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Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Der Wanderer hörte dies alles mit wachsendem Zorne an, und als die Riesenfrau ausgesprochen hatte, griff er nach dem Hammer, den er in seinem Gürtel trug. Aber ehe er ihn herausziehen konnte, war die Frau verschwunden, und da, wo das Haus der Riesen gestanden hatte, war nichts mehr zu sehen als eine graue Bergwand. Aber was nicht verschwunden war, das waren die mächtigen Flüsse und Seen, denen Handfest auf der Hochebene einen Weg geschaffen, sowie das fruchtbare Erdreich, das er gemahlen hatte. Nicht verschwunden waren außerdem noch die prächtigen Berge, die dem Jämtland seine Schönheit verleihen und allen denen, die es besuchen, Kraft und Gesundheit, Freude, Mut und Lebenslust schenken; deshalb ist wohl auch von allen Taten, die Asa-Thor vollbracht hat, keine lobenswerter als die, welche er in jener Nacht ausführte, als er Felsenmassen hinausschleuderte, vom Frostviksgebirge im Norden bis zum Helagsberg im Süden, von den Ovikshöhen bis jenseits des Storsee, ja bis zu den Sylarna, den hohen Bergen an der Reichsgrenze.“

47
Die Sage vom Härjedal

Dienstag, 4. Oktober

Nils Holgersson wurde unruhig, weil die Reisenden gar so lange auf dem Aussichtsturm blieben. Der Gänserich Martin konnte seinen Gefährten nicht abholen, solange die Fremden da waren, und der Junge wußte doch, daß die Wildgänse so rasch wie möglich südwärts reisen wollten. Mitten unter der Erzählung war es ihm freilich gewesen, als höre er Gänsegeschnatter und laute Flügelschläge; vielleicht waren das die Wildgänse, die weiterflogen. Aber der Junge hatte nicht an die Brüstung zu treten gewagt, um zu sehen, wie es sich verhielt.

Als die Gesellschaft endlich gegangen war und der Junge sich aus seinem Versteck herauswagen konnte, sah er keine Wildgänse drunten auf dem Boden, und kein Gänserich Martin kam, ihn zu holen. Er rief: „Hier bin ich! Wo bist du?“ so laut er konnte; aber die Reisegefährten zeigten sich nicht. Es fiel ihm zwar keinen Augenblick ein, sie könnten ihn verlassen haben; aber er fürchtete, es sei ihnen ein Unglück zugestoßen, und er überlegte eben, auf welche Weise er sie ausfindig machen könnte, als sich plötzlich der Rabe Bataki neben ihm niederließ.

Der Junge hätte nie gedacht, daß er Bataki jemals mit einem so frohen Willkommen begrüßen würde, wie er jetzt tat. „Lieber Bataki,“ sagte er, „wie herrlich, daß du kommst! Du kannst mir vielleicht sagen, was aus dem Gänserich Martin und aus den Wildgänsen geworden ist.“

„Jawohl, und ich komme gerade in ihrem Auftrag,“ antwortete der Rabe. „Akka hat einen Jäger auf dem Gebirge umherstreifen sehen, deshalb wagte sie es nicht, auf dich zu warten, sondern ist vorausgeflogen. Setze dich jetzt auf meinen Rücken, dann wirst du gleich wieder bei deinen Freunden sein.“

Der Junge setzte sich eiligst auf Batakis Rücken, und Bataki würde die Wildgänse auch bald eingeholt haben, wenn ihn der Nebel nicht daran verhindert hätte. Aber es war, als hätte die Morgensonne den Nebel wieder geweckt. Kleine, leichte Nebelschleier, die sich verdichteten und mit erstaunlicher Schnelligkeit ausbreiteten, stiegen plötzlich vom See, von den Feldern und aus dem Walde auf, und schon nach ganz kurzer Zeit war die Erde ringsum von weißen, wogenden Nebelmassen verhüllt.

Da droben, wo Bataki flog, war vollständig klare Luft und strahlender Sonnenschein; aber die Wildgänse waren offenbar mitten in den Nebelmassen, da die beiden sie mit keinem Auge entdecken konnten. Der Junge und der Rabe riefen und schrien aus vollem Halse, aber sie erhielten keine Antwort.

„Das ist doch ein rechtes Mißgeschick,“ sagte der Rabe schließlich. „Aber wir wissen ja, in welcher Richtung sie fliegen, und sobald der Nebel sich verzieht, werde ich sie schon ausfindig machen.“

Der Junge war sehr betrübt, daß er gerade jetzt von dem Gänserich Martin getrennt worden war, denn auf der Reise war der große Weiße allen möglichen Gefahren ausgesetzt. Aber nachdem er sich ein paar Stunden lang gegrämt und geängstigt hatte, sagte er sich, es sei ja doch bisher auch kein Unglück geschehen, und deshalb hätte es keinen Sinn, wenn er jetzt schon den Mut sinken ließe.

In diesem Augenblick hörte er drunten auf der Erde einen Hahn krähen, und sogleich neigte er sich über den Rücken des Raben vor und rief: „Wie heißt das Land, über das ich hinfliege? Wie heißt das Land, über das ich hinfliege?“

„Es heißt Härjedal! Härjedal! Härjedal!“ krähte der Hahn.

„Wie sieht es bei euch da drunten aus?“ fragte der Junge.

„Berge im Westen, Wälder im Osten und ein breites Tal durchs ganze Land!“ antwortete der Hahn.

„Schönen Dank! Schönen Dank für die gute Antwort!“ rief der Junge.

Nachdem sie wieder eine Weile geflogen waren, hörte er unter sich im Nebel eine Krähe krächzen.

„Was für Menschen wohnen hier in diesem Lande?“ rief der Junge hinunter.

„Ein prächtiges, gutes Bauernvolk!“ antwortete die Krähe. „Ein prächtiges, gutes Bauernvolk!“

„Was arbeiten sie?“ fragte der Junge. „Was arbeiten sie?“

„Sie treiben Viehzucht und roden den Wald aus!“ krächzte die Krähe zurück.

„Schönen Dank! Schönen Dank für die gute Antwort!“ rief der Junge.

Kurz darauf hörte er den Gesang eines Menschen durch den Nebel heraufdringen.

„Gibt es irgendeine große Stadt in dieser Landschaft?“ fragte der Junge.

„Was … Was … Wer ruft denn hier?“ rief der Mensch als Antwort.

„Gibt es irgendeine große Stadt in dieser Landschaft?“ wiederholte der Junge.

„Ich will wissen, wer da ruft?“ schrie der Mensch.

„Ja, ich habe mir wohl gedacht, daß ich keinen ordentlichen Bescheid bekäme, wenn ich einen Menschen fragte,“ rief der Junge.

Nach kurzer Zeit verzog sich der Nebel ebenso rasch wieder, wie er aufgetaucht war, und nun sah der Junge, daß Bataki über einem breiten Flußtal hinflog. Es war ein schöner Landstrich mit ebenso hohen Bergen wie im Jämtland, aber am Fuße der Berge war kein fruchtbares, dichtbebautes Land wie dort. Die Ortschaften lagen weit voneinander entfernt, und die Felder waren nur klein. Bataki flog den Fluß in südlicher Richtung entlang, bis er in die Nähe eines Dorfes kam. Da flog er auf ein Stoppelfeld hinunter und ließ den Jungen absteigen.

„Auf diesem Felde hat im Sommer Gerste gestanden,“ sagte Bataki. „Sieh, ob du nicht etwas Eßbares findest.“

Der Junge befolgte den guten Rat, und schon nach ganz kurzer Zeit fand er eine Ähre. Während er die Körner herausschälte und sie verzehrte, fing Bataki ein Gespräch mit ihm an.

„Siehst du das große Gebirge dort, das gerade im Süden vor uns aufragt?“ fragte er.

„Jawohl, ich sehe es deutlich,“ antwortete der Junge.

„Es heißt Sonfjället,“ fuhr der Rabe fort, „und du darfst mir glauben, in den alten Tagen hat es dort viele Wölfe gegeben.“

„Dieses Gebirge muß auch ein guter Schlupfwinkel für sie gewesen sein,“ räumte der Junge ein.

„Ja, für die Leute hier im Tale war es oft sehr schwer, daß sie sich auch noch mit den Wölfen herumschlagen mußten,“ sagte Bataki.

„Weißt du nicht irgendeine gute Geschichte von Wölfen, die du mir erzählen könntest?“ fragte der Junge. Und Bataki erzählte:

„Vor langer, langer Zeit sollen die Wölfe von Sonfjället einmal einen Bauern überfallen haben, der mit einer Ladung Böttchergefäße umherfuhr. Er war von Hede, einem Dorf, das einige Meilen höher droben, als wir uns hier befinden, im Ådal liegt. Es war Winter, und die Wölfe jagten hinter dem Schlitten her, als er eben über das Eis des Ljusnan hinüberfuhr. Es waren ihrer wohl acht bis zehn Stück, und der Bauer hatte kein gutes Pferd, so daß er nicht viel Hoffnung hatte, ihnen entkommen zu können.

Als der Mann die Wölfe hinter sich heulen hörte und sah, was für ein großes Rudel er im Rücken hatte, verlor er alle Besinnung, und es fiel ihm nicht ein, daß er Kübel, Bottiche und Wannen eiligst von seinem Wagen hätte werfen sollen, um die Last zu erleichtern. Er peitschte nur auf das Pferd los, und dieses lief auch wie noch nie, aber trotzdem kamen die Wölfe immer näher, das merkte der Bauer wohl. Es war eine sehr einsame Gegend, der nächste Hof lag mindestens noch zwei Meilen entfernt, der Bauer konnte nichts anderes erwarten, als daß seine letzte Stunde gekommen sei, und er fühlte, wie ihm vor Entsetzen alle Glieder erstarrten.

Während er so wie gelähmt dasaß, sah er, daß sich zwischen den Tannenbüschen, die auf dem Eis aufgepflanzt waren, um den Weg zu bezeichnen, etwas bewegte. Und als er sah, was es war, wuchs der Schrecken, der ihn schon vorher erfaßt hatte, ins ungeheure.

Aber nicht Wölfe waren es, die ihm da entgegenkamen, sondern ein altes Bettelweib. Sie hieß die Finnen-Malin und war eine rechte Landstreicherin. Sie hinkte ein wenig und hatte überdies einen kleinen Höcker; der Mann konnte sie schon aus der Ferne erkennen.

Die Frau ging gerade auf die Wölfe zu. Offenbar wurden sie durch den Schlitten vor ihr verdeckt, und dem Bauern war es sogleich klar: wenn er an ihr vorüberfuhr, ohne sie zu warnen, dann fiel sie den wilden Tieren unwiederbringlich zur Beute, und während diese die Alte zerrissen, konnte er entkommen. Auf ihren Stock gestützt, hinkte sie langsam daher; ja, sie war unrettbar verloren, wenn er ihr nicht half. Aber wenn er auch anhielt und sie auf den Schlitten nahm, war es durchaus nicht sicher, daß sie gerettet würde; wenn er es tat, war es mehr als wahrscheinlich, daß er von den Wölfen eingeholt würde, und dann wurden alle miteinander, er und die Alte und das Pferd, zerrissen und aufgefressen, und der Bauer fragte sich, ob es nicht am richtigsten wäre, ein Leben zu opfern, um zwei andere zu retten.

