Vae Victis

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Die beiden Reisenden zogen sich bald in ihre Unterkünfte zurück und der junge Tribun fiel, gleich nachdem er seine Tür gründlich verriegelt hatte, in bleiernen Schlaf.

Lucius merkte, wie es anfing in seinen Ohren zu pochen. Das Geräusch wurde zunehmend lauter. Mit großer Mühe öffnete er die Augen, setzte sich auf und zog sogleich sein Schwert aus der Scheide.

Jemand klopfte an die Tür und eine ängstliche Stimme rief:

„Wach auf Herr, es sind schon zwei Stunden nach Sonnenaufgang!“ Es war der Wirt, dem er gestern Abend befohlen hatte, ihn zeitig zu wecken. Lucius reckte sich und schüttelte den Kopf, um den Schlaf zu verjagen. Die zittrige Stimme hinter der Tür ertönte erneut:

„Herr, hörst du mich? Wach auf Herr, bitte!“

Lucius meinte eine zunehmende ängstliche Note in der Stimme zu vernehmen.

Ganz leise bewegte er sich auf die Tür zu. Mit einer Hand löste er die Verriegelung und riss sie auf; mit der anderen hielt er das zum Schlag erhobene Schwert fest umklammert.

Vor ihm stand die erbärmlich zusammengekauerte Gestalt des Wirtes. Er war allein.

Der Tribun konnte sich einen Erleichterungsseufzer nicht unterdrücken.

„Wieso sagst du nicht, dass du allein bist, du Nichtsnutz?!“, herrschte er den Mann an.

Der Wirt hörte nicht auf zu zittern.

„Was ist? Sag’s, sonst schlage ich dir bei Jupiter den Kopf ab!“

Langsam griff der Mann mit bebender Hand unter seine Tunika und zog einen versiegelten Brief hervor. Er war mit rotem Wachs verschlossen und trug sonst keinerlei erkennbare Zeichen.

„Wer hat ihn dir gegeben?“, fragte Lucius im barschen Ton.

Der Wirt duckte sich, als befürchte er Schläge.

„Es war gestern Nacht, nachdem Ihr zu Bett seid, kurz bevor ich schließen wollte. Ein kleiner drahtiger Mann von dunkler Hautfarbe, möglicherweise ein Numidier, stand vor der Tür. Sein Gesicht war fast vollständig verhüllt, ich konnte nur seine Augen sehen.“

Er hielt inne.

„Was hat er gesagt?“, hakte Lucius nach und ertappte sich dabei, wie er im Begriff war, den Ton erneut bedrohlich werden zu lassen.

Er zwang sich zur Beherrschung.

„Sag mir nur, was er dir erzählt hat. Ich tue dir wirklich nichts. Du hast mein Ehrenwort als Soldat!“

Die Aufregung des Mannes legte sich etwas und er brachte es schließlich fertig, die Botschaft an den Tribun weiterzugeben.

„Er sagte, ich soll den Brief persönlich überreichen, sonst würde man meine Leiche morgen auf dem Esquilin finden. Und …“

„Ja?“

„Ich soll dir noch sagen, du möchtest dich in Acht nehmen. Schließlich seist du überall erreichbar. Als Beweis dafür sollst du dich in deiner näheren Umgebung umschauen. Da liegt auch das nächste Zeichen deiner Schwäche, und wenn man so schwach ist wie du, dann sollte man keine großen Pläne schmieden …“

Lucius schwieg einen Augenblick und betrachtete den Wirt nachdenklich.

„Ist gut. Verschwinde!“, zischte er.

Der Mann verschwand über die enge, dunkle Treppe nach unten.

Der junge Tribun zögerte, schaute eine Weile auf das versiegelte Schriftstück und riss es schließlich auf. Darin befanden sich weder eine Nachricht noch eine Drohung.

Auf dem Papyrus stand lediglich ein Buchstabe aus dem griechischen Alphabet:

π

Lucius starrte verständnislos auf das Papier. Je länger er darauf schaute, umso stärker schlich sich ein Gefühl von unbestimmter Bedrohung in sein Gemüt und breitete sich in seinem Kopf aus wie ein langsam wirkendes tödliches Gift. Er spürte, wie seine Selbstbeherrschung dabei war ihn zu verlassen und die aufsteigende Panik ihm die Kehle zuschnürte. Er kämpfte dagegen an, holte tief Luft, schüttelte zweimal den Kopf, machte ein paar Schritte und klopfte an die Tür seines Begleiters.

