Krallenspur

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»Aber nicht mal meine Eltern haben mir das geglaubt«, wiederholte ich, als wäre er schwer von Begriff. Ungeduldig stellte ich meine Teetasse auf den Tisch. Er konnte das unmöglich ernst meinen.

»Sie waren einfach nur froh, dass es dir gut ging.« Es hörte sich an, als wollte er sie entschuldigen.

»Aber …«

»Es gibt viele Dinge, die die Menschen nicht verstehen und auch nicht bereit sind zu glauben.« Er beugte sich vor und sah mich mit ernster Miene an. »Aber ich glaube dir, Celia …«

Die Art, wie er meinen Namen aussprach, brachte meinen Magen erneut zum Kribbeln.

»… alles, was du sagst. Dass dir ein Wolf als Kind das Leben gerettet hat und auch, dass er heute im Wald war und dich begleitet hat.«

Er sagte die Wahrheit. Ich konnte es in seinen Augen erkennen. Nur wieso tat er das?

Ich wollte ihn danach fragen, doch ich brachte keinen Ton heraus. Sein Gesicht war meinem jetzt so nahe wie an dem Abend vor Grandmas Haus. Nur noch ein winziges Stück und dann …

Er lehnte sich zurück. »Möchtest du noch Tee?« Seine Stimme klang eigenartig rau und bevor ich antworten konnte, war er aufgestanden und hatte das Wohnzimmer verlassen.

Er war ein absolutes Rätsel für mich. Warum benahm er sich so eigenartig? Erst lieb und mitfühlend und in der nächsten Sekunde war er wieder kühl und reserviert. So, als würde er absichtlich immer wieder diese Mauer zwischen uns aufbauen. Aber weshalb?

Während ich noch darüber nachgrübelte, ob das womöglich seine Masche war, um Mädchen aufzureißen, fiel mein Blick auf die graue Mappe. Etwas umständlich wickelte ich mich aus der Decke und ging zu dem Schränkchen hinüber. Neugierig klappte ich den Deckel auf und beim Anblick der großen weißen Bögen schnappte ich überrascht nach Luft.

Das war ich. Es waren alles Zeichnungen von mir, in unterschiedlichen Situationen. Einmal kaute ich an meinem Stift, so wie ich es manchmal im Unterricht tat, wenn ich nicht weiterwusste. Eine andere Zeichnung zeigte mich lachend und dann die aus dem Kunstunterricht. Er musste sie noch einmal aus dem Gedächtnis nachgezeichnet haben, denn das Original lag zu Hause in meinem Nachttisch.

»Hast du gefunden, was du gesucht hast?« Cassians Stimme ließ mich zusammenfahren.

»Ich wollte nicht …«

»Was? Herumschnüffeln?« Sein Tonfall zeigte, dass er verärgert war. Er stellte die Tassen auf den Tisch und kam zu mir.

Ich biss mir auf die Unterlippe, denn es war auffällig, wie er darauf achtete, nicht meine Hände zu berühren, während er mir die Blätter aus der Hand nahm. Umso liebevoller behandelte er seine Zeichnungen. Behutsam schob er sie in die Mappe zurück und verknotete die Enden der Bänder sorgfältig zu einer Schleife, als wollte er damit verhindern, dass ich sie erneut öffnete.

»Du zeichnest wirklich toll.« Nicht sehr originell. Das Kompliment hatte ich ihm schon im Kunstunterricht gemacht. »Und offensichtlich bin ich ein interessantes Studienobjekt«, versuchte ich die Situation weiter zu entschärfen, erfreut, dass ich ihn offenbar doch mehr beschäftigte, als ich angenommen hatte.

»Du hast ein ganz interessantes Gesicht.« Seine Stimme klang wieder vollkommen cool, ja beinahe gelangweilt.

»Das, auf dem ich die Augen geschlossen habe, gefällt mir besonders. Es sieht so aus, als würde ich schlafen.«

»Das hast du auch.«

Ich stutzte. Moment, was hatte er da gerade gesagt? Ja, klar doch. Ich lachte. »Unsinn. Du hast mich nie schlafen gesehen.«

Diesmal wich er meinem Blick aus.

