Die klare Sonne bringts doch an den Tag

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Diese ins globale ausufernde Schmeichelei ging Georgios runter wie Öl aus frisch gepressten Oliven, geerntet von den Hängen des Olymp. Selig lächelnd stellte er die beiden mit hohem Schaum gekrönten gläsernen Krüge mit einem Doppelknall auf der marmornen Tischplatte ab. Als er sich neugierig vorbeugte, rann ein Schweißtropfen über seine feuchte Stirn, entlang einer verklebten schwarzen Haarsträhne. »Ist jemand damit ermordet worden?« Der Tropfen löste sich und platschte auf den metallenen Griff der Pistole.

»Kann sein, mein Guter, kann auch nicht sein. Im Augenblick weiß ich nicht mehr als du«. Kopfschüttelnd blickte Brüwer auf, tupfte mit der Spitze des Lappens die geriffelte Oberfläche trocken und sah Stormann an. »Also, was hat es mit dieser Pistole nun auf sich?«

»Dem Opa von dem jungen Mann, von dem ich dir erzählt habe, gehörte diese Waffe zuerst, dann erhielt sie der Vater, und der Sohn nahm sein Erbe vorweg, um sie zu ...«

»Also vom Vater geklaut, ähm, gestohlen.« Brüwer drohte mit dem Finger. »Und du hast sie gekauft, also bist du ein Hehler.«

»Ach was. Ich mache doch kein Geschäft damit, sondern sichere ein mögliches Beweisstück, präventiv handelnd«, murmelte Stormann und hob beschwichtigend beide Hände. »Nachdem ich also bei seinem Vater gewesen war, ließ mir diese Geschichte nämlich keine Ruhe, sondern ...«

»Ähm, Georgios.« Brüwer blickte auf. »Mein Lieber, du kannst deine anderen Gäste nicht länger im Stich lassen.«

»Ach was, die kommen schon ein Weilchen ohne mich klar«, protestierte der vom steten Abschmecken rundlich gewordene Gastronom, welchem die Neugier im fülligen Gesicht geschrieben stand. Er beugte sich hinab zum rechten Ohr von Brüwer. »Ich gebe auch einen aus«, säuselte er in einer Tonlage, welche selbst die schöne Helena hätte betören können.

»Nein, nein, mein Allerbester, es tut mir wirklich leid. Auch wenn du uns damals bei der Sache mit dem Angelcenter den entscheidenden Tipp gegeben hast, du kannst nicht einfach mithören.« Brüwer wedelte mit dem rechten Zeigefinger. »Und bestechen lassen wir uns schon gar nicht.«

Den Herrn im Himmel anflehend legte Georgios den Kopf in den Nacken, verdrehte die Pupillen und breitete seine kräftigen Arme aus zur allumfassenden Frage, womit er das verdient habe. Weil ihm keine Antwort der höheren Mächte zuteil wurde, ergab er sich in sein Schicksal und schlurfte mit hängenden Schultern zur Theke zurück.

»Nun schieß endlich los.«

»Bevor ich das Märchenbuch kaufte, entdeckte ich unter diesem Lappen diese Waffe. Jügesen junior, durchaus ein Luftikus, wie sein Vater meint, wollte sie verscherbeln, aber ich habe ihn zurechtgestutzt. Wegen diesem merkwürdigen Aufsatz von ihm aus dem Märchenbuch und dazu noch diese abstruse Geschichte um den Urgroßvater jedoch ...«

»Die musst du mir noch erzählen. Und von dem Treffen mit dem alten Jügesen berichten.«

»Von Jügesen senior. Da legt er Wert darauf, im Gegensatz zu seinem Sohn.« Stormann grinste belustigt. »Wenn du deren Familiengeschichte hörst, haut‘s dich vom Hocker.«

»Dann trifft es sich gut, dass ich mit dieser Sitzbank fast verwachsen bin.« Brüwer pochte mit den Fingerknöcheln gleichzeitig links und rechts aufs Holz. »Los, weiter.«

»Also bin ich vom Stammhaus gleich wieder zum Fischmarkt marschiert, um für alle Fälle die Pistole an mich zu bringen, bevor er sie doch gegen jede Vernunft an irgendjemanden auf Nimmerwiedersehen verhökern konnte. Ich kam rechtzeitig an, denn er hockte immer noch dort, obwohl rund um ihn herum schon alle fort waren oder gerade am Abbauen.«

»Dann hatte er sicherlich noch nicht genug eingenommen.«

»Das stimmt, aber mit dem Preis für die Pistole hat es dann doch gereicht.«

»Daher kombiniere ich: Dein zweiter Kauf war kein Schnäppchen, weil dein butterweiches Herz dich ganz gewiss dazu getrieben hat, dieses Mal nicht zu handeln, sondern sogar noch so viel draufzulegen, bis es für ihn endlich gereicht hat.« Mit wahrheitswissendem Blick griff Brüwer nach seinem Krug und saugte Schaum, während er ihn neigte, um auf den Bierpegel zu stoßen.

