Die Forelle

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So zog ein Luftstoß das Küchenfenster zu und so schwenkte der Landschaftsodem das Scheibenspiegelbild in meinen Augenschein. Vom Stoß gegen den Kopf noch gehoben die Linke, zum Revolver geformt, am pulsierenden Joch, die Mündung drückend, um irgendwie dieses geblickte Bild zu variieren, umzumodellieren, als wäre es aus Ton. Fast bereit abzusetzen, glitten die Finger weiter, in mein Gesicht hinein, über den Augenbrauenansatz hinaus, die pechigen Borsten entlang, knetend, gegen den Strich bürstend, bis zu jenem schmerzhaften Punkt über dem Augenwinkel an der Stirn, migränemassierend wie bei Wetterumschwung, mit der Mündung aus Zeigefinger und Mittelfinger, dass kein Glied mehr verblieb am Abzug, akkupressierend den Bastard aus Wimper und Braue, das eine daumenlange Haar, das den Schatten eines Haarrisses auf meine Wange warf, wohin mein Ringfinger geriet, schlaff herabhängend, aus der Revolvertrommel gefallen, genau an den Tränensack hinabgewandert, wo die vertrocknete, salzige, butterverfettete, eiweißene Spur begann auf der Scheibe, wo der Speichelschleim einen Finger lang feinweiß, cremefarben schillernd meine Wange teilte, wo der zerkaute, hinabgeglittene Bissen Regenbogenforellenfleisch voran meine Haut entzweite, ihr einen Strich vernarbenden, metastasierenden, totlebhaften Gewebes beibrachte, einen Schmiss einzeichnete, einen Schnitt einschrieb ewiglich. Doch makellos hob sich anno dazumal Volkis Kopf, schauend aus stahlgraublauen Augen.

7 Schwarzwichte und Bösefischer
werden gebunden

Volkis Wangen gingen in einer Farbe hoch, als säße ihm ein nektarsaugender Schmetterling auf der Nase, der insektenjagenden Habichten nichts anderes entgegenhielt als einen Augenaufschlag. Als verharrte der Schmetterling in Anbetracht der Gefahr auf Volkis Zinken, faltete nur seelenruhig und gut getarnt dadurch krepppapiergleich transparente Flügel auseinander. Ihnen inmitten lagen Purpurtupfen, die das Pfauenauge also rosa auf des zarten Mannes Wangen hauchte. So schauten die Knöchelchen aus, als blühte dem Habicht Schreckliches, als starrte ihn ein Fressfeind an, voll tollen Blickes. Volkis Backen aber rhythmisierten Flächen aus Haut und Haar. In seinem Gesicht wechselten sich Porenfarbe und Bartschwarz ab. Wie wenn ein Publikumsliebling an einen Flügel tritt, gierig zu trillern den Klaviaturdeckel hochkippt. So kam dieses getrimmte Muster in meinen Blick. Ich folgte ebenholzschwarzen Halbtönen inmitten elfenbeinbeiger Poren, ein Triller Volkis Kiefer entlang. In schaurigem Legato moderato wechselten Schwarz und Weiß, Haar und kahl, As und A, Bart, Haut, wild, licht, As, A, Wuchs, Schur, Spross, nackt, Zucht, Wachs, As, A, Strich, Schnitt, tief, hoch, As, A, die Titelmelodie eines Monsterhorrorstreifens, in dumpfe Tonfolge die Leinwand gebannt. Allein ging ich damals in diesen Spielbergfilm, knabberte atemhallend und augenspannend als Solopublikum meine Nägel. Im Schlingern zweier Noten glitt ein Ungeheuer dahin, das ein Puls aus As und A durchströmte in eisiger Finsternis. Adergefrierpunkt fast erreicht, der Ende-gut-alles-gut-Gegner und ich, Odem innehaltend, als es zur Oberfläche kam. Aus Volkis Wangenhöhlen schauten mich Zähne an, gen Hals spitz zusammenlaufende Bartsträhnen. Diese mörderische Reihe kontrapunktierte zwar die Haut, doch im selben Moment harmonisierte sie das Gesicht, bespielte es. Ja, die Poren waren bloß der Hintergrund für dieses Herauswallen. Das ehrfurchtgebietende Bild gefährlichster Tiefseeräuber entsteht erst, wenn der weiße Hai sein Maul aufreißt. Für sein Zahnfleisch interessiert sich keiner. Der Halbtontriller fließt gruslig dissonant weiter. Das Heben des Backenbarts war das Kampfbereitmachen eines Killerrachens. Ängstlich schaute ich Volkis virtuos trillernde und trimmende Rasierbarbierhand hinab. Ich klappte die Klaviatur des Grauens zu. Es hätte mich kaum gewundert, läge zu seinen Füßen vor Flügelpedalen ein Tigerfell samt Schädel. Da schoss und schnappte schon wieder ein Schlund nach mir, schnell, dass Satz wie Biss ineins verschwimmen, aus dem nassen Stehbereich heraus hinein in uferquerende Beute die Vorwärtsbewegung, da Volki im Stehen sein rechtes Bein über die Dielen gleiten ließ. Kaum handkantenbreit erhoben die Sohle, schwebte der Schuh Spitze voran einen halben Schritt auf mich zu. Instinktiv riss ich die Hände vors Gesicht, dass ich aufgeworfene Hauthaufen und heraussprießende Kräuselhaare erblinzelte links, labbriges Welpenfell zwischen den eigenen Gliedern. Rechts aber spreizte ich die Finger und linste hindurch, sah die Alligatorstromlinienform stillstehen, verharren zwischen Volki und mir, sich zurückziehen, Fersenabsatz voran, Sohle in der Luft. Nur die Schuhspitze touchierte den Boden, als würde ein Insekt zerrieben auf den Dielen und zurückgeschleift neben den erst rinken nun lechten Lederschuh.

Dorthin schwang der eben noch rechte, jetzt schon linke Fuß, als Volki im Stehen die Beine übereinanderschlug. Zuletzt stand er ballettöser Haltung da, über Kreuz die Knie. Ich kratzte mir den Hals, fühlte meine zwar unversehrte, aber schuppige Haut. Das Krokomuster der Schuhe erinnerte mich an Hautstaub, der unter nervösen Greisennägeln abflockt. Doch dieser Mann schmiegte seinen Fuß nur in den Schlüpfer, um zu zeigen, wie sehr er auf Eitelkeit pfeifen konnte. Abends kickte er die ehrerbietigen Treter dann achtlos in irgendeine Ecke, wo sie brav warteten bis zum nächsten Ausgang, der endgültige Beweis für seine Fähigkeiten, zu bändigen, zu dressieren, selbst Alligatoren, lächelnd selbstverständlich, auf Socken, unhörbar unerhört, drehte sich dieser Mann dann um zu seiner im Türrahmen verbliebenen Begleitung: »Noch einen Drink?«, und es folgte der Schritt über die Schwelle auf die Dielen an diese maskuline Zirkusdirektorennummer heran, wohin auch der Wirt nun ging. Goldenen Tabletts reichte er Volki einen Sektpokal. Die himbeerfarbene Flüssigkeit darin deckte sich mit den Wangen, vor die das Glas sogleich wanderte. Den Anblick verunreinigte nur goldener Schein, Schattierungen, die das Tablett, vom Deckenlicht angestrahlt, als Abglanz in Volkis Antlitz warf. Als er den Pokal absetzte, waren seine Finger zwar gestreckt, aber von so entschiedener Glätte, als würde jedwede Hornhautschicht von Sklavinnenhand tagtäglich mit vulkanischem Gestein in stundenlangem Abrieb weggewischt. Ich sah noch die Bediensteten den Bimsstein bringen, als Volki erneut den wangenfarbenen Pokal an die Lippen setzte, blankpoliert einen silbern eingefassten Lapislazuli zeigte an der Manschette. Der Stift, auf dem der Stein steckte, durchstieß die totschicken Seidenflächen und hielt sie doch hemdsärmelig zusammen wie ein Widerhaken.

