Der Brandner Kaspar

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»– auf am Karren?«

»Sowieso. Ich kann meine Passagier ja net gut auf’m Buckel spedieren oder auf meine Arm tragen«, grinst der Fuhrmann grob und ungerührt zu ihm her. Dann gedenkt er und lispelt mitleidig vor sich hin: »Höchstens die klein’ blassen Kinder, wenn s’ im Eis ein’brochen san – die sind eine leichte Last.« Und, als gereue es ihn, sich dem Lebendigen verraten zu haben, faucht er noch hinterher: »Aber so a Prügel Mannsbild wie du!« Da kann der Brandner auftrumpfen: »Prügel Mannsbild, soso? No also, jetz b’stehst es ja selber zu, dass i noch lebendig gnua wär für den Neunz’ger. Horch amal zu und pass auf …«

Er kommt nicht dazu, erneut über den Handel zu disputieren. Von draußen ist abermals, näher als vordem, das durchdringende Wiehern zu hören. Es gellt dem Brandner schmerzhaft im Ohr.

»Malefizkrampen! Is jetzt a Ruah!«, schreit der Boanlkramer, pfeift abermals auf den Fingern, fährt hoch, die Türe ins Freie schwingt dienstbar auf vor ihm, ohne dass er sie berührt hätte, er wankt hinaus und schimpft ins Dunkel. Er kommt zurück und lallt die Entschuldigung: »Der wird mir ungeduldig. So lang hat er noch nie warten müssen.«

»Z’wegs meiner braucht er net warten«, faucht der Brandner und ballt seine Fäuste. Er würde nicht mitgehen, ums Verrecken nicht, das steht für ihn fest.

Nun, da er grad wieder auf Füßen steht, wenn auch recht schwankend, scheinen Pflicht und Auftrag in den jenseitigen Boten zurückzukehren. Der frühere Glanz leuchtet wieder aus seinen seltsamen Augen, als er verheißt:

»Kaspar, sei halt vernünftig. Schau, die Welt dreht sich behaglich ohne dich weiter.«

Der aber blickt fest und finster, schaut nicht auf, und hört nicht auf den Ton der Verlockung:

»Nix! Neunz’ge sag i, und dabei bleibt’s!«

»Bedenk, für dich fängt’s dann doch erst an …«

»Was nacher?«

»Das wahrhaftige Leben«, haucht es ihm zu.

»Jaja, ich weiß schon. Des sagt der Herr Pfarrer aa. G’sehn hat er’s net.«

»Aber ich – ich hab’s g’sehn, Kaspar! Du, es is so unendlich wahr und gut dorten. Ich derf ja net ’nein. Im Paradies, da brauchen s’ koan Boanlkramer, so schön is’ es da, glaub mir’s, so schön – ach, bal du wissertst …«

Er seufzt verzückt und verdreht vor Wonne seine Augen gen Himmel. Da der Kaspar sich nicht regt und nicht rührt, nicht antworten will, sondern sich mit den Händen am Tisch einkrallt, greift der Bote listig lockend zum Glas, hebt es und zwinkert versöhnlich:

»Wie waar ’s, mir trink ma a letztes Glasl mitnand – als ein Siegel auf unser Verständnis. Gönnst mir net eines zum Abschied? Sei net a so, kumm –«

Der Kaspar brummt und wiegt sich in Missmut, ehe er grimmig die Flasche unter der Bank herausholt, eingießt und dabei fordernd und grob, dem Gast fest in die Augen schauend, sagt:

»Aber – neunz’ge, gell! Dass i mich vor die Ahndln net genieren müsst!«

»Wuh«, macht der Schwarze verzweifelt und versucht es erneut mit der gütigen Überredung: »Kaspar, hab doch a Einsehen. Schau, die Uhr da …« Er wendet sich hin und macht Miene, hinüberzuwanken.

