In dir bin ich stark

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Krisensicherer Job

Bibeltext der Woche: 2. Korinther 6, 1 – 10

Stellen Sie sich vor, Sie wären schon eine ganze Weile auf der Suche nach einem Job. Da schlagen Sie eines Morgens die Zeitung auf und finden folgende Stellenanzeige: »Dynamische, hochflexible, leiderprobte, entbehrungsfreudige, vielseitig geschickte und redegewandte Person für interessante Tätigkeit ab sofort gesucht. Wir erwarten Bereitschaft zur Arbeit im Außendienst in einem Gebiet, das mehrfach der Fläche Deutschlands entspricht. Dienstwege können nur zu Fuß zurückgelegt werden, am besten barfuß, da Schuhabnutzung nicht erstattungsfähig ist. Mitarbeiter sollte unempfindlich gegen herbe Kritik und Verleumdungskampagnen sein. Er muss sich natürlich mit seinem Produkt identifizieren und den leidenschaftlichen Wunsch haben, es an den Kunden zu bringen. Er braucht Überzeugungskraft gegenüber einer mehrheitlich ablehnenden Kundschaft. Seinen Lebensunterhalt verdient der Bewerber durch selbstständige nebenberufliche Tätigkeit. Urlaub kann keiner gewährt werden. Aber gelegentlich ergeben sich kleinere Erholungspausen in verschiedenen Gefängnissen.«

Vielleicht haben Sie es gemerkt: Diese Jobbeschreibung passt haargenau auf Paulus und seinen Dienst. Und er hat diesen Dienst allein aus einem Grund getan: der Liebe zu seinem Dienstherrn. Dabei scheute er keine Mühe, um das Produkt weiterzugeben, das er selbst empfangen hatte. Von dem er gemerkt hatte, das war es, was ihm in seinem Leben noch fehlte. Dafür verzichtete er auf seinen erheblichen Einfluss bei der Jerusalemer Obrigkeit, seinen guten Ruf als Gelehrter in einer Spitzenposition, ein sicheres und nicht geringes Einkommen bis an sein Lebensende, einen geregelten Tagesablauf, einen ruhigen Wohnsitz. Alles das gab er auf.

Dieses Produkt war das Evangelium von der Gnade Gottes. Der hat das, was wir ihm gegenüber schuldig waren, durch seinen Sohn Jesus Christus begleichen lassen. Er ist für uns nicht mehr der große Unerreichbare, sondern für uns ist er einfach der Vater, der uns durchs Leben begleitet und uns nach dem Tod zu sich holt. Und aus lauter Freude und Dankbarkeit für dieses Produkt nimmt Paulus alles auf sich, um es auch anderen Menschen zu bringen und sie davon zu überzeugen, dass es greifbar vor ihnen liegt. Bekenne deine Schuld vor Gott und glaube an Jesus Christus. So einfach ist es.

Und doch auch so schwer. Das musste Paulus immer wieder auf seinen Reisen erfahren. So kommt er nach Korinth und erfährt dort in seiner Gemeinde, die er selber gegründet hatte, viel Ablehnung. Ausgerechnet sein mühsames und leiderfülltes Leben als Christ und Missionar werfen sie ihm vor. »Wo ist denn Gott in deinem Leben sichtbar?«, fragen sie ihn. »Du erlebst doch nur Ablehnung, Konflikte, und besonders erfolgreich bist du mit deiner Botschaft vom gekreuzigten Jesus auch nicht. Du verkündigst den Sieger Jesus Christus und stolperst selbst von einer Niederlage zur anderen. Ein Sieger sieht anders aus. Glaubst du denn überhaupt richtig?«

Paulus geht in seinem Brief darauf ein und antwortet: »Gerade in alldem, was ich täglich so erlebe, merke ich, wie Gottes Gnade mich begleitet. Nicht, indem es mir äußerlich gut geht und ich von einer Geisterfahrung zur anderen taumle. Wichtig ist mir allein, dass ich als Kind und Diener Gottes ihm treu bleibe in jeder Lebenslage. Er gibt mir die Geduld, wenn ich in einer scheinbar aussichtslosen Lage bin. Oder wenn ich mit Menschen in den Gemeinden zu tun habe, die einfach schwierig sind. Er gibt mir die Kraft, wenn ich in meinem Dienst angegriffen werde und leiden muss, dass ich trotzdem die Freude an meinem Herrn nicht verliere. Er erfüllt mich mit echter Liebe zu den Menschen, auch zu denen, die mir hart zusetzen. Kurz gesagt: Gott holt mich nicht aus dem harten Alltag heraus. Aber er hilft mir, ihn zu bestehen und trotzdem ihm dabei treu zu bleiben.«

