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Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen

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Der Waldbrand

Während Nils Holgersson noch mit seinem Frühstück beschäftigt war, wehte ihm plötzlich von Norden her ein schwacher Brandgeruch entgegen. Er wendete sich gleich nach dieser Seite und sah von einem der bewaldeten Hügel eine ganz dünne Rauchsäule aufsteigen, und zwar nicht von dem ihm am nächsten liegenden, sondern von einem aus der dahinter aufragenden Hügelkette. Dieser Rauch, der da mitten aus dem wilden Walde aufstieg, machte den Jungen stutzig; aber dann dachte er, es könne ja möglicherweise dort eine Sennhütte sein, und die Sennerinnen seien beim Kaffeekochen.

Aber es war doch sonderbar, wie sehr der Rauch zunahm und wie er sich immer weiter ausbreitete! Von einer Sennhütte konnte er nicht aufsteigen; aber vielleicht waren dort Kohlenbrenner bei ihren Meilern. Auf Skansen hatte der Junge eine Kohlenbrennerhütte und einen Kohlenmeiler gesehen, und er hatte auch gehört, daß in diesen Wäldern hier an verschiedenen Orten Kohlen gebrannt würden. Aber eigentlich hatten Kohlenbrenner doch nur im Frühjahr und im Winter brennende Meiler!

Der Rauch nahm mit jedem Augenblick zu; jetzt wogte er über den ganzen Hügel hin. Ein Kohlenmeiler konnte nicht so viel Rauch hervorbringen, das war ausgeschlossen. Irgendwo mußte ein Brand sein; der Junge sah auch eine Menge Vögel aufsteigen und nach dem nächsten Hügel hinüberfliegen. Habichte und Auerhähne und andre kleine Vögel, die der Junge aus dieser Entfernung nicht erkennen konnte, flüchteten sich vor dem Brande.

Aus der kleinen weißen Rauchsäule war jetzt eine schwere weiße Wolke geworden, die sich am Hügelrand hinwälzte und von da ins Tal hinabsenkte. Aus der Wolke heraus flogen Funken und Rußflocken, und ab und zu leckte auch eine rote Flamme durch den Rauch. Dort drüben mußte sicher eine gewaltige Feuersbrunst ausgebrochen sein! Aber was in aller Welt brannte denn dort? Es konnte doch unmöglich ein Bauernhof so tief drinnen im Walde versteckt liegen?

Und bei einer solchen Feuersbrunst, wie die da drüben, hätte sicher auch mehr als ein Hof brennen müssen. Jetzt wallte der Rauch nicht nur von dem Hügel auf; nein, auch aus dem Tale drunten, das der Junge zwar nicht sehen konnte, weil es von dem nächsten Hügel verdeckt war, stiegen große Rauchmassen auf. Es war nicht anders möglich, der Wald selbst mußte in Brand geraten sein.

Der Junge konnte sich fast nicht vorstellen, daß der frische grüne Wald in Brand geraten könnte. Und doch mußte es so sein! Aber wenn nun der Wald dort drüben wirklich brannte, dann konnte das Feuer ja bis zu ihm herüberdringen! „Sehr wahrscheinlich ist dies zwar nicht, aber es wäre mir doch recht angenehm, wenn der Adler jetzt bald käme,“ dachte der Junge. „Wenn ich doch nur von hier fort wäre!“ Schon allein der Brandgeruch, den er bei jedem Atemzug einatmen mußte, war ihm unerträglich.

Plötzlich erklang ringsum ein entsetzliches Knattern und Dröhnen. Es kam von dem nächsten Hügel her. Ganz oben auf dem Gipfel stand eine ebenso hohe Tanne wie die, auf der Nils Holgersson saß. Sie war sehr hoch und ragte über alle andern hinaus. Vorhin war sie von der Morgensonne rot beleuchtet gewesen, jetzt glühten alle ihre Nadeln wie auf einen Schlag, und sie fing Feuer. So schön war sie noch niemals gewesen; aber dies war das letztemal, wo sie ihre Schönheit zeigen konnte. Sie war der erste Baum auf diesem Hügel, der Feuer fing, und der Junge konnte gar nicht begreifen, wie es zugegangen war. War das Feuer auf roten Schwingen dahergeflogen gekommen? Oder war es zischend an der Erde hingekrochen wie eine Schlange? Das war nicht leicht zu entscheiden, jedenfalls war es nun da; der ganze Baum loderte hell auf wie ein Haufen Reisig.

