuser für wenig Geld an Investoren. Solche wie der Immobilieninvestor gestern im Restaurant. Optisch waren viele der sanierten Häuser ein Gewinn, aber sie stellten nicht mehr das alte, ursprüngliche Stadtviertel dar, das es einmal war. Zudem standen viele dieser Wohnungen in den Wintermonaten leer und sogar manchmal auch über ein Jahr, und das, obwohl Palma und die Insel generell ein Wohnraumproblem hatten. Es handelte sich bei vielen lediglich um Geldanlagen. Lopez konnte die Demonstrationen verstehen, die gelegentlich gegen die Gentrifizierung stattfanden. Eine Entwicklung die in ihm immer öfter Angst auslöste. Angst, ob auch er eventuell eines Tages aus seiner größeren, schönen Altbauwohnung in Son Espanyolet ausziehen müsste. Es war eine Mietwohnung einer alten mallorquinischen Familie aus Alcúdia, die sie früher selbst als Stadtwohnung genutzt hatten. Santa Catalina, das Nachbarviertel, hatte diesen Immobilienrausch bereits hinter sich. Es hat sich zu einem Ausgehviertel mit Käufern aus hauptsächlich nordischen Ländern entwickelt. Liefen hier früher nur Mallorquiner mit dunklen Haaren durch die Straßen, so sah man heutzutage große, blonde Personen aus den Häusern kommen. Lopez hatte sich heute ein etwas längeres Frühstück gegönnt. Er konnte dieses, ohne auf die Uhr schauen zu müssen, daran sehen, dass die Sonne bereits um die Ecke Richtung Badezimmer stand.

Er hatte seinen Wagen in einer engen Parklücke drei Straßen entfernt geparkt und hoffte, dass er nicht wie oft, erneut ein paar Schrammen mehr in seinen weißen Lack geritzt, geschweige denn den Spiegel abgefahren bekommen hatte. Beulen und Kratzer waren wie erwähnt nicht so dramatisch wie zum Beispiel für deutsche Autofahrer. Eine gewisse Situation hatte er immer vor Augen, nämlich wenn diese vor Rückgabe ihres Mietwagens unter das Auto krochen, sich fast auf die Kühlerhaube und das Dach legten, die Türen und den Kofferraum mit der Taschenlampe inspizierten, um effektiv herauszufinden, ob ihnen nicht eventuell eine Ameise in die Türschlösser gebissen haben könnte. Aber wahrscheinlich hing das mit seiner persönlichen Einstellung zu Autos zusammen.

Am Präsidium angekommen hatte er intuitiv ein komisches Gefühl. Er wusste nicht, warum, aber leider hatte ihn sein Empfinden in der Vergangenheit noch nicht oft enttäuscht. Bereits beim Betreten des Aufzugs klingelte sein Handy, und er ahnte, dass diese Nummer nichts Gutes zu verheißen mochte. Es war sein Kollege der Spurensicherung.

„Hola Rafael. Wir sind unterwegs zu einer großen Villa in Bendinat. Allein der Wohnort sagt uns allen schon, um welche bedeutenden Kreise es sich handeln wird.“

Bendinat war neben Port d'Andratx, Santa Ponsa, und Portals die teuerste Wohngegend auf Mallorca. Der durchschnittliche Villenpreis lag bei stolzen viereinhalb Millionen Euro, nach oben keine Grenzen.

„Es handelt sich um die Villa, die wie ein Schloss gebaut wurde und den kitschigen vergoldeten Eingang hat. Ganz in der Nähe des Golfplatzes und dann Richtung Meer runter. Wir hatten in dieser Ecke schon mal ein Verbrechen.“

Lopez wusste sofort, um welches Haus es sich handelte. In dieser Gegend standen wunderschöne Gebäude, wenn überhaupt nur zwei Wochen im Jahr benutzt, aber diese Villa konnte an Hässlichkeit nur schwer überboten werden.

