Rotz am Backen, Scheiß am Been - ach wie ist das Läähm scheen

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„Es gibt Kaffee und Tee und für dich Schleckermaul einen wunderbaren Windbeutel mit viel Sahne.“

„Wunderbar, mein Herbertl, bei euch fühle ich mich bei all meinen Kümmernissen immer wieder sehr wohl. Nun bin ich gespannt, was der Klausel weiter Interessantes zu berichten hat, wo wir gestern das letzte Mal aufgehört haben und zwar bei Edith. Allerdings ist mein Schwesterherz hier noch in der Küche.“

„Das macht nichts, Friedchen, die Story von Edith kennt Gretel bereits.“

Nun war ich an der Reihe und ich war ein klein wenig unruhig, da ich ja meiner Tante versprochen hatte, die eine diffizile Sache ihr persönlich zu erzählen. Also wählte ich ganz schnell die Flucht nach vorn und sagte: „Ja, Friedel, da gibt es noch eine unheimlich interessante Story und zwar unternahmen meine zukünftigen Schwiegereltern, nach den Wünschen meiner allerliebsten Eltern, das Schärfste und Letzte, um ihr Ziel zu erreichen. Allerdings will ich damit nicht sagen, dass meine Eltern diese Sache von vornherein vorsätzlich inszeniert haben; ich meine nur, dass schon ihre Wünsche darauf ausgerichtet waren, dass die Carla und der Karl meine Schwiegereltern werden.“

„Nun, lieber Klaus, werde mal konkret“, schubste Friedel meine Berichterstattung an.

„Also, die Sache, die war die und der Umstand, der war der. Edith hatte mich in Dresden angerufen und mir dann noch einen Brief gesandt, in dem sie mich nach Postelwitz einlud, zum allgemeinen Besuch und im Besonderen, um Ausflüge in die Sächsische Schweiz zu unternehmen. Das klang für mich alles sehr gut, ich freute mich auf den schönen Streuselkuchen von Tante Carla und auf schöne Exkursionen mit Edith.“

Mutti kam ins Zimmer und hörte gerade von ihrer Schwester: „So richtig spannend ist das aber noch nicht, Klausel.“

Mutti antwortete für mich: „Warte nur ab und lass ihn mal erzählen, wir kennen das ja schon, das wird schon noch interessant“, antwortete sie für mich.

„Ich fahre also frohgemut mit meinem Berlinroller von Dresden über Pirna nach Postelwitz und vermutete, dass ich, wie es bisher immer war, mit einem großen Bahnhof vor dem Haus empfangen werde. Das war aber weit gefehlt. Edith kam, gestylt nach allen Regeln der Kunst, freudig strahlend und in bester Laune auf mich zu. Sie hatte ein enganliegendes schwarzes Kleid an, was sie sehr schlank machte, dunkel gehaltene Nylonstrümpfe, anthrazitfarbene Schuhe mit einer hübschen, blauen Schleife darauf. Die Haare trug sie wieder als Dutt mit dem schönen waagerechten Scheitel und dem Pony in die Stirn – offensichtlich war alles wunderschön frisch blondiert. Dazu waren irgendwie die Augenbrauen und Wimpern gestylt und ihre schönen Lippen lila geschminkt.“

Sofort hakte Friedchen ein: „Da siehst du mal, Klausel, lila, der letzte Versuch.“

„Sie sah schon sehr, sehr schön aus – nur das Rouge im Gesicht hätte sie weglassen sollen“, setzte ich fort.

Mutti mahnte: „Nun esst erst einmal in Ruhe euren Windbeutel, sonst bekommt der euch gar nicht.“