»Wie kommst du denn darauf?«

»Der saß doch schon ganz alleine da und wäre ganz bestimmt nichts mehr losgeworden. Außerdem kenne ich dich ja nun mehr als lange genug.«

Stormann hob ein wenig die Schultern an und blickte leicht verlegen. »Das war es mir dann doch wert.«

»Siehst du.« Brüwer setzte den Krug ab, erhob den Zeigefinger der anderen Hand. »Daran erkenne ich meine Pappenheimer.« Dann beugte sich weit über den Tisch und tippte energisch auf die Steinplatte. »Warum eigentlich bist du nicht gleich am Angelplatz umgekehrt und hast ihm den Zettel zurückgebracht?« Er zwinkerte heftig, legte den rechten Zeigefinger sacht aufs rechte Unterlid und zog ein wenig daran. »Ich folgere: Du hattest deine Nase schon zu tief drin in der Sache und wolltest dir diese einmalige Gelegenheit nicht entgehen lassen, das Stammhaus dieser Reederei mal – natürlich nur für alle Fälle – unter die Lupe zu nehmen.«

»Du hast recht, wie immer, außerdem wollte ich meine Runde um die Alster herum nicht abbrechen.«

»Zurückbringen wäre aber einfacher gewesen und außerdem hat der Alte, ähm«, Brüwer verdrehte die Pupillen, »der von Jügesen senior bestimmt gefragt, wie du Buch und Zettel erworben hast. Das gibt doch Ärger für den Jungen, oder?«

»Ich habe ihn sehr darum gebeten,« Stormann blickte so insistierend wie zuvor beim Gespräch mit dem Reeder, »seinen Sohn nicht darauf anzusprechen, außerdem kann ich das Buch noch zurückgeben. Herr von Jügesen senior wollte es mir auf der Stelle abkaufen; sein Angebot gilt noch.«

»Dann nimm‘s lieber sofort an, sonst verdirbst du es dir endgültig mit deinem Enkel.«

»Ich versuche es aber erst einmal bei ihm. Ich denke, das wird schon schiefgehen.«

»Ha, von wegen Enkelversteher.« Mit beiden Händen wiegelte Brüwer ab. »Du wirst dich noch wundern. Wetten dass?«

»Ich wette nie!« Mahnend richtete Stormann seinen Zeigefinger auf den Ex-Kollegen, aber dann begann er, zu schmunzeln. »Übrigens hat die Inspektion der Reederei noch eine schöne Nebengeschichte generiert: Ich habe auf die Schnelle eine Tagesangelkarte besorgt für die Bille und die umliegenden Seen nördlich des Sachsenwaldes. Unser Ziel morgen früh ist ein winziger Teich, der unter passionierten Anglern aber als echter Geheimtipp gilt.« Während des Sprechens schob Stormann seine Linke in die rechte Innentasche des Jacketts und beförderte ein Dokument in der Größe DIN A6 zutage, welches in eine Folie eingeschweißt war. Diesen Ausweis hielt er seinem Ex-Kollegen dicht vor die Nase.

»Hä?«, murmelte Brüwer und schielte verdutzt auf die unleserliche Unterschrift und den verwischten Stempel des wasserdicht versiegelten Kärtchens. »Was soll ich denn damit?«

»Angeln, und zwar legal. Einen prachtvollen Edelfisch fangen für die größte Bratpfanne zuhause.«

»Für zu Hause? Nee, nee, das kommt gar nicht in Frage. Wenn schon, dann lasse ich von Georgios zwei Riesenhappen zubereiten für uns. Den Rest schenke ich ihm, damit kann er seine Gäste noch wochenlang beköstigen.« Brüwer stutzte und sah sein Gegenüber schief an. »Und was meintest du eben mit legal?«

»Hinter der Fensterfront des Lofts stand das Fernrohr von einem Schiff. Es war gegen die Außenalster ausgerichtet und da habe ich nach dem Gespräch mit Herrn von Jügesen ihn einfach mal gefragt, ob ich durchschauen darf. Ich wollte unbedingt nachsehen, ob du noch angelst. Genau in diesem Augenblick verwarnten dich die Polizeibeamten. Aber du scheinst Glück gehabt zu haben, denn ich hatte den Eindruck, dass sie dein Angelzeug nicht einkassiert haben.«

