Einführung in die Psychomotorik

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■ Koordination der Aus- und Weiterbildung: Abstimmung von Inhalten, Richtlinien, Prüfungen, Förderung der Harmonisierung der beruflichen Ausbildung auf dem Niveau staatlicher Anerkennung;

■ gegenseitige Anerkennung;

■ Vertretung gemeinsamer berufspolitischer Interessen, Anerkennung durch die Krankenkassen, Lohnniveau, Schutz der Ausbildung (Irmischer 1998, 136).

EFP

Die Arbeit des EFP ist tatsächlich eine Erfolgsgeschichte gemeinsamer Aktivitäten und der fachlich definierten europäischen Verständigung. Im Jahr 2007 erzielt das EFP das wichtigste politische Ziel: die offizielle Anerkennung als Vertretungsorganisation der Psychomotorik durch die Europäische Kommission. Das EFP erscheint jetzt als anerkannte Organisation auf der Homepage der Europäischen Kommission. Die Homepage des EFP (psychomot.org) informiert über die Aktivitäten und Erfolge seit den Gründungsjahren.

Kommission

Kommission Ausbildung:

■ Internationale Datenbank von Psychomotorik-Experten

■ Entwicklung einer verbindlichen Minimalqualifikation in der Psychomotorik

■ Fachglossar der Psychomotorik

■ Liste von Fachschulen mit einer Grundausbildung sowie von Hochschulen mit einer Masterqualifikation in Psychomotorik

Kommission Berufe:

■ Internetauftritt aller EFP-Mitgliedsländer mit Auflistung der jeweiligen Aus-, Fort- und Weiterbildungssituation sowie der gesetzlichen Anerkennung der Berufssituation:

■ Kompetenzprofil für Fachleute in Wissenschaft und Praxis (2017)

Kommission Wissenschaft und Forschung:

■ Leitlinien für Themenfindung und Projektorganisation der EFP-Forschungsstrategien

■ Taxonomien des Forschungs- und Anwendungsfeldes

■ Listen mit Zeitschriften und ausgewählten Publikationen in der Psychomotorik

■ Methodologische Zugänge der Erforschung von Wirkfaktoren in der Psychomotorik

Kongresse

Seit 1996 findet in der Regel alle vier Jahre ein großer internationaler Kongress statt (s. nachstehende Auflistung). Darüber hinaus findet seit 1998 jedes Jahr turnusmäßig in den Mitgliedsländern eine dreitägige Studentenakademie statt, auf der neben kulturellen Angeboten der fachliche Austausch der Studierenden der Psychomotorik in Workshops, Fachseminaren und Hospitationen erfolgt.

Internationale Psychomotorikkongresse:

■ 19.–21.9.1996 in Marburg (D):

Thema: Psychomotorik in der Entwicklung

■ 19.–21.5.2000 in Strassburg (F): Thema: Psychomotorik im Wandel der Gesellschaft auf der Schwelle in das 3. Jahrtausend

■ 31.3.–2.4.2004 in Lissabon (P): Thema: Psychomotorische Identität – Besonderheit und Verschiedenartigkeit:

■ 21.–23.5.2008 in Amsterdam (NL): Thema: Crossing Borders

■ 9.–11.5.2013 in Barcelona (SP): Thema: Different Faces in Psychomotricity

■ 5.–7.5.2016 in Luzern (CH): Thema: Movement and Lifelong Development

Inhaltlich hat sich die Psychomotorik in den Ländern Europas relativ eigenständig entwickelt. In Erweiterung früherer Auflagen der Einführung in die Psychomotorik werden die landesspezifischen Quellen der psychomotorischen Fachdiskussion hier differenzierter rezipiert, nicht zuletzt um historische und vergleichende Bearbeitungen und Forschungen in zukünftigen Bachelor- und Masterarbeiten anzuregen.

