Die Forelle

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Ich sah hinaus auf die abstehenden Wehen Haar an Ernstls Kopf und dann auf die krausen Büschel grüner Nadeln, die seit Urzeiten über einem in der Zimmerecke stehenden Terrakotta-Topf hingen. Zuvor war die Pflanze aus jenem Erdhügel gesprossen, den die wenigen Eingeladenen in schwarzen Kutten mit Miniaturhandspaten, auf dass er wachse, Häufchen für Häufchen, zunächst auf das Holz, bald auf die erste Schicht seiner selbst, auf das Fundament des Humushaufens, zuletzt auf die Spitze, das endgültig zugeschüttete Grab von Ernstls Vater geschaufelt hatten, dessen Leichnam ins norditalienische Südtirol überstellt worden war. »Die Totengräber hatten nicht viel Arbeit«, hatte Ernstl gesagt und gelacht. »Und erst die Träger«, abgemagert und einen Kopf leichter. Eigenhändig habe Ernstl den Rosmarin hierher verbracht aus der Asche des Vaters. Sie hätten ihn denunziert. »Herumgelaufen sind wir in Gewand. Das war Nazi, sagten sie. Vor der Wanderung hat es die Mutter extra zerschnitten. Hat zerschlissene Fetzengwandl genäht. Das letzte Hemd im Haushalt aufgetrennt. Zerrissen in tausend Stück Stoff. Die hat sie wild durcheinandergemischt in einem Muster. Dass wir unerkennbar werden und alle Zeichenleser verwirren. Sie war eine gute Hausfrau und tolle Schneiderin. Aber der Schuster bleibt bei seinen Leisten. Unsere festgenagelten Stiefel hätten uns verraten. Also haben es eben die Bauern gerichtet. Bastarde wurden wir in ihren Augen. Überläufer, Gestaltwandler, Zigeunerzauberer, die noch nicht mal Zigeuner waren. Weil wir alles gleichzeitig und damit nichts waren. Und was haben sie gemacht gegen die Hybriden in Graz? Sind zu den Beamten gegangen. Deren Gestern war ja auch schon lang vergangen. Einen ordentlichen Schinken vom schwarz geschlachteten Schwein auf den Katheder. Und schon ist er gerollt, der Vaterkopf, mit Telleraugen, vom Amischafott, vor die Drecksbauernschuhe, der geflohene Südtiroler als Quotennazi. Alle sind sie hin zur Enthauptung und haben sich gegrüßt. Da sind die Heils nur so geflogen. Und hinterher Truemänner und Churchills und Stalins. Der braune Rost nagte schon wieder in die Kirchenstatuen und amerikanischen Blasinstrumente hinein bis Rock ’n’ Roll. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, Amen. Mah, Nina, so super, was für ein Selchroller. Und erst dieser Weinstein am Flaschenboden. Na, gehts uns nicht gut, heute? Bist jetzt schon fertig mit der depperten Arthofer HC?«

12
Kurti und die Rinder

Lena spitzte auf die Töpfe. »Tafelspitz«, sagte ich und tischte auf. »Spitze«, sagte Lena, schnitt die Tafelspitze einmal längs und zweimal quer. Sie tunkte die Messerspitze in den Apfelkren, spießte die Tafelspitzspitze auf, stippte sie zwischen ihre Lippen, sagte: »Es wär ja wirklich einsame Spitze.« Lukas und Johannes hielten inne in ihren Kaubewegungen. Der eine sagte: »Nanga-Parbat-Spitze, fast«, und der andere: »Everest-Spitze, sozusagen.« Ich zerdrückte ein Stück Fleisch zwischen Zungenspitze und Gaumen, brauchte gar nicht zu beißen. Die Fasern gingen einfach auseinander. »Ja, quasi, wenn der Typ nicht so ein Saubär wär«, sagte Lena. Ich fragte sachte nach, was sie meine, ärgerte mich ein bisschen. Das Bewegen meiner Kiefer beim Sprechen sah sicher aus, als kaute ich. Lenas unvollständiger Satz sprach Kurtis Fleisch die Weichheit ab. Einmal bisher sei er hier gewesen und habe seine Kesselheiße gemacht, setzte sie an. Begeisterung sah ich funkeln in den Augen der Kinder. Verzückt schauten sie auf ihre Teller, als lägen wieder diese Würste darauf. Und selbst musste ich schnell ein Stück Tafelspitz zwischen die Zähne schieben, um mich zu vergewissern, dass der Fettabglanz auf dem Silbermesser zwischen meinen Fingern wirklich Rinderfett war. All meine Bissigkeit ließ ich ab in die Tafelspitzfaser, knackte ordentlich drauf mit den Backenzähnen. Sagte sie jetzt, dass sie lieber Kesselheiße hätte, oder was? Dass Tafelspitz nicht gut genug war für die Kinder oder wie? Dass Onkel Kurti mal wieder vorbeikommen sollte für die Kesselei?

Aber nein. Sie schwadronierte einstimmig dahin, von links nach rechts die Gabelzinken schweben lassend, selbst ihr bester Dirigent, dass sie am nächsten Morgen im Schwesternzimmer gerade den Kaffeekannenschnabel senkte, gluckernd den nachtdienstverbrannten Satz in ihre Tasse kippte, von der glühheißen Brühe nippte, sich noch wunderte, wer die Platte, den rotblinkenden Kunststoffkippschalter, die Kaffeemaschine über Nacht angelassen hatte, als die diensthabende Schwester herantrat, fragte, wie die Kesselheiße gewesen war, und lachte. Bei der Visite, vor dem Bett eines Unfallopfers mit Verbrennungen dritten Grades, musste sie sich dann vom Intensivmedizinkollegen volllabern lassen, da habe jemand seinen Kessel wohl zu heiß gemacht. Dazu ließ er die Klemme des Klemmbretts gegen das Brett knallen und sein Gaumenzäpfchen lachend wackeln. Dann saß sie in der Spitalskantine jemandem gegenüber, den sie nicht mal kannte, von dem sie nur wusste, dass er auch an der Oberland-Unterland-Grenze wohnte, sein debiles Gesicht durch diese schreckliche Gegend schleppte, ebenso wie sie Tag für Tag die Stunde den Fluss hinunter und hinauf pendelte, weswegen sie jetzt auch endlich wieder wisse, warum sie keiner dieser verschissenen, vertratschten, stammtischhaften Fahrgemeinschaften angehörte, lieber alles alleine stemmte einschließlich der Gabel zum Mund. So schlecht schmeckte dieser Kantinenspinatkartoffelmischmasch, dass sich die Schwerkraft einfach verdoppelte und nochmal verdoppelte und nochmal bis in die Unendlichkeit, kaum hebt man eine Portion entgegen den eigenen Lippen.

Lena hatte sich jetzt richtig in Rage geredet, schlitzte die Luft inzwischen mit Gabel und Messer gestikulierend auf, stach auf unsichtbare Gegner ein mit einer Wildheit, dass Lukas und Johannes quälend langsam Messer und Gabel sinken ließen. Die Rindstücke steckten noch auf den Zinken, der Apfelkren rann den Kindern langsam über das Heft und die Messergriffe an die eigenen Finger. Nicht zum ersten Mal beschlich mich der Verdacht, für die beiden das Rauchen aufzugeben hätte nicht unheimlich viel Sinn ergeben. Mit kurzem Klappern ließen sie dann das Besteck auf die Tischplatte fallen, als Lena wieder zustieß, die Gabel in ein Stück Rind hieb, mit dem Messer auf dem Porzellanteller fuhrwerkte, wo nichts mehr zu schneiden war, sagte, sie habe ganz gedankenverloren in ihrem Essen herumgestochert, da habe ihr Kantinengegenüber, das diesen Scheißfraß schaufelbissenweise in sich hineinstopfte, doch tatsächlich mit vollem Mund, schmatzend und spuckend gesagt, sie solle sich nicht so haben, sie sei hier eben nicht in Kurtis Kesselei. Als sie dann zum Herrn Primar ging, um ihren Antrag auf Gehaltserhöhung unter vier Augen zu besprechen, habe sie vernehmen müssen, ihm sei zu Ohren gekommen, sie, Lena Heehrmann, ihres Zeichens Anästhesistin, beste Oberärztin des Teams, stünde schon verdammt hart auf Würste. Er könne und wolle so was wie sie nicht opfern, sie solle wiederkommen, ihr Gehalt werde dann überproportional angeglichen, wenn sie in den Wechsel komme. »Ich soll nochmal kommen, wenn ich meinen Uterus draußen hab. Das hat der Chefarzt bei meinem Einstellungsgespräch vor zehn Jahren gesagt. Am nächsten Tag hat sich das ganze Spital drüber schlappgelacht.« Lukas senkte seinen Kopf, versteckte, wie es ihm das Grinsen ins Gesicht riss. Sein Genick pochte auf und ab. Die Stöße kamen tief aus seinem Zwerchfell, gingen unterdrückt durch seinen ganzen Rücken. Ich bemühte mich, nicht hinzusehen, mit entsetztem Zurückschauen Lenas Blick zu fangen. Ein monotones Klack erklang, wann immer Lukas’ Arsch die Sitzfläche des Stuhls berührte im Rhythmus der Rucke. »Was hast du da in der Arschtasche?« Die Verwunderung in seinem Blick potenzierte sich, als ich Lukas am Arm in den Stand riss. Rückgratlos wie immer buckelte er vor mir. Ich packte ihn an der Schulter, drehte ihn herum, fasste in seine Gesäßtasche und hatte zwischen den Fingern ein Feuerzeug. »Wofür brauchst du das?« Er stammelte irgendetwas zusammen, woraufhin ich ihn auf sein Zimmer brachte, das Feuerzeug aus dem Fenster warf, ihm zuzwinkerte und sagte, »erschlagen hätt sie dich.« Dann gab es draußen in der Nacht einen monotonen Klackerklang und die alte Schachtel aus der Wohnung gegenüber schrie irgendetwas herüber durch ihr jetzt hellerleuchtetes, offenes Küchenfenster. »Ich komm gleich rüber«, schrie ich zurück. Als ich schon gehen wollte, die Türe mit der Schulter aufdrückte, sagte Lukas: »Dad?« – »Gewöhn dir das ab!«, sagte ich. »Voll ins Schwarze.« Vielleicht war mancher ein Rabenvater, aber da musste man einfach resignieren. »Ja, Spitze!«, sagte ich, und er: »Was ist mit meinem Essen? Das war echt lecker!« – »Gewöhn dir das ab!«, sagte ich und ging wieder hinüber in die Küche, wo Johannes brav und lieb Lukas’ Tafelspitze vertilgte, damit nichts weggeschmissen würde, wie er erklärte. »Wer bin ich denn? Objekt der Besprechung, oder was? Ich komm mir vor wie in der Patho«, schloss Lena und nahm einen Schluck Wein. Weil sie sich gerade wieder beruhigt, ich selbst schon wieder ein Stück Fleisch im Mund hatte und ich ihr nicht vorschlagen wollte, einen schreibmaschinenzeichenschwarzen Brief aufzusetzen, das Kuvert den Flusslauf hinunterzuschicken durch die dunklen Wälder auf asphaltfinsteren Straßen in einem lichtdichten Postautokofferraum, das Kuvert gestempelt in einen von Voestabgasen und Auspuffauswurf schwarzgestrichenen Linzer Briefkasten einschmeißen zu lassen, um ihren Chef bei einem anzugtragenden Beamten anzuschwärzen, falls das überhaupt ging, und der nicht pragmatisiert, amalgamplombiert, unter der gerahmten Photographie des schwarzen Landeshauptmanns der Frühpension entgegen in seinen Espresso sabberte, einen opalschwarzen Öffner zückte und die Umschlaglasche durchstieß, zufrieden seinen Blick über die Buchstaben schweifen ließ, sein Parteibuch aus der Schreibtischschublade holte und den Brief als besondere Auszeichnung einlegte in dem Gewissen, einem guten Land zu dienen, bis er unter die Erde ging: »Der Kurti schweigt wie ein Grab«, sagte ich nur.

 

Kurtis Kiefer, seine Mundschleimhäute, seine Zähne braun wie Gartenhumus, seine feinschmeckende und allenfalls Empfehlungen aussprechende Zunge, sogar die Lunge waren anderweitig beschäftigt. An der Theke stehend atmete er alldieweil hinein in eine rosa Kaugummiblase, da er sich im eigenen Laden das Rauchen verbot. Der Kundschaft auf der anderen Thekenseite wurde im Rhythmus von Kurtis Odem, im Wachsen des Kautschukballons, der stoßweise anschwoll, ein immer größer werdender Teil von Kurtis Gesicht verdeckt, bis es die wie Tiergedärm gespannte Blase von innen heraus zerfetzte. Der Knall überlagerte dann kurz das bereits eingesetzte Geschwätz und Kurti fing an, seine Theke umzuräumen, holte aus dem hinteren Ladenteil, was er dem Kunden empfahl, während seine untere Zahnreihe überbissartig die Kaugummireste von der Oberlippe knabberte und umgekehrt, seine Zungenspitze die Mundwinkel ausfitzelte, seine Spucke und sein Beißen alles miteinander wieder zu einer neuerlich aufblasbaren Kugel verschweißte. Dann schnitt, wog und packte er das Fleisch ab, wickelte es in Fettpapier ein, überreichte alles in einem reißfesten, vollgestopften rosa Plastiksackerl, das sogleich die Hände wechselte, während schon wieder die nächste Kaugummiblase schwoll, ein weiterer Fleischhungernder herantrat, der die Kunde des Vorderjemands, was auch immer der gesagt hatte, unterdes er Kurti gegenüberstand, schon nach hinten weitergegeben hatte, selbst jetzt vor der Theke stehend munter drauflosredete. Die Schlange übernahm für Kurti bereitwillig das Sprechen. Oder besser gesagt schweigend mit eisernem Fleischschneiden und stählernem Beilschleifen beschäftigt presste Kurti den Provinzlern die Geschwätzigkeit ab.

Traf ich ihn wochentags, wenn weniger Kundschaft war, in den schneewehlosen Monaten am Flussufer, die zwölf Dutzend Meter Spaziergang von seinem Laden entfernt, die er sich gönnte, auf eine schnelle Zigarette, während mein Kopf schon überquoll vom Platschen, vom Katarakteintreibenlassen der Köder, während meine Sinne quasi noch betäubt waren vom Adrenalinkick beim aufmerksamen Werfen, Schnurgeben und Schnurumlegen, während meine Umgebung flirrte infolge des Mendens, der Bisse, des vorfachspannenden, stangedurchbiegenden und spitzezumwasserziehenden Drillens, und dem dann erlösenden Landen und Zurücksetzen der Salmoniden, sodann schwoll im Hintergrund nur die Strömung. In solchen Momenten rauschte der Fluss, die Sonne hauchte Lichtreflexe auf die Oberfläche für Kurtis und meinen Augenblick. Wir rauchten, schauten auf die wellenwühlenden Felsen. Ihnen warf Kurti wie zum Gruß die Hand entgegen, doch er zog zurück an seine stets schimmernden, von einem Speichelfilm überzogenen Lippen, wo die Kippen ohne Finger hielten. Eine frische Blutspur zeichnete die Marlboro, überzog Kurtis Glieder, die er wieder sinken ließ mitsamt der grünschimmernden, fettgefressenen Fleischfliege, die sich ihm hinterherschmiss von seinem Laden bis hierher, sich jetzt, da er stand, an seinem Finger zu schaffen machte. »Schmeckt das anders?«, fragte ich manchmal. Kurti sah mich nicht mal an, zuckte so behäbig mit den Schultern, hob und senkte sie, dass die Fliege sitzen blieb, klatschte sie zu Matsch mit der anderen Hand, zog, hinausschauend zu den Auen, zog nochmal, stieß Rauch aus der Nase, Asche rieselte ab. Eine sachte Föhnböe schwelte die Glut und blies die grauen Flocken weg zwischen Weidenzweige, wo sie in den Luvstau flogen, zu Boden schwebten, verfolgt von Kurtis Blick, seinem ihnen zugedrehten Halssehnen. Erst wenn die Schrift weg und die Glut unter Kurtis Nasenspitze war, fasste er wieder zu, mit inzwischen verkrusteten, tiefschwarzen Fingern, warf den Stummel in einen extra mitgebrachten vakuumdruckverschlossenen Plastikbeutel, fuhr mit der Hand durch sein tierverfettetes Haar, machte sich auf den Rückmarsch, nicht ohne mit der Speiche den Schweiß von seiner Stirn zu wischen, einen Hubba Bubba einzuschmeißen. Nach diversen Gelatineskandalen wechselte er zu streifenweise staniolverpackten Orbits, »weniger Müll geht nicht«, ich nahm ihm seinen Abfall ab, verwandte das lichtreflektierende Metall recht gerne als selbst in trübem Schmelzwasser bissreizendes Bindematerial und fliegenfischte weiter.

Winters ging Kurti zum Tschicken zwischen die beiden warmen Fassaden, seine Fleischereiaußenwand und den nebendran gebauten, selbst ziegelgemauerten Selchofen, in dem Reinanken und Schinken hingen, aus dem die Holzscheite knisterten, auf dem ein hitzestauendes Metalldächlein saß, unter dem sich der Rauch fing. Kurti und der Ofen qualmten im Einklang. Die Schlange wandte ihren hundertköpfigen Blick ihrem Meister hinterher, nein, ein fleißiger Mensch, ihr Kurti, das hat er sich verdient, und er blies ihnen Wolken entgegen. Ich wusste nie, ob es Zigarettenrauch oder kondensierter Odem war. Die Schneeflocken legten sich auf Kurtis Schürze, überdeckten Blutspritzer, strichen den Kittel wieder weiß, schmolzen aber zwischen schlechtgedämmter Fleischereiaußenwand und hundertachtziggradfeuerndem Räucherofen, oder einfach an Kurtis warmem Wanst. In Schlieren floss das Blut den sozusagen eingeweichten Stoff hinab, unendlich langsam, zeichnete eine Art abgerundetes, von oben nach unten wachsendes purpurfarbenes Eiszapfenmuster, bis es wieder gefror in Kurtis kältegebeuteltem Schritt aus der warmen Wandkluft heraus, die Vordermauer der Fleischerei entlang, wieder hinein durch die Tür und hinter die Theke kam er gestiefelt, der Nächste aus der Schlange trat hin, Kurti breitete Fleisch aus und dann ging es geschwind. Es habe wieder kein Rind gegeben bestimmt. Kurti zuckte nur die Schultern, womöglich nicht einmal, um irgendwas zu sagen, sondern weil er noch schlotterte. Ja, immer schlimmer werde das. Kurti brauchte nur zu nicken. Saugierig, diese Bauern. Produzieren nur noch für den Supermarktscheißfraß. Ein Kleiner wie der Kurti werde da einfach geschluckt.