Die Gnade Gottes lässt sich nicht daran messen, wie glatt unser Lebensweg ist. Es ist nicht wichtig, wie viele Felsen da liegen, aber es ist wichtig, wie wir mit ihnen umgehen. Wie hat Goethe gesagt: »Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man etwas Schönes bauen.« Es gibt Menschen, die lassen sich durch schwere Schicksalsschläge vom Glauben abbringen und bekunden das vielleicht auch öffentlich durch einen Kirchenaustritt. Weil Gott ihnen etwa einen lieben Menschen zu zeitig genommen hat. Das ist menschlich verständlich, aber aus Gottes Sicht eigentlich kaum. Viel besser ist es dann, Gottes Gnade zu erflehen und näher zu ihm hinzufliehen. Die Erfahrungen, die wir in solchen schweren Situationen mit ihm machen können, sind unbeschreiblich. Gottes Gnade und Liebe sind immer ein Stück größer als das Leid, das er uns zumutet.

Das durfte auch Paulus erfahren. Seinen Gegnern in Korinth aber sind diese tiefen Erfahrungen von Gottes Gnade verschlossen geblieben. Ihre Frömmigkeit blieb oberflächlich.

Risiko bitte

Bibeltext der Woche: Matthäus 25, 14 – 30

Da kann mir die Freude vergehen, wenn ich höre: »Denn wer da hat, dem wird gegeben werden und er wird die Fülle haben, wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden. Und den unnützen Knecht werft in die Finsternis hinaus, da wird sein Heulen und Zähneklappern.« Wenn ich nicht wüsste, dass diese Worte in der Bibel stehen, würde ich sie eher als eine treffende Beschreibung unserer Gesellschaft bezeichnen. Denn wer da hat, dem wird gegeben werden. In einer Zeit, wo für viele die wirtschaftlichen Verhältnisse zum Heulen sind, da will das niemand auch noch aus der Bibel hören.

Aber dieses Gleichnis hier meint etwas anderes als ein Lob der Ungerechtigkeit. Jesus sagt hier denen das Gericht an, die aus ihrem Leben nichts Gescheites machen. Nicht, dass wir uns falsch verstehen, es geht ihm dabei nicht um die Karriereleiter, womöglich um die erste Million, nein, es geht um Lebenssinn. Wozu bin ich da? Jeder von uns hat seine Fähigkeiten, mit denen er arbeiten kann. Das Gleichnis atmet die Zuversicht, dass ich im Leben etwas erreichen kann. Wenn ich meine Chance nur nutze. Ein Liedermacher hat einmal gesungen: »Du hast es nur noch nicht probiert, und darum glaubst du es nicht … Mensch, du bist stumm wie ein Fisch und alles wartet auf dich … Mensch, in dir steckt doch noch Ungeahntes drin. Was noch keinem gelang, das packst vielleicht gerade du. In dir schläft Mut, Phantasie, ja vielleicht ein Genie. Na los, trau dir es doch zu. Du hast es nur noch nicht probiert!«

Mir fällt dabei Sabrina ein. Ein Film dieses Namens war einst ein Film-Klassiker mit Audrey Hepburn und Humphrey Bogart (Bogart wurde in letzter Minute für Cary Grant eingesetzt, da Grant absagte) und wurde neu verfilmt mit Julia Ormond und Harrison Ford. Sabrina Fairchild nun, die junge, schüchterne und unbeholfene Tochter des Chauffeurs der reichen Larrabees, verliebt sich, in ihrer Phantasie wohlgemerkt, in den Playboy der Familie, David. Doch der würdigt sie zunächst keines Blickes (» … der weiß nicht, dass ich existiere«). Ein zweijähriger Aufenthalt in Paris macht aus dem unscheinbaren Mädchen eine wirklich angenehme Schönheit. Auf einmal beißt auch Schürzenjäger David an. Aber es stehen Milliarden auf dem Spiel, sein Bruder Linus, der eigentlich ausgebuffte, immune Geschäftsmann, soll nun die unstandesgemäße Liaison verhindern, mit einer hohen Abfindung für die Betroffene versteht sich. Zu beider Überraschung entdecken beide ihre Gefühle füreinander. Linus erscheint der Sinn seines Lebens plötzlich durch diese Frau in einem neuen Licht. Total einfache Dinge werden ihm plötzlich wichtig, nicht Terminkalender. David ist darüber auch gar nicht so unglücklich, für ihn wäre Sabrina vielleicht nur eine Episode geblieben. Für seinen Bruder aber ist es die Chance seines Lebens, und er ergreift sie nach langem Zögern und Kampf und vollem Risiko. Sie hat sein Leben umgestoßen – die Chance und die Frau.