„Ich werde mich sofort in meinen Wagen setzen und zu Ihnen kommen.“

Lopez drückte den Knopf „planta baja“, Erdgeschoß, und fuhr fünf Minuten nach seiner Ankunftszeit erneut an dem irritiert schauenden Pförtner vorbei. Nach einer viertel Stunde ging es zum Schluss durch einen Tunnel und in einen Verkehrskreisel hinein. Am Supermercado vorbei fuhr er, im Gegensatz zu seinem geschätzten Kollegen Díaz, ohne Tempoüberschreitung in die zum Meer hinunterführende Straße.

Die Spurensicherung hatte seit einigen Minuten den erweiterten Tatort bereits weiträumig abgeriegelt. Lopez zog das Absperrband hoch und kroch stöhnend darunter hindurch. Er hörte die Stimmen, die eindeutig aus dem größten Raum des Hauses zu kommen schienen, dem Wohnzimmer.

„Hola Rafael, sehen Sie sich das an. Wäre es nicht so dramatisch, könnte man denken, dass es ein Kunstwerk sei. Sie hatten so viel Platz, und liegen jetzt doch auf vielleicht noch nicht einmal zehn Quadratmetern zusammen.“

Lopez sah zunächst einen alten Klavierflügel. Neben diesem lag blutend auf der einen Seite eine auf dem Bauch liegende Frau und auf der anderen Seite ein blutender, ebenfalls auf dem Bauch liegender Mann. Sein Kollege hatte recht. Wie ein Kunstwerk oder das dramatische Ende einer Oper auf der Bühne. Lopez hatte vom Auto aus seinen Kollegen Antonio Díaz um Hilfe gebeten, da er kollegiale Verstärkung benötigte. Díaz traf bereits zehn Minuten später ein, wie man an seiner unverkennbaren typischen Bremsspur hören konnte.

„Hola Antonio, ich schlage vor, dass wir das Haus zunächst auf eventuell weitere vorhandene tote oder lebendige Personen inspizieren.“

Antonio, der nicht wusste, ob Lopez nach diesem Satz Applaus erwartete, ging zur großen Marmortreppe.

„Da man sich in diesem Haus verlaufen kann, schlage ich vor, dass wir beide besser zusammenbleiben, falls einer von uns in Gefahr geraten sollte.“

