Gleichnisse

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1.5.7 Konterdetermination

Der Begriff bedeutet wörtlich Gegen-Bestimmtheit. Gemeint ist die Beobachtung, dass Gleichnisse bis auf wenige Ausnahmen das, worum es eigentlich geht, auf der Erzählebene verschweigen. Bei Metaphern und Vergleichen werden einzelne Begriffe gegen ihren erwartbaren, ‚normalen‘ Gebrauch in einen neuen, ihnen eigentlich fremden Kontext gestellt. Das sorgt für Irritation und Überraschung (metaphorischer Prozess → 2.2.3c). Die Konterdetermination wird in Gleichnissen, anders als in Allegorien, durch Transfersignale durchbrochen, die das Erzählte für die Deutungsebene transparent machen (→ 1.5.9).

Definition: Konterdetermination meint die rhetorische Technik, das, worum es im Erzählten eigentlich geht, zu verschweigen, um nicht vom Erzählten abzulenken.

1.5.8 Extravaganz

Extravaganzen sind Erzählzüge, welche die Realistik des Erzählten und damit den Erwartungshorizont der Rezipienten durchbrechen. Welche Erzählzüge für die ursprünglichen Rezipienten extravagant erschienen, ist durch Klärung der so genannten Realien und des sozialgeschichtlichen Hintergrunds zu recherchieren.1 Als Transfersignale weisen Extravaganzen darauf hin, dass das Erzählte nicht wörtlich zu verstehen ist. Sie sind Hinweisschilder auf die Punkte, wo der Vergleich ‚hinkt‘; so gleicht Gott eben doch nicht zu hundert Prozent einem irdischen König, sondern unterscheidet sich in markanten Punkten von ihm.

Damit ist eine Eigenart der Gleichnisse angedeutet, die sie für die Rede von Gott geradezu prädestiniert: Sie bringen Gott nicht nur nah, indem sie ihn mit irdischen Rollenträgern vergleichbar erscheinen lassen, sondern bringen zugleich das bleibende Anderssein Gottes zum Ausdruck. Das legitimiert vergleichende Rede von Gott, trotz des alttestamentlichen Bilderverbots.

Definition: Extravagant sind Erzählzüge, die den Rahmen des realistisch Erwartbaren sprengen, für Aha-Effekte sorgen, den vergleichenden Charakter des Textes markieren und auf Differenzen zwischen Erzähl- und Deutungsebene hinweisen.

1.5.9 Transfersignale

Transfersignale (auch: Verweiselemente) sind alle Erzählzüge, die darauf aufmerksam machen, dass sich die Bedeutung des Erzählten nicht auf der semantischen, wörtlichen Ebene erschöpft, sondern einen dahinter liegenden, theologischen Bezugsrahmen umfasst, der durch das Erzählte illustriert und plausibel gemacht werden soll. Damit durchbrechen sie die Konterdetermination der Erzählebene und provozieren Deutung. Transfersignale können die Deutungsebene klären (Übergangsebene, Schluss-Sentenz, Anwendung, geprägte Bildfelder), sie lediglich andeuten (Extravaganzen, geprägte, aber deutungsoffene Metaphern und Bildfelder, zeitgeschichtliche Anspielungen) oder sie sogar verschleiern (kühne Metaphern, Chiffren, surreale Züge). Weiter dazu → 2.5.1c.

Definition: Alle Erzählzüge, die bei den Textrezipienten einen ‚metaphorischen Prozess‘ auslösen, anders gesagt: nach einer externen Deutungsebene fragen lassen, nennt man Transfersignale. Sie können das eigentlich Gemeinte klären, andeuten oder verschleiern. Ein guter Mix aus allem ist für Gleichnisse konstitutiv.