„Centurio“, rief er. Er konnte sich nicht mehr an den Namen des Soldaten erinnern. „Wach auf, wir müssen los!“

Auf der anderen Seite der Tür rührte sich nichts. Er klopfte erneut, diesmal wesentlich stärker und energischer. Es war noch immer kein Laut zu vernehmen.

Zögernd versuchte Lucius die Tür zu öffnen, aber sie ging nicht auf.

Es war, als sei sie von innen verriegelt gewesen.

„Soldat, öffne sofort!“, schrie er nun und merkte wie die Angst dabei war ihn doch noch zu überwältigen. Im Zimmer des Centurios herrschte aber weiterhin Stille.

„Wirt, sofort hierher!“, donnerte er die Treppe hinunter.

Nach wenigen Augenblicken sah er den Mann heraufstürmen.

„Herr?“

„Öffne sofort diese Tür!“

Der Schlüssel drehte sich im Schloss, doch die Tür klemmte nach wie vor.

Nun stemmten sich beide Männer dagegen, aber sie gab nicht nach.

„Besorg mir eine Leiter! Wir versuchen es von außen durchs Fenster.“

In Windeseile waren die beiden im Hof. Der Wirt lehnte die Leiter an die Mauer und Lucius kletterte mit dem Schwert in der Rechten flink hinauf. Das kleine Fenster war halb geöffnet, so dass er große Mühe hatte sich hineinzuzwängen.

Der Raum war nicht größer als Lucius’ Zimmer und seine karge Einrichtung bestand aus einem klapprigen Tisch, flankiert von zwei heruntergekommenen Hockern. Es gab auch einen Stuhl, der mit der Lehne unter dem Türschloss klemmte.

An der linken Wand stand ein kleiner, altersschwacher Schrank.

Und rechts, ganz nahe an der Wand, stand das Bett.

Ein Paar aus ihren Höhlen herausquellende Augen starrten Lucius an. Aus dem bläulich geschwollenen Gesicht des Legionärs hing eine hässlich verfärbte Zunge heraus, die aussah als hätte sie ihm jemand an den Mund geklebt. Der Strang um seinen Hals hielt ihn in einer beinahe sitzenden Position, während die Arme schlaff am Körper entlang herabhingen. Merkwürdigerweise spürte Lucius plötzlich gar keine Angst mehr. Er merkte sogar, wie eine große Erleichterung ihn überkam, als wäre auf einmal eine längst erwartete Sache in Erfüllung gegangen.

Mit langsamen Schritten ging er ans Fenster zurück und gab dem Wirt den Befehl, die Ordnungskräfte zu benachrichtigen. Anschließend hinterließ er seinen Namen für zu erwartende Rückfragen und verließ die Herberge in Richtung Forum. Er musste unbedingt so schnell wie möglich Publius Agrippa erreichen, um die Nachrichten zu übergeben und ihm über den bisherigen Lauf der Ereignisse zu berichten.

Er hastete auf das Haus der Comitien zu, wo der Senat immer tagte, immer wieder hinter sich blickend, aus Angst jemand könnte ihn von hinten anfallen.

Als er schließlich ankam, beschloss Lucius, vor dem Säuleneingang auf den Senator zu warten.

Das Haus der Comitien war ein hohes, längliches Gebäude, das auf der Innenseite mehrere Reihen von langen Bänken beherbergte. Vor dem Gebäudeeingang befand sich die Säulenvorhalle, auf der sich der vordere Teil des Daches, die Apsis, stützte. Es waren der Breite nach acht Kolonnen und zur Tiefe hin gleich drei Reihen davon, so dass sie einen Wald von vierundzwanzig steinernen Kolossen bildeten. Jeder von ihnen war dermaßen dick, dass ihn vier Menschen kaum umfassen konnten, und so hoch, dass man die oberen Rundungen der Säulen kaum noch erkennen konnte. Hinter ihnen erstreckte sich das eigentliche Gebäude.

Immer mehr Menschen, die meisten von ihnen waren Lucius kaum bekannt, kamen herauf und verschwanden hinter ihm im Gebäude. Der Platz vor dem Comitium füllte sich immer mehr und immer schneller mit Leben. Händler schlugen ihre Zelte auf, Marktfrauen fingen an, ihre Waren anzupreisen, Käufer, echte und vermeintliche, drängten ins Geschehen.

Lucius wartete bereits eine ganze Weile, seine Ungeduld wuchs. Die Sänften der einzelnen Senatoren erschienen, eine nach der anderen. Er beobachtete mit erwartungsvoller Neugier, welcher davon Publius Agrippa entsteigen würde.