»Wie bitte? Du hast mich heimlich beobachtet? Hast du dir dabei auch ins Fäustchen gelacht? Ganz bestimmt!« Brüwer hieb mit der rechten Faust so heftig auf die marmorne Platte, dass sämtliche Gäste im Lokal sich erschrocken umsahen. »Na sowas! Das erinnert mich doch glatt an meinen ganzen Ärger damals mit dem guten alten VauEBe Horch und Guck!«

Mit größter Bestürzung im Blick eilte Georgios herbei. Mit hastigen als Beruhigung gedachten Gesten überzeugte Brüwer den Wirt, dass dieser sich keine Sorgen um seine Lieblingsgäste zu machen brauche. Georgios rollte vorwurfsvoll mit den Augen, dann ging er kopfschüttelnd zur Theke zurück. Stormann beeilte sich nun, die Pistole wieder einzuwickeln und zurückzustecken.

Aber die Angriffslust steckte noch in ihm und mit gutmütigem Spott in der Stimme klärte er auf seine Art und Weise den Kumpan auf: »Als ich dein unglückliches Gesicht erblickte, zerriss es mir dermaßen das Herz, dass ich mir gleich eine topografische Kreiskarte von Segeberg, Stormarn und dem Herzogtum Lauenburg besorgte. Dann erkundigte ich mich bei einem Angelverein, wo es die wirklich dicksten Fische gibt und du garantiert kein Anglerpech haben wirst.«

»Erzähl mir bloß nicht, du tust irgendetwas mir zuliebe. Du heckst doch bestimmt etwas ganz anderes aus.«

»Erstens doch, gerne sogar, zweitens Treffer. Anhand der Körpersprache von Jügesen senior erkannte ich, dass er nicht die Wahrheit sagte, als er über seine Onkel und das Gut sprach. Ich bin eben ein alter Hase, genau wie du.« Stormann beugte sich weit vor. »Ich flüstere dir was: Da ist etwas faul im Sachsenwald!«

»Noch ist das nur dein Verdacht. Und du willst wirklich extra hinfahren und nach dem Rechten sehen?«

»Ach was, deswegen fahren doch nicht hin, sondern wir wollen nur ein bisschen angeln. Bloß rein zufällig ist das Gut ganz in der Nähe dieses Sees und daher kann ich bei dieser Gelegenheit ja gleich mal nach den Rechten sehen.«

»Dem!« Mit dem rechten Zeigefinger mahnte Brüwer.

»Den!« Stormann blickte unbeirrt. »Von Jügesen senior bezeichnete seine Onkel als unverbesserlich. Das ist eine typische Klassifizierung ehemaliger Nationalsozialisten, welche trotz allem bis zu ihrem Lebensende von dritten Reich schwärmen werden.« Nun kniff er das rechte Auge zu.

 

»Wir werden sehen. Und der See liegt gleich neben dem Gut?« Brüwer legte den rechten Zeigefinger sacht auf das rechte Unterlid und zog ein wenig daran. »Du und Zufall, soll ich das glauben? Im Ernst?«

»Doch, doch, das ist tatsächlich Zufall.« Stormann schob die rechte Hand in die linke Innentasche des Jacketts und beförderte eine korrekt zusammengefaltete Landkarte zutage.

»Siehst du dieses Eselsohr?« Brüwer stupste den linken Zeigefinger darauf und schüttelte triumphierend den Kopf. »Neu ist dieser Plan ganz bestimmt nicht, höchstens gebraucht gekauft.«

»Ertappt. Der lag hinten im Kartenschrank, weil ich lange nicht in der Gegend war.« Stormann lächelte hintersinnig, während er den Plan zurechtlegte, bis dieser zwischen den beiden Bierkrügen noch auf den Tisch passte. »Zunächst fahren wir auf der A-Vierundzwanzig bis zur Abfahrt Nummer fünf, Witzhave, und dann die Möllner Landstraße in nordöstlicher Richtung.«

»So, so, wollen wir etwa zum Till?«

»Nicht bis Mölln. Der Teich ist hier«, murmelte Stormann und tippte auf ein cyanblaues Pünktchen, »im Billetal, am Nordrand des Sachsenwaldes.« Er schob seine Zeigefingerspitze auf der Karte etwa zwei Zentimeter nach links. »Und hier, etwa zwei Kilometer entfernt, mitten auf dem Gutsgelände, befindet sich das Herrenhaus, welches ich mir unbedingt einmal näher ansehen will. Du hältst die Stellung beim Angeln, während ich mich auf den Weg mache.«