Da ist aber der Kaspar schon aufgefahren, ihm voraus auf den Platz vor der Uhr in zwei Sätzen und stellt sich schützend davor. Der Boanlkramer gerät aus dem Lot, verhält, schaut auf seine dürren Haxen hinunter, reibt sich die Augen, und deutet erschrocken vor sich:

»Hui, da wackelt fei was. Der Boden hebt sich – da ’nüber! Was is des?«

»In einer Stund is er wieder eben, koa Sorg!«

Sich schüttelnd und vorsichtig tastend, stakt der Unheimliche weiter zur Uhr hin. Der Brandner breitet schützend die Arme und fleht:

»G’lang s’ mir net an! Die hat so redlich d’ Stunden zeigt, die voller Freud und die voll Kümmernis …«

»Alt is s’«, kommt es in lauernder Güte zurück, und ein förmliches Streicheln schwingt mit in der Stimme: »Schau, am Zifferblatt kannst kaum die Rosen mehr sehen, die aufg’malt g’wesen sind, da im Eck. Und d’ Zeiger wackeln, d’ G’wichtschnur rutscht …«

»Und dennoch arbeit s’ fleißig fort und macht so g’schäftig dipp und dapp.«

»Sie irrt sich freili g’nua dabei –«

»Aber lasst net aus! Ob s’ z’ fruah geht oder z’ spät, Herrschaftszeiten!«

Er schützt die Uhr, er steht und weicht nicht zurück vor dem drängenden Feind, der sie ihm würde anhalten wollen, und alles müsste stille stehen im nämlichen Augenblick und für immer. Das große Fürchten kriecht wieder in ihn.

Der Andere kichert: »Du g’freust dich halt, dass s’ überhaupts noch geht, gell. Und siehst ihr all ihre Fehler nach und hoffst dabei, dass dir die kommenden Jahr akkrat so alles nachg’sehen werdert, wenn bei dir die Zeiger wackeln und d’ G’wichtschnur rutscht«, und biegt sich vor Lachen über den eigenen Scherz.

»Lass nur mir getrost alle Sorg, wie ’s weitergehen soll«, fleht der Alte und streckt ihm mutig die Hand hin:

»Gilt’s? Schlag ein!«

Nickend und ob seines Scherzes noch kichernd, will der Rauschige brav gedankenlos in die Hand schlagen, doch im letzten Moment packt es ihn, was er da tut, es reißt ihn und er torkelt zurück:

»Naa naa, nix gilt! Sei doch g’scheit. Schau, ich könnt sie ja anhalten, einfach so, auf Ja und auf Nein!«

Und er hebt seine Hand und streckt sie gegen das hackende Pendel. Ums Haar hätte der Brandner ihm den Arm heruntergeschlagen, wäre sein Entsetzen nicht gar so groß gewesen. So schreit er nur aus seiner höchsten Not:

»Boanlkramer! Weißt du, was du da tust –?!«

»Und du? – Weißt denn du, wohin dass du derfst?«, ist die milde Antwort, sonst nichts. Feierlich hebt er beschwörend die Hand hoch empor, und augenblicklich erklingt wieder die ferne, verlockende Himmelsmusik und erfüllt die Stube. Sie dringt förmlich ein in den Kaspar, tief in sein Herz, kein Widerspruch ist ihm mehr möglich und kein Streit, er kann nur noch flehen:

»Boanlkramer, ich bin zufrieden allhier! Weißt du net, was des heißt: Zufrieden sein? Mit dem, was is, und dem, was man hat! Kennst net das Lied vom Zufriedensein?«

Weil keine Antwort erfolgt, beginnt er mit seiner kratzigen, alten Stimme über das himmlische Klingen hinweg aus der tiefen Verzweiflung heraus dem schwarzen Bedränger sein liebstes Gstanzl vorzusingen, wie eine Beschwörung:

»Nix han i und doch leb i halt

mit Gottes Gnad.

Und ’s Leben oft ein’ net besser g’fallt,

der ebbes hat –«

Den scheint der Gesang nicht zu bewegen, er macht ihn nur schläfrig. Er plumpst in den Lehnstuhl und murmelt, indem seine Lider klappern:

»Kaspar, du derbarmst mich. Mach mir’s doch net gar a so schwer.«

Ich hab ihn beinah so weit, denkt der Brandner. Wie nütz ich den Rausch aus, wie bring ich ihn fort, eh er mir einschläft und beim Erwachen sich als unerbittlich erweist? Ob er mir geht, wenn ich weitersing? Ob ich ihn förmlich hinaussing? Laut und inbrünstig flehend stimmt er die zweite Strophe des Leibliedes an:

»Und dengerscht hat mir Gott ja ’geb’n

a fröhlich’s Bluat.