Beide Kommissare liefen bewaffnet alle Räume pedantisch ab, aber in keinem der vier Bäder oder zehn großen Zimmer konnten Personen gefunden werden. Auch auf den luxuriösen Terrassen sowie den dazugehörigen Schwimmbädern gab es keinerlei Auffälligkeiten. Díaz beschloss aufgrund seiner vielen anderen offenen Fälle zunächst zurück zum Präsidium zu fahren und seinen Kollegen erst wieder später bei seinen Aufgaben zu unterstützen. Lopez beobachtete unauffällig die Arbeit der Spurensicherung. Interessant wurde es, als zunächst die Frauenleiche auf den Rücken gedreht wurde. Er musste sich setzen. Als er erneut die Leiche des Mannes auf dem Rücken liegen sah, war er froh, dass er nicht stand. Er kniff in seinen Arm, um festzustellen, dass dieser Anblick kein Traum, sondern pure Realität war. Die aufgequollenen Lippen und die blonden Haare der Dame waren blutüberströmt. Man hätte denken können, dass es die Farbe Ihres letzten Luxuslippenstiftes sei. Eine ihrer aufgeklebten Wimpern lag wie ein Teil eines kleinen Besens einsam auf dem gefliesten Boden. Die von einem Schönheitschirurgen operierte Nase sah mit Sicherheit noch schlechter aus als ihre ursprüngliche Originalnase vor der Operation. Drei ihrer knallroten Fingernägel waren abgebrochen und lagen wie Konfetti neben ihr. Lopez fragte sich, ob sie die beiden implantierten Brüste bei ihrem Aufprall schützen konnten, aber das war eindeutig nicht der Fall. Er wusste, dass er solche gehässigen Gedankengänge vermeiden sollte, aber leider konnte er sie sich nicht verkneifen. Und: Die Gedanken sind frei. Aber die größte Überraschung war, dass es sich um Botox-Barbie handelte, die gestern Abend einen Tisch vor ihm im Restaurant saß. Der Mann wurde von der Spurensicherung bisher noch nicht umgedreht, aber Lopez war sich ziemlich sicher, dass es allein von der Statur her der bekannte Investor Gerald Fuchs sein musste. Bereits die spärliche, sichtbar gefärbte Haarpracht von hinten, ließ auf ihn schließen. Auch er war auf dem Rücken liegend blutüberströmt. Im Gegensatz zu seiner Frau fehlte die rechte Hand. Sie wurde eindeutig abgehackt, war allerdings auf den ersten Blick nirgendwo zu finden. Seine rote Designerbrille hing schief und zerbrochen auf seiner blutigen Nase. Seine Nasenlöcher waren mit Tonerde zugeschmiert, genauso seine Ohren. Er musste einen qualvollen Tod erlebt haben, aber das würden die Ergebnisse der Pathologie noch zeigen. Lopez betrachtete den zwischen ihnen stehenden, alten, transparent lackierten Flügel mit wunderschönen Intarsien. Allein der Halter für das Notenbuch war ein Kunstwerk für sich. Hersteller war Steinway & Sons, das Herstellungsjahr laut Aufschrift 1918. Es konnte sich hierbei vermutlich nur um ein Dekorationselement in dem eintönig in Weiß gehaltenen Designerraum handeln. Lopez erinnerte sich daran, dass seine Eltern früher auch ein einfaches Klavier in der Wohnung stehen hatten, allerdings mussten sie es aus Platzgründen verkaufen. Ihm war in Erinnerung geblieben, dass durch die feuchte, salzige Luft auf der Insel, und die Heizgewohnheiten im Winter, fast jedes Klavier nach einer gewissen Zeit automatisch in Pension geschickt wurde. Er wusste, dass auf einer Finca bei Sant Joan Pianos und Flügel verkauft werden, die das Glück hatten, überholt zu werden. Dennoch gab es auf Mallorca immer noch genügend Konzertflügel, die für professionelle Pianisten so gut wie unbespielbar waren. Auf dieser Finca konnte man auch ein spezielles maritimes Instrument kaufen, das den extremen Belastungen widerstand. Lopez stellte fest, dass er trotz seiner erbärmlichen Klavierpraxis von früher doch mehr Ahnung von Klavieren hatte, als er dachte.

 

„Rafael, sie gucken den Flügel so sehnsüchtig an. Wahrscheinlich, weil Sie es aufgrund des Alters schön finden, aber legen Sie sich mal unter den Flügel. Jetzt, wo wir alle Spuren gesichert haben dürfen Sie das.“

Lopez ging auf seine Knie und schaute sich die Unterseite des Flügels an. Er war fassungslos. Unterhalb der Tastatur befanden sich zwei kleinere, aus Holz eingebaute Kästen, die frisch aufgebrochen wurden.

„Es scheint, als dass der Flügel für irgendein Versteck genutzt wurde. Es sieht aus, als ob sich in den beiden Kästen auf jeden Fall etwas Wertvolles befunden hatte. Sie wurden so geschickt eingebaut, dass man sie selbst bei einem Umzug nicht sehen konnte. Dieser Fund gibt dem Fall eine spezielle Note, umgeben von Noten.“ Lopez lachte laut über sein Wortspiel in Erwartung weiterer Anerkennung, die allerdings keinerlei Anklang fand.

„Gut erkannt lieber Kollege. Ich glaube, da haben Sie in der nächsten Zeit eine harte Nuss zu knacken. Wir werden die Leichen jetzt abholen lassen und der Pathologie übergeben. Unsere Erkenntnisse teilen wir Ihnen so schnell wie möglich mit.“

Lopez kroch erneut ächzend unter das Klavier und machte mit seinem Handy detaillierte Aufnahmen der beiden aufgebrochenen Kästen.