Dänemark

Dänemark hat im europäischen Vergleich die längste Tradition. Schon in den 1940er-Jahren gründen Gerda Alexander und Morrussia Bergh die ersten Ausbildungsinstitute zum „Entspannungspädagogen“, dessen berufliche Qualifikation im Spannungsfeld zwischen Kunst, Ballet,Rhythmik, Theater und der Gesundheitspädagogik angesiedelt ist. Die seit 1978 existierende Berufsvereinigung entwickelt eine dreijährige Ausbildung an sieben Ausbildungsstätten und erreicht eine staatliche Anerkennung des Berufsbildes durch konzeptionelle Abgrenzung und Absprache mit dem Berufsbild der Physiotherapeuten. Im Jahre 2002 kann der Berufsverband mit dem Erziehungsministerium das Curriculum für eine akademische BA-Ausbildung von dreieinhalb Jahren (210 ECTS) vereinbaren, die seither an den Universitäts-Colleges von Kopenhagen und Randers angeboten wird. Die dänische Psychomotorik untersucht die Beziehung von muskulärem Tonus und der Psyche (Persönlichkeit) des Menschen. Als Teil der Gesundheitslehre beschäftigt sie sich mit der Bewegungsqualität insbesondere über die Entspannungsfähigkeit des Klienten. Schwerpunkte liegen sowohl in der Praxis als auch der Beratungstätigkeit. Es werden Fragen gestellt, gemeinsam Entscheidungen, Antworten und Lösungen gesucht und die passenden Realisierungsmöglichkeiten erörtert. Im Vordergrund steht das Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe im Kontext der Gruppe und der Familienarbeit. Hat die klassische Arbeit sich stärker auf Erwachsene konzentriert,erreicht heute die Arbeit mit Kindern zwischen sechs und zehn Jahren annähernd den gleichen Anteil. Bei den Erwachsenen konzentriert sich die Arbeit auf Stress- und Beziehungsthematiken mit den damit verbundenen Haltungsproblemen und Körperspannungen; entsprechend verfügt die Psychomotorikerin über ein reichhaltiges Repertoire an Entspannungsmethoden (Frimodt 2003; Akasha 2004).

Finnland und Schweden

Die beiden anderen skandinavischen Länder haben erst in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts eigene Psychomotorikorganisationen gegründet (Finnland 1994 und Schweden 1996). Seit den 1970er-Jahren bestehen intensive Fortbildungskontakte zu Personen und Einrichtungen vor allem in Deutschland; in der Folge werden psychomotorische Inhalte in zahlreiche Ausbildungsgänge der vor-, grund- und sonderschulischen Lehrerbildung und der Physiotherapie integriert(z.B. an den Universitäten Helsinki und Jyväskylä). Seit der Gründung des Europäischen Forums gehen Schweden und Finnland verstärkt eigene Wege. In Schweden weisen die Universität Växjö, das Falun College und das Karolinska Institut (Stockholm) psychomotorische Teilcurricula für ihre Lehrer- bzw. Physiotherapeutenausbildungen aus.

Frankreich

Die weitestgehende Anerkennung im gesellschaftlich-staatlichen Sinne hat die Psychomotorik in Frankreich mit einer Tradition von mehr als einem halben Jahrhundert. Durch die Arbeiten des Psychiaters de Ajuriaguerra und der Beschäftigungstherapeutin Soubiran etabliert sich die psychomotorische Arbeit zuerst im klinischen Bereich mit eher funktionellen Methoden, die im Laufe der Zeit zu einer ganzheitlichen Methode der Körperarbeit mit Unterstützung von Entspannungstechniken weiterentwickelt werden. Heute existieren in Frankreich elf staatlich anerkannte Ausbildungsinstitute zum „Psychmotricien“ verteilt über ganz Frankreich. Das Berufsbild des Psychomotorikers (BA und MA) ist gesetzlich geschützt. Parallel dazu hat sich eine erzieherische Strömung der Psychomotorik im Kindergarten und im Grundschulbereich etabliert.

Das Feld der Psychomotorik in Frankreich speist sich aus mehreren Disziplinen: Kinderpsychiatrie, Neurologie, Sportpädagogik, Psychologie. Beeinflusst wurde sie von unterschiedlichen Entwicklungstheorien (Wallon, Piaget), Entspannungstechniken (Schultz, Jacobson), die Leibeserziehung (Demeny, Hebert etc.) und von der rhythmischen und gestuellen Erziehung (Duncan, Popard, Dalcroze) (Guillarmé 1990).Trotz verschiedener Einflussquellen verfolgen die verschiedenen Konzepte ein gemeinsames Ziel: die Erziehung des Menschen durch seinen Körper (Eggert 1994/2008). Heute existieren im Wesentlichen vier Ansätze: der kinderpsychiatrische, der psychopädagogische, der sportpädagogische und der tiefenpsychologische Ansatz (Übersicht nach Bathke 2007).