Endlich entdeckte er die Gestalt des ehrenwerten Senators, die langsam aus einer unscheinbaren Sänfte stieg.

Lucius kannte Agrippa seit seiner Kindheit. Der Senator hatte damals häufig im Haus seines Vaters verkehrt. Der Tribun hatte immer schon eine Mischung aus Angst und Respekt vor diesem mittlerweile weißhaarigen und etwas beleibten Mann mit der merkwürdigen Stimme, den er nie hatte lachen oder gar lächeln gesehen.

Sein Blick, schon früher finster und misstrauisch, sah noch düsterer aus und stand im krassen Gegensatz zum lauten, ausgelassenen Treiben am Forum.

Publius Agrippa kam bedächtig die Treppe herauf. Ganz in Gedanken versunken bemerkte er den jungen Krieger nicht, der in voller Montur auf ihn zukam. Als Lucius nur noch ein paar Schritte entfernt war, hob der Senator endlich den Blick.

„Ach, der junge Cornelius!“, krächzte der Weißhaarige. Seine hellblauen Augen leuchteten neugierig auf und verscheuchten die Irritation, die Lucius flüchtig zu sehen glaubte.

„Was tust du hier? Ich dachte, du wärst vor Karthago. Das hat mir zumindest dein Vater erzählt.“

„Senator“, unfreiwillig nahm Lucius Haltung an, „ich bringe eine sehr wichtige Nachricht, die ich nur dir persönlich übergeben darf.“ Die Spannung in seiner Stimme war nicht zu überhören.

Der Senator hob die rechte Augenbraue, sein Blick setzte sich auf dem Gesicht des jungen Kriegers fest. Fast unmerklich senkte er die Stimme.

„Von wem bringst du die Nachricht, Lucius?“

„Von meinem Herrn, dem ehrenwerten Konsul Scipio Aemilianus, Herr.“

Publius Agrippa schaute besorgt um sich. Dann wandte er sich schnell wieder dem Tribun zu.

„Heute Abend, zwei Stunden vor Sonnenuntergang in meinem Haus an der Via Ardeatina. Ich erwarte dich allein“, sagte er, drehte sich um und verschwand raschen Schrittes die Treppe hinauf.

Lucius blickte ihm nachdenklich hinterher, wandte sich dann ab und schlug die entgegengesetzte Richtung ein. Auf dem Weg zum Stall schaute er immer wieder nach hinten und überprüfte, ob ihn jemand verfolgte, konnte aber nichts Verdächtiges ausmachen.

 

„Was ist das nur für eine Welt?“, dachte er verärgert. „Man ist nicht einmal mehr in Rom seines Lebens sicher. Diebe und Bettler lauern dir tagsüber an jeder Ecke auf und nachts kannst du ohne Begleitung kaum noch auf die Straße, ohne überfallen zu werden.“ Er spürte, wie sein Blut in Wallung geriet.

Er musste erneut an Karthago und an das verwahrloste römische Heer denken. Der junge Tribun wollte es sich nicht eingestehen, dass das Leben in der Hauptstadt der Welt weit davon entfernt war, als moralisches Beispiel für Römer und Nichtrömer herzuhalten. Er klammerte sich an die Prinzipien seiner Erziehung, die seine gesamte Jugend geprägt hatten.

Lucius Cornelius Castor war ein Mann, der nach den Grundsätzen der Stoa, der noblen Schule der griechischen Philosophie, erzogen worden war, einer Geistesströmung, die unter vielen vornehmen römischen Familien erheblichen Anklang fand. Die Pflichterfüllung im Dienst der Menschheit war ihr höchster Leitfaden, ohne Unterschied von Volkstum, Religion und Stand. Scipio Aemilianus und Gaius Glabra wurden ebenfalls von dieser Denkweise geleitet, sie waren schon als Kinder in diesem Geist erzogen worden. Lucius war bewusst, dass sein Auftrag, den Senator Publius Agrippa aufzusuchen, vorwiegend dem gemeinsamen philosophischen Hintergrund der Stoa zu verdanken war. Sein alter Lehrer, der weise Panaitos, ein Schüler des berühmten Poseidonos, hatte ihn stets ermahnt, bei allem Tun das Wohl der Menschheit vor Augen zu haben.

Von diesen noblen Gedanken beflügelt, beschleunigte er seine Schritte und erreichte im Nu den Stall, in dem er sein Pferd abgegeben hatte. Er bezahlte den Stallwart, schwang sich in den Sattel und ritt von Heimweh getrieben zum Haus seiner Eltern.

Als Lucius an die Tür klopfte, fiel ihm auf angenehme Weise auf, dass sich so gut wie nichts verändert hatte. Fulvius, der älteste Sklave seines Vaters, empfing ihn am Hauseingang, als wäre er bloß ein paar Tage weg gewesen.

Im Vestibulum, der Eingangshalle, legte er seinen Panzer und sein Schwert ab und schritt rasch in das weitläufige Atrium.

Das Haus seiner Eltern war einer Patrizierwohnung durchaus würdig. Es war sowohl geräumig als auch von solider Bauweise, zeigte aber keine Merkmale von Luxus. Sein Vater war ein Mann, der jegliche verschwenderische und übertriebene Zurschaustellung verabscheute.

In diesem Geist wurde auch Lucius erzogen und er empfand jedes Mal tiefe Dankbarkeit, wenn er an seine strenge Erziehung zurückdachte. Sie hatte ihn zum richtigen Mann gemacht, dessen war er sich ganz sicher.

Für seinen Vater empfand er unverändert große Bewunderung, obwohl in letzter Zeit die Widersprüche zwischen den beiden an Zahl und Heftigkeit zugenommen hatten.

Es war nie zu richtigen Auseinandersetzungen gekommen, dazu war die Bedeutung des Vaters in der römischen Familie allzu groß; sein Wort galt innerhalb des Hauses als Gesetz.

Der junge Lucius war aber auf dem besten Weg, ein Mann mit eigenen Rechten und Pflichten zu werden, und so konnte es nicht ausbleiben, dass die beiden gelegentlich aneinander gerieten.

Als der Tribun das Atrium betrat, fiel ihm seine Mutter Faustina sofort um den Hals.

„Mein lieber Sohn, wir haben dich alle so vermisst! Wo kommst du denn plötzlich her? Wir dachten, du wärst vor Karthago!“ Ihre heißen Glückstränen liefen an seinem Hals herunter, während sie ihn fest umklammert hielt.

„Ich danke den Göttern, dass ich wieder hier bin“, erwiderte der nicht minder glückliche Sohn.

„Bei Jupiter, Lucius, mein lieber Sohn!“

Der Donner dieser bekannten Stimme erfüllte den Raum. Die mächtige und leicht beleibte Gestalt seines Vaters eilte hinterher.

Seine Glatze ist noch etwas breiter geworden, dachte Lucius, wagte aber selbstverständlich nicht, es auszusprechen. Sonst ist er aber ganz der Alte. „Es ist uns eine große Freude, dich wieder hier zu haben.“

Die Stimme von Actinius Cornelius Maximus wurde ernst.

„Wieso bist du so unerwartet und ohne vorherige Nachricht eingetroffen? Ist etwas Schlimmes geschehen?“ Er fuhr fort, ohne seinem Sohn die Möglichkeit zu einer Antwort zu geben. „Lass dich umarmen, Sohn!“ Er drückte mit einer energischen Geste den jungen Mann an seine Brust, so stark, dass dieser kaum noch Luft bekam.

„Faustina“, donnerte er weiter, „sag dem Koch, er soll etwas Besonderes zubereiten. Heute ist ein besonderer Tag!“

Er ließ Lucius los und ging ohne zu warten durch Tablinum und Peristylium in die Exedra, den Gesellschaftsraum, vor.

Lucius folgte ihm, mit der zierlichen Gestalt der Mutter an seiner Seite. Seinen Rücken sanft streichelnd, glänzten ihre Augen vor Glück, den geliebten Sohn wieder bei sich zu haben.

„Wo ist Julia?“

„Sie ist draußen an der alten Zypresse, mit Panaitos.“

„Ach ja, Panaitos, wie geht es dem alten Knochen? Quält er sie noch immer mit seinen endlosen Griechischstunden?“

„Lucius“, die Stimme der Mutter klang halb vorwurfsvoll, halb scherzhaft, „du weißt doch, dass deine Schwester Griechisch nie so richtig mochte. Da kann der alte Panaitos auch nichts dafür.“

Er nickte seiner Mutter verständnisvoll zu und ging weiter in die Exedra.

Ihm fiel auf, dass neben den gewohnten Liegen und dem Tisch ein neuer Gegenstand im Raum war.

