Gelassene Eltern – glückliche Geschwister

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Teil 1
Grundlagen der gelassenen Elternschaft

Alle Geschwister streiten in einem gewissen Maße, ganz gleich, was ihre Eltern tun. Konflikte sind Teil jeder menschlichen Beziehung, und Sie können Ihre Kinder nicht davon abhalten, Bedürfnisse und Wünsche zu haben, die manchmal miteinander kollidieren. Was Sie aber tun können ist, ihnen solide Werkzeuge an die Hand geben, mit denen sie sich durch diese Streitigkeiten durcharbeiten können. Werkzeuge, die sie den Rest ihres Lebens benutzen werden.

Jedes Kind ist einzigartig und manche Geschwister haben es schwerer miteinander als andere. Somit mag es für Sie vielleicht überraschend sein zu erfahren, dass der Schlüssel für eine gesunde, unbeschwerte, zufriedenstellende Dynamik zwischen Ihren Kindern nicht deren Verhalten oder Temperament ist. Diese Faktoren spielen auch eine große Rolle, ohne Frage. Aber der Schlüssel sind Sie.

Jahrzehntelange Studien über Geschwister und Familien ergaben faszinierende Erkenntnisse. Viele von ihnen werde ich in diesem Buch erläutern. Hier eine der wichtigsten Erkenntnisse, die durch zahlreiche Studien untermauert wurde:

Haben Eltern bessere Beziehungen zu ihren Kindern, dann haben diese Kinder glücklichere Beziehungen untereinander. Haben die Beziehungen der Eltern zu ihren Kindern einen negativen oder strafenden Charakter, so zeigen die Kinder ein aggressiveres und egoistischeres Verhalten untereinander.

Während Sie also Ihre Kinder nicht kontrollieren können, so können Sie jedoch jemanden kontrollieren, der einen enormen Einfluss darauf hat, was für eine Beziehung die Kinder zueinander haben: sich selbst.

Ja, Ihre Kinder werden zwangsläufig eine gewisse Rivalität untereinander spüren. In jeder Familie wird es Phasen geben, in denen sich Geschwister scheinbar wegen jeder Kleinigkeit streiten oder sagen, dass sie sich hassen. Für gewöhnlich ist es aber möglich, dass die Liebe über die Rivalität siegt, indem man ein Erziehungskonzept anwendet, das ich Gelassene Elternschaft nenne.

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Wie man zu entspannten Eltern wird

Wenn ich präsent sein kann und atme, zeigt sich oftmals die Liebe. Wenn ich in der Vergangenheit und in der Angst bin, dann verursache ich eine Eskalation, die sich vielleicht noch nicht einmal in der Realität zusammengebraut hätte.

Staci

Gelassen bedeutet nicht, dass es bei Ihnen zu Hause nicht auch mal wild oder lebhaft oder lustig zugeht. Es bedeutet einfach, dass Sie darauf hinarbeiten, innerlich gelassener und weniger reaktionsfreudig zu werden. Dadurch sind Sie Ihren Kindern ein besseres Vorbild und helfen ihnen dabei, ein Gehirn inklusive Nervensystem zu kreieren, das sich selbst regulieren kann.

Kein Vater und keine Mutter ist immer gelassen. Doch Eltern, die sich mehr Frieden in ihren Familien und in ihren eigenen Herzen wünschen, betrachten diese drei Prinzipien als unverzichtbar:

1 Ein gelassener Vater reguliert seine eigenen Emotionen, auch angesichts starker Gefühle und Fehlverhalten seitens des Kindes. Dadurch sind wir in der Lage, eine positive Beziehung zu unserem Kind herzustellen, auch in Situationen, in denen die Gefühle überkochen. Wir können davon ausgehen, dass sich Kinder von Zeit zu Zeit kindisch verhalten. Deshalb liegt es in unserer Verantwortung, dass wir uns wie Erwachsene verhalten, was bedeutet, dass wir der Versuchung nicht nachgeben, selber einen Wutanfall zu bekommen. Als Eltern haben wir immer die Möglichkeit, die kindliche Aufruhr mit unserer eigenen Reaktion zu besänftigen – oder sie zu verschlimmern.Wie wirkt sich die Verpflichtung der Eltern, ihre Emotionen zu regulieren, auf die Beziehung der Geschwister aus? Da Eltern als Vorbild fungieren, werden Sie hören, wie Ihr Kind mit seinem Bruder oder seiner Schwester in der Art und Weise und in dem Tonfall spricht, wie Sie es tun. Kinder, deren Eltern ihre Emotionen regulieren, lernen ihre eigenen Emotionen zu steuern und somit auch ihr Verhalten – sowie das gegenüber ihren Geschwistern.Sie können sich leichter selbst beruhigen, sprich, sie streiten weniger. Sie werden zwar noch eifersüchtig, aber sie verfügen über eigene Ressourcen, um ihre gemischten Gefühle auf gesunde Art und Weise zu bewältigen. Und dann kann die Zuneigung die Rivalität besiegen.

2 Für gelassene Eltern hat die herzliche Verbindung zu ihrem Kind oberste Priorität. Jedes Kind braucht das Gefühl, gehört, verstanden und wertgeschätzt zu werden, einfach für sein So-sein. Ansonsten fühlt es sich nicht sicher und bringt seinen Unmut zum Ausdruck.Es gibt einen weiteren enormen Nutzen: Kinder sind motiviert, unserer Führung zu folgen, wenn sie sich mit uns verbunden fühlen. Ohne Anwendung von Gewalt können wir niemanden wirklich dazu bringen, etwas zu tun. Zudem hält dies nur solange an, wie wir einen erheblichen körperlichen Vorteil haben. Unsere Kinder müssen sich frei dafür entscheiden, das zu tun, was wir sagen. Aus diesem Grund erleben viele Eltern den Alltag mit ihren Kindern als eine endlose Abfolge von Bestechungen, Drohungen und Machtkämpfen, damit sie irgendwie den Tag überstehen. Doch wenn die Eltern sich innig mit ihrem Kind verbinden, will das Kind diese Beziehung beschützen und wird eher der Führung der Eltern folgen. Somit sind Kinder, die sich verbunden fühlen, kooperativer. Das macht es natürlich für die Eltern leichter, aber auch für Geschwister, die zur Familie gehören, denn das Kind ist fröhlicher und emotional großzügiger.Letztendlich wird ein Kind, das sich mit einem Elternteil verbunden fühlt, eher das wertschätzen, was dieser Elternteil wertschätzt, und dessen Vorbild folgen. Dies bedeutet, dass es sich dem Geschwisterkind eher so gegenüber verhält wie es sein Elternteil tut, sprich, es wird sich eher fürsorglich, freundlich und geduldig verhalten.

3 Ein gelassener Vater coacht, anstatt zu kontrollieren. Was bedeutet es, zu coachen anstatt zu kontrollieren? Ein Coach schult und unterstützt ein Kind dahingehend, dass es sein bestes Ich entfalten kann. Ein Coach bestraft nicht. Er schafft geduldig Gelegenheiten, in denen das Kind wachsen kann, und feiert jeden Schritt in die richtige Richtung. Kinder reagieren auf Coaching in der Weise, dass sie unbedingt ihr Bestes geben wollen und wie der Coach sein möchten. Kontrollierendes Agieren hingegen zwingt ein Kind dazu, sich unter Androhung von Strafe so zu verhalten, wie Sie es gerne hätten.Dies bedeutet, dass gelassene Eltern ihre Kinder nicht bestrafen. Natürlich setzen sie Grenzen, aber dies beinhaltet keine Bestrafung. Ich bin mir bewusst, dass viele Menschen der Meinung sind, dass Kinder, die streng erzogen werden, sich besser benehmen. Das ist einfach nicht der Fall. Wissenschaftliche Studien zum Thema Disziplin zeigen übereinstimmend, dass eine strenge oder autoritäre Kindererziehung tatsächlich Kinder hervorbringt, die ein geringeres Selbstwertgefühl haben und sich schlechter als andere Kinder benehmen – und aus diesem Grund noch öfter bestraft werden! 2Das Problem mit Bestrafung besteht darin, dass wenn das Kind sich nicht tatsächlich für das Verhalten entscheidet, dann »besitzt« es dieses nicht. Es ist nicht aus sich heraus motiviert, »das Richtige zu tun«. Als meine Tochter sechzehn Jahre alt war, habe ich sie für einen Blog-Post danach gefragt, wie sie gelernt hat, sich zu benehmen, ohne jemals bestraft worden zu sein. Sie antwortete, »So oder so – ob man nun bestraft oder nicht – das Kind lernt, nicht zu schlagen. Aber wenn man bestraft, um es dem Kind so beizubringen, dann lernt es, nicht zu schlagen, damit ES selbst nicht leidet. Wenn man mithilfe von Empathie versucht, es dem Kind beizubringen, dann lernt es, nicht zu schlagen, weil es die andere Person verletzt. Auf diese Weise wird das Kind zu einem besseren Menschen. Es sorgt sich mehr um andere.«Sprich: Ja, es wäre bequemer, wenn unsere Kinder uns einfach gehorchen würden! Aber ihr Bedürfnis, selber zu entscheiden, was sie tun wollen, ist in Wahrheit eine gute Sache. Denn dann beginnen sie, Verantwortung für sich selber zu übernehmen. Wenn Sie Ihr Kind coachen, helfen Sie ihm dabei, die Fähigkeiten zu entwickeln sowie den Willen, sein bestes Ich öfter zu zeigen. Sie werden in diesem Buch erfahren, wie Sie Ihrem Kind dahingehend ein Vorbild sein und es coachen können, dass es kooperieren will und Sie es nie wieder bestrafen müssen.Und wie wirkt es sich auf die Geschwisterbeziehung aus, wenn Eltern coachen statt zu kontrollieren? Studien zeigen, dass Eltern, die strafen und kontrollieren am Ende Kinder großziehen, die einen negativeren Umgang miteinander haben, da sie festgestellt haben, dass durch den Einsatz von Drohungen und Macht andere dazu bewegt werden, das zu tun, was man von ihnen will.3 Letztendlich haben sie ihren Eltern aufmerksam zugehört. Im Gegensatz dazu coachen gelassene Eltern ihre Kinder so, dass sie über die zwischenmenschlichen Fähigkeiten zur Konfliktbewältigung verfügen. Diese umfassen z.B., wie sie ihre Bedürfnisse erfüllt bekommen und sich gleichzeitig respektvoll der anderen Person gegenüber verhalten. Auf diese Weise gelingt es ihnen besser, Schwierigkeiten im Zusammenleben mit anderen Menschen gekonnt zu meistern.

Sind Eltern immer gelassen? Natürlich nicht! Sie sind Menschen. Wie wir alle ist kein Vater und keine Mutter perfekt. Uns selbst zu regulieren ist die schwierigste emotionale Aufgabe, mit der wir konfrontiert sind. Somit kann es ungeachtet unserer guten Vorsätze ein schwerer Kampf sein. Ein gelassener Vater zeichnet sich dadurch aus, dass er sich der Selbstregulierung, dem In-Verbindung-sein und dem Coachen-statt-Kontrollieren verpflichtet. Eine Handlung nach der anderen ändert diese Selbstverpflichtung unser Verhalten. Da die Eltern-Kind-Beziehung nur eine Reihe von gemeinsamen Augenblicken ist, vermehren sich diese positiven Entscheidungen. Durch zwei Schritte nach vorne und einen Schritt zurück gelangt Ihre Familie dennoch auf einen positiveren Weg, und ehe Sie sich versehen, befinden Sie sich in einer ganz neuen Umgebung.

 

Diese Fähigkeiten werden Ihnen helfen, entspannte Eltern zu werden

Wenn Sie anstreben, sich zu einer gelasseneren Mutter oder einem gelasseneren Vater weiterzuentwickeln, wo fangen Sie am besten an? Mit zwei für die Erziehung wesentlichen Kompetenzen: sich selbst beruhigen und Emotionscoaching.