Und fragst, wie steht’s mit Leib und Leb’n

Sag allzeit: Guat!«

Schau, er ist eingerusselt, der schreckliche Kerl. Ob ich ihn weck? Der Brandner verhält ratlos den Schnaufer. Da aber schreckt der Rauschige schon wieder hoch, gestört von der lauernden Stille, reißt die Augen weit auf, erhebt sich, gibt sich würdig und kalt, und gebietet:

»Schön hast du g’sungen, aber jetzt g’langt’s. Jetzt is es zu End mit dem Widerstreben. Komm, Brandner Kaspar, folge mir nach!«

Er reckt die Hand gegen ihn und schreitet voran, und dem Kaspar ist es, als zöge er ihn an einem unsichtbaren Strick hinter sich her, wie der Metzger das Kalb zur Schlachtbank, unentrinnbar und ganz ohne Gnade. Die Türe fliegt fremdwillig auf, Brandners eigene Tür, die sich zehntausend Mal willig von ihm hat öffnen und schließen lassen. Der unerbittliche Tod überschreitet die Schwelle so aufrecht und gerade es ihm eben noch möglich ist, und der Alte kann nichts dagegen, die Gewalt ist unendlich, er muss folgen, so schwer er im äußersten Widerstreben seine Schritte auch setzt, so inbrünstig jede Faser in ihm sich wehrt gegen den Gang, den letzten auf Erden.

Er steht an der Schwelle. Er weiß, wenn er sie überschreitet, ist sein Ende besiegelt. Da fallt es ihm ein, und er schreit es heraus:

»Halt aus! Wart! I sag dir was Schöns: Wir machen a G’spielei darum!«

Der erhabene Rauschige stockt, dreht sich um und fragt recht entgeistert:

»Was mach ma? Was sagst? Was geit’s da scho wieder?«

Der Kälberstrick ist erschlafft, der Alte kann sich wieder nach eigenem Willen bewegen. Er spürt zwar noch immer die große Gewalt, sie ist da, aber sie ruht, und so entwischt er geschwind in zwei Sätzen zum Kommodkastl hinüber, reißt die oberste Lade heraus, hebt das Packl hoch und hält es dem Peiniger, der draußen im Dunkel verhält, triumphierend entgegen:

»Da – des da mach ma! Wir schau’n, wer gewinnt, du oder ich, ’s Leb’n oder ’s Sterb’n! Komm nur grad her, geh zua, rühr di – und schaug net a so trapft!«

Dem Gewaltigen klappt der Kiefer herunter:

»Spielkarten?! Ja, siech i denn recht, du Hallodri! Karten möcht er – ums ewige Leben?!«

»Grad um achtzehn Jahr« – und sitzt schon am Tisch, fächert auf, winkt, lockt freundlich den Peiniger her.

Der wankt heran. Er stiert und glotzt den Talon an, die Knie knicken abermals weg, es haut ihn nieder im Stieren, er sitzt auf der Bank und stammelt recht ratlos:

»I kann gar net kartln.«

»Da brauchst net viel können. Da, misch!«

»Kann i aa net.«

Er zeigt es ihm, und mit spillrigen Fingern, steif und tapsig, wirft der finstere Gast die Karten herum, kreuz und quer über den Tisch und darüber hinaus, ein paar auf den Boden.

 

»Hui, etza san ma oa obag’fallen«, lallt er verwirrt.

»Dann heb’s auf, weil ma sie alle benötigen.«

Kichernd beugt sich der Rauschige über die Kante des Tisches, taucht hinab und fischt sich vom Boden auf, was er da findet.

Just das ist der Moment, der große Moment, da ein Irdischer sein Schicksal bewegt …

Es ist nur ein Griff, während der Boanlkramer unterm Tisch auf dem Boden herumkriecht und nicht hersehen kann. Obenauf liegt er, der Grasober, und verschwindet blitzschnell im Ärmel der alten Jacke des Brandner.

Da taucht der ungeschickte Gesandte schon wieder auf, schiebt alle Karten auf einen Haufen zusammen und kichert albern:

»Naa, sowas hab i noch net derlebt! – Und was jetzt?«

»Jetzt hebst auf.«

»Hab i doch grad. Oder was? I versteh net.«

»A Häuferl sollst aufheben, von dene am Tisch. Des ist dann des deine.«

»Und?«

»Wennst da drin den Grasober findest …«

»Wen?«

»Den Grasober!«

»Wie schaugt’n der aus?«

»Den kennst glei an der Farb und am Bildl, und sagen tu i dir’s aa.«

»Wenn der in mei’m Häuferl is, was is na?«

»Na geh i mit dir.«

»Ohne Widerred’?«

»Ja.«

»Versprochen?«

»Es gilt!«

Der Brandner schlägt mit dem Knöchel auf die Tischplatte, wie es Handelsleut tun, wenn der Vertrag unverbrüchlich ist. Ja, es gilt!