Da, da! Jetzt schlug der Rauch an verschiedenen Stellen auf dem Hügel zugleich heraus! Der Waldbrand war Vogel und Schlange zugleich; er konnte sich ebensogut weit durch die Luft schwingen wie an der Erde hinkriechen; er entzündete den ganzen Waldhügel auf einen Schlag.

Nun entstand eine wahre Panik; die Vögel flohen in wilder Eile. Wie große Rußflocken flatterten sie aus dem Rauche heraus, flogen quer übers Tal hin und auf den Hügel, wo sich der Junge befand. Ein Uhu ließ sich neben dem Jungen nieder, und gerade über ihm setzte sich ein Habicht auf einen Zweig. Zu jeder andern Zeit wären dies gefährliche Nachbarn gewesen; aber jetzt beachteten die Vögel den Jungen gar nicht. Sie starrten nur in das Feuer hinein und konnten offenbar durchaus nicht begreifen, was dort im Walde vorging. Ein Marder lief auch auf den Baum herauf; er stellte sich auf die äußerste Spitze eines Zweiges und schaute unverwandt zu dem brennenden Waldhügel hinüber. Dicht neben dem Marder saß ein Eichhörnchen; aber die beiden schienen einander gar nicht zu sehen.

Jetzt jagte das Feuer den Abhang herunter. Es zischte und dröhnte wie ein brausender Sturm. Durch den Rauch hindurch konnte man die Flammen von Baum zu Baum züngeln sehen. Ehe eine Tanne in Brand geriet, wurde sie zuerst in eine dünne Rauchwolke wie in einen Schleier gehüllt, dann wurden mit einem Schlag alle ihre Nadeln rot, und dann begann sie zu knistern und zu brennen.

Drunten im Tal vor dem Hügel floß ein kleiner von Erlen und Birken umsäumter Bach. Es sah aus, als müsse das Feuer hier Halt machen. Die Laubholzbäume gerieten nicht so rasch in Brand wie die Nadelhölzer. Hier stand das Feuer wie vor einer Mauer und konnte nicht weiter. Es glühte und sprühte und versuchte, nach dem Nadelwald auf der andern Seite des Baches hinüberzuspringen; aber es gelang ihm nicht.

Für eine Weile war das Feuer zum Stillstand gebracht; doch jetzt leckte eine lange Feuerzunge hinüber nach einer hohen, abgestorbenen Fichte, die unten am Abhang wuchs; sofort stand auch der ganze Baum in heller Lohe, und damit war das Feuer über den Bach herübergekommen. Die Hitze war überaus stark; jeder Baum am ganzen Abhang war in größter Gefahr: er konnte im nächsten Augenblick in Brand geraten. Und mit solchem wilden Brausen und Donnern, wie es nur der heftigste Sturm oder der wildeste Wasserfall hervorbringt, jagte das Feuer jetzt den jenseitigen Hügel hinauf.

Da breiteten der Habicht und der Uhu die Flügel aus und flogen davon. Der Marder schoß von dem Baum hinunter. Allem Anscheine nach dauerte es jetzt nicht mehr lange, bis das Feuer diese Tanne ergriff, und der Junge mußte machen, daß er herunterkam. Aber es war nicht so leicht für ihn, an dem hohen, geraden Stamm der Tanne hinabzuklettern; er klammerte sich an, so gut es ging, und ließ sich so von einem Zweig zum andern hinuntergleiten, und schließlich stürzte er schwer zu Boden. Aber er hatte keine Zeit, sich zu überzeugen, ob er sich verletzt hatte. Nur fort, fort! Das war die Losung. Wie ein zischender Blitz schlug das Feuer in die Tanne, der Erdboden darunter war glühend heiß und begann zu rauchen. Auf der einen Seite von dem Jungen lief ein Luchs, auf der andern ringelte sich eine lange Kreuzotter, und ganz dicht neben der Kreuzotter kluckte eine Auerhenne, die mit ihren kleinen flaumigen Jungen davoneilte.