Nahtlos, knopflos, schnürsenkellos stand Volki da, durch die Wirtenfensterscheibe angeschaut, unter dem Regenbogenpräparat, die Volkiforelle mit dem rosa Streifen. Aus ihrem Mund hing halb zerkaut die fängige Nymphe, fadenlos, knotenlos, unumwunden. Volkis Finger hatten einfach einen Streifen Gummi auf den Haken geschoben, der in der Strömung unverbunden hin und her wogte wie ein kleines Fischschwänzchen. Die Zigarette danach hatte er auch schon in einen elendslangen, zauberstabähnlichen Halter gesteckt, damit ihm zwischen Fingern abbrennender Tabak nicht den Fanggeruch verdarb. Er knickste nur in der Ellenbeuge den Unterarm hoch, schon schnupperte er des Erfolges Schleim und sog der Befriedigung Rauch in sich ein. Zähne so weiß lächelte dieser himmlische Mann, als frühstückte er tagtäglich die Milchstraße, sodass der Sonnenaufgang begann. Den Glutball stupste er restlos mit der eigenen Fliegenfischstangenspitze über die geriffelten Kalkalpengipfel hinaus. Ganz den Vereinsstatuten und Paragraphendoppelschlingen gemäß, die er selbst diktierte und wie Reusen auslegte, um Widersacher zuvor zu fangen. Früher vielleicht noch als Ernstl und selbst schon im dunkelsten Abendsprung stand Volki am Ufer vorm Hintergrund der Karsthänge. Sie waren nur die gigantische Variante jener feuchten, kalten Wirtenwand, gegen die Volki sich lässig Rückgrat voran lehnte. Daneben schwebte ebenso leichtlings die Fliegenstange mit noch nasser Schnur, inmitten der Vereinssitzung, umgeben von Brüdern und Kollegen, einem Schulterschluss ähnlich, Volki und der Fischereiverein samt Stammtisch und Wirtengemäuer, ich hineinstaunend draußen an der Fassade zwischen zwei Fenstern, die ihre Kreuzschatten auf die Gehsteige prägten, er angehimmelt drinnen, im Smokinghemd mit verdeckter Knopfleiste, das Dinnerjacket darüber, um den Kragen die Krawatte zur Fliege gebunden, seine maßgeschneiderten Hosenbeine, eine karfunkelnde Gürtelschnalle, die Burschenschaftermütze aufgesetzt, schmisslose Wangen, durch das Sakkoknopfloch am Revers die blaue Kornblume gesteckt, etwas geknittert, zerzupft und verrupft die Blüten, von Lenas Kopf, der sich unlängst noch an diese Brust unter schwerem Duft schmiegte.