„Übrigens, diese Siurell lag versteckt im hinteren Kästchen. Es handelt sich von der Verarbeitung her um dieselbe Tonfigur wie die vom Kreuzfahrtkapitän. Allerdings nicht als Inkarnation eines Kapitäns. Bei dieser Siurell handelt es sich um ein Pärchen, das eng umschlungen ist. Wir haben keine Ahnung, wen es darstellen soll, aber das herauszufinden ist ja auch Ihre Aufgabe.“

„Danke für diesen Hinweis“ rief Lopez unter dem Klavier liegend in den Raum hinein. „Das hätte ich ohne Sie nicht gewusst.“

Lopez verließ sichtlich entnervt das Haus. Zu viele Dinge schossen ihm aktuell durch den Kopf. Er musste sich mit Díaz zusammensetzen. Dieser Fall schien doch sehr komplex zu werden. Díaz hatte ihm in der Vergangenheit besonders dann schon oft durch Ideen geholfen, wenn er fast aufgegeben hatte. Vielleicht lag es auch daran, dass ihm selbst von Kollegen eine immer zu korrekte und pedantische Arbeitsweise vorgeworfen wurde. Eine Eigenschaft, die bei den Mallorquinern häufig negativ behaftet und eher den Deutschen zugeschrieben wurde. Diese Art hinderte ihn leider oft daran, Fälle etwas flexibler und kreativer anzugehen. Díaz dagegen stellte das genaue Gegenteil dar. Seine Arbeitsweise basierte eher auf Einfallsreichtum und Fantasie, die dann bei der eigentlichen Arbeit danach von etwas Chaos durchsetzt war. Man sagte ihm auch eine sehr diplomatische Arbeitsweise nach.

„Antonio, ich bin auf dem Weg zurück zum Präsidium. Mir schwirren so viele Dinge im Kopf herum. Ich muss sofort an mein Reißbrett und alles aufzeichnen.“

Díaz schlug mit seiner Handinnenfläche auf seine Stirn.

„Erst setzen wir uns zusammen, um die Zeit bis zu den Ergebnissen der Spurensicherung und der Pathologie zu überbrücken, und dann kommt das Reißbrett, okay?“

Lopez schluckte hörbar.

„Vale Antonio. Wäre es möglich, dass wir das Ganze bei einem kleinen Mittagessen im Büro vollziehen? Mein Magen ist schon etwas gereizt. Ich werde uns auf dem Rückweg etwas besorgen und mitbringen.“

„Sehr gerne Rafael. Ich freue mich auf unser Meeting.“

Lopez fuhr zum Restaurant Maruka in der Nähe der Placa d´España und bestellte „Arroz con ciervo y hongos“, also Reis mit Wild und Pilzen. Er wusste, dass Díaz dieses Gericht liebte. Für sich selbst „Tártaro de ternera con mostaza antigua“, Rindertatar mit altem Senf. Ein Gericht, das Díaz nicht mochte, aber für Lopez war es das Beste aller angebotenen Speisen. Durch die vollen Straßen wurde die normalerweise nur zehnminütig dauernde Fahrt auf fast eine halbe Stunde ausgeweitet. Antonio saß bereits in Lopez Büro und hatte das verkratzte Besteck sowie zwei Gläser eines Touristen-shops auf den Tisch gestellt.

„Oh welch schöne Gläser, die Kathedrale in Pink auf dem einen, und der Königspalast in Grün auf dem anderen.“

Díaz zog die Metallfolie seines Gerichts ab, und strahlte. Als er in die Schale seines Kollegen sah, drehte er sich demonstrativ kurz weg, um seine Abneigung zu zeigen. Lopez schüttelte verständnislos den Kopf.