Als die Flüchtlinge den Abhang hinuntergekommen waren und das Tal erreicht hatten, trafen sie mit Menschen zusammen, die ausgezogen waren, das Feuer zu löschen. Sie waren gewiß schon lange hier am Werke gewesen; aber der Junge hatte so fortgesetzt nach der Seite gestarrt, woher das Feuer kam, daß er sie nicht früher wahrgenommen hatte. Auch durch dieses Tal floß ein dicht mit Laubhölzern umsäumter Bach, und hinter diesen Bäumen arbeiteten die Leute. Sie fällten die den Erlen zunächststehenden Nadelhölzer, holten Wasser aus dem Bach, schütteten es aufs Erdreich und rissen Heidekraut und Maiblumenstöcke heraus, damit sich das Feuer keinen Weg durch das Gestrüpp bahnen könnte.

Auch diese Leute dachten an nichts andres als an den Waldbrand, der sich ihnen entgegenwälzte. Die fliehenden Tiere liefen ihnen zwischen den Beinen durch; aber sie kümmerten sich gar nicht darum. Sie schlugen nicht nach der Kreuzotter, machten keinen Versuch, die Auerhenne zu fangen, während sie mit ihren kleinen piependen Jungen am Bachufer hin und her lief; ja sie beachteten nicht einmal den Däumling. Sie standen da und hielten große Tannenzweige in den Händen, die sie vorher in den Bach getaucht hatten und offenbar als Waffen gegen das Feuer benützen wollten. Es waren nicht besonders viele Leute, und es war ein merkwürdiger Anblick, wie sie so ganz ruhig zum Kämpfen bereit dastanden, während alles andre, was Leben hatte, entfloh.

Als sich das Feuer mit lautem Dröhnen und Krachen, mit unerträglicher Hitze und erstickendem Rauch den Hügel herabwälzte und ohne einen Augenblick anzuhalten, Miene machte, über den Bach mit seiner Mauer aus grünen Bäumen nach dem andern Ufer hinüberzuspringen, wichen die Menschen zuerst unwillkürlich zurück, als wenn sie es nicht mehr hier aushalten könnten. Aber sie flohen nicht weit, sondern kehrten wieder um.

Jetzt lief der Waldbrand mit wilder Gewalt Sturm. Die Funken sprühten und ergossen sich wie ein Feuerregen über die Laubholzbäume. Lange, feurige Zungen schlugen zischend aus dem Rauch heraus, als wenn der Wald auf der andern Seite sie anzöge.

Aber die Laubholzbäume hielten das Feuer auf, und unter ihnen arbeiteten die Menschen. Wo die Erde zu rauchen anfing, trugen sie in Eimern Wasser herbei und kühlten sie ab. Wenn ein Baum in Rauch eingehüllt wurde, hieben sie mit gewaltigen Axtschlägen drauf los, stürzten ihn um und löschten die Flammen. Wo das Feuer im Heidekraut glimmte, schlugen sie mit den nassen Tannenzweigen darauf und erstickten es.

Der Rauch war jetzt so dicht, daß er alles einhüllte. Man konnte nicht sehen, wie der Kampf sich entwickelte; aber es war wohl zu merken, welch ein harter Kampf es war, und mehrere Male war es gewiß nahe daran, daß das Feuer den Sieg davongetragen hätte.

Aber gottlob, nach einer guten Weile nahm das laute Krachen und Dröhnen des verheerenden Feuers ab, und der Rauch verteilte sich! Da hatten die Laubholzbäume alle ihre Blätter verloren, das Erdreich darunter war vollständig versengt, die Menschen waren vom Rauch geschwärzt und in Schweiß gebadet, aber der Waldbrand war überwältigt, er flammte nicht mehr. Weiß und weich glitt jetzt der Rauch am Boden hin, und eine Menge schwarze Stämme tauchte aus ihm auf. Das war alles, was von dem prächtigen Wald noch übrig war.

 

Der Junge war auf einen Steinblock hinaufgeklettert und hatte von da dem Kampfe der Menschen mit dem Feuer zugesehen. Aber jetzt, wo der Wald gerettet war, begann für ihn die Gefahr; der Uhu und der Habicht richteten plötzlich ihre Augen auf ihn.

Doch in diesem Augenblick hörte der Junge eine ihm wohlbekannte Stimme seinen Namen rufen. Der Königsadler Gorgo kam durch den Wald heruntergesaust. Und bald wiegte sich der Junge von aller Gefahr erlöst hoch in den Lüften.

