Offenbarung

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Die Frage zwang Bruder Gioacchino dazu, ein unwürdiges Gesicht zu schneiden. Nach seiner bösen Miene zu urteilen, hatte ihn Ser Niccolò an einer empfindlichen Stelle getroffen. Aber der Dominikaner gab sich nicht so schnell geschlagen.

»Das meine ich in diesem Fall nicht unbedingt wörtlich. Der Satan kann, wie wir wissen, viele Erscheinungsformen annehmen.«

»Und an welche Form habt Ihr in diesem Falle gedacht?«, fragte Ser Niccolò mit beißendem Hohn.

Ich konnte seine Abneigung gegen den dominikanischen Bruder nachempfinden, denn mir ging es nicht viel anders, aber ich fand, dass er diesmal den Bogen überspannt hatte. Um die feindsinnige Stimmung abzukühlen, beschloss ich, einzuschreiten:

»Ich glaube, die Wahrheit liegt auch in diesem Fall irgendwo in der Mitte. Erlaubt mir aber mehr Auskünfte für meinen bescheidenen Wissensstand einzufordern, weil ich leider bei dieser Untersuchung nicht von Anfang an dabei war. Erst wenn ich so viel weiß wie ihr beide, werde ich bereit sein, die Unterredung über die Ursachen dieser Morde fortzuführen.«

Man hatte mich beauftragt, für diesen Fall die Verantwortung zu übernehmen, und ich hielt es dementsprechend für nötig im Sinne der sachlichen Weiterführung der Ermittlungen, meine dazu verliehene Macht in Situationen wie dieser auszuüben. Ich verabscheute nichts mehr als derartige Kraftproben, denn während meiner Jugend hatte ich lange darunter gelitten, aber ich war durchweg fähig, entsprechend zu handeln, wenn die Umstände es erforderten.

»Ich bin, wie Ihr beide wisst, von hohen kirchlichen Gremien dazu bestimmt worden, diese Ermittlung federführend zu begleiten, und ich werde es nicht zulassen, dass sie in einem sinn- und zwecklosen Kleinkrieg entartet. Ich habe eine Pflicht zu erfüllen und gedenke, sie im Namen unseres Herrn Jesus Christus erfolgreich zu Ende zu bringen. Dafür ersuche ich euch beide um aufrichtige und selbstlose Hilfe. Ich werde in diesem Sinne keinerlei Abweichung von diesem Ziel hinnehmen und bitte euch deshalb nachdrücklich, ein für alle Mal jegliche Feindseligkeiten und Streitereien sofort einzustellen. Andernfalls werde ich meinen Vorgesetzten über die mangelhafte Mitarbeit Bericht erstatten müssen.«

Während dieses Monologs versuchte ich, leise und sachlich zu bleiben und meiner Sprache die nötige amtliche Ausdrucksweise zu verleihen, in der Hoffnung, dass mein Anliegen unmissverständlich klar würde.

Die Wirkung meiner Worte ließ nicht lange auf sich warten. Die beiden Streithähne starrten mich mit einem Mal ungläubig an. Vermutlich hatten sie mich anders eingeschätzt, aber das Ergebnis meiner Ermahnung schien mir sofort recht zu geben.

»Ich will niemanden beschuldigen«, hob Ser Niccolò auf unerwartet zahme Weise an. »Es ist aber so, dass mir die Hoheit über diesen Fall übertragen wurde, obwohl ich zu keinem Zeitpunkt darum gebeten hatte. Vielmehr habe ich diese undankbare Aufgabe von meinem Vorgänger, Ser Ambrosio Spada aufgebürdet bekommen, und seitdem tappe ich im Dunkeln. Zu allem Überdruss werden von mir schnelle Erfolge erwartet, ohne dass mir auch nur die geringste Unterstützung zuteil wird.«

»Wie könnt Ihr behaupten, dass Euch keine Unterstützung gewährt wird?«, empörte sich Bruder Gioacchino. »Alle nötigen Mittel stehen Euch zur Verfügung, und außerdem bin ich Euch gerade für diesen Fall zur Seite gestellt worden …«

Das Antlitz von Ser Niccolò verdüsterte sich merklich bei diesen Worten, und ich schaffte es einzuschreiten, noch bevor er etwas sagen konnte.

»Ich bin, wie bereits zugegeben, wenig über diesen Fall, oder sollte ich besser sagen diese Fälle unterrichtet worden. Deshalb bitte ich Euch, Ser Niccolò, mich lückenlos aufzuklären. Was ist mit Eurem Vorgänger geschehen? Warum ist er von dieser Sache abgezogen worden?«

Der Untersuchungsbeamte zog verwirrt die rechte Augenbraue hoch und sah mich durchdringend an.

»Das Wort ‚abgezogen‘ kann man hier nur eingeschränkt verwenden, Pater«, sagte er zögerlich. »Ser Ambrosio ist vor etwa drei Monaten nach kurzer Krankheit an Fieber gestorben. Somit wurde ich vom Statthalter zum Leiter dieser Untersuchung ernannt, wobei ich bis zum heutigen Tag nicht verstehe, warum gerade das Gericht des Statthalters von Rom sich mit dieser Sache befassen muss.«

Ich schenkte ihm einen verständnislosen Blick.

»Wie darf ich das verstehen? Wer sonst, wenn nicht das Gericht, soll sich mit einem Mord befassen?«

Zum allerersten Mal seit Anbeginn unserer Bekanntschaft beschied mich Ser Niccolò mit einem verständnisvollen Lächeln.

»Ach ja. Ich vergaß, dass Ihr aus Spanien kommt. Dort ist es bestimmt nicht so verdreht und verwickelt wie hier.«

»Ich weiß nicht, was Ihr meint, aber so verallgemeinernd kann man es bestimmt nicht sagen«, erwiderte ich.

»Verzeiht. Ich schulde Euch eine gründliche Erklärung, sonst werdet Ihr nie begreifen, wie die Gerichtsbarkeit in Rom funktioniert«, sagte Ser Niccolò, und sein Lächeln verwandelte sich allmählich in ein breites Grinsen.

»Wieso? Was ist so besonders daran?«, fragte ich und konnte die Gereiztheit in meiner Stimme kaum verbergen. Ich empfand keinerlei Lust, mich in juristische Spitzfindigkeiten verwickeln zu lassen, aber andererseits wollte ich nicht die mühevoll beseitigte Feindseligkeit meiner Begleiter erneut auflodern lassen. »Wenn Ihr meint, dass es zur Wahrheitsfindung von Bedeutung ist, bin ich gerne bereit zuzuhören.«

Ser Niccolò stieß einen tiefen Seufzer aus.

»In Rom gibt es nicht nur eine einzige Art von Gericht, sondern fünf verschiedene.«

Mit einem Schlag hörte ich genau hin, denn ich wollte meinen Ohren nicht recht trauen.

»Fünf verschiedene?«, wiederholte ich ungläubig.

»Ja, Pater. Es gibt das Gericht des Gouverneurs oder Statthalters von Rom, welches ich hiermit vertrete. Dann gibt es das Gericht der Curia Capitolina, übrigens das älteste der ganzen Stadt, sodann das Gericht des Vicario del Papa, das Gericht des Uditore de la Camera Apostolica und schließlich das Gericht der Curia del Borgo.«

Ich muss einen ausgesprochen einfältigen Gesichtsausdruck gemacht haben, denn der Beamte lächelte zufrieden.

»Beeindruckt, nicht wahr?«, fragte er mit einem hämischen Lächeln.

Ich nickte und versuchte, das Erfahrene möglichst schnell zu bewältigen.

»Und wozu habt Ihr so viele Gerichte?«, erkundigte ich mich, noch immer verwirrt.

»Das weiß nur der liebe Gott im Himmel«, kam die Antwort. »In Wirklichkeit ist es aber so, dass alle diese fünf Gerichte verschiedene Zuständigkeiten haben, oder zumindest haben sollten.«

Ich merkte, dass das Thema unausweichlich in eine von mir nicht erwünschte Richtung der rechtlichen Spitzfindigkeiten abzugleiten drohte, und das veranlasste mich schnippisch zu fragen:

»Und was hat das bitte mit unserem Fall zu tun?«

»Unseren Fällen«, berichtigte mich Ser Niccolò.

»Nun gut, mit unseren Fällen.«

»Verzeiht diese Ausführungen, die Euch bestimmt langweilen, Pater Tomás, aber lasst mich mit diesem Toten anfangen«, sagte er und deutete mit einer Kopfbewegung in Richtung der Leiche. »Ich kenne zufällig diesen Mann. Er ist der Stellvertreter des Kommandanten der päpstlichen Garde, der seinerseits dem Gericht der Curia del Borgo vorsteht. Es handelt sich um eine in dieser Stadt bekannte Persönlichkeit, die sich früher als Feldherr große Siege erkämpft hatte. Es wäre daher zu erwarten, dass die Curia del Borgo Anspruch auf diesen Fall erhebt.«

»Wofür ist diese Curia del Borgo zuständig?«, fragte ich verärgert als mir dünkte, dass ich mich doch noch in die römische Gerichtsbarkeit vertiefen musste, ob es mir gefiel oder nicht.

»Dieses Gericht ist für die Rechtsprechung in dem Stadtteil zwischen Engelsburg und Vatikan, genannt Borgo, zuständig. Es wird immer von einem Soldaten geführt, der, wie bereits erwähnt, für die Sicherheit des Heiligen Vaters zuständig ist. Es wäre folglich zu erwarten, dass dieser Fall das Gericht des Borgo angeht.«

»Vielleicht hatte das Gericht noch keine Nachricht von diesem Verbrechen«, gab ich zu bedenken.

»Ich habe gleich nach der Entdeckung des Toten Kunde an den Vorsitzenden des Borgo Gerichtes gesandt, und das ist bereits einige Stunden her. Ich warte noch immer auf eine Antwort«, entgegnete Ser Niccolò.

»Das kann vielleicht noch kommen …«, sagte ich halblaut.

»Vielleicht. Aber wenn man an die anderen sechs Toten denkt, kommen mir Zweifel auf.«

Ich musterte ihn neugierig.

»Ja, Pater. Das ist schon merkwürdig«, sagte Ser Niccolò nachdenklich.

»Höre nicht auf ihn, Bruder Tomás«, mischte sich plötzlich mein dominikanischer Glaubensbruder ein. »Er neigt dazu, hinter jeder Ecke eine Verschwörung zu wittern«, bemerkte Gioacchino verächtlich.

»Woher nehmt Ihr das?«, schoss Ser Niccolò beleidigt zurück.

»In dieser Stadt hört man so das eine oder andere …«, erwiderte Gioacchino.

»Ich möchte trotzdem wissen, was Ser Niccolò zu sagen hat«, unterbrach ich mit Entschiedenheit.

»Der erste Tote wurde im unbewohnten Gebiet in der Nähe des Kapitolhügels gefunden, dort, wo eigentlich die Curia Capitolina für die Rechtsprechung zuständig ist. Ihr wurde aber der Fall kurzerhand entzogen, obwohl sie für Kriminalfälle im erwähnten Gebiet zu richten hatte.«

»Und wer hat diesem Gericht die Zuständigkeit entzogen?«

Ser Niccolò seufzte.

»Ich habe es bis zum heutigen Tag nicht herausbekommen. Vielleicht hat es Ser Ambrosio gewusst – aber hat er sein Wissen mit ins Grab genommen? Möglicherweise weiß Bruder Gioacchino mehr darüber …«, schloss der Beamte mit einem unschuldigen Lächeln.

 

Der dominikanische Bruder errötete vor Wut, versuchte aber trotzdem seine Stimme zu beherrschen.

»Ich bin ein Mann Gottes und kein Leichenzähler. Außerdem liegen viele Sachen außerhalb meiner Zuständigkeit, so dass ich über manche wichtigen Entscheidungen gar nicht unterrichtet werde.«

»Nun lasst uns zu diesem Toten zurückkehren«, sagte ich und unterdrückte mühsam einen Seufzer. »Es gibt also keine Anzeichen dafür, dass Gewalt angewandt wurde, nicht wahr?!«

»So ist es«, antwortete Ser Niccolò.

»Habt Ihr die Leiche richtig untersucht?«

»Wir haben sie näher in Augenschein genommen, aber nicht untersucht«, gestand er.

»Dann wollen wir das jetzt tun. Ich möchte, dass wir ihn auf den Bauch drehen«, sagte ich.

Der Beamte winkte den Soldaten herbei.

»Umdrehen!« befahl er.

Der Soldat glotzte uns unwillig an, packte schließlich die Leiche am Arm und versuchte, sie auf den Bauch zu drehen. Während er sich unbeholfen mühte, mussten wir feststellen, dass er es nicht schaffen würde, war sie doch bereits stocksteif.

»Die Leichenstarre …«, sagte Gioacchino überflüssigerweise. Sowohl Ser Niccolò wie auch ich warfen ihm verärgerte Blicke zu.

»Hol noch einen, der dir hilft«, sagte der Beamte angewidert.

Der Soldat ließ den halb aufgerichteten Toten unversehens fallen, wobei ein lautes Seufzen aus dessen Mund entwich. Wir zuckten alle erschrocken zusammen, Bruder Gioacchino bekreuzigte sich mehrmals. Der Soldat maß dem keine große Bedeutung bei und ging schlurfenden Schrittes zur Tür, die er mit einem Ruck öffnete. Er holte eine der Wachen herein, und sie versuchten es zu zweit erneut. Doch obwohl beide Männer in der Blüte ihrer Jahre waren und kräftig aussahen, hatten sie alle Mühe, Ser Niccolòs Anweisung auszuführen.

Ich nahm an, dass ihre offensichtliche Ungeschicktheit darauf zielte, von dieser wenig ruhmreichen Tätigkeit abgelöst zu werden. Da Ser Niccolò aber keine Anstalten machte, ihrem unausgesprochenen Wunsch nachzukommen, führten sie unter leisem Fluchen den Befehl schließlich aus.

Ich trat ganz nahe an die Leiche heran und versuchte inmitten der riesigen, dunkelvioletten Totenflecken, die ihre gesamte hintere Seite vom Schädel bis zur Ferse bedeckten, einen Hinweis auf Fremdeinwirkung auszumachen. Ich beugte mich ganz weit über sie und bat um Kerzenlicht. Ser Niccolò selbst hielt mir das unruhige Licht über den leblosen Körper, während das Wachs der Kerzen unvermeidlich auf die Leiche tropfte und kleine, gräuliche Flecken auf der verfärbten Haut hinterließ.

Ich richtete einen fragenden Blick auf den Untersuchungsbeamten.

»Ich kann nichts entdecken«, sagte ich schließlich.

Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie uns Bruder Gioacchino mit einer Mischung aus Ekel und Neugier anstarrte.

»Das ist das Werk des Teufels, glaubt mir«, zischte er, indessen ich mich langsam aufrichtete.

Ser Niccolò schenkte ihm einen beiläufigen, verächtlichen Blick.

»Du könntest recht haben, Bruder«, sagte ich geduldig. »Aber solange wir es nicht mit Gewissheit wissen, sollten wir vielleicht auch an eine Vergiftung denken.«

»Das habe ich auch schon überlegt«, erwiderte der untersetzte Mann mit der Kerze.

»Wie sahen die anderen Toten aus?« fragte ich schließlich.

»Ich habe nur drei der sechs gesehen«, gab Ser Niccolò unbestimmt zurück, »aber bei ihnen konnte ich auch nichts finden.«

»Und die ersten drei Fälle, die Ser Ambrosio bearbeitet hatte? Gab es da irgendwelche Besonderheiten?«, erkundigte ich mich.

»Soweit ich es beurteilen kann, nein. Es ist allerdings sehr schwer aus der Akte etwas herauszulesen, weil sie, nun ja, eher nachlässig geführt worden ist. Aber unabhängig davon, ob Vergiftung oder eine andere Ursache, diese Menschen sind nicht eines natürlichen Todes gestorben, dessen bin ich mir sicher.«

»Wem gehört dieses Haus?«, fragte ich, als ich merkte, dass wir so nicht weiterkamen.

»Ich hatte keine Zeit, es herauszufinden«, erwiderte Ser Niccolò. »Aber vielleicht wissen es die Sbirri.«

Er wandte sich sofort an den Soldaten, der ihm am nächsten stand.

»Weißt du, wem das Haus gehört?«

»Nein, Signore«, erwiderte der Mann heiser. »Aber ich frag Peppo, der draußen vor der Tür wacht. Er kommt aus dieser Gegend.« Er verließ uns mit einem derart gemütlichen Schritt, als ginge ihn das alles nichts an. Kurze Zeit später kehrte er mit einem anderen zurück, von dem ich annahm, dass es sich um Peppo handeln musste.

Ser Niccolò musterte den Mann mit mürrischer Miene, bevor er das Wort an ihn richtete.

»Weißt du vielleicht, wem das Haus hier gehört?«

Peppo, der klein und schmächtig war, kratzte sich kurz am Hinterkopf, und seine schmierigen Haare glänzten widerlich im gelben Licht.

Er begann in schüchternen Worten zu sprechen:

»Ich weiß nicht, wem es heute gehört, wenn es überhaupt jemandem gehört«, und seine eng stehenden kleinen Augen wanderten unruhig von Ser Niccolò zu mir. »Früher war es im Besitz der Witwe Brancaia, die den Müller Goccetto in zweiter Ehe geheiratet hatte. Sie hatte mit ihm zwei Kinder, die beide kurz nach der Geburt starben, und …«

»Genug davon«, unterbrach ihn Ser Niccolò in rüdem Ton. »Weißt du oder weißt du nicht, wem das Haus gehört?«

Peppo zog eingeschüchtert seinen langen, dürren Hals ein.

»Nein«, antwortete er leise. »Es ist seit Jahren unbewohnt …«

Angewidert entließ ihn Ser Niccolò mit einer Handbewegung und wandte den Blick an mich.

»Wollt Ihr sonst noch etwas wissen, Pater?«

Ich zögerte einen Augenblick, bevor ich ihm antwortete.

»Wer hat ihn gefunden?«, fragte ich und schaute fragend in die Runde.

»Ein Bettler, der sich nachts zum Schlafen hierher verkriecht«, sagte der Soldat, der die Leiche als erster angefasst hatte. »Er fand die Tür angelehnt und ging hinein, um sein Schlaflager zu errichten, als er über die Leiche stolperte. Ich kenne ihn. Er ist alt und schwach und kann keiner Fliege etwas zuleide tun.«

Wir schwiegen alle, und diese plötzlich eingetretene Ruhe ließ den Schauplatz gespenstisch, beinah unwirklich erscheinen.

Als Erster ergriff Gioacchino das Wort.

»Ihr werdet sehen, das ist das Werk des Teufels«, zeterte der Dominikaner.

»Wenn dem so ist, dann können wir die Ermittlungen getrost einstellen. Ich wäre der Glücklichste darüber«, sagte Ser Niccolò mit breitem Grinsen.

»Was meint Ihr dazu, Pater Tomás?«

»Ich kann, wie ich es bereits gesagt habe, nicht ausschließen, dass dies das Werk Satans ist. Es ist allerdings unsere heilige Pflicht, alle anderen Möglichkeiten vorher auszuschließen«, sagte ich und starrte Bruder Gioacchino durchdringend an.

»Oder kannst du etwa beweisen, Bruder, dass diese Leute nicht vergiftet wurden?«

An Stelle einer Antwort verzog der Dominikaner angewidert das Gesicht, und ich hatte den Eindruck, dass er es inzwischen ehrlich bereute, das Thema angeschnitten zu haben. Da ich ihm aber nichts schuldig bleiben wollte, machte ich weiter.

»Man könnte natürlich, wenn man vom Teufel spricht, an bestimmte Menschen denken, die ketzerische und zerstörerische Thesen verfechten.«

»An wen denkst du, Bruder?«, fragte Gioacchino mit frisch aufgeflammtem Interesse.

»Ich denke zum Beispiel an Rosenkreuzer, Templer oder Illuminaten, wenn du mich fragst. Aber das sind nur arme Irre, die die Kirche und den Glauben nie gefährden könnten, denn sie sind zu unbedeutend und zahlenmäßig zu schwach, um echten Schaden anrichten zu können. Sie glauben zwar fest daran, dass ihre Zeit kommen wird, aber die irrigen Lehren und Vorstellungen, die sie vertreten, werden erlöschen wie Kerzen in einem Herbststurm, ohne dass sie jemand richtig wahrgenommen hat. Und wenn dieses Häuflein ein Werkzeug Satans sein sollte, dann können wir uns beruhigt schlafen legen, weil sie es nie zustande bringen werden, den wahren Glauben umzustürzen.«

Ich holte tief Luft und schaute dem Dominikaner fest in die Augen, bevor ich fortfuhr.

»Die echten und wahrhaft gefährlichen Umstürzler sind die Anhänger Luthers und seiner so genannten Reformation mit ihrem Rütteln an den Grundfesten des gesamten christlichen Glaubens. Sie sind die Werkzeuge des Teufels, die es zu bekämpfen gilt.« Ich hielt absichtlich inne, um die Wirkung meiner Worte zu beobachten, und als ich Gioacchino eifrig nicken sah, fuhr ich fort.

»Um aber von unserem Thema nicht abzuweichen, will ich nun zum Ziel meiner Ausführung kommen, Bruder. Gleichgültig, ob irgendwelche versprengte Irren oder eine gut organisierte Bewegung, wir haben es immer nur mit Menschen zu tun. Und so ist es auch in diesem Fall. Also hör auf, uns ständig mit dem Teufel zu drohen, denn uns wird es nie gelingen, ihn selbst zu finden. Stattdessen müssen wir den oder diejenigen suchen, die für diese Morde verantwortlich sind, denn Morde sind es mit Sicherheit, dessen bin ich mir mittlerweile gewiss.«

Sobald der Klang meiner Worte erlosch, legte sich eine bedrückende Stille über den Raum. Wir standen alle drei regungslos da, wie Menschen, die sich nichts mehr zu sagen hatten. Indessen versuchte jeder, dem Blick des anderen auszuweichen.