Und du so, Siegi, schien er zu prosten, als er seinen Blick von den Schuhspitzen und den Sektpokal meinem Beobachtungsposten entgegenhob. Von Dunkelheit umgeben fasste ich den Korkgriff meiner Stange noch fester. Leicht hob er den Zigarettenhalter an die Lippen. Wenn es kein Wort braucht, nur das brustschwellende Einatmen, um alles in Rauch aufgehen zu lassen, so meint es auch, der Direktor mit der Peitsche in der Hand bedarf gar nicht des Schallknalls. Volki musste nur die machtvollen Finger zeigen, um die Zirkusattraktionen zum persönlichkollektiven Ergötzen aufeinanderzuhetzen. Jetzt fetzte ein hautfarbenes Hemd tragend und den Arm nach vorne schwingend Friedls Oberkörper von links nach rechts durch mein Sichtfeld. Kurz hatte er Volki verdeckt, dessen stahlblaugraue Augen Friedl hinterherhuschten dorthin, wo ich nur die Wirtenfassade sah. Ich schmiegte mich noch dichter an die raue Wand, duckte mich in den Schatten, setzte dabei meine Absätze immer leiser, spähte durch die Scheibe. Vom Fensterkreuz geschnitten sah ich unter Volkis rechter Augenbraue die Pupille wandern, bald auf die Dielen zwischen mir und ihm gerichtet, den von hier einsehbaren Plankenbereich. Hinein schwebte zunächst eine freie, linke Hand, dann der Rücken, gekrümmter, rückwärts übergebeugter, fast limbohafter Haltung kam der ganze Fredl dann daher. Sein Rapier hielt er rechter Hand lotrecht gen Plafond, als ob er wie eine Pole-Dancerin von diesem Metall seinen Oberkörper nach hinten schwinge. An der Wirtsstubenstirnwand stakste Fredl nackten Oberkörpers entlang, knapp vor Volki, gefolgt von Friedl. Sein Auftreten erfolgte genau im Rhythmus von Fredls Weichen und erklärte dessen merkwürdige Haltung, schnalzte Friedl dem Gegner doch im Vorwärtsgehen um die Ohren allerhand Rapierhiebe, welche Fredls Schultern aber verfehlten, weil er sich so weit zurücklehnte, die Hiebe mit seiner Go-go-Stange parierte. Als das duellante Paar den Blick auf Volki wieder freigab, ereiferten sich seine Brustmuskeln, unter dem Dinnerjacket ruckte und spannte es. Der Stoff pochte stets, wenn Friedl einen gegen ihn geschmetterten Streich zu vereiteln vermochte. Wann immer aber Fredl das Rapier schwang, die Klinge vorwärtsschleuderte im Handumdrehen, zuckte Volkis Gelenk, sogleich sein Trizeps hinterher. Er dirigierte. Um das voll einsehen zu können, krabbelte ich die anscheinend schalldichte Wand entlang, nur ab der Nase über dem Fensterbrett. Friedl schien eher ein eleganter Fechter zu sein, bewegte im Einklang mit den Armen die Beine. Um seinen Oberkörper zu decken, wirbelte er das Rapier nur über das Handgelenk herum vor sich in die Vertikale, begleitet von flinken Standbeinwechseln. Durch kleine Sprünge und federnde Schritte, einem Abwinkeln der Kniekehle bloß, schnellte er Fredl immer wieder in völlig überraschenden Momenten die Klinge entgegen, der er nur schwer auswich, viel zu statisch im Oberkörper, immer mit Ausfallschritten, die seine Position nicht gerade verbesserten. Er kam seltener zum Schlag und drosch dann los, von oben herab wie mit einem Schnitzelklopfer auf ein Stück Schweinefleisch. Die Rapiere kreuzten sich, glitten aneinander nach unten und Friedl vollendete die Bewegung, tat einen kleinen Rückfallschritt, schwang seinen Arm nach hinten, die Klinge das gestreckte Bein entlang, die Spitze bis zum Fuß, stand ohne Deckung da, aber nur eine Sekunde, während auch Volki seine Hand armstreckend an seinen Gürtel abschwang, der lange Zigarettenhalter fast bis an seine Kniekehle kam. Dann flog die Hand wieder, halb diagonal Volkis rechte Körperhälfte hinauf an den eigenen linken Mundwinkel in einem Ruck, während Friedl schlug, von unten das Rapier hoch dem Gegner entgegen, der in derselben Zeit gerade mal die Klinge wieder unter Kontrolle und vor den Oberkörper brachte, erneut ins Parieren, in den Rückwärtsschritt geriet. Hintertreffen wäre schon übertrieben gewesen, immerhin kamen von Fredls Seite keine Schläge mehr, die treffen hätten können. Langsam setzten sich die beiden einander umtanzenden Duellanten fest in der Mitte meines Gesichtsfelds, was wohl auch an Fredl lag, der aus dem letzten Loch pfiff, das sein Mund war, seine Brust ging auf und ab wie ein Motorkolben. Nichts hatte das mit auf Hochtouren laufen, ausschließlich mit Hyperventilation zu tun. Friedl ließ ihn nach seinem Rapier tanzen und viel Fläche einnehmende Choreographien waren nicht mehr im Programm. Er trieb die Hiebe auf ein schnelles Ende hin. Er kam immer gewisser zum Punkt, nagelte Fredl fest. Der Schweiß tropfte schon zum Wirtenboden, Fredls Gesicht verzog sich immer grässlicher, verunstaltet waren seine Züge ja längst von Schmissen, die sich jetzt bogen, groteske Formen annahmen, während der Sieg in Friedls Augen loderte. Auch Volkis Blicke blitzten und dasselbe Lächeln schlich sich in seines und Friedls Gesicht.