Auf das Probieren und Riskieren kommt es an. Zentner an Silber, also die Begabungen, sind dabei unterschiedlich verteilt. Aber ist deshalb irgendein Leben weniger wert als das andere? Jesus kann sich so einen Gedanken gar nicht vorstellen. Gerade denen, die scheinbar von der Schöpfung nicht so reichlich bedacht wurden, will er deutlich machen: Es geht nicht um unsere Wertvorstellungen, die immer mit Vergleichen und Abrechnen zu tun haben. Vielmehr geht es darum, das eigene Potenzial gelebt zu haben.

Unser Leben soll glücken, dazu müssen wir es riskieren. Wer nur den sicheren Weg geht, wird irgendwann einmal vor Langeweile sterben. Und er wird dann alles verlieren. Für die Jünger war das Gleichnis ein starker Zuspruch. Sie hatten allerhand riskiert. Sie probierten aus wie es ist, Jesus zu folgen. Sie wollten ihr Leben nicht mehr vergraben.

Anders beim dritten Knecht. Wie die anderen, bekommt auch er ein reiches Gut anvertraut. Doch er versteht nicht, dass es Leben nicht auf den Zuschauertribünen gibt, sondern nur mittendrin. Er vergräbt, was er hat. Er hat die seltsame Ahnung, dass das Leben ihm gnadenlos eine Rechnung aufmachen wird. Als er schließlich gefragt wird, was er denn mit seinem Zentner an anvertrautem Gut gemacht habe, wird das deutlich: »Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist, du erntest, wo du nicht gesät hast, sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast, und ich fürchtete mich, ging hin und verbarg deinen Zentner in der Erde. Siehe, da hast du das deine.« Solchem Denken erteilt Jesus hier eine Absage.

Was hast du versucht, probiert und riskiert? Der Dritte ist nicht nur ein unnützer Knecht, sondern auch ein wirklich armer Knecht, und den kenne ich eigentlich nur zu gut. Denn im Chancenvergeben bin ich auch einsame Spitze. Wir haben das Pfund der Versöhnung in den Händen, und doch lähmt uns unsere Schuld. Und wie viele Menschen bleiben aufgrund ihrer verkorksten Vergangenheit anonym, geduckt, trauen sich nicht, sich aufzurichten!?

 

Wenn ich das Gleichnis Jesu richtig verstehe, haben er und sein himmlischer Vater kein Problem mit unseren Unvollkommenheiten. Vielmehr damit, dass wir das, zugegeben oft wenige, was wir haben, so gering achten, als ob daraus nicht etwas Großes werden könnte. Gewiss, uns sind Grenzen gesetzt, Rahmen sind abgesteckt, innerhalb derer wir unser Leben nur gestalten können. Zeitliche, körperliche Grenzen, geistige und finanzielle. Aber danach werden wir nicht gefragt, auf unsere Begrenzungen werden wir uns nicht berufen können, wenn wir Rechenschaft ablegen. Und keine Fehler gemacht zu haben, wird nicht der höchste Bonus vor dem Richterstuhl Gottes sein.

Die Frage am Ende ist die: Hab ich es meinem Schöpfer gedankt, dass er mir das Leben gab?

Solange die Erde steht

Bibeltext der Woche: 1. Mose 8, 22

Frühling bedeutet für mich gute Laune, weil die Sonne scheint. Im Frühling erwacht die Natur. Leben kehrt ein. Neue Pflanzen zeigen sich. Die Tiere kommen aus ihren Winterquartieren. Die Wärme tut gut. Der Frühling lässt mich dankbar und demütig vor unserem Gott das bestaunen, was meine Sinne täglich wahrnehmen können. Wie etwa die Zugvögel: »Seid mir gegrüßt, befreundte Scharen!«, denke ich, wenn ich sie sehe! Vor allem freue ich mich über die Kraniche. Meine Stadt liegt auf ihrem Weg zu ihren Sommerquartieren hoch im Norden. Sie überfliegen mich mit ihrem typischen Krächzen. Ich höre sie ganz deutlich, blicke dann nach oben und beobachte, wie sie in mehreren großen, offenen Dreiecken am Himmel entlangfliegen.

