Gwendoline

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Joe wurde tatsächlich rot bei dem Gedanken, wie die bezaubernden Kurven ihrer Gastgeberin in diesem wunderbaren Anzug aussehen.

»So, nun aber genug der Vorstellung«, meinte Harriet, schloss den Schrank und war mit einem Schlag wieder, simpel und profan, Sabine.

»Danke«, flüsterte Joe.

»Ein paar nette Sachen hab ich noch. Kannst dir gern mal was ausborgen, wenn’s dir passt.«

Joes Augen strahlten rund und groß.

»Kein Spaß, ich mein das ernst.«

Joe legte die Hände auf ihre Hüften, die ihr plötzlich unheimlich ausladend vorkamen.

Als die beiden wieder im Wohnzimmer saßen, Sabine die Getränke nachgeschenkt hatte, fragte sie: »Und was tut sich bei dir, Joe, außer dass du gerne Bondageworkshops besuchst, bei denen du dich äußerst geschickt anstellst?« Dabei ließ sie ihre Hand auf Joes Schenkel gleiten und sah sie neugierig aus ihren grünen Augen an.

Langeweile, dachte Joe. Eintönige, nie enden wollende Langeweile in der Ordi. Was sollte sie bloß von sich erzählen, dass Sabine nicht gleich in den nächsten drei Minuten hier, neben ihr auf dem Sofa einschlief? In ihrem Leben gab es so gar nichts, das sie als erwähnenswert erachtete. Misserfolge könnte sie jede Menge vorweisen, Defizit an Sex auch, Überbeanspruchung des Zeige- und Mittelfingers der rechten Hand – aber das war eine Folgeerscheinung des vorherigen Punkts. ›Saufen mit Sandra bis zur Bewusstlosigkeit‹, wär ein Thema oder auch ›Wie frau mit zweiunddreißig das schwindelfreie Stöckeln erlernt hat‹, oder ...

Sabine blinzelte ihr aufmunternd zu.

Nicht so schüchtern, Joe!, hörte sie das Kichern ihrer inneren Stimme.

Joe straffte ihren Rücken, strich ihr Haar hinters Ohr und hob das Kinn an, als hätte sie etwas wirklich Bedeutsames zu erzählen. »Tja ... also ...«

*

Joe war aufgekratzt, im positiven Sinn echauffiert und glücklich, als sie ihren Smart unter den drei Kastanien hinter der Mühle abstellte.

Sabine schien sehr an ihrem Leben, ihren bisherigen Beziehungen und ihren Vorlieben interessiert gewesen zu sein. Mehrmals fragte sie Details nach. Besonders hatte ihr die Geschichte von Claudia, ihrer ersten Liebe, gefallen, die noch dazu in einem Desaster geendet hatte. Sie wollte wissen, ob sich Joe bewusst war, was auf sie zukam, würde sie sich mit ihr, Sabine, auf eine Affäre einlassen. Joe beteuerte es mehrfach, denn sie dachte, dass diese wohl nicht viel anders als ihre Beziehung zu Sandra ablaufen würde.

»Es gibt Fesselspiele«, sagte Harriet, »und es gibt Bondage. Ich betreibe letzteres, und das kann ich wirklich ohne Übertreibung sagen, ich hab schon Männer gesehen, die nach einer halben Stunde in einer ausgewachsenen Panik das Safeword schrien, weil sie nur noch nach Hause zu ihrer Frau wollten.« Dabei machte sie ein Gesicht, das keinerlei Rückschlüsse darauf zuließ, ob sie das humorvoll oder angewidert meinte. Dann, Joe war total perplex, setzte sie sich plötzlich auf ihre Oberschenkel, sah sie aus aufgeweckten Augen an und gab ihr einen langen Kuss. »Ich hab dich damals im Kurs schon unbeschreiblich anziehend gefunden«, sagte Harriet. »Du besitzt etwas Außergewöhnliches, wie hab ich es genannt?, eine ›unkonventionelle Natürlichkeit‹«.

Joe konnte sich daran erinnern. Doch was Harriet damit genau meinte, war ihr nach wie vor schleierhaft, und nachfragen wollte sie auch nicht.

»Ich hätte Lust, mit dir zu spielen, Joe. Sehr große Lust. Ein ganzes Wochenende lang – für den Anfang – möchte ich mit dir spielen, möchte dich verführen, verschnüren, fesseln, knebeln, schlagen und dir dabei so viel Lust bereiten, wie du sie noch nie verspürt hast.«

Joe, wusste es, auch wenn sie keinen Spiegel dabei hatte, dass ihre Augen geleuchtet hatten, gestrahlt vor Begeisterung und Vorfreude, als Harriet mit diesen Worten wohlige Schauer durch ihren Körper und frivole Fantasien durch ihren Kopf jagte.