 

Plötzlich war mein eigenes da, gespiegelt auf dem dunklen Hintergrund eines Rückens. Ich streckte mich etwas, um über die Schulter des Mannes vor mir zu linsen, getrennt von ihm nur durch eine Glasscheibe. Um den Dunstkreis der wirbelnden Rapiere bildete nun die herantretende Meute Sauproleten einen zweiten Kreis, allesamt nackten Leibs, nur mit Schürzen gegürtet. Ketten behängten ihre Nacken runenförmig, durch grobe Holzperlen liefen ihre Pferdeschwänze, bizarr leuchteten die Schmisse in Gesichtern, Staccati grölten sie sicherlich, es drang nicht durch die festgefügten Wirtenmauern, aber das ständige Hochreißen der rechten Hände unterschied sich metrisch zu stark vom Kreuzen der Rapiere. Es war nicht der Rhythmus des Duells, den sie da bewahrten, zu starr, zu genau, ohne jede Variation, zu einfallslos, um nicht auf Anfeuerungsrufe zu spekulieren, die ehern verlangten, dass sich der Duellablauf ihren Schlägen anverwandelte. Und tatsächlich hob und senkte Volki nun seinen Sektpokal sowie den Zigarettenhalter im Viervierteltakt althergebrachter Aves, anhebender Lieder, gepfiffener Melodien oder gestampfter Märsche, was auch immer. Ihre Füße verdeckte noch das Fensterbrett, doch sie stapften schon hinein, immer enger schnürten sie den Kreis, rotteten sich zusammen, weswegen ich dann auch einen Rücken im Blick hatte, als der entscheidende Schlag fiel, ein Bauernschuh versteckte, was am Boden geschah. Bald löste sich der Kreis wieder auf und zwischen Fredls Fingern sickerten die ersten Blutstropfen durch. Er stand über sein darniederliegendes Rapier gebeugt, presste sich aufs Gesicht die Glieder. Dann ließ er seine Handflächen von seinen Wangen wegschweben. Nicht elegant und gewollt bewegt, wie ein Besiegter dann einverstanden seine Schande preisgibt, eher wie ein Ausgeknockter schwindlig torkelt, ein besoffener, Arme ausbreitender Prophet. Ungläubig, als wüsste er nicht um die Situation, besah er sich einige Momente die Sauerei aus etwas Abstand, runzelte die Stirn, ich tippte eh schon auf Wundstarrkrampf spastischer Art, dann verstand Fredl. Wie aus seiner Stirn Blut, so sickerte es in sein Hirn, dass er nur die gripverschaffenden Lappen anstarrte, seine Hände von sattgesaugten Tüchern umwunden waren. Er begriff die wirkliche Wunde an seiner Stirn und was sich dann demgemäß in seinem Gesicht tat. Er schaute sich nicht mehr die Spur, sondern die Ursache an auf der Fensterscheibe, in der Pupille seines siegreichen Gegners jetzt, bald auf einem Foto, das von irgendwoher im Wirten schon herüberblitzte. Ob Fredl das Blutrot überhaupt wahrnehmen konnte, liefen ihm doch längst vom Haaransatz herab Rinnsale über die Augen, überlegte ich noch kurz, da reichte ihm bereits jemand ein weißes Handtuch, rot weiß rot, dachte ich, wischte er sich ab, und schon trocknete der Streifen zuoberst schwarz.