Der kinderpsychiatrische Ansatz nach Ajuriaguerra

Die Kinderpsychiatrie beschäftigte sich schon in den 1950er- und 1960er-Jahren mit den Zusammenhängen von Verhaltensstörungen,Schulschwierigkeiten und Störungen der psychomotorischen Entwicklung. Der Neuropsychiater Ajuriaguerra interessierte sich für die Zusammenhänge von Störungen der Psychomotorik und der Sprache und erforschte das Fundament des Körpers für die Entwicklung des Kindes.Das Kind entwickelt zunächst über die motorische Funktion eine Vorstellung seines Körpers und der Körperteile; in der Folge entsteht ein innerer Plan seines Körperaufbaus und letztlich werden die erworbenen Körperbewegungen automatisiert. Eine besondere Rolle für Ajuriaguerra spielen die „tonischen und motorischen Funktionen in der Aktivität und der Organisation von Beziehungen“ (Heintz 1983, 105). Diese ermöglichen eine aktive Kontaktaufnahme zur Umwelt, so wird der Körper zum Kommunikationsmittel. Ihre ersten Erfahrungen machen Kinder durch ihren Körper und ihre Handlungen. Eine psychomotorische Störung tritt nach Ajuriaguerra nicht isoliert auf, sondern hängt mit weiteren Problemen des Kindes zusammen. Deswegen richtet sich seine Therapie auf die Gesamtpersönlichkeit des Patienten und vermeidet eine reine symptomorientierte Vorgehensweise. Das Ziel der Therapie richtet sich auf die indirekte Behebung der Störungssymptome und die Kontrolle des Tonus. Grundlegend für Ajuriaguerra ist die Sichtweise der „tonisch-affektiven Dialektik“, das Verständnis, dass „jede Gemütsbewegung auch eine tonische Veränderung zur Folge“ hat (Heintz 1983, 248). Mittel der Intervention sind für Ajuriaguerra vor allem Entspannungsmethoden. Interessant sind hier Parallelen zur deutschen Psychomotorik. Diese liegen im ganzheitlichen Zugang zum Kind mit einer Betonung der Bedeutung des Körpers. Unterschiede liegen in der Rolle der Bewegung, die im Ansatz von Ajuriaguerra eine geringere Rolle spielt.

 

Der psychopädagogische Ansatz nach Picq und Vayer

Für die Sportlehrer Louis Picq und Pierre Vayer (1965) ist Psychomotorik Folgendes: „Psychomotorische Erziehung ist eine pädagogische und psychologische Handlung, die die Mittel der Leibeserziehung braucht, um das Verhalten des Kindes zu normalisieren und zu verbessern“ (zit.n. Heintz 1983, 112). Ihre Bezugsgruppe sind verhaltensauffällige Kinder, die Zielrichtung eine bessere Integration in der Schule über „eine systematische Erziehung motorischer und psychomotorischer Verhaltensweisen“ (Heintz 1983, 112). Der Ansatz geht von der Untrennbarkeit von Motorik und Psyche aus und versteht sich eher als erzieherische denn als therapeutische Maßnahme. In der Praxis haben motorische Übungen bei „unangepassten Handlungen“ in den Entwicklungsbereichen Koordination, Raumorientierung, räumlich-zeitliche Strukturierung, Lateralität, Rhythmusgefühl etc. vor allem die vorschulische Erziehungspraxis (école maternelle) erobert.

Der sportpädagogische Ansatz von Le Boulch

Als Sportlehrer und Psychologe entwickelt Le Boulch einen persönlichkeitsorientierten Ansatz und nennt diesen „Psychokinetik“ (1977, 1983). Es handelt sich dabei „um eine allgemeine Konzeption der Bewegung als Mittel der Gesamterziehung der Persönlichkeit“ (1983, 4). Le Boulch betont die Wichtigkeit der Förderung der Entwicklung perzeptiver, motorischer und kommunikativer Funktionen in Verbindung mit mentalen Prozessen. Dieser Ansatz weist viele Parallelen zum kindzentrierten Ansatz von Volkamer/Zimmer (1986) auf. Es ist beachtlich,dass Le Boulch schon in den 1960er-Jahren erkannte, dass der Sportunterricht in den Schulen verändert werden muss. Eine reine Stoffvermittlung und Leistungsorientierung lehnte er ab; der Ansatz an der Persönlichkeit des Kindes ist ihm wichtig. Das Körperschema als Grundvoraussetzung für das Selbstbewusstsein steht im Vordergrund.Dabei findet das Prinzip der Autonomie zur Förderung der Selbsttätigkeit des Kindes eine Berücksichtigung.

