Trips & Träume

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Dons Vorgehensweise faszinierte mich. Seine Methoden waren nichts Neues, er hatte sie sich bei den großen Bands abgeguckt. Aber dass er die Chuzpe besaß, diese Strategien in unserem Kaff anzuwenden, imponierte mir.

Led Zeppelin oder die Rolling Stones bekamen ihr Equipment auch kostenlos von den Herstellern. Jimmy Page hatte nie im Leben auch nur einen Dollar für seine Gibson und den Marshall-Turm hingelegt. Wenn Keith Richards eine neue Gitarre brauchte, ließ er bei Fender anrufen und bekam sie persönlich in die Garderobe geliefert. Danke, Herr Richards, es ist uns eine Ehre, dass Sie unsere Instrumente benutzen. So lief das.

Dreamlight waren aber nichts weiter als vier Typen mit Flausen im Kopf. Doch sie hatten Don, und der hatte alles clever eingefädelt.

Selbst Mark profitierte von der Vereinbarung. Er hatte einen Satz neuer Felle bekommen, dazu Trommelstöcke, einen komfortableren Hocker, zwei zusätzliche Becken und eine zweite Hängetom. Nicht zu vergessen die neue Fußmaschine.

Außerdem hatte Don sich verpflichtet, die Gesangsanlage für das Festival sowie das nötige Zubehör bei keinem anderen als Köfers Willi zu leihen.

Für den Anfang war das, was Don geleistet hatte, beachtlich. Er hatte was bewegt. In diesem Licht betrachtet, erschien mir mit einem Mal sein Plan, Pop-Fürst für das Festival zu begeistern, doch nicht so blöd.

»Ich denk darüber nach«, sagte ich. »Ich komm bei dir vorbei, wenn ich diesen Artikel fürs Lokalblatt fertig habe. Dann reden wir über alles, einverstanden?« Er kratzte sich grinsend die Fünftagestoppeln. »Dann muss ich mir also doch keine Matte wachsen lassen und Sartre lesen, damit du mich ernst nimmst.«

Er brummelte noch was von wichtigen Angelegenheiten, rief »Ciao« in die Runde und war durch die schwere Eisentür verschwunden.

»Hey, alle mal herhören«, meldete sich Mark zu Wort, »wenn die Managergespräche beendet sind, kann es weitergehen. Wir wollen das Stück noch einmal probieren. Ich hoffe, ihr seid so weit.«

Ach ja, die gab es ja auch noch. Die Herren Künstler wollten wieder zur Tat schreiten. Würden sie nun endlich die Kuh zum Fliegen bringen?

*

Ich hatte mit meiner Einschätzung gar nicht so falschgelegen.

Wenn Mark das rhythmische Herz von Dreamlight war, dann war Gero das musikalische Hirn der Gruppe.

Er beherrschte ein paar Sachen aus Béla Bartóks »Mikrokosmos«. Aber immer nur die ersten acht Takte, mehr hatte er aus dem Klavierunterricht nicht behalten. Da Skip und Paul in puncto Notierung schwach waren, hatte er ihnen eine Art Tabulatur aufgeschrieben, aus der genau ersichtlich war, wie viele Takte Paul sein Riff und welchen Lauf Skip spielen musste, wann ein Tonart- oder Tempowechsel anstanden.

Sie hatten sich mit ihren Instrumenten und Verstärkern kreisförmig um Marks Schlagzeug aufgebaut. Gero links, Skip und Paul rechts davon. Ich trat in ihre Mitte, sodass mich alle sehen konnten.

»Wollt ihr nur eine Coverband sein, oder was?«, rief ich, bevor sie erneut loslegten. Vorsichtig näherte ich mich Paul und seinem Gitarrenturm.

»Was soll das, seit wann sagst du, wo es langgeht«, knurrte er, »du bist doch hier nur der Tintenquäler!«

»Soll ich in meinen Artikel etwa schreiben, dass ihr nur eine lausige Nachspieltruppe seid?«, provozierte ich.

Mark schaute mich entgeistert an. »Wir spielen ›Atom Heart Mother‹ bloß deshalb, weil es uns allen gefällt.«

»Aber warum keine eigenen Stücke? Euer Krach, den ihr vorhin fabriziert habt, der war eigentlich gar nicht schlecht. Wenn es euch gelingt, den in die richtigen Bahnen zu lenken, dann seid ihr Avantgarde.«

»Mit der Zeit kommen eigene Stücke ganz von selbst«, erwiderte Mark.