Eine Runde Schnaps wurde vom Wirten an alle Anwesenden verteilt. Einige wandten mir den Rücken zu, andere standen wohl in uneinsehbaren Bereichen der Stube hinter anderen Fenstern, insgesamt verschwanden an die zwei Dutzend Stamperl vom Tablett. Rudl, der Fischereiaufseher, Wolferl, der Förstereimeister und Tierpräparator, der Exreinankennetzseejäger, jetzige Zuchtteichfallensteller und heutige Semmelverdiener Friedl, sowie der Großbäckereimeister Ferdl verharrten beieinander, unterhielten sich, ein Wacholderbeer ging auch an den besiegten Gendarmen Fredl, obwohl Alkohol die Blutgefäße weitet. Vielleicht saß ihm der venenverschließende Schock noch in den Beinen. Vorsichtshalber wand er sich schon mal das Handtuch um den Kopf. Das Frottee saugte auf, was die wieder zu suppen anfangende Wunde auswarf. Ein im Rhythmus von Fredls Pulsschlag seinen Durchmesser weitender Punkt entstand außen auf dem Handtuch, dunkel, nachtfarben. Sobald sich Eiter dazumischte, würde er ins Dämmerartige hinübergehen. Noch aber sah Fredl aus wie ein Hindu, der nicht wusste, wo der Bindi hingehörte. Lediert war er ja allemal, und die Schulterklopfer, die Kinngriffe, die Hinternkläpse und die an den Mundwinkeln ablesbar freundschaftlich gemeinten Worte folgten nun zögerlich, aber doch. Zum gandhiesken Handschlag zwischen den beiden Kontrahenten kam es zuletzt sogar.

Beruhigte mich in keiner Weise, löschte nicht, was eben noch gesehen. Wenn die lieben Kollegen miteinander schon so umsprangen. Wenn sie mich hier fanden. Durch die Scheiben linsend. In der Dunkelheit um den Wirten schleichend. Das Instrument samt nasser Seite noch in der Hand. Im Kofferraum die nachts gefangene Forelle. Noch zappelnd in traumatischen Reflexen, wie einmal angeschriene Kinder lebenslang beim kleinsten Klimpern zittern. Drinnen schmiss das Licht den Schatten eines jovialen Handschwenkens an die Wand. Ihm folgte eine Woge lospreschender Bauernschädel in die gewiesene Richtung. Durch den Schankraum ging die Masse, immer noch nackt die Oberkörper. In dieser Dichte, mit dieser Geschwindigkeit verschwammen sie beinahe ineinander. Brutal sprang die Tür aus dem Schloss wenige Meter von mir entfernt, lange bevor der Letzte unter ihnen überhaupt aus meinem Sichtfeld verschwunden war. Ungeachtet der lichten Scheiben, gebückt zwar, aber doch eher auf Schnelligkeit bedacht, hastete ich die Mauer entlang. Die drinnen Verbliebenen, hoffte ich, schauten nur ihr Ziel an und sonst nicht rechts oder links beim Fenster hinaus. Im Vorübereilen taxierte ich Volki einen flüchtigen Augenblick, erhaschte seine ruhig gegen die rückwärtige Stubenwand gelehnte, in seiner Burschenschaftsuniform mit der albernen Mütze und der blauen Kornblume am Revers steckende Gestalt. Mit einem einzigen Schwenken seiner sektfickrigen Hand waren für einen Abend alle Vereinsgesetze aufgehoben. Die Rotte rannte blindlings an dem Mauereckgebüsch vorbei, hinter dem ich kauerte. Zwischen ihren Fingern waren Fliegenstangen wie in meiner. Manu in Manu, nachts ruhten die Fische nicht, bissen sogar noch besser als tags.

Die nackerten Überkörper verteilten sich in der Finsternis flussabwärts, wo mein Auto in einigen Kilometern Entfernung stand. Ich sah sie schon auf den Wagen zuschleichen, das Nummernschild erheischen, durch die Heckscheibe eifern, keine Stangen ausmachen, Schlösser knacken. Wenn ich mich beeilte, standen die Chancen nicht schlecht, hier wegzukommen, bevor sie es fanden, eine untermaßige Bachforelle fingen, in den Kofferraum schmissen, sich pseudoempört auf die Suche machten nach mir. Volkis Rapier knallte wenig später Knauf voran wie ein Richterhammer auf den Tisch, Verhandlung geschlossen, Schwarzfischer, na sicher. Ein paar von ihnen stromerten flussaufwärts weiter, wo die vom Verein gepachtete Strecke dann irgendwann endete. Nur zwei blieben an der Kreuzung zurück, vor ihnen der sprudelnde Fluss, hinter ihnen der Wirt und ich, links und rechts ihre Kollegen. Natürlich warfen sie gleich an Ort und Stelle aus, der Länge nach die Straße herauf, ein Lot auf den Fluss, parallel zu meinem Versteck. Ich kauerte im Schatten, sah ihre Schnüre und Vorfächer heraufschwingen, so achtlos geschleudert, dass sie nicht stiegen. Nur knapp über dem Asphalt zischten die Köder dahin, bevor die beiden Dilettanten die Ellenbogen mitsamt der Stange wieder Richtung Wasser rissen, ein Hansschleudererpeppiwurf. Dazu wechselten sie das Auswerfen in einem versetzten Rhythmus ab. Immer nur einer von ihnen fischte und der andere warf.