43
Västerbotten und Lappland

Die fünf Kundschafter

Während Nils Holgersson auf Skansen war, saß er einmal unter der Treppe des Bollnäshauses und hörte da, wie Klement Larsson und der alte Lappe sich miteinander über Lappland unterhielten. Sie stimmten ganz miteinander überein, daß Norrland der beste Teil von ganz Schweden sei; aber Klement Larsson gefiel die Gegend südlich vom Ångermanfluß am besten, während der Lappe behauptete, die nördlich von diesem Fluß liegenden Landschaften seien die wichtigsten.

Im Laufe des Gesprächs kam es aber heraus, daß Klement nie höher droben gewesen war als in Härnösand, und da konnte der Lappe das Lachen nicht unterdrücken, weil er sich mit so großer Bestimmtheit über Gegenden aussprach, die er nie gesehen hatte.

„Ich sehe schon, Klement, ich muß dir eine Geschichte erzählen, aus der du ersehen kannst, wie es in Västerbotten und Lappland, in dem großen Sameland aussieht, wo du noch nie gewesen bist,“ sagte er.

„Von mir kann gewiß niemand sagen, daß ich eine Geschichte ausgeschlagen hätte, ebensowenig wie man von dir sagen könnte, du sagtest jemals nein zu einer Tasse Kaffee,“ antwortete Klement.

Und dann begann der alte Lappe seine Geschichte.

„So höre denn, Klement! Einmal geschah es, daß die Vögel, die drunten in Schweden südlich von dem alten Sameland wohnten, meinten, sie säßen zu eng aufeinander und könnten sich nicht mehr ausbreiten. Deshalb beschlossen sie, nordwärts zu ziehen.

Sie versammelten sich und hielten Rat. Die Jungen und Ungeduldigen wollten sogleich aufbrechen; aber die Alten und Klugen bestanden darauf, daß zuerst Kundschafter ausgesandt würden, die das Land erforschen sollten.

‚Jede von den fünf großen Vogelscharen soll einen Kundschafter ausschicken,‘ sagten die Weisen, ‚damit wir alle zuvor erfahren, ob wir da droben auch gute Brutstätten, Nahrung und Schlupfwinkel finden können.‘

Da wählten die fünf großen Vogelscharen sogleich fünf gute kluge Vögel aus. Die Waldvögel einen Auerhahn, die Vögel der Ebene eine Lerche, die Seevögel eine Fischmöwe, die Süßwasservögel eine Lumme und die Bergvögel einen Schneesperling.

Als diese fünf die Reise antreten sollten, sagte der Auerhahn, der größte und gebieterischste von diesen fünf: ‚Was da vor uns liegt, sind sehr große Länderstrecken. Wenn wir zusammen reisen, dauert es überaus lange, bis wir über das ganze Gebiet, das wir untersuchen sollen, hingeflogen sind. Fliegt aber jeder von uns für sich allein und untersucht seinen Teil des Landes, dann kann unsre ganze Aufgabe in ein paar Tagen vollendet sein.‘

Die vier andern Kundschafter waren mit diesem Vorschlag einverstanden und richteten sich danach. Sie einigten sich dahin, daß der Auerhahn den mittelsten Teil des Landes untersuchen sollte; die Lerche sollte eine Strecke östlicher fliegen, die Fischmöwe noch weiter gegen Osten, da wo das Land ins Meer abfällt; die Lumme übernahm es, weiter westlich zu fliegen als der Auerhahn, und der Schneesperling sollte am weitesten westlich, ganz an der Landesgrenze hinfliegen.

In dieser Ordnung flogen die fünf Vögel gen Norden, so weit als das Festland reichte. Dann drehten sie um und kehrten wieder heim und erzählten den versammelten Vögeln, was sie gesehen hatten.

Die Fischmöwe, die dem Meeresufer entlang geflogen war, ergriff zuerst das Wort.

‚Da droben im Norden ist ein gutes Land,‘ sagte sie. ‚Es besteht aus einer einzigen Reihe von Schären; überall sind fischreiche Sunde und bewaldete Landzungen und Inseln, von denen die meisten unbewohnt sind, und die Seevögel finden dort überall ausgezeichnete Brutplätze. Die Menschen treiben ein wenig Fischfang und Seefahrt in den Sunden, aber nicht so viel, daß es uns Vögel stören könnte. Wenn die Seevögel meinem Rat folgen, dann ziehen sie sogleich gen Norden.‘

Nach der Fischmöwe begann die Lerche, die das Land innerhalb der Küste untersucht hatte.