„Weiter im Text – Edith und ich begrüßten uns herzlich. Wir küssten uns auf die Wange und, weil mir das einfach zu unpersönlich war, küsste ich sie lieb, aber kurz auf den Mund. Wie immer errötete sie leicht und wurde etwas unsicher, als ich fragte, wo denn ihre Schwester und ihre Eltern seien. Sie sagte mir, dass Schwester Martina vierzehn Tage verreist sei und ihre Eltern ganz dringend zu bekannten nach Senftenberg fahren mussten. Ich äußerte mein Erstaunen und fragte, ob ich denn da auch die geplanten drei Tage bleiben solle. ‚Natürlich, unbedingt Klaus, was denn sonst?‘ Also blieb ich. Am ersten Tag hatten wir eine Fahrt zum Lilienstein auf dem Programm. Es war sehr schön, neunzehn Uhr waren wir wieder zu Hause. Dann aßen wir Abendbrot, gingen noch etwas spazieren und dann, Friedchen, kam der Knüller. Wir gingen zweiundzwanzig Uhr ins Bett, Edith in ihr Zimmer und für mich war ein Gästezimmer hergerichtet. Ich sagte brav gute Nacht, das heißt ich brachte Edith in ihr Bett und küsste sie auf die Wange. Danach ging ich in mein Zimmer und hatte schon den Eindruck, als wenn Edith etwas erwartungsvoll und mit Spannung auf irgendetwas wartete. Ich ging also laut Gute Nacht rufend in mein Zimmer, zog mir den Schlafanzug an und knallte mich ins Bett. Bei dieser Aktion knallte es fürchterlich und mein gesamter Rücken tat mir weh. Ich schrie: ‚Ei, was ist denn das?‘ Edith kam sofort angestürmt, lächelte und freute sich. Ich springe raus aus dem Bett und schaue nach der Ursache für das Klappern und meine Rückenschmerzen. Die Ursache war unschwer zu entdecken – im Bett lagen exakt sieben Flaschen Bier, dazu noch das, was ich gern trank und zwar Radeberger Pils.

Für mich war das Ganze sehr lästig und ich fühlte mich in einer unheimlich miserablen Lage. Manch einer, nein, vielleicht sogar sehr viele, würden sich riesig freuen, so überrumpelt zu werden und hätten die so gewollte Situation mit Freuden ausgenutzt. Diesmal war mir dies alles äußerst peinlich. Warum? Einfach deshalb, weil ich nicht wollte, ich wollte meine Ruhe haben. Wenn ich heute darüber nachdenke, ich gebe ehrlich zu, dann wundere ich mich – sogar sehr. Mit Sicherheit hing es aber nicht damit zusammen, dass ich mich in einer früheren Situation mit Edith am Zaun sehr ungeschickt angestellt hatte. Es war keine Angst zu versagen. Es war einfach der Wunsch, und dies klingt sicherlich sehr komisch, nichts tun zu wollen. Mir war einfach nicht danach.“

„Ei Gott, Klausi, was warst du denn für ein Dummer? Die nächste Frage ist gleich, wie denn nun die arme Edith dastand, nach alledem offensichtlich Organisiertem mit ihren Eltern? Ei, ei, Kläuschen, das ist ja fast ein Drama“, philosophierte meine Tante. Dann schob sie noch äußerst neugierig nach: „Nun aber schnell – erzähle, wie du aus dem ganzen Schlamassel rausgekommen bist.“

„Ich war hin- und hergerissen, schaute Edith freundlich an und sagte: ‚Hier wird doch das ganze Bett schmutzig, mit diesen blöden Bierflaschen oder denkst du etwa, dass die außen herum sauber sind?‘ Ich räumte die Bierflaschen aus dem Bett, setzte mich zu Edith und streichelte ihre Wange. Warum? Weil mir das Ganze unheimlich an die Nieren ging – das arme Mädel. Was sollte sie denn ihren Eltern sagen? Innerlich dachte ich mir aber: Das muss dir (also mir) egal sein – ich hab die Situation nicht heraufbeschworen. Das waren die blöden Eltern und es spricht nicht für Edith, dass sie mitgemacht hat. Dann redete ich mit Edith noch darüber, dass sie einen Roller kaufen wollte und mich dann in Dresden besuchen. Es war anstrengend und dauerte relativ lange, bis ich sie aus meinem Zimmer raus hatte und zu ihrem Schlafzimmer begleiten konnte. Ja, so einfach war das. Wenn ich in Ruhe zurückdenke, wundere ich mich noch einmal ganz stark über die plumpe Art der Eltern und darüber, dass die gute Edith dies überhaupt mitgemacht hatte. Ihr verzeihe ich es aber – sie hatte ja gehofft, dass damit alles in ihrem Sinne gut wird, für dieses Wochenende und vor allem für die Zukunft.“

„Mann, Klausmann, mit dir kann man aber auch nichts gewinnen. Edith war hübsch, häuslich und hätte gut zu dir verlottertem Studenten gepasst. Außerdem hätte ich damit mehr Kontakt zu meiner Freundin Carla gehabt“, monierte meine Mutti. Das zustimmende Kopfnicken meines Vaters gefiel mir gar nicht so gut.