Sich selber beruhigen

Ich bin nie laut geworden, bis ich zwei Kinder bekam.

Elaine

Die meisten Eltern wünschen sich, sie könnten »ruhiger bleiben«. Aber niemand bleibt immer ruhig, zumindest dann nicht, wenn man mehr als ein Kind hat. Die Herausforderungen, die ein Leben mit Kindern mit sich bringt, werden uns immer aufrütteln und aus unserer Mitte reißen. Anstatt zu versuchen, »ruhig zu bleiben«, könnten Sie sich das Ziel setzen, aufmerksam zu beobachten, wann Sie beginnen, sich aufzuregen – und eine Reihe von Strategien entwickeln, wie Sie wieder innerlich ruhig werden.

Es ist ein bisschen wie wenn man ein Musikinstrument spielen lernt. Zuerst scheint es unmöglich, eine einfache Melodie zu spielen. Wenn Sie aber regelmäßig üben, können Sie nach einem Jahr eine Sonate spielen. Wie bei jeder Praxis werden Sie niemals perfekt sein, aber jedes Mal, wenn Sie sich beruhigen, wird es einfacher. Sie schaffen die Nervenverbindungen für eine bessere Selbstregulierung und vernetzen so tatsächlich Ihr Gehirn neu.

Wenn Sie genug Schlaf bekommen und Ihre Grundbedürfnisse erfüllt sind – was oftmals für viele Eltern ein Riesenproblem ist –, dann werden Sie in der Lage sein, sich wieder einzukriegen, bevor Sie in den »unteren Weg« oder »niederen Modus« abdriften, wie es der Co-Autor von Gemeinsam leben, gemeinsam wachsen, Daniel Siegel, nennt.4 Sie kennen den »unteren Weg«. Es ist der Moment, in dem Sie sich gestresst, erschöpft, verärgert fühlen. Wenn Sie darauf bestehen, dass Sie recht haben oder Ihren Kindern eine Entschuldigung abringen. Wenn Sie sich im Kampf-oder-Flucht-Modus befinden und Ihre Kinder Ihr Feind sind. Wenn Ihr Geduldsfaden so kurz ist, dass Sie sich berechtigt fühlen, Ihren eigenen kleinen Trotzanfall zu haben. Sie kennen aber auch den richtigen Weg. Auf dem befinden Sie sich dann, wenn Sie sich richtig gut fühlen, sodass Sie emotional großzügig sein können. Wenn Sie mit Geduld, Verständnis und Sinn für Humor auf die Streitereien Ihrer Kinder reagieren. Wenn es Ihnen Freude bereitet, Vater zu sein.

Der erste Schritt besteht darin, dass Sie üben zu erkennen, wann Sie sich auf den unteren Weg zubewegen. Im zweiten Schritt tun Sie nichts bis Sie sich wieder in Ihrer Mitte befinden. Dies kann Ihnen schnell gelingen – ein paar tiefe Atemzüge. Oder es dauert zwanzig Minuten, in denen Sie etwas Sport machen oder meditieren. (Klappt beides nicht, wenn Ihre Kinder da sind? Versuchen Sie es mit Musik und tanzen Sie mit Ihren Kindern, um Ihre Gefühlslage zu verändern.)