‚Ich verstehe nicht, was die Möwe da von Landzungen und Inseln behauptet,‘ sagte sie. ‚Ich habe nichts weiter gesehen als große Felder und wunderschöne blühende Wiesen. In meinem ganzen Leben hab ich noch nie ein Land gesehen, das von so vielen großen Flüssen durchschnitten gewesen wäre; es war eine wahre Freude, zu sehen, wie diese Ströme mit ihren gewaltigen Wassermassen so ruhig und gleichmäßig durch die Ebene hinzogen. An den Ufern liegen die Bauernhöfe so dicht wie die Häuser an einer Straße, und an den Flußmündungen sind Städte, sonst aber ist das Land sehr einsam und nur spärlich bewohnt. Wenn die Vögel der Ebene meinem Rat folgen, ziehen sie sogleich nordwärts.‘

Nach der Lerche kam der Auerhahn an die Reihe, der in der Mitte des Landes geflogen war.

‚Ich begreife weder, was die Lerche mit ihren Wiesen, noch was die Fischmöwe mit ihren Schären will,‘ sagte er. ‚Ich habe auf der ganzen Reise nichts andres gesehen als Tannen- und Fichtenwälder, eine Menge großer Moore und viele rauschende, brausende Flüsse; aber alles, was nicht Moor oder Fluß war, war dunkler Wald, und ich habe keine Felder und keine menschlichen Wohnungen gesehen. Wenn die Waldvögel meinem Rat folgen wollen, ziehen sie sogleich nordwärts.‘

Nach dem Auerhahn berichtete die Lumme, die den Landstrich auf der andern Seite der Wälder untersucht hatte.

‚Ich begreife nicht, wo die Lerche und die Fischmöwe ihre Augen gehabt haben,‘ sagte die Lumme. ‚Es ist ja fast gar kein Erdreich da droben. Nichts als große Seen. Zwischen schönen Ufern blinken dunkelblaue Bergseen, die sich da und dort zu brausenden Wasserfällen erweitern. An einigen dieser Seen habe ich Kirchen und Dörfer gesehen, aber andre lagen ganz einsam und friedlich da. Wenn die Süßwasservögel meinem Rat folgen, dann ziehen sie sogleich nordwärts.‘

Zum Schluß gab der Schneesperling, der an der Landesgrenze hingeflogen war, seine Meinung preis.

‚Ich begreife nicht, was die Lumme mit ihren Seen will, und es ist mir auch ganz unverständlich, was der Auerhahn, die Lerche und die Fischmöwe für ein Land gesehen haben wollen,‘ sagte er. ‚Ich habe da droben im Norden ein großes Gebirgsland gefunden. Nirgends traf ich Ebenen und ebensowenig große Wälder, dagegen Berggipfel um Berggipfel, Felsengegend an Felsengegend. Und ich habe Eisfelder und Schnee gesehen, sowie Gebirgsbäche, deren Wasser milchweiß waren. Keine Felder, keine Wiesen, so weit das Auge reichte, nur große mit Weiden, Zwergbirken und Renntiermoos bedeckte Halden. Keine Bauern, keine Haustiere, keine Höfe habe ich angetroffen, aber Lappen, Renntiere und Lappenzelte. Wenn die Gebirgsvögel meinem Rate folgen, ziehen sie sogleich nordwärts.‘

Nachdem die fünf Kundschafter also gesprochen hatten, schalten sie einander und nannten sich gegenseitig Lügner, und sie waren schon im Begriff, aufeinander loszufahren, um die Wahrheit ihrer Worte mit einem Kampfe auszufechten. Aber die alten, klugen Vögel, die die Kundschafter ausgeschickt und mit großer Freude vernommen hatten, was diese berichteten, beruhigten die Kampflustigen.