1.5.10 Theologischer Bezugsrahmen (‚Sache‘)

Bild und ‚Sache‘ sind in der älteren Gleichnisforschung die beiden ‚Hälften‘ bzw. Ebenen eines Gleichnisses. Das Gleichnisbild veranschaulicht demzufolge eine bestimmte, dem menschlichen Erfahrungshorizont grundsätzlich entzogene, theologische ‚Sache‘. Dieser Begriff ist irreführend und wird hier konsequent vermieden. Er suggeriert eine klar umrissene Bezugsgröße der Gleichnisse. Diese wurde und wird in der Regel mit der Gottesherrschaft (basileía tou theoú bzw. basileía tṓn ouranṓn) identifiziert. Problematisch ist daran zum einen, dass ‚Reich Gottes‘ selbst eine Metapher, wenn auch eine usuelle Metapher, ist: Sie bringt die Wirklichkeit Gottes mit der Wirklichkeit eines weltlichen Königreichs zusammen. Daher ist es so eine Sache mit dem Reich Gottes als ‚Sache‘. ‚Reich Gottes‘ wird überhaupt nur in einigen Gleichnistexten als explizite Rahmenmetapher verwendet.1

Zum anderen ist ‚Reich Gottes‘ nur zum Teil ausdrücklich die Bezugsgröße; viele Texte nennen ihre Bezugsgröße nicht ausdrücklich, sprechen auch nicht von einem basileús als kýrios-Figur und verweisen stattdessen auf andere Bezugsgrößen, wie etwa die Freude im Himmel (Gleichnistrilogie Lk 15). Dementsprechend vermuten einige Forscher die ‚Sache‘ im situativen oder literarischen Kontext der Gleichnisse.2 Andere sehen in den Gleichnissen überhaupt keine ‚Sache‘, sondern die Inszenierung einer von Jesus gestifteten, neuen Existenzform: der Liebe.3

Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die so genannte ‚Sache‘, besser: der theologische Bezugsrahmen als aspektreiches Bündel (vor-)religiöser Erfahrungen und theologischer Erkenntnisse.4 Diese haben alle etwas mit der im Gleichnis angezeigten Wirklichkeit Gottes zu tun. Die Alltagswirklichkeit erscheint, unter dem Vorzeichen der Wirklichkeit Gottes, in einem neuem Licht. Das, worum es geht, ist ein dynamisches Wechselverhältnis zwischen der göttlichen und der menschlichen Wirklichkeit (vgl. → 2.5.6).

Definition: Das eigentlich Gemeinte eines vergleichenden Textes ist innerhalb eines theologischen Bezugsrahmens zu verorten und umfasst ein aspektreich-komplexes Bündel (vor-)religiöser Erfahrungen und theologischer Erkenntnisse.

1.5.11 Sprachgeschehen bzw. Sprachereignis

Die Rede vom Gleichnis als Sprachereignis (auch: Sprachgeschehen) geht auf die Zeit der ‚metaphorischen Wende‘ ab Mitte des 20. Jahrhunderts zurück, in welcher der po(i)etische Charakter der Metapher neu entdeckt wurde (→ 2.2.3). Als ‚erweiterte Metapher‘ (→ 2.2.3c) wurde dem Gleichnis die Sprachkraft zuerkannt, die Wirklichkeit Gottes nicht nur zu illustrieren, sondern sie sogar zu realisieren. Auf den Punkt bringt diese Auffassung Eberhard Jüngel:

Die basileia [Gottesherrschaft] kommt im Gleichnis als Gleichnis zur Sprache. Die Gleichnisse Jesu bringen die Gottesherrschaft als Gleichnis zur Sprache.1

Eine andere Wirklichkeit der basileía als im sprachlichen Vollzug, indem das Gleichnis ausgesprochen wird und es in den Rezipienten wirkt, gibt es nach dieser Auffassung nicht. Das Erzählen von Gleichnissen ist gleichsam ein performativer Akt, der das, wovon er redet, Realität werden lässt.2 Diese besondere Sprachkraft des Gleichnisses macht es zu einer Offenbarungsrede sui generis. – Es ist zu diskutieren, ob Gleichnisse tatsächlich himmlische Fakten schaffen können und es diese jenseits davon gar nicht gibt (→ 2.2.3d; 2.4.3; 2.4.5; 2.5.3b; 2.5.4d).

Definition: Der Begriff Sprachereignis / Sprachgeschehen zielt auf Sprache als performativen Akt ab, der etwas Wirklichkeit werden lässt, indem er es ausspricht.