Ich kapierte sofort. Der Boss hatte keinen Bock mehr auf Diskussionen. »Okay, ich wollte das nur mal klargestellt haben, dass ich dann auch nichts Falsches in die Zeitung setze«, sagte ich und zog mich aufs Sofa zurück.

Ich zündete mir eine Kippe an, kramte mein Schreibzeug hervor und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Bereit, die Sensation zu notieren. Dass Dreamlight das kommende große Ding des Musikfiebers seien.

Mark hielt die Stöcke in die Höhe. »Können wir weitermachen?«, fragte er in die Runde und zählte, ohne abzuwarten, die ersten vier Takte an.

Dieses Mal funktionierte es.

Da das Stück hauptsächlich auf Orgelharmonien basierte, übernahm Gero die Dirigentenrolle. Jetzt unterbrach er das Spiel, wenn er es für nötig hielt, korrigierte hier, veränderte dort, sprach Lob und immer weniger Tadel aus.

Skip war aus der Kiffergalaxie zurückgekehrt. Er konzentrierte sich, seine schlanken Finger flitzten plötzlich gekonnt über den Hals des Basses und fanden die richtigen Noten.

Paul übertraf sich selbst. Der Knoten hatte sich gelöst, fehlerfrei schlug er das Gitarrenriff auf seinem Brett an. Beim Solo, das noch ausbaufähig war (aber immerhin gelang ihm nun eines), hielt er sich sogar an die vorgegebenen sechzehn Takte.

Mark ließ kurze Wirbel und Paradiddles über die Toms rollen, die Einsätze kamen punktgenau auf die Eins, die Becken krachten im richtigen Moment, sein Kantenschlag war präzise und knackig.

Nach zwei weiteren Stunden und völliger Erschöpfung hatten sie eine Version von »Atom Heart Mother« drauf, die sich hören lassen konnte.

Als der letzte Ton verklungen war, platzte es aus mir heraus. »Wow, wenn ihr so weitermacht, spielt ihr alle an die Wand.«

*

Ich schob die Kreidler auf dem Heimweg und ging neben Mark her. Obwohl fast Mitternacht, war zu dieser fortgeschrittenen Stunde die Luft noch angenehm warm. Die Cordjacke hatte ich mir um die Hüfte gebunden. Auf der Straße keine Menschenseele, nicht ein einziges Auto war unterwegs. Die Spießer hatten sich in ihre Wohnungen zurückgezogen und taten, was Spießer so tun – ihre Kinder schlagen, Ehefrauen begatten und Drei mal Neun mit Wim Thoelke in der Glotze gucken. Der normale Kleinstadtwahnsinn.

»War das dein Ernst?«, fragte er.

»Was meinst du?«

»Na, dass wir alle an die Wand spielen werden?«

»Ihr müsst nur noch eure eigene musikalische Stimme finden«, sagte ich.

»Eigene musikalische Stimme ...«, wiederholte er versonnen.

Der Mond tauchte die Bäume und Sträucher in ein unwirkliches Zwielicht.

»Andi schreibt eigene Stücke«, sagte ich. In knappen Worten schilderte ich Karens und meinen Besuch bei ihm.

»Er hat also eine kleine Melodie?«, fragte Mark, als ich fertig war.

»Ja, aber als er sie uns vorspielen wollte, platzte Don herein«, antwortete ich.

»Wenn der eigene Songs hat, dann brauchen wir auch welche.«

Wie war das nun gemeint? Klar, wer ein Konzertpiano in seiner Bude stehen hatte und darauf komponieren konnte, der verstand was von seinem Fach. Plötzlich kapierte ich. Fra Mauro, Andis Band, war die große Konkurrenz auf Marks Weg, das Festival für sich zu entscheiden.

»Und wenn Karen dich erst mal am Schlagzeug sieht, wird es sie umhauen«, sagte ich.

Bei der Erwähnung ihres Namens ging ein Zucken durch sein Gesicht, kaum merklich, doch ich registrierte es genau.

Mark zeigte mir den Vogel. »Du spinnst.«

»Lad sie doch auf die nächste Probe ein«, schlug ich vor, »glaub mir, damit kannst du Eindruck schinden.«

»Irgendwie ist sie, na ja ... unnahbar.«

»Du bist doch sonst nicht so schüchtern«, sagte ich.

Marks Stimme überschlug sich fast: »Ist sie nicht mit Andi zusammen?«

Wir hatten die Hälfte des Parks hinter uns. Der Mond war verschwunden. Die Bäume hatten ihn verschluckt. Ich konnte Mark kaum noch erkennen, nahm sein Gesicht wie einen altertümlichen Scherenschnitt wahr.