Der Moment verstrichen, in dem ich die Straße Richtung meines Wagens hätte passieren können. Ihre vor- und zurückschwingenden Widerhaken, sie würden mich erwischen an Haut oder Gewand. Wären sie doch wenigstens hängen geblieben an einem Schwemmgeäst. Es war eine Schande, da saß ich nun gekauert gegen die Wirtenwand, die zumindest schlecht gedämmt etwas Wärme abgab. Ich sah dem Auf und Ab der Schnüre an meinem Versteck vorbei zu und lauschte dem Wurfsurren sowie der Bisslosigkeit ihrer Fischversuche. Natürlich folgte dem platschenden Köderhineinwerfen kein oberflächenbrechendes Aufschnappen. Die Forellen stiegen so wenig wie ihre Schnüre. Ich kam ab von jeder Fluchtidee, flussabwärts auf meinen Wagen zuzumarschieren durch irgendein Gebüsch. In der Dunkelheit immer noch ausmachbar, Silhouetten der weniger gehenden als dahinfallenden, allenthalben stolpernden Sauproleten, überholbar zwar. Wegzufahren lange noch, bevor man von vor der Nase überhaupt sprechen konnte, dass ich in mich hineingrinste. Was mir diese Option verdarb, dies unholde, keineswegs sachgemäße, reiner verdummender Faulheit und Biertrinkerei und Bauernschädelei-à-la-so-schwer-kann-das-doch-nicht-sein entspringende Geschwinge. Es konnte einfach nur ein tumbes Auszucken im Arm sein, das debile Winken wegfahrender Verwandten, an die sie dachten, während sie ins schwarze Wasser starrten, wie es das Flussbett hinunterging. Viel Wetter machen und immer schön die Fische die eigenen Armbewegungen sehen lassen, das verschreckte sie, da bissen sie. Nein, schnell musste man sein.

Stromaufwärts der Viererkreuzung überquerte ich die Straße, die Fahrbahn parallel zum Fluss, vorbei an den beiden Arschgeigen. Parallell zu ihren Schnüren, die mir immer noch den Weg abschnitten, schlich ich auf Zehenspitzen gen Fluss und duckte mich hinter die zum Wasser führende Querwand des Hauses, auf dessen anderer Seite die beiden standen. Die Längswände führten die Straße Richtung untere Flusspassagen, zu meinem Wagen hin, beziehungsweise das Flussufer hinab. Ich beschaute die Spiegelung meines kläglichen Gesichts auf einem der dunklen Fenster, hinter denen die Frau wohnte, die noch immer auf meine Fische wartete, und schöpfte Hoffnung aus ihrem Anblick. Was ich denn da mache, hatte sie mich gefragt, als ich in ihrem Garten zwischen Haus und Flussufer gestanden hatte, weil es eine der fängigsten, nur von dort anzufischenden Stellen war. Ja, ich sei über ihren Zaun geklettert, aber nur zum Zwecke, ihr eine Forelle zu fangen. Da lächelte sie mich an durch das Fenster hindurch, und obwohl ich ihr geradeaus ins Gesicht schaute, um meiner Lüge Glaubwürdigkeit zu verleihen, bemerkte ich doch im peripheren Gesicht, dass die Fassade in ihrem hässlichen Ultramarin direkt in den Himmel überging, die gesamte Straße verdeckte. Ich brauchte nur zu warten, dass meine beiden Widersacher das Wasser entlang stromaufwärts durch den Garten kamen, dann die straßenseitige Längswand runter, im Sichtschatten des Heims, über die Viererkreuzung, flussabwärts weiter, »das ist Hausfriedensbruch« und »mach doch, was du willst«. Der eine stakste durch Rindenmulch, die Schritte des anderen kamen die Straße entlang, elf. Ich suchte nach einem Gebüsch, zwei, das womöglich den nächsten Garten zierte, und, zwar da, aber davor ein Maschendrahtzaun, zwan, ich schaute mich nach Deckung um, zig, wusste, drei, dass er rechts um die Ecke würde, und, hier an der Querwand entlang, zwan, zum Wasser unterwegs, zig, immer lauteren Schritts, eins, es keinen Nutzen hatte, und, mich an die Wand zu schmiegen, und chancenlos hechtete ich vorwärts, die Wand Richtung Ufer hinab, steckte, noch rennend, die Stange in den Aufschlag meines Hemds, hob ab, überflog die letzten Meter, aus vollem Lauf kopfüber in den Fluss, hörte das Platschen, spürte stilles Wasser in meinem Gehörgang.