»Also, wie hast du das gerade gemeint?«

»Wie ich es sagte.«

»Aber du hast doch eben behauptet …« Mir fiel ein, dass ich ja vorhin tatsächlich geschlafen hatte. »Ach, du hast mich hier auf der Couch gezeichnet.«

Er hatte mich die ganze Zeit nicht angesehen und auch jetzt tat er es nicht. »Nein, nicht hier, sondern in deinem Zimmer.«

»In meinem Zimmer?«

»Ja. Nachts.« Er sprach so leise, dass ich glaubte, mich verhört zu haben. Was sollte das denn? Wollte er mich veralbern?

»Du glaubst mir nicht?«

»Nein.« Ich drehte mich um und ging zum Sofa zurück. Dort setzte ich mich, zog die Decke um meine Beine und nahm die Tasse. Mir war nicht mehr nach Tee, aber ich brauchte irgendetwas, um mich daran festzuhalten. War er übergeschnappt? Warum sagte er so etwas?

Er war mir nicht gefolgt, sondern stand noch immer bei dem kleinen Schränkchen, aber er beobachtete mich. »Und du hast auch keine Angst?«

»Natürlich nicht.«

»Du findest die Vorstellung nicht beunruhigend, dass ich einfach so nachts in dein Zimmer komme, während du schläfst?«

»Nein, denn es ist ja nicht wahr.« Wenn etwas verrückt war, dann dass der heißeste Typ unserer Schule bei mir einbrach, um mich zu zeichnen.

»Du solltest mir aber glauben. Ich war da.«

»Quatsch!«

»Doch!«, wiederholte er herausfordernd.

»Nein, warst du nicht und ich erkläre dir auch gerne, warum. Du kannst nämlich gar nicht in unser Haus gekommen sein. Oder hast du etwa die Haustür aufgebrochen? Nein, warte … du bist durch mein Fenster geflogen, stimmt’s?« Er musste doch einsehen, wie lächerlich seine Behauptung klang, und tatsächlich lachte er jetzt. »Okay. Du hast recht. Ich war nicht da.«

Na bitte.

Doch plötzlich wurde mir ganz komisch. Nein, das konnte nicht sein.

»Du warst doch da«, stieß ich hervor.

Er verzog keine Miene. »Ach? Jetzt auf einmal?«

Als er mir in die Augen sah, bekam ich eine Gänsehaut. Ich wusste nicht, weshalb, aber auf einmal war ich absolut sicher, dass er tatsächlich in meinem Zimmer gewesen war.

»Ja, denn ich kann mich jetzt wieder daran erinnern. Ich habe dich gesehen.« Lügen war etwas, das ich nicht sehr gut beherrschte, und natürlich glaubte er mir kein Wort.

»Aha. Und wann soll das gewesen sein?«

Aber mit dieser Frage hatte ich gerechnet. »Oh, du bist nicht nur einmal da gewesen.« Fast hätte ich mich jetzt doch selbst überzeugt, so locker klang es.

Doch er ließ sich nicht bluffen. »Und wie bin ich reingekommen? Du hast doch gerade selbst gesagt, ich hätte einbrechen oder fliegen müssen.«

Das war der schwache Punkt an meiner Geschichte. Aber wer weiß, vielleicht war er ja gar nicht wegen Drogen von den Schulen geflogen, sondern wegen Einbruchs? Aber ich verkniff es mir, meinen Verdacht laut auszusprechen.

Dafür probierte ich etwas anderes. »Mich interessiert eher, warum du da warst. Nur um mich zu zeichnen?«

»Wer weiß.«

Ich hatte nicht bemerkt, dass er zu mir herübergekommen war, aber plötzlich stand er neben mir und packte grob meinen Arm. »Und glaube mir, es wäre besser für dich, wenn dich das beunruhigen würde!« Seine Stimme hatte jetzt einen drohenden Unterton und seine Augen glitzerten gefährlich.

Ich war alleine mit einem Typen, den ich kaum kannte, mitten im Wald in seinem Haus und er war offenbar wirklich durchgeknallt. Er hatte es geschafft. Jetzt hatte ich Angst. Doch das durfte ich mir unter keinen Umständen anmerken lassen.

»Lass mich sofort los! Du tust mir weh!«, zischte ich. Doch ich konnte nicht verhindern, dass mir vor Aufregung die Tränen kamen.

Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er es tun würde, aber er ließ meinen Arm so abrupt los, als hätte er sich an mir verbrannt. Er wich sogar einen Schritt vor mir zurück.

»Verzeih«, murmelte er und wirkte jetzt richtig schuldbewusst, während er zusah, wie ich mir meinen tauben Arm rieb. Morgen würde ich bestimmt einen weiteren riesigen blauen Fleck an dieser Stelle haben.

»Ich hatte nicht die Absicht, dir wehzutun.«

»Das hast du aber«, fauchte ich. Meine Angst war wie weggeblasen. Jetzt war ich nur noch wütend. Was zum Teufel stimmte mit ihm nicht? Er musste verrückt sein. Anders konnte ich mir seine ständig wechselnden Stimmungen nicht erklären.

»Scheiße, tut mir leid, aber ich wollte …«

Es war bestimmt nicht klug, einen Verrückten zu reizen, aber ich hatte heute zu viel durchgemacht. »Ja, echt Scheiße«, fiel ich ihm wütend ins Wort »Du denkst wohl, du kannst dir alles erlauben? Hast du das mit den anderen auch so gemacht? Dann können sie ja echt froh sein, dass sie dich los sind! Was glaubst du eigentlich, wer du bist, Cassian Beckett?«

Ich sprang auf und die Decke flog zu Boden. »Du hast sie doch nicht mehr alle! Lass mich in Zukunft bloß in Ruhe, verstanden?«

Ich schnappte mir meine Turnschuhe und stürmte zur Tür. Ich musste hier raus und zwar sofort. Doch als ich versuchte, die Wohnzimmertür zu öffnen, rührte sie sich nicht. Er lehnte mit dem Rücken davor.

»Lass mich sofort hier raus«, verlangte ich und ballte meine Fäuste. Ich hätte ihn niemals geschlagen, aber das konnte er ja nicht wissen.

Beschwichtigend hob er die Hände. »Bitte hör mir nur einen Moment zu.«

»Nein!« Ich war nicht länger bereit, mir irgendwelche Verrücktheiten von ihm anzuhören. Ich wollte nur noch hier weg.

Er ließ die Hände sinken und stand jetzt da wie ein geprügelter Hund. Doch ich hatte kein Mitleid mit ihm.

»Lass mich durch!«, fauchte ich und endlich trat er zur Seite.

Noch immer wütend, riss ich die Tür auf und rannte an ihm vorbei in den Flur. Zum Glück kam genug Licht aus dem Wohnzimmer, um den Weg zur Haustür zu finden.

Die Luft war eiskalt und mit dem ersten Windstoß verrauchte auch meine Wut. Eine Weile stand ich einfach nur in Socken mit meinen Schuhen in der Hand da und starrte in die Dunkelheit. Aber was ich sah, war nur sein unglückliches Gesicht. Als sich meine Zehen in Eisklumpen zu verwandeln begannen, drehte ich mich um und kehrte ins Haus zurück.

 

Als ich das Wohnzimmer betrat, saß er auf dem Sofa. Er hatte die Ellbogen auf die Knie gestützt und den Kopf in seinen Händen vergraben. Schweigend setzte ich mich neben ihn.

Er reagierte nicht auf mich, sondern starrte nur weiter auf den Boden, als hätte er mein Kommen überhaupt nicht bemerkt. Eine Weile hockten wir so stumm nebeneinander, bis ich es nicht mehr länger aushielt.

»Du wolltest mir was sagen.«

Keine Reaktion.

»Ich hör dir jetzt zu«, versuchte ich es nach einigen Augenblicken noch einmal. Wieder nichts.

»Cassian?«

Immer noch nichts.

»Cassian, komm schon. Rede mit mir«, bat ich. Vielleicht verstand ich dann endlich, was mit ihm los war.

»Warum bist du zurückgekommen?« Er klang müde.

»Weil ich wissen will, warum du so ausgerastet bist. Ich versteh dich einfach nicht. Eben bist du noch nett, dann kühl, dann wieder freundlich. Und plötzlich flippst du vollkommen aus, spielst den Bad Guy und dann bedauerst du wieder alles. Das ist doch nicht normal. Was bitte ist los mit dir?« Es musste einen Grund für sein aggressives Verhalten geben und ich würde hier sitzen bleiben, bis ich ihn herausgefunden hatte. »Ich werde aus dir einfach nicht schlau«, seufzte ich.