Seit Andi über dem Rats eingezogen war, klebte Karen an seiner Seite. Andi war etwas älter als die anderen in der Korona, hatte den Führerschein, war belesen und konnte Adorno zitieren. Das schien ihr zu imponieren.

Warum war dieser Typ plötzlich so wichtig geworden? Wo kam er überhaupt her, und warum war er gerade in unserem Kaff hängengeblieben?

»Ich kenne seinen Onkel«, antwortete Kief etwas unwirsch, als ich ihn einmal über Andi ausquetschte. Ich ließ nicht locker, und schließlich begann er zu berichten. Andi stamme aus der Gegend von Köln. Sein Vater sei Musiklehrer am Gymnasium gewesen, von ihm habe er das musikalische Talent geerbt und ersten Unterricht erhalten. Mit siebzehn, achtzehn habe sich Andi politisiert und machte bei der trotzkistischen Gruppe Internationaler Marxisten mit. Dies führte über Jahre hinweg immer wieder zu Streitereien mit seinem Vater und dann zum Zerwürfnis mit der Familie. Einen kommunistischen Klavierspieler dulde er nicht, habe der Vater gesagt. Andi packt seine Klamotten und kam beim Onkel, der ein Kaff weiter von unserem wohnte, unter. Ein paar Wochen danach sei bei seinem Vater ein Krebsleiden diagnostiziert worden. Keine drei Monate später sei er gestorben.

»Dann hat mich Bernd angerufen« erzählte Kief. So hieß Andis Onkel. Und der habe ihn sein Leid geklagt. Der Junge habe nur das Konservatorium und seine Musik im Kopf. Er übe täglich bis zu sechs Stunden. Das ewige Klavierspielen halte er nicht mehr aus, er habe dem Jungen gesagt, er müsse sich was eigenes suchen, er habe ja jetzt Geld durch die Erbschaft, und ob er, Kief, nicht eine Unterkunft wüsste. Da das Apartment über dem Rats gerade frei geworden war, hätte sich so alles gefügt, meinte Kief.

Seit Andi aber in unserer Szene aufgetaucht war, fühlte ich mich in seiner Gegenwart, daran hatte auch der Besuch auf seiner Bude nichts geändert, ständig dazu aufgefordert, es ihm gleichzutun, mit Sartre und den Existenzialisten zu protzen. Insgeheim gefielen mir ja diese intellektuellen Reibereien. Wovon er lebte, das konnte ich mir noch immer nicht so richtig erklären, die Erbschaft konnte ja nicht ewig halten.

 

Egal, Andi wusste einfach verdammt viel über Musik. Ohne seine Plattensammlung, mit der er im Rats den Discjockey machte, wäre ich nicht auf Musiker wie Gato Barbieri und John Coltrane gestoßen. Er war der Korona Lichtjahre voraus. Verglichen mit ihm waren wir Anfänger.

»Die beiden sind Freunde, mehr ist da nicht. Aber wahrscheinlich bist du nur sauer, weil das hübscheste Mädchen der Stadt nicht mit dir, sondern mit dem Szeneguru abhängt«, sagte ich.

Er ging nicht darauf ein. »Weißt du eigentlich, wo die proben?«, fragte er.

Ich atmete schwer, nicht nur, weil die Kreidler zu schieben Kraft kostete, sondern auch wegen unseres Gesprächs.

Ich war ein bisschen gereizt. »Wer probt wo?«

»Na, all die anderen Bands?«

»Electric Junk, Storm und Pharos haben im Schulzentrum einen Raum gefunden. Inri und Alpha Centaurus proben unter der Tankstelle in der Hochstraße. Staffelbruch, Occulta, Oxygen Factory und Stiebel Eltron sind im katholischen Kindergarten untergekommen.«

»Im Kindergarten, wie soll denn das gehen?«

»Sie teilen sich alle einen Raum, ihre Verstärker und Boxen haben sie zu einer gemeinsamen Anlage zusammengestellt«, berichtete ich.