„Hier erst noch mal der Status Antonio. Ein bekannter Investor Mallorcas liegt blutüberströmt mit abgehackter rechter Hand auf dem Bauch neben einem Klavierflügel aus dem Jahre 1918. Auf der anderen Seite liegt seine Ehefrau, die Botox-Barbie, in derselben Position. Unter dem Flügel wurden zwei kleine Kästen angebracht. Diese müssen bereits älteren Datums sein. Das sieht man an dem Holz und den verrosteten Nägeln, mit denen sie zusammengehalten wurden. Beide Kästen wurden voraussichtlich vom Mörder aufgebrochen und der Inhalt von ihm entnommen. Erneut lag, wie damals bei der Ermordung von Kapitän Sturm, eine mallorquinische Siurell in Form eines umklammerten Pärchens im Kasten. Am Vorabend waren beide Opfer mit einem anderen, mir unbekannten Ehepaar essen. Das ist zunächst der Status, und jetzt bitte ich um Ihre kreative Eingebung der weiteren Vorgehensweise.“

Lopez führte seine Gabel in das rohe Fleisch. Antonio stöhnte beim erneuten Anblick und ließ sich kurz Zeit nachzudenken.

„Wir wissen, dass der Ermordete ein nicht allzu beliebter Investor auf Mallorca war, das bedeutet, dass wir herausfinden müssen, wer zu seinen Feinden gehört hat. Es liegt nahe, dass das Ehepaar, mit dem sie gestern Abend essen waren, auch unter Mordverdacht stehen könnte. Da der Investor Fuchs in dem Restaurant Stammgast zu sein schien, müssten die Angestellten wissen, um wen es sich handelte. Was bedeutet die Siurell in dem Kasten? Soll es das Ehepaar Fuchs sein? Warum wurde ihm die Hand abgehackt, und warum ausgerechnet die Rechte? Zufall oder Absicht? Warum wurden die beiden Kästen unter dem Klavier aufgebrochen? Der Täter muss davon gewusst haben und es ist zu vermuten, dass es ihm irgendwann mal mitgeteilt wurde. Woher hat Fuchs dieses Klavier, und seit wann? Hat er es gekauft, geschenkt bekommen, oder ist es von seiner Familie? War vielleicht auch nur seine Frau das eigentliche Zielopfer der beiden Morde, und gar nicht er? Ist der Mörder der Serienmörder, der bereits die beiden vorangegangenen Morde begangen hat? Sollte dieses der Fall sein, frage ich mich dieses Mal, was er mit Umweltschutz zu tun haben könnte. Der Kapitän und der Fahrradfahrer wurden neben zusätzlichen Mordmethoden erschlagen. In diesem Fall wurden die Ohren und die Nase mit Tonerde zugestopft, allerdings nur bei ihm. Grundsätzlich können wir die weitere Vorgehensweise aber erst spezialisieren, wenn wir die Ergebnisse der Pathologie und KTU haben. Diese werden heute mit Sicherheit nicht mehr vorliegen. Selbst dann nicht, wenn unsere Pathologin Carmen aufgrund Ihrer permanent sichtbaren Flirtversuche versucht, alles so schnell wie möglich zu analysieren. Was mich etwas beunruhigt ist, dass wir bisher jeden Morgen einen Mordfall präsentiert bekommen haben. Ich bete dafür, dass diese Tat die letzte war.“

Díaz schob sich ohne Pause direkt ein kaltes Stück Wild in den Mund und trank einen Schluck aus dem Kathedralenglas. Lopez ging wortlos zur Wand und zeichnete nach klassischer Methode die soeben von Díaz gemachten Angaben auf eine große Tafel.

„Was dieses Klavier schon so alles gesehen haben muss. 1918 herrschte auch auf Mallorca die spanische Grippe, und das war kein Kinderspiel.“

„Vielleicht war es ja damals noch gar nicht auf Mallorca. Fast alle bestellten Klaviere kamen und kommen vom Festland. Besonders die teuren, da es auf unserer Insel immer sehr reiche Einwohner gab, aber leider auch viele Arme. Und das hat sich bis heute nicht geändert.“

Lopez strahlte.

„Sehen Sie Antonio, das ist das, was ich an Ihnen so schätze. Ihre Ideen, die einfach aus Erzählungen heraus entstehen können. Wir könnten auch den bekannten Klavierdoktor kontaktieren. Vielleicht kann er uns irgendetwas zur Geschichte sagen.“

„Ich kenne ihn zwar nicht, aber es klingt nach einer guten Idee Lopez!“

Die Türe wurde aufgerissen und die Assistentin von beiden, Esmeralda, stürmte aufgeregt ins Zimmer. Beide dachten zunächst an einen erneuten Mord.