„Euch beiden, Gretel und Herbert, muss ich mal mit Nachdruck folgendes sagen: Wenn man jemand nicht richtig gern hat, ist es eine Strafe, wenn man ein Leben lang, und ein Leben kann sehr lang sein, zusammen sein zu müssen. Manchmal kommt ihr mir vor, als wenn ihr wie im Mittelalter denkt, wo die jungen Leute zwangsverheiratet wurden. Du hattest es aber damit überstanden, Klausel, oder hattest du noch weitere Kontakte mit der Frau, die du zwangsehelichen solltest, obwohl die große Zuneigung nicht da war?“

„Naja, Friedchen, ein paar Kontakte waren schon noch da. So hatte mich Edith einmal in Dresden besucht und wir waren zusammen im Kino, aber das war alles schön, mehr oder weniger formell und ohne Händchen halten. Wir schauten uns den Film Tom Sawyer an und Edith sagte: ‚Klaus, so einen frechen Sohn möchte ich nicht haben – im Gegenteil, der müsste so lieb sein wie du.‘ Da war es schon wieder, sicherlich hatte Edith schon an ein gemeinsames Kind gedacht. Mein Freund, Werner Silbermann, mit dem ich in Dresden zusammen in einer Studentenbude wohnte, waren noch einmal in Postelwitz. Wir fuhren mit Werners Berlinroller in die Sächsische Schweiz, schauten uns den herrlichen Königstein (nahe Postelwitz) an und besuchten dann Edith. Sie strahlte übers ganze Gesicht, als wir ankamen, wurde etwas rot und drückte mich. Aufgewühlt erzählte sie uns, dass sie ebenfalls einen nagelneuen Roller Berlin von ihren Eltern geschenkt bekommen und sich riesig darüber gefreut hätte. ‚Klaus, wir fahren sofort ein kurzes Stück mit meiner neuen Errungenschaft.‘ Ihr Vater Karl klappte vor Empörung seine übergroßen Ohren, mit den Dellen darin, nach vorn und brüllte vollkommen unangemessen: „Auf keinen Fall – trau dich ja nicht, mit dem Motorrad zu fahren. Am Ende stürzt du hin, du hast überhaupt keine Ahnung und keinen Führerschein.‘ Edith war aber so freudetrunken und aufgeregt, sie hörte überhaupt nicht auf den Großohrenbesitzer, holte enthusiastisch ihren Roller und sagte: ‚Los, Klaus, das wird eine Freude, setze dich hinten drauf, wir fahren ein Stück.‘ Ich setzte mich brav auf den Rücksitz und Edith saß mit glänzenden Augen am Lenker. Eine Zeitlang bekam sie den Gang nicht hinein und der Motor heulte mehrfach gewaltig auf. Dann ging es aber doch los – ich gebe zu, stotternd, das heißt unser Roller bekam immer mal einen Antriebsstoß, wo wir etwas nach hinten flogen, dann lief das ganz anders herum und wir flogen wieder nach vorn. Dann beruhigte sich die Sache etwas und Edith verkündete, sie schalte jetzt in den zweiten Gang. Damit krachte sie, laut hörbar, den Gang hinein und plötzlich schleuderten wir hin und her – wir waren kurz vor dem Sturz. Mit meinem rechten Fuß versuchte ich die Neigung nach rechts durch Gegendruck abzufangen, dabei flog mein rechter Schuh durch die Luft. Dass bei dieser Aktion Vater Karl ständig schrie und brüllte, ist euch wahrscheinlich einleuchtend und gar keiner weiteren Erwähnung wert. Wir steuerten geradewegs auf das Feuerwehrtor zu, neben dem ein großer Holzwagen stand. Edith konnte das Gleichgewicht überhaupt nicht mehr halten und wir krachten an den hinteren Teil dieses Wagens. Alle stürzten – der Roller, Edith und ich. Karl und Werner kamen angestürmt. Werner hatte schon meine Sandale in der Hand. Edith sah leichenblass aus, sie hatte sich den linken Unterarm aufgeschlagen, Schürfwunden mit kleinen Steinchen in der Haut und blutete. Ich hatte das gleiche am rechten Knie, meine Hose war zerrissen und das blanke Fleisch zu sehen. Werner sagte: ‚Klaus, da hast du noch Glück gehabt, die Hose hat dich ziemlich geschützt. Hier hast du deinen Schuh, ein Riemchen ist gerissen.‘ Das war natürlich noch längst nicht alles – die gesamte Zeit, vom Beginn der Schreckensfahrt, brüllte und tobte ihr Vater. Im Nachhinein wundert mich doch sehr, mit welcher Standhaftigkeit Edith dieses Schreien ignorierte. Als er, natürlich immer noch in den höchsten Tönen meckernd, den Schaden am Roller inspizierte, jaulte er extrem auf: ‚Du blöde Ziege, saudumme Gans, verliebtes Miststück – jetzt hast du den Salat. Der Roller ist hinüber und du wirst das voll bezahlen. Trau dich nur nicht nach Hause, denn du bekommst solche Prügel, wie du noch nie welche bekommen hast.‘ Meine Gedanken waren: Da ist mir viel Schreckliches mit dem geplanten Schwiegervater erspart geblieben – Gott sei Dank. Natürlich war nicht der komplette Roller defekt, aber das Spritzblech vorn war schon sehr derb verbeult. Ja, ihr Lieben, das waren halt meine Verbindungen und Erlebnisse mit der schönen Edith. Aber halt, eine Story habe ich noch.

