Eiserner Wille

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Wenn ich in den Ring stieg, nahm ich irgendwie Rache an all den Menschen, die mich als Kind fertiggemacht hatten. Wenn du tyrannisiert wurdest, wird dich das dein Leben lang begleiten. Niemand würde mir je wieder ein Haar krümmen. Wann immer ich in den Ring stieg, stellte ich mir vor, dass ich gegen die Leute kämpfte, die mich herumgeschubst hatten, als ich jünger war. Ich meinte es todernst. Ich tat das nicht, um mich zu motivieren. Ich war hungrig nach Macht und Ruhm.

Nachdem Cus die Berichte über meine emotionale Reaktion auf meinen ersten Sieg bei den Smokers gehört hatte, begann er eine neue Technik anzuwenden, damit ich lockerer wurde und konzentrierter meine Ziele verfolgen konnte. Er hatte mir schon von Hypnose erzählt, als ich anfing, mit ihm zu trainieren, und jetzt war es an der Zeit für mich, diese Erfahrung zu machen. Ich war aufgeregt, weil ich Angst davor hatte, meine Nervosität und Unsicherheit nicht in den Griff zu bekommen. Cus quetschte mich und ein paar andere Boxer in seinen alten, schäbigen Kombi und fuhr mit uns nach Manhattan zu John Halpin. Halpin war Sozialarbeiter beim NYC Department of Welfare. Er hatte Vorbereitungskurse für ein Medizinstudium belegt, diese aber abgebrochen, als der Zweite Weltkrieg begann. Nach dem Krieg schwenkte er auf Hypnose um und eröffnete eine Praxis in Central Park West. Dort arbeitete er mit Diätpatienten, Rauchern, Trinkern und Drogenabhängigen.

Cus hatte über einen befreundeten Chiropraktiker von Halpin gehört. Die beiden Männer verstanden sich sofort. Sie hatten beide großen Respekt vor dem Unterbewusstsein und kannten sich damit aus. Nachdem wir in Halpins Praxis angekommen waren, sollten wir uns erst einmal auf den Teppich legen. Dann versetzte er uns in Hypnose. Als wir hypnotisiert waren, überließ er es Cus, uns zu konditionieren. Cus sprach jeden einzelnen von uns an und ging die Bereiche durch, die wir verbessern mussten. Ihm war wichtig, dass er es war, der mit mir sprach, während ich unter Hypnose stand, damit ich seine Stimme verinnerlichte.

Cus sagte: „Du bist eine Kampfmaschine, Mike. Du bist der beste Kämpfer, den Gott je erschaffen hat. Die Welt hat noch nie einen Kämpfer wie dich gesehen, und wenn du deine Schläge kombinierst, kannst du grausam sein. Du arbeitest darauf hin, so viele Schmerzen wie möglich zu verursachen.“

Cus redete eine Stunde lang auf mich ein. Es war, als verließ ich meinen Körper. Ich sah ihn auf dem Stuhl und mich auf dem Boden. Dann holte mich Halpin aus meiner Trance und wir fuhren zurück in den Norden. Nach dieser Erfahrung fühlte ich mich nicht anders, aber ich zeigte bessere Leistungen als zuvor, ebenso wie die anderen Jungs, die hypnotisiert worden waren. Am Tag darauf hörtest du in der Sporthalle: „Heiliger Strohsack, was für ein Unterschied. Dieser Typ ist wirklich viel entspannter im Ring.“ Und das verschwand auch nicht nach ein paar Tagen. Für manche war es tatsächlich ein Durchbruch.

Natürlich half die Hypnose nicht jedem. Einmal fuhren wir mit Matthew und Alex Hilton, zwei lebenslustigen, verrückten Kanadiern, zu Halpin. Alex war die Nacht davor unterwegs gewesen und schlief beim Hypnotisieren sofort ein. Er schlief tief und fest und schnarchte, aber weil Cus schwerhörig war, bemerkte er nicht, was los war. „Schau, schau, er ist unter Hypnose“, sagte er ganz aufgeregt.

Cus fing an, mich sogar im Haus, vor dem Training oder vor einem Kampf unter Hypnose zu setzen. Ich musste mich auf den Fußboden im Wohnzimmer legen oder in einen großen, bequemen Stuhl setzen, und dann begann er mit der Entspannungstechnik – der Kopf, die Augen, die Arme, die Beine, mein ganzer Körper wurde schwer. Wenn ich dann total entspannt war, fing er wieder mit seiner Leier an: Ich sei der grausamste und unberechenbarste Kämpfer, den die Welt je hervorgebracht hatte.

Manchmal gab er mir genauere Anweisungen: „Dein Jab ist wie eine Waffe. Wie ein Rammbock. Dein Ziel ist es, ihm seine Nase in den Hinterkopf zu stoßen. Du schlägst mit bösen Absichten. Du bewegst deinen Kopf nach jedem Punch. Du bist eine Plage vor dem Herrn – die Welt wird sich an deinen Namen erinnern, von nun an bis in alle Ewigkeit. Ich sage dir all das nicht, weil du unfähig wärst, all das zu tun. Das hier ist keine Séance. Du kannst es. Ich muss dich nur dazu bringen, dass du dich entspannst, das wird dir helfen.“

Es war absolute Scheiße. Und ich glaubte das alles. Cus brauchte nicht einmal in der Nähe zu sein. Ich war in meinem Zimmer und hörte seine Stimme, beinahe telepathisch. Ich lernte, mich selbst zu hypnotisieren, und vor jedem Kampf setzte ich mich im Umkleideraum unter Hypnose und wiederholte das, was Cus mir gesagt hatte.

Cus ließ jeden, der mit ihm trainierte, Affirmationen machen. Er sagte zu jedem Boxer: „Nicht jeder wird Champion, aber wenn du die Prinzipien und Techniken anwendest, die ich dir beibringe, wirst du erfolgreich sein, egal wie hoch die Anforderungen sind. Mein Ziel ist es, dass sich der Charakter einer Person entwickelt, sodass sie die Fähigkeit hat, über sich hinauszuwachsen und erfolgreich zu sein, egal woher sie kommt oder wie schwierig die Aufgabe ist.“ Er sagte uns, wir könnten unsere Affirmationen auch konkretisieren, indem wir nicht nur sagten: „Tag für Tag werde ich in jeder Hinsicht immer besser“, sondern statt dessen auch: „Tag für Tag werde ich in jeder Hinsicht ruhiger, sehe mehr im Ring und werde immer besser“, oder: „Jeden Tag wird mein geschwollener Knöchel besser und besser.“

Cus ließ mich meine hypnotischen Suggestionen in meine Affirmationen einbauen, und statt des weniger intensiven „Tag für Tag werde ich immer besser“, suggerierte ich mir nun, dass ich Tag für Tag immer mehr zum grausamsten Kämpfer werde, den die Welt je gesehen hat. Den ganzen Tag sagte ich mir vor: „Der beste Kämpfer, niemand auf der Welt kann mich schlagen, der beste Kämpfer, niemand auf der Welt kann mich schlagen …“ Je öfter ich es sagte, desto mehr glaubte ich es.

Cus fing an, mich für meine Leistungen im Ring zu belohnen. Er stellte mir Verschiedenes in Aussicht. Klamotten waren damals meine Schwäche, deshalb sagte Cus: „Du willst diese Lederjacke? Du willst diese tollen Sneakers? Dann gewinne das Turnier. Denk daran, du musst deine Gegner immer als Nahrung betrachten.“ Wenn ich ein örtliches oder regionales Turnier gewann, fand er irgendwelche Belohnungen für mich, selbst wenn es Dinge waren, von denen ich nicht wusste, ob ich sie überhaupt wollte. „Findest du nicht, dass das wunderschön ist? Ich wette, das gefällt dir.“ Natürlich war der ultimative Preis, den er mir in Aussicht stellte, die Meisterschaft im Schwergewicht. Weltmeister im Schwergewicht zu sein zählte für Cus wesentlich mehr, als Präsident der Vereinigten Staaten zu sein.

Cus hatte kein Geld und wir lebten alle von einem knappen Budget, aber wenn es nach ihm ging, wurde ich behandelt wie ein König. Er bekam für mich eine kleine Summe Geld vom Staat New York, doch als ich einmal neunzig Prozent davon für Schulklamotten für eine hippe Lederjacke ausgeben wollte, gab er zu bedenken: „Du gibst das ganze Geld für eine Jacke aus? Du brauchst doch auch noch Socken und Unterwäsche.“ Aber dann machte er doch das Geld locker. Cus’ gesamter Betrieb in Catskill wurde von seinem engen Freund Jimmy Jacobs und Jacobs’ Geschäftspartner Bill Cayton finanziert.

Eine weitere Taktik, die Cus nutzte, um mich zu inspirieren, war, Weltklasse-Boxer nach Catskill zu bringen. Wilfredo Benitez kam vorbei, um dort zu trainieren, und es war, als würde ich auf den Heiligen Gral blicken, als er mir seinen Meisterschaftsgürtel zeigte. Ein anderes Mal kam Gerry Cooney nach Catskill, um Cus zu besuchen, und ich freute mich riesig über ein Autogramm von ihm.

All das war Teil von Cus’ Bestreben, mein Ego zu stärken. Ich hatte kein Selbstbewusstsein, als ich nach Catskill kam. Ich war auch nie eifersüchtig oder neidisch auf irgendjemanden gewesen, bevor ich Cus traf, aber er weckte diese Gefühle in mir: „Du solltest das haben“ oder „du könntest diesen Kerl schlagen, du bist besser als er.“ Er sagte nicht: „Du könntest besser sein, wenn du hart trainierst“, sondern: „Warum sollte er das haben und du nicht?“ Dies aus seinem Mund zu hören, klang fordernd und einschüchternd.

Ich war ein feiger kleiner hinterhältiger Bursche gewesen, als ich noch in Brooklyn war, ohne Ego und ständig auf Betrügereien aus. Ich schaute zu den anderen Teenagern auf, die älter und charismatischer waren als ich. Doch Cus posaunte in die Welt hinaus, dass ich der jüngste Weltmeister im Schwergewicht werden würde. Und ich hätte es verdient. Jetzt musste ich dem ganzen Mist nur noch gerecht werden. Ich musste so großen Hass aufbauen, dass ich nicht davor zurückschreckte, jemanden schwer zu verletzen, um an die Weltspitze zu gelangen. Ich wollte in dem, was ich tat, der Beste auf dem ganzen Planeten sein. Cus schmiedete den Plan für uns und ich hatte keinen Zweifel, dass er funktionieren würde. Ich war ein arroganter Hurensohn, und mir war nicht bewusst, dass ich andere damit beleidigte, wenn ich damit prahlte, der jüngste Schwergewichtsmeister zu werden.

Ich schlüpfte in eine Rolle. Ich war ein Chamäleon. Cus gab mir Nietzsche zu lesen, als ich fünfzehn Jahre alt war. Ich konnte kaum meinen Namen buchstabieren, aber ich dachte, ich wäre Superman. Ich ging zu den Smokers und zu den Vereinskämpfen. Diese Orte waren widerliche Jauchegruben, bevölkert von allen möglichen Schlägern von der Straße, die wie Verbrecher aussahen, richtig harte Kerle. Ich kam zur Tür herein und sie starrten mich an und ich starrte zurück. Wir waren nichts als ein Haufen Mistkerle, aber ich hielt mich für vornehm, für einen großartigen Gladiator, bereit zum Kampf. Ich war ein gottverdammter Schmock, gerade einmal fünfzehn Jahre alt. Mein Leben bestand daraus, mir Zeichentrick-, Karate- und Boxfilme anzusehen und mir ständig einen runterzuholen. Aber ich war vornehm!

 

Ich konnte meine Kämpfe kaum erwarten. Ich konnte es kaum erwarten, in diese überfüllten Räume zu schreiten, weil ich wusste, dass mir die Leute applaudieren würden. Sie hatten noch nie zuvor jemanden wie mich gesehen. Sie mussten mich für verrückt halten, weil ich jeden so finster anstarrte. Ich sprach mit niemandem. Wenn Cus mit jemandem redete, ohne mich demjenigen vorzustellen, sprach ich nicht mit ihm, ich starrte ihn nur an. Falls er mir die Hand entgegenstreckte, ignorierte ich sie. Vor einem Kampf nahm ich kein Bad. Ich wollte größtmögliche Respektlosigkeit ausstrahlen, das aber kontrolliert. Cus liebte es, wenn ich ein gemeines kleines Kind war. Er sorgte immer für Chaos und Verwirrung, blieb selbst aber völlig gelassen.

Cus war von der Psychologie des Kämpfens bis ins Mark durchdrungen. Ich konnte nicht genug von ihm bekommen. Ich absorbierte diesen alten, glatzköpfigen Mann, war entschlossen bis zum Äußersten. Cus ließ mich glauben, wo immer ich auftauchte, müsste ich behandelt werden wie ein Gott, denn ich war der Größte. Und ich versuchte, diesen Kerl glücklich zu machen, indem ich seine Visionen lebte. Er sagte, ich sei der Größte – okay, dann war ich halt der Größte. Ich habe es akzeptiert. Nun war ich also ein Größenwahnsinniger mit geringem Selbstbewusstsein, weil dieser Mann ein Manipulationskünstler war. Es war großartig, dass Cus mir half, mich nicht mehr wie ein Stück Scheiße zu fühlen, doch nun übertrieb ich es. Nicht bloß aus Eitelkeit, das wäre noch untertrieben gewesen. Cus sagte mir, wenn alle Propheten einen Sohn hätten, und dieser Sohn wäre ein Kämpfer, dann wäre er dennoch nicht fähig, mich zu schlagen, denn ich war Cus’ Kämpfer. Ich sagte den Leuten, ich würde Olympiasieger werden und dann, nach ein paar Profikämpfen, der absolute Champion im Schwergewicht und schließlich der größte Boxer aller Zeiten. Keiner verstand, wie ich darauf kam. Cus hatte mich einer Gehirnwäsche unterzogen.

Meine erste große Bewährungsprobe auf dem Weg zu olympischem Gold war mein erstes Turnier bei der Jugend-Olympiade. Bis zum Turnier kämpfte ich weiter bei den Smokers, denn Cus wollte, dass ich in Übung blieb. Mein erster Kampf bei den Jugendspielen sollte in Saratoga stattfinden, aber mein Gegner trat nicht an. Das kam immer häufiger vor, je bekannter ich wurde. Ich gewann die nächsten drei Kämpfe durch K. o., und am 24. Juni 1981 flog ich nach Colorado Springs, um bei den nationalen Meisterschaften anzutreten. Ich musste innerhalb von vier Tagen drei Kämpfe gewinnen, um mir den Titel zu holen. Bevor ich ging, erinnerte mich Cus: „Denk immer daran, den anderen Kerlen geht es genauso wie dir.“

Ich pflügte durch meine ersten beiden Kämpfe, gegen Jesus Esparza und Randy Wesley, mit K.-o.-Siegen in der ersten Runde. Nach jedem Kampf rief ich Cus an. Er sagte, ich solle ruhig bleiben, denn mit jedem Sieg würde ich zunehmend ernster genommen werden. Er erzählte mir von Boxern, die dieses Turnier gewonnen hatten und danach Champions wurden. Manchmal erinnerte er mich daran, meine Führhand einzusetzen und dann einen Punch am Körper anzubringen. Ich war ein bisschen nervös, denn ich hatte so etwas noch nie zuvor erlebt, aber ich wollte unbedingt siegen. Ich wollte diesen Pokal.

In der Nacht vor dem Finale schlief ich nicht gut. Am Morgen des Kampfes joggte ich, machte ein kleines Work-out und anschließend einen Mittagsschlaf. Teddy Atlas und ich aßen noch eine Kleinigkeit, bevor wir in die Arena fuhren. Im Umkleideraum wärmte ich mich noch mit ein wenig Schattenboxen auf, bevor die Kampfrichter kamen, um meine Hände zu kontrollieren. Dann ging man einfach da raus. Man konnte den Ring vom Korridor aus sehen, und so sah ich mir die vorherigen Kämpfe an. Ich tat das wahnsinnig gerne, das brachte mich so schön in Stimmung. Dann war ich an der Reihe. Ich kämpfte gegen einen großen mexikanischen Jungen namens Joe Cortez. Ich wusste nicht viel über ihn, außer dass er ebenfalls alle seine Gegner k. o. geschlagen hatte. Er hatte mehr Kämpfe (seine Bilanz war 13:4), aber ich war besser in Form. Ich sah so aus, als wüsste ich, wie man boxt.

Mit Zuversicht stieg ich in den Ring. Ich hatte schon gegen erwachsene Männer geboxt, und für mich war er ein Kind. Die Glocke ertönte und ich ging zum Angriff über. Mit einer Linken beförderte ich ihn in die Seile und nach einer schnellen Kombination erwischte ich ihn mit einer kurzen Rechten am Kinn, und er ging k. o. – nach nur acht Sekunden. Damit hatte ich einen Rekord der olympischen Jugendspiele aufgestellt. Ich sprang in die Luft und fing wie ein Schwachkopf an zu weinen. Dabei fühlte ich mich richtig gut. Ich nahm den Pokal entgegen, dann fuhren wir zurück zum Hotel und riefen Cus an. Er war ganz aufgeregt, nannte mich „Champion“. Einen Rekord mit dem schnellsten Knock-out der Geschichte aufzustellen, tat nicht weh.

„Ich werde mich heute Abend ausruhen“, sagte ich ihm. „Ich will nicht, dass mir der Kopf noch mehr anschwillt.“

Als wir zurück nach Catskill kamen, hatte Cus die Stadt dazu überredet, ein großes Banner aufzuhängen, um mir zu meinem Sieg zu gratulieren. Und außerdem gab es zu Hause auch noch einen leckeren Kuchen, der auf mich wartete. Cus aß seinen Kuchen gerne mit Eiscreme. Der Kampf wurde eine Woche später auf ESPN im Fernsehen ausgestrahlt und Cus’ Freunde bei der Lokalzeitung wiesen in ihrem Blatt auf die Aufzeichnung hin. Wir machten eine Viewing-Party im Haus, und Cus lud alle Kids aus der Sporthalle mit ihren Eltern und einige Ortsansässige ein. Jeder freute sich darüber, dass die Stadt im Fernsehen erwähnt wurde, und Cus kündigte natürlich an, dass ich sie landesweit bekannt machen würde.

Ich wurde zu einem kleinen lokalen Helden. Auch in der Schule wurde ich beliebter. Ortsansässige kamen auf der Straße auf mich zu und gaben mir einen Klaps auf den Rücken. „Hey, du wirst eines Tages der Champ sein“, sagten sie. In Broolyn löste ich ähnliche Reaktionen aus, als ich zu Besuch dorthinkam. Wildfremde sprachen mich an: „Hey, du bist Mike Tyson. Ich hab dich im Fernsehen gesehen.“ Ich war noch ein Kind und es war überwältigend, dass Boxfans im ganzen Land wussten, wer ich war.

Ein paar Tage nachdem ich zurück war kam Cus in mein Zimmer. „Du musst dir unbedingt ein Hobby zulegen“, meinte er, „nicht jeder Tag wird so aufregend werden wie die letzte Zeit, wenn du erst mal Champion bist. Es wird dazwischen auch langweilige Tage geben. Du musst etwas haben, um dich abzulenken.“

Als Geschenk für meinen ersten Sieg bei den olympischen Jugendspielen erhielt ich von ihm Geld, um einen Taubenkäfig zu bauen und auszustatten. Cus hatte damals in der Bronx selbst schon immer Vögel gehabt, und er drängte mich dazu, in Catskill Tauben zu halten. Cus war ein weiser Mann. Ich schlug eine Menge Zeit mit diesen Vögeln tot. Ich liebte meine Tauben.

Als ich vom Titelkampf zurück war, stockte Cus mein Trainingsprogramm auf. Und dabei drehte sich alles nur ums Sparring; vom Laufen hielt er nicht viel. „Zeitverschwendung“, fand er. „In Gottes Namen, du wirst im Ring niemals laufen müssen, du musst nur boxen!“ Es ging ihm jeden Tag nur ums Sparring und ums Kämpfen. Ich hatte mit Bobby Stewart gesparrt, wann immer er vorbeikommen konnte, und dann mit Kids aus dem Ort, aber ich war zu viel für die Kerle aus der Nachbarschaft. Dann fing Cus an, Sparringspartner anzuheuern, aber viele dieser Typen blieben nicht – ich war zu schnell und zu grob für sie. Cus wollte, dass ich beim Sparring immer alles gab. Wenn ich einen Typen schlug, bumm, und ihn dabei verletzte, dann bekam er erst recht noch eins übergebraten – bumm-bumm-bumm-bumm-bumm-bumm! Ich hörte nicht auf, bis er am Boden lag. Als ich besser wurde, hatte ich zwei bis drei Sparringspartner pro Tag.

Ein paarmal kam ein neuer Kerl zu einer Session, fuhr aber schon mit der nächsten Bahn wieder zurück und ließ sein ganzes Zeug im Haus. Einmal stöberten Tom Patti und ich den Sachen eines dieser Typen herum und fanden dabei eine saugeile Lederjacke und coole Krokodillederschuhe. Dieser Typ rief noch mal an und sagte, seine Schuhe wären tausendfünfhundert Dollar wert und die Lederjacke drei Riesen, die Klamotten müsse er zurückhaben. Tommy und ich saßen am Tisch und aßen gemütlich weiter, während Cus sagte: „Wir wissen nichts von irgendwelchen Taschen mit Klamotten. Als du gegangen bist, hast du alles mitgenommen.“ Cus war wirklich angepisst, weil der Typ gegangen war. Wenn du so etwas tatest, hattest du bei Cus verschissen bis in die Steinzeit! Cus akzeptierte es, wenn jemand sagte: „Hey, Cus, ich fühle mich nicht gut, mit tut heute alles weh, ich glaube nicht, dass ich kommen kann“, aber nicht, wenn einer mittendrin ging. Wenn ein Boxer darüber klagte, dass ihm etwas wehtat, massierte er ihn und sagte dann zu ihm: „Mach weiter.“ Er trainierte die Sparringspartner, um es mir schwerzumachen. Wenn ich einen Fehler machte, sagte er ihnen: „Hey, wenn er diesen Fehler macht, schlägst du den Punch so hart du kannst. So hart du kannst, verstehst du?“

Ich ging in den Ring und Cus stand an der Absperrung des Rings und hielt sich am obersten Seil fest. „Beweg deinen Kopf“, bellte er, „Hände nach oben, beweg deinen Kopf. Hände nach oben beim Ausweichen.“ Wenn eine Runde zu Ende war, ging ich zurück in die Ecke und Cus gab mir noch ausführlichere Instruktionen, wie: „Stell dich so nahe zu ihm, dass er dir keinen Kinnhaken verpassen kann.“ Ich war dabei, einen neuen Sparringspartner einzuarbeiten, und während wir boxten, schrie er zu Cus hinüber: „Harter Junge, Cus.“ – „Hab ich dir doch gesagt.“ Cus strahlte. „Ich wollte nicht, dass du ’ne Überraschung erlebst. Er weiß, wie man kämpft, und er weiß, worum es geht.“

Immer wenn eine Session zu Ende war, ging ich rüber, um meine Boxhandschuhe aufzuschnüren zu lassen. „Sie sagen, du bist stark, aber sie sagen nicht, wie geschickt du bist. Wenn du nicht geschickt wärst, würdest du viel öfter eins drauf bekommen“, sagte Cus. – „Ich habe mich heute nicht so ins Zeug gelegt“, erwiderte ich. Ich war die ganze Zeit unzufrieden mit mir selbst. „Doch, das hast du“, gab Cus zurück. „Du wirst es vielleicht nicht verstehen und nicht zu schätzen wissen, was hier passiert ist, aber wir schon. Jeder von uns hier.“

Cus sah sich für gewöhnlich mit einem seiner Freunde meine Sessions an. Er feuerte mich an, und dann flüsterte er seinen Freunden irgendetwas zu wie: „Ich habe aus ihm einen starken Kerl gemacht, aber in anderer Hinsicht muss er noch stark werden. Er ist nicht so zäh oder so hart, wie die Leute ihn einschätzen. Wenn sie mich sehen, sagen sie: ‚Junge, Junge, du hast diesen Tyson. Er liebt es, zu kämpfen. Er liebt es, Leuten Schmerzen zuzufügen. Er fürchtet sich vor nichts.‘ Das stimmt so nicht, aber wenn wir mit ihm durch sind, wird er auf jeden Fall so aussehen.“

Cus war der Ansicht, dass ich nun bereit wäre, mit Profis zu sparren. Fünf Amateurkämpfe und er lässt mich schon gegen Profis kämpfen! Es kam, wie gewöhnlich, sehr kurzfristig. Frank Bruno kam einmal vorbei und Cus musste in der Schule anrufen, um mich aus der Klasse zu holen. „Es gibt einen Notfall hier im Haus. Jemand ist krank geworden und Mike muss nach Hause kommen“, sagte er, und ich durfte gehen. So konnte ich mit Bruno sparren.

Von all meinen Sparringspartnern mochte ich Marvin Stinson am liebsten. Er war ein hochtalentierter Amateurboxer, der gegen den großen Kubaner Teo Stevenson gekämpft hatte und auch gegen all die großartigen Russen. Zu dieser Zeit war er Larry Holmes’ Haupt-Sparringspartner. Cus verlangte von mir, in Holmes’ Camp zu gehen um zu trainieren, aber der weigerte sich: „Ich trainiere nicht mit Amateuren.“ Weiterer Treibstoff für Cus’ Hass auf Holmes. Nachdem ich eine Woche lang mit Marvin trainiert hatte, fragte Cus: „Was meinst du?“, und Marvin sagte: „Er könnte ohne Weiteres gegen Larry boxen.“

Marvin war solch ein großartiger Bursche. Durch das Sparren mit ihm erreichte ich ein ganz anderes Level. Zuerst war er sehr schwer zu treffen, und ich musste mich erst an ihn gewöhnen, bevor ich mich auf ihn einstimmen und punkten konnte. Er trat mir in den Arsch, daran gab es keinen Zweifel. Er hatte viel mehr Erfahrung, er trickste mich aus und landete sehr viele Treffer. Es beschäftigte mich den ganzen Tag und die ganze Nacht. Ich konnte den folgenden Tag kaum erwarten, denn ich wollte es besser machen. Aber dennoch war ich innerlich sehr nervös, denn ich wusste, wie stark er war. Cus ging mit mir immer das Sparring des vergangenen Tages durch, und Marvin erklärte mir: „Wenn du hier durchkommst, musst du das machen, wenn ich diese Bewegung mache, musst du genau das machen.“ Sie schulten mich alle beide.

Kurz nach meinem Sieg in der Jugend-Olympiade fuhr ich nach Brooklyn, um meine Ma zu besuchen. Ich war so aufgeregt. Ich war ein ganz anderer Mensch geworden. Mein Selbstvertrauen war zu der Zeit grenzenlos. Ich hatte nun ein Ego und wusste, dass ich der beste Boxer der Welt war. Bevor ich Cus kennenlernte, hatte ich nicht einmal davon geträumt, so etwas zu sagen – irgendjemand hätte mich auf der Straße in meinen verschissenen Hintern getreten, wenn ich das gesagt hätte. Sobald ich das Apartment betrat, sah mich meine Ma von oben bis unten an. „Wow, du siehst gut aus“, sagte sie und bewunderte meinen Körperbau.

 

„Ich werde der jüngste Weltmeister im Schwergewicht werden. Mein Manager sagt, ich sei der Beste von allen, niemand auf der Welt könnte mich schlagen“, prahlte ich.

„Nun, es gab Joe Louis. Es gab auch Cassius Clay", warnte sie mich. „Du musst vorsichtig sein, es gibt immer jemanden, der besser ist. Du musst immer daran denken, mit deinen Niederlagen ebenso gut umzugehen wie mit deinen Siegen.“

Ich wollte diese blöde Scheiße nicht hören.

„Ich werde keine Zeit haben, mit meinen Niederlagen umzugehen, denn ich werde mit all meinen Siegen zu tun haben“, sagte ich selbstgefällig. Ich wiederholte den ganzen Mist, den Cus mir erzählt hatte. Danach zog ich all die Zeitungsausschnitte hervor, die über meinen Sieg bei der Jugend-Olympiade berichteten, und legte sie vor ihr auf den Tisch.

„Es gibt immer einen Besseren, Sohn,“ sagte sie mit festem Ton.

„Kennst du diese Person, von der du sprichst, die immer besser ist als die anderen? Das bin ich. Ich stehe direkt vor dir. Ich bin diese Person.“ Cus hatte mit dieser Großmannssucht meinen Verstand kontaminiert. Warum habe ich das nur gesagt? Meine Mutter stand vom Tisch auf, ignorierte meine Zeitungsausschnitte und verließ den Raum. Sie hatte vermutlich nicht im Traum daran gedacht, dass ihr Sohn diese Person sein konnte. Sie dachte, ich würde auf der Straße sterben.

Der Rest meines Aufenthalts in Brooklyn war ziemlich ereignislos. Keine Überfälle, kein Gerangel. Nur die bittere Tatsache, dass eine Menge meiner Freunde ernsthaft kriminell geworden waren und den Preis dafür bezahlten. Nachdem ich wieder zurück in Catskill war, erhielt ich einen Anruf von meinem Freund John. Er hatte jemanden erschossen, und es war ihm zu unsicher, in der Gegend zu bleiben. Er hatte keine Ahnung, wohin er hätte gehen können. Ich lud ihn ein, zu mir in Cus’ Haus zu kommen und dort zu bleiben, bis die ganze Aufregung sich gelegt hatte. Er kam mit dem Zug, Cus redete eine Minute lang mit ihm und alles war cool. Cus hatte keine Ahnung, dass er einem Flüchtigen Unterschlupf gewährte.

Meine erste Niederlage erlitt ich im November 1981 bei einem Smoker in Rhode Island. Ich kämpfte gegen den lokalen Champ, einen älteren Kerl namens Ernie Bennett. Er war einundzwanzig und dabei, Profi zu werden. Die Hütte war gerammelt voll und wir kämpften hart über drei Runden. Die Menge jubelte die ganze Zeit, sogar wenn wir zwischen den Runden in unseren Ecken waren. Ich war überzeugt, die beste Leistung meines Lebens abzuliefern, besonders als ich ihn in der letzten Runde durch die Seile boxte. Aber er hatte den Heimvorteil bei den Punktrichtern, und ich fühlte mich des Sieges beraubt.

Ich weinte auf dem ganzen Nachhauseweg von Rhode Island nach Catskill. Aber Cus erwartete mich schon mit einem breiten Lächeln: „Ich hab gehört, du hattest einen großartigen Kampf. Bleib heute von der Schule zu Hause und ruh dich aus.“ Aber ich konnte nicht zu Hause bleiben. Bennett hatte mir ein blaues Auge verpasst und ich wollte in der Schule damit angeben.

„Mike, was ist passiert?“, fragten alle.

„Ich habe verloren“, sagte ich.

„Wow, du hast verloren?“

„Schon okay, ich habe gegen einen guten Boxer verloren. Keine Sorge, eines Tages bin ich der Champ, Jungs.“

Cus war in Hochform, wenn seine Boxer besiegt worden waren. Da brauchten wir seine Bestätigung am meisten. Cus’ laberte uns voll damit, dass wir uns nicht entmutigen lassen sollten. Du kannst weinen, du kannst dich beschweren, du kannst jammern, aber sei nicht entmutigt. Du steigst zurück in den Ring, als ob du den Typen k. o. geschlagen hättest, und nicht umgekehrt.

Ich war damals so sensibel. Ich explodierte aus heiterem Himmel. Cus liebte meine emotionale Seite, aber er wollte, dass ich sie beherrschte, besonders in der Schule. Er hatte so eine Bruce-Lee-Mentalität. Er wollte, dass du zu jeder Zeit bereit warst. Sowohl innerhalb als auch außerhalb des Rings. Cus wollte die Leute darauf trainieren, auf der Straße zu überleben, genauso wie er damals überlebt hatte. Immer wieder erzählte er die Geschichte, wie Mad Dog Coll ihm als Kind die Pistole ins Gesicht gedrückt hatte. „Ich hatte entsetzliche Angst, weil ich dachte, wenn er mich nicht umbringt, würde jeder denken, ich wäre ein Feigling. Aber wenn er mich umbringt, würden sie in alle Ewigkeit über mich reden, denn ich war ein Mann und habe der Waffe die Stirn geboten.“

Ich war ziemlich still, distanziert und launisch, auch nachdem ich das erste Mal bei der Jugend-Olympiade gewonnen hatte. Ich hatte mit Essstörungen zu kämpfen und kam auch noch in die Pubertät. Ich war schon immer ein fettes Kind gewesen; jeder in meiner Familie war fettleibig. Ich habe nach meinen Kämpfen immer Unmengen gegessen und dabei eine Menge an Gewicht zugenommen. Ich vermute, das gehört zum Erwachsenwerden. Ich schlug mich damit herum und gleichzeitig hatte ich den Wunsch, etwas zu erreichen. Ich bekam Akne, ich wurde geil, hatte aber keine Freundin. Ich hatte nur das Ziel, Champion zu werden.

Ich versuchte, Cus’ Direktiven zu verinnerlichen, um meinen Verstand zu kontrollieren, aber es war nicht leicht. Manchmal kriegte ich vor einem Kampf einen Weinkrampf im Umkleideraum. Ich heulte, bis ich nicht mehr konnte, und dann ging ich raus und machte den Typen fertig, als ob nichts gewesen wäre. Ich tat, was ich tun musste, um den Job zu erledigen.

Es war eine Sache, diese Ausbrüche im Umkleideraum zu haben, aber als ich sie in der Schule bekam, wurde es gefährlich. Cus beeilte sich damit, diese Vorfälle möglichst schnell auszubügeln, denn er hatte furchtbare Angst, dass die Behörden versuchen könnten, mich ihm wegzunehmen. Es dauerte eine Weile, bis Cus mitbekam, dass ich mich in der Schule danebenbenahm, denn wann immer sie eine Benachrichtigung nach Hause schickten, fing ich die Post ab und zerriss sie. Schließlich riefen sie eines Tages zu Hause an. Cus musste keinen Verweis sehen, es reichte schon, dass er den Mist hörte. Er nahm mich sofort ins Kreuzverhör. Alles war Friede, Freude, Eierkuchen, und bumm war es auf einmal nicht mehr so lustig.

Eines Tages gab es eine Auseinandersetzung im Schulbus. Als der Bus auf dem Schulgelände stand, stieg ein Lehrer ein und ich weigerte mich, seinen Anweisungen zu folgen. Ich war nicht gewohnt, dass mir ein anderer als Cus etwas zu sagen hatte. Deshalb hatte ich keinen Respekt vor Autoritätspersonen, nur vor Cus. Ein anderes Mal warf ich einen Radiergummi nach einem Lehrer und wurde vom Unterricht ausgeschlossen. Cus kam in die Schule, um mit Mr. Bordick, dem Schulleiter, zu sprechen. Er war ebenfalls Italiener und Cus fiel sofort in italienisches Geplapper: „Sie kommen aus Italien? Woher kommt Ihre Familie?“ Das war das Erste, das Cus immer fragte: „Woher kommt Ihre Familie?“. Er fragte nicht etwa „Und was machen Sie?“ Es war immer „Woher kommt Ihre Familie?“, denn wenn er deine Familie kannte, dann wusste er, wer du warst. So beurteilte Cus die Menschen, nach dem Ansehen ihrer Familie. Das war alles, was er wissen musste, um abzuschätzen, ob du ein guter Mensch warst oder nicht.