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Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen

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Und wenn Klement auch schließlich ins Armenhaus kommen sollte, selbst das erschien ihm nach diesem Erlebnis nicht mehr schwer. Er wäre trotzdem ein ganz andrer Mensch als vorher und würde auf ganz andre Weise geachtet und geehrt werden.

Und diese neue Sehnsucht überwältigte ihn. Er konnte nicht anders, er mußte zu dem Direktor gehen und ihm sagen, er wolle durchaus in seine Heimat zurückkehren.

38
Der Adler Gorgo

Im Felsental

Weit droben auf dem lappländischen Gebirge lag ein altes Adlernest auf einem Felsenvorsprung, der über einer schroffen Bergwand herausragte. Das Nest war aus Tannenzweigen verfertigt, die schichtenweise quer übereinandergelegt waren. Seit Jahren war es immer mehr erweitert und erhöht worden, und jetzt hatte es mehrere Meter im Durchmesser und lag da droben, fast ebenso groß wie eine Lappenhütte.

Die Felsenwand, auf der das Adlernest lag, überschattete ein ziemlich hohes Tal, das im Sommer immer von einer Schar Wildgänse bewohnt war; und dieses Tal war auch wirklich ein ausgezeichneter Zufluchtsort für die Gänse, denn es lag so gut versteckt zwischen den Bergen, daß es nicht vielen Leuten bekannt war; ja, selbst unter den Lappen wußte man nur wenig davon. Mitten in dem Tal lag ein kleiner runder See, wo sich reichlich Nahrung für die kleinen Gänschen fand, und an den mit Weidenbüschen und kleinen verkrüppelten Birken dicht bestandenen Ufern gab es so gute Brutplätze, wie sie sich die Gänse nur wünschen konnten.

Seit undenklichen Zeiten hatten droben auf dem Felsen Adler und drunten im Tal Wildgänse gewohnt. Alle Jahre raubten die Adler einige von den Wildgänsen, hüteten sich aber wohl, so viele zu rauben, daß diese aus dem Tale verscheucht worden wären. Ihrerseits hatten die Wildgänse auch nicht so gar wenig Nutzen von den Adlern; diese waren ja wohl Räuber, aber sie hielten andre Räuber fern.

Ein paar Jahre, ehe Nils Holgersson mit den Wildgänsen umherzog, stand die alte Führerin der Schar, Akka von Kebnekajse, eines Morgens in dem Felsental und schaute zu dem Adlernest hinauf. Die Adler pflegten kurz nach Sonnenaufgang auf die Jagd auszufliegen; und in allen den Sommern, die Akka in diesem Tal verbracht hatte, war sie jeden Morgen auf ihrem Posten gewesen und hatte beobachtet, ob die Adler im Tale blieben, um da zu jagen, oder ob sie sich nach andern Jagdgebieten begaben.

Sie brauchte nicht lange zu warten, bis die beiden stattlichen Vögel die Felsenplatte verließen. Schön, aber furchtbar schwebten sie durch die Luft dahin. Sie schlugen die Richtung nach dem Flachlande ein, und Akka stieß einen erleichterten Seufzer aus.

Die alte Anführerin war nun zu alt zum Eierlegen und Junge aufzuziehen. So vertrieb sie sich denn im Sommer die Zeit damit, daß sie von einem Gänsenest zum andern wanderte und über das Ausbrüten und Aufziehen der Jungen gute Ratschläge erteilte. Außerdem hielt sie nicht allein Ausschau nach den Adlern, sondern auch nach den Bergfüchsen, den Eulen und andern Feinden, von denen den Gänsen und deren Jungen Gefahr drohen konnte.

Gegen Mittag spähte Akka wieder nach den Adlern aus. Das hatte sie nun in jedem Sommer, seit sie in diesem Tale Aufenthalt nahm, getan. Sie sah auch den Adlern immer schon am Fluge an, ob sie eine gute Jagd gehabt hatten, und dann fühlte sie sich für die Ihrigen beruhigt. Aber heute kehrten die Adler nicht zurück.