Ihre jährliche Wiederkehr ist mir zum Bild geworden: »Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.« Es ist seine Zusage: Ich habe dich erschaffen und ich erhalte dein Leben. Durch alle deine Jahreszeiten hindurch.

Szenenwechsel. Sie könnte jeden der drei Sessel wählen, doch Emma wählt immer den einen: ihren Sessel. Der nimmt sie auf. Sein Polster hat schon ihre Formen. Langsam hangelt sie sich am Tisch entlang und lässt sich hineinfallen. »Absurd!«, denkt sie. Dass ein so kleiner Weg so lange dauern kann, hätte sie sich früher nicht träumen lassen. Wohin die Leichtigkeit des Frühlings? Ihres Frühlings?

Ihr Blick fällt auf das Kleinste der vergilbten Bilder vor ihr. Ohne Brille kann sie es kaum erkennen. Doch sie weiß genau, was darauf zu sehen ist. Und sie weiß, was auf der Rückseite steht. Sie weiß es, denn sie hat es geschrieben, damals, bevor sie es eingerahmt hat. »Die ganze Welt könnt‘ ich umarmen«, steht da. Und »Mai 1947«. Auf der Vorderseite, in dem kleinen, grünen Rahmen, ist sie selbst zu sehen. Den Kopf etwas schief. Die blonden Locken fallen auf die Schulter. Der Rock kurz über die Knie. Weiße Bluse. Daneben er. Rosen um sie beide herum. 19 waren sie da und saßen im Stadtpark.

Eigentlich war er ja nie mein Typ, erinnert sie sich. Und lächelt. Hartnäckig war Johann gewesen, als er um sie geworben hatte. Jeden Tag wieder war er, wie zufällig, an dem Haus ihrer Eltern vorbeigeschlichen. Bis sie irgendwann einlenkte. Weil, wie sie sagte, das ja nicht so weitergehen könne – und sie sich doch insgeheim geschmeichelt fühlte. Und weil sie sich kennenlernten. Eigentlich war er ja nie ihr Typ. Nie der Typ, von dem sie geschwärmt hatte, in ihrer Phantasie. Doch eigentlich, eigentlich war er es dann schon. Weil er sie liebte. Manchmal verstand sie selbst nicht wieso. Sie blickt auf das Bild: Ihre Locken im Gesicht und ein strahlendes Lachen. Um ihre Schulter die Hand ihres Mannes, der sie ansieht. Mit seinen blauen Augen. Die sieht man auf dem Bild nicht. Aber Emma sieht sie. Immer noch. Sie schaut auf den Schnappschuss. Das war unser Sommer, Johann. Was für ein Segen, dass wir uns hatten. All diese Jahre.

Ein anderes Bild hängt nicht mehr. Emma kann es nicht mehr ansehen. Seit es damals vor dem Sarg stand. »Haben Sie ein Bild von Ihrem Mann?«, hatte der Bestatter gefragt. Und sie hatte es ihm gegeben. Ein schönes Bild. Seinen dunkelblauen Anzug trug er dort. Und er hatte diesen Ausdruck, den er manchmal hatte. Wo nur seine Augen lächelten. Sie liebte dieses Bild. Aber nach der Beerdigung konnte sie es nicht mehr ertragen. Als der Bestatter es ihr hinterher wiedergab, legte sie es zur Seite. »In Ihrem Herzen lebt er weiter«, hatte der Pastor damals gesagt. »Aber noch viel mehr lebt er im Himmel, bei unserem lieben Herrn Gott.«

Es liegt eine feine Staubschicht auf den Bildern. Früher standen sie in ihrem Schrank. Und die drei Sessel, ihrer und die anderen beiden, und das Sofa, sie standen in ihrer Stube. Nun, ein paar Jahre schon, stehen die Sessel und das Sofa hier, in ihren 18 Quadratmetern im Seniorenheim. Die Bilder und ihre Sessel. Sie mussten mit. Emma steht auf. Langsam. Geht zu den Bildern. Der Finger wird grau vom Staub. Wo sind die ganzen Stunden hin?

Auf einem Bild kein Staubrand. Das neueste Bild. Auf dem hält sie ihre Urenkelin im Arm. Emma Sophie. Fünf Monate ist sie nun. Sie lachen, beide. Um sie herum hellgrüne Triebe. Auf dem weißen, kleinen Tisch die Taufkerze. Es war der erste warme Tag in diesem Jahr. Emma Sophies Tauftag. Sie konnten im Garten sitzen. Frühling.