„Diese Apollostatue ist wirklich bezaubernd! Woher hast du sie, Vater?“

„Ach, ein Geschenk eines alten Geschäftsfreundes aus Achaia. Sie ist scheinbar von einem Schüler des berühmten Simeonos erschaffen worden. Aber lassen wir das jetzt. Erzähle mir lieber von den Neuigkeiten, die du mitbringst!“

Die Stimme von Cornelius Maximus hatte eine fordernde Note angenommen.

Lucius fühlte sich plötzlich unwohl in seiner Haut, auch wenn er diese Aufforderung erwartet hatte. Sein Vater war ein sehr neugieriger Mann, der über alles Bescheid wissen wollte.

Als er vor den Toren Karthagos den Auftrag angenommen hatte, musste er jedoch vor Scipio und Glabra feierlich schwören, davon niemandem außer Publius Agrippa etwas zu erzählen.

Lucius räusperte sich verlegen.

„Ich bin nach Rom gesandt worden, um vom Fortgang, ja vom Erfolg der bisherigen Belagerung vor dem Senat zu berichten.“

Der Alte hob ungläubig die Augenbrauen.

„Ich verstehe nicht. Wieso schickt man einen Kriegstribun wegen so etwas auf so eine lange und gefährliche Reise, wo er doch am Kriegsschauplatz wesentlich nützlicher wäre? Ein einfacher Berichterstatter würde für so etwas vollkommen ausreichen.“

Lucius beschloss, sich hinter seinem soldatischen Auftrag zu verschanzen.

„Ich weiß es nicht, Vater. Ich habe den Befehl eben so bekommen.

Mehr ist mir nicht gesagt worden“, log er.

„Merkwürdig! Na ja, erzähl mir dann eben, wie es vor Karthago aussieht.“

„Tja“, Lucius wurde erneut zögerlich, denn er war es nicht gewohnt zu lügen. „Es sieht gar nicht schlecht aus. Wir werden wahrscheinlich die Festung binnen weniger Wochen einnehmen. Die Moral der Punier ist schon so gut wie zerstört. Sie werden sehr bald in die Knie gehen.“

Er hoffte und betete zu den Göttern, bei diesen Worten nicht rot zu werden.

Plötzlich flog die Tür der Exedra mit einem Knall auf und eine zierliche, kleine Gestalt sprang ihm an den Hals. Lange, lockige Haare flogen ihm ins Gesicht und eine Stimme von Frühlingsglocken füllte seine Ohren. „Lieber Bruder, Merkur sei Dank, du bist wieder da! Wie sehr ich mich freue! Was bringt dich so unerwartet nach Rom?“ Lucius löste sich sanft aus der liebevollen Umarmung.

„Ach weißt du, mein Kriegsherr hat gesagt, Lucius, du langweilst dich hier, segle doch schnell nach Hause, deine Schwester wird dich schon gegen die Langeweile schützen. Und siehe da, hier bin ich!“

„Du Strolch! Ich wusste ja, dass ich von dir keine ordentliche Antwort bekommen würde. Ich hätte gar nicht fragen sollen. Auf jeden Fall bist du jetzt hier und nur das zählt. Wie lange bleibst du?“

„Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich nicht sehr lange.“

Er wusste nur zu gut, wie sehr seine Schwester an ihm hing, und so versuchte er das Thema der Abreise so elegant wie möglich zu umgehen.

„Solange ich aber hier bin, gehöre ich nur dir.“

Ein schelmisches Lächeln breitete sich über sein sonst immer ernstes Gesicht aus.

„Julia“, unterbrach sie die besorgte Mutter, „lass doch deinen Bruder sich ein bisschen ausruhen! Wenn er wieder bei frischen Kräften ist, kannst du dich ganz allein mit ihm beschäftigen.“

„Wie sieht es nun mit dem Festessen aus, Faustina?“ Der Hausherr legte den Arm um seine Frau, um seinem Wunsch noch mehr Ausdruck zu verleihen. Faustina löste sich von ihm und klatschte zweimal. Ein junger Sklave erschien und verbeugte sich tief.

„Sag dem Koch, ich komme gleich in die Küche und werde ihm helfen. Bereitet meinem Sohn sein Zimmer vor. Er möchte sich ausruhen.“

Der Sklave verschwand. Cornelius Maximus nahm seinen Sohn beiseite.