Das hört sich schwierig an, und das ist es auch. Aber Sie können mit ein paar einfachen Übungen klein anfangen. Versuchen Sie es z. B. mit der Übung »Fünf Atemzüge nehmen«, um bei sich anzukommen und zu zentrieren. Atmen Sie einfach fünf tiefe, langsame Atemzüge. Um die Wirkung zu verstärken, nehmen Sie während der Atmung wahr, was in Ihrem Körper los ist. Stellen Sie sich vor, wie Sie Licht in alle angespannten Stellen in Ihrem Körper einatmen und Spannung ausatmen. Diese täuschend einfache Übung hilft Ihnen, sich Ihren Stress bewusst zu machen, damit Sie durch ihn durch atmen und loslassen können. Studien haben ergeben, dass man sich mithilfe bewusstes Atmens, wie die gerade genannte Übung, aus einen Gefühl des Gestresst-seins in nur fünf Atemzügen in einen entspannten Zustand bringen kann. Die Wirkung dieser Atmung wird noch effektiver, je häufiger Sie sie praktizieren.5 Sie können fünf Atemzüge nehmen, während Sie ein weinendes Baby auf dem Arm halten, während Sie Ihre Kinder baden oder wenn Sie an der Ampel stehen.

Am wichtigsten ist es jedoch, dass Sie diese Übung machen können, bevor Sie dazwischen gehen, wenn sich Ihre Kinder streiten. Und das ist notwendig, denn wenn die Emotionen zwischen unseren Kindern hochkochen, befinden sie sich bereits im Zustand von »Kampf, Flucht oder Starre«. Sprich: Sie glauben, es handelt sich um einen Notfall. Für uns Eltern ist es somit ganz normal, so zu reagieren, als wäre es wirklich ein Notfall. Das Problem hierbei ist, dass niemand klar denken kann, wenn das Gehirn mit Biochemikalien überschüttet wird, die uns während eines Notfalls überschwemmen.6

Überlegen Sie, wie dies funktioniert. Ihr Sohn stößt seine kleine Schwester um. Ist das ein Notfall? Genau genommen nicht. Aber es fühlt sich sehr wahrscheinlich wie einer an. Ohne dass es Ihnen überhaupt bewusst ist, befinden Sie sich in einem Zustand von »Kampf, Flucht oder Starre« und Ihr Sohn sieht wie der Feind aus. Bevor Sie sich versehen, schreiten Sie ein mit heulenden Sirenen, um den Feind zu besiegen und Ihr Baby zu retten.

Unglücklicherweise helfen diese heulenden Sirenen nicht, sondern verschlimmern nur den Zustand der Anspannung, in dem sich beide Kinder befinden. Ihre Tochter, die sich zwar erschrocken, aber nicht wehgetan hat, beginnt zu heulen. Ihr Sohn flieht hinter die Couch, wohin Sie ihn unter Schreien und Drohen verfolgen. Es braucht zwanzig Minuten, bis die Ruhe wiederhergestellt ist.

Wiederholt sich diese Situation in unserem Haus häufig, so werden die Amygdalas unserer Kinder – der Teil des Gehirns, der uns vor Gefahren warnt – aktiver und ängstlicher. Sie sind schneller auf 180, wenn sie sich ärgern. Da sie sich leichter bedroht fühlen und aus der Fassung zu bringen sind, streiten sie mehr miteinander.

Eine wichtige Information für Sie ist, dass Kinder mit unfertigen Gehirnen geboren werden, damit das Kind die größte Chance erhält, sich an die Besonderheiten seiner Umwelt anzupassen. Ihre Gehirne formen sich sprichwörtlich in Abhängigkeit von ihren Interaktionen mit uns.7 Und je öfter wir aus der Haut fahren, desto öfter erhalten unsere Kinder die Information, dass das Leben häufig ein Notfall ist. Sie erschaffen ein Gehirn, das auf Selbstschutz ausgerichtet ist, wodurch das Kind noch aggressiver wird.

Natürlich liefert das Leben mit Kindern den Eltern genügend Gründe, um verärgert, überwältigt und wütend zu sein. Der Säugling hört nicht auf zu weinen, das kleine Kind haut den Säugling, das Vorschulkind spült den Teddy der jüngeren Schwester die Toilette hinunter und der Sechsjährige wiederholt jedes Schimpfwort, das er in der Schule hört, um seinen kleinen Bruder zum Weinen zu bringen. Besonders wenn unsere Kinder streiten, ist es für uns selbstverständlich, dass wir verärgert sind. Also stürzen wir uns in den Kampf, wir schreien, ergreifen Partei und sagen Dinge, die wir später bereuen. Wir versuchen nur, das Problem zu lösen, doch wenn wir aus einem Gefühl des Notfalls heraus handeln, verschlimmern sich die Dinge unausweichlich zum einen in der unmittelbaren Situation und zum anderen in der Beziehung unserer Kinder untereinander.