Aber damit war es noch nicht genug, er mußte sogleich auch daran denken, wie es ihm wohl nachher selbst gehen würde: Ob er Gewissensbisse bekäme, weil er dem Weib nicht geholfen hatte, ob die Leute erführen, daß er ihr begegnet war und sie im Stiche gelassen hatte?

 

In seiner Brust entspann sich ein großer Streit, und er sagte sich schließlich: ‚Es wäre mir viel lieber, ich wäre ihr gar nicht begegnet!‘

In diesem Augenblick stießen die Wölfe ein lautes Geheul aus. Das Pferd schreckte zusammen, fuhr wild davon und jagte an dem Bettelweib vorüber. Sie hatte das Wolfsgeheul auch gehört, und als der Bauer an ihr vorübersauste, las er in ihrem Gesicht, daß sie wußte, was ihr bevorstand. Sie stand da, den Mund zu einem Schrei geöffnet und die Arme um Hilfe ausgestreckt, aber sie hatte weder geschrien noch einen Versuch gemacht, sich auf den Schlitten zu werfen. Sie mußte von irgendeiner Erscheinung wie versteinert worden sein.

‚Ich habe wohl wie ein böser Geist ausgesehen, als ich an ihr vorüberfuhr,‘ dachte der Bauer, und er versuchte, sich jetzt, wo er seines Lebens sicher sein konnte, zufrieden zu fühlen. Aber in demselben Augenblick begann es in seiner Brust zu arbeiten und zu brennen. Er hatte noch nie etwas Böses getan, und nun hatte er in einem einzigen Augenblick sein Leben verdorben. ‚Nein, es mag gehen, wie es will!‘ rief er plötzlich und hielt das Pferd an. ‚Ich kann sie nicht mit den Wölfen allein lassen.‘

Nur mit großer Mühe gelang es ihm, das Pferd zu wenden; aber schließlich brachte er es doch zustande, und er hatte die Finnen-Malin bald wieder erreicht.

‚Steige schnell in meinen Schlitten!‘ befahl er ihr in barschem Ton; denn er war wütend über sich selbst, weil er das Weib nicht seinem Schicksale überlassen konnte. ‚Du tätest auch besser, daheim zu bleiben, anstatt dich immer herumzutreiben, du alte Hexe,‘ fuhr er fort, ‚jetzt werden wir beide deinetwegen umkommen, der Rappe und ich.‘

Das Weib erwiderte kein Wort, aber der Bauer war jetzt in einer so verzweifelten Stimmung, daß er sie nicht schonen konnte. ‚Der Rappe ist heute schon fünf Meilen gelaufen, da wirst du begreifen, daß er bald ermattet sein wird. Und die Last ist nicht leichter geworden, seit du dazu gekommen bist.‘

Die Schlittenkufen knirschten auf dem Eis; aber trotzdem vermeinte er zu hören, wie die Klauen der Wölfe hinter ihm aufschlugen, und er fühlte, daß die Raubtiere ihn nun eingeholt hatten.

‚Jetzt ist es aus mit uns,‘ sagte er. ‚Daß ich dich zu retten versucht habe, ist weder dir noch mir gut bekommen, Finnen-Malin.‘

Erst jetzt sprach das Weib ein paar Worte. Vorher hatte sie nur geschwiegen, wie jemand, der an Scheltworte gewöhnt ist.

‚Ich kann nicht verstehen, warum du deine Gefäße nicht abladest und die Last erleichterst,‘ sagte sie. ‚Du kannst ja morgen früh wiederkommen und sie zusammenlesen.‘

Der Bauer verstand, welch ein kluger Rat das war, und war nur höchst erstaunt, daß er nicht selbst daran gedacht hatte. Er übergab dem Weib die Zügel, löste den Strick, der die Gefäße zusammenhielt, und begann eifrig, sie abzuladen. Die Wölfe jagten schon neben dem Schlitten her, hielten aber jetzt an, um zu untersuchen, was da aufs Eis flog, und dadurch bekamen die Reisenden wieder einen kleinen Vorsprung.

‚Wenn das nicht hilft, werde ich mich selbstverständlich den Wölfen ausliefern, damit du entkommst,‘ sagte die Finnen-Malin.

Als sie dies sagte, war der Bauer eben dabei, einen großen schweren Braubottich vom Schlitten hinabzustoßen. Aber plötzlich hielt er inne, als wenn er sich nicht entschließen könnte, diesen abzuladen. In Wirklichkeit jedoch waren seine Gedanken von etwas ganz anderem in Anspruch genommen. ‚Ein Pferd und ein Mann, denen gar nichts fehlt, sollten doch eigentlich nicht gezwungen sein, sich wegen einer alten Frau von den Wölfen fressen zu lassen,‘ dachte er. ‚Es muß doch wohl noch einen Ausweg zur Rettung geben. Ja, ganz sicher gibt es einen; der Fehler ist nur, daß ich ihn nicht herausfinden kann.‘

Schließlich schob er wieder an dem Braubottich; doch plötzlich hielt er wieder an und brach in lautes Lachen aus.

Das Weib sah ihn erschreckt an und fragte sich, ob er verrückt geworden sei; aber der Bauer lachte nur über sich selbst, weil er bisher so dumm gewesen war.

Jetzt wußte er, was er tun mußte; es war das einfachste von der Welt, und er konnte gar nicht begreifen, daß es ihm nicht früher eingefallen war.

‚Paß nun wohl auf, was ich sage, Malin,‘ begann er. ‚Was du da gesagt hast, daß du dich den Wölfen vorwerfen wollest, war wirklich gut von dir. Aber das ist nicht nötig, denn ich weiß jetzt, wie uns allen dreien geholfen werden kann. Du mußt jetzt nur tun, was ich sage. Du nimmst die Zügel, und was ich auch danach tue, du bleibst ganz ruhig sitzen und fährst geraden Wegs nach Linsäll. Dort weckst du die Leute auf und sagst ihnen, daß ich hier mit zehn Wölfen allein auf dem Eise sei, und bittest sie, mir zu helfen.‘

Der Bauer wartete nun, bis die Wölfe wieder ganz dicht herangekommen waren. Dann wälzte er den großen Bottich aufs Eis hinab, sprang selbst nach und kroch darunter.

Es war ein großer, schwerer Bottich, dazu gemacht, einen ganzen Weihnachtsvorrat an Bier fassen zu können. Die Wölfe sprangen darauf zu, bissen in die Reifen und versuchten, den Bottich umzustürzen. Aber er war zu stark und zu schwer, sie konnten nichts ausrichten; der darunter saß, war sicher.

Ja, der Bauer wußte, daß er sicher war, die Wölfe konnten ihm nichts anhaben, und er lachte unter seinem Bottich.

Aber plötzlich wurde er sehr ernst. ‚Sobald ich wieder in irgendeiner Not bin,‘ sagte er, ‚werde ich an diesen Braubottich denken; und ich werde mich daran erinnern, daß ich weder mir selbst noch andern unrecht zu tun brauche. Es gibt immer noch einen dritten Ausweg, es handelt sich nur darum, ihn zu finden.‘“

Damit schloß Bataki seine Erzählung. Aber Nils Holgersson hatte jetzt schon gemerkt, daß Bataki nie eine Geschichte erzählte, ohne eine besondere Absicht dabei zu haben, und je länger er ihm zuhörte, desto nachdenklicher wurde der Junge.

„Ich möchte wohl wissen, warum du mir eigentlich diese Geschichte erzählt hast?“ sagte er schließlich.

„Ach, sie ist mir eben gerade eingefallen, als ich den Sonfjäll betrachtete,“ antwortete der Rabe.