„Lass uns kurz ins Peristylium gehen. Auch wenn du müde bist, gibt es einige Sachen, die ich dir unbedingt erzählen möchte.“

Der rechteckige Säulengang war Lucius‘ Lieblingsort. Die Kolonnaden gaben ihm ein einmaliges Gefühl der Geborgenheit. Gleichzeitig gaben sie den Blick zum Himmel frei, der die Mitte des Peristyliums überspannte.

„Mein Sohn, ich weiß nicht, ob du unterrichtet bist, aber wir stehen hier in Rom vor sehr großen Problemen. Die Bewegung, die Tiberius Sempronius ins Leben gerufen hat, wird immer stärker. Bei dem ganzen Respekt, den ich für ihn hege, muss ich in aller Deutlichkeit sagen, dass er nun zu weit gegangen ist. Den gesamten Ager publicus an die Plebejer zu verteilen, ist schlichtweg verrückt. Wir werden uns unbedingt dagegen wehren müssen.“ Er machte eine kurze Pause.

„Auch wenn es mir schwer fällt, werde ich die Opposition gegen ihn mit all meiner Macht unterstützen.“

Es war nicht das erste Mal, dass die beiden auf dieses Thema zu sprechen kamen.

Im Unterschied zu früheren Unterhaltungen nickte Lucius nun seinem Vater aber nicht mehr nur bedingungslos zu, sondern vertrat seinen eigenen Standpunkt. Auch wenn er noch immer Respekt und Bewunderung für seinen Vater hegte, spürte er, dass es an der Zeit war, seine Ansichten offen darzulegen.

„Aber Vater, Tiberius Sempronius hat doch das Problem richtig erkannt. Die Reichen können sich nicht mehr vom öffentlichen Land weiter so bedienen wie früher. Du siehst doch, wie die Armen immer bedürftiger und die Reichen immer wohlhabender werden. Wir haben mittlerweile eine Stadt, und damit meine ich Rom und nicht unser verschlafenes Tusculum, die immer mehr in Gewalt und Verbrechen versinkt. Du kannst heutzutage nicht mehr abends allein auf die Straße, ohne berechtigte Angst zu haben überfallen zu werden. Was glaubst du, woher das alles kommt? Es sind doch die mittellosen Bauern, die dafür in Frage kommen, weil sie ihr Land verloren haben, indem sie zwanzig Jahre lang als Soldaten für Rom gedient hatten. Deshalb konnten sie ihre Felder nicht bestellen und ihre Familien versanken in Armut, während sie selbst irgendwo in der Fremde für das Vaterland kämpften. Als sie dann nach langer Zeit wieder nach Hause kamen, besaßen sie plötzlich nichts mehr. Sie waren völlig verarmt und so blieb ihnen als einziger Ausweg nach Rom zu gehen, um sich dort durchzuschlagen, und zwar gleichgültig wie!“

Lucius merkte, dass seine Stimme vor Aufregung zitterte, während die Miene seines Vaters sich zusehends verdüsterte.

„Mein Sohn, du verstehst das nicht! Wir reden hier nicht über das Lumpenvolk auf der Straße. Das hat es früher gegeben und das wird es immer geben. Da hilft nur hartes Durchgreifen, alles andere ist sinnloses Geplauder. Was ich dir sagen will, ist Folgendes: Tiberius Sempronius hat vielleicht die besten Absichten, aber alles, was er damit bewirkt, ist eine Untergrabung der Grundsätze dieser Republik. Die Führenden dieses Landes sollen in die Armut getrieben werden, nur um ein paar landlosen Bauern ein Auskommen zu sichern. Willst du, dass der Bauer aus Latium die Staatsgeschäfte von den Hörnern des Pfluges aus leitet? Möchtest du, dass Rom zum Gespött der ganzen Welt wird?“

„Nicht doch Vater, du verstehst mich nicht! Du willst mich nicht verstehen. Es geht grundsätzlich darum, dass diese Verarmung die Bauern aus lauter Verzweiflung in die Stadt treibt, wo viele von ihnen zu Verbrechern werden. Und wenn das nicht aufhört, werden wir dieses Land irgendwann nicht mehr beherrschen können. Deswegen muss die Reform von Tiberius Sempronius unterstützt werden!“

 

„Hör sofort auf mit dem Unsinn, Lucius! Du weißt doch gar nicht, was du sagst. Du bist noch viel zu unreif, um darüber urteilen zu können. Wenn die Plebejer anfangen, Boden zu bekommen, wer sagt dir, dass sie sich damit begnügen werden? Vielleicht wollen sie dann mehr und noch mehr. Diese Reform ist eine einzige Bedrohung für den inneren Frieden!“

Ich kann doch nicht mit ihm reden, dachte Lucius verzweifelt. Es geht ihm einfach nicht in den Kopf! Und dabei hat er selbst damit angefangen.“

„Vater, verzeih mir bitte, ich will dich nicht kränken, aber ich bin wirklich ziemlich müde. Hättest du die Güte, mich zu entlassen? Ich möchte mich etwas ausruhen.“

„Ja, ja, natürlich. Leg dich nur hin, du bist erschöpft von der Reise.“ Cornelius Maximus versuchte mühevoll, seine Verärgerung über die gerade stattgefundene Unterhaltung zu unterdrücken.