»Mach mit mir, was du willst«, sagte Joe, vielleicht doch etwas zu voreilig. »Mein Körper gehört dir.«

Harriet sah sie ernst an. »Du solltest es nicht sagen, Joe, wenn du es nicht auch genauso meinst. Andernfalls könnte es gefährlich werden.«

Joe nickte. »Ich meine es aber genau so.«

»Dann is’ ja gut«, doch Joe dachte in ihrem Gesicht zu lesen, dass sie ihr kein Wort glaubte. »Wann hast du also Zeit für unser erstes Treffen, bei dem sich dann alle noch offenen Fragen von allein beantworten werden?«

Sie brauchte keinen Kalender, um zu wissen, dass ihre nächsten Wochenenden so leer von irgendwelchen Verpflichtungen waren wie ein frischgeschöpftes Papier von Worten. »Wär kommendes Wochenende okay?«

Harriet nickte, tippselte und wischte, wischte und malträtierte das iPhone-Display mit dem Nagel ihres Zeigefingers. »Alles klar.« Sie lächelte, küsste Joe noch einmal, bevor sie von ihr stieg und sie hinausbegleitete.

Das war jetzt gerade mal eine gute Stunde her und noch immer konnte Joe den herrlichen Geschmack Harriets auf ihrer Zunge, deren Berührungen auf ihren Lippen und deren aphrodisierenden Duft in ihrer Nase spüren. Obwohl die Einrichtung ihres neuen Zuhauses, der Mühle, noch bei weitem nicht komplett war, fühlte sie sich bereits geborgen, als sie in den Vorraum trat. Aber was spielte das für eine Rolle, an einem Tag wie diesem, an dem sie von ihrer Bondagelehrerin geküsst worden war, eindringlich und zärtlich und diese ihr sagte, was sie beim nächsten Treffen alles mit ihr anstellen wollte, und zwar ein ganzes Wochenende lang.

Sie meinte einen Seufzer gehört zu haben.

Was is’?

Du bist schon wieder feucht, Joe!

Was dagegen?

Beim Zeus. Was sollte ich dagegen haben? Aber ein Außenstehender könnte denken, dass dich das Fahren in deiner winzigen Karre so anmacht, dass du jeden Augenblick kommst.

Das Treffen zwischen Joe und Sabine war charmant, kurzweilig und für beide Seiten aufschlussreich gewesen. Wäre da nicht ein kleiner Punkt gewesen, den Harriet mit keiner Silbe erwähnt, ja nicht einmal angedeutet hatte. Aber vielleicht war es gut so, denn vielleicht hätte es Joe nur unnötig verunsichert oder sie dazu veranlasst, ihre vereinbarte Verabredung erneut abzusagen, wenn sie gewusst hätte, dass Harriet ein Faible für die klassische Ménage-à-trois hatte.

*

Als Joe seinen Namen auf der Warteliste auf ihrem Monitor sah, huschten ihr Gedanken durch den Kopf, ob es nicht doch an der Zeit wäre, ihr Stethoskop an den nächsten Nagel zu hängen, um in Zukunft einer fesselnderen Tätigkeit nachzugehen, die obendrein noch Spaß machte. Sabine, nein, Harriet natürlich, hatte es doch vorgemacht, wie es ging – und dass es möglich war. Was Dr. Bertram betraf, der an diesem Tag bereits zum fünften Mal in diesem Monat bei ihr vorstellig wurde, sah sie sich bereits in der Rolle der unbarmherzigen Domina, die, in hohen Stiefeln und hautengem Latexcatsuit, ihrem Patienten die Flausen mit der Neunschwänzigen austrieb. Als sie sich das Bild vorstellte, stieg eine bis dato nicht bekannte Erregung in ihr auf. Ihre Zehen kribbelten, ihre rechte Hand fasste ständig ins Leere, als versuchte sie nach dem Griff einer unsichtbaren Peitsche zu greifen. Weit würde sie ausholen, würde erst sein Hemd zerfetzen, dann blutige Striemen auf seinen Rücken zeichnen, ihn schlagen, peitschen, demütigen ...

»Mein lieber Dr. Bertram«, flötete Joe eine Spur zu übertrieben, als dieser zur Tür hereinkam, und sie hoffte, dass er ihre Gedanken nicht von ihren Wangen ablesen konnte.