Sie flogen nun weiter den Ljusnan entlang, und nach ungefähr einer Stunde gelangten sie an das Dorf Kolsätt, das gerade auf der Grenze von Hälsingeland liegt. Hier ließ sich der Rabe in der Nähe einer kleinen niedrigen Hütte nieder. Sie hatte keine Fenster, sondern nur eine Luke; aus dem Schornstein stieg ein mit Funken vermischter Rauch empor, und aus dem Hause heraus dröhnten laute Hammerschläge.

„Wenn ich diese Schmiede hier sehe,“ sagte der Rabe, „muß ich unwillkürlich daran denken, daß es in früherer Zeit im Härjedal und ganz besonders in diesem Dorfe hier ausgezeichnete Schmiede gegeben hat, die ihresgleichen im ganzen Reiche nicht hatten.“

„Kannst du mir nicht vielleicht auch von ihnen eine Geschichte erzählen?“ fragte der Junge.

„O doch, denn ich habe gehört, ein Schmied von Härjedal habe einmal zwei andere Schmiedemeister, einen von Dalarna und einen von Wärmland, zu einem Wettstreit im Nägelschmieden herausgefordert. Die Herausforderung wurde angenommen, und die drei Schmiede kamen hier in Kolsätt zusammen. Der Dalmann machte sich zuerst an die Arbeit. Er schmiedete ein Dutzend Nägel, die alle ganz gleich und so spitzig und glatt waren, daß sie nicht besser hätten sein können. Nach ihm kam der Wärmländer an die Reihe. Er schmiedete auch ein Dutzend Nägel, und diese waren über alles Lob erhaben, und dazu kam noch, daß dieser Schmied nur halb soviel Zeit dazu gebraucht hatte als der Dalmann. Als die zu Schiedsrichtern erwählten Männer dies sahen, sagten sie zu dem Schmied vom Härjedal, es hätte gar keinen Wert, wenn er noch irgendeinen Versuch machte, denn besser als der Dalmann und hurtiger als der Wärmländer könne er doch nicht schmieden.

‚Nein, ich ergebe mich nicht,‘ sagte der Mann vom Härjedal. ‚Es wird sich ja wohl noch etwas finden, womit ich mich auszeichnen kann.‘ Er legte das Eisen auf den Amboß, ohne es vorher in der Esse erhitzt zu haben, und hämmerte drauf los, bis es heiß war, und dann schmiedete er einen Nagel um den andern, ohne Kohlen oder einen Blasebalg zu brauchen. Noch niemals hatte man einen Schmied mit solcher Meisterschaft den Hammer schwingen sehen, und der Schmied von Härjedal wurde als der beste im ganzen Lande ausgerufen.“

Bataki schwieg, aber der Junge wurde noch nachdenklicher.

„Warum hast du mir das eigentlich erzählt, Bataki?“ sagte er.

„Ach, die Geschichte fiel mir ein, als ich die alte Schmiede da sah,“ antwortete Bataki ganz gleichgültig.

Die beiden Reisenden stiegen nun wieder miteinander in die Luft hinauf, und der Rabe flog jetzt südwärts nach dem Kirchspiel Lillhärdal auf der Grenze von Dalarna. Hier ließ er sich auf einem bewaldeten Hügel nieder, der ganz oben auf einem Bergrücken aufragte.

„Ob du wohl eine Ahnung davon hast, was das für ein Hügel ist, auf dem du jetzt stehst, Däumling?“ fragte Bataki.

Nein, der Junge mußte einräumen, daß er es nicht wußte.

„Es ist ein Grabhügel,“ sagte Bataki. „Hier ruht ein Mann namens Härjulf, und er ist der erste gewesen, der sich im Härjedal niedergelassen hat und das Land hier zu bebauen anfing.“

„Vielleicht kannst du mir auch von ihm eine Geschichte erzählen?“ bat der Junge.