 

Meine neue Freundin Rolande Besoke besuchte Werner und mich in unserer Studentenbude in Dresden. Sie fragte uns, wo wir denn am Vortag gewesen wären, sie wäre da gewesen, aber leider vergebens. Werner erzählte, von unserem Ausflug in die Sächsische Schweiz zum Königstein und ließ auch den Bekanntenbesuch nebst ungefährer Unfallschilderung nicht aus. Rolande stellte fest: ‚Na gut, wenn Klaus nicht der Soziusfahrer war, ist ja alles in Ordnung.‘ Werner erschrak und wurde ziemlich blass, log aber tapfer, indem er wiederholte, dass wir, insbesondere ich, nichts damit zu tun hatten.

Am nächsten Tag war Rolande immer noch da, aber zusätzlich waren Gäste eingetroffen und zwar Werners Eltern und meine Eltern. Die Ursache war der Geburtstag unserer Wirtin, von uns liebevoll Tantchen genannt. Wie ihr wisst, war unsere Vermieterin zwar schon sehr alt, ich glaube so an die 82 Jahre – aber geistig noch voll auf der Höhe. Während des Kaffeetrinkens plapperte sie plötzlich munter drauflos: ‚Gestern waren doch Werner und Klaus in der Sächsischen Schweiz. Da probierte eine enge Freundin von Klaus ihren neuen Roller Berlin aus und Klaus saß als Sozius hinten drauf. Und was denkt ihr – beide verunfallten und fuhren an das Tor einer Feuerwache. Ich möchte mal wissen, Klaus, warum du mich, von Beginn meines Erzählens an, unter dem Tisch immer knuffst?‘ Helga zog ein süffisantes Gesicht und Werner beeilte sich um einen schnellen Themenwechsel, indem er unser Studentenleben bei Tantchen beleuchtete.“

„Jetzt weiß ich, Klaus, wie deine Eltern dich verschachern wollten. Ehrlich gesagt, das hätte ich dir, Gretel, und dir, Herbert, überhaupt nicht zugetraut. Bei meinen Kindern habe ich dergleichen nie getan. Der Klaus ist doch so ein hübsches, junges Kerlchen, der kann sich doch seine Braut selbst suchen. Oder war es bei euch üblich, dass eure Eltern den Partner für euch aussuchten und dann verkuppelten?“

„Meine Jugend, liebste Schwägerin, lief ganz anders ab. Um uns Kinder kümmerte sich keine Sau und überhaupt hatte ich ein armes Elternhaus. Wir waren immerhin vier Kinder und mit dem Geld war es immer knapp. Ich schmecke heute noch, wie meine Margarineschnitten mundeten. Da war nicht Margarine drauf, sondern nur ein Hauch davon, also selbst an der wurde noch gespart. Wir Kinder empfanden das immer als eine Notversorgung, damit wir überhaupt etwas in den Leib bekamen. Ich kann mich noch gut an eine Szene mit den Margarineschnitten erinnern – da war ich schon ein junger Mann, halb erwachsen. Meine Mutter hatte ihre Tage, das wusste ich, da sie auch davon gesprochen hatte. Da wusch sie sich früh die Hände – nein, waschen konnte man das beim bei besten Willen wirklich nicht nennen – ohne Seife unter einem ganz dünnen kalten Strahl Wasser, indem sie die Handflächen nur aneinander rieb. Danach wurden die Margarineschnitten geschmiert. Ich bin in diesen hygienischen Dingen nun eben einmal besonders empfindlich. Also – unsaubere Hände und dann noch Margarineschnitten – ich hatte die Nase voll, war empört über meine Mutter und warf die Margarineschnitten in den nächsten Papierkorb.“

„Ein Rädel Wurst oder mal ein Stück Käse war also bei euch gar nicht drin? Armes Herbertl, unsere Mutter Martha war da besser dran – naja, unser Vater war ja auch Fleischer. Gretel, sei doch mal so gut und hole dem armen Margarineschnittenesser – mir tut das Herbertl ja so leid – eine richtig schöne Bemme mit einer dicken Scheibe Wurst darauf.“