»Einen wunderschönen guten Morgen wünsche ich Ihnen«, sagte er, während er auf sie zuging, die linke Hand hinter dem Rücken, als wäre sie dort festgebunden.

»Was kann ich für Sie ...?« Joe blieben die Worte weg, als er vor ihr stand, seine Hand und mit ihr einen wunderbaren Blumenstrauß hinter seinem Rücken hervorzauberte.

»Für Ihre Bemühungen«, sagte er mit einem schelmischen Zwinkern, als hätte er die Blumen gerade vom Jedleseer Friedhof gestohlen. Er überreichte ihr einen opulenten Strauß aus Chrysanthemen.

Mit angehaltenem Verstand sah sie ihn an, wusste nicht, womit sie diese Nettigkeit verdient hatte. »Aber ich bitte Sie, das wär doch nicht nötig gewesen«, sprudelte sofort eine Plattitüde professionell aus ihrem, in dezentem Veilchenton geschminkten, ärztlichen Mund. »Die sind ja wunderschön. Die kann ich unmöglich annehmen.«

»Aber ich bestehe darauf.«

»Ich ...«

Joe, fang jetzt keinen Streit an, hier in der Ordi. Er hat gesagt, er besteht darauf.

Na dann ... »Herzlich Dank, Herr Doktor, obwohl ...«

Dr. Bertram hob beschwichtigend seine Arme.

»Das ist doch keine Bestechung?«, fragte Joe plötzlich ernst. »Oder ›Anfüttern‹? In Österreich ist das ›Anfüttern‹ verboten.

»Doch nur bei Staats- und Landesbediensteten, wenn ich mich richtig erinnere, und da auch nur bei den unteren Chargen.« Dr. Bertram schmunzelte.

Verzückt nahm sie die Blumen und legte sie in das Waschbecken. »Der Blutdruck?«, wurde sie sofort wieder dienstlich.

»Nur wenn ich Sie sehe, meine liebe Frau Doktor.«

Joe spürte, wie sich ihre Wangen knallrot färbten, als hätte sie sie gerade mit Kadmiumrot dunkel eingecremt. »Bitte unterlassen Sie diese Scherze.«

Noch immer lächelte er. »Ich möchte Sie, liebe Frau Dr. Binder, in aller Ehrenhaftigkeit, versteht sich, gerne zum Essen einladen.«

Verlegen presste Joe die Lippen zusammen. »Schauen Sie, mein lieber Doktor Bertram, ich kann ...«

»Zum ›Plachutta‹ in die Wollzeile ... oder ›Zum schwarzen Kameel‹ ... oder von mir aus auch ›Meinl am Graben‹ ...«

»...«

»Wenn Sie möchten auch zu den ›Drei Husaren‹ – nein, die sind ja krachen gegangen ... oder auf ein Schnitzel ins ›Figlmüller‹?

 

»Das ist wirklich sehr nett von Ihnen, Dr. Bertram, aber ...«

»Nennen Sie mich doch Julius.«

Eine unangenehme Hitze breitete sich in Joes Kopf aus. »Herr Doktor, wirklich ...«

»Julius, bitte!

»Wirklich, also ich weiß nicht ...«

»Es ist nur eine formlose Einladung zum Abendessen. Ein Dankeschön. Nichts weiter. Ohne Hintergedanken.«

Lügen kann er wie gedruckt, ohne dass man es ihm ansieht, dachte Joe. Gut, er war ausgebildeter Jurist.

»Es ist nur ... ich weiß doch, dass Sie an mir nichts verdienen, wenn ich zehnmal im Monat Blutdruck messen komme.«

Sogar wenn er nur zehnmal im Jahr Blutdruck messen käme, würd’ ich nichts verdienen.

»Also ... wirklich ... ich ... ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Einladung ... Julius. Gestatten Sie mir, wenn ich erst darüber nachdenke.«

»Ja, selbstverständlich, meine Verehrteste, selbstverständlich. Den Termin legen selbstredend Sie fest.«

Joe blickte auf ihre Swatch. »Also, wenn ich heute nichts mehr für Sie tun kann ...«

»Danke«, lächelte Dr. Bertram, »das wäre alles.«

Als Joe ihm die Hand reichte, glaubte sie die Andeutung eines Handkusses zu sehen, doch gleich darauf war sie sicher, sie wollte sich einfach sicher sein, sich getäuscht zu haben. »Herzlichen Dank und bis zum nächsten Mal«, flötete Joe wie immer, wenn sie nicht sie selbst war.