‚Streitet euch nicht!‘ sagten sie. ‚Soviel haben wir aus euren Worten vernommen, daß da droben im Norden ein gutes Gebirgsland und ein großes Seenland und ein großes Waldland und ein großes ebenes Land und große Schären sind. Das ist mehr, als wir erwartet hatten, ja, viele große Königreiche können sich nicht rühmen, dies alles innerhalb ihrer Grenzen zu besitzen.‘“

Das wandernde Land

Samstag, 18. Juni

Jetzt, wo Nils Holgersson selbst über das Land hinflog, von dem der Lappe erzählt hatte, fiel ihm diese Geschichte wieder ein. Der Adler hatte ihm gesagt, der flache Küstenstrich, der sich da unter ihnen ausbreitete, sei Västerbotten, und die blauenden Höhen ganz draußen im Westen seien Lappland.

Ach, wie glücklich war Nils Holgersson, daß er jetzt nach all der Angst, die er während des Waldbrandes ausgestanden hatte, wohlbehalten wieder auf Gorgos Rücken saß! Dieses Gefühl war an und für sich schon beglückend, aber die Reise selbst war jetzt auch wunderbar schön. Am Morgen war der Wind aus Norden gekommen, jetzt hatte er sich gewendet, die Reisenden hatten ihn im Rücken, und deshalb spürten sie ihn gar nicht. Da auch der Adler ganz gleichmäßig flog, glaubte der Junge bisweilen, dieser stehe ganz still, und er schlage nur immerfort mit den Flügeln, ohne vom Flecke zu kommen. Statt dessen aber schien unter ihm alles in Bewegung zu sein. Der ganze Erdboden und alles, was darauf war, glitt langsam südwärts. Wälder, Häuser, Wiesen, Zäune, Flüsse, Ortschaften, Schäreninseln, Sägewerke, alles war auf der Wanderschaft! Der Junge überlegte, wohin alle miteinander nur wollten? Waren sie es müde geworden, so lange da droben im Norden zu stehen, und wollten sie nun südwärts ziehen?

Zwischen allem diesem, das sich bewegte und gen Süden wanderte, stand nur eins still, nämlich ein Eisenbahnzug. Er hielt gerade unter den beiden, die da droben durch die Lüfte flogen, und es ging dem Zuge genau wie Gorgo: er konnte nicht vom Flecke kommen. Die Lokomotive spie Rauch und Funken aus, der Junge konnte bis zu sich herauf hören, daß die Räder laut auf den Schienen rasselten, aber der Zug selbst bewegte sich nicht. Die Wälder glitten an ihm vorüber, die Bahnwärterhäuschen glitten vorüber, die Schlagbäume und die Telegraphenstangen glitten vorüber, aber der Zug stand still. Ein breiter Fluß mit einer langen Brücke über sich floß ihm entgegen; aber der Fluß und die Brücke glitten ohne jegliche Schwierigkeit unter dem Zuge durch. Schließlich kam ein Bahnhof dahergelaufen. Der Stationsvorsteher stand mit seiner roten Fahne in der Hand auf dem Bahnsteig und glitt langsam zu dem Zuge hin. Als er seine Fahne schwang, stieß die Lokomotive noch schwärzere Rauchwirbel heraus als vorher und pfiff jämmerlich, wie wenn sie sich darüber beklagte, daß sie nicht vorwärts kommen könne. Aber in demselben Augenblick setzte sich der Zug in Bewegung und, gerade wie der Bahnhof und alles andre, glitt jetzt auch er südwärts dahin. Der Junge sah, wie die Wagentüren aufgemacht wurden und die Reisenden ausstiegen, während doch alle beide, die Reisenden mitsamt dem Zuge, sich in südlicher Richtung weiter bewegten. Aber jetzt wendete Nils Holgersson seine Blicke von der Erde ab und versuchte geradeaus zu schauen. Der Anblick dieses wunderbaren Eisenbahnzuges hatte ihn ordentlich schwindlig gemacht.

Doch nachdem er eine Weile eine kleine weiße Wolke angestarrt hatte, wurde ihm diese Unterhaltung langweilig, und er schaute wieder hinunter. Immer noch war es, als halte sich der Adler ganz ruhig in den Lüften, während alles andre südwärts davon eilte. Als nun der Junge so auf dem Rücken des Adlers saß und sich mit nichts anderm unterhalten konnte als mit seinen eignen Gedanken, machte es ihm Spaß, sich auszudenken, wie es wäre, wenn ganz Västerbotten in Bewegung käme und gen Süden zöge. Ei der Tausend, wenn nun der Acker dort, der da unter ihm hinglitt – er war wohl eben erst eingesät, denn nirgends war ein grünes Hälmchen zu sehen – hinunter auf die Südebene in Schonen fahren würde, wo der Roggen um diese Zeit schon Ähren trug!