„Ich muß alt und stumpfsinnig geworden sein,“ dachte Akka, nachdem sie eine Weile gewartet hatte. „Die Adler müssen ja längst daheim sein.“

Am Nachmittag schaute sie abermals nach der Felsenwand hinauf; jetzt hätten die Adler auf dem schroffen Felsenvorsprung auftauchen müssen, wo sie ihre Nachmittagsruhe zu halten pflegten; und am Abend spähte sie abermals, denn da pflegten die Adler im Bergsee ein Bad zu nehmen; aber immer und immer spähte sie vergeblich. Und wieder jammerte Akka, daß sie alt werde. Sie war es so gewohnt, die Adler über sich auf dem Berge zu sehen, deshalb konnte sie sich gar nicht denken, daß sie noch nicht zurückgekehrt sein könnten.

Am nächsten Morgen war Akka schon früh auf den Beinen, und wieder schaute sie nach den Adlern aus. Aber auch jetzt sah sie nichts von ihnen. Dagegen drang durch die Morgenstille ein Schrei an ihr Ohr, der zornig und jämmerlich zugleich klang und aus dem Neste zu kommen schien.

„Sollte da droben wirklich ein Unglück geschehen sein?“ dachte Akka. Sie breitete die Flügel aus und flog so hoch hinauf, daß sie in das Adlernest hineinsehen konnte.

Da oben war nichts von dem Adlerpaar zu entdecken; im ganzen Neste war niemand als ein halbnacktes Junges, das nach Nahrung schrie.

Langsam und zögernd ließ sich Akka zu dem Adlernest hinabsinken. Das war ein unheimlicher Ort! Man merkte gleich, was für Räuber hier wohnten. In dem Neste und auf der Felsenplatte lagen gebleichte Knochen, blutige Federn und Hautfetzen, Hasenköpfe, Vogelschnäbel und federnbesetzte Füße von Schneehühnern. Auch das Adlerjunge, das mitten in allen diesen Überbleibseln lag, bot mit seinem großen aufgesperrten Schnabel, seinem unbeholfenen flaumigen Körper und seinen unfertigen Flügeln einen widerwärtigen Anblick.

Schließlich überwand Akka ihren Widerwillen und setzte sich auf den Rand des Nestes, sah sich aber doch ängstlich nach allen Seiten um, denn sie war darauf gefaßt, die alten Adler im nächsten Augenblick dahersausen zu sehen.

„Gut, daß endlich jemand kommt!“ rief das Adlerjunge. „Verschaff mir sogleich etwas zu essen!“

„Na na, das hat wohl keine so große Eile,“ sagte Akka. „Sag mir zuerst, wo deine beiden Eltern sind.“

„Ja, wenn ich das wüßte! Gestern morgen sind sie fortgeflogen und haben mir nichts als eine Maus dagelassen. Du wirst dir denken können, daß die schon lange verzehrt ist! Es ist unverschämt von meiner Mutter, mich so Hunger leiden zu lassen.“

Jetzt war Akka überzeugt, daß die alten Adler erschossen worden waren, und sie dachte, wenn sie das Junge hier verhungern ließe, wäre sie die ganze Räubergesellschaft in Zukunft los. Aber sie konnte sich eben doch nicht entschließen, ein solches verlassenes Junge so elendiglich umkommen zu lassen, wenn es in ihrer Macht stand, ihm zu helfen.

„Was starrst du mich denn so an?“ schrie das Junge. „Hörst du nicht, daß ich etwas zu essen will?“

Akka breitete die Flügel aus und flog rasch zu dem kleinen See hinunter; kurz darauf erschien sie wieder im Adlernest mit einer Forelle im Schnabel.

Aber als sie den Fisch vor den jungen Adler hinlegte, geriet dieser ganz außer sich vor Zorn. „Meinst du, ich esse solches Zeug?“ schrie er, stieß den Fisch weg und hackte mit seinem scharfen Schnabel nach Akka. „Verschaff mir ein Schneehuhn oder eine Wühlmaus, hörst du!“

Aber jetzt streckte Akka den Kopf vor und gab dem Jungen einen ordentlichen Schlag in den Nacken. „Das laß dir gesagt sein,“ rief die Alte, „wenn ich dir Futter verschaffen soll, mußt du mit dem zufrieden sein, was ich dir bringen kann. Dein Vater und deine Mutter sind tot, von ihnen kannst du also keine Hilfe mehr erwarten. Wenn du aber lieber hier verhungern willst, während du auf Schneehühner und Wühlmäuse wartest, dann habe ich nichts dagegen.“

Nachdem Akka dies gesagt hatte, flog sie sogleich davon und ließ sich erst nach einer guten Weile wieder in dem Neste sehen. Da hatte das Junge den Fisch verzehrt, und als Akka ihm einen neuen Fisch hinlegte, verschlang es diesen sogleich, obgleich man ihm gut anmerkte, daß er ihm abscheulich schmeckte.