„Wir reden ein anderes Mal darüber.“

„Danke, Vater“, sagte Lucius erleichtert und verschwand in sein Schlafgemach.

Der gemütliche Trott des Pferdes begann Lucius zusehends zu entspannen. Er war auf dem Weg zu Konsul Publius Agrippa und spürte, wie ihm die frische Landluft gut tat. Er hatte während der vergangenen Stunden kaum geschlafen und fühlte sich so erschöpft, als hätte er kein Auge zugetan.

Zu Hause hatte er sich unter dem Vorwand entschuldigt, einen Brief an Cornelia, die Frau von Scipio Aemilianus, überbringen zu müssen, um das bevorstehende vertrauliche Treffen mit Publius Agrippa nicht zu gefährden.

Mit dem beruhigenden Geräusch der Hufe klärten sich allmählich seine Gedanken; die quälenden Fragen der jüngsten Vergangenheit begannen ihn erneut zu beschäftigen.

Sobald der Name Scipio Aemilianus fällt, wird plötzlich alles anders, dachte er und konnte seine Verärgerung kaum unterdrücken. Die Leute verhalten sich allesamt merkwürdig; der Schiffskapitän zuckte förmlich zusammen, als ich ihm den Brief mit Glabras Siegel zeigte; er wusste, dass er vom Vertrauten Scipios kam. Auch der alte Senator hatte, als er den Namen des Feldherrn hörte, sofort die Stimme gesenkt. Und dann waren da noch die beiden Centurionen im Hafen von Ostia. Wieso habe ich sie nicht gefragt, aus welcher Einheit sie stammten? Vielleicht sind sie gar keine echten Soldaten gewesen. Wenn das so sein sollte, was wollten sie dann? Wieso sind sie beide umgebracht worden? Und was ist mit diesem Brief im Wirtshaus? Das ergibt doch alles keinen Sinn! Ich hoffe, der Senator hat die Antwort auf meine Fragen.

Unter der schweren Gedankenlast gelangte Lucius bald ans Ziel seiner Reise.

Die Villa des Senators lag versteckt hinter hohen Zypressen, auf einem der vielen Hügel, die die Via Ardeatina säumten. Ein schmaler Weg führte durch Gebüsch und an hohen Bäumen vorbei zum Haupteingang. Vor dem Eingangsportal angelangt, stieg der junge Tribun ab und klopfte kräftig an die wuchtige Eingangstür.

Es dauerte eine Weile, bis von innen leichte Schritte zu vernehmen waren. Ein paar Augenblicke geschah nichts, dann ging die Tür einen Spaltbreit auf.

„Herr?“ Die hagere, kleine Gestalt erschien nur zur Hälfte. Der rasierte Schädel und die olivenfarbene Haut ließen auf einen Numidier schließen.

„Ich bin der Tribun Lucius Cornelius Castor, dein Herr erwartet mich.“

Der Sklave verbeugte sich und öffnete nun vollständig die Tür.

„Ich werde den Senator sofort benachrichtigen“, sagte er mit leiser Stimme und eilte davon.

Lucius blieb einige Augenblicke allein und nahm die Gelegenheit wahr, den Blick über die beeindruckende Eingangshalle schweifen zu lassen. Die hohen Kolonnaden aus weißem Marmor stemmten die Decke mit großer Wucht nach oben. Zwischen ihnen standen auf beiden Seiten die wunderbar bunt bemalten Statuen der wichtigsten Gottheiten. Lucius wusste, dass der alte Mann eine besondere Vorliebe für die Bildhauerei hatte und sich dank seines riesigen Vermögens solche Statuen als Originale aus Griechenland leisten konnte.

„Lucius!“ Der Senator eilte ihm mit kleinen Schritten entgegen. Seine Miene war fast freundlich, ein Anblick an den sich der junge Mann erst gewöhnen musste. „Tritt ruhig näher, mein Sohn. Ich habe für uns das Abendessen richten lassen.“

Im Tablinum, dem eigentlichen Speisesaal angelangt, wurde das Gesicht von Agrippa düster wie immer.