Bunt blitzt es da in ihr auf, die Erinnerung an Gottes Versprechen: Ich habe Dich erschaffen und ich erhalte Dein Leben. Durch alle Deine Jahreszeiten hindurch. »Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.«

Wachet auf

Bibeltext der Woche: Philipper 2,12

Der Zauber eines neuen Anfangs, der von der biblischen Botschaft ausgeht, lässt die Menschen nicht los. Er schafft Hoffnungsbilder, die den Alltag mit seinen vielen Zerrbildern weit übersteigen. Wer erst einmal mit diesen Bildern in der Seele lebt, mit Bildern von Blinden, die sehen, Lahmen, die gehen, von Armen, denen Gerechtigkeit widerfährt, mit Bildern von geheiltem, heilem Leben, der wacht auf! Wer glaubt, dass der Bräutigam kommt, wie es im Choral von Philipp Nicolai lautet, der findet sich nicht ab mit einer Welt, in der vieles noch so ganz anders ist. Der wird sich gerne vom Weckruf des Evangeliums aufrütteln lassen.

Wachet auf! Manche von uns verbindet sicher die Sehnsucht nach einer wachen Kirche, nach Menschen, die aus ihrem Glauben heraus kritisch und aufmerksam das Geschehen drinnen und draußen begleiten. Am 31. Oktober begehen evangelische Christen den Reformationstag – Erneuerung der Kirche durch den Weckruf Martin Luthers, seinen Thesenanschlag 1517. Ein Ruf zu einer wachen Kirche, die sich ihres Fundamentes bewusst ist. Martin Luther hat durch seine Rückbesinnung auf die Heilige Schrift bleibende Wahrheiten erkannt und neu in den Mittelpunkt gestellt. Diese Wahrheiten wecken bis heute auf zu wacher, verantwortlicher Zeitgenossenschaft.

Auch der Apostel Paulus hat persönlich und durch seine Briefe die frühen Gemeinden durch die Verkündigung des menschgewordenen Gottes trösten, aber auch zu angemessenem Verhalten bewegen wollen: »Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. Denn Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.« Das aber klingt doch zunächst sehr unevangelisch! Die reformatorische Erkenntnis Martin Luthers war es doch, die von diesem Druck befreit hat! »Mit unsrer Macht ist nichts getan.« Gott rückt uns ins rechte Licht, ohne unsere Anstrengung. Unser Glaube ist ein Geschenk. Niemals kann eigenes Schaffen zur Voraussetzung, zur Bedingung der eigenen Seligkeit werden. Ich kann nur Ja sagen zu dem Angebot, dass Gott mich trägt und ich bei ihm geborgen bin.

Doch bin ich durch die Worte des Paulus angesprochen, auch als Mensch mit Verantwortung für mein eigenes Leben und das meiner Mitwelt zu handeln. »Schaffet!« Jeder von uns hat die Möglichkeit, sein Leben aktiv zu gestalten. Was es alles zu schaffen gibt, kann ich in der Bergpredigt nachlesen: Frieden stiften, Barmherzigkeit üben, mich für Gerechtigkeit einsetzen. Eine Welt, in der Krieg immer noch, und in den letzten Jahren wieder verstärkt, als erlaubtes Mittel der Politik angesehen wird, braucht Friedensstifter. Unsere Gesellschaft, in der die Schere zwischen arm und reich weiter auseinandergeht, braucht dringend solche, die sich für Gerechtigkeit einsetzen. Und eine Welt, in der der Lebensbeginn und das Lebensende immer mehr in die menschliche Verfügungsgewalt gestellt wird, braucht Menschen, die dagegen aufstehen. Es ist gut, finde ich, dass beide große Kirchen in Deutschland hier klar Stellung bezogen haben und ihrer Wächterfunktion gerecht werden.

Wacht auf – immer wieder spüre ich, wie wichtig, wie notwendig es ist, nicht zu dämmern, nicht zu verschlafen. Manchmal ist das in der Tat unbequem, sich aufrütteln zu lassen, es ist anstrengend, Augen und Ohren zu öffnen und Verantwortung zu übernehmen. Aber wenn wir das tun, merken wir, wie Neues beginnt.