Die ganze Woche, erzählte der Nächste in der Schlange, jener superschlaue Mann im orangefarbenen Arbeitsoverall, entweder megafies oder ahnungslos genug, an welcher Achse bei Mercedes der Antrieb saß, auf die verschiedensten Viehmärkte, zu den entlegensten Bauernhöfen sei Kurti getourt mit Anhängerkupplung und Stiertransporter, und schon wieder habe es kein einziges Rindvieh gegeben, das Kurti in seine Schlachtpalette aufgenommen habe. Jedes Wochenende wollte irgendein Trottel Kurti irgendwo gesehen haben. »Herr Professor, gehen S’ mal zur Seite«, hieß es dann, und ich patschte mit meinen Halbschuhen vom schon ausgetretenen Weg in den Neuschnee hinein, dass meine Socken nässten und der Mann im Arbeitsoverall an mir vorbeinäseln konnte einem potenziellen Gesprächspartner hinter mir entgegen, der Kurti habe aber doch nur die höchsten Ansprüche, und sich der Typ im neonkarierten, ausstaffierten Skianzug die Strickmaske vom Gesicht riss, sich labelloverschmierter Lippen lautstark erregte und echauffierte, ob er Schweinsauge und Schauschädel den Kurti jetzt etwa anscheißen wolle, bloß weil er so ein feiner Kerl, sein Filet so geschmeidig sei. Der Mann in seiner reflektorverflickten Kluft erstrahlte, als die Sonne eine Sekunde durch den Hochnebel stach, was mich blinzeln ließ, zwischen den beiden hin und her, so rede er, der Herr, aber nicht mit ihm, und als ich das Lid wieder hob, waren seine Wangen kampfbereit verkrampft. Lust überkam mich, ihm Schneeketten hineinzuschlagen in die Fresse. Nur Missverständnisse, das habe er überhaupt nicht gemeint, er würde nur tierisch gerne wissen, wo Kurti sein Zeug herkriege. Auch das ein Dauerbrenner in der Schlange, immer wieder tauschten sich die Leute aus, vor welchem Stall, in welcher Hofeinfahrt, auf welchem Parkplatz, der welchem Wochenmarkt am nächsten lag, man Kurtis Viehfuhrwerk stehen gesehen hatte, welcher Bauer Zulieferer sein könnte. Das sei doch alles Schwachsinn, sagte der Mann im Skianzug und ballte seine Faust um die Strickmaschen der Skimaske, schmiss dem Mann im Arbeitsoverall entgegen, aber mit ins Stiergenick gelegtem Haupt, so als schrie er all das in den Jännerhimmel, janusköpfig fast, dass danach auch wirklich der Hinterjemand einstieg, dass Kurti ja wirklich nicht immer bei gleicher Zucht zukaufe, vielmehr Rindindividuen als Stallstrukturen beurteile. Ja, sagte die Frau dahinter, er ließe sich an die Futternäpfe führen, schaue auf den Märkten die Muskulatur ganz genau an, bestehe immer wieder darauf, das Vieh aus der Box und eine Runde laufen zu lassen, weil er nur in der Bewegung die feinsten Geschmäcker ablesen könne. Ich stellte mir die silogefütterten Haufen Fleisch in den Supermarktkühltruhen vor, die alkoholfilmrissigen Weideviehherden im Sommer, wie sie x-beinig am Berghang standen, verwirrt und fermentiert in die Weite Oberösterreichs stierten und kein einziger Lichtreflex auf den Glanzaugen von der Sonne kam. Das Gerede des Nächsten in der Schlange kam mir dann schon vor wie das Muhen all der Rindviecher, die Kurti verachtete und mir so dankenswerterweise fernhielt, tatsächlich stünden diese Tiere ja heutzutage nur noch im Stall. Das habe aber auch etwas mit der Heuwirtschaft und den Zuchtanstalten, dem Unterschied zwischen Milchkuh und Schlachtrind zu tun, das ganze System habe quasi totalitäre Züge, da komme man nicht raus, wo solle da noch ordentliches Vieh herkommen.