Der tiefenpsychologische Ansatz nach Aucouturier und Lapierre

Ein neuerer Ansatz ist der von Bernard Aucouturier und André Lapierre.Das psychoanalytische Konzept findet mittlerweile Anhänger in ganz Europa und in Südamerika. Aucouturier, wie sein Kollege Lapierre Sportlehrer, arbeitete in den 1960er-Jahren als Leiter am Centre d’Éducation Physique specialisée in Tours mit Kindern unterschiedlicher motorischer Auffälligkeiten. Durch seine Arbeit erkannte er sehr bald den Zusammenhang von physischen und psychischen Störungen.Er wandte sich psychomotorischen Ansätzen zu und stieß dabei auf die Arbeiten von Le Boulch, Wallon, Piaget und Vayer. Die klassische symptomorientierte praktische Arbeit erzeugte jedoch Widerstände bei den Kindern; diese hielten – bewusst oder unbewusst – an ihren Störungen fest, was sie durch Verweigerung und Passivität ausdrückten. Die Analyse des Problems mündete in dem Eingeständnis, dass die fachliche Aufmerksamkeit sich mehr auf die Störung richtete als auf das Kind selbst. Aucouturier veränderte das Konzept seiner Arbeit und betont jetzt die Ganzheit des Körpers (unité corporelle). Das Kind soll in seiner Gesamtpersönlichkeit unterstützt werden, es ist als ein ganzheitliches Wesen (être global) zu betrachten, das seine motorischen, affektiven und kognitiven Strukturen miteinander verbindet.Der Körper vereint all diese Strukturen und kann sie zum Ausdruck bringen. Er wird hier nicht als ein rein funktionales Instrument betrachtet, er ist vielmehr „Bezugs- und Orientierungspunkt in der Welt“ (Esser 2011, 19).

Entfaltung der kindlichen Kreativität

Der Ansatz orientiert sich an der individuellen Entwicklung eines Kindes durch Förderung der kindlichen Kreativität. Dem Kind wird genügend Freiraum gegeben, sich selbst Übungen und Geschichten in Praxissituationen auszudenken. Der Therapeut versucht dabei die spontanen Handlungen und deren „innewohnende Symbolik“ zu verstehen. Aucouturier spricht in seiner Förderstunde drei Bereiche an und stellt im Raum die entsprechenden Materialien zur Verfügung, deren Auswahl den Kindern selbst überlassen wird:

■ Den sensomotorischen Bereich: Das Kind verwendet Material, um elementare sensomotorische Aktivitäten zu erleben. Gleichgewichtssinn, Tiefensensibilität und Tastsinn werden angesprochen. Das Kind soll mit seinem Körper experimentieren, um seine Bedürfnisse und Stärken, aber auch Grenzen zu erfahren.

■ Den symbolischen Bereich: Die verwendeten Materialien lassen Freiraum für die kindliche Phantasie. Mit Hilfe von Tüchern,Schaumstoffblöcken oder Kleidungsstücken soll das Kind zum symbolischen Spiel/Rollenspiel angeregt werden. Es kann in andere Rollen schlüpfen, Erfahrungen aufarbeiten oder Wunschvorstellungen ausleben. Die Rolle des Therapeuten ist eher begleitend und passiv.

■ Den Konstruktionsbereich: Über Bautätigkeiten oder Spiel mit Knete etc. soll das Kind zu Ruhe und Konzentration kommen.

Schlüsselbegriffe

Als Grundvoraussetzungen der Therapie gilt, das Kind in seiner Einzigartigkeit zu akzeptieren, von seinen Fähigkeiten auszugehen und es in seinen Möglichkeiten zu unterstützen. Es sollen „die Handlungsfähigkeit, Eigenständigkeit und die Autonomie gestärkt und die Beziehungen zur Umwelt stabilisiert werden“ (Esser 2011, 84). Auch die französische Psychomotorik identifiziert sich über Schlüsselbegriffe: Körperschema (schéma corporel), Tonus als Kommunikationsmittel (de dialogue tonique) im Rückgriff auf Entspannungsmethoden (relaxation), Bewegung (le mouvement) und die Beziehungserfahrung im tonisch-emotionalen Dialog.