Der Boanlkramer glotzt noch, es geht ihm nicht ein. Freiwillig mit? Dieser Karten wegen? Welche Bewandtnis sollte es haben mit dem Häuferl? Wie groß war es? Was war mit dem Rest? Kenn einer sich aus mit dem Karten, der nie Karten gespielt hat. Und war er nicht unter den seinen, dieser Grasober, was dann? Gehörte das andere Häuferl auch ihm? Gehört es dem Brandner? Was sollte geschehen, wenn er in dem anderen war? Darum fragt er verlegen:

»Und wenn er in dei’m Häuferl befindlich is – na gehst aa mit. Oder?«

»Naa«, lacht der Brandner ihn aus, »dann darfst mir nimmer daherkommen, bis ich Neunz’ge bin!«

»Ui weh.«

Das also war der Sinn dieses G’spieleis. Da war der Haken.

»No? Gilt’s?«, drängt ihn der Brandner.

»Wart!«

Da heißt es erst denken, erwägen, sinnieren. Zwei Häuferl mit Karten. So weit ist es verstehbar. In einem musste er sein, der Grasober, oder wie das Blattl sich nennt. Gleich große Häuferl? Davon war nicht die Rede. Hui – wenn schon ein Schicksal in ein Spiel gesetzt wird, warum nicht die Chance verbessern!

Und schon schreit er und schlägt mit dem Knöchel hart auf den Tisch, wie es der Brandner soeben getan hat:

»Gilt – und versprocha!« Dem würde er’s zeigen!

»Gut – na hebst auf.«

Der Boanlkramer kichert sardonisch: »Du bist mir a ganz a dummer Teufel, Kaspar, aber scho a ganz a saudummer, weil, ich nimm mir so viele Karten in mein Häuferl hinein, dass der Grasober dabei sein muaß!«

Warum zuckt der Brandner da nicht zusammen und macht eine Lätschen angesichts solch geistiger Überlegenheit und mit allen Wassern gewaschener List? Warum grinst er dazu auch noch, senkt seinen Blick und sagt nur:

»Des is dei Sach. Es is a ehrliches G’spielei, und a jeder macht’s, wie er’s kann.«

Dass die Lüge den Brandner hart ankommt, weil Lügen nun einmal nicht seine Gewohnheit ist, bemerkt der Kichernde nicht. Er hebt ab, lässt mit spitzigen Fingern dem anderen noch vier, fünf Karten zurück, tut großmütig noch eine sechste dazu, packt sein Häuferl, lacht und kudert und strahlt, während er die Karten, eine nach der anderen, umdreht, beglotzt und dann auf die Tischplatte drischt.

Da hält er schon inne und schreit: »Ham ma ’n scho! Hurraxdax!«

»Naa, is er net. Des ist der Schellenober«, belehrt der Brandner ihn sanft. Und während der Boanlkramer nach kurzem enttäuschten Verhalten weiter umdreht und drischt, erklärt er ihm halblaut die Werte: »Herzzehner – Eichelsau – des da is der Grasneuner, auf die Farb musst schauen.«

»Schau scho, schau scho«, quietscht der Blätternde und werkelt mit jedem Schlag schneller und hitziger. Dann hat er ihn da, jault auf und strahlt vor Glück und Triumph:

»Daa!«

Der Kaspar schüttelt den Kopf: »Wieder net. Des is der Grasunter.«

Das Strahlen verschwindet: »Ja, gibt’s denn den aa?« mault er empört vor sich hin, blättert fort wie ein Wilder, drischt die Nieten, dass der Tisch dröhnt, und fällt in eine immer tiefere Verwirrtheit. Als die letzte Karte gefallen und sein Häuferl am Ende ist, greint er hilflos:

»Ja, wo is er denn bloß, dieser Krüppel? Der muaß doch dabei sein. Is er mir eppa abig’fallen, vorhin?«

Er fährt mit dem Kopf unter den Tisch und sucht auf dem Boden.

Dem Brandner schlägt das Herz wie ein Hammer, als er seinen Betrug vollendet, den Grasober aus dem Ärmel hervorzieht und ihn unter die sechs Karten seines eigenen Häuferls schiebt, als die siebente.