»Dann ist bei denen nicht mehr als einmal die Woche proben drin.«

»Kannst du mal sehen, wie gut du es getroffen hast. Dreamlight haben einen eigenen Proberaum, ganz für sich allein. Übrigens, Andi soll inzwischen einen Saxophonisten an Land gezogen haben. Der hat ein kleines Studio, und da proben Fra Mauro.«

Das schien Mark zu interessieren. »Weißt du, wer dieser Saxophonist ist?«

»Ich habe Kief gefragt, ob er ihn kennt. Er sagte, der sei wirklich gut, ein echter Jazzer mit Erfahrung, hätte sogar schon einige Platten gemacht.«

»Ein erfahrener Jazzer – dann ist der schon älter, oder wie?«

»Vielleicht Ende fünfzig. Je älter, desto besser, so ist das bei den Jazzern. Er heißt übrigens Reed Isberg«, antwortete ich.

»Ist das sein echter Name?«

»Für mich klingt das nach Pseudonym«, sagte ich.

Mark meckerte drauflos. »Andi ist ja richtig auf der Gewinnerstraße. Einen Top-Saxophonisten hat er aufgerissen, einen eigenen Song hat er, und Karen hat er auch. Ich kann den Typ nicht leiden.«

»Wenn du Karen näher kennenlernen willst, dann zeig ihr, wie du wirklich bist, und spiel nicht den Macker.«

Er hörte nicht zu. Über Karen zu reden war ihm zu viel.

»Was hältst du von Don, traust du ihm zu, dass er das hinkriegt mit dem Festival?«, fragte er.

»Er scheint es wirklich ernst zu meinen«, antwortete ich.

»Ich sag dir was. Scheiß auf Fra Mauro. Wir werden sie an die Wand spielen«, schnaubte er im Brustton der Überzeugung.

»Na endlich, so gefällst du mir.«

Wir hatten den Park verlassen und die Kirche nahe dem Bahnübergang erreicht. Mark wohnte in der Westallee; wenn ich ihn schon bis hierher begleitet hatte, konnte ich ihn auch an der Haustür abliefern.

Plötzlich schoss ein Wagen viel zu schnell in die leere Kreuzung. Das Auto steuerte direkt auf uns zu. Es war der mausgraue Käfer von Andi.

Im letzten Moment kam er vor Mark und mir zum Stehen.

Die Beifahrertür ging auf, und Karen schaute heraus. Hinterm Steuer saß Andi, der uns keines Blickes würdigte. Er starrte geradeaus.

»Habt ihr vergessen, heute steigt die Einweihungsparty im Müsli. Los, kommt schon, bevor wir das Beste verpassen«, rief Karen.

Sie stieg aus dem Wagen und klappte den Sitz zurück. Mark kletterte auf die Rückbank. Ich warf die Kreidler an und düste ihnen hinterher.

fünf Inside Looking Out

Das Erste, was mir auffiel, waren die Matratzen.

Auf dem Parkett zogen sie sich an den rot gestrichenen Wänden des Zimmers entlang wie ein auf dem Kopf stehendes U.

Statt einer Tür hing etwas im Rahmen, das aussah wie Girlanden. Es waren Schnüre aus Seide, die bis zum Boden reichten, mit kleinen bunten Steinchen und Perlen aus Plastik besetzt. Als ich sie mit der Hand berührte, erinnerte mich das Geräusch an das Klackern von Glasmurmeln.

In der Mitte vor dem Matratzen-U stand ein kniehoher rechteckiger Tisch. Na ja, eigentlich waren es leere Bierkästen mit einer Holzplatte obendrauf. Jemand hatte ein Spitzendeckchen darübergelegt.

Und dann die Kerzen. Auf Untertassen in jeder erdenklichen freien Ecke verteilt – es waren bestimmt an die zwanzig –, hüllten sie den Raum in ein fast mystisches Licht. Irgendwo mussten auch Räucherstäbchen glimmen. Der Geruch war unverkennbar. Die Wände waren mit Batiktüchern dekoriert. Die grellen psychedelischen Muster wirkten wie ein nicht ganz gelungener Versuch, Dalí auf LSD nachzumalen.

Am Eingang stand ein Plattenspieler. Daneben ein Teil so groß wie ein Koffer. Dieses Gerät war Mischpult und Verstärker in einem und hatte eine Power, dass die Dröhnung nicht nur im ganzen Haus, sondern in der halben Stadt zu hören sein musste. Die Lautsprecherboxen waren an die hinteren Wände des Zimmers montiert. Ich schmunzelte und überlegte kurz, ob die Balken der Dachwohnung nicht derart heftig vibrieren würden, dass die Ziegel tanzten und davonflögen.

Das also war das Müsli. Sonny und Moses hatten sich wirklich etwas einfallen lassen, um es den Freaks heimelig zu machen.

Auf den Matratzen war kein freier Platz mehr zu bekommen. Die gesamte Rats-Korona hatte sich dort versammelt. Sogar Kief war da, wahrscheinlich, um abzuchecken, ob sich das Müsli zur Konkurrenz entwickeln könnte. Joints machten die Runde. Was war das für ein psychedelischer Sound? You Doo Right von Can beschallte die Szenerie.

In der hinteren Ecke des Matratzen-Us tat sich was. Ein Typ mit einer gewaltigen blonden Lockenpracht schlug mit beiden Fäusten auf die Zimmerwand ein. Es war Matti, der Drummer von Zoon Politikon. Immer wieder rief er: »Mehr, mehr, mehr!« Der LSD-Trip, auf dem er anscheinend war, und der Sound hatten ihn scheinbar auf eine Reise in die Windungen seines Hirns geschickt. Alle quasselten durcheinander. Der Stimmenpegel übertönte teilweise gar die Musik. Die Gespräche, das konnte ich mir an den Fingern abzählen, drehten sich um das teure Dope, das derzeit kursierte, die fehlenden Mädels – denn die waren hier klar in der Minderheit –, das Musikfieber und das bevorstehende Festival.

Mark und Karen hatten es sich neben dem Mischpultkoffer bequem gemacht. Er schien ihr gerade etwas erklären zu wollen. Um das Gesagte, das ich nicht verstand, zu unterstreichen, gestikulierte er mit den Händen in der Luft. Karen nickte und schaute ihn mit großen Augen an. Wahrscheinlich hielt er ihr einen Vortrag darüber, wie er reich, berühmt und sexy werden wollte, dass er dafür nur einen richtig guten Song, also einen Hit, brauchte. Danach würde Karen sicher mit Christiania anfangen. Ich verspürte keine Lust, mich zu ihnen zu setzen. Ich kannte das alles zur Genüge. Außerdem wollte ich ihr erstes richtiges Näherkommen nicht stören.

Cannabis konnte komplizierte Gedankenabläufe in Gang setzen. Diese in Sprache umzusetzen, war ein schwieriges Unterfangen. Am besten, man redete erst mal drauflos. Die Gefahr bestand darin, dass man immer weiter vom Weg abkam. Ein Gespräch über das Wetter konnte in ein verschachteltes Philosophieren ausufern, bis am Ende niemand mehr wusste, wie man darauf gekommen war. Kluge Köpfe wie Ernst Bloch und Walter Benjamin hatten einst versucht, unter Haschischeinfluss neue Ideen zu formulieren. Darüber hatten sie sogar ein Buch geschrieben. Die Sache war aber die, dass man, je bekiffter man wurde, also nach drei, vier Joints hintereinander, zunehmend zum plötzlichen Verstummen neigte und nur noch seinen eigenen Gedanken nachhing. So weit war diese Party jedoch noch nicht gediehen.

»Alter, da fliegt dir die Schädeldecke weg.«

Vor mir war Rütz aufgetaucht. Der Edelfreak. Er trug indianische Mokassins, handgefertigt, Jeans mit so viel Flicken drauf, dass sie faktisch nur noch daraus bestanden. Rütz liebte langärmelige Shirts, die er selbst färbte und dann mit den Covers seiner Lieblingsbands bemalte. Er hatte gerade eine Lehre als Schaufensterdekorateur begonnen. Ich fand, dass das prima zu seinem zeichnerischen Talent passte. Diesmal trug er das Shirt mit der Schizoid-Man-Fratze vom ersten King-Crimson-Album.

Das Edelste an ihm war jedoch ein mit Lammfell besetzter Mantel aus braunem, kratzigem Leder. Ein Teil, wie es auch John Lennon trug. An Rütz sah es nach afghanischem Stammesführer aus. Er war Spezialist für die englische Undergroundszene. Er kannte alle Canterbury-Bands von Caravan bis Soft Machine und liebte die Platten von Van der Graaf Generator. Seine neueste Entdeckung hieß Gong.

»Alter, das musst du dir unbedingt mal reinziehen. Camembert Electrique heißt die Scheibe. Wenn du das hörst, hebst du ab«, sagte er.

Er fing an, die Musik von Gong zu beschreiben. Er laberte was von Musiktheater auf LSD, dass die Band in Frankreich lebe und im Vorprogramm von Magma, dieser französischen Spinnergruppe, aufgetreten sei. Mastermind sei ein gewisser Daevid Allen, der zur Urbesetzung von Soft Machine gehört habe. Gong lebten in einer Musikerkommune und seien das nächste große Ding. Rütz laberte und laberte. Wahrscheinlich stimmte alles, was er sagte. Aber sein Redeschwall war unerbittlich, ohne Punkt und Komma, weshalb ich mich bald ausklinkte, aber so tat, als hörte ich weiter zu.