Die Eltern von Camille wuchsen in lauten Haushalten auf, und wenn sie frustriert sind, schreien sie. Wenn die dreijährige Camille aus der Reihe tanzt, schreien sie sie an. Und wenn ihr kleiner Bruder Marco ein Spielzeug von ihr nimmt oder anfängt zu quengeln, schreit Camille ihn an. Genau genommen schreit Camille Marco an, wenn sie einfach nur mürrisch oder nicht gut drauf ist. Marco beginnt nun mit seinen sechzehn Monaten, sie zurück anzuschreien.

Die Eltern von Isabel wuchsen auch in lauten Haushalten auf, doch sie haben hart daran gearbeitet, mit dem Schreien aufzuhören. Natürlich sind sie auch frustriert, gerade wenn die dreijährige ­Isabel ihre Gefühle auslebt. Deshalb haben sie sich ein Repertoire an Möglichkeiten zugelegt, wie sie ihre Emotionen regulieren können, wenn sie verärgert sind, um so ihre Kinder weniger anzuschreien. Wenn Isabels kleiner Bruder Milo eines ihrer Spielzeuge nimmt, versucht sie nun mit ihm Spielzeuge zu tauschen. Wenn Milo anfängt zu quengeln, ahmt sie ihre Eltern nach: »Milo, du traurig? … Ich helfe dir.« Milo bietet mit seinen sechzehn Monaten nun Spielzeuge an und Isabel kann Milo besser aufmuntern als ihre Eltern.

Kinder lernen, was sie in ihrem Leben erfahren. Wenn wir schreien, dann leben wir das Verhalten vor, das unsere Kinder nachahmen werden:

 sich gegenseitig und uns anzuschreien

 auf unausweichliche Konflikte und Frustrationen im Alltag mit Schreien und Vorwürfen zu reagieren anstatt mit dem Gegenüber gemeinsam eine Lösung zu finden

 ihre Wut an anderen auslassen, wenn sie von der Rolle sind.

Es hört sich vielleicht überraschend an, aber indem Sie lernen, sich zu beruhigen, gehen Sie einen der wichtigsten Schritte überhaupt, um die Beziehung Ihrer Kinder untereinander zu stärken. Ist das einfach? Nein. Die eigenen Gefühle zu regulieren ist der schwierigste Teil des Elternseins und für gewöhnlich ein andauernder Prozess / andauernde Baustelle. Eine jede von uns wird die Grenze überschreiten, wenn wir zu weit getrieben werden. Aber aus diesem Grund ist es Ihre Verantwortung als Eltern, dass Sie von der Grenze wegbleiben. Das Regulieren der eigenen Emotionen ist für uns alle eines der schwierigsten Dinge, doch das ist keine Entschuldigung dafür, es nicht in Angriff zu nehmen. Wenn Sie jemand sind, der schreit, dann ist die beste Zeit jetzt, um dies zu ändern. Es ist nicht leicht, aber ich habe erlebt, wie Tausende Väter und Mütter es geschafft haben. (Weitere Unterstützung, wie Sie mit dem Schreien aufhören können, finden Sie in Teil 1 von Gelassene Eltern – zufriedene Kinder: Wie Sie liebevoll bleiben, statt zu schreien, zu schimpfen oder zu drohen.)

Die gute Nachricht ist: Wenn Sie ruhig reagieren können, auch wenn die Emotionen überkochen, lernen Ihre Kinder weitere zielführende Möglichkeiten, ihre Emotionen zu steuern, wenn sie verärgert sind. Sie lernen:

 Diese Situation erscheint mir wie ein Notfall, aber tatsächlich ist es keiner.

 Ich weiß, man hört mir zu, somit kann ich meinen Geschwistern auch zuhören.