Nun hatte Akka eine schwere Aufgabe. Die alten Adler kehrten niemals wieder, und so mußte sie alle Nahrung für das Junge ganz allein herbeischaffen. Sie brachte ihm Fische und Frösche, und diese Kost schien dem jungen Adler gar nicht übel zu bekommen, denn er wuchs groß und kräftig heran. Bald hatte er seine Eltern vollständig vergessen und glaubte, Akka sei seine rechte Mutter. Und Akka liebte ihn wie ein eigenes Kind. Sie erzog ihn mit aller Sorgfalt und gab sich die größte Mühe, ihm seinen wilden Sinn und seinen Hochmut abzugewöhnen.

Nachdem ein paar Wochen vergangen waren, fühlte Akka die Zeit herbeikommen, wo sie ihre Federn verlor und also nicht fliegen konnte. Sie wußte, während eines ganzen Monats würde sie dann nicht imstande sein, dem Jungen im Adlernest Nahrung zu bringen, und so müßte dieses elendiglich verhungern.

„Hör nun, Gorgo,“ sagte Akka eines Tages zu dem jungen Adler. „Jetzt kann ich dir keine Fische mehr hier heraufbringen, und nun fragt es sich, ob du dich ins Tal hinunterwagst, damit ich dir auch ferner deine Nahrung verschaffen kann. Du mußt jetzt wählen, ob du lieber hier oben verhungern, oder dich ins Tal hinunterwerfen willst, was dich möglicherweise das Leben kosten kann.“

Ohne sich einen Augenblick zu besinnen, stieg Gorgo auf den Rand des Nestes. Er nahm sich kaum die Mühe, die Entfernung mit dem Blick zu messen, sondern breitete seine kleinen Flügel aus und flog hinunter. Er überschlug sich zwar ein paarmal in der Luft, gebrauchte aber doch seine Flügel ganz geschickt, und so kam er unbeschädigt drunten im Tal an.

Von da an verbrachte Gorgo den Sommer zusammen mit den jungen Gösselchen und wurde ihnen bald ein sehr guter Kamerad. Da er sich selbst für einen jungen Gänserich hielt, gab er sich alle Mühe, gerade so zu leben wie sie, und wenn sie in den See hinausschwammen, lief er hinter ihnen her, bis er fast ertrank. Er schämte sich fürchterlich, daß er nicht schwimmen lernen konnte, und ging zu Akka, ihr sein Leid zu klagen.

„Warum kann ich nicht ebensogut schwimmen lernen wie die andern?“ fragte er.

„Du hast allzu gekrümmte Zehen und zu große Klauen bekommen, während du da droben auf dem Felsenvorsprung lagst,“ sagte Akka. „Aber du brauchst dich deshalb nicht zu grämen, es wird doch noch ein rechter Vogel aus dir.“

Die Flügel des jungen Adlers waren bald groß genug, ihn zu tragen; aber es dauerte doch noch bis zum Herbst, wo die jungen Gänse fliegen lernen sollten, bis es ihm einfiel, daß er seine Flügel auch zum Fliegen gebrauchen könnte. Nun aber brach eine herrliche Zeit für ihn an, denn in dieser Kunst war er bald der erste von allen. Seine Kameraden blieben nie länger in der Luft droben, als sie durchaus mußten; er aber hielt sich fast den ganzen Tag da droben auf und übte sich im Fliegen. Er war noch immer nicht darauf gekommen, daß er von andrer Art war als die Gösselchen. Aber es fiel ihm doch allerlei auf, was ihn in Erstaunen setzte, und immer wieder kam er mit neuen Fragen zu Akka.