Falsch spielen, das ist eine Niedertracht, und er hat es seit seiner Lausbubenzeit nicht mehr getan. Hier aber geht es nicht anders, ihm bleibt keine Wahl. Er holt Luft, ehe er, so ruhig und gemächlich es ihm eben gelingen will, zu dem Suchenden sagt:

»Schau halt amal nach – in mei’m Häuferl.«

Der fährt auf, dass sein Kopf von unten her gegen die Tischplatte kracht, bekümmert sich nicht, sondern stürzt sich begierig auf die sieben restlichen Karten und schreit voll Begeisterung, weil er noch nicht begreift, dass er verloren hat:

»Ja! Da muss er drin sein!«

Erst als er ihn in den Fingern hält, geht ihm, langsam genug, ein Licht auf, und er stöhnt:

»Verdammti G’schicht! Wo es dir doch aufgesetzet war für den heutigen Tag.« Er wirft ihn weg, den vermaledeiten Grasober, und wischt ratlos mit den Händen herum auf dem Tisch.

Darf er lachen und brüllen vor Glück, der Kaspar? Nein, er hält sich im Zaum und schreit seinen Jubel nicht laut heraus. Seinen Augen indes kann er das Leuchten nicht nehmen und dem Mund nicht den Schatten des Schmunzelns, als er die Flasche aufhebt, beide Gläser auffüllt und schließlich das seinige ruhig und feierlich nimmt und dabei spricht:

»So! – Jetz trink ma zum Abschied no’mal mitanand. Auf den Neunziger!«

»Naa!« kreischt der Andere. »Naa, und i mag’n gar nimmer, den Kerschgeist, den hinterkünftigen. I glaub, da damit hast du mich dran’kriegt!«

Damit nicht, will der Brandner grad sagen, da hat der Ausgeschmierte seinen Schnaps schon wütend in einem Zuge hinuntergegossen und schaut so kummervoll her, als ginge es ihm an den Kragen.

Er erhebt sich mühsam, schlotternd und schwach, dreht sich torkelnd zur Tür hin und versucht noch ein Letztes:

»Aber eppa reut dich dei Glück amal, Kasper, könnt doch sein …«

»Kannt mir’s net denken!«

»Doch doch, ganz gewiss! Des weiß ich besser wie du. Der Gewinnst, der bringt dir koan’ Nutzen, da hast nix davo’. Der Ewigkeit kimmst du net aus!«

»Is scho recht, tua di net oba, i glaub dir’s a so.«

»Kaspar, im bitteren Ernst, wirst es sehn, dei’ gewonnene Zeit lauft dir übel dahin und kommt zu einem ganz bösen End’! Wenn’s dir vordem schon g’langt, na brauchst mi bloß rufen, gleich bin i da.«

»Hat guate Weg.«

»Naa, ruf mi, und hab koane Schiss. Ich weiß es, du werst di bald nach meiner Wiederkunft sehnen! Ruf! – Ich komm auf der Stell und führ dich ganz sanft und in Gnade, ganz sanft – i versprich’s. Versprich du mir’s auch, du Hallodri, o je …«

Alle Kraft ist aus ihm, es schmeißt ihn auf dem Weg hinaus noch an den Ofen und hinüber zum Stuhl. Ums Haar wäre er mit knickenden Knien an die Tür hingerannt, die sich auftut vor ihm.

»Jetzt schau, dass d’ endlich ’nausfindst beim Tempel«, lacht der Alte ihn aus, als er ihn da so ganz klein und ganz krumm am Türpfosten herumscheuern sieht.

»Und gib mir fei Obacht, dass es dich net auf d’ Nasen hinhaut, da draußen. Pfüa Gott, bis in achtzehn Jahr, Bruder, und Glück auf ’n Weg.«

»Ruf mi vordem! I bitt dich gar schön! Versprich’s halt! Wenn’s amal nimmermehr gilt, dei G’sangl!« Und er beginnt schauerlich falsch und daneben zu krähen: »Nix hast du, und lebst aa!«, und weiß nicht weiter.

Da singt’s ihm der Brandner noch einmal vor, laut und stark, und seine alte Stimme klingt jung, übermütig, und dankbar dazu:

»Nix han i, und do leb’ i halt,

mit Gottes Gnad.

Und ’s Leben oft ein’ net besser g’fallt,

der ebbes hat.«

»Ja, der ebbes hat, und du hast’s und kannst es gar net ermessen, was du hast – du –, du Mensch du!«, jault der Betrogene und fallt aus der Tür, ohne zu Boden zu stürzen. Ein Etwas fängt ihn da auf und hebt ihn hinweg, er gleitet hinaus in die Nacht, sein Klagen verklingt.