Als deutschsprachige Überblicksdarstellungen sei auf Amft (1990), Guillarmé (1990) und Prévost (1990) verwiesen.

Die französische Psychomotorik verfügt über kein einheitliches Konzept. Neben der Früherkennung und Vorbeugung in der école maternelle hat sich der Arbeitsschwerpunkt französischer Psychomotoriker auf den klinisch-psychiatrischen Bereich verlagert. Hier ergeben sich jedoch Identifikationsprobleme, da die Psychomotorik als ganzheitliches Konzept auf ein symptomorientiertes medizinisches System trifft (Contant/Calza 1994). Trotz der Widersprüche hat sich die Psychomotorik in Frankreich als anerkannte Therapieform etabliert. Auch wenn es der französischen Psychomotorik im Vergleich zur deutschen an Strukturiertheit im wissenschaftlichen Diskurs mangelt (vgl. Bathke 2007, 91), ist es ersterer letztlich konzeptionell gelungen, die Dichotomie von Geist und Körper aufzuheben.

Italien, Spanien, Portugal

Von Frankreich ausgehend werden psychomotorisch orientierte Ausbildungen in den romanischen Ländern (Italien, Spanien, Portugal) initiiert, unterliegen aber sehr schnell eigenen Entwicklungen. Die italienische Berufsausbildung folgt noch relativ eng dem französischen Modell einer klinisch-therapeutischen Schwerpunktsetzung. Allerdings existiert eine konkurrierende Strömung, die psychomotorische Inhalte eher als Bestandteile pädagogischer und psychologischer Hochschulausbildungen vermittelt sehen möchte (Caliari 2004). In Italien sind Berufsausbildungen in Psychomotorik lediglich auf der Ebene privater Fachschulen organisiert und haben eine Dauer von drei Jahren (180 ECTS).

Wurden in Italien, Spanien und Portugal in der ersten Entwicklungsphase viele Literaturübersetzungen aus dem Französischen verwendet, so ändert sich dieses seit den 1980er Jahren. Mit dem südamerikanischen Sprachraum hat dabei die spanische Fachliteratur die größte Verbreitung. Die spanische Fachzeitschrift Psicomotricidad: Revista de Estudios y Experiencia erscheint seit 1981 als erste, die italienische Revista Psycomotrictà ReS (ab 1993) und A Psicomotricidade (Portuguese Review of Psychomotricity) (seit 2003) folgen und zeugen von einer lebhaften Fachdiskussion.

In Spanien ist die Psychomotorik im therapeutischen Feld nicht offiziell anerkannt; psychomotorische Inhalte haben in vielen klassischen Berufsausbildungen (Psychologie, Logopädie, Sondererzieher) eine stärker pädagogische Ausrichtung erfahren. In den 1990er-Jahren wurde der spanische Dachverband der Psychomotoriker gegründet, dem fünf Teilorganisationen angehören. Auch wenn die staatliche Anerkennung der Psychomotorik als Fachberuf noch nicht erreicht ist, sind psychomotorische Inhalte in den Curricula von 10 spanischen Universitäten und zahlreichen weiteren Instituten und Ausbildungsstätten ausgewiesen.


Einen sehr guten Überblick (in spanischer Sprache) zur Psychomotorik im Erziehungfeld gibt der Revisionsband von Pescador et al. (2000).

Den größten Sprung in der fachlichen, wissenschaftlichen und fachpolitischen Anerkennung der letzten zwanzig Jahre hat die Psychomotorik in Portugal vorgenommen. An fünf Universitäten bestehen seit einigen Jahren BA-Ausbildungen in Psychomotorik mit einem Schwerpunkt in der Erziehung; an der Universität Lissabon sogar ein MA-Studiengang.


Für eine fachliche Vertiefung sei auf Fonseca (2004), Neto (2004) und Martins (2006) verwiesen.