Bis auf den Zwischenfall – oder wie sollte sie es sonst nennen? – mit Dr. Bertram war ihr Arbeitstag ruhig und angenehm verlaufen. Dennoch fühlte sie sich müde. Wäre sie von einem gutaussehenden Vierziger zu einem Dinner eingeladen worden, hätte sich ihr Ego geschmeichelt gefühlt. Selbst der Einladung eines Zwanzigjährigen, der ja beinahe noch an der Grenze zur Minderjährigkeit kratzte, wäre sie bereitwilligst gefolgt. Durch Dr. Bertrams Einladung hingegen fühlte sie sich, sie konnte es nicht anders sagen, alt. Steinalt, uralt, wie die ältere Schwester Methusalems. Keine Frage, die Blumen waren eine nette Geste gewesen, für das, was sie tat. Ein Abendessen in einem der besten Lokale Wiens klang auch ausgesprochen verlockend. Die besten Lokale ... Doch warum ausgerechnet von einem Greis. Okay, mit seinen dreiundfünfzig Jahren hatte er zumindest als Nichtbeamter noch lang keinen Anspruch auf Ruhestand, aber das tat in Bezug auf sein biologisches Alter doch nichts zur Sache. Sie war noch keine dreiunddreißig und hatte keine Lust, ihre Lebensfreuden und Energien unter die Abgeklärtheit eines Großvaters zu stellen.

Joe ...

Yup.

Er hat Geld.

...

Joe?

Was bist denn du für eine? Nimmst du auf einmal Drogen?

Ihre innere Stimme war baff.

Und wenn er tausend Millionen hat ...

Das nennt man eine Milliarde, Joe.

... kann er mir gestohlen bleiben. Was mach ich mit einem geriatrischen, auf Inkontinenz zusteuernden alten Knacker, der keine Ahnung mehr hat von ... Liebe ... von Sex ... von Bondage ... von ...

Hab dich schon verstanden.

Hm ..., grummelte Joe.

Du könntest ja mit ihm essen gehen und ihm dann, ich meine nachher, ich meine, wenn er schon bezahlt hat, klarmachen, dass du nicht interessiert bist.

Sehr witzig.

Nein, das meine ich ernst.

Das wär ja wirklich ... also das kommt überhaupt nicht in die Tüte. Wie käme ich mir denn da vor? Wie eine Ärztin, die sich selbst kein Abendessen in einer Gaststätte der gehobenen Kategorie leisten kann.

Der Figlmüller ist nicht so teuer, und die Schnitzel sind supergroß und total lecker!

Ich weiß, war ja schon dort.

Die innere Stimme schmunzelte.

Warum erzähl ich dir das eigentlich, wo du doch ohnehin ... dabei warst.

Das hab ich mich auch g’rad gefragt ... Ich wollte deinen Geisteszustand nicht ...

Passt schon. Okay?

In der Mühle angekommen, ging sie schnurstracks in die Küche und öffnete eine Flasche von Otmars ›Vino della Casa‹, dem hiesigen Grünen Veltliner. Weit mehr als ein Achtel schenkte sie sich ein und presste die kühle Flüssigkeit an die Schläfe. Sie nahm einen kräftigen Schluck, gleich darauf noch einen. Langsam krochen die Lebensgeister auch in die entlegeneren Winkel ihres Körpers. Sie ließ sich auf dem Küchensessel nieder, der den alten, von Michael Thonet entworfenen Stühlen der Wiener Kaffeehäuser nachempfunden war. Allerdings war ihrer aus Plastik. Original schwedisches Möbelhaus.

Vielleicht sollte sie sich noch eine Stunde hinlegen, bevor Michael kam.

Ein infernalisches Geklopfe riss Joe aus dem Schlaf. »Was ...« Sie sah auf die Uhr. »Verdammte Scheiße!« War sie doch tatsächlich eingenickt. »Einen Moment!«, rief sie, als sie ihr Haar, wirr und ausgefranst, als wäre es elektrostatisch aufgeladen, im Spiegel betrachtete. Sie rannte in die Küche, langte in ihre Handtasche, fand eine Packung Hofer-Taschentücher, das kleine Notizbüchlein, das sie ständig mit sich herumschleppte, für den Fall, dass es eine wichtige, private Telefonnummer zu notieren galt, das Fläschchen mit den Bachblüten, die angebrochene Packung mit den Baldrian-Hopfen-Tabletten. Es war zum Verzweifeln. Endlich ertasteten ihre Finger den Griff der Haarbürste. An der Tür hämmerte es ungeduldig.