Mich drängte es plötzlich, auch etwas zu diesem Thema zu sagen, deshalb hakte ich mich in das Gespräch ein: „Da muss ich euch unbedingt folgendes erzählen. Meine Freundin Rolande besuchte mich während des Studiums hin und wieder in Dresden. Einmal blieb sie auch über das Wochenende und uns ging die Versorgung aus, kurzum – wir hatten vor allem kein Brot mehr. ‚Du, da habe ich einen sicherlich guten Vorschlag. Hier in der Nähe ist doch das Elternhaus meines Vaters. Opa Moritz lebt nicht mehr, aber meine Oma Frida dürften wir antreffen – ich habe dir doch schon davon erzählt.‘ ‚Die mit den kugelrunden, schwarzen Eulenaugen – ja, die möchte ich liebend gern kennenlernen‘, rief sie verzückt. ‚Ich nehme dich aber nur mit, wenn du meine Großmutter nicht als Besichtigungsobjekt einer Eule oder so ähnlich ansiehst.‘ ‚Komm, du Spaßvogel, wir gehen in den Zoo zur Eulenbesichtigung!‘ Ich war sehr überrascht – meine Oma freute sich königlich über unseren Besuch. Sicher war sie einsam, hinzu kam aber, dass sie sich offensichtlich unheimlich für meine Freundin Rolande interessierte. Wir mussten uns ihr gegenüber hinsetzen und dann wurde erzählt – wo wir wohnen, über das Studium, über meinen Vater, über ihre Eltern und dann konnten wir endlich anbringen, dass wir schlicht und einfach für unsere Ernährung ein Brot benötigten. Dabei muss ich erwähnen, dass sie in der Zeit viel mit mir redete, dabei aber ständig, wirklich ständig, meine Freundin Rolande im Visier hatte. Diese wurde schon unsicher, griff mehrfach nach meiner Hand und war, wie sie mir später erzählte, sehr beeindruckt von dem Charisma meiner Oma Frida. ‚Diese Fülle an Haaren – einfach berauschend und dann noch diese Augen und das Interesse an mir, nein so was‘, war sie sehr fasziniert. ‚Du hättest sie aber früher noch mit der Fülle an schwarzen Haaren sehen müssen‘, setzte ich noch eins drauf. Bei unserem Gespräch wurde mir immer deutlicher, meine Oma interessierte sich sehr für unser Liebesverhältnis. ‚Wo habt ihr euch denn kennengelernt?‘ ‚Im Kurhaus Bühlau – zum Witwenball! Die Rolande hat mich zur Damenwahl geholt!‘ ‚Wohnt ihr jetzt zusammen? Was studiert denn deine Rolande? Habt ihr schon Kinder?‘ ‚Nun hört es aber auf Oma – sei so lieb und hole das Brot für uns!‘ Oma hatte das Brot in der linken Hand und tätschelte es mit der rechten. Es wäre besser gewesen, sie hätte es in Papier eingepackt. Ich verdrehte die Augen, aber die Fragerei ging weiter. Schließlich gelang es uns, nett und freundlich zu gehen und wir hatten ja auch Verständnis für die alte Frau. Es war eben noch die alte Schule – wenig Geld, kaum Lebensmittel, Sparsamkeit, vielleicht sogar Armut. Rolande hatte Verständnis: ‚Du hast schon recht, deine Oma ist sicher der Urvertreter der Eulenfamilie, so rassisch, wie sie heute noch aussieht. Ihre Blicke waren bohrend und zermarterten mich ganz schön. Ich bin beeindruckt!‘“

„Die Klamotten wurden vom ältesten bis zum jüngsten durchgegetragen, das heißt von Alfred, unserem ältesten, über mich bis zum Walter, dem jüngsten. Ich kann mich noch erinnern, dass ich damals in meiner Denkweise einen ganz einfachen logischen Fehler hatte. So sagte Mutter Frida zum Beispiel: ‚Ach jemine, Herbert, deine Hosen sind auch wieder zu kurz geworden.‘ Ich dachte krampfhaft nach: Wieso werden denn meine Hosen im Laufe der Zeit immer kürzer; das kann doch gar nicht sein. Das sind doch Gegenstände, die nicht zu- aber auch nicht abnehmen. Wenn ich Mutter fragte, kapierte sie meine Frage nicht beziehungsweise nahm sich nicht die Zeit, darüber nachzudenken. Späteres, intensives Nachdenken brachte mir dann die Erkenntnis, dass ich durch mein stetiges Wachstum aus den Hosen herausgewachsen war.