1.5.12 ‚Eigentliche‘ vs. ‚uneigentliche‘ Rede

Dieses Gegensatzpaar begegnet häufig in der Gleichnisforschung. Jülicher greift damit eine Kategorie der antiken Rhetorik auf, die ihm hilft, Gleichnis/Vergleich mit Allegorie/Metapher zu kontrastieren.1 Die Rhetorik differenziert zwischen einer Redeweise im Sinne von unmissverständlichem ‚Klartext‘, der Deutung weder braucht noch zulässt (‚eigentliche‘ Rede), und einer Redeweise, die nicht sagt, was sie meint, und deutungsbedürftig ist (‚uneigentliche‘ Rede). Die qualitative Bewertung der Redeweisen hängt am Sprachbegriff: Wird Sprache primär als Informationsmedium verstanden, wird ‚eigentliche‘ Rede höher bewertet (rhetorische Optik). Wird Sprache jedoch primär als Form (po[i]etischer) Wirklichkeitserschließung verstanden, wird ‚uneigentliche‘ Rede hochgeschätzt (poetische Optik). Die ‚metaphorische Wende‘ (→ 2.2.3) war in dieser Hinsicht ein Paradigmenwechsel. Die Metapher gilt seither als Grundbaustein sprachlicher Erschließung von Welt; das lässt die pejorative Bezeichnung ‚uneigentlich‘ deplatziert erscheinen. Dennoch bestimmt das Gegensatzpaar bis heute die Diskussion um vergleichende Texte sowie die Unterscheidung von Vergleich und Metapher.2 Dementsprechend wird der semantische Unterschied zwischen Vergleich und Metapher vielerorts noch heute an der Vergleichspartikel wie festgemacht. Der vorliegende Entwurf unterscheidet stattdessen zwischen ausgesprochenem (Vergleich: kein Deutungsbedarf) und nicht ausgesprochenem Vergleichspunkt (Metapher: Offenheit, Sinnüberschuss, Deutungsbedarf; → 1.4.4a/1.4.4b).

Definition: Das Begriffspaar entstammt der antiken Rhetorik und fokussiert den Gegensatz zwischen wörtlich und übertragen zu verstehender Rede. Während das rhetorische Sprachverständnis uneigentliche als deutungsbedürftige, zu ersetzende Rede wertet, wertet das Sprachverständnis der Poetik die Metapher als Grundform sprachlicher, poetischer Welterschließung, das heißt als eigentliche Rede.

Abschließend sei die Verschränkung von rhetorischer und poetischer Optik dieses Buches auf eine griffige Formel gebracht:

Die Eigentlichkeit ‚uneigentlicher‘ Redeweise besteht darin, dass sie über den Umweg der Uneigentlichkeit so zum Eigentlichen kommt, wie es mittels ‚eigentlicher‘ Redeweise gar nicht möglich wäre.

2 Gleichnisforschung im Überblick


Grafik erweitert übernommen aus Erlemann 1999, 52.

 

Im ersten Durchgang werden einige Wegmarken der Gleichnisforschung abgeschritten (2.1 – 2.3). Der zweite Durchgang arbeitet den Ertrag der Gleichnisforschung anhand leitender Forschungsalternativen auf (2.4); Abschnitt 2.5 stellt weiterführende Überlegungen zu einer integrativen Gleichnistheorie an.

2.1 Der Ausgangspunkt: Adolf Jülicher

Eine kurze Einführung in die Gleichnistheorie Adolf Jülichers (1857-1938) macht die heutige Diskussion verständlich. Mit seinem bahnbrechenden Doppelwerk Die Gleichnisreden Jesu (Tübingen 1886/1898, 2. Auflage 1910) legte Jülicher den Grundstein für die wissenschaftliche Beschäftigung mit Gleichnissen. Bis heute geschieht Gleichnisforschung in der Auseinandersetzung mit Jülicher.