»Joe!?, ich bin es, Michael. Willst du mich nicht reinlassen?«

»Ich ... gleich bin ich soweit«, sagte sie, damit beschäftigt ihr widerspenstiges Haar, das jeglichen Einflüssen der Schwerkraft trotzte, zu bändigen. Kaum zwei Minuten später, war sie mit dem Resultat – in Notfällen musste frau eben Zugeständnisse machen – einigermaßen zufrieden.

»Hallo Michael!«, öffnete sie freudestrahlend die Haustür.

»Hallo«, lächelte er verschmitzt. »Dachte schon, dir wär was passiert. Seit zehn Minuten steh ich draußen und klopf mir die Finger wund.«

Noch nie hatte Joe einen Mann gesehen, der so phlegmatisch, ja beinahe belustigt darauf reagierte, dass sie ihn warten hatte lassen. »Komm rein.«

Er hob sie hoch und gab ihr einen langen Kuss. Wie vermisst hatte sie seine warmen männlichen Lippen, das Schalkhafte in seinen Augen, den Duft seines Aftershaves, das er ganz offensichtlich nicht nur nach dem Rasieren benutzte.

»Tut mir leid, dass du warten musstest. Ich hab mich nur kurz hingelegt und ...«

»Schon klar. Bei dir dauert es immer, bis du wieder ansprechbar bist.«

»Eigentlich wollte ich uns heute Gnocchi mit Pinienkernen machen, aber ... Stört es dich, wenn wir später essen.«

Er schüttelte den Kopf. »Hab keinen großen Hunger«, sagte er knapp. »Wär schon mit einer Kleinigkeit zufrieden«, und dabei grinste er so breit, dass Joe fürchtete, er könnte sich in die Ohrläppchen beißen. Mit Augen gefährlich und funkelnd steuerte er auf sie zu.

»Michael, was hast du vor?« Joe versuchte überrascht und echauffiert zu klingen.

Was wird er schon groß vorhaben, Joe? Also wirklich. Das, weswegen du ihn eingeladen hast, hat er vor. Und halt bitte die Klappe. Die Rolle der schockierten, biederen Jungfer steht dir ganz und gar nicht.

Joe wandte sich um. Ihr Mund war versiegelt. Spielerisch floh sie vor ihm die Treppe hinauf, strampelte sich den Slip von den Beinen und ließ sich dabei genügend Zeit, dass sie selbst ein Achtzigjähriger nach einer missglückten Hüft-OP spielend eingeholt hätte.

»Haha!«, lachte sie laut auf, als Michael sie an den Hüften packte, herumwirbelte, hochhob und gegen die Wand drängte.

»Ich hab’s noch nie auf ’ner Treppe getan«, lachte er, »schon gar nicht auf so einer schön renovierten.«

Joe schlang ihre Beine um seine Taille, ihre Arme um seinen Hals, keuchte ekstatisch, als er ihren Rock nach oben schob. Ehe sie sich’s versah, war er in ihr und stieß mit tiefen, elastischen Stößen auf sie ein. Sie spürte sein Becken an ihren Schenkeln, seinen flachen Bauch an ihrem Venushügel und ein unbändiges Verlangen in ihrer Mitte. Sie brodelte, kochte, krallte ihre kurz geschnittenen Nägel in seinen Rücken, doch er schien es nicht zu bemerken. Mit jedem Stoß wurde er heftiger, ungestümer, fordernder. Bald würde er ihren Körper an jenen Punkt bringen, an dem sie sich nicht mehr wehren konnte, wo sie ihm ausgeliefert war, wo es keine Ratio und keine Logik mehr gab, kein Heute und kein Morgen, wo nur noch willenlose Ekstase triumphierte. Sie spürte seinen prallen Schwanz, spürte, wie er sich tief in ihre Mitte bohrte, fühlte ihn an ihrer glatten Muskulatur, an ihrer ... Wie wild begann ihr Beckenboden bei diesem Gedanken zu zucken und sie kam heftig und ohne Vorwarnung. Ihre Beine zitterten, als sie sich auf die Stufen setzte. Gerne hätte sie jetzt eine Zigarette geraucht, nur um diese beängstigende Stille nicht ertragen zu müssen, um ihm nicht in die Augen sehen, ihn anlächeln zu müssen, um nicht irgendeinen Schwachsinn zu verzapfen, wie »es war wunderschön«. Doch sie rauchte nicht.

Nachdem sie den Rock glatt gestrichen, den Slip aufgesammelt und er alles, inklusive T-Shirt wieder ordentlich in seiner Hose verstaut hatte, gingen sie zurück in die Küche.