Um meine berufliche Ausbildung musste ich mich selbst kümmern. Nur mithilfe der Schule bekam ich eine Lehrstelle in einer Glasgroßhandlung. Wir mussten immer Berichte über unsere Lehrtätigkeit schreiben; ich hatte mich noch in einem Englischunterricht angemeldet und musste nun ganz einfach einmal zu Hause lernen. Tagsüber ging das nicht – da war viel zu viel Durcheinander. So wartete ich, bis alle ins Bett gegangen waren und setzte mich dann in der Stube an den Tisch. Das passte meiner Mutter überhaupt nicht, da viel sinnloser Strom (nach ihrer Meinung) verbraucht wurde. Mich belastete das sehr, denn was sollte ich denn tun? Ich musste lernen, ganz einfach lernen und arbeiten. Um mich zu beeinflussen, bezüglich Stromverschwendung, ließ Mutter die Tür zur Schlafstube einen Spalt auf und alle paar Sekunden stöhnte sie, in etwa so: ‚Aaaaachchch, Haaaahhhh.‘ Das war für mich eine richtige seelische Bürde.“

„Aber als Kinder, Herbert, da hattet ihr doch hoffentlich eine glückliche Zeit, so wie Friedel und ich?“

„Wie man es nimmt, wir mussten viel auf der Straße spielen, denn Parks oder gar Wälder waren viel zu weit weg. Wir spielten häufig Fußball und da wir manchmal keine Schuhe hatten, spielten wir barfuß. Da will ich mich aber nicht drüber beschweren – das taten wir alle so. Ich kann mich aber noch erinnern, dass ich einmal, als ich einen besonders guten Schuss aufs Tor loslassen wollte, mit der großen Zehe an die Bordsteinkante geschlagen habe. Das tat sehr weh und war schon ganz schön schlimm für mich. Ihr seht also daran, dass wir es auch nicht so ganz ideal als Kinder hatten. Zudem war das Fußballspiel auf der Straße verboten und wir hatten ständig Ärger mit den Schutzmännern, die uns vertreiben wollten. Aus Rache ärgerten wir sie, indem wir uns versteckten und dann laut riefen: ‚Schutzmann Rotermund such uns mal, such uns mal!‘ Das ganze machten wir als Singsang und das ging den Schutzmännern wirklich auf den Geist – übrigens, uns manchmal auch. Rotermund war meist allein, aber einmal hatte er zwei Helfern zur Verstärkung mitgebracht und ich wurde in die Zange genommen, konnte nicht mehr fliehen und wurde abgeführt. Meine Mutter musste dann auf die Wache kommen und nachdem sie mächtig in die Erziehungszange genommen wurde, durfte sie mich wieder mit nach Hause nehmen. Abends bekam ich dann von Vater und Mutter eine deftige Reformande gelesen und durfte zwei Tage nicht spielen gehen. Heute hätte man Fernsehverbot für Kinder ausgesprochen – damals gab’s das ja noch nicht.