 

„Warum laufen die Schneehühner und die Wühlmäuse davon, sobald sich auch nur mein Schatten droben am Felsen zeigt?“ fragte er. „Vor den andern Gänsen zeigen sie keinen solchen Schrecken.“

„Deine Flügel sind zu groß geworden, während du droben auf dem Felsenvorsprung lagst, und vor denen fürchten sich die kleinen Tiere,“ sagte Akka. „Aber du brauchst dich nicht darüber zu grämen, es wird doch ein rechter Vogel aus dir.“

Nachdem Gorgo fliegen gelernt hatte, lernte er auch ganz von selbst, Fische und Frösche zu fangen, aber bald begann er auch darüber nachzugrübeln.

„Woher kommt es, daß ich von Fischen und Fröschen lebe?“ fragte er. „Das tun ja meine Brüder und Schwestern auch nicht?“

„Das kommt daher, weil ich keine andre Nahrung für dich hatte, solange du droben auf dem Felsenvorsprung lagst,“ sagte Akka. „Aber du brauchst dich nicht darüber zu grämen, es wird doch ein rechter Vogel aus dir.“

Als die Wildgänse im Herbst südwärts zogen, flog Gorgo mit in der Schar. Er betrachtete sich immer als zu ihnen gehörig; aber ringsumher in der Luft flogen unzählige Vögel, die alle auf dem Wege nach dem Süden waren, und als Akka mit einem Adler in ihrem Gefolge daherkam, gerieten sie in große Aufregung. Bald war die Schar der Wildgänse von einem Schwarm neugieriger Vögel umringt, die ihre Verwunderung laut kundgaben. Akka gebot ihnen Schweigen, aber es war nicht möglich, so viele böse Zungen im Zaum zu halten.

„Warum nennen sie mich einen Adler?“ fragte Gorgo unaufhörlich, und er wurde immer hitziger. „Können sie denn nicht sehen, daß ich eine Wildgans bin? Ich bin doch kein Vogelräuber, der seinesgleichen verzehrt! Wie kommen sie nur darauf, mir einen so häßlichen Namen zu geben?“

Eines Tages flogen die Wildgänse über einen Bauernhof hin, wo viele Hühner auf dem Misthaufen scharrten. „Ein Adler! Ein Adler!“ riefen alle Hühner und liefen eiligst davon, sich zu verstecken. Aber jetzt konnte Gorgo, der von den Adlern immer als von wilden Bösewichten hatte reden hören, seinen Zorn nicht mehr bemeistern. Er schlug mit den Flügeln, schoß hinunter und schlug seine Fänge in eines von den Hühnern. „Ich will dich lehren, daß ich kein Adler bin!“ schrie er heftig und hackte mit dem Schnabel auf das Huhn los.

Da hörte er, daß Akka ihn von oben aus rief. Er gehorchte augenblicklich und flog hinauf. Die alte Wildgans kam ihm entgegengeflogen, um ihn zu züchtigen. „Was tust du?“ rief sie und schlug mit dem Flügel nach ihm. „Hattest du etwa im Sinne, das arme Huhn zu zerreißen? Du solltest dich schämen!“

Als aber der Adler die Züchtigung ohne Widerstand hinnahm, erhob sich unter den großen Vogelscharen ringsumher ein wahrer Sturm von Spottreden und Schmähungen. Der Adler hörte es, und nun wendete er sich mit zornigen Blicken an Akka, wie wenn er sie anfallen wollte. Aber er änderte seine Absicht sogleich wieder, stieg mit heftigen Flügelschlägen hoch in die Luft hinauf, so hoch, bis ihn kein Ruf mehr erreichen konnte, und schwebte da droben umher, solange die Wildgänse ihn noch sehen konnten.

Drei Tage später erschien er wieder bei den Wildgänsen.

„Jetzt weiß ich, wer ich bin,“ sagte er zu Akka. „Und da ich ein Adler bin, muß ich so leben, wie es einem Adler geziemt. Aber deshalb können wir doch gute Freunde bleiben; dich oder eine der Deinigen werde ich nie angreifen.“

Aber Akka hatte ihren ganzen Stolz darein gesetzt, diesen Adler zu einem ungefährlichen Vogel heranzuziehen, und sie wollte es nicht leiden, daß er nach seiner Art leben wollte.