Es ging wirklich auf keine Kuhhaut, anstatt Kurti dafür zu danken, wofür sie ihn zweifelsohne hielten, für die letzte Bastion, den finalen Widerstand, den Stierchamp, der seinem Schlachtvieh gnadenlos ins Auge schaute und dem verkaufsgeilen Züchter knallhart den Zigarettenrauch entgegenatmete, sagte, der nicht, und beim nächsten Markt schon wieder keiner, und auch du nicht, Bullus, ereiferte sich die Schlange jetzt darüber, wie sie den Mittelsmann ausstechen könnten, wie sie an das Fleisch rankämen, an das Kurti ebendiese Woche nicht rangekommen war, wo diese Viehhöfe und welche Kriterien beim Ochsenausschauhalten miteinzubeziehen seien, welche Flankenfalten man zu beachten habe, diskutierten sie, während Kurti Schweinebacken abpackte, Schweinefilets verkaufte, Schweineschnauzen ihnen um die Ohren haute, Schweinehirne wog, Schweinekoteletts stapelte, weder Papier noch Folie, sondern Schweinezungen dazwischen schlichtete, auch Schweinehufe gingen über die Theke, Hals, Bauch, Ohren, Wamme, Medaillons, Ringelschwanz, Lauf, ganze Säue schleuderte er der gierigen, hundertköpfigen Schlange entgegen, bis sie wieder Rindfleisch beißen sollte, allesamt Säue oder Kastraten, denn Eberhoden gab es nie. Die Eier nahm Kurti nur vom Stier. Oder vom Ochsen, darüber dachte ich diverse Male nach. War beim Nagel zu denken an Jesu Hand oder an das Stigma? Rief die Reliquie nach dem verlustig Gegangenen oder dem ergötzenden Ganzen, rief das Artefakt den klaffenden Riss wach, beschwor die heilige Lanze die Wunde, die sie schlug, oder, was sie wieder ergänzte, den rechten Fleck rund um Inris linke Brustwarze?

»Kurti?«

»Siegi?«

Er deutete das Aufschauen nur an, hob den Kopf zwar, ließ die Pupillen aber auf der Arbeitsfläche, wo seine Finger gerade zwischen Fleischfetzen und Blutlachen Nadel und Faden durch eben aus dem Räucherofen genommene Ochseneier oder Stierhoden führten, sie zu einer Kette von zweidutzendfacher Bullenpotenz verbanden.

»Ich hätte da mal eine Frage.«

An die hintere Ladenlagertür, die seit Neuestem ein frontal aufgenommenes Porträtposter von Jochen Rindt zierte, hängte Kurti nach dem Schlussknoten die Klötenkette auf drei Nägel, geschlagen durch Stirn und Augen, dass es ausschaute, als trüge der einzige österreichische und zudem postume Formel-1-Weltmeister für alle Zeiten nachträglich Kurtis Kranz um den Hals, der spitz zusammenlief nach unten, die Dreiecksschenkel exakt an Jochen Rindts Halsschlagadersträngen, fast wie eine Knoblauchzehenkette sah der Kranz aus, einen Vampir zu vertreiben, einen Untoten, einen Lord.

»Vergiss es, Herr Siegi Heehrmann, unerschwinglich«, zischte ein Provinzler von hinten und vor mir wandte sich Kurti kopfschüttelnd um. Er griff andere Rindstücke aus der Auslage fliegender Finger, an denen Blutschichten in verschiedensten Stadien der Gerinnung eine zerklüftete Tektonik bildeten, abschuppten beim Beiriedscheibenschneiden, und der Krustenspan flockte teils auf die Arbeitsfläche daneben, fiel teils ab auf das mir bald ausgehändigte Fleisch. Ungemein faszinierend, dass Kurti nicht nur die geschlachteten Stiere, sondern selbst die Abgespeisten der Schlange miteinander verband, worüber ich noch nachsann, während das Telefon erscholl, Kurti ab- und einen Kesselheißeauftrag entgegennahm, einen Termin absprach, eine Adresse notierte, ich die Wartenden abschritt, die schon nichts als die Frage nach der bald von Kurti heimgesuchten Familie umtrieb, die Frau solle ja, eine echte Hex, schreckliche Leute.