Der Brandner geht ihm nach bis zur Tür und will zuschaun, wie er verschwindet. Doch da ist nur die Finsternis und kein Schein und kein Schatten. Vom Waldrand klingt nun das Wiehern herüber, dann erhebt sich wieder der Sturm, der keinen Busch, keinen Ast und kein Blattl bewegt, tost davon, das Scheppern der Totenglocke mischt sich darein und verklingt mit dem Sausen.

Es wird still und – fort ist er.

Der Kaspar steht noch lange unter der Tür, späht und lauscht und fühlt, wie sein Herzschlag ruhig und gemächlich wird. Im Stall hört er die Viecher sich regen, aus dem Wald dringt der Schrei eines Uhus herüber, der Söllmann kommt her, reibt sich an den Füßen des Alten und gähnt weit dazu.

Hinter dem Wallberg steigt das erste Glimmen des Sommermorgens herauf. Die Vögel beginnen, eins nach dem anderen, in die Stille zu singen, die Luft ist kühl und ganz frisch, und dem Kaspar wird es so feierlich, als sähe er den ersten Tag der Schöpfung, als seien die Welt und alles Leben in ihr neu geboren, in dieser einen einzigen Nacht.

Er geht bedächtig in seine Stube zurück, schließt fest seine Türe hinter sich zu, seine Tür – und kniet vor dem Herrgottsbild nieder. Er will beten und danken mit Worten – und bringt doch nur ein um das andere Mal das eine hervor:

»Neunz’ge! Neunz’ge!«

Dann lässt er sich in den Lehnsessel fallen, todmüd und hellwach zugleich, und lässt es jagen in seinem Hirn.

Geträumt, denkt er.

Wahr, sagt es.

Wär ja nix g’wesen, so einfach fort auf ’n Schlag. Was hätt denn das für ein Sterben sein sollen, ohne die Letzte Ölung, ohne ’s Versehen durch den Herrn Pfarrer. Wer weiß, wie das ihm geschadet hätte, drüben, im Jenseits, dem er so nah war.

Er denkt, wie seine Eltern gestorben sind. Die Mutter im Haus hier, elend und schwer nach dem Kranksein. Stündlich ersehnt hatte sie ihre Erlösung. Da war er eingetreten, der Boanlkramer, sichtbar allein nur für sie, hatte sanft und ein bisserl verlogen in Güte gesprochen zu ihr, und dann hatte es sich aus ihrem Leib gehoben und war mitgegangen, hinaus vor das Haus, auf den Karren, und fort, davon mit dem wiehernden Gaul.

Sterben?

Was hätten die Leut wohl gesagt, wenn er heut Nacht hätte gehen müssen? »Z’ früh«, oder »So lebendig, voll Kraft, wie er noch war«, oder »Es trifft allaweil die Verkehrten?« Wer hätte um ihn getrauert? Das Marei gewiss, die hätte ihn arg vermisst. Die mehreren hätten gewiss bloß leichtfertig gesagt: »Jessas, jetz is der aa g’storben.« Ein jeder denkt ja doch bloß an sich und allenfalls noch an die Nächsten, ans Erben, wie es weitergehen soll und wie es wohl weitergehen wird.

Wie aber, und wohin, wird die Seele entrückt in die Erlösung? Wer denkt es und sucht’s zu erspüren? Doch keiner so recht, weil keiner es weiß und antworten könnt. Ich aber, ich hab einen Deut davon g’spürt, wie es ist und wie es geschieht. Ich weiß jetzt um was, von dem die ändern nix wissen. Und nie, niemals soll jemand ein Wörtl hören von mir über das!

Achtzehn Jahr noch zu leben in einer Gewissheit! Was wird das bedeuten? Was wird sich erfüllen in dieser Zeit? Werd ich krank sein auf den Tod und nicht absterben können? Nein, ich brauch ja bloß rufen. Dreimal hat er mir das gesagt und förmlich gefleht, dass ich’s tu! Mir kann nix geschehn! Ich hab ein Versprechen, grad so, als hätt ich das ewige Leben!

Und ich versprech mir selber in dieser Stund, dass ich es nutzen werd, für jene, die mir anvertraut sind hier auf Erden.

»O mei – Marei!«, lacht er noch vor sich hin. Dann schläft er im Lehnstuhl behaglich ein.

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?