»Stellst du dir neuerdings so die Arbeitsteilung zwischen uns beiden vor?« Brüwer kreiselte mit den gespreizten Fingern seiner rechten Hand über dem Plan. »Du gehst mit mir um wie mit einer Schachfigur. Oder etwa nicht?«

»Nicht doch, du bist nur nicht mehr mein Vorgesetzter. Das ist alles.« Stormann zwinkerte, dann beugte er sich vor und starrte sein Gegenüber insistierend an. »Nun, mein lieber Klemmi, bist du dabei?«

»Mensch Kalli, aber na klar. Ich fliege ja schon auseinander vor Neugier. Berichte mir endlich, was der Alte, ähm, du weißt schon wer, dir eigentlich erzählt hat.«

»Morgen, auf der Hinfahrt. Heute würde es zu spät dafür; ich will auch kein Essen mehr bestellen, sondern mich in ein paar Minuten auf den Weg nach Hause machen. Ich muss nach einigen recht speziellen Utensilien suchen, sie überprüfen und zum Mitnehmen einpacken.«

»Geeeooorgiiiooos!«, posaunte Brüwer und winkte mit seinem rechten Arm, als wolle er mehrere Streifenwagen herbeikommandieren. »Mein so richtig Oberguter, ruf uns mal ‘n Minicar und bring zwei Ouzo als krönenden Abschluss.«

Zweiter Teil

Witterung

Schleswig-Holstein, Kreis Herzogtum Lauenburg,

nahe der Gutsanlage von Jügesen im Billetal

am Nordrand des Sachsenwaldes

Montag, 27.08.2001, 8:45 Uhr

»Klemmi, fahr nicht so wild.«

»Was kann ich denn dafür, dass wir von der Landstraße runter mussten?« Clemens Brüwer hob die Schultern und ruckte beidhändig am Lenkrad, um einem Schlagloch auszuweichen. »Du hast gesagt, wir müssen diese Schotterpiste entlang. Oder?«

»Habe ich, aber wir sind doch Rentner, die viel Zeit haben.«

»Bah, ich hab‘s nach wie vor eilig, mein lieber Kalli, weil das eine Leben, was ich habe, ganz einfach viel zu kurz ist.«

»Wie kommst du dann auf Angeln?« Stormann schüttelte den Kopf. »Dafür nimmt man sich Zeit und braucht Geduld, sonst kannst du weder die Stille genießen noch achtsam bleiben.«

»Meine bessere Hälfte hat es mir auf ihre unwiderstehliche Art nahegelegt, du weißt schon wie, und meinte, es wäre ganz bestimmt gut für meinen überhöhten Blutdruck.«

Unversehens wurden die beiden Wageninsassen durchgeschüttelt, als der vordere rechte Stoßdämpfer vor- und zurückschnellte.

»Pass besser auf, Klemmi, sonst ist unser Leben schneller vorbei, als uns lieb sein kann.«

»Auweia, die Pfütze war gar nicht so flach, wie ich dachte«, murmelte Brüwer sichtlich beeindruckt, behielt jedoch seinen Fahrstil unbeirrt bei.

»Wir fahren aber keinen Dienstwagen mehr, bei dem wir für Schäden nicht aufkommen müssen«, monierte Stormann, »sondern meinen erstmalig zugelassenen und eben abgeholten ...«

»Ein Neuwagen muss richtig eingefahren werden und dies kann ich besser wie jeder andere. Vertraue mir einfach.«

»Vermeiden Sie auf den ersten Kilometern Grenzbereiche des Fahrzeugs«, las Stormann aus dem Autohandbuch vor, »das gilt für den Motor, das Getriebe sowie die Bremsen, die Reifen und die Zuladung.« Seufzend klappte er die Bedienungsanleitung zu und verstaute sie sorgfältig im Handschuhfach. »Ich fürchte, du machst heute mit meinen Wagen eine Überführungsfahrt – vom Autohaus in die Werkstatt.«

»Ach was, ich fahr ja schon langsamer.« Brüwer lupfte seinen rechten Fuß, während er abwinkte. »Dir zuliebe.«

»Mir zuliebe?« Stormann lächelte ungläubig. »Bestimmt nicht, sondern du hast da vorn schon die Schranke gesehen.«

»Stimmt. Dahinter befindet sich eine gemauerte Toreinfahrt, bestimmt geht‘s da weiter zum Herrenhaus.«

Zwei junge Burschen kamen aus dem turmartigen Torhaus heraus, alarmiert wohl vom Geratter, das die Reifen beim Überfahren einiger mit frischem Kies gefüllter Schlammlöcher verursachten. Sie schritten eilig zur herabgelassenen Schranke, umgingen diese und postierten sich davor breitbeinig und mit verschränkten Armen.