Beten ist Handeln

Bibeltext der Woche: Matthäus 6, 9 – 13

Manchmal beneide ich einen der reichsten Männer der Welt, zu dessen Wohlstand ich immer wieder beitrage, weil ich mit dem Computer umgehe und dabei oft auf seine Programme zurückgreife. Die Rede ist von Bill Gates, dem milliardenschweren Gründer von Microsoft. Er hat sich eine wunderbare Villa bauen lassen mit allem Drum und Dran. Zwar kenne ich seine Gedanken nicht, aber vielleicht denkt er, dass das mit seinem wachsenden Reichtum immer so weitergehen wird, während er in seinem Pool badet und abwartet. Auf so ein Denken, das ich hier natürlich einfach unterstelle, hat der antike Philosoph Seneca treffend geantwortet: »Es ist nicht wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist viel Zeit, die wir nicht nutzen.«

Das Leben nutzen. Wie geht das? Die meisten von uns haben kein wirklich festes Lebensziel vor Augen. Sie hängen sich allenfalls an zweitrangige Dinge: unersättliches Habenwollen, geschäftige Hast in überflüssigen Arbeiten, Hoffnung auf Gewinn, Handel in allen Ländern und auf allen Meeren, Streben nach dem Glück anderer oder die Klage über ihr eigenes Los. Dies zu erreichen, wäre aber nicht im Sinne Gottes für unser Leben. Das wäre ihm nämlich viel zu wenig: Er will ALLES für uns – und nichts für sich, so Luther.

Gott hat nach dem Desaster im Paradies einen Dreistufenplan entwickelt. Alle drei Stufen zusammen bilden eigentlich erst das richtige Leben. Die erste Stufe: Aus einer Mutter werden wir Menschen geboren. Das ist ein Wunder, ein Geschenk. Aber das so geschenkte irdische Leben ist von der Sünde entstellt, es bedarf der Erneuerung und Verwandlung. Die zweite Stufe ist daher ein neues Leben im Geist. In einer Art Wiedergeburt werden wir von einem irdischen Menschen, dem Adam oder der Eva, zu einem Kind Gottes. Das ist das zweite, größere Wunder und ebenfalls ein Geschenk. Dieses Leben, das Leben im Glauben, zielt auf die dritte Stufe, das ewige Leben. In einer Auferstehung mit einem neuen Leib in einer Neuen Welt vollendet sich unser Leben. Alle drei Stufen gehören zusammen. Jede Stufe ist wichtig und kann ohne die andere nicht existieren. Ich will mehr als nur der reichste Mann der Welt sein, will nicht nur ein Drittel des Lebens, sondern alles – und Sie?

Zurück zum Anfang. Was kann ich aktiv tun, um mein Leben auszufüllen? Um Gottes Ziel zu erreichen? Dazu ein Gedanke: Einfach beten! Sie haben richtig gelesen, denn Beten ist Handeln. Ausgerechnet heute, in dieser Zeit. Beten, das sei »abergläubischer Wahn«, wie es Immanuel Kant den Christen vorwarf. Mit der Beterei, so meinte er, würden sie sich vor dem Handeln, vor der Verantwortung drücken, und er warf ihnen damit Feigheit vor der Welt vor. Vielleicht hat er ja viele fromme Drückeberger erlebt. Die soll es ja geben. Aber Beten als Flucht vor der Welt, das zumindest sieht Jesus anders. Wir können es nachlesen: in der Bergpredigt, im Matthäusevangelium.

Beten ist nicht das Gegenteil von Handeln, es ist gewissermaßen seine Rückseite, wie das mal ein Theologe formulierte. Nur ist diese Rückseite für andere erst mal nicht sichtbar. Wenn ich vor Gott mein Herz ausschütte, wenn ich meine Sorgen, meine Ängste auf ihn werfe, sieht es außer ihm erst mal niemand.

Und doch verändert es vieles. Wenn ich keinen Schritt mehr gehen mag – aus lauter Angst –, weil ich nicht weiß, wie es weitergeht, finde ich neue Kraft. Im Gebet finde ich wieder Worte für meine Ängste, können sich Gedanken im Lebensdurcheinander ordnen, denn ich muss ja nun mal wissen, wie ich weitergehen soll. Wer betet, führt kein frommes Selbstgespräch, um sich vor der Welt zu drücken, nein, da spricht ein Mensch mit Gott. Er vertraut darauf, von ihm die Kraft und Stärke zu bekommen, die er so dringend braucht: für die nächsten Schritte, für die nächsten Entscheidungen.

 

Ja, es stimmt: Beten ist Handeln! Es muss ja nicht gleich lauthals in der Firmenkantine oder in der S-Bahn sein. Und wenn Sie nicht wissen, was, dann empfehle ich Ihnen das beste Gebet, das ich kenne: das Vaterunser.

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