So kann es nicht weitergehen, dachte ich besorgt. Mit dieser Einstellung werden wir nie Licht in die Angelegenheit bringen.

»Ich schlage vor«, sagte ich laut, »es für heute dabei bewenden zu lassen und morgen mit unseren Ermittlungen fortzufahren. Bis dahin wird Ser Niccolò vielleicht alle Akten, die zu diesem Fall gehören, zusammengetragen haben, und wir könnten anschließend seine Nachforschungen und die seines Vorgängers gründlich besprechen.«

Ser Niccolò nickte zustimmend und fügte hinzu:

»Drei Stunden nach Sonnenaufgang, in meinem Amt.«

»So sei es«, bekräftigte ich und drehte mich um in der Absicht, den Raum zu verlassen, als mich die Stimme des Untersuchungsbeamten innehalten ließ.

»Was sollen wir mit dem Toten machen, Pater?«

Ich wandte den Kopf in seine Richtung und fragte zurück:

»Können wir noch irgendwelche Erkenntnisse von ihm gewinnen?« Als ich keine Antwort bekam, fuhr ich mit Nachdruck fort: »Könnt Ihr herausbekommen, ob er vergiftet oder mit anderen Mitteln getötet wurde?«

Im Augenwinkel erkannte ich, wie Ser Niccolò das Gesicht verzog.

»Ich werde auf jeden Fall einen Arzt darauf schauen lassen, aber ich verspreche mir wenig davon.« Er räusperte sich kurz, als wäre ihm meine Frage sehr ungelegen gekommen. »Die anderen drei Toten haben uns trotz ärztlicher Untersuchung auch nicht weiter gebracht. Bei ihnen konnten wir ebenfalls nichts Wegweisendes finden.«

»Wurden alle, genau wie dieser Mann, entkleidet und in derselben Stellung aufgefunden?«, fragte ich.

»Genau so – die Frau auch«, sagte er.

Mit einem Ruck drehte ich mich ganz um und strafte mein Gegenüber mit einem vorwurfsvollen Blick.

»Ihr habt noch nie etwas von einer Frau erwähnt«, erwiderte ich und versuchte gar nicht, den Ärger in meiner Stimme zu verbergen.

»Ihr habt auch nie danach gefragt«, antwortete der Römer trotzig.

Ich erkannte, dass dieser Tag für eine weitere Besprechung zu nichts mehr zu gebrauchen war, und sagte:

»Lasset ihm ein christliches Begräbnis zuteil werden.« Dicht gefolgt von Bruder Gioacchino, verließ ich den Raum.

»Ich möchte zum Sitz unseres Ordens, Bruder«, sagte ich knapp.

Der Mann nickte und führte mich stumm zum Haus an der Jesuskirche zurück. Ich verabschiedete mich mit wenigen Worten und beschloss, mich in meine Zelle zurückzuziehen, um in Ruhe über die Geschehnisse des Vormittages nachzudenken.

Sobald die Tür hinter mir ins Schloss fiel, kniete ich in der Dunkelheit, die mich umgab, vor dem Kreuze Jesu nieder, bat ihn um Vergebung meiner Sünden und flehte ihn um Kraft an, die bevorstehenden Aufgaben zu bewältigen.

Nach Abschluss meines Gebetes setzte ich mich auf den kleinen Hocker und ging erneut den Ablauf des Vormittags durch.

Es gab also diesen Toten, der auf unerklärliche Weise verschieden war, aber da er nur einer von insgesamt sieben Todesfällen darstellte, die nach Angabe des Ermittlers, Ser Niccolò Guarnieri, alle nach dem gleichen Muster abgelaufen waren, konnte man eine natürliche Ursache ausschließen. Es erschien mir in dem Augenblick überflüssig nach der Todesart zu suchen und über ihre Ursache nachzusinnen, war beides doch unter den gegebenen Umständen schlichtweg nicht zu ermitteln. Umso vielversprechender erschien es mir, das Umfeld der Toten zu erforschen, in der Hoffnung Gemeinsamkeiten zu finden, die mich weiterführen könnten. Ferner fasste ich den Entschluss, eine diskrete Unterredung mit Bruder Celestio zu führen, denn er war nach meiner Einschätzung als Auskunftsquelle von unschätzbarem Wert und wäre in dieser verzwickten Lage imstande, mir weiter zu helfen.

 

Sobald ich diesen Entschluss gefasst hatte, machte ich mich auf, im ganzen Haus nach ihm zu suchen, konnte ihn aber nirgends entdecken. Die anderen wenigen Brüder, die ich antraf, hatten ebenfalls keine Ahnung, wo er zu finden war. Im Grunde war das nicht weiter verwunderlich, da die meisten Ordensbrüder tagsüber in der Stadt unterwegs waren, um Armen und Kranken zu helfen und der Bevölkerung die Mission der Gesellschaft Jesu näher zu bringen. Ich geduldete mich also bis zum nächsten Morgen.

Gleich nach der Frühmesse trat ich an Bruder Celestio heran und bat ihn leise um eine Unterredung. Heute noch sehe ich sein Gesicht vor meinen Augen, wie er mich neugierig und überrascht ansah, und ich vermute, dass er mich völlig anders eingeschätzt hatte. Ich war überzeugt, Celestio hielt mich gewiss nicht für den mitteilungsfreudigen Bruder, der freundlich lächelnd vor ihm stand.

Es war für mich keine Überraschung, dass er sofort einwilligte, und wir verließen auf meinen Wunsch bald danach unser Konvent, um mich nicht der Neugier der anderen Brüder auszusetzen.

»Was kann ich für dich tun, Bruder Tomás?«, fing Celestio mit gespannter Neugier an, sobald wir uns vom bevölkerten Teil der Stadt einigermaßen entfernt hatten.

»Ich habe einige Unklarheiten bezüglich der Rechtsprechung in eurer Stadt, Bruder«, begann ich und wies damit die Richtung, in die meine Fragen zielen würden. »Ich weiß, dass ich eigentlich den Ermittlungsbeamten danach fragen sollte, aber ich muss befürchten, dass er parteiisch ist und dadurch mein Bild von eurem Rechtssystem verzerren würde. Ich dachte, ich könnte stattdessen dich fragen, denn ich schätze, dass du auch auf diesem Gebiet bewandert bist.«

Das war meinerseits ein beinahe unanständiger Aufruf an seine Eitelkeit, aber er wirkte.

»Ich bin natürlich kein Rechtskundiger, Bruder Tomás«, antwortete der alte Mann Stolz erfüllt, »aber ich weiß selbstverständlich, wie die Verhältnisse diesbezüglich sind, und kann dir somit einen groben Überblick verschaffen.«

»Dafür wäre ich dir von Herzen dankbar, denn mehr wollte ich auch nicht«, gab ich zurück.

»Hier gibt es mehrere Gerichte«, fing Celestio an.

»Danke Bruder, das habe ich bereits erfahren. Es sind ihrer fünf, wenn ich mich nicht täusche.«

»So ist es. Ihre Zuständigkeiten sind allerdings örtlich und bereichsmäßig verschieden. Fangen wir doch mit dem größten, dem Gouverneursgericht an.«

Er enttäuschte mich nicht, der gute Celestio. Seine Ausführungen waren viel gründlicher und genauer, als ich erwartet hatte. Ich lauschte mit großer Aufmerksamkeit seinen Worten, wobei ich mich zwischendurch immer wieder fragte, woher er das ganze Wissen haben mochte. Schließlich war er auch nur ein Priester wie ich und kein ausgewiesener Rechtsgelehrter.

Nach etwas mehr als einer Stunde musste ich seinem Redefluss dann doch Einhalt gebieten, weil mir noch eine Verabredung mit Ser Niccolò bevor stand und ich mit meinem dominikanischen Begleiter vereinbart hatte, dass er mich an unserem Hause an der Kirche Jesu abholen sollte.

Während wir zurückkehrten erklärte mir der unermüdliche Bruder Celestio, wie die Gegend hieß, durch die unsere Schritte führten. Ich maß dem keine besondere Bedeutung bei, kreisten meine Gedanken noch immer um den Mord und alles, was damit zusammenhing.

»Weißt du, wie diese Gegend hier heißt, Bruder Tomás?«, fragte mich Celestio.

»Ich weiß es nicht, Bruder. Wie soll sie denn schon heißen? Es sind so gut wie keine Häuser zu sehen, nur bewachsene Ruinen, Bäume und Gebüsch.«

»Das hier ist das Disabitato«, antwortete mein Glaubensbruder, während er die Stimme fast ehrfurchtsvoll senkte.