»Ich befürchte nur, die beiden Hausmeister da vorn lassen uns nicht rein«, murmelte Brüwer und blickte skeptisch.

»Hausmeister? Wenn das welche sind, fresse ich einen Besen.Außerdem wollen wir gar nicht rein.« Mit der rechten Hand wies Stormann den Weg. »Knapp vor der Schranke ist eine Abzweigung nach rechts, die bis zum See befahren werden kann.«

»Anhalten oder im Vorbeifahren fröhlich winken?«

»Die Kurve ganz langsam anfahren, dann sacht anhalten, die Scheibe absenken und freundlich fragen, ob hier in der Nähe ein Teich ist und wir auf dem richtigen Weg dorthin sind.«

»Dumm fragen?« Brüwer stellte die Frage rhetorisch.

»So dumm wie gehabt. Das kannst du doch aus dem Effeff, damit hast du noch jedes Verhör gemeistert.«

Geschmeichelt lächelte Brüwer. »Jawohl, deswegen sind schon etliche Schlaumeier auf mich reingefallen.« Er hob den rechten Daumen, anschließend tippte er ihn mehrmals gegen sein Brustbein. »Dann lass mich mal nur machen, mein allerliebster Ex-Kollege.«

Er fuhr die Kurve mit Verve, stieg voll in die Eisen, setzte sofort zurück und betätigte gleichzeitig die Automatik für die Scheibe in der Fahrertür. Der Schotter knirschte wie unter den Tritten eines Elefanten und ohne Gurt wäre Stormann beim Bremsmanöver in die Frontscheibe geflogen. Dümmlich blickend reckte Brüwer seinen dicken Hals durchs geöffnete Seitenfenster. »Ich bin doch richtig hier, oder?«

»Wie richtig?«, murmelte der wesentlich kleinere der beiden jungen Männer verblüfft, nachdem er seine Hand unter der olivgrünen Bomberjacke langsam wieder hervorgezogen hatte. Es schien, als habe er gerade noch unterlassen können, eine Faustfeuerwaffe aus einem Schulterhalfter zu ziehen.

»Na, um ‘n ganz dicken Fisch einzufangen.«

»‘N ganz dicken Fisch?«, echote der andere, ein kahl rasierter Kraftprotz, und legte seine Stirn in Falten; mit gerecktem Hals übersah der Hüne die Landschaft und wendete den Oberkörper nach links, nach rechts und zurück. »Hier?«

»Wenn hinter dieser Einfahrt ein Teich ist, dann könnte das schon möglich sein.«

»Hinter uns auf dem Gelände des Guts ist keiner, nur Wald«, verneinte der erste Aufpasser, ein schmächtiges Kerlchen, aber aufgeweckter, denn die uniformartige Kleidung schien ihm zu helfen, sein Ego aufzuplustern. Der Klang seiner Stimme wurde härter und letztendlich scharf wie ein Befehl. »Falsch seid ihr hier und ihr fahrt sofort wieder dorthin zurück, wo ihr hergekommen seid!«

»Gemach.« Brüwer wies kurz mit dem Kopf zum Seitenweg. »Gemach. Ich bin jetzt sicher, da rüber ist doch der richtige Weg. Mein Kumpel hat gerade auf der Karte nachgesehen, der war nicht umsonst bei den Pfadfindern schon als Wölfling dabei. Wollen Sie einen Fisch haben, wenn ich einen zu viel fange?«

»Nix da. Und jetzt haut ab.«

»Doch!« Der auf dem ganzen Schädel dunkelrot und schwarz tätowierte Kraftmeier fürs Grobe nickte übereifrig, er schien jede Gelegenheit für einen Nachschlag wahrzunehmen. Gleichzeitig kniff er das rechte Auge zu und mit vorgeschobenem Haupt stierte er den Schmächtigen so lange an, bis dieser begann, den Anflug eines nachsichtigen Grinsens zu zeigen.

»Aber mindestens fünfzig Kilo schwer muss er schon sein, damit es für vierundzwanzig Bewohner reicht«, grenzte der Wortführer die Zusage seines Kumpans ein.

»Geht klar, aber nachher nicht wundern, denn ich bin angehender Weltmeister im Angeln.«

Brüwer gab ordentlich Gas. Die beiden Wachtposten hüpften unisono mit ihren Springerstiefeln zur Seite, um nicht von herausgeschleuderten Kieselsteinen getroffen zu werden. Die Reifen knatterten über die Schotterpiste, dass Stormann schon wieder angst und bange um sein nagelneues Wägelchen wurde.