 

Ob er jetzt völlig debil, sagte der eine nach meinem Auftauchen, ich watete weiter, der andere, da ist ja einer, herrje. Ich drehte mich nicht um, kam in tieferes Gewässer, schwamm vorwärts. Kunststück im Dunklen zu kraulen. Beherrschte ich nicht wirklich, doch was seitlich von mir ins Wasser schlug, war eindeutig eine Fliege. Keinen Schwimmzug wählen, der meine Fläche vergrößerte. Sie warfen mich an. Der eine aus dem Garten heraus. Der andere ein paar Meter entfernt vom Ufer, an der Querwand stehend, gebremst vom Gartenzaun. Höchste Inkompetenz, ja. Forellen anzuwerfen das eine, aber einen Menschenleib zu verfehlen. Wenigstens wussten sie nicht wen, unmöglich auszumachen in dieser Finsternis. So stieß ich beflügelt meine Handkanten unter Wasser vorwärts gen Ufer, vermutete zumindest dorthin, zog die Hände meine Seitenlinie herab, strampelte mit den Füßen, wenn der außerhalb des Gartens mich erwischte. Da ging die Schnur nieder, auf den Zaun, Stacheldraht krönte den. Ein Stechen, eine Fliege im Genick, genau zwischen Halshaaransatz und Hemd gefallen, Ruckzuck hatten sie mich beim Schlafittchen. Bombenfest holten sie ihr verschissenes, unzerstörbares Proletenvorfach ein. Ihre mit Klunkern besetzten Spulen hörte ich krächzen. Der eine Typ schimpfend über den Zaun kletternd. Den Kopf, den offenen Mund in der Strömung. Wenn doch seine Eier hängen blieben. Aber nichts, das Aufsetzen von Sohlen im Garten. Rückwärts zogen sie mich. Ich schluckte Wasser, fingerte an meinem Hemd. Flanell, wer trug das schon. Immer noch besser, als vor ihnen zu gestehen. Schon aus dem einen Ärmel geschlüpft kraulte ich vorwärts. Die Knopfreihe gespannt von den Lenden, meinen Bauch hinauf bis zur Brust. Einer riss raus. Der nächste Schwimmzug misslang, es ruckte wieder am Genick, der Kragen eine Schlinge um meinen Hals. Er geriet unter Wasser. Bevor ich mich entsann, wo meine Hand war, kam sie irgendwie an meine Brusttasche. Vielleicht ein Reflex, mir ans Herz fassen. Heureka, die Zange, gefühlt und gezogen, Finger auseinander, Wasser geschluckt jedenfalls zum Letzten. Ich fasste an meinen Kragen gespreizter Schenkel. Die Zange biss zu um die Fliege, ich riss mich los mit einer Armbewegung, nicht schlechter als ihre Fechthiebe, schwamm weiter, vielleicht ein Fitzelchen Flanell hängen geblieben, aber scheiß drauf, keine heiße Spur, ich erreichte das jenseitige Ufer und tauchte, ohne mich umzudrehen, in den Wald ab.