Gelassene Eltern – glückliche Geschwister

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Wir können immer eine Lösung finden: Emotionscoaching

Was ist Emotionscoaching? Es hilft Ihren Kindern dabei, emotionale Intelligenz zu entwickeln. Emotionale Intelligenz ermöglicht es uns, unsere Emotionen zu regulieren, gut mit anderen zu arbeiten und zu spielen, und in jeder Beziehung Konflikte durchzuarbeiten, sodass beide Parteien ihre Bedürfnisse auf gesunde Art und Weise erfüllt bekommen. Der Begriff »Emotionscoaching« wurde von John Gottman geprägt, Autor von Kinder brauchen emotionale Intelligenz: Ein Praxisbuch für Eltern.8 Er hat in seinem »Love Lab« in Seattle jahrelang Familien beobachtet und ist zu dem Schluss gekommen, dass, auch wenn es essenziell ist, es nicht ausreicht, eine liebevolle Mutter zu sein, um ein Kind großzuziehen, das sich selbst regulieren kann. Kinder brauchen unsere Unterstützung im Umgang mit den schwierigen Gefühlen, die für sie herausfordernd sind: Eifersucht, Wut, Angst.

Damit wir Kindern im Umgang mit Emotionen helfen können, müssen wir zunächst verstehen, dass sobald wir zulassen, die Emotion zu fühlen, beginnt sie sich aufzulösen. Wenn wir andererseits versuchen, die Emotion wegzuschieben, verfrachten wir sie am Ende in unser Unterbewusstsein, wo wir keine Kontrolle mehr über sie haben. Darum wird bei uns der »Knopf gedrückt« und wir explodieren: Diese aufgestauten Gefühle drängen unentwegt, an die Oberfläche zu kommen und geheilt zu werden. Da sie aber nicht bewusst kontrolliert werden können, strömen sie unkontrolliert heraus. Somit ist das Ziel des Emotionscoaching zum einen, Kindern Sicherheit zu geben, damit sie ihre Emotionen fühlen und so Ärger und Verstimmungen geheilt werden können, wenn sie an die Oberfläche kommen, zum anderen, Kindern dabei zu helfen, mit ihren Gefühlen umzugehen. Sobald sie mit ihren Emotionen umgehen können, können sie ihr Verhalten steuern.

Warum spielt Emotionscoaching bei der Bindung zwischen Geschwistern eine Rolle? »Sogar in Familien, in denen die Kindern ausreichend Zuneigung von beiden Elternteilen erhalten, kann es vorkommen, dass kleine Kinder nicht in der Lage sind, prosoziale Beziehungen zu ihren Geschwistern zu entwickeln, wenn es ihnen niemand zeigt«, erklärt ­Laurie Kramer, eine Expertin für Geschwisterbeziehungen, die mit ­Gottman zusammengearbeitet hat.9 Emotionscoaching hilft Kindern dabei, zu lernen, wie sie sich beruhigen können, die Sicht des Bruders oder der Schwester zu verstehen und ihre Bedürfnisse in Worten auszudrücken, statt in einem Konflikt mit der Schwester um sich zu schlagen – auf diese Art und Weise können ihnen Win-win-Lösungen einfallen.

Wir sprechen bereits von Fähigkeiten emotionaler Intelligenz, wenn ein Kind in der Lage ist, sich selber zu beruhigen, wenn es verärgert ist. Bei manchen Kindern ist die angeborene Fähigkeit, sich zu regulieren, ausgeprägter als bei anderen. Doch alle Eltern haben eine enorme Einwirkungsmöglichkeit, wenn sie ihren Kindern dabei helfen, die Fähigkeit des Sich-selber-Regulierens zu entwickeln. Da sich das Gehirn in den ersten Lebensjahren als Reaktion auf die gemachten Erfahrungen formt, legt das Gehirn eines Babys jedes Mal, wenn Sie es trösten, Nervenbahnen an, um seinen Ärger zu beruhigen.10 Indem Sie einfach Ihren Säugling oder Ihr Kleinkind trösten, wenn es traurig ist, bringen Sie dessen Körper dazu, beruhigende Biochemikalien auszuschütten und stärken somit die zukünftige Fähigkeit, sich selbst zu beruhigen – die grundlegendste Kompetenz emotionaler Intelligenz. (Sie haben vielleicht davon gehört, dass Babys lernen, sich selber zu beruhigen, wenn man sie alleine lässt. Neuere Studien der Hirnforschung haben jedoch diesen veralteten Ratschlag widerlegt.11) Wenn Ihr Kleinkind älter wird, unterstützen Sie es weiterhin dabei zu lernen, sich selber zu beruhigen, indem Sie seinen Schmerz oder Frustration anerkennen. Dadurch kann es seine Emotionen annehmen. Dies ist der erste Schritt im Lernprozess, Emotionen zu bewältigen. Wenn Ihr Kind sich nur schwer selber beruhigen kann, können Sie ihm dabei helfen, diese wichtige Fähigkeit zu erlernen, indem Sie es in den Arm nehmen, während es weint, und tief atmen. Beim Ausatmen geben Sie einen beruhigenden Ton von sich. Wenn es sich dann wieder gefasst hat, können Sie ihm vorschlagen, dass es mit Ihnen zusammen auf diese Art und Weise atmet.

Beim Emotionscoaching besteht die wichtigste Kompetenz für Eltern darin, dass sie sich in die Gefühle des Kindes einfühlen. Dies hat zur Folge, dass sich das Kind beruhigt und gleichzeitig seine Fähigkeit, Empathie zu empfinden, entwickelt. Nahezu alle Kinder sind instinktiv von Geburt an in der Lage, die Emotionen anderer mithilfe der Spiegelneuronen und des limbischen Systems zu verstehen. Erleben die Kinder jedoch nicht, dass sie sich verstanden fühlen, lernen sie nicht, sich sicher im Umgang mit Emotionen zu fühlen. Dann machen ihnen aufgebrachte Gefühle anderer Menschen Angst. Aus diesem Grund ist Ihre Hingabe, sich in Ihr Kind einzufühlen, ein entscheidender Faktor in Bezug auf die Fähigkeit Ihres Kindes, seinem Bruder oder Schwester Verständnis entgegenzubringen.

Ihre Empathie hilft außerdem Ihren Kindern zu lernen, sich selbst zu regulieren. Wenn sich ein Kind verstanden fühlt, erlebt es ein Gefühl der Verbundenheit mit seinen Eltern und wird eher Grenzen akzeptieren und kooperieren. Es lernt, dass Gefühle nicht gefährlich sind und dass es sich entscheiden kann, ob es auf ein Gefühl reagiert oder nicht. Auf diese Weise baut es seine Fähigkeit, sich zu regulieren aus. Dadurch kann es mit Enttäuschungen besser umgehen und wird somit widerstandsfähiger. In Gegensatz dazu – und dies ist wichtig zu wissen – wird ein Kind, das denkt, dass seine Gefühle nicht in Ordnung sind, diese verdrängen. Leider sind unterdrückte Gefühle nicht bewusst kontrollierbar und werden später als »schlechtes« Verhalten an die Oberfläche katapultiert.

Was machen Sie eigentlich genau, wenn Sie empathisch sind? Empathisch sein bedeutet einfach, dass Sie anerkennen – in Ihrem Herzen, nicht nur mit Worten –, was die andere Person gerade fühlt. Der Trick hierbei ist, dass wir unsere eigenen Themen zurücknehmen, damit wir wirklich zuhören und wahrnehmen können, was unser Kind gerade fühlt. Immer, wenn Kinder Schwierigkeiten haben, gilt es, als Erstes empathisch zu sein.

»Es ist schwer, wenn du spielen möchtest, aber dein Bruder lieber alleine sein möchte.«

»Du kannst dich ausgeschlossen fühlen, wenn deine Schwester Geburtstag hat und dein Geburtstag noch Monate entfernt ist.«

»Oh Liebes, es tut mir so leid, dass deine Schwester dein Bild zerrissen hat … du bist so traurig und wütend, dass du schlagen möchtest. Komm, lass uns das deiner Schwester in Worten sagen.«

Emphatisch sein stellt sich für die meisten von uns nicht automatisch ein. Das liegt nicht daran, weil wir unfreundlich sind, sondern weil wir in unserem Alltag die anderen Menschen durch die Brille unserer eigenen Bedürfnisse und Wünsche sehen. Wenn unser Kind traurig ist, nehmen wir dies nicht automatisch aus der Sicht des Kindes wahr. Wir sehen es aus unserer Perspektive. Daher erleben wir die Emotionen unseres Kindes oft als lästig, überzogen und als wenn es unser Leben absichtlich schwer machen würde.

Wenn wir möchten, dass unser Kind dem Bruder oder der Schwester gegenüber Empathie empfindet, dann müssen auch wir Empathie dem Kind gegenüber empfinden. Dies bedeutet, dass egal, was es sagt oder tut, wir zum Ziel haben, seine Perspektive mit Verständnis anzunehmen – auch wenn Sie nicht seine Ansicht teilen.

Was ist, wenn Sie nicht immerzu empathisch sein können? Das ist in Ordnung. Es ist ein Ziel, und wie die meisten erstrebenswerten Ziele erfordert es eine Menge Übung. Manchmal werden Sie zu wütend oder zu abgelenkt oder zu müde sein. Ihr Kind braucht von Ihnen nicht, dass Sie 100 % der Zeit empathisch sind. Arbeiten Sie einfach daran, die Prozentzahl zu erhöhen.

Viele Eltern haben Angst, dass ihr Kind zu einer »Drama Queen« wird, wenn sie die Emotionen des Kindes anerkennen. Doch tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Wenn Eltern ihr Herz aufrichtig öffnen und einen Raum bieten, sodass ihr Kind alles zum Ausdruck bringen kann, lernt das Kind:

 »Meine Emotionen sind normal, nicht gefährlich.« Emotionen können sich überwältigend anfühlen, aber das Kind lernt, dass es o.k. ist, sie zu fühlen. Und wenn das Kind dies tut, verlieren die Emotionen ihre Kraft.

 »Wenn ich sage, wie ich mich fühle, werde ich nicht so wütend.« Die Emotionen bleiben unter Kontrolle. Somit kann das Kind sein Verhalten besser regulieren, sogar wenn es wütend ist.

 »Zu merken, was ich fühle, hilft mir dabei, mit Worten auszudrücken, was ich fühle, anstatt meinem Bruder wehzutun.« Es gefällt Ihnen vielleicht nicht, wenn Ihr Kind schreiend zum Ausdruck bringt, wie wütend es ist. Aber es ist ein Riesenschritt vorwärts weg vom Wild-um-sich-schlagen.

 »Ich habe gedacht, ich bin wütend, und das bin ich. Aber wütend ist kompliziert. Es ist alles eingepackt in Verletzt- und Verängstigt- und Traurig­-sein. Wenn ich diese Dinge bemerke, bin ich nicht mehr so wütend.« Dies ist die Grundlage von Aggressionsbewältigung. Wünschten Sie sich nicht, Sie hätten dies als Kind gelernt?

Diese Herangehensweise an Emotionen ist vielleicht neu für Sie. Denken Sie daran, ich schlage nicht vor, dass Sie die Verhaltensregeln ändern, die Sie bei sich zu Hause befolgen, sondern dass einfach alle Emotionen angenommen werden können. Auf diese Art und Weise kann sich Ihr Kind mit seinen Emotionen »anfreunden«, was ihm wiederum im Prozess hilft zu lernen, diese zu regulieren. Mit der Zeit wird es Ihnen leichtfallen, Emotionen anzunehmen, sogar wenn Sie gestresst sind. Sie werden feststellen, dass Sie nicht so leicht verärgert sind, wenn Ihr Kind verärgert ist, und dass Sie auf eine ganz neue Art und Weise geduldig sein können.

 

Während Sie diese empathische Herangehensweise ausprobieren, werden Sie einen sofortigen Wandel in Ihrem Kind feststellen. Vielleicht bietet es Ihnen sogar an, Sie zu umarmen, wenn Sie traurig sind. Ein Kind, das von Eltern großgezogen wird, die es im Umgang mit seinen Emotionen coachen, wird die Gefühle verstehen, die andere Menschen antreiben, und sich gekonnt in der komplexen emotionalen Welt der Beziehungen mit FreundInnen, MitschülerInnen und LehrerInnen zurechtfinden. Und – Halleluja! – Geschwistern.

2 Kohn, Alfie: Liebe und Eigenständigkeit: Die Kunst bedingungsloser Elternschaft, jenseits von Belohnung und Bestrafung. Freiburg: Arbor Verlag, 2010 (orig. ders., Unconditional Parenting: moving from rewards and punishments to love and reason. New York, NY: Atria Books, 2005).

3 Brody, Gene: Sibling Relationship Quality: Its Causes and Consequences. In: Annual Review of Psychology, 49, 1998, S. 1–24 (doi: 10.1146/annurev.psych.49.1.1).

4 Siegel, Daniel und Hartzell, Mary: Gemeinsam leben, gemeinsam wachsen: Wie wir uns selbst besser verstehen und unsere Kinder einfühlsam ins Leben begleiten können. Freiamt: Arbor Verlag, 2003, 2. Aufl. 2009, Seite 193ff (orig. dies., Parenting from the inside out: How a deeper self-understanding can help you raise children who thrive. New York, NY: Tarcher / Penguin, 2003). Siegel, Daniel: The Low Road. In: ­PsychAlive, 3. März 2011. Auf: www.youtube.com/watch?v=WkEcpBU3TpE.

5 Benson, Herbert und Klipper, Miriam: Gesund im Stress: eine Anleitung zur Entspannungsreaktion. Berlin u. a.: Ullstein Verlag, 1978 (orig. dies.: The relaxation response. New York, NY: Avon Press, 1976; Kindle edition: New York, NY: HarperCollins, 2009).

6 Restak, Richard: Geist, Gehirn und Psyche: Psychobiologie: die letzte Herausforderung. Frankfurt a.M.: Umschau-Verlag, 1981 (orig. ders.: The Brain: The Last Frontier. New York, NY: Warner Books, 1980).

7 Schore, Allan: Affect Regulation and Repair of the Self. New York, NY: W.W. Norton & Co., 2003.

8 Gottman, John Mordechai und Declaire, Joan, Kinder brauchen emotionale Intelligenz: Ein Praxisbuch für Eltern. München: Heyne Verlag, 1998 (orig. dies., The Heart of Parenting: Raising an Emotionally Intelligent Child. New York, NY: Simon and Schuster, 1997).

9 Bronson, Po und Merryman, Ashley: 10 schockierende Wahrheiten über Erziehung: was eine Stunde Schlaf mit ADS zu tun hat, warum Sie Ihr Kind besser nicht loben sollten und warum besonders gut gemeinte Erziehung keine »Engel« produziert. München: Rieman Verlag, 2010 (orig. dies.: NurtureShock: new thinking about children. New York, NY: Twelve Books, 2011).

10 Schore, Allan: Affect Regulation and Repair of the Self. New York, NY: W.W. Norton & Co., 2003.

11 Sunderland, Margot: Die neue Elternschule: Kinder richtig verstehen und liebevoll erziehen. München: Dorsey-Kindersley, 2006 (orig. dies., The science of parenting: How today’s brain research can help you raise happy, emotionally balanced children. New York: DK Publishing, 2006). Schore, Allan (2003). Affect Regulation and Repair of the Self. New York: WW Norton & Company. Schore, Allan: Affect Regulation and Repair of the Self. New York, NY: W.W. Norton & Co., 2003.

2
Wie gelassene Disziplin die Geschwisterbeziehung unterstützt

Eine beeindruckende Anzahl an Forschungsarbeiten hat nachgewiesen, dass die Beziehung eines Elternteils mit jedem einzelnen Kind – inbegriffen die Art und Weise, wie der Elternteil bestraft – eine große Auswirkung auf die Qualität der Beziehungen zwischen den Kindern untereinander hat.12

Gene Brody, einer der angesehensten und erfolgreichsten Wissenschaftler in Bezug auf Geschwister, hat immer wieder festgestellt, dass wenn Eltern bei der Führung ihrer Kinder konsequent auf Strafen verzichten, ihre Kinder weniger streiten und netter zueinander sind. Wie ich bereits in der Einführung erwähnt habe, neigen jüngere Kinder dazu, miteinander zu streiten, auch wenn die Eltern nicht strafen. Das liegt vermutlich daran, weil es kleinen Kindern schwerfällt, sich zu regulieren. Aber wenn die Kinder von coachenden Eltern älter werden, sind sie eher in der Lage, ihre Emotionen zu regulieren und nett zu ihren Geschwistern zu sein als Kinder, die mit konventioneller Disziplin erzogen wurden.13

Eine Studie zu Geschwisterbeziehungen fand heraus, dass die Geschwister in der Studie, die »mitfühlend und fürsorglich zueinander waren« (etwa ein Drittel der Kinder), Eltern hatten, die warmherzig waren und ihre Kinder unterstützten, um ihre Erwartungen zu erfüllen. Weitere 30 Prozent der Geschwister wurden als »in hohem Maße konkurrierend« und »manchmal aggressiv« eingestuft, obwohl auch »manchmal warmherzig« – im Grunde genommen so wie wir oft über Geschwisterbeziehungen denken. Diese Kinder kamen aus Familien, in denen mindestens ein Elternteil entweder streng, alles erlaubend oder gleichgültig war. Weitere 22 Prozent der Geschwister wurden als äußerst aggressiv und kalt im Umgang miteinander eingestuft; diese Kinder hatten Eltern, die beide entweder streng oder gleichgültig waren. Und die übrigen 10 Prozent? Sie kamen aus zerrütteten Familien, in denen die Eltern den Kindern emotional nicht zur Verfügung standen. Diese Kinder waren verstrickt, sprich, ihre Beziehungen waren gestört.14 Sie kümmerten sich umeinander, da ihre Eltern nicht für sie da sein konnten, aber Geschwister sollten sich nicht gegenseitig erziehen.

Das bedeutet also, dass Eltern, die angemessene Erwartungen stellen und ihre Kinder darin unterstützen, diese Erwartungen zu erfüllen, Kinder erziehen, die wahrscheinlich eher miteinander auskommen. Strenge und nachgiebige Eltern andererseits erziehen Kinder, die häufiger streiten.

Warum Bestrafung und Nachgiebigkeit dazu führt, dass sich Geschwister noch mehr streiten

Die Meisten von uns wissen instinktiv, warum Nachgiebigkeit unseren Kindern nicht dabei hilft, sich zu verstehen. Wenn wir wollen, dass sie sich gut behandeln, müssen wir eine klare Erwartungshaltung darüber festlegen, wie wir zu Hause miteinander umgehen, und unsere Kinder darin unterstützen, diesen Erwartungen gerecht zu werden. Aus diesem Grund kann der Ratschlag, dass Eltern die meisten Streitigkeiten unter Geschwistern ignorieren sollten, kontraproduktiv sein. Dies wird in Teil 2 eingehender erklärt.

Für Eltern ist es dennoch oftmals schwer zu verstehen, warum Bestrafung dazu führt, dass Geschwister mehr streiten. Schließlich bestrafen wir, um für die Einhaltung unserer Grenzen zu sorgen und wichtige Lektionen zu lehren. Warum sollte das dazu führen, dass unsere Kinder weniger nett zueinander sind?

Betrachten wir dieses Thema durch die Augen des Kindes, so erhalten wir einige überraschende Einblicke. Aus der Sicht Ihres Kindes ist Disziplin kein Mittel, um ihm angemessenes Verhalten beizubringen. Vielmehr versteht Ihr Kind ganz richtig Disziplin als eine Möglichkeit, wie Sie mit Konflikten umgehen, wenn Familienmitglieder wütend sind oder kollidierende Wünsche haben. Mit anderen Worten, die Art und Weise, wie Sie Ihr Kind maßregeln, nimmt sich Ihr Kind als Vorbild für den Umgang mit zwischenmenschlichen Problemen. Somit lehrt Bestrafung, bei der Gewalt angewendet wird, immer dann Gewalt gegenüber dem Bruder oder der Schwester anzuwenden, wenn ein Problem gelöst werden muss.

Möchten Sie noch ein paar weitere Einblicke darüber erhalten, wie Ihr Kind Bestrafung empfindet und wie diese Ihr Kind und seine Beziehungen zu seinen Geschwistern prägt?