»Na, Kalli, haben wir nicht wieder eine fantastische Nummer geboten, um an Informationen heranzukommen?« Brüwer ballte seine Rechte zur Faust und im Triumph hätte er sie am liebsten mit Verve auf das Hupensymbol niedersausen lassen. »Vier-und-zwanzig! Be-woh-ner! Von wegen ab und zu Familien-Urlaubsdomizil mit bloß einem Hausmeister.«

»Wirklich klasse vorgeführt, Klemmi, aber nun fahr endlich mal normal. Bitte!«

»Erst wenn wir außer Sicht- und Hörweite sind. Ich weiß schon, wie man bei solchen Typen Eindruck schinden kann.«

»Wir sind jetzt Rentner.« Für einen Augenblick schloss Stormann ergeben die Augen.

»So? Das Gefühl habe ich momentan aber überhaupt nicht. Du selbst sogar bist schuld, schließlich hast du uns hier auf eine neue Fährte gesetzt. Oder?«

»Ja schon, aber mit Dauerrotlichttempo müssen wir nirgends mehr hinterherspüren.«

»Aber wie Neunundneunzigjährige vorwärtsschleichen müssen wir deswegen noch lange nicht.« Brüwer schüttelte den Kopf während er seine blauen Pupillen verdrehte, jedoch fügte er sich, und verringerte den Druck der Schuhsohle, Größe 48, aufs Gaspedal. »Zufrieden?«

»Zu spät«, murmelte Stormann und schüttelte missbilligend den Kopf. »Hörst du das Knirschen? Da steckt was im Getriebe fest. Wir müssen sofort anhalten und nachsehen.«

»Kannst du das nicht nachher am See machen? Bestimmt ist es nicht mehr weit.«

»Richtig, wir sind gleich da.« Mit einer Handbewegung wies Stormann nach vorn. »Dort hinten ist die nächste Abzweigung. Links fahren und dann noch zweihundert Meter weiter bis tief ins Gebüsch hinein.«

»Ich bekomme den Eindruck, du warst schon mal hier.«

»Ja, aber das ist ewig her und das Ufer ist noch mehr zugewachsen als früher. Pass auf, dass du nicht zu nahe an den Büschen entlangfährst.« Der Verzweiflung nahe schloss Stormann die Augen. »Sonst verkratzt du auch noch den Lack.«

Brüwer fuhr links rein, tunnelte die ausladenden Äste einiger Randfichten und hielt am Ende des kaum noch erkennbaren Weges vor einem undurchdringlichen Gestrüpp aus wilden Brombeerranken. Deren Triebe bogen sich unter dem Gewicht dicker, schwarzer, saftig-süßer Beeren hinab bis auf die Erde.

»Hallihallo, Kalliii! Du kannst deine Äuglein wieder aufmachen. Wir halten auf einer Lichtung und was sehe ich trotz Urwald: Sonnenlicht auf Wasser blinken.« Freudestrahlend schaltete Brüwer den Motor aus, zog die Handbremse an und legte den ersten Gang ein. »Ist das dein Popelteich, der noch nicht mal einen Namen hat?«

Erleichtert atmete Stormann aus und nickte mehrmals, während er ausstieg. »Ja, der Geheimtipp unter passionierten Anglern.« Verschwörerisch lächelnd öffnete er die rückwärtige Beifahrertür und beugte sich über seinen Rucksack, der hinten auf der Sitzbank lag. »Ich wette nie, obwohl ich mir sicher bin, du schwärmst bald von diesem Gewässer und wirst es nie wieder einen Popelteich nennen.«

»Meinetwegen«, brummelte Brüwer, zog den Schlüssel heraus, womit das Tagfahrlicht ausgeschaltet wurde, und drehte am Lenkrad bis es einrastete. »Ich taufe ihn sogar auf Kallisee, wenn ich wirklich meinen ersten dicken Fisch hier fange.«

Während Stormann seine Oberbekleidung auszog und von der Rückbank eine bunt gefleckte Tarnuniform samt olivgrüner Schnürstiefel nahm, bediente sich Brüwer aus dem geräumigen Kofferraum. Als er umständlich in seine seetanggrüne Neopren-Anglerhose mit eingearbeiteten Stiefeln stieg, beobachtete er seinen alten Kameraden, wie dieser Pfefferspray, Ultraschallgerät, Stablampe, Übersteighilfe, Zaunzange, Fernglas sowie ein echtes Bowie-Messer rundum am Spezialgürtel der Montur befestigte. Anschließend steckte Stormann eine winzige Spy-Kamera in die linke Brusttasche seiner Uniform.