2.1.1 Ausgangspunkt: anti-allegorischer Affekt

Kernanliegen Jülichers ist die Abwehr der bis dato üblichen Allegorese der Texte. Hierfür nimmt er klare, an der antiken Rhetorik orientierte Begriffsdefinitionen vor.1 Er konstatiert einen Gegensatz zwischen ‚eigentlicher‘ und ‚uneigentlicher‘ Rede. Erstere (Vergleich, Gleichnis) sagt klar und unmissverständlich, was sie meint – und sie meint auch, was sie sagt! Letztere (Metapher, Allegorie)2 hingegen sagt gerade nicht, was sie meint, bzw. sie meint etwas anderes, als sie sagt. Das entspricht Jülichers liberal-theologischem Jesusbild: Jesus war ein genialer Pädagoge, der in unnachahmlicher Klarheit und Verständlichkeit seine Botschaft (die Idee vom Reich Gottes samt seinen sittlich-religiösen Wahrheiten) an sein Auditorium richtete und es zu überzeugen wusste. Dieser Jesus konnte nur Klartext gesprochen haben, nicht etwa deutungsbedürftige, ‚uneigentliche‘, metaphorisch-allegorische Rätselrede.

Kein Mittel hat er unversucht gelassen, kein Mittel des Wortes, um das Wort seines Gottes an und in die Herzen seiner Hörer zu bringen, nur die Allegorie, die nicht verkündigt, sondern verhüllt, die nicht offenbart, sondern verschließt, die nicht verbindet, sondern trennt, die nicht überredet, sondern zurückweist, diese Redeform konnte der klarste, der gewaltigste, der schlichteste aller Redner für seine Zwecke nicht gebrauchen.3

Was an den Gleichnissen der Evangelien auslegungsbedürftig erscheint, geht, so Jülicher, auf das Konto der Evangelisten, die Jesu Gleichnisse als rätselhafte Allegorien missverstanden und sie mit christologischen Inhalten angereichert hätten. Die schriftlich vorliegenden Gleichnisse seien demnach das Ergebnis eines tiefgreifenden, allegorischen Verfälschungsprozesses.4

Sie [scil. die Evangelisten] verstehen unter parabolḗ nicht bloß eine vergleichende Rede, sondern eine, die außerdem dunkel ist, der Deutung bedarf.5

Diese Einschätzung macht einen inneren Zusammenhang zwischen anti-allegorischem Affekt, Jesusbild und Missverständnis- bzw. Verfälschungstheorie sichtbar.6 Hinzu kommt Jülichers Annahme eines Gleichnis-Idealtyps, der keinesfalls deutungsbedürftig sei, sondern ‚Klartext‘ spreche und nur einen einzigen Vergleichspunkt (tertium comparationis) habe. Dieser Idealtyp im Munde Jesu beinhaltet, so Jülicher, eine zeitlose, moralisch-religiöse Satzwahrheit als wesentlichen inhaltlichen Kern.7 Die Gleichnisform ist für Jülicher im Gegensatz zu der in ihr transportierten Satzwahrheit letztlich ersetzbar.

2.1.2 Gleichnisdefinition und Auslegungsinteresse

Jülicher sieht das Ziel moderner Gleichnisauslegung in der Rückgewinnung der Gleichnisse im Munde Jesu. Er nennt als Leitkriterien hierfür den wörtlichen, eindeutigen Textsinn und den Gleichnis-Idealtyp, den er definiert als

diejenige Redefigur, in welcher die Wirkung eines Satzes (Gedankens) gesichert werden soll durch Nebenstellung eines ähnlichen, einem anderen Gebiet angehörigen, seiner Wirkung gewissen Satzes.1

Dem rhetorisch-argumentativen Zweck der Gleichnisse entsprechen, so Jülicher, Präzision und Kürze; ‚Einfachheit als Kennzeichen des Wahren‘ (lat. simplex sigillum veri) sei ein wichtiges Merkmal des Gleichnis-Idealtyps. Die methodische Konsequenz daraus heißt für Jülicher: Verzicht auf Auslegung! Die authentischen Gleichnisse Jesu bedürften sowieso keiner Deutung, die allegorisierten Gleichnisse der Evangelien seien auf ihre ursprüngliche Gestalt zurückzuführen. Anstatt irgendwelche Gleichniselemente zu deuten, möchte Jülicher lediglich das eine tertium comparationis zwischen ‚Bild- und Sachhälfte‘ herausarbeiten.