Das war unhöflich, doch mir stand plötzlich nicht mehr der Sinn nach Gong und Künstlerkommune. In Marks Ecke tat sich etwas.

Karen war enger an ihn herangerutscht. Sie hatte die Knie angezogen, die Arme um die Beine geschlungen. Ihr Kopf ruhte auf den Knien, Mark zugewandt.

Sieh mal an, die beiden scheinen sich näherzukommen, dachte ich.

Ich sagte Tschüs zu Rütz, nicht ohne ihm versprechen zu müssen, mir Gong mal in aller Ruhe anzuhören. Ich solle doch mal auf ein Tässchen leckeren Kräutertee bei ihm vorbeikommen. Er griente, als er das sagte.

Im Flur entdeckte ich Andi.

Ich schob mich an ein paar Leuten vorbei, die ich vom Sehen kannte. Porno-Fischer, den alle so nannten, weil er angeblich eine Sammlung schwedischer Sexheftchen besaß. Skip, Gero und Paul standen bei ihm und schauten gelangweilt drein. Ich schnappte auf, wie Porno-Fischer sagte, er werde in die Band von Sonny und Moses, Waisel-Villwock, einsteigen. Das konnte ich gut für meinen Artikel verwenden.

Seit Erscheinen meines Berichts in Das Auge war es zu weiteren Gruppengründungen gekommen. Saitenspinner, Vox Juventutis und Tara Folk verstanden sich als Folkmusiker.

»Hast du Karen gesehen?«, fragte Andi. Er zwirbelte sich den Schnurrbart und zog gierig an der Gauloise. Der Junge schien ein Nervenbündel zu sein. Wahrscheinlich, weil Karen nicht an seiner Seite war. Schau an, wenn der nicht genauso eifersüchtig ist wie Mark, dachte ich.

»Die sitzt drinnen«, antwortete ich so unbeteiligt wie möglich. Bevor er etwas sagen konnte, wechselte ich das Thema. »Was macht deine Band? Ihr habt Reed Isberg engagiert, hab ich gehört.«

»Hey, du kennst den?«

»Nicht wirklich – nur, was die Gerüchteküche erzählt«, erwiderte ich.

»Er hat eine Zeitlang bei Horst Jankowski gespielt. Hat damit gut Kohle gemacht«, sagte Andi.

Horst Jankowski war ein Jazz-Pianist, der manchmal in Fernsehshows auftrat und eine Big Band unterhielt, die auch kommerzielle Sachen spielte. Mit »Schwarzwaldfahrt« hatte er einen Riesenhit gehabt, der selbst in den US-Charts aufgetaucht war.

»Wo hat der gespielt, bei Jankowski?«

»Hey, der ist ein sauguter Musiker. Aber als Jazzer musst du sehen, wo du bleibst. Oder glaubst du, mit Jazz kann man hierzulande Geld verdienen? Irgendwoher muss ja die Miete kommen.«

»Ich dachte immer, der schnöde Mammon geht den Jazzern am Arsch vorbei. Er bläst also ein richtig geiles Saxophon, dein Reed Isberg?«

»Bist wohl wieder auf Recherche?«

»Ich soll fürs Lokalblatt was übers Musikfieber schreiben«, antwortete ich.

»Also dann, für deinen Artikel, ich habe einen Bassisten und einen Schlagzeuger gefunden. Die kennst du nicht, sind nicht von hier. Wir proben bei Isberg, der wohnt in einem kleinen Dorf im Westerwald. Er hat sich im Keller ein kleines Studio eingerichtet.« In Andis Stimme klang Stolz mit.

»Und in welche Richtung geht euer Sound?«

»Ich verrate nur so viel, nichts wird nachgespielt, alles eigene Stücke, ich komponiere Tag und Nacht. Aber das meiste entsteht aus der Improvisation heraus. Aber wenn du unbedingt eine Schublade brauchst – es klingt wie die Musik von John McLaughlin.« Andis Stolz reichte nun bis zum Mond und zurück.

 

John McLaughlin war das neueste Ding. Der englische Gitarrist hatte in der Tony Williams Lifetime und bei Miles Davis gespielt und mit Devotion ein Album aufgenommen, das die Grenzen von Jazz und Rock aufhob. Es hieß, McLaughlin sei die Gitarrensensation, und seine neue Band Mahavishnu Orchestra, deren erste Platte mit Spannung erwartet wurde, mache eine Musik, die den Geist von Coltrane atme.

Ich war beeindruckt, ließ mir jedoch nichts anmerken. Andi fuhr Kaliber auf, da konnte einem anders werden. Fra Mauro schienen gut aufgestellt zu sein. Da müssen Dreamlight wirklich noch sehr, sehr viel üben, dachte ich.

In diesem Moment ging die Wohnungstür auf, und Moses begrüßte mit lautem Hallo vier Mädels. Ich erkannte Miti und Rike sofort, Karen hatte mir mal ein Foto von ihnen gezeigt. Das also waren ihre Christiania-Freundinnen. Die beiden anderen Frauen waren mir gänzlich unbekannt, ich schnappte aber ihre Namen auf: Elli und Moni.

»Wir suchen Karen, die soll hier sein«, sagte Miti und lächelte.

»Ich zeig euch, wo sie ist«, antwortete Moses, und ehe ich mich versah, führte er die vier ins Matratzenzimmer.

Ich grinste müde und sagte: »Dann besteht ja doch noch die Aussicht, dass es keine ausschließlich von Männern dominierte Langweilerparty wird.«

»Was soll das denn heißen?«, fragte Andi.

»Was denkst du, wozu die Bude hier dient? Orgien feiern wie bei den Römern, freie Liebe und Bewusstseinserweiterung«, antwortete ich.

Andi blickte mich an, als hätte ich die Krätze. »Bewusstseinserweiterung?«

»Genau, du sagst es.« Die Stimme aus dem Hintergrund gehörte Billy.

Schwarze Haare bis auf die Schultern, Mittelscheitel, Hakennase. Er galt als technisches Genie, reparierte den ganzen Tag irgendwelches elektronisches Gerät und kannte sich mit Schaltplänen aus. Außerdem hatte er einen Bausatz für einen Moog-Synthesizer. Das wusste ich von Don. Der Impresario entwickelte sich zu meinem besten Informanten. Wo war der eigentlich abgeblieben, er musste doch auch hier irgendwo sein?

»Auf die Reise gehen, sich selbst erkennen, das Bewusstsein auf eine andere Ebene heben, das hat schon Timothy Leary, der kalifornische Drogenprofessor, gesagt«, setzte Billy seine Rede fort. Er schien eine frühe Form von Esoterik verinnerlicht zu haben, eine von der Sorte, wie sie erst viel später als New Age in Mode kommen sollte. Ohne Timothy Leary.

Andi schien in Stimmung für ein intellektuelles Duell. »Das ist doch alles leeres Hippie-Geschwätz. Drogen machen dir nur die Birne weich.«

Billy schaute verdutzt. »Wie bist du denn drauf?«

»Schau dir nur mal Jim Morrison an«, antwortete Andi. »Er war der letzte Held der Hippies. Zum Schluss hing er in Paris ab und soff nur noch. Warum? Weil er es nicht mehr ertragen hat. Ich kann nur hoffen, dass mit seinem Tod die Hippies endgültig ausgedient haben. Hippie, das ist doch nur ein anderes Wort für Kapitalismus. Sieh dir die Sache mit Woodstock an. Das war der totale Ausverkauf: Festival, Platte, Film. Hippies wissen, wie man Kohle macht. Was soll das für eine Lebensform sein? Love, Peace and Happiness, dass ich nicht lache. Wer hat Sharon Tate, die Frau von Roman Polanski, umgebracht? Das waren Hippies.«

»Meines Wissens war das so ein Durchgeknallter«, entgegnete Billy entrüstet. Er schaute zu mir rüber. Alter, lass mich aus dem Spiel, dachte ich. Ich war gespannt, wie Andi weitermachen würde.

Und Andi legte nun erst richtig los. Er wurde mir immer sympathischer.

»Charles Manson war der Anführer einer Hippie-Kommune, die er wie ein Diktator beherrschte. Das kommt dabei heraus bei all dem LSD. Dieses ganze Auf-den-Trip-gehen-Ding ist nichts anderes als komplette Realitätsflucht. Hippies sind Weicheier, die Angst vor dem Leben haben. Erst wird sich zugedröhnt, dann muss das Establishment herhalten, das System ist an allem schuld. Pah, die wollen nur keine Verantwortung übernehmen. Hippies machen sich nicht die Hände schmutzig, mit den Arbeitern haben die nichts gemein, Hippies halten sich für was Besseres. Ich hoffe, dass sie aussterben wie die Dinosaurier. Und zwar schnell.«

»Jetzt mal ehrlich, wenn das Karen hört, wird sie dir die Augen auskratzen«, stichelte ich.

»Karen hat mehr auf dem Kasten und mehr Mumm in den Knochen als du und Mark und ich zusammen«, zischte Andi in meine Richtung.

»Is ja gut. Ich weiß selbst, dass Karen eine tolle Frau ist. Aber was ist falsch daran, ein bisschen auszuflippen?«, fragte ich nun wirklich empört.

»Die Welt der Hippies ist eine Lüge. Es gibt kein richtiges Leben im falschen, das hat Adorno schon gesagt. Der Sommer der Liebe ist vorbei. Diese Lektion müssten alle Brüder und Schwestern längst begriffen haben. Man kann nicht so weitermachen.«

»Hey, selbst die von der Studentenrevolte haben das begriffen. Die sind jetzt auf dem Marsch durch die Institutionen. Das haben die Hippies auch immer gesagt«, konterte Billy.

»Liest du keine Zeitungen? Die Studenten gehen in den Untergrund. So wie dieser Baader. Der steckt ein Kaufhaus in Brand und ist nun auf der Flucht. Erst kommt Gewalt gegen Sachen, dann gegen Menschen. Das ist doch alles Scheiße«, sagte Andi.

Billy schnappte nach Luft. »Mal langsam, Alter, die Hippies sind doch gegen Gewalt.«

»Aber wie soll das gehen, die Gesellschaft von innen verändern? Indem du das ganze Land erst zum Psychotherapeuten schickst und anschließend zum Meskalinkaktus-Wettessen in die mexikanische Wüste? Als erster Preis winkt ein Besuch beim Mysterienmeister Carlos Castaneda persönlich?« Andi spreizte lachend Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand zum Peace-Zeichen.

Billy gab nicht auf. »Du bist viel zu kopfgesteuert, mach dich mal locker, jeder muss für sich selbst herausfinden, was richtig ist. Erkenne dich selbst, dann erkennst du die anderen.«

Das Gerede über Hippies und Weltverändern hatte mich auf einen anderen Gedanken gebracht.

Ich hatte noch nie LSD ausprobiert. Sollte ich nicht mal selbst herausfinden, wie das ist, auf den Trip zu gehen? Sich locker machen, keine schlechte Idee. Das philosophische Hirnschwitzen törnte mich nicht mehr an. Der Hammerkick. Den brauchte ich jetzt.

Ich ließ die beiden stehen. Aber wenn Billy sich wirklich so gut mit Elektronik wie mit Hippie-Philosophie auskennt, dachte ich noch, dann könnte er beim Festival doch den technischen Leiter machen.

Das sollte ich Don mal vorschlagen.

*

Die Küche war Sonny und Moses nicht so gut gelungen.

Ein langer Tisch und ein Kühlschrank waren die einzigen Möbel, die der Raum vorzuweisen hatte. Das Blau an den Wänden endete im Nirgendwo und ging in den grauen Verputz über. Neben dem Kühlschrank ragte ein altes Waschbecken aus der Wand, in das Fetzer gerade grinsend sein Geschäft verrichtete. Er drehte den Wasserhahn bis zum Anschlag auf. Immerhin spülte er nach. Fetzer ging zurück an den Tisch.

An dem saßen außerdem noch Toni und Erwin und Hördi. Eingekeilt zwischen ihnen, nahm Don einen Schluck aus einer Flasche Bier.

Toni und Erwin waren echte Flippfreaks.

Toni hatte Augen so groß wie Tennisbälle. Wenn er stoned war, musste man befürchten, dass sie ihm jeden Moment aus den Höhlen sprangen. Erwin war immer verschwitzt. Die langen blonden Haare klebten ihm im Gesicht. Zwischen den Strähnen hindurch blinkten mich zwei traurige dunkle Augen an.

Fetzer war ein kräftiger, muskelbepackter Kerl, der viel Alkohol und viel Shit vertrug. Man musste sich vor seinen Launen in Acht nehmen, besonders wenn er getrunken hatte. Doch hatte er dich ins Herz geschlossen, ging er für dich durchs Feuer. Wenn Fetzer lachte, klang es wie das Wiehern eines Pferdes. Tiefe Stimme, raue Schale, weiches Herz und ein von Aknenarben zerfurchtes Gesicht, das war Fetzer.

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