»Wein?«, fragte sie mit einem Blick, als wäre sie noch nicht wieder ganz im Hier und Jetzt angekommen. »Veltliner, Otmar-Spezial, aus der Gegend. Den gleichen den’s auch beim Dorfwirten gibt.«

»Gern.«

Joe schenkte zwei Gläser ein. Dann ließ sie eine Unmenge Butter in der Pfanne zerfließen, um die Pinienkerne anzurösten und stellte Wasser für die Gnocchi auf.

»Ich ... vielleicht täusche ich mich«, begann Michael, »aber ich hatte das Gefühl, du warst heute irgendwie nicht bei der Sache.«

»Hm.« Joe zuckte die Schultern. »Ich ... es ist mir irgendwie peinlich ...« Ihre Lippen schienen Worte artikulieren zu wollen, doch aus ihrem Mund drang kein Laut. »Ich hab noch nie drüber gesprochen. Seit neuestem ...«, sie räusperte sich, »... hab ich – wie soll ich sagen – ganz spezielle Bedürfnisse bei erotischen Zuwendungen ... beim Sex.« Joe schlug ihre Augen verlegen nieder.

Michael hielt den Atem an und schien sich zu fragen, ob das nun gut oder schlecht für ihn war.

»Es macht mich an ... ich meine ... ich steh auf härtere Praktiken«, sagte Joe und fühlte Hitze in ihre Wangen steigen. »Irgendwie«, setzte sie noch hinzu, als könnte dieses nichtssagende Umstandswort alles erklären.

»Härter?«, fragte Michael verwundert. »Ist dir meine Art nicht hart genug?« Er holte Luft. »Ich dachte Frauen lieben es zärtlich und gefühlvoll.«

Joe streckte demonstrativ ihr Brust heraus, als sie getrocknete Tomaten und Salbei zu den goldbraunen Pinienkernen gab. »Jein«, sagte sie verlegen.

»Ja-ein?, das ist doch eine typische Frauenantwort.«

Joe fühlte sich in die Enge getrieben. »Ich weiß nicht, ob es bloß eine Antwort oder eine typische Frauenantwort ist, Michael. Ich meine, ich kann doch auch nichts dafür, wenn mein Körper mit einem Mal komplett verrückt spielt«, sagte sie mit Tränen in den Augen. »Was kann ich denn dafür, dass ich auf einmal auf ...«, sie schluckte, »Handschellen, Fesselspiele, Auspeitschen ...«, sie hielt inne, »... voll abfahre.«

»Handschellen? – Fesselspiele? – Auspeitschen? Um Himmels willen, Joe, was ist denn in dich gefahren?« Michaels Stimme überschlug sich. Dabei sah er aus wie ein Theaterschauspieler, der auf der Bühne stand und feststellte, dass er den Text für das falsche Stück einstudiert hatte.

»Plötzlich? Eigentlich kam es nicht plötzlich. Es fing vor Monaten an. Und nun kann ... will ich nicht mehr ohne diese Dinge sein.«

Michael biss auf die Innenseite seiner Wange.

»Es gibt mir so ein Gefühl ... Hast du nie solche Dinge getan, ausprobiert?«

»Nein«, sagte er zögerlich.

»Nie davon geträumt?« Sie sah ihn aus warmen braunen Augen an. »Hast du nie daran gedacht, dich zu unterwerfen, die Verantwortung für dich und deinen Körper abzugeben, in die Hände einer Frau zu legen?«

»Ich ... äh ... nein. Ich verabscheue Gewalt, nicht nur bei Frauen. Ich könnte nie ... ich könnte dich nie fesseln, dir Handschellen anlegen, dass du dich nicht mehr rühren kannst.«

»Auch nicht, wenn es mir Lust bereitet? Auch nicht, wenn ich dich ganz lieb darum bitte?« Sie lächelte kokett.

»Ich glaub’, dabei käme ich nicht einmal in die Nähe eines Orgasmus.« Ein schmales Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen.

»Niemand ist perfekt«, lachte Joe. »Wir haben alle unsere Schwächen«, und es klang, als versuchte sie, die globale politische Situation auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen. Sie stellte die Teller mit den Gnocchi auf den Tisch und öffnete noch eine Flasche Wein. »Aus Italien«, sagte sie und hielt ihm den Rotwein unter die Nase. »Ach, wie dumm.« Sie holte zwei passende Gläser aus der Vitrine und goss ihm einen Schluck ein. »Was meinst du?«, forderte sie ihn auf zu kosten.

 

Er trank den Wein in einem Zug aus. Dann nickte er. »Ausgezeichnet«, murmelte er, »das hast du ja spitzenmäßig hingekriegt, Joe.«

Sie lächelte. »Michael, könnten wir nach dem Essen noch auf den Dachboden?«

Er grinste.