Die Nadelwälder hatten sich da oben verändert. Die Bäume standen weit auseinander, mit kurzen Zweigen und fast schwarzen Nadeln. Viele Bäume hatten verdorrte Wipfel und sahen krank aus. Die Erde unter ihnen war mit alten Stämmen bedeckt, die wegzuschaffen niemand sich die Mühe gegeben hatte. Wie, wenn nun so ein Wald so weit hinunterkäme, daß er den Kolmården sehen könnte? Wie ärmlich müßte er sich dann vorkommen!

Und der Garten, den er jetzt gerade unter sich sah! Es waren schöne Bäume darin, aber weder Obstbäume, noch edle Linden oder Kastanien, nur Vogelbeeren und Birken. Es war auch schönes Gebüsch darin, aber kein Goldregen und Flieder, nur Faulkirschen und Holunder. Auch Gemüsebeete sah der Junge, aber die waren bis jetzt weder umgegraben noch angepflanzt. Wie, wenn nun so ein Gütchen an einem Herrschaftsgarten in Sörmland angefahren käme? Da würde es sich selbst gewiß nur für eine Einöde halten!

 

Oder diese Wiese dort, die mit so vielen kleinen grauen Scheunen bedeckt war, daß man hätte meinen können, die Hälfte des Bodens sei zu Bauplätzen verwendet worden! Wenn sie hinunterzöge nach der Ostgötaebene, würden die Bauern da drunten wahrlich große Augen machen!

Aber wenn das große Moorland, das jetzt unter ihm lag und ganz mit Fichten bestanden war, die aber nicht wie in gewöhnlichen Wäldern aufrecht und gerade wuchsen, sondern sich mit buschigen Zweigen und üppigen Kronen in hübschen Gruppen auf dem schönsten Teppich von Renntiermoos aufgestellt hatten, wenn dieses Moorland den Weg hinunter nach Övedskloster einschlüge, dann würde der prächtige Park dort einräumen müssen, daß nun seinesgleichen gefunden sei.

Wie, wenn die hölzerne Kirche dort unter ihm, mit den roten Holzschindeln an den Wänden, mit dem bunt bemalten Glockenturm und einem ganzen Städtchen von grauen Kirchenhütten um sich her, in denen die Familien, die weit her kamen, übernachteten, an einer der großen fest gemauerten Kirchen auf der Insel Gotland vorübergezogen käme? Die würden einander ordentlich etwas zu erzählen haben!

Aber der Stolz und die Ehre der ganzen Landschaft waren die gewaltigen dunkeln Flüsse mit ihren prächtigen Tälern, diesen Tälern mit ihren vielen Höfen, ihrer Menge Bauholz, ihren Sägewerken, ihren Dörfern und mit dem großen Gewimmel von Dampfschiffen an den Mündungen! Wenn solch ein Fluß sich weiter drunten im Land zeigen würde, dann würden alle Flüsse und Bäche südlich vom Dalälf vor lauter Scham in die Erde versinken!

Und wie, wenn so eine ungeheuer große Ebene, eine so gut gelegene, so leicht zu bebauende Ebene vor die Augen der armen Smålandbauern herangeglitten käme? Da würden sie von ihren kleinen Äckerchen und ihren steinigen Wiesen daherlaufen und eifrig zu graben und zu bebauen anfangen!

Und seht, an einem war diese Landschaft reicher als alle andern, nämlich an Licht. Die Kraniche schliefen stehend auf den Mooren; die Nacht mußte angebrochen sein, aber das Licht war nicht verschwunden. Die Sonne war nicht südwärts gezogen wie alles andre. Dagegen war sie jetzt so weit nördlich gewandert, daß sie dem Jungen mit geraden Strahlen ins Gesicht schien. Und sie hatte es offenbar gar nicht im Sinne, hinter den Horizont hinabzutauchen. Wie, wenn dieses Licht und diese Sonne in Westvemmenhög scheinen würden? Das würde dem Häusler Holger Nilsson und seiner Frau gefallen, ein Arbeitstag, der vierundzwanzig Stunden dauerte!