1 Bestrafung hat zur Folge, dass Kinder versuchen, weitere Bestrafungen zu vermeiden. Dies ist nicht das Gleiche, wie wenn einem andere am Herzen liegen. Sie lernen vielleicht, nicht ihren Bruder oder Schwester zu schlagen, unterlassen dies aber nur, weil sie nicht noch mehr Ärger bekommen wollen, und nicht, weil sie damit ihrem Bruder oder ihrer Schwester wehtun. Bestrafung verzögert die Entwicklung von Empathie. Dadurch ist es für Kinder schwieriger, die Perspektive des Bruders oder der Schwester wahrzunehmen.15

2 Setzt man Grenzen ohne empathisches Einfühlen, so nimmt man den Kindern die Möglichkeit, Selbstdisziplin zu verinnerlichen.16 Niemand mag kontrolliert werden, somit überrascht es nicht, dass Kinder ­Grenzen ablehnen, die nicht empathisch sind. Wenn Kinder sich unseren Grenzen widersetzen, nehmen sie die »Kontrolle« außerhalb von sich wahr. So verrückt es auch klingen mag, dies bedeutet, dass sie es als Ihre Aufgabe ansehen, sie davon abzuhalten, ihren Bruder anzugreifen, wenn sie wütend sind, und nicht als ihre eigene Aufgabe, sich zu regulieren. Wenn wir Grenzen setzen, bei denen sich das Kind verstanden fühlt, verinnerlicht es am Ende unsere Grenzen – und übernimmt Verantwortung für sich, sogar wenn keine Autoritätsperson anwesend ist.17

3 Kinder, die mit Bestrafung aufwachsen, lernen, diese gegen ihre Geschwister einzusetzen, um ihre eigene Position und Macht zu erhöhen. Wenn Kinder wissen, dass ihr(e) Konkurrent(in) bestraft werden wird, haben sie einen Anreiz zu petzen, denn so können sie entweder dem Geschwisterkind wehtun oder die Rolle des »braven Kindes« einnehmen.“ (Mehr über Petzen in Kapitel 4.)

4 Wenn Geschwister dafür bestraft werden, dass sie sich streiten, werden sie nachtragender zueinander und konzentrieren sich mehr darauf, sich zu rächen. Oftmals geraten sie in einen negativen Kreislauf von aufwiegelnden Konflikten und versuchen es so darzustellen, dass es die Schuld des anderen Kindes ist.

5 Wenn Kinder mit strafender Disziplin aufwachsen, neigen sie eher zu Wut und Depression.18 Das liegt daran, weil wir ihnen beibringen, dass der Teil ihres Ichs, der ihre Emotionen ausmacht, für uns nicht annehmbar ist. Da die Eltern ihnen nicht dabei helfen zu lernen, wie sie mit diesen schwierigen Gefühlen umgehen können, werden sie allein gelassen und versuchen für sich herauszufinden, wie sie ihre »niederen« Impulse überwinden können. Aus diesem Grund haben sie Probleme, ihre Wut zu beherrschen und neigen dazu, dies an ihren Geschwistern auszulassen, die sich in den meisten Fällen in unmittelbarer Nähe befinden.

6 Bestrafung lehrt Angst. Kinder lernen, was sie erleben und was Sie vorleben. Wenn Kinder das tun, was Sie wollen, weil sie Angst vor Ihnen haben, ist es nur noch ein kleiner Schritt zum Tyrannisieren. Wenn Sie schreien, werden die Kinder schreien. Wenn Sie Gewalt anwenden, werden die Kinder Gewalt anwenden. Und zwar gegen jede(n), gegen die oder den sie es können – auch ihre Geschwister.

Vielleicht ist es nicht leicht zu hören, aber die Forschungsergebnisse sind eindeutig: Kinder lernen durch Bestrafung am Ende völlig unbeabsichtigte Lektionen über die Themen Macht ausüben, Streitigkeiten beilegen und Umgang mit aufwühlenden Gefühlen. Somit gefährdet es für gewöhnlich nicht nur die Entwicklung Ihres Kindes, wenn Sie es bestrafen, sondern es hat einen negativen Einfluss auf die Beziehung Ihrer Kinder zueinander.