»Ja«, sagte ich leicht verwirrt. »Das ist das Unbewohnte, man sieht es ja. Aber warum sprichst du so ehrfurchtsvoll darüber?«

»Weil das die gefährlichste Gegend Roms ist. Bei Nacht traut sich kein Mensch hierher. Sie wird nach Einbruch der Dunkelheit von Dieben, Räubern und Mördern beherrscht.«

»Und warum sind wir dann hier?«

»Weil es tagsüber bei weitem nicht so schlimm ist und außerdem, weil wir es viel eher merken, wenn uns jemand hinterher schleicht.«

»Wieso denn das? Müssen wir vor jemandem Angst haben?«

»Die Stadt ist voller Spione, und du ermittelst in einer sehr gefährlichen Sache, Bruder Tomás.«

Ich runzelte die Stirn.

»Ich fürchte, du siehst Gespenster, Bruder Celestio. Ich verstehe beim besten Willen nicht, weshalb ein zugegebenermaßen merkwürdiger Kriminalfall sich in einen so weiten und dichten Schleier der Geheimnistuerei hüllen muss.«

Celestio schwieg zu meinem großen Erstaunen erstmals an diesem Morgen. Ich wollte nachfragen, warum er plötzlich so still geworden sei, als ich die mächtige Front der Kirche Jesu vor mir bemerkte. Dort sah ich Bruder Gioacchino, der angespannt Ausschau nach mir hielt.

»Ich danke dir, Bruder Celestio, für die unschätzbare Hilfe. Ich glaube, es war nicht das letzte Mal, dass ich deine Unterstützung in Anspruch genommen habe«, sagte ich zum Abschied.

Celestio verbeugte sich leicht als Zeichen des Dankes für meine Worte und schaute mich streng an, als er den Dominikaner entdeckte.

Bruder Gioacchino nickte mir zur Begrüßung kurz zu und bedachte Celestio eines flüchtigen Blickes, als wollte er ihm etwas sagen. Ich maß dem keine Bedeutung bei, weil ich ganz andere Sorgen hatte. Außerdem erwartete uns bereits Ser Niccolò in seinem Amtszimmer.

Der Raum war genauso kühl wie bei meinem letzten Besuch, und ich dachte mit Entsetzen daran, dass ich unter Umständen mehrere Stunden in dieser Kälte ausharren musste.

Ser Niccolò saß aufrecht hinter seinem Schreibtisch, der diesmal noch beladener wirkte als vor ein paar Tagen.

Es fiel mir auch auf, dass diesmal ganze vier Kerzen aus einem großen Halter ihr Licht spendeten und der Raum dadurch erheblich heller und überschaubarer wirkte.

So entdeckte ich zu meinem Erstaunen, dass die Akten nicht nur den Tisch des Untersuchungsbeamten und den seines Schreibers beanspruchten, sondern, einer hoch ansteckenden Krankheit gleich, den Platz an den Wänden in Mannshöhe mit Beschlag belegten. Es entging mir diesmal ebenfalls nicht, dass die kalte Feuchtigkeit, die mir in die Nase drang, eine schimmelige Note besaß.

Sobald wir uns seinem Schreibtisch näherten, bedeutete uns Ser Niccolò in den zwei hohen Armlehnstühlen, die zu diesem Zweck bereit standen, Platz zu nehmen. Er machte sich gar nicht die Mühe aufzustehen, sondern blieb unbekümmert sitzen, vermutlich um zu zeigen, wer der Herr im Hause war. Ich beschloss, das zu ignorieren, weil es mir nicht wichtig war, spürte aber, wie eine stille Wut von meiner linken Seite, wo Gioacchino Platz genommen hatte, die Stimmung schlagartig vergiftete.

»Guten Morgen, Ser Niccolò. Ich hoffe Ihr habt wohl geruht«, sagte ich mit aufrichtiger Freundlichkeit und betete insgeheim, die Spannungen des Vortages nicht wieder erleben zu müssen.

Mein Gegenüber murmelte etwas, was ich nicht richtig verstand. Er wandte gleich wieder den Blick von mir, um eine offenbar sehr wichtige Akte zu studieren. Sein Verhalten war ganz anders als bei unserer ersten Begegnung, als mich sein prüfender Blick regelrecht durchbohrt hatte.

»Gibt es etwaige Neuigkeiten?«, fragte ich im gleichen freundlichen Ton.

»Nein, Pater, eigentlich nicht«, erwiderte er, ohne den Blick zu heben.

»Dann wollen wir diese Geschichte gemeinsam ergründen, und zwar von Anfang an. Wer sind die sechs anderen Toten?«

»Und wo soll das alles hinführen?«, unterbrach mich der Dominikaner.

»Zur Wahrheit«, antwortete ich in beiläufigem Ton, ohne ihn anzusehen.

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