„Du sagtest da wäre ein Brief an mich …“

„Ja, von Scipio, Senator. Für dich allein bestimmt. Aber es handelt sich nicht nur um ein Schreiben, sondern es sind gleich drei, die ich mitgebracht habe. Eine dieser Nachrichten ist, wie gesagt, nur für deine Augen bestimmt.“

Er holte die Briefe unter seiner Tunika hervor und gab ihm einen davon.

„Das ist aber nicht sein Siegel“, sagte der Alte in misstrauischem Ton.

„Stimmt, es ist das Zeichen des Gaius Glabra, damit es nicht zu sehr auffällt. Der Brief darin ist aber von Scipio selbst.“

Der Senator riss das Siegel auf und las den Brief aufmerksam durch. Währenddessen verfolgte Lucius seinen Gesichtsausdruck, konnte aber bei seinem Gastgeber keinerlei Gefühlsregung feststellen.

Endlich hob Publius Agrippa den Blick und seine Stimme klang etwas weicher.

„Was hast du sonst noch an Nachrichten mitgebracht?“

Lucius reichte ihm den zweiten Papyrus, der Scipios Siegel trug. Der Alte drehte ihn kurz in seiner Hand um, begutachtete die Versiegelung auf Unversehrtheit und verstaute ihn unter seinem Kleid. Dann schaute er Lucius fragend an.

„Ich habe hier noch eine weitere, verschlüsselte, Nachricht, die wir vor Karthago abgefangen haben. Glabra konnte sie nicht entziffern und bittet dich um Hilfe.“

Der Senator nahm die Abschrift neugierig entgegen. Er öffnete sie und warf einen langen Blick darauf.

„Wenn Glabra sie nicht entschlüsseln kann, dann muss sie etwas ganz Besonderes sein. Es wird nicht leicht sein, die Wünsche deines Feldherrn zu erfüllen. Wie viel Zeit hast du?“

„Bis ich meine Aufgabe erfüllt habe, Herr“ erwiderte Lucius. „Obwohl“, er zögerte, „ich gestehen muss, dass unsere Lage vor Karthago nicht sehr gut ist.“

Er berichtete kurz von den Ereignissen, die vor seiner Abfahrt nach Rom stattgefunden hatten, um damit den Inhalt des Briefes zu untermauern.

Sein Gegenüber legte nachdenklich die Stirn in Falten.

„Ich weiß nicht, ob du auf dem Laufenden bist, aber hier in Rom gibt es große Spannungen wegen der Reformbewegung von Tiberius Sempronius. Auch wenn er selbst mit Scipio vor Karthago lagert, muss ich dich in Kenntnis setzen, dass der Senat zurzeit fast nur noch mit dieser Agrarreform beschäftigt ist. Ich selbst stehe dabei voll auf Sempronius’ Seite, und wie du unschwer erraten kannst, habe ich dadurch noch mehr Gegner als sonst. Unsere Aufgabe, Scipio Aemilianus zu helfen, wird dadurch bestimmt nicht erleichtert. Du verstehst doch, was ich meine, oder!?“

„Selbstverständlich Senator, aber du bist der einzige Mensch, dem ich vertrauen und an den ich mich wenden kann. Ich muss diese Aufgabe zu Ende führen, koste es, was es wolle! Ich schulde es meinem Feldherrn und Rom zugleich.“ Unmerklich hob Lucius bei den letzten Worten die Stimme und merkte nicht, dass er leidenschaftlich wurde.

„Wir sind auf einem Weg, von dem es kein Zurück mehr gibt. Wenn Rom vor Karthago das Gesicht verliert, dann werden alle unsere Gegner wie die Wölfe über uns herfallen. Der ganze Respekt, den wir uns bei anderen Völkern erkämpft haben, wird verschwunden sein. So ein Schicksal hat das Vaterland nicht verdient!“

Er war von seinen eigenen Worten so mitgenommen, dass er vor Aufregung zitterte.

„Beruhige dich, mein Sohn. Wir werden uns etwas überlegen. Ich werde meinen Freund Scipio nicht im Stich lassen. Und Rom erst recht nicht! Lass uns eine Kleinigkeit essen und danach weiterreden. Ich habe nämlich einen hervorragenden neuen Koch und dazu noch einen Riesenhunger.“