»Und ich aus dir nicht.«

»Was?« Damit hatte ich nicht gerechnet.

»Ja.« Endlich sah er mich an. »Du schaffst es immer wieder, mich zu verblüffen, und das gelingt sonst nie jemandem, glaub mir.« Er verzog das Gesicht.

Wenn ich eine Comic-Heldin gewesen wäre, hätte ich in diesem Moment ein riesiges Fragezeichen über meinem Kopf gehabt.

»Vorhin hattest du Angst, mir deine Geschichte zu erzählen«, er lächelte, »aber wenn es wirklich gefährlich wird, dann brüllst du wie eine Löwin und reißt mir fast den Kopf ab. Du bist echt mutig, aber auch verrückt und dumm, weißt du das?«

»Danke. Du bist auch irre«, brummte ich.

»Ja. Das bin ich.« Er nickte. »Eindeutig.«

Eine Weile sagte wieder keiner von uns etwas, aber dann sprach er unvermittelt weiter: »Du wolltest doch wissen, warum ich das eben gemacht habe?«

Ich nickte.

»Es war, weil … weil ich dir Angst machen wollte.«

Wie bitte? Wieder glaubte ich, mich verhört zu haben.

»Ich musste das tun, weil du einfach nicht kapieren willst, dass du dich von mir fernhalten musst. Und ich Idiot bin auch noch schuld daran.«

Ich zuckte zusammen, als er unvermittelt aufsprang und unruhig auf und ab zu laufen begann.

»Wie meinst du das? Hey, alles okay bei dir?«

»Nein. Gar nichts ist okay. Es läuft alles total schief.«

»Was läuft schief?«

Als er mir nicht antwortete, verlor ich endgültig die Geduld. »Jetzt sag endlich, was dieses ganze Theater hier soll? Ständig sprichst du in Rätseln. Wirf mir nicht immer nur irgendwelche Brocken hin, sondern sag endlich, was los ist. Freunde haben doch keine Geheimnisse voreinander.«

»Freunde?« Er blieb stehen.

»Ja.« Ich schluckte, als ich seinen ungläubigen Ausdruck sah. Wie kam ich überhaupt darauf, dass wir welche waren? Wir kannten uns ja kaum. Aber als er sagte: »Wir können keine Freunde sein«, fühlte es sich dennoch an, als hätte er mich geschlagen. Natürlich. Er hatte ja gar kein Interesse an mir. Nicht mal an meiner Freundschaft. Wie hatte ich das auch nur eine Sekunde glauben können?

Ich hörte ihn seufzen. »Ich sage dir, dass du dich von mir fernhalten sollst, und du willst allen Ernstes mit mir befreundet sein? Du bist ganz sicher verrückt.«

»Dann bin ich eben verrückt oder dumm. Aber ich hab bestimmt keine Angst vor dir«, gab ich trotzig zurück.

»Aber ich habe Angst!«

Ehe ich ihn fragen konnte, was er damit meinte, kam er zu mir und kniete sich vor mich. Diesmal war seine Berührung ganz sanft, als er den Ärmel meines Sweatshirts hochschob. Seine Fingerabdrücke zeichneten sich noch deutlich auf meiner blassen Haut ab. Er presste die Lippen aufeinander, während seine Finger vorsichtig über die Male strichen.

»Ich wünschte, du könntest mir verzeihen«, flüsterte er. »Ich wollte dir niemals wehtun, es war nur …« Er ließ mich los. »Aber es spielt jetzt sowieso keine Rolle mehr, also kannst du auch gehen.«

Endlich begriff ich. Er hatte das alles nur gesagt und getan, um mich loszuwerden. Oh ja! Ich war echt dumm.

»Verstehe.« Ich drängte mit aller Kraft die albernen Tränen zurück, die unbedingt herauswollten. »In Zukunft mache ich garantiert einen riesigen Bogen um das Haus hier. Und vielleicht kann ich ja auch einen anderen Partner in Kunst kriegen. Keine Bange, ich geh dir bestimmt nicht mehr auf die Nerven.«

Am liebsten wäre ich weggerannt, aber meine Beine versagten mir ihren Dienst und jetzt konnte ich auch die idiotischen Tränen nicht mehr länger zurückhalten.