»Nein, nicht was du denkst. Ich meine, damit du mir sagst, ob und wie man ihn am besten ausbauen könnte.«

Er nahm einen Schluck. »Sicher. Aber warum hast du uns denn nicht damals schon den Auftrag gegeben, dass wir ihn gleich mitmachen sollen bei der Sanierung?«

Sie schürzte die Lippen. »Damals? Damals war das irgendwie noch nicht aktuell. Bin erst später draufgekommen, dass man da was Nettes draus machen könnte.«

Bei dem Gedanken an eine Umgestaltung des Dachbodens verspürte Joe ein unstetes Ziehen in ihren Eingeweiden. Sie konnte es kaum noch erwarten, bis Michael mit dem Essen fertig war, dann nahmen sie ihre Gläser, stiegen die Stufen ins Obergeschoß, weiter die schmale Treppe in den Boden hinauf. Ein wohliger Schauer überlief sie, als sie die Tür in die Mansarde aufstieß.

Er sah sich um. »Die Isolierung ist ja schon im Zuge der Renovierung gemacht worden. Man braucht das ganze eigentlich nur noch, je nach Geschmack, mit Holz oder Gipskartonplatten zu verkleiden und in der Farbe deiner Wahl anzupinseln. Bodendämmung ist auch schon vorhanden. Brauchst dir nur noch einen hübschen Parkett oder Laminat aussuchen. Ich kann dir gerne eine Zimmerei und eine Tischlerei empfehlen, Joe. Was hast du eigentlich damit vor?«

Grinsend stellte sie sich auf die Zehenspitzen und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

Seine Augen weiteten sich, seine Mund stand offen.

Sie nickte, wie um das Gesagte noch zu unterstreichen.

»Ist nicht dein Ernst.«

Sie verschränkte die Arme hinter ihrem Rücken, als gelte es ein äußeres Zeichen ihres kindlichen Übermuts zu zeigen und drehte ihren Oberkörper in weichen, schwingenden Bewegungen mal links, mal rechts.

»Ich fürchte doch.« Dann begann sie hemmungslos zu lachen.

Wäre Joe an diesem Tag ehrlich zu Michael und zu sich selbst gewesen, hätte sie eingestehen müssen, dass ihre zweifelhafte Stimmung nichts mit ihrer Vorliebe für BDSM zu tun hatte. Vielmehr lag es daran, dass sie weder jenem weitverbreiteten Missverständnis noch Michaels wunderbarem straffen Schwanz aufsitzen, und die Lust, die er ihr bereitete, mit Liebe verwechseln wollte. Eine kleine Barriere und eine winzige Notlüge schienen ihr ein probates Mittel zu sein, dies zu verhindern.

*

Sie konnte es nicht abstreiten, doch sie war enttäuscht. Nicht gerade bitter, aber doch enttäuscht. Bei Hippokrates, durfte es denn sein? Traumhaft und einzigartig wäre es gewesen, hätte er ihre Vorlieben für Bondage, für Unterwerfung, für Spanking geteilt. Aber offensichtlich stieß das Schicksal damit an die Grenze des Machbaren. Es wäre perfekt gewesen, ein Mann, der sie fesselt, knebelt, sie unterwirft und ihr jede Menge Lust und multiple Orgasmen in einer bisher ungeahnten Intensität beschert. Aber Perfektion schien, so die Meinung der Vorsehung, des Schicksals oder wer sich immer dafür zuständig fühlen mochte, nicht in diese Welt zu passen. Wo käme man da hin, wenn das Dasein auf der Erde schon die Stufe der Vollkommenheit erreichte? Was könnten die Pfaffen den Menschen dann noch versprechen, für ein nächstes Leben, eine bessere Welt? Die Zukunft konnte in diesem Fall doch nur schlechter aussehen. Und das waren selbst für so ein abgebrühtes Geschwisterpaar wie Schicksal und Vorsehung keine rosigen Aussichten.

Joe, hör auf Trübsal zu blasen. Du kennst so viele nette Menschen.

Viele?

Okay, aber die paar, die du kennst, sind doch nett, wie Sandra zum Beispiel. Michael ist nett. Und Sex mit ihm hat dir doch auch, zumindest die ersten Male, immer Spaß gemacht.

Schon.

Dann häng jetzt nicht den ganzen Menschen bzw. die ganze Beziehung daran auf, dass er nichts mit BDSM anfangen kann. Alle sind nicht so verrückt wie wir beide.

Joe musste schmunzeln. Bezieh das verrückt ruhig auf dich.

Gut, bezieh ich es auf mich. Hab kein Problem damit.