„Meinst du, ich werde mit einem Vogelräuber Freundschaft halten?“ sagte sie. „Lebe so, wie ich es dich gelehrt habe, dann darfst du wie bisher in meiner Schar bleiben.“

Beide waren stolz und unbeugsam; keines wollte nachgeben, und schließlich verbot Akka dem Adler geradezu, sich in ihrer Nähe sehen zu lassen, ja, sie war so böse auf ihn, daß in Akkas Nähe niemand seinen Namen auch nur auszusprechen wagte.

Von dieser Stunde an zog Gorgo im Lande umher, einsam und von allen gemieden, wie alle großen Räuber. Er war oftmals in trüber Stimmung, und sicherlich sehnte er sich oft nach der Zeit zurück, wo er sich noch für eine Wildgans gehalten und mit den lustigen jungen Gösselchen gespielt hatte. Unter den Tieren war er wegen seiner Kühnheit berühmt. Es hieß, er fürchte sich vor nichts und vor niemand als vor seiner Pflegemutter Akka, und er stand auch in dem Rufe, sich noch nie an einer Wildgans vergriffen zu haben.

Gefangen

Gorgo war erst drei Jahre alt und hatte noch nicht daran gedacht, sich eine Frau zu nehmen und eine Heimat zu gründen, als er eines Tages von einem Jäger gefangen wurde, der ihn an das Freiluftmuseum Skansen in Stockholm verkaufte. Als Gorgo nach Skansen kam, waren schon zwei Adler da. Sie wurden in einem Käfig aus eisernen Stangen und Stahldraht gefangen gehalten; der Käfig stand im Freien und war sehr groß, und damit die Adler sich heimisch fühlen sollten, hatte man sogar einige Bäume hinein verpflanzt und einen ordentlichen Berg aus Steinblöcken darin aufgeführt. Aber trotz allem gediehen die Vögel nicht; fast den ganzen Tag saßen sie unbeweglich auf demselben Platz, ihr schönes dunkles Gefieder wurde struppig und verlor seinen Glanz und, hoffnungslose Sehnsucht im Blick, starrten die armen Tiere gerade in die Luft hinaus.

In der ersten Woche seiner Gefangenschaft war Gorgo noch wach und lebendig; aber dann überfiel ihn allmählich eine dumpfe Gleichgültigkeit. Er saß ganz ruhig auf demselben Platz, starrte vor sich hin, ohne etwas zu sehen, und die Tage vergingen, ohne daß er es merkte.

Eines Morgens, als Gorgo wie gewöhnlich im Halbschlaf befangen war, hörte er, daß ihn jemand vom Boden aus anrief.

„Wer ruft mich?“ fragte er.

„Aber Gorgo, erkennst du mich denn nicht mehr? Ich bin der Däumling, der mit den Wildgänsen umherzog.“

„Ist Akka auch gefangen worden?“ fragte Gorgo, in einem Ton, wie wenn er aus einem tiefen Schlafe erwachte und seine Gedanken erst zusammennehmen müßte.

„Nein, Akka und der weiße Gänserich und die ganze Schar der Wildgänse sind wahrscheinlich jetzt droben in Lappland,“ sagte der Junge. „Nur ich bin hier gefangen.“

Während der Junge dies sagte, sah er, daß Gorgo die Augen abwendete und wie vorher in die Luft hinausstarrte.

„Königsadler!“ rief der Junge. „Ich habe nicht vergessen, daß du mich einmal zu den Wildgänsen zurückgebracht und auch das Leben des weißen Gänserichs verschont hast. Sag mir, ob ich dir in irgend einer Weise helfen könnte!“

Aber Gorgo hob kaum den Kopf. „Störe mich nicht, Däumling!“ sagte er. „Ich träume eben, ich flöge hoch droben in der Luft umher, und ich will nicht erwachen.“

„Du mußt dir Bewegung machen und dich darum kümmern, was um dich her vorgeht,“ mahnte der Junge. „Sonst siehst du bald ebenso elendig aus wie die andern Adler hier.“

„Ich wünschte, ich wäre schon wie sie. Sie sind so traumverloren, daß sie nichts mehr berühren kann,“ sagte Gorgo.