»Du denkst, du würdest mir auf die Nerven gehen?« Er lachte, aber es klang bitter. »Verdammt noch mal, ich wünschte, es wäre so!«

Ich spürte seine Hand an meinem Kinn und er zwang mich, ihn anzusehen.

»Du weißt gar nicht, was du da gerade anrichtest, Celia. Aber wenn du wirklich gehen würdest … ich weiß nicht, was ich …« Er sprach nicht zu Ende und ich starrte ihn an, ohne zu begreifen, was er meinte.

»Und doch, es wäre klüger, wenn du dich von mir fernhältst. Ich bin … was hast du vorhin gesagt? Ein Bad Guy? Damit bist du näher an der Wahrheit, als du ahnst. Ich bin schlecht. Besonders für dich. Aber ich … ich schaff es einfach nicht, dich wegzuschicken, und es ändert auch nichts daran, dass ich mit dir zusammen sein will.«

Er wollte …? Nein. Ich musste fantasieren. Wahrscheinlich hatte ich mich erkältet und Fieber.

»Bitte hör auf zu weinen. Glaub mir, ich bin keine deiner Tränen wert.« Leicht wie der Flügelschlag eines Schmetterlings strich sein Daumen über meine Wange und wischte die feuchte Spur fort.

»Und es ist verdammt egoistisch von mir, dich zu bitten, bei mir zu bleiben.« Seine Stimme klang plötzlich wieder rau. »Aber ich tu es, süße Celia. Ich bitte dich darum.«

Durch den Tränenschleier starrte ich ihn an. Das alles konnte nur einer meiner Träume sein.

Er griff nach meiner Hand und drückte sie sanft.

»Was sagst du?«

»Ich … ich versteh das alles nicht. Du wolltest doch, dass ich verschwinde …«, flüsterte ich und starrte auf seine Hand, die meine hielt. »Und ja, doch, ich habe auch Angst.«

Er ließ mich sofort los und rückte ein Stück von mir ab.

»Nein.« Ohne nachzudenken, legte ich ihm jetzt meine Hand auf den Arm. »Nicht vor dir«, versuchte ich zu erklären, »oder irgendwie doch … Davor, dass du es dir morgen wieder anders überlegst. Was, wenn du nur irgendwelche Spielchen mit mir spielst? So wie mit den anderen?«

Es war einen Moment still, dann sagte er: »Was auch immer ich getan habe, ich habe nicht mit den Mädchen in der Schule ›gespielt‹. Es gab einen Grund, warum ich mit ihnen zusammen war, aber ich schwöre dir, ich habe für keine irgendwas empfunden. Und das mit dir, das ist was völlig anderes.«

Es klang verwirrend, was er da sagte, und doch auch aufrichtig. Und ich wollte so gern, dass es wahr war. Aber was, wenn er das auch zu den anderen gesagt hatte? Wenn es nur ein Trick war, um mich rumzukriegen?

»Ich kann verstehen, wenn du mir nicht glaubst. Aber es ist die Wahrheit. Als ich dir in der Schule das erste Mal begegnet bin, hat mich das total aus der Bahn geworfen. Ich wollte meine Gefühle für dich nicht wahrhaben und hab sogar versucht, dir aus dem Weg zu gehen. Aber es hat nicht funktioniert.« Er verzog sein Gesicht und ich wusste, dass er an unsere Begegnung in der Bibliothek dachte.

»Können wir nicht einfach noch mal von vorne anfangen und so tun, als hätte es die anderen nie gegeben und das hier gerade wäre auch nicht passiert? Ich werde dich nicht enttäuschen. Das schwöre ich dir! Aber …«, er machte eine kleine Pause, »… falls du mit mir zusammen sein willst, musst du mir auch vertrauen.« Er holte tief Luft. »Ich meine, nicht nur wegen der Mädchen. Es gibt da auch noch andere Dinge. Etwas, über das ich nicht reden kann. Mein Leben ist kompliziert, weißt du? Deswegen wollte ich mich auch nicht auf dich einlassen.« Er stieß ein leises Seufzen aus. »Was kann ich noch sagen oder tun, damit du mir glaubst? Oder habe ich gar keine Chance bei dir?«

Er berührte mein Gesicht, während ich noch immer keinen Ton herausbrachte. Sanft strich er über meine Lippen und der Ausdruck seiner Augen war liebevoll und unsicher zugleich und wie ein Magnet zog mich sein Blick an, bis mir sein Gesicht so nahe war, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren konnte. Als seine Lippen mich endlich berührten, war es wieder wie ein Stromschlag, doch ich zuckte nicht zurück.

Natürlich war das nicht mein erster Kuss. Vor einem Jahr war ich ein paar Wochen mit Brian Lauders gegangen. Mit ihm war es nett gewesen. Aber eben nur nett und ihm war es mit mir wohl ebenso ergangen, denn er hatte ziemlich schnell wieder Schluss gemacht.

Doch Cassians Kuss war anders. Er riss mir den Boden unter den Füßen weg. Wie ferngesteuert schlang ich meine Arme um seinen Nacken, rutschte auf den Boden zu ihm herunter und erwiderte hemmungslos seinen Kuss, während mein Herz wild hämmerte und ich in einen Strudel von Gefühlen gerissen wurde. Megan und die anderen waren mir egal. Alle Zweifel und Fragen waren vergessen. Nur dieser Augenblick zählte. Er zählte und ich vergaß alles um mich herum.

Doch viel zu schnell löste sich Cassian wieder von mir. Schwer atmend schob er mich von sich und betrachtete mich mit einem seltsamen Ausdruck. Es musste wohl am Licht liegen, dass seine grauen Augen wieder so grünlich schimmerten, aber unser Kuss schien ihn ebenso wenig kalt gelassen zu haben wie mich.

»Du bist wirklich unglaublich!« Seine Stimme klang so sexy heiser, dass ich ihn sofort noch einmal küssen wollte. Doch er hielt mich fest.

»Nicht. Bitte. Lass mir einen Augenblick Zeit, ja?«, murmelte er und seufzte. »Ich glaube langsam, du bist diejenige, die gefährlich ist, und ich sollte mich wohl vor dir vorsehen.«

»Wieso bin ich gefährlich?«

Sein Blick wurde weicher und sein Mund verzog sich zu einem leichten Lächeln. »War das dein erster Kuss?«

Oje, hatte ich mich etwa dumm angestellt und es war für ihn doch nicht so schön gewesen, wie ich geglaubt hatte?

»Nein … äh. Oder doch …«, stotterte ich verlegen. »Irgendwie schon.« Ich erzählte ich ihm von Brian.

»Der Typ ist ein Schwachkopf«, brummte Cassian und zog mich wieder an sich, »was für ein Glück für mich.«

Unser nächster Kuss war sehr viel sanfter, was hauptsächlich an ihm lag. Mir gelang es weniger gut, mich zurückzuhalten, und schließlich war wieder er es, der ihn beendete.

Er lächelte, als er meinen unzufriedenen Gesichtsausdruck bemerkte. »Du unterschätzt deine Wirkung, meine Schöne, und du solltest nicht zu sehr mit dem Feuer spielen.«

Ich folgte seinem Blick an sich herab nach unten und prompt begannen meine Wangen zu glühen.

»Wir könnten ja auch was anderes machen, wenn du willst«, murmelte ich verlegen.

»Ich würde am liebsten was ganz anderes machen, wie du siehst.« Ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht und ich fühlte, wie sich die Hitze auf meinem noch verstärkte.

»… aber ich fürchte, wir haben keine Zeit mehr.« Er nickte zu der Standuhr hinüber und ich erschrak, als ich sah, wie spät es schon war.

Cassian bot mir diesmal an, mich zu fahren, damit es schneller ging, und als er seinen Wagen aus dem Schuppen hinter dem Haus holte, staunte ich nicht schlecht.

Er fuhr ein schwarzes Cabrio. Einen Audi R8 Spyder. Nicht, dass ich mich mit europäischen Sportwagen auskannte, aber der Wagen sah cool aus, also fragte ich ihn danach und sah mich neugierig um, während ich in dem weichen Ledersitz Platz nahm. Das Auto war bestimmt nicht billig und unwillkürlich fragte ich mich, woher er wohl so viel Geld hatte.

Der eine Teil von mir hoffte, dass ihm sein Onkel den Wagen geschenkt hatte, weil er zu wenig Zeit mit seinem Neffen verbrachte. Aber der andere fürchtete, dass es etwas mit den Dingen zu tun haben könnte, über die er nicht reden konnte. Was, wenn er das teure Auto gestohlen oder von Drogengeld gekauft hatte?

Stopp!

Er hatte mich gebeten, ihm zu vertrauen, und das würde ich von nun an auch.

Außerdem blieb mir keine Zeit für weitere Spekulationen. Cassian hatte darauf geachtet, dass ich mich anschnallte, und als er losfuhr, wusste ich auch, warum. Er raste in einem unglaublichen Tempo die enge Einfahrt hinunter und am Ende, kurz vor der Hauptstraße, ließ er den Sportwagen mit unverminderter Geschwindigkeit auf die Straße schießen. Erschrocken presste ich mir eine Hand auf den Mund, während er das Lenkrad kreisen ließ und wir um die Ecke glitten, denn ich rechnete fest damit, dass wir gleich mit einem anderen Auto zusammenstoßen würden. Bei dieser Geschwindigkeit konnte er unmöglich gesehen haben, ob ein anderer Wagen kam. Doch wir hatten Glück. Die Straße war leer und wir jagten in halsbrecherischem Tempo weiter, bis er Sekunden später vor unserem Haus bremste.

 

Als der fauchende Motor erstarb und ich mit wackeligen Beinen aus dem »Rennwagen« ausstieg, war ich über zwei Dinge äußerst erleichtert. Ich hatte eine Nachricht von Grandma auf meinem Handy, dass sie etwas später kommen würde, und was noch viel wichtiger war, wir hatten die Autofahrt tatsächlich überlebt. Also bat ich Cassian noch kurz herein.

»Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe«, entschuldigte er sich, während er hinter mir die Treppe zu meinem Zimmer hinaufstieg. »Aber du hattest es doch eilig.«

»Dann fährst du sonst nicht so?«, erkundigte ich mich halb erleichtert, halb misstrauisch, als wir oben angekommen waren.

Er grinste. »Doch, eigentlich schon.«

»Und wieso hast du mich beim letzten Mal nicht einfach nach Hause gefahren?«

Sein Grinsen wurde verlegen. »So hat es länger gedauert und ich hätte im Auto nicht einfach so deine Hand halten können.«

Ich hatte keine Zeit, einen roten Kopf zu bekommen, denn unten wurde die Haustür geöffnet.

»Das ist meine Grandma …« Aber ich stand allein im Flur. Ungläubig sah ich mich um. Cassian, der eben noch neben mir gestanden hatte, war verschwunden. Aber er konnte sich doch nicht so einfach in Luft auflösen?

Meine Zimmertür stand weit offen, aber als ich das Licht anschaltete, war der Raum leer. Wenn er nach unten gegangen wäre, hätte er Grandma direkt in die Arme laufen müssen. Aber das war er nicht, denn anstatt mit jemandem zu sprechen, fragte sie nur, ob ich wüsste, wem der schwarze Sportwagen vor dem Haus gehörte.

»Keine Ahnung«, schwindelte ich. »Steht da einer?«

Nervös lief ich zum Fenster. Nein. Hier konnte er auch nicht hinausgeklettert sein. Er hätte sich den Hals gebrochen, wenn er es versucht hätte, aber zu meiner Erleichterung war der Kiesweg leer.

Als ich die Treppe hinunterstieg, um Grandma zu begrüßen, hatte ich das Rätsel seines Verschwindens noch immer nicht gelöst. Aber ich würde es erfahren, wenn wir uns wiedersahen, und bei dem Gedanken daran spürte ich wieder dieses wunderbare Kribbeln.

Ich war allein im Wald. Es war dunkel, doch am Himmel konnte man die Sterne sehen. Außerdem war mein Wolf bei mir. Wie ein Hund wedelte er mit dem Schwanz und als ich mich bückte, um ihn zu streicheln, fuhr er mir mit seiner rauen Zunge über das Gesicht. Lachend schloss ich die Augen. Doch plötzlich hörte es auf.

Als ich die Augen öffnete, war er verschwunden. Stattdessen kam Cassian auf mich zu. Er zog mich an sich und dann fühlte ich seine warmen Lippen auf meinem Mund …

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?