Niederlande

In den Niederlanden ist der Terminus Psychomotorische Therapie (PMT) vorherrschend. Nach Bosscher (2006) sowie Bosscher/Probst (2001) etabliert sich die PMT historisch zuerst im psychiatrischen Kontext und wird dabei vor allem durch die „aktivere Krankheitsbehandlung“ psychiatrischer Patienten des deutschen Psychiaters Simon (1929) beeinflusst. Entsprechend übernimmt sie den Terminus „Aktivere Therapie“. Dahinter verbirgt sich die aus heutiger Sicht durchaus ressourcenorientierte Vorgehensweise, den „gesunden Teil“ des Patienten durch Arbeit, Körperübungen und Erholung zu aktivieren, wodurch das bisherige Fehlen von sinngebenden Aktivitäten in den psychiatrischen Krankenhäusern ausgeglichen werden sollte. Nach einer bewertenden Übersicht von van Praagh (2003) handelt es sich bei der Aktiveren Therapie bereits um einen systematisch durchgeführten therapeutischen Ansatz, denn es werden nach den Kriterien nötige Konzentration, Maß an selbstständigem Denken und Grad der Verantwortlichkeit fünf Niveaus unterschieden, auf denen mit den Patienten gearbeitet werden kann. Ausgehend von diesem Basiskonzept wird in den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg systematisch ein Therapiekonzept entwickelt, das von den Wirksamkeiten der Bewegungsaktivitäten ausgeht und unter Hinzunahme anthropologischer und phänomenologischer Erkenntnisse ein umfassendes Erkenntnisinteresse entwickelt (Gordijn et al. 1975) und sowohl pädagogische als auch therapeutische Anwendungsfelder begründet (vgl. Bosscher 2006, 240; Emck 2004).

Der aktuelle psychomotorische Ansatz wird als eine Sichtweise beschrieben, die sowohl bewegungsorientierte als auch körperorientierte Behandlungsweisen integriert. Obwohl in der Praxis entstanden, etabliert sich die PMT in den Niederlanden zunehmend als theoriegeleitetes Konzept, das zudem in einem Zwei-Wege-System studiert werden kann. Weg eins führt über ein praxisorientiertes BA-Studium (vier Jahre) an den Fachhochschulen Windesheim in Zwolle und Arnheim Nijmegen und anschließender mindestens zweijähriger Berufspraxis zu einem Master-Abschluss. Der zweite Weg führt als wissenschaftliches Studium über den Bachelor of Science in Bewegungswissenschaften an der Freien Universität Amsterdam und anschließender (mindestens) zweijähiger Berufspraxis zu einem Master of Arts an der FH Windesheim/Zwolle. Aufgrund des sich wandelnden Anspruches im Gesundheitswesen verbunden mit einem erhöhten Kostendruck steigern sich die Anforderungen an die wissenschaftlichen Kompetenzen der Absolventen. Die Forderungen nach Qualitätssicherung und Effektivitätsnachweisen lassen die holländischen Kollegen mit ihren Partnern im Europäischen Forum für Psychomotorik bzw. den Hochschulausbildungsstätten der Nachbarländer zusammenrücken (vgl. Bosscher 2006, 246; Fischer 2006, 238).

 

Belgien

Enge konzeptionelle Verbindungen bestehen zum flämischen Teil Belgiens. Hier ist – wie in den Niederlanden – die psychomotorische Ausbildung seit etwa den 1980er Jahren universitär ausgerichtet (Leuwen) und den Fakultäten für Bewegungswissenschaften zugeordnet. Nach Simons (2000a, b) können in der PMT zwei Richtungen unterschieden werden. Die eine platziert sich im Rahmen der allgemeinen Therapiediskussion zwischen neurobiologischen, phänomenologischen und verhaltenstherapeutischen Modellvorstellungen, die andere Richtung entspricht dem holländischen Modell einer spezifischen und eigenständigen Behandlungsform mit den entsprechenden Erklärungsansätzen. Das belgisch-wallonische Ausbildungssystem folgt eher dem französischen Muster mit recht unterschiedlichen berufsspezifischen Akzentsetzungen zwischen Therapie und Pädagogik. Interessant ist, dass insbesondere der Ansatz von Aucouturier eine starke Berücksichtigung in der psychomotorischen Therapie gefunden hat.