 

»Du wechselst wohl auf deine alten Tage noch die Seiten?«, murmelte Brüwer und zog anerkennend die Brauen hoch. »Bei dir hätte selbst ein Berufsverbrecher wie der gute alte Lord von Barmbeck noch etwas abschauen können.«

Zuletzt fischte Stormann ein rechteckiges flaches Etui, so groß etwa wie eine Visitenkarte, aus dem Rucksack und klappte dessen Deckel hochkant. Nun strich er mit vier Fingern der rechten Hand durch die Tarnschminke und schmierte sich das braungrüne, teils schwärzliche Zeug in unregelmäßigem Zickzack über Stirn, Gesicht und Kinn. Abschließend besah er sich im Innenspiegel des Deckels und nickte zufrieden.

Brüwer stieß einen hohen melodisch ausklingenden Pfiff aus. »Genau in dieser Aufmachung solltest du auch auf den Geburtstag deines Enkels gehen. Der wäre bestimmt mächtig stolz auf seinen Rambo-Opa und würde dir deswegen sogar glatt deine Zumutung mit dem uralten Märchenbuch verzeihen.«

Während er bei der längeren seiner zwei Spinnruten die Stabhälften ineinanderschraubte, schüttelte er mehrmals den Kopf. »Kommst du nicht endlich zu der Einsicht, dass ausnahmsweise mal du übertreibst? Dein einziges Indiz ist ein längst vergessener misslungener Aufsatz und ein inzwischen verstorbener Opa, der weiß der Kuckuck warum sich darüber aufgeregt hat.«

Stormann winkte generös ab, aber schon im nächsten Augenblick blickte er hinterhältig und klopfte boshaft grinsend auf das vor seiner Brust hängende Fernglas. »Das Ding hier habe ich nur mitgenommen, um nach fliegenden Fischen Ausschau zu halten. Wenn einer angeschwirrt kommt, rufe ich: Achtung! Dann hältst du rasch deinen Fliegenfischkescher hoch und schon hast du deinen ersten tollen Fang.«

»Verpiss dich und mach deine Schnuppertour, sonst überlege ich mir noch, dich als Spezialköder zu verwenden.«

»Denk lieber daran, die Tagesangelkarte einzustecken, außerdem den Angelschein; den habe ich auch besorgt, aber in der Eile musste ich ihn auf meinen Namen ausstellen lassen. Falls tatsächlich ein Aufseher aufkreuzen und danach fragen sollte, musst du dich für mich ausgeben. Und jetzt wünsche ich dir Petri Heil, denn hier gibt es tatsächlich Hechte.«

Stormann wandte sich ab, streifte die Kapuze über und zog sie fest, während er sich über Stock und Stein geradewegs auf das Gelände des Guts hinbewegte. Zu sehen war wenig, denn das Unterholz war so dicht, dass es kaum zu durchdringen war. Nach einigen Hundert Metern stieß er auf die Begrenzung der Anlage. Als Zaun oder Mauer konnte man diese nicht mehr bezeichnen, dermaßen verfallen und verwittert war alles. Allerdings erblickte er in etwa fünfzig Metern Entfernung einen reparierten Hochstand mit einer meterbreiten Leiter. Dieser befand sich auf dem Gutsgelände unmittelbar neben einem unversehrten Teil der etwa drei Meter hohen Mauer aus Ziegelsteinen. Offensichtlich wurde hier noch gejagt. Stormann stieg auf den Steinhaufen einer Bresche, wechselte die Seiten und pirschte sich weiter durch das Gestrüpp, bis er nach etwa 800 Metern höher gewachsene Bäume und lichter werdendes Gelände erreichte.

Unversehens stand er vor einem zwei Meter hohen extradickverzinkten Maschendrahtzaun, der noch aussah wie neu. Dahinter in etwa 50 Metern Entfernung erblickte er die Umrisse einiger Bauten im Historismusstil des 19. Jahrhunderts.

Stormann war sicher, dass dieser neue Zaun nur das Areal der Gutsgebäude begrenzte sowie die knapp einen Kilometer lange Zufahrtsstraße bis zum Tor, an dem sie vorhin vorbeigekommen waren. Er hatte sich zuvor informiert: Sechs Quadratkilometer beinhaltete die rechteckige Anlage, die zwei Kilometer breit sowie drei Kilometer lang war und deren Umfassungsmauer folglich zehn Kilometer maß – alles in allem wohl viel zu viel, um diese über ein Jahrhundert hinweg in Schuss zu halten oder wenigstens im Auge zu haben.