2.1.3 Formkritik der Gleichnisse

Für die praktische Auslegungsarbeit entwickelt Jülicher formkritisch zu unterscheidende Gleichnistypen: Erstens, Gleichnisse im engeren Sinne bzw. besprechende Gleichnisse, inklusive so genannter Bildworte und Gnomen1; zweitens, Parabeln bzw. erzählende Gleichnisse oder Gleichniserzählungen; drittens, Beispielerzählungen; viertens, Parömien.2 Der Antityp des Gleichnisses ist für Jülicher die Allegorie.3 Diese Klassifizierung erfuhr, mit kleineren Modifikationen (hinzu kam die Kategorie des Gleichnisdiskurses), eine breite Rezeption über ein ganzes Jahrhundert Gleichnisforschung, stellte sich letztlich jedoch als revisionsbedürftig heraus (→ 2.3; 2.4.9; 2.5.7; 3.2).4

a) Besprechendes Gleichnis bzw. Gleichnis im engeren Sinne

Erstes formales Kriterium dieses Gleichnistyps ist laut Jülicher das Präsens als Erzähltempus. Es signalisiere keinen erzählenden, sondern einen besprechenden Charakter. Zweites Formalkriterium ist die Reduktion auf einen einzigen Akteur (z. B. den Sämann in Mk 4,3-9). Ein drittes, mehr inhaltliches Kriterium ist die Beschreibung eines Natur- oder Alltagsvorgangs wie Aussaat und Ernte.1 Die Beschreibung diene dazu, eine Gesetzmäßigkeit des Reiches Gottes zu illustrieren.

Beispiele: die Wachstumsgleichnisse in Mk 4parr., das Fasten auf der Hochzeit (Mk 2,18-20parr.) und die verlorene Drachme (Lk 15,8-10). – Das Gleichnis vom Senfkorn und Sauerteig (Mt 13,31-33) ist eine typische Mischform: Ein Alltagsvorgang mit einem Akteur wird im griechischen Aorist erzählt.

Das Alltags- bzw. Naturgleichnis ist auch nach Klaus Berger einer von zwei Grundtypen (neben Gleichnissen, die etwas Unsinniges bzw. Unmögliches beschreiben).2 Beide Typen sind, so Berger, ‚weisheitliche‘ Redeformen, denn sie bringen kollektive Lebenserfahrung auf den Punkt und argumentieren mit ihr.

b) Erzählendes Gleichnis/Gleichniserzählung/Parabel

Im Gegensatz zum besprechenden Gleichnis ist die Gleichniserzählung bzw. Parabel laut Jülicher ein erzählender Text. Formale Kriterien dieses Gleichnistyps sind Vergangenheitstempora (Aorist, Imperfekt) und das Auftreten mehrerer, hierarchisierter Akteure (Herr – Knechte; Vater – Söhne u. a.). Inhaltlich bietet die Parabel eine zwar erfundene (fiktionale), aber realistische, einmalige und szenisch gegliederte Erzählung. Gemeinsam ist besprechenden und erzählenden Gleichnissen das Phänomen der Konterdetermination (→ 1.5.7). Sie bewirkt, dass sich die Rezipienten möglichst auf die Erzählung und ihre Pointe konzentrieren (→ 1.5.5).

Beispiele: verlorener Sohn (Lk 15,11-32), Schalksknecht (Mt 18,23-35), Arbeiter im Weinberg (Mt 20,1-16), anvertraute Talente (Mt 25,14-30par.).

c) Beispielerzählung

Jülichers Beispielerzählung ist ein Sonderfall der Parabel und betrifft die vier lukanischen Sondergut-Parabeln vom barmherzigen Samaritaner (Lk 10,30-37), vom reichen Kornbauern (Lk 12,16-21), vom reichen Mann und armen Lazarus (Lk 16,19-31) und vom Pharisäer und Zöllner (Lk 18,9-14). Der Unterschied zu den Parabeln besteht darin, dass die Konterdetermination fehlt; die ‚Sache‘ taucht in der Semantik der Erzählebene (‚Bildhälfte‘) expressis verbis auf.1 Die religiöse Dimension begegnet in Gestalt religiöser Gruppen und Personen oder es werden theologische Themen wie Tod und jenseitiges Ergehen in die Erzählung integriert.