Luxemburg

Die psychomotorische Erziehung in Luxemburg untersteht dem Erziehungsministerium und wird von einer kleinen Gruppe von Spezialisten, die meistens eine Aus- oder Weiterbildung in Frankreich oder Deutschland genossen haben, in unterschiedlichen Ausbildungsbereichen (Vorschule, Schule, klinischer und rehabilitativer Bereich) vertreten. Dabei hat das mehrsprachige Luxemburg schon immer eine Mittlerfunktion zwischen den deutschen und französischen Konzeptentwicklungen in Europa innegehabt. Robert Decker analysiert seit den 1960er-Jahren die spezifischen Entwicklungen und macht die psychomotorischen Prinzipien als Grundelemente für die Aus- und Fortbildung in Luxemburg nutzbar (Decker 1967; 1984; 2002). Schon im Jahre 1983 wird der „Letzeburger Aktiounskrees Psychomotorik“ (LAP) gegründet. Die therapeutischen Arbeitsfelder werden heute eher von in Frankreich ausgebildeten Psychomotoriktherapeuten, die pädagogischen eher von in Deutschland ausgebildeten Spezialisten besetzt. In jüngster Zeit wird die Frage der Sozialen Gerechtigkeit unter besonderer Berücksichtigung des Themas „Kinderarmut und Bildung“ diskutiert (Caritas Luxembourg 2008). Achten et al. (2008) nehmen dabei eine kindorientierte Perspektive ein und weisen der Bewegung/Psychomotorik eine herausragende Rolle für die nationale Bildungsdiskussion zu. Insbesondere in der (Vor-)schulischen Erziehung der drei- bis sechsjährigen Kinder (classe précoce und classe d’éducation préscolaire) hat die Vermittlung psychomotorischer Handlungskompetenzen – etwa durch das Konzept der Neuen Bewegungsbaustelle (Miedzinski/Fischer 2006) – Fuß gefasst (Koppes 2007).

Schweiz

Das schweizerische Psychomotorikkonzept ist ursprünglich durch eine enge Zusammenarbeit der Tanzpädagogin Suzanne Naville und des Psychiaters de Ajuriaguerra entstanden, hat sich aber von dem ursprünglich klinischen Vorbild Frankreichs sehr schnell zu einer anerkannten Ausbildung zum Psychomotorik-Therapeuten mit einer Qualifikation für den heilpädagogischen Bereich entwickelt. In der Schweiz werden in Zürich, Basel und Genf die Ausbildungen in Psychomotorischer Therapie auf Hochschulebene vermittelt. Von der heutigen Warte zurückblickend muss festgestellt werden, dass sich die klassische Klientel (nicht nur) in der Schweiz grundlegend verändert hat. Hartmut und Susanne Amft (2003) weisen mit ihrer groß angelegten Studie zu über 1300 Psychomotoriktherapien in der deutschen und französischen Schweiz mit Kindern im Grundschulalter nach, dass die Klientel der mit Psychomotorik geförderten Kinder umdefiniert werden muss. Nicht mehr Kinder mit „Bewegungsschwierigkeiten“ sind Hauptklientel der Psychomotorischen Therapie (so der offizielle Begriff in der Schweiz), sondern „Kinder mit komplexen Auffälligkeiten und Störungen, welche auf psychosozial bedingte Ursachen- und Entstehungszusammenhänge hinweisen. Diese Kinder sind nicht behindert, sondern sie weisen problemanzeigende Verhaltensweisen auf. Der heilpädagogische Auftrag beinhaltet daher nicht in erster Linie die Förderung von Bewegungskompetenzen, sondern von psychosozialen Bewältigungsressourcen. Dies sollte Konsequenzen für das Selbstverständnis und die paradigmatische Zuordnung der PMT haben“ (Amft/Amft 2003, 30–31). Entsprechend hat die Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik in Zürich ab dem Studienjahr 2006 das Curriculum verändert und bietet einen interdisziplinär ausgerichteten Bachelor-Studiengang „Psychomotoriktherapie“ an, der den neuen fachwissenschaftlichen Qualifikationskriterien entspricht (Amft et al. 2013). Ein weiterer BA-Studiengang wurde an der Hochschule für Soziale Arbeit in Genf eingerichtet.