In diesem Augenblick begann das Smartphone den Klingelton des Baumeisters zu intonieren. »Sie hab’n a Haus baut« von Arik Brauer.

»Binder.«

»Ja, ich grüße Sie, Frau Doktoa Binda«, kam die feste Stimme von Baumeister Kaefer aus dem Lautsprecher. »Haben Sie mein Mail schon gelesen?«

Uh, das klang gar nicht gut. Eine Mail vom Baumeister, jetzt wo die Arbeiten so gut wie abgeschlossen waren. Das konnte nur bedeuten, dass er seinen Kostenvoranschlag nicht eingehalten hatte, dass er, wie in Österreich quasi schon Standard, wenn schon nicht die Bauzeit, so zumindest die präliminierten Kosten überzogen hatte. »Nein«, sagte sie brüsk ins Telefon.

»Macht nichts. Herr Jevtic hat mit mir gesprochen, dass Sie die Mansarde auch noch ausgebaut haben wollen, Sie aber nicht persönlich als Auftraggeberin in Erscheinung treten wollen, sondern dass wir, die Baumeister Kaefer GmbH, diese Rolle übernehmen sollen.«

Sie hörte einen langgezogenen Seufzer. »Das machen wir natürlich gerne für Sie, Frau Doktoa, da wir auch in der glücklichen Lage sind einige Firmen zu kennen, die erstklassige Innenausbauten, inklusive ansprechendem Design durchführen.«

»Sehr schön, es freut mich, das zu hören.«

»Ich schick Ihnen also demnächst jemanden vorbei, wahrscheinlich noch diese Woche, der sich den Dachboden einmal anschaut und dem Sie Ihre Wünsche und Vorstellungen schildern können und der Ihnen einen Plan und eine damit verbundene erste Kostenschätzung liefert.«

»Danke! Das ist ausgesprochen zuvorkommend.« Sie hörte das dezente Lächeln des Baumeisters am anderen Ende des Äthers.

»Was die Mail betrifft ...«

Joe krampfte sich der Magen zusammen.

»... so hoffe ich, Sie freuen sich, dass wir acht Prozent unter dem Kostenvoranschlag geblieben sind.«

Stille. Hatte er das wirklich gesagt, was sie dachte gehört zu haben? »Acht Prozent?«, sagte sie, eine Oktave höher als gewöhnlich.

»Äh, ja. Exakt herausgerechnet sind es acht Komma drei oder vier.«

»Das ... also das ...« Joe rang nach Worten. »Danke, vielen herzlichen Dank.«

»Gern geschehen«, meinte Kaefer, dem es offensichtlich ausgesprochen gut tat, ab und an ein wenig Dank von seinen Kunden zu bekommen.

*

»Wie läuft’s denn in deiner Design-Bude?«

»Du meinst im Büro?«

Sandra grinste überheblich, als gäbe es gar keine Möglichkeit, ihre Frage falsch zu verstehen.

Anika zuckte mit den schmalen Schultern. »Tut sich nicht viel. Branding für ein mittelgroßes Unternehmen, dessen Namen ich dir nicht verraten darf, sonst nur Kleinkram, Privatkunden, Websites und Visitenkarten.«

»Das find ich wirklich interessant, dass in einer papierlosen Zeit wie der heutigen, die Visitenkarten noch nicht von der Bildfläche verschwunden sind.«

»Hast du vor, die gesamte Zeit mit mir über den Job zu reden? Ich dachte, du wolltest mich erziehen?«

»Vielleicht tu ich das ja grade.« Sandra lachte, als sie Anikas entgeisterten Gesichtsausdruck bemerkte.

»Hey, das geht aber nicht!«

»So?«

»Ähm, zumindest nicht ohne begleitende disziplinäre Maßnahmen.«

»Du wirst das Geschirr abwaschen, meine Dessous bügeln, das Haus aufräumen ...«

»Aber...«

»Hm ... ich glaub, ich werd alt. Hab schon ’nen Tinitus. Dachte grad, du hättest ›aber‹ gesagt.«

»Aber ...«

»Da ist es schon wieder.«

»Aber ich hab ›aber‹ gesagt.«

Sandras Augen waren kreisrund. »Aber, aber ... Nix aber. Bei Erziehungsmaßnahmen gibt es kein ›aber‹, verstanden?«

»Ja, ja, hören tu ich noch ganz gut, aber ...«

»Was hab ich grad gesagt?«

»Aber ...«

»Anika, das führt zu nichts. Du hörst dich an wie eine CD, die ewig an der gleichen Stelle hängt.«

»Aber ...«

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