Als es Nacht geworden war und alle Adler schliefen, ertönte ein leichtes Kratzen an dem Stahldrahtnetz, das den Adlerkäfig bedeckte. Die beiden alten und abgestumpften Gefangenen ließen sich von dem Geräusch nicht stören, aber Gorgo erwachte. „Wer da?“ rief er. „Wer bewegt sich da oben auf dem Dache?“

„Ich bin's, Gorgo, der Däumling,“ antwortete der Junge. „Ich versuche hier den Draht durchzufeilen, damit du entfliehen kannst.“

Der Adler hob den Kopf und sah in der hellen Nacht, wie der Junge eifrig an dem Drahtnetz, das über den Käfig gespannt war, feilte. Einen Augenblick regte sich die Hoffnung in seinem Herzen, aber die Mutlosigkeit gewann doch gleich wieder die Oberhand. „Ach, Däumling, ich bin ein sehr großer Vogel,“ sagte er. „So viele Drähte, daß ich hinauskommen kann, wirst du kaum durchfeilen können. Gib dein Vorhaben lieber gleich auf und laß mich in Frieden.“

„Schlaf du nur und kümmere dich nicht um mich,“ erwiderte der Junge. „Heute nacht werde ich freilich noch nicht fertig und morgen nacht auch nicht; aber ich will nun einmal versuchen, dich zu befreien, denn hier gehst du ja vollständig zugrunde.“

Gorgo schlief wieder ein; als er aber am nächsten Morgen erwachte, sah er gleich, daß schon eine große Menge Drähte durchgefeilt waren. An diesem Tag fühlte er sich nicht so schläfrig wie am vorhergehenden; er schlug oft mit den Flügeln und hüpfte auf den Ästen umher, um seine steifen Glieder wieder geschmeidig zu machen.

Eines Morgens in aller Frühe, gerade als der erste Streifen Morgenlicht am Himmel aufleuchtete, weckte der Däumling den Adler. „Versuch es jetzt, Gorgo!“ sagte er.

Der Adler schaute auf. Der Junge hatte wirklich die vielen Drähte durchgefeilt; da droben in dem Stahldrahtnetz war ein großes Loch. Gorgo bewegte die Flügel und schwang sich hinauf. Zweimal fiel er wieder in den Käfig zurück, aber schließlich gelangte er doch glücklich ins Freie.

Mit stolzen Flügelschlägen stieg er hoch zu den Wolken empor. Der kleine Däumling stand unten und sah ihm mit einem wehmütigen Ausdruck nach. Ach wie sehr wünschte er, es käme jemand und gäbe auch ihm die Freiheit!

Der Junge war jetzt ganz heimisch auf Skansen. Er hatte mit allen Tieren Bekanntschaft geschlossen und viele Freunde unter ihnen gewonnen; er sah ja auch wohl ein, daß in diesem Freiluftmuseum außerordentlich viel Interessantes und Lehrreiches zu sehen war, und es wurde ihm nicht schwer, sich die Zeit zu vertreiben; aber doch zogen seine Gedanken jeden Tag sehnsüchtig hinaus zu seinem lieben Gänserich Martin und allen seinen andern Reisegefährten.

„Wenn ich doch nur nicht durch mein Versprechen gebunden wäre! Dann wollte ich schon einen Vogel finden, der mich zu den Wildgänsen trüge,“ dachte er.

Es klingt recht merkwürdig, daß Klement Larsson dem Jungen seine Freiheit nicht wiedergegeben hatte, aber man muß bedenken, wie verwirrt der kleine Spielmann war, als er Skansen verließ. An dem Morgen, wo er abreiste, hatte er sich allerdings vorgenommen gehabt, dem kleinen Knirps sein Essen in einem blauen Napf hinzustellen, aber zum Unglück hatte er keinen solchen finden können. Dann waren alle die Leute von Skansen – die Lappen, die Mädchen aus Dalarna, die Maurer und Gärtner – herbeigekommen, ihm Lebewohl zu sagen, und so hatte er keine Zeit mehr gehabt, sich einen blauen Napf zu verschaffen. Die Stunde der Abreise kam heran, und schließlich wußte er sich nicht anders zu helfen, als einen der Lappländer um Hilfe zu bitten.