Beipiele: Priester, Levit, Samaritaner begegnen auf der Erzählebene von Lk 10,30-37, Mose auf der von Lk 16,19-31, Pharisäer und Zöllner auf der von Lk 18,9-14, Tod und Jenseits auf der von Lk 12,16-21; 16,19-31.

Abgeleitet von der Grundform Exemplum (→ 1.4.1.e) führen Beispielerzählungen ein vorbildliches oder abschreckendes Verhaltensbeispiel vor Augen. Sie fließen im vorliegenden Buch in die Alltagsgleichnisse ein (→ 2.5.7c).

d) Bildwort

Bildwort werden in der Gleichnisforschung Texte genannt, die sich nicht unter die drei bisher beschriebenen Gleichnistypen subsumieren lassen. Sie überschreiten zwar die Satzgrenze (anders als Vergleiche und Metaphern), sind aber weder szenisch entfaltet noch erzählerisch geschlossen. Bildworte werden daher auch als ausgeführte Metaphern oder verkürzte, fragmentarische Gleichnisse bezeichnet.1

Beispiele: Mt 5,13f. (Salz und Licht), Mt 7,1-5 (Splitter und Balken), Mt 13,52 (Hausvater), Mk 2,21f. (Flicken und Schläuche).

Bildworte arbeiten mit rhetorischen Fragen (Mt 5,13.15; 7,4a; Mk 2,21f.); viele stehen im Kontext grundsätzlicher Mahnungen (Mt 7,1; Mk 2,22b). Mehrheitlich sind Bildworte im Verständnis des vorliegenden Entwurfs Weisheitsgleichnisse (→ 2.5.7b).

e) Parömie

Für Jülicher sind Parömien ‚mangelhafte Allegorien‘, von Metaphern durchsetzte Reden ohne ästhetischen Reiz. Sie seien weder Erzählungen noch Gleichnisse.1 In der weiteren Gleichnisforschung wurden die Parömien stiefmütterlich behandelt. Konstatiert wird eine narrative Entfaltung ohne erzählerische Geschlossenheit und mit fließenden Übergängen zwischen verschiedenen semantischen Ebenen. Klaus Berger erkennt eine Nähe zu apokalyptischen Visionen: Joh 16,29f. kennzeichne die Abschiedsreden Jesu als exklusiv an die Jünger gerichtete, bildfreie Rede. Jesu öffentliche Verkündigung in Joh 1-12 gelte demgegenüber als rätselhafte Rede, die im engen Jüngerkreis enthüllt wird.2 – Als johanneischer Begriff für Gleichnisrede wird Parömie bis heute verwendet (→ 1.4.1). Im vorliegenden Entwurf werden sie den Identitätsgleichnissen zugerechnet (→ 2.5.7d).

Beispiele: ‚Hirtenrede‘ (Joh 10,1-18) und ‚Weinstockrede‘ (Joh 15,1-8) werden Parömien genannt. Laut Joh 16,25.29 heißt die Rede Jesu generell paroimía.

f) Gleichnisdiskurs

Ebenso unscharf wie Bildwort ist der Begriff Gleichnisdiskurs.1 Er bezeichnet eine Aneinanderreihung oder Kombination von Vergleichen und Metaphern mit wechselnden Bildfeldern; Bild- und Deutungsebene können sich abwechseln.

Beispiele: Mk 13,33-37 (Türhüter); Lk 12,35-40 (Vorbereitung auf das Kommen des Herrn); Joh 12,24 (Samenkorn).

Eine Unterscheidung zwischen Ausgangs- und Erzählebene (→ 1.5.1) ist nicht möglich, eine erzählerische Geschlossenheit ist nicht gegeben. Formal und textpragmatisch stehen die Gleichnisdiskurse den Parömien nahe.2 – Auch diese Kategorie soll die Grauzone zwischen ‚klassischen‘ Gleichnistypen (s.o.) einerseits und Vergleich bzw. Metapher andererseits erfassen. Wegen der fehlenden Begriffspräzision und der problematischen, formkritischen Einteilung der Gleichnisstoffe wird diese Kategorie nicht weiter berücksichtigt (→ 2.3; 2.4.9; 2.5.7).