Österreich

Österreich folgt stark dem Entwicklungsweg Deutschlands und versucht Psychomotorik durch die bevorzugte Verwendung der Begriffe Motologie und Motopädagogik eher wissenschaftlich-universitär mit einer Akzentsetzung im (heil/sonder-)pädagogischen Feld zu etablieren. Ein interdisziplinär und international begleiteter Modell-Studiengang an der Donau-Universität Krems und der Niederösterreichischen Landesakademie St. Pölten entwickelt in den Jahren 1996–1998 ein Fachcurriculum nach europäischem Standard (zu den Ergebnissen s. Weiß/Ullmann 2003). Leider ist der Abschluss anfangs trotz hoher Qualität national nicht anerkannt. Ab dem Wintersemester 2001/2002 wechselt der Studiengang an die Universität Wien. Heute ist die Ausbildungssituation in Österreich verändert. Die Universität Wien bietet einen vollwertigen Masterstudiengang (Weiß 2018) als Universitätslehrgang Psychomotorik an und auch die Donauuniversität Krems einen sechssemestrigen Universitätslehrgang Mototherapie (Ullmann 2003). Auch die Fortbildungskonzeption zur „Zusatzqualifikation Motopädagogik“ des 1993 gegründeten Aktionskreises Motopädagogik Österreich (akmö) nach ursprünglichem Vorbild des Aktionskreises Psychomotorik e.V. in Deutschland (Stehno 1997) entwickelt sich in Kooperation mit zahlreichen Initiativen und Ausbildungsstätten im pädagogisch/therapeutischen Tätigkeitsbereich zu einem differenzierten und anerkannten Anwendungskonzept (Pinter-Theiss/Theiss 1997).

Tschechien und Slowenien

Die beiden (süd-)osteuropäischen Länder im Forum (Tschechien und ehemals auch Slowenien) halten schon seit den 1960er- bzw. 1970er- Jahren sehr intensive Fortbildungskontakte zu E.J. Kiphard und intensivieren seit ihrer Mitgliedschaft im Europäischen Forum und der Europäischen Union Bestrebungen zu eigenen Fort- und Ausbildungskonzeptionen. In Tschechien ist die Psychomotorik insbesondere in der Vorschul- und Grundschulpädagogik verbreitet. Im Sonderschulwesen (Special Education) besteht eine enge Verbindung zur Internationalen Vereinigung Adapted Physical Activity (APA). Gegenwärtig findet eine sehr differenzierte Auseinandersetzung – auch mit den wissenschaftlichen Konzepten des psychomotorischen Paradigmas – statt (Blahus 2004). Eine formale Organisation besteht in der tschechischen „Association Sport for All“. In Slowenien existiert eine „Gesellschaft für Motopädagogik und Psychomotorik“, die sich sehr um die therapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen bemüht.

Griechenland

Griechenland ist bisher nicht Mitglied des Europäischen Forums für Psychomotorik. Dennoch gibt es in Griechenland eine kleine, vorwiegend in Deutschland ausgebildete Gruppe von Fachspezialisten. Deren Aktivitäten sind inzwischen so weitreichend, dass nicht nur im Jahre 2002 eine wissenschaftliche Vereinigung „Hellas“ der Psychomotoriker (Kambas 2003) gegründet wurde, auch wurden inzwischen geeignete Inhalte in die Curricula der (Sport-)Lehrerausbildungen der Universitäten Athen, Thessaloniki und Kreta sowie der Vorschulerziehung integriert. Darüber hinaus existiert seit 2005 eine wissenschaftliche Online-Zeitschrift.

Mit Bezug auf eine Darstellung Irmischers (1998, 134) und Fischers (2006a) sollen die Gemeinsamkeiten sowie die Unterschiede der europäischen Besonderheiten zusammenfassend dargestellt werden.

Gemeinsamkeiten

Gemeinsamkeiten in der Entwicklung:

■ die Ursprünge der praktischen und theoretischen Überlegungen, die zu den unterschiedlichen Verfahren in den Ländern führen konnten, ergeben sich sehr oft aus der therapeutischen Arbeit mit gesellschaftlichen Randgruppen in klinisch-psychiatrischen Einrichtungen;

■ die jeweiligen Initiatoren und Initiatorinnen hatten erkannt, dass nur ein holistisches Menschenbild Grundlage ihrer Arbeit, die über die Körper-, Sinnes-, und Bewegungsfunktionen hinaus ganzheitlich auf den Menschen wirken sollte, sein konnte;

■ eine differenzierte Analyse der theoretischen Hintergründe lässt gemeinsame philosophische und anthropologische Quellen erkennen, die sicherlich erst auf der Grundlage der gemeinsamen Kulturgeschichte zu verstehen sind;