„Hör einmal,“ sagte er. „Hier auf Skansen wohnt einer von dem Wichtelvolk, dem ich jeden Morgen etwas zu essen bringe. Willst du mir nun einen Gefallen tun? Hier ist etwas Geld, dafür kaufe einen blauen Napf und stelle ihn morgen mit etwas Grütze und Milch auf die Treppe der Bollnäshütte.“

Der alte Lappe machte ein sehr verwundertes Gesicht; aber Klement hatte keine Zeit mehr, ihm die Sache noch näher zu erklären, denn er mußte jetzt auf den Bahnhof.

Der Lappe war dann auch wirklich in die Stadt gegangen, einen blauen Napf zu kaufen; als er aber keinen blauen sah, der ihm für seinen Zweck passend erschien, kaufte er einen weißen, und in diesem stellte er gewissenhaft jeden Morgen Milch und Grütze hin.

Auf diese Weise war der Junge seines Versprechens nicht entbunden worden. Er wußte wohl, daß Klement fort war, aber er selbst durfte nicht davongehen.

In dieser Nacht nun sehnte sich der Junge mehr als gewöhnlich nach der Freiheit, und das kam daher, daß es jetzt im Ernst Frühling und Sommer geworden war. Er hatte während der Reise ja oft unter der Kälte und dem schlechten Wetter gelitten, und in der ersten Zeit auf Skansen hatte er öfters gedacht, es sei vielleicht ganz gut, daß er die Reise hatte aufgeben müssen, denn wenn er im Mai nach Lappland gekommen wäre, hätte er dort droben sicherlich erfrieren müssen. Aber jetzt war es warm geworden, die Wiesen prangten in frischem Grün, Birken und Pappeln hatten ein seidig schillerndes Blätterkleid, die Kirschbäume, ja alle möglichen Obstbäume standen mit Blüten übersät da, die Beerensträucher hatten schon ganz kleine Früchte auf den Zweiglein, die Eichen rollten äußerst vorsichtig ihre Blätter auf, Erbsen, Kohl und Bohnen grünten auf den Gemüsebeeten auf Skansen.

 

„Jetzt wäre es wohl auch in Lappland warm und schön,“ dachte der Junge. „Wie gerne säße ich an einem schönen Morgen auf dem Rücken des Gänserichs Martin! Wie prächtig wäre jetzt ein Ritt durch die warme stille Luft da droben, von wo ich auf die mit grünem Gras und mit herrlichen Blumen geschmückte Erde herunterschauen könnte!“

Der Junge war noch mit diesem Gedanken beschäftigt, als plötzlich Gorgo aus der Luft heruntersauste und sich neben dem Däumling auf das Dach des Käfigs setzte. „Ich wollte nur meine Flügel prüfen, um zu sehen, ob sie mich noch ordentlich tragen,“ sagte er. „Du hast hoffentlich nicht gedacht, ich werde dich hier in der Gefangenschaft zurücklassen? Setze dich jetzt auf meinen Rücken, dann bringe ich dich zu deinen Reisegefährten zurück.“

„Nein, das ist unmöglich,“ sagte der Junge. „Ich habe mein Wort darauf gegeben, daß ich hier bleibe, bis man mir die Freiheit zurückgibt.“

„Was schwatzest du da für dummes Zeug?“ erwiderte Gorgo. „Zuerst hat man dich gegen deinen Willen hierhergebracht und dich dann noch obendrein gezwungen, hierzubleiben. So ein Versprechen braucht man nicht zu halten, das wirst du doch verstehen?“

„Ich muß es trotzdem halten,“ sagte der Junge. „Nein, mein lieber Gorgo, ich danke dir für deine gute Absicht, aber du kannst mir nicht helfen.“

„So, kann ich es nicht?“ erwiderte Gorgo. „Das sollst du bald sehen!“ Und in demselben Augenblick ergriff Gorgo den Jungen mit seinen großen Fängen, schwang sich mit ihm zu den Wolken hinauf und verschwand in nördlicher Richtung.