„Ich habe nicht viel von ihm gehört, aber meiner Ansicht nach muß er ein Norweger gewesen sein. Er hatte zuerst bei einem norwegischen König im Dienst gestanden, aber es erhob sich ein Zwist zwischen ihnen, und so mußte er aus dem Lande fliehen. Da begab er sich zu dem schwedischen Könige, der in Uppsala wohnte, und trat bei diesem in Dienst. Aber nach einiger Zeit begehrte er die Schwester des Königs zur Ehefrau, und als ihm der König eine so vornehme Braut nicht geben wollte, entfloh er mit ihr. Jetzt war es soweit gekommen, daß er weder in Norwegen noch in Schweden wohnen konnte, und ins Ausland wollte er nicht ziehen.

‚Aber es muß doch wohl noch einen dritten Weg geben,‘ dachte er; und so zog er mit seinen Dienern und seinen Schätzen durch Dalarna hindurch immer weiter gen Norden, bis er die großen, wilden Wälder erreichte, die sich nördlich von Dalarna ausbreiteten. Dort siedelte er sich an, baute sich ein Haus und rodete den Wald aus, und so ist er der erste gewesen, der sich in dieser Einöde niedergelassen hat.“

Als Nils Holgersson diese Geschichte hörte, wurde er noch viel nachdenklicher. „Wenn ich nur wüßte, was du für eine Absicht dabei hast, daß du mir alles dies erzählst,“ sagte er noch einmal.

Bataki gab lange keine Antwort; er verdrehte nur den Kopf und kniff die Augen zusammen. „Da wir beide jetzt allein hier sind, will ich doch die Gelegenheit benützen und dich nach etwas fragen, was mir sehr wichtig ist. Hast du je genauen Bescheid darüber erhalten, unter welchen Bedingungen dir das Wichtelmännchen, das dich verwandelt hat, deine frühere Gestalt wiedergeben will?“

„Ich habe nie von einer anderen Bedingung gehört, als daß ich den weißen Gänserich wohlbehalten nach Lappland und wieder nach Schonen zurückbringen solle.“

„Das habe ich mir doch gedacht,“ rief Bataki; „denn als wir uns das letztemal sahen, nahmst du den Mund sehr voll und sagtest, es gäbe nichts Häßlicheres, als einen Freund, der sich auf einen verläßt, im Stiche zu lassen. Deshalb solltest du doch Akka einmal nach der Bedingung fragen. Du weißt, sie ist bei dir daheim gewesen und hat mit dem Wichtelmännchen gesprochen.“

„Davon hat mir Akka nichts gesagt,“ entgegnete der Junge.

„Sie hielt es wohl fürs Beste, dich in Unkenntnis darüber zu lassen, wie die Worte des Wichtelmännchens lauteten, denn sie will natürlich lieber dir als dem Gänserich Martin helfen.“

„Es ist doch sonderbar, Bataki, so oft ich mit dir zusammen bin, gelingt es dir, mir das Herz so recht schwer und unruhig zu machen,“ sagte der Junge.

„Ja, es mag wohl so aussehen,“ versetzte der Rabe, „aber ich glaube, diesmal wirst du mir doch dankbar sein, denn ich will dir die Worte des Wichtelmännchens jetzt mitteilen. Sie lauteten so: Du werdest wieder ein Mensch werden, wenn du den Gänserich Martin wieder heimbringest, damit ihn deine Mutter schlachten könne.“

Nils Holgersson fuhr auf: „Das ist gewiß nur eine boshafte Erfindung von dir!“ rief er.

„Du kannst ja Akka selbst fragen,“ sagte Bataki. „Da kommt sie eben mit ihrer ganzen Schar angeflogen. Vergiß nun nicht, was ich dir heute erzählt habe; es gibt immer einen Ausweg aus allen Schwierigkeiten, es handelt sich nur darum, ihn zu finden. Und ich freue mich schon jetzt darauf, zu erfahren, wie dir das glücken wird.“