„Chef stellen Sie sich vor, der Kaffeeautomat auf dem Gang ist kaputt, und der Kollege aus dem ersten Zimmer am Treppenhaus gibt mir die Schuld, weil ich als letzte Kaffee gezogen habe.“

Lopez und Díaz schauten sich an und lachten beide lauthals los. Esmeralda kniff ihre Mundwinkel zusammen und verließ schimpfend und beleidigt den Raum. Die Wucht der zugeknallten Türe ließ das Glas mit der Kathedrale auf dem Tisch vibrieren.

„Antonio, so muss das beim Erdbeben von 1851 gewesen sein, als die Wand der Kathedrale stark beschädigt wurde.“

Díaz nickte. Lopez beschloss zunächst allein zum Restaurant zu fahren, um zu eruieren, wer das gestrige Ehepaar war, mit dem Fuchs den Abend verbrachte und anschließend gemeinsam in die Limousine stieg. Es war bereits früher Abend so dass er auf jeden Fall jemanden antreffen würde.

„Buenas tardes. Hauptkommissar Lopez aus Palma. Ich ermittle in einem Mordfall und habe ein paar Fragen an Sie.“

Die Bedienung schaute Lopez tief ins Gesicht und stellte fest, dass auch er gestern Gast bei ihnen war.

„Buenas tardes. Was kann ich für Sie tun? Sie saßen doch gestern Abend frontal zu unserem Investor-Tisch, wie wir ihn hier spaßig nennen.“

„Wir benötigen Informationen über die beiden Personen, die mit dem Ehepaar Fuchs am Tisch saßen. Waren es Kunden von ihm oder Freunde, Verwandte oder Geschäftspartner?“

„Normalerweise dürfen wir keine Auskunft geben, da bei uns aufgrund der vielen Prominenten, die wir hier verwöhnen, die Privatsphäre einen ganz wichtigen Faktor darstellt. Da Sie aber von der Polizei sind, mache ich eine Ausnahme.“

Lopez wurde ungeduldig und klatschte zweimal laut in seine Hände.

„Es handelt sich um den Luxusmakler Kramer, den Fuchs bei allen seinen Projekten als Vermittler nimmt. Sein Büro ist ein Stockwerk über seinem im Stadtteil Santa Catalina.“

Das passt, dachte sich Lopez.

„Die Dame, die mit ihm dabei war, ist seine Frau, falls das was für die Ermittlungen ausmachen sollte.“

Lopez bedankte sich und fuhr direkt zum Geschäftshaus des Investors und seinem Makler. Er stand vor einem feudalen, alten und top sanierten Stadtpalast. Das Büro von Fuchs war im Erdgeschoss. Die Scheiben waren von außen nicht einsehbar, da sie von innen mit Folie beklebt waren, die ihn im Großformat im maßgeschneiderten knallblauen Anzug und einer Aktentasche unter dem Arm zeigten. Botox-Barbie posierte direkt im Nebenfenster mit einem hautengen schwarzen Kleid, das seriöse Kunden hätte abschrecken müssen. An den drei anderen Fenstern hingen seine aktuellen Projekte mit Fotos und Preisen. Selbstverständlich war in der Nacht alles auffällig hell beleuchtet. Das Büro von Kramer, auf das direkt bei den abgebildeten Projekten verwiesen wurde, war aufgrund der fortgeschrittenen Zeit dunkel. Objekte konnten nur nach Terminvereinbarung mit ihm besichtigt werden. Lopez würde direkt morgen anrufen, um einen Termin mit ihm für das aktuelle Projekt, das Kramer mit Fuchs hatte, zu vereinbaren.

Die Wohnung von Lopez war nicht weit von den Büros entfernt. Er beschloss, in der Hoffnung einen Parkplatz zu finden, direkt nach Hause zu fahren, um dort vor Ort zum Leidwesen seiner wartenden Ehefrau alle Details im Fahndungssystem schriftlich festzuhalten.