Nun wurde es ernst für Stormann und er war froh, dass er sich so gründlich vorbereitet hatte. Er ließ es lieber, eine Reihe der immerhin drei Millimeter durchmessenden Maschendrähte aus Stahl zu zertrennen, denn er hörte das Bellen von Hunden, welche ihren kräftigen Tönen nach nicht wie Schoßhündchen klangen. Wenn solch ein Beißer diese Lücke fand, fiel er womöglich über seinen angelnden Freund her oder er selbst konnte auf seinem Rückweg attackiert werden. Stormann wählte die Übersteighilfe und kam damit gut zurecht. Wenige Augenblicke später stand er bereits auf der anderen Seite.

Von Baum zu Baum schlich Stormann näher, bis er die Anlage einigermaßen überblicken konnte. Er nahm den Feldstecher und stellte ihn auf das Herrenhaus scharf, denn auf dem Vorbau der Haupttreppe standen zwei grauhaarige Männer, die den mehrheitlich jüngeren Burschen unter ihnen auf dem Platz jovial zuwinkten. Im Fadenkreuz erkannte er, dass die beiden Alten sicherlich weit über siebzig Lenze auf ihrem Buckel hatten. Außerdem fiel ihm auf, dass sie sich so ähnlich waren, dass es eigentlich nur Zwillinge sein konnten.

Noch interessanter waren für ihn die Kleidung der Beteiligten sowie die Fahnen, die an den Masten wehten. Als sämtliche Männer – Frauen waren nicht zu sehen – ihre rechten Arme mit flach gestreckter Hand rechtwinklig anhoben, war die Sache für Stormann klar. Dieser verbotene Gruß passte zu dem aus der Zeit gefallenen Ambiente, das einem Wehrertüchtigungslager der 1930er-Jahre glich. Insgesamt waren es wohl 24 Personen, die sich hier aufhielten, diese Zahl hatte der kleinere Aufpasser bei der ‚Fischbestellung‘ unbedacht preisgegeben. Mit der Rechten tastete er nach seiner Spy-Kamera, aktivierte sie und schaffte mehrere aussagekräftige Aufnahmen.

Ein pickelgesichtiger Lulatsch in schwarzem Kapuzenshirt sowie ein schmales Kerlchen in Tarnkleidung hielten einen Bullmastiff und einen Pitbull an kurzer Leine. Mit ihren Kampfhunden lösten sie sich aus der Gruppe und näherten sich in etwa dem Beobachtungsposten des Ex-Kommissars. Sie hatten ihn keineswegs entdeckt, sondern wollten wohl nur ihren üblichen Rundgang entlang des Zauns machen. Stormann trat natürlich schleunigst den Rückzug an.

Seinen Schleichweg rückwärts gehend, erreichte er wieder den Zaun und stieg hinüber. Gerade noch rechtzeitig, denn heraus dem Gestrüpp brach der Pitbull, raste bis zum Zaun, stellte sich auf die Hinterbeine, drückte mit den Vorderpfoten auf die Maschen und fletschte sein kräftiges Maul, mit dem er wohl Knochen knacken konnte. Der Geifer troff über beide Lefzen und ein unheilverkündendes Knurren aus dem tonnenförmigen Brustkorb drang durch die Kehle.

»Adolf!«

Der Hund fing an, rasend zu bellen, während Stormann in Deckung hastete und hinter dem vermoderten Stamm eines gefallenen Baumriesen sich der Länge nach hinschmiss.

»Adolf! Hierher!«

Doch der Pitbull gehorchte nicht, sondern verhielt sich nur noch wilder. Die knackartigen Geräusche waren immer deutlicher vernehmbar, denn der Rufer näherte sich dem Zaun. Stormann wagte nicht, aus seiner Deckung hervorzulugen, sodass er nur hörte, was nun vorging.

»Mensch, Adolf.« Der Halter des messerscharf gemachten Hundes schien ihn wieder an die Leine zu nehmen. »Du kannst doch nicht einfach loshetzen, sondern du sollst mich zum Tatort hinführen. Aber was machst du? Reißt dich einfach los und ich falle auf die Schnauze. Wegen dir haben sich die anderen über mich lustig gemacht. Hörst du? Die lachen immer noch. Adolf, du musst noch eine ganze Menge von mir lernen! Sag mal, hörst du mir überhaupt zu? Jetzt komm schon, das war bestimmt nur ein Wildtier. Los komm schon! Und hör endlich auf zu bellen.«

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