Infolge der ständigen Mangelwirtschaft und Geldnot bei uns zu Hause, wie gesagt, wir waren immerhin vier Kinder, war die Stimmung bei uns meist nicht besonders gut. Es gab Streit zwischen Mutter und Vater, meist wegen Zigaretten und Alkohol und ich muss heute sagen, dass Vater etwas verständnisvoller hätte sein können. Erinnern kann ich mich noch an Weihnachten, wo Mutter immer in Sorge war, dass Vater wieder versackt. So gegen fünfzehn Uhr hätte er zu Hause sein müssen, aber es wurde fünfzehn Uhr, fünfzehn Uhr dreißig, sechzehn Uhr. Da wurde Mutter nervös und schickte mich los, damit ich Vater suchte. Also suchte ich die nächstgelegenen Kneipen ab und tatsächlich, im Moritzburger Hof wurde ich fündig. Der nach außen dringende Lärm machte mich sehr unruhig und mit zittrigen Knien trat ich ein. Vater stand am Tresen, hatte ein großes Bier vor sich stehen und trank gerade einen doppelten Weißen. Ich ging hin, fasste sanft seine rechte Hand und sagte: ‚Vater, komm schnell nach Hause, Mutter wartet doch auf dich. Sie muss noch einkaufen gehen und siebzehn Uhr machen die Lebensmittelläden zu. Komm bitte schnell.‘ Mit zitternder Hand strich er mir über den Kopf und sagte: ‚Nur noch ein Bier und einen Klaren, Herbert, dann gehen wir gleich.‘ Es dauerte und dauerte und ich mahnte noch einmal: ‚Vater, Mutter braucht doch dein Geld, sonst kann sie nicht einkaufen gehen, es ist ganz wichtig, komm bitte.‘ Es waren erhebliche seelische Qualen, mit denen ich fertig werden musste. Vater interessierte das aber offensichtlich überhaupt nicht. Er zündete sich in Ruhe noch eine Zigarette an und bestellte sich – wie zum Schur für mich – noch einen doppelten Klaren. Dann endlich wankte er mit mir die drei Stufen aus der Kneipe hinunter auf die Straße und lief seelenruhig und extrem langsam neben mir. Das empörte mich und ich sagte zu ihm: ‚Vater, warum musst du denn überhaupt in die Kneipe gehen. Du hast doch uns Kinder zu Hause und außerdem Mama. Bei uns ist es doch viel gemütlicher als bei den Männern in der Kneipe. Die sehen alle so wild aus, schreien und brüllen, torkeln durch die Gaststätte – ich hab immer richtig Angst vor denen.‘ ‚Das verstehst du nicht, Herbert, du bist eben noch ein kleiner Junge, der spielen möchte und andere Interessen hat. Der Mann und Familienvater, welcher hart arbeitet und dies von Montag bis Sonnabend, braucht ab und zu mal eine Ablenkung und einen richtigen Schnaps, verstehst du das?‘ Ich verstand es nicht, war ohnehin traurig, nicht gut drauf und außerdem störte mich sein ständiges Getorkele und unsicheres Gehen auf dem Nachhauseweg. Trotzdem dachte ich über seine Bemerkung nach und wagte doch einen Hinweis beziehungsweise sogar eine Kritik: ‚Du könntest doch auch mal mit uns spielen, Vater, wir würden uns sehr darüber freuen. Du könntest auch mal mit uns Name – Stadt – Land probieren oder du könntest uns einmal mit in den Wald nehmen, wo du doch immer so von den Erlebnissen dort schwärmst.‘ Er knurrte nur irgendetwas, was in etwa so klang: ‚Gar keine Zeit für solche Schnerzchen, genug Sorgen mit Frida, der ich nie was recht machen kann und die immer nur meckert, Geld langt nie – ist klar, das kann der Kleine noch nicht verstehen.‘ Wenn ihr nun denkt, dass Opa, also mein Vater, einmal mit uns gespielt hätte oder dergleichen. Nichts tat sich. Mit seiner Sauferei – das wurde nie besser, eher schlimmer. Einmal kam er nach Hause; wir schliefen schon alle. Da krachte und donnerte es im Vorsaal, nachdem zuvor schon die Tür laut aufgeworfen wurde und krachend an den Türpfosten stieß. Mutter schrie mit ihrer kreischenden Stimme, die mir manchmal durch Mark und Pfennig ging: ‚Alle hoch – kommt, nehmt ein Messer. Ein Überfall, wir müssen nachschauen.‘ Mutter kam mit einem Handbesen angerannt, Gerda hatte ein Speisemesser in der Hand, wir anderen hatten nichts. Alle waren wir zu Tode erschrocken, hundemüde mit schreckgeweideten Augen. Oma voran, liefen wir von der Schlafstube über die Stube in den minikleinen Vorsaal. Es war ziemlich dunkel, nur das Dämmerlicht vom Hauskorridor erleuchtete ein wenig. Wir sahen fast nichts. Da kreischte Frida erneut (uns Kindern standen vor Übermüdung, Angst und wegen dieses blöden, dröhnenden Kreischens die Haare zu Berge). ‚Hier liegt doch jemand. Macht doch mal das Licht an.‘ Die kleine Gerda knipste die Beleuchtung an. Wir sahen ein Chaos – Vater lag auf dem Boden, seine Nickelbrille war ihm bei dem Sturz runtergefallen und lag in der Ecke. Was aber am schlimmsten war, seine schwarze Jacke roch säuerlich nach Erbrochenem – sie war auch davon verunreinigt – und neben seinem Kopf sahen wir auch noch kleine Haufen an Gespienem. Es ging aber noch weiter – gleich wenn man zur Tür hereinkam, stand ein kleiner Beistelltisch, welcher durch das mächtige Eindringen umgefallen war und alles was darauf war, lag in wilder Unordnung auf dem Fußboden. Eine lindgrüne Glasvase mit Blümchen darin, und natürlich auch Wasser, lag zerbrochen auf dem Fußboden und daneben eine Tabakdose, welche durch den Aufprall geöffnet worden war – der Tabak lag wild verstreut herum. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was meine Mutter jetzt abzog. Um es kurz zu machen – sie wurde im höchsten Maße hysterisch, indem sie mit den Händen fuchtelte, warum, weiß kein Mensch, schrie, brüllte und kreischte. Uns Kindern wurde schlecht. Gerda sah ganz blass aus – ich schaffte die Kleine ins Bett. Nachdem Mutter zehn Minuten sinnlose Bewegungen gemacht und dabei wie wahnsinnig gebrüllt hatte, sagte sie: ‚Alfred und Herbert (wir waren die ältesten), Ihr bleibt hier und helft. Die anderen gehen ins Bett.‘ Wir versuchten Vater zu helfen. Es war äußerst schwer, aber irgendwie ging es doch. Er saß dann auf einem Stuhl – Mutter hatte ihm ein Glas Wasser in die Hand gedrückt – sah nichts, da er immer noch keine Brille hatte und stank vor sich hin. Mutter wischte den Fußboden, um das Erbrochene einigermaßen wegzubekommen. Da erhob sich Vater, ging äußerst wackelig zu unserem Eisschrank, öffnete den Deckel und legte ihn nach hinten. Dann öffnete er den Riemen an seiner Hose, dann den Hosenstall, ließ die Hose herunter, holte seinen Schniebel heraus und hielt ihn in den Eisschrank. Die gesamte Aktion war begleitet von Schwanken und Brabbeln irgendwelcher Worte, wie: ‚Pinkeln muss sein – ist mir vielleicht schlecht.‘ Alfred und ich schauten fassungslos zu und riefen: ‚Vater, du musst in die Toilette gehen, das ist doch der Eisschrank.‘ Friedel rief ständig aufgeregt hinein: ‚Was ist denn nun passiert – hat er oder hat er nicht? Das ist doch unverschämt interessant und wichtig.‘ ‚Na, und wie. Überleg dir mal, Friedel, was in so einem Eisschrank drin ist. Das sind unten Eisbrocken, dann Lebensmittel, dann nochmal Eisbatzen, Lebensmittel und obendrauf der Abschluss nochmals mit Eisbruchstücken, damit eine richtige Gefrieratmosphäre vorhanden ist.‘ Herbert reagierte: ‚Das wird sich wohl nie klären lassen – ist auch nicht so wichtig. Auf alle Fälle haben wir es überlebt.‘“

 

„Von wegen – nicht so wichtig. Das kann nicht wahr sein, Herbert. Manchmal habe ich den Eindruck, ihr wart richtige Assis.“

„Schluss damit, lasst mich mal weitererzählen. Nun hatte das auch Mutter mitbekommen. Was jetzt folgte, lässt sich kaum beschreiben. Sie rannte in das Haus hinaus, schrie: ‚Hilfe, mein Mann ist verrückt geworden, ab ins Irrenhaus, am besten ich auch, denn das kann ja keiner aushalten mit dem Kerl. Ich muss jetzt die Polizei anrufen, jetzt auf der Stelle. Jetzt ist der Verrückte ganz wahnsinnig geworden.‘ Ich will es kurz machen. Alfred und ich versuchten, sie zu beruhigen, was lange nicht gelingen wollte. Am Ende waren wir aber alle so erschöpft, dass irgendwie Ruhe eintrat. Vater schlief wohl auf der Couch in der Stube und wir gingen dann doch ins Bett, wobei Alfred und ich nicht schlafen konnten.

Ab diesem Zeitpunkt war es gänzlich um den Familienfrieden bei Eulenbergers geschehen. Mutter hatte ständig schlechte Laune, war unfreundlich und zickig, natürlich besonders gegenüber Moritz. Es wurde nur unbedingt notwendiges geredet und bei der kleinsten Unregelmäßigkeit brüllte sie. Offensichtlich war es also ähnlich wie bei euch, wenn Salz und Pfeffer fehlten und Alfred verrücktspielte. Ein schönes Miteinander sieht anders aus. Wir Kinder versuchten auszuweichen, indem wir länger von zu Hause weg waren als sonst, bei Freunden und Bekannten, bei Veranstaltungen, wie Kinogängen und vor allem bemühten wir uns um eine Freundin und Gerda natürlich um einen Freund. Vater ließ von seinen Kneipengängen nicht ab – im Gegenteil, er blieb länger weg. So ein Streit ist natürlich nichts Feines und wir wunderten uns, dass Frida nicht einmal mit vernünftigen Worten Frieden suchte. Wir sagten ihr, dass dies notwendig sei, damit sich Vater wieder heimisch in der Wohnung und bei uns fühlen würde. Sie blieb aber stur und fuhr uns noch an, wenn wir so etwas Vernünftiges anregen wollten.

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