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Er klatschte zweimal und der kahlköpfige Sklave erschien erneut.

Lucius bemerkte auf einmal, dass ihn etwas an dem Blick dieses Sklaven störte. Es war der Blick eines Menschen, der einem nicht in die Augen schauen konnte.

Der Mann, dessen Alter schwer zu erraten war, blieb in respektvoller Entfernung stehen und verbeugte sich tief.

„Das Essen ist bereit, Herr.“

„Was gibt es denn heute? Doch nicht schon wieder Lamm.“ lästerte der Alte.

„Nein, Herr, wir haben mit Schildkröteneiern gefüllte Wachteln, eine Gemüsesuppe mit Petersilie und als Nachspeise Honigtörtchen.“

Die Mahlzeit verlief ruhig. Der Senator aß sehr langsam und voller Genuss. Die vornehmen kleinen Portionen schmeckten ausgezeichnet, konnten aber Lucius’ Hunger nicht stillen. Er tröstete sich damit, dass er schließlich nicht wegen des Essens gekommen sei und wartete geduldig bis sein Gastgeber ebenfalls fertig war.

Nach der Mahlzeit zogen sich die beiden in einen der Nebenräume zurück. Der Senator sprach als Erster.

„Lucius‚ diese Bodenreform des Sempronius ist eigentlich eine wirklich gute Sache.“ Er hielt kurz inne.

„Ich bin sogar überzeugt, dass sie auf Dauer nicht nur mehr Gerechtigkeit, sondern auch mehr Sicherheit und Ruhe für unseren Staat bedeuten wird. Sie gibt dem Bauern, der als Soldat in den Krieg zieht, die Gewissheit, dass bei seiner Rückkehr das Land, das er bearbeitet hatte, nicht von Großgrundbesitzern aufgekauft oder weggenommen wurde. Ich unterstütze diese Reform, weil ich davon überzeugt bin, dass sie außerdem die Stabilität und die innere Sicherheit unseres Staates festigen wird. Scipio Aemilianus tut es ebenfalls, zumal seine Frau Cornelia die Schwester von Tiberius Sempronius ist.

Da liegt aber auch die erste Schwierigkeit verborgen. Der Senat weiß sehr wohl um die Konsequenzen einer solchen Reform und viele der Senatoren sind ausgesprochene Gegner dieser Gesetzesvorlage, da sie selbst zu denen gehören, die sich von diesem Land nach Kräften bedienen. Sie fürchten zu Recht, dass die Zeiten des billigen Landerwerbs bald vorbei sein könnten. Entsprechend wollen viele von ihnen Scipio vor Karthago scheitern sehen, so dass er, wie die anderen Reformatoren, politisch leichter erledigt werden kann. Du siehst also, gegen welche großen Widerstände wir zu kämpfen haben.

Ich glaube wir werden, um diese Hindernisse zu umgehen, ganz andere Wege einschlagen müssen als die üblichen. Ich schätze dein Feldherr hat dich für diese Aufgabe sehr gut ausgesucht. Du erweckst in mir Vertrauen, weil du ehrlich und vaterlandstreu bist, und ich glaube, du wirst auch belastbar genug sein, um diese schwierigen Aufgaben zu meistern. Wir werden beide mit unserem Leben spielen, das kann ich dir versichern, denn unsere Gegner schrecken vor nichts zurück. Diese Reform verstößt gegen mächtige Interessen, bei denen sehr viel Geld im Spiel ist.

Mir persönlich macht das alles nichts mehr aus. Ich bin ein alter Mann und stehe dem Tod näher als dem Leben. Aber du bist noch jung und hast deine ganze Zukunft vor dir. Wenn du nicht mitmachen möchtest, sag es mir. Dann kannst du dich auf dem Schlachtfeld im ehrlichen Kampf bewähren und musst dein Leben nicht derart zwischen Intrige und Hinterhalt riskieren.“

Lucius fühlte, wie die wässrig blauen Augen ihn durchdrangen und es wurde ihm unwohl dabei. Diese Augen wollten wissen, wie seine Antwort lautete. Er spürte seine trockene Kehle, obwohl ihm klar war, was er erwidern wollte und sollte. Er hatte die Tragweite dieser großen Verantwