Unbestreitbare Wahrheit

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Nach den zwei Niederlagen gegen Tillmann war ich nicht gerade der gefragteste Kandidat der Boxszene. Cus’ Plänen zufolge hätte ich bei der Olympiade die Goldmedaille erringen und meine Karriere mit einem lukrativen TV-Vertrag starten sollen. Aber es hatte nicht geklappt. Kein professioneller Promoter war zu der Zeit an mir interessiert. Eigentlich glaubte damals niemand mehr an Cus’ Peak-a-boo-Stil. Und viele meinten, ich sei zu klein.

Dieses Gerede kam wohl auch Cus zu Ohren. Als ich eines Abends den Müll nach draußen trug, machte Cus gerade die Küche sauber.

„Mann, ich wünschte, du hättest einen Körper wie Mike Weaver oder Ken Norton“, sagte er aus heiterem Himmel. „Dann wärst du nämlich richtig einschüchternd. Du hättest eine Aura, die nichts Gutes verheißt. Die haben zwar nicht das Temperament, dafür aber die Statur eines einschüchternden Mannes. So könntest du die anderen Boxer vor Schreck erstarren lassen.“

Ich war sprachlos und bin heute noch betroffen, wenn ich diese Geschichte erzähle. Ich war tief gekränkt, wollte es Cus aber nicht zeigen. Sonst hätte er gesagt: „Was, du weinst? Was bist du für ein Baby? Wie willst du einen großen Kampf schaffen, wenn dir die emotionale Härte fehlt?“

Immer wenn ich Gefühle zeigte, tat er sie verächtlich ab. Also hielt ich meine Tränen zurück.

„Keine Sorge, Cus“, versuchte ich ihn großspurig zu beschwichtigen. „Du wirst sehen. Eines Tages erzittert die ganze Welt vor mir. Wenn sie meinen Namen hören, schwitzen sie Blut.“

An diesem Tag wurde ich zu Iron Mike. Ich wurde es zu 100 Prozent.

Obwohl ich fast jeden Kampf auf berauschende Weise gewann, identifizierte ich mich immer noch nicht ganz mit der Rolle des Wilden, in der Cus mich sehen wollte. Aber als er mir gesagt hatte, dass ich zu klein sei, wurde ich zu einem Brutalo. Ich fantasierte sogar, jemanden im Ring totzuschlagen, und so alle einzuschüchtern. Weil Cus einen asozialen Champion wollte, orientierte ich mich an den bösen Jungs, die ich aus Filmen kannte, an Jack Palance oder Richard Widmark. Ich schlüpfte in die Rolle des überheblichen Soziopathen.

Aber zunächst bekam ich einen Cadillac. Cus konnte meine Spesen nicht bezahlen, als ich meine Karriere aufbaute, und überredete deshalb seinen Freund Jimmy Jacobs und dessen Partner Bill Cayton dazu, Geld vorzustrecken. Jimmy war ein toller Kerl. Er war der Babe Ruth des Handballs. Auf seinen Reisen mit Handballern um die Welt hatte er Filme über außergewöhnliche Kämpfe gesammelt. Am Ende lernte er Bill Cayton kennen, der ebenfalls ein Sammler war. Beide gründeten die Big Fight Inc. und mischten den Markt für Filmmaterial zu Kämpfen auf. Cayton machte später ein Vermögen, indem er Videokassetten an den US-Fernsehsender ESPN verkaufte. Cus hatte in seiner Zeit in New York mit Jimmy zehn Jahre zusammengelebt. Sie waren enge Freunde. Er hatte sogar einen Geheimplan ausgeheckt, Jimmy zum Boxer auszubilden, ob Amateur oder Profi. Dann sollte er Archie Moore den Titel als Weltmeister im Halbschwergewicht abnehmen. Jacobs trainierte sechs Monate lang intensiv mit Cus. Aber der Kampf kam nie zustande, weil Archie sich aufs Altenteil zurückzog.

Für Jimmys Partner Bill Cayton konnte sich Cus allerdings nie erwärmen. Er war für seinen Geschmack zu sehr in sein Geld verliebt. Ich mochte ihn auch nicht. Während Jimmy ein großartiger offener Typ war, trat Cayton als aufgeblasener kalter Fisch auf. Jim und Bill managten schon seit vielen Jahren Boxer und hatten Wilfredo Benitez und Edwin Rosario im Stall gehabt. Also stellte ihnen Cus in Aussicht, dass sie auch mich managen könnten, als ich Profi wurde.

Cus sah Jimmy und Bill wohl als zwei Investoren an, die sich aus meiner Entwicklung heraushalten und ihm die volle Kontrolle über meine Karriere überlassen würden.

Bislang hatten die beiden über 200.000 Dollar in mich investiert. Als ich von der Olympiade zurückkam, sagte Jimmy Cus, er wolle mir einen neuen Wagen kaufen. Vielleicht machten sie sich sogar Sorgen, ich könnte Cus sitzenlassen, mich anderweitig orientieren und sie damit ausbooten. Das hätte ich natürlich nie getan.

Cus ärgerte sich wahnsinnig und meinte, ich hätte keinen Wagen verdient. Schließlich hatte ich keine Goldmedaille geholt. Trotzdem fuhr er mit mir zu einem Autohändler in der Nähe. Er versuchte mir einen Oldsmobile Cutlass aufzuschwatzen, weil er ziemlich billig war.

„Nee, ich will einen Cadillac, Cus“, sagte ich.

„Mike, ich sage dir …“

„Wenn ich keinen Cadillac kriege, will ich gar keinen Wagen“, konterte ich standhaft.

Ich bekam meinen Wagen. Wir fuhren zurück und parkten ihn in der Scheune. Ich hatte weder einen Führerschein, noch konnte ich fahren. Aber wenn Cus mich nervte, schnappte ich mir die Autoschlüssel, rannte zur Scheune, stieg in den Wagen und hörte Musik.

Im September 1984 unterschrieb ich mit Bill Cayton und mit Jimmy Jacobs je einen Vertrag. Cayton besaß eine Werbeagentur und nahm mich für sieben Jahre als mein persönlicher Manager im Bereich Werbung und Produktpräsentation unter Vertrag.

Statt der sonst üblichen 10 oder 15 Prozent nahm er 33,3 Prozent Kommission. Ich unterschrieb einfach, ohne die Konditionen zu kennen. Einige Wochen später unterzeichnete ich den Vertrag mit Jimmy, der mein Manager wurde: ein üblicher Vierjahresvertrag mit Zweidritteln für mich und einem Drittel für ihn. Dann kamen beide allerdings überein, die Einnahmen aus den Verträgen miteinander zu teilen. Allerdings unterzeichnete auch Cus meinen Management-Vertrag. Unter seiner Unterschrift stand: „Cus D’Amato, Berater Michael Tysons. Alle Entscheidungen zu Michael Tyson bedürfen seiner endgültigen Zustimmung.“ Jetzt hatte ich ganz offiziell ein Management. Ich wusste, dass Cayton und Jimmy im Umgang mit Medien besonders gewieft waren und diesen ganzen Scheiß organisieren konnten. Und da Cus alle Boxentscheidungen traf und meine Gegner handverlas, konnte ich meine Profikarriere starten.

Bis ich nach einer Woche Training einfach für vier Tage abtauchte. Als mich Tom Patti schließlich aufspürte, saß ich in meinem Caddy.

„Wo warst du, Mike“, fragte Tom.

„Ich brauch diesen Scheiß nicht“, machte ich meinem Ärger Luft. „Der Vater meiner Freundin Angie ist Abteilungsleiter bei J.J. Newberry’s, diesem Kaufhaus. Er kann mir einen Job verschaffen, bei dem ich 100.000 Dollar verdiene. Und ich habe einen Caddy. Ich verschwinde.“

In Wahrheit machte mich einfach der Gedanke nervös, in Profikämpfen anzutreten.

„Bloß weil du mit seiner Tochter ausgehst, Mike“, sagte er, „wirst du keine 100 Riesen im Jahr machen.“

„Ich kann vieles“, sagte ich.

„Mann, du hast nicht viele Möglichkeiten. Geh in die Boxhalle zurück, gewinn deinen Kampf und mach weiter.“

Am nächsten Tag trainierte ich wieder in der Boxhalle. Als ich den Bammel überwunden hatte, war ich wahnsinnig stolz, dass ich mit nur 18 Jahren Profiboxer wurde. Und ich hatte auch ein großartiges Team in meiner Ecke. Neben Kevin Rooney hatte ich Matt Baranski. Matt war ein klasse Mann und ein gewiefter Taktiker. Kevin war eher der Typ, der einem den Frust ins Gesicht brüllte.

Wir diskutierten darüber, mir einen Spitznamen zu geben. Jimmy und Bill hielten das für überflüssig, aber Cus wollte mich „The Tan Terror“, der „gebräunte“ Schrecken, nennen – eine Hommage an Joe Louis, den „braunen Bomber“. Ich fand den Namen richtig gut, auch wenn wir ihn nie durchsetzen konnten. Und ich huldigte noch weiteren Helden, die ich verehrte: Ich ließ mir eine Schüssel über den Kopf stülpen und mir mit dem Elektrorasierer einen Schnitt wie Jack Dempsey verpassen. Ganz ernst sagte ich zu Cus, ich würde den Leuten Angst einjagen. Als ersten Schritt legte ich mir diesen missmutigen Dempsey-Arschloch-Look zu. Und dann setzte ich auf das spartanische Erscheinungsbild meiner alten Helden: keine Socken und keinen Boxermantel. Diesen Look wollte ich wieder im Boxen einführen.

Mein erster Profikampf fand am 6. März 1985 in Albany statt. Der Gegner war ein gewisser Hector Mercedes. Weil wir über ihn überhaupt nichts wussten, telefonierte Cus mit einigen Trainern und Betreibern von Boxställen in Puerto Rico, um sich zu vergewissern, dass Mercedes kein Geheimtipp war.

Am Abend des Kampfs war ich nervös, aber kaum sah ich den Typen im Ring, wusste ich, dass ich ihn schlagen konnte. Ich wusste, dass sich Cus für meine ersten Kämpfe schwächere Gegner heraussuchte, um mein Selbstvertrauen zu stärken.

Ich hatte recht. Der Kampf wurde schon in der ersten Runde abgebrochen, als ich Hector in einer Ecke des Rings auf die Knie geprügelt hatte. Ich war in Hochstimmung – bis mir Cus im Umkleideraum alle meine Fehler aufzählte. „Du musste deine Hände höher halten. Du hast mit den Händen nur herumgefuchtelt.“

Die nächsten beiden Kämpfe fanden ebenfalls in Albany statt – praktisch in meiner Heimatstadt. Einen Monat nach Mercedes kämpfte ich gegen Trent Singleton. Ich trat in den Ring, verbeugte mich in alle vier Richtungen der Arena und riss dann wie ein Gladiator vor der Menge die Arme in die Höhe. Binnen kurzer Zeit schlug ich Singleton dreimal nieder. Der Ringrichter brach den Kampf ab. Ich schlenderte in seine Ecke, küsste ihn und strich ihm über den Kopf.

Einen Monat später sollte ich wieder antreten. Zwischen den Kämpfen trieb ich nichts anderes als zu laufen, zu trainieren und zu boxen. Mehr verlangte Cus nicht von mir. Boxen, boxen und nochmals boxen, sparren, sparren und nochmals sparren.

Am 23. Mai kämpfte ich gegen Don Halpin, einen deutlich erfahreneren Gegner. Halpin hielt drei Runden durch. Experimentierend pendelte ich zwischen der konventionellen und der Rechtsauslage hin und her, um Ringerfahrung zu bekommen. In der vierten Runde verpasste ich ihm eine Linke und eine Rechte, und als er schon zu Boden taumelte, setzte ich mit einem rechten Haken nochmals nach. Er blieb solange liegen, bis man ihn schließlich hochzog. Cus meinte natürlich, ich sei in den Gegner nicht richtig hineingegangen und hätte es versäumt, mich seitwärts zu bewegen. Aber Jacobs und Cayton waren von der Art, wie ich mich bislang geschlagen hatte, hellauf begeistert.

 

Mit den Kämpfen schuf ich mir allmählich eine Fangemeinde. Wie bei Baseball-Spielen tauchten sie mit kleinen Schildern auf. Auf einem stand: „GOODEN IST DR. K., ABER MIKE TYSON IST DR. KO.“ Und auch Groupies zog ich an. Damals nutzte ich ihre Annäherungsversuche noch nicht aus. Ich war zu sehr in mich selbst verliebt, um an andere zu denken. Cus meinte, dass ich es etwas übertreibe. Ich solle doch mehr ausgehen. Folglich ging ich nach Albany und trieb mich mit Freunden rum.

Mit diesen ersten Kämpfen verdiente ich kaum Geld. Mein erster Kampf endete für den Promoter im Minus. Aber Jimmy gab mir 500 Dollar. Davon zweigte er allerdings 50 Dollar für Kevin ab und zahlte 350 Dollar für mich auf der Bank ein. Mir blieben also nur 100 Dollar. Diese ersten Kämpfe dienten mehr dazu, mir einen Namen zu machen, als Geld zu verdienen. Jimmy und Cayton machten Aufnahmen von den Highlights der Kämpfe, von allen meinen Knockouts, und verschickten die Videokassetten an sämtliche Box-Journalisten im Land – damals eine höchst innovative Idee.

Obwohl ich Sensationelles leistete, wurde Cus immer missmutiger. Manchmal dachte ich, dass er mich für einen servilen Onkel Tom hielt. Wenn ich mich bemühte, höflich zu sein und brav „Ja, Ma’am“ und „Nein, Sir“ sagte, mischte er sich ein.

„Warum redest du mit denen so? Meinst du, die sind was Besseres? Diese Typen sind alle Angeber“, sagte er. Aber wenn ich dann den arroganten Unnahbaren gab, wie er es mir immer vorschrieb, schaute er auf mich herab: „Das gefällt dir wohl, wenn die Leute zu dir aufschauen, hä? Weil Typen wie Cayton und Co. dir sagen, wie großartig du bist.“

Ich glaube, er brauchte einfach einen zum Herummäkeln. Wie mein Tag verlief, hing davon ab, mit welchem Bein Cus zuerst aufgestanden war. Ich hatte inzwischen den Führerschein und fuhr ihn zu verschiedenen Treffen und Besprechungen.

Am 20. Juni, kurz vor meinem 19. Geburtstag, kämpfte ich in Atlantic City gegen Ricky Spain. Es war mein erster Profi-Kampf außerhalb von Albany, aber Cus hatte mich schon zu großen Kämpfen in Städte überall im Land geschickt, um mich an die Arenen zu gewöhnen.

„Mach die Arena zu deinem Zuhause, mach dich mit ihr vertraut, bis du sie wie deine Westentasche kennst“, sagte er mir. „Du wirst dort lange Zeit leben, also richte dich darauf ein.“ Er nahm mich auch mit, wenn wir uns mit den Akteuren großer Kämpfe trafen. Er setzte mich zum Abendessen mit ihnen an einen Tisch, um mich mit ihnen bekanntzumachen und damit ich mich von keinem Kämpfer einschüchtern ließ.

Ich war richtig begeistert über den Kampf in Atlantic City, der auch noch auf ESPN übertragen wurde. Mein Gegner, ebenfalls ungeschlagen, hatte eine 7:0-Kampfbilanz mit fünf Knockouts. Eingeführt wurde ich als „Der Baby-Rabauke“, wobei ich von der Rolle als Baby nichts wusste: Ricky Spain ging in der ersten Runde zweimal zu Boden, worauf der Ringrichter den Kampf abbrach.

Jimmy und Cayton versuchten mir einen regelmäßigen Sendeplatz bei ESPN zu verschaffen, aber Bob Arum, der die Kämpfe förderte, sagte ihnen, dass seine Matchmaker mich nicht für besonders talentiert hielten. Cus war deswegen stinksauer. Er hasste Arums Matchmaker und arbeitete nie wieder mit ihm zusammen.

Aber diese ganze Politik interessierte mich nicht. Ich konnte meinen nächsten Kampf kaum erwarten. Er fand wiederum in Atlantic City statt, am 11. Juli gegen John Alderson, einen großen rustikalen Typen aus West Virginia, der ebenfalls eine Kampfbilanz von vier Siegen in vier Kämpfen vorzuweisen hatte. Auch dieser Kampf wurde auf ESPN übertragen. Ich schickte Alderson in der zweiten Runde mehrfach zu Boden. Nachdem er in seine Ecke zurückgekehrt war, brach der Ringarzt das Spiel ab.

Auf 6:0 steigerte ich meine Bilanz im nächsten Kampf gegen Larry Sims, machte Cus dabei aber richtig wütend. Sims war echt gewieft und plump, einer dieser netten Fighter. In der dritten Runde wechselte ich in die Rechtsauslage und schickte ihn mit einem wuchtigen Punch zu Boden. Im Umkleideraum stellte mich Cus zur Rede.

„Wer hat dir diesen Linkshänderscheiß beigebracht? Jetzt wird’s vielleicht schwierig, Kämpfe für dich zu kriegen“, sagte er. „Gegen Linkshänder treten die Leute ungern an. Du bist dabei, alles zu ruinieren, was ich aufgebaut habe.“ Cus hasste Linkshänder.

„Tut mir leid, Cus“, entschuldigte ich mich. Aber war es nicht blöd, sich für einen spektakulären Knockout zu entschuldigen?

Einen Monat später stand ich wieder im Ring, erledigte in einer Runde Lorenzo Canady und trat drei Wochen später in Atlantic City gegen Mike Johnson an. Als wir uns zur Belehrung aufstellten, machte Johnson ein so arrogantes Gesicht, als hasse er mich persönlich. Binnen Sekunden schickte ich ihn mit einem linken Haken in die Nieren zu Boden, und als er wieder aufstand, verpasste ich ihm eine spektakuläre Rechte, die ihn so schwer traf, dass zwei seiner Schneidezähne im Mundschutz steckenblieben. Ich wusste, dass er lange brauchen würde, um wieder hochzukommen. Kevin sprang in den Ring. Lachend klatschten wir uns wie zwei kleine Angeber ab, so nach dem Motto: Ha ha, schau dir den toten Nigga an, Kevin.

Ich hatte jetzt acht von acht Kämpfen gewonnen, mit acht Knockouts. Jimmy und Cus nutzten alle ihre Kontakte bei der Presse, um mir Anerkennung zu verschaffen. Ich reiste nach New York und aß mit Jimmy und seinen Freunden von den Zeitungen zu Mittag. Wir hofierten die Presse regelrecht. Allmählich tauchte ich auch in den Klatschkolumnen auf, weil ich mich inzwischen in New Yorker Hotspots wie dem Restaurant Columbus an der Upper West Side herumtrieb. Ich freundete mich mit dem Fotografen Brian Hamill an, der mich mit seinem Bruder Pete, einem bekannten Schriftsteller, bei den ganzen Stars einführte. Pete hatte mich in die Bar abgeschleppt, in der wir dann mit Paulie Herman, einem der Inhaber, zusammensaßen. In New York war Paulie damals der gefragteste Mann. Mir kam es vor, als sei er berühmter als all seine prominenten Gäste. Jeder wollte in seiner Nähe sein, mit ihm am Tisch sitzen und ihn um einen Gefallen bitten. Irgendwie kam er mir wie ein Mafiaboss vor.

Man war nie darauf gefasst, wen man im Columbus kennenlernte. Pete ließ mich manchmal bei Paulie zurück. Irgendwann saßen David Bowie, Mikhail Baryshnikov und Drew Barrymore, damals noch blutjung, mit uns am Tisch. „Das ist heftig“, dachte ich, „verlier jetzt bloß nicht die Nerven.“ Ein anderes Mal schneiten Robert de Niro und Joe Pesci herein und ließen sich nieder. Wir plauderten miteinander, als Paulie irgendwann sagte: „Hey Mike, wir gehen jetzt mal alle weg.“ Und peng, fünf Minuten später saß ich bei Liza Minelli zu Hause und schwatzte mit Raúl Juliá.

Am Ende lernte ich all diese angesagten Typen der New Yorker Szene kennen. In diesem Kreis bekam ich mit, dass gerade zu der Zeit, als ich in die Szene kam, etwas ganz Besonderes untergegangen war, das man heute noch in der Musik von Elton John, Stevie Wonder oder Freddie Mercury spürt. Man wusste, dass sie in einer ganz besonderen Szene verkehrt hatten, die jetzt nicht mehr da.

Die Bekanntschaft mit all diesen Superstars war für mich allerdings keine Bestätigung, dass ich es geschafft hatte. Die erhielt ich erst, als ich den Wrestler Bruno Sammartino kennenlernte. Als Junge war ich ein großer Wrestling-Fan gewesen und ganz begeistert von Sammartino, Gorilla Monsoon und Billy Graham. Eines Abends lernte ich jedenfalls auf einer Party Tom Cruise kennen, der damals am Anfang seiner Karriere stand. Und dort sah ich auch Bruno Sammartino. Stars faszinierten mich absolut. Ich starrte ihn einfach an. Jemand stellte uns einander vor. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wer ich war, aber ich zählte ihm sämtliche großen Kämpfe auf, die ich von ihm gesehen hatte, zum Beispiel die gegen Killer Kowalski, Nikolai Voltoff oder George „The Animal“ Steele. In meinem kranken, größenwahnsinnigen Hirn dachte ich: „Das ist ein Zeichen meiner Größe. Mein Held ist bei mir. Ich werde so groß wie er und erringe den Weltmeistertitel.“

Cus war weniger begeistert, dass ich immer mehr Zeit in Manhattan verbrachte. Wenn ich in der Stadt war, pennte ich immer bei Steve Lott auf der Couch, Jimmy Jacobs rechter Hand. Steve war ein Model-Junkie und schleppte mich in den Nautilus Club oder andere Bars, in denen sich hübsche Mädchen herumtrieben. Ich war damals allerdings damit beschäftigt, wie ich zu meinem Gürtel kam, sodass ich noch nicht dauernd darauf aus war, Mädchen ins Bett zu kriegen. Ich versuchte, anständig zu sein, und hielt mich zurück. Meine Schwäche war damals das Essen. Steve war ein großartiger Koch. Wenn ich in die Nachtclubs ausschwärmte und zurückkam, wärmte er mir ein paar Reste chinesischer Snacks auf. Nach ein paar Tagen kehrte ich nach Catskill zurück – und Cus drehte schier durch.

„Schau deinen Arsch an. Der wird immer fetter“, sagte er kopfschüttelnd.

Mein nächster Kampf war mein erster richtiger Test. Am 9. Oktober trat ich in Atlantic City gegen Donnie Long an. Long hatte über die volle Distanz gegen James Broad, ein taffes Schwergewicht, und gegen John Tate durchgehalten, den ehemaligen WBA-Weltmeister im Schwergewicht. Mir war klar, dass es in der Boxszene einen guten Eindruck machen würde, wenn ich Long umgehend erledigte. Long ging zuversichtlich in den Kampf und sagte Al Bernstein von ESPN, er könne mich mit Treffern übertrumpfen. Die Nacht wurde für den „Master of Desaster“, den Herrn des Desasters, wie Long genannt wurde, allerdings tatsächlich zum Desaster, kaum dass der Gong ertönt war. Ich ging mit blitzschnellen wilden Schlägen auf ihn los und schlug ihn Sekunden nach Beginn mit einem linken Schwinger nieder. Kurz darauf brachte ich ihn mit einem rechten Aufwärtshaken zum Straucheln und gab ihm mit einer Kombination aus einem rechten Uppercut und einem linken Haken den Rest. Für den Sieg benötigte ich knapp eineinhalb Minuten.

Nach dem Kampf interviewte mich Al Bernstein.

„Ich hatte wirklich erwartet, dass Donnie Long für Sie ein ziemlich harter Gegner sein würde. War er aber nicht!“, sagte Al.

„Na, wie ich Ihnen heute schon sagte: Wenn ich ihn in einer oder zwei Runden k.o. schlage, sehen Sie das immer noch so?“

„Ich dachte, man müsse davon ausgehen, dass er es ist. War er aber offenbar nicht“, sagte Al.

„Tja, jetzt war er kein …“, lachte ich.

„Nein. Er war ein harter Gegner. Ich sage das nur deshalb, weil Sie ihn ja geschlagen haben.“

Ich wusste als Einziger von Anfang an, dass es kein Schwindel war. Ein Haufen Leute haben sich den Kampf angeschaut. Jesse Ferguson kam, die Fraziers kamen. „Kommt alle her und holt euch euer Fett ab. Hier wartet Mike Tyson. Er wartet auf euch. Holt euch alle euer Fett ab.“

Ich war damals fast überfokussiert und lebte nicht wirklich in der Realität. In einem Interview für Sports Illustrated sagte ich: „Am meisten stört mich, dass ich von Leuten umgeben bin, die dauernd Spaß haben, Partys feiern und so weiter. Das macht einen weich. Leute, die nur Spaß haben wollen, kriegen nichts hin.“ Ich bildete mir ein, stärker zu sein als Leute, die auf Partys gingen. Ich wollte zu dieser Promi-Welt im Columbus gehören, kämpfte aber zugleich gegen die Versuchung an, es richtig krachen zu lassen.

Und ich hatte immer noch keinen Sex. Mein letztes Mal war mit dieser Praktikantin gewesen, die ich auf der Olympiade flachgelegt hatte. Nicht, dass mir die Lust fehlte, ich war nur im Umgang mit Frauen einfach zu ungeschickt. Ich wusste nicht, wie ich an sie herankam. „Hey, hallo, willst du mit mir vögeln?“ Ich wusste nicht, wie man das ausdrückte. Um diese Zeit sollte ich im Vorprogramm eines Hauptkampfes im Madison Square Garden antreten. Mein Ruf war mir vorausgeeilt: Mein Gegner erschien erst gar nicht. Also verschwand ich aus der Arena und ging in der 42th Street in einen Puff. Von dem Laden wusste ich seit meiner Kindheit, als ich mich auf dem Times Square herumgetrieben hatte. Im Vorraum setzte ich mich auf einen Stuhl. „Brauchst du Gesellschaft?“, sagte die eine, und wenn man sie abblitzen ließ, kam gleich die nächste. Ich war der jüngste Gast und wirkte wohl süß. Ich pickte mir eine hübsche Kubanerin heraus und ging mit ihr nach hinten.

 

Freud wäre die Szenerie eine Feldstudie wert gewesen: Ich war darauf vorbereitet gewesen, alle Aggressionen zu bündeln und einen Gegner im Ring platt zu machen. Und weil der Kampf geplatzt war, reagierte ich mich mit Sex ab. Ich war total aufgeregt, und wir waren gerade zugange, als sie mich bat, aufzuhören, weil sie sich den Rücken verspannt hatte. Ich war noch nicht fertig und verlangte mein Geld zurück. Sie wechselte das Thema und bat mich, ihr mein Edwin-Rosario-T-Shirt zu geben. Sie war zu verletzt, um weiterzumachen, und sagte: „Lass uns reden.“ Also redeten wir eine Weile, und dann haute ich ab – mit T-Shirt.

Cus erhöhte für mich das Tempo. 16 Tage nach dem Kampf gegen Long kämpfte ich gegen Robert Colay und holte zweimal zu einem linken Haken aus. Der erste ging daneben, der zweite schlug ihn k.o. In 37 Sekunden war alles vorbei. Eine Woche später stand ich in Latham, New York, gegen Sterling Benjamin im Ring. Ich schlug ihn mit einem kurzen linken Haken nieder. Nachdem er bis acht angezählt worden war, bedrängte ich ihn mit vernichtenden Körperhaken und Uppercuts, woraufhin er zu Boden taumelte. Der Ringrichter brach den Kampf ab. Das Provinzpublikum flippte aus. Ich wandte mich den Leuten zu, steckte die Handschuhe durch die oberen Seile, riss die Hände hoch und grüßte wie ein Gladiator.

Aber es gab Wichtigeres als meinen elften Sieg als Profi.

Cus D’Amato war schwer krank. Er war schon kränklich gewesen, als ich bei ihm und Camille eingezogen war. Er hustete dauernd. Dass sich sein Zustand verschlechterte, merkte ich, als er nicht mehr mit uns zu den Kämpfen kam. Bei den Fights gegen Long und Colay war er zu Hause geblieben, aber zu meinem Kampf gegen Benjamin mit nach Latham gefahren. Er war ein alter Italiener, zu stur, um einen Kampf zu verpassen, der sozusagen in seinem Hinterhof stattfand. Zu Ärzten hatte er kein Vertrauen und verfocht stattdessen als einer der ersten Vitamine, „Alternativmedizin“, wie das heute heißt, und Ernährungstherapie.

Ich wusste, dass Cus krank war, dachte aber, er würde das schon überstehen, um mitzuerleben, wie ich den Meistertitel holte. Wir redeten ja dauernd darüber. Und er hielt durch, damit er meinen Erfolg sehen konnte. Aber nur zu mir sagte er manchmal: „Vielleicht bin ich irgendwann nicht mehr da. Also hör mir zu.“ Ich dachte, er wolle mir bloß Angst machen, um mich auf Kurs zu bringen.

Dann wurde er in ein Krankenhaus in Albany eingewiesen. Aber Jimmy Jacobs sorgte für eine Verlegung ins Mount Sinai in der New Yorker City. Ich besuchte ihn zusammen mit Steve Lott. Cus saß in seinem Bett und aß Eis. Nach ein paar Minuten bat Cus Steve, den Raum zu verlassen, um mit mir unter vier Augen zu sprechen.

Dann eröffnete er mir, dass er an Lungenentzündung sterben werde.

Ich glaubte es nicht. Er sah nicht sterbenskrank aus. Er war durchtrainiert, hatte Energie und strahlte Begeisterung aus. Er aß Eis und entspannte sich. Trotzdem flippte ich schier aus.

„Ohne dich will ich diesen Scheiß nicht machen“, sagte ich und würgte Tränen hinunter. „Das mache ich nicht.“

„Gut, wenn du nicht kämpfst, wirst du merken, dass Leute aus dem Grab steigen können. Dann suche ich dich für den Rest deines Lebens heim.“ Ich lenkte ein. Daraufhin nahm er meine Hand.

„Die Welt muss dich sehen, Mike. Du wirst Weltmeister, der Größte“, sagte er.

Dann brach Cus in Tränen aus. Es war das erste Mal, dass ich ihn weinen sah. Ich dachte, er würde weinen, weil er nicht mehr miterleben könnte, wie ich Weltmeister im Schwergewicht wurde, nach allem, was wir zusammen durchgemacht hatten. Aber dann begriff ich, dass er wegen Camille weinte. Ich hatte ganz vergessen, dass er eine Partnerin hatte, die ihm mehr bedeutete als ich. Er erzählte mir, dass es ihm leid tue, Camille nicht geheiratet zu haben. Er habe Probleme mit der Steuer. Das habe er ihr nicht aufhalsen wollen.

„Tu mir einen Gefallen, Mike“, sagte er. „Kümmere dich unbedingt um Camille.“

Ich ging geschockt aus dem Raum. Ich wohnte bei Steve in dem Gebäude, in dem auch Jimmy eine Wohnung hatte. Er holte mich am nächsten Tag ab und ging mit mir zu der Bank, um einen Scheck über 120.000 Dollar für meine letzten Kämpfe einzuzahlen. Inzwischen war mein Name in den Zeitungen. Ich erschien sogar auf dem Titelblatt von Sports Illustrated. Auf der Straße hielten mich Passanten an und wünschten mir Glück. Ich war bekannt und großspurig und machte eine gute Figur. In der Bank kannte ich sämtliche Mädchen und flirtete normalerweise mit ihnen.

Aber als wir hineingehen wollten, blieb Jimmy stehen. „Cus wird es nicht über die Nacht schaffen, Mike. Sie geben ihm nur noch ein paar Stunden.“

Ich heulte einfach los, als gehe die Welt unter. Meine ging ja auch unter. Die ganzen jungen Frauen in der Bank starrten mich an.

„Gibt es ein Problem?“, sprach uns der Filialeiter an.

„Wir haben eben erfahren, dass ein lieber Freund von uns im Sterben liegt. Mike trifft es sehr schwer“, sagte Jimmy. Er war ganz ruhig und gefasst. So wie Cus es ihm beigebracht hatte. Aber ich heulte wie ein verlorengegangener Soldat auf einer Mission ohne General. Ich habe diese Bank nie wieder betreten, so peinlich war mir das.

Cus wurde im Hinterland von New York beigesetzt. Ich war einer der Sargträger. Alle aus der Welt des Boxens kamen. Es war so deprimierend. Mein krankes Hirn dachte nur noch an den Erfolg. Ich hätte alles getan, um diesen Titel zu holen und so Cus’ Vermächtnis zu erfüllen. Ich tat mir selbst leid und dachte, ohne Cus würde mich ein beschissenes Leben erwarten. Camille war sehr gefasst, aber als wir wieder zu Hause waren, weinten wir zusammen.

Kurz nach dem Begräbnis organisierte Jimmy Jacobs für Cus eine Gedenkveranstaltung in seiner alten Boxhalle, dem Gramercy Gym in der New Yorker City. Alle Stars kamen. Norman Mailer sagte, Cus’ Einfluss auf den Boxsport sei so groß gewesen wie der Hemingways auf die jungen amerikanischen Schriftsteller. Gay Talese meinte, Cus gekannt zu haben, sei eine Ehre gewesen.

„Er hat mich so vieles gelehrt“, sagte Pete Hamill, „nicht nur übers Boxen, ein Handwerk, das man meistern kann, sondern auch übers Leben, das man nicht so einfach meistert.“

Jimmy Jacobs beschrieb Cus in seiner Rede ganz gut: „Cus D’Amato wandte sich erbittert gegen Ignoranz und Korruption im Boxsport. Während er sich seinen Feinden gegenüber unerbittlich zeigte, begegnete er Freunden verständnisvoll, mitfühlend und unglaublich tolerant.“

Nach Cus’ Tod machte ich emotional dicht. Ich wurde richtig, richtig gemein und wollte mich beweisen, wollte zeigen, dass ich ein Mann und kein Kind mehr war. Eine Woche nach Cus’ Beerdigung flog ich nach Texas zu einem Kampf gegen Eddie Richardson. Jimmy und Cayton ließen mich nicht einmal trauern. Ich nahm ein Foto von Cus mit und redete immer noch mit ihm, jede Nacht.

„Ich trete morgen gegen diesen Richardson an, Cus“, sagte ich. „Was meinst du? Wie mache ich das?“

Obwohl ich nicht aus dem Tritt kam, hatte ich nach Cus’ Tod den Mut, diesen Glauben an mich selbst, verloren. Mir fehlte jeder Antrieb, etwas Anständiges anzustellen. Ich glaube, ich bin bis heute nicht darüber hinweggekommen. Aber ich war auf Cus auch wütend. Es war so bitter: Wäre er bloß früher zum Arzt gegangen, hätte er vielleicht weiterleben und mich beschützen können. Aber er war ja so stur gewesen. Weil er sich nicht behandeln ließ, war er gestorben und hatte mich allein zurückgelassen, mich diesen Raubtieren der Boxszene überlassen. Nach seinem Tod war mir alles egal. Da boxte ich vor allem wegen des Geldes. Einen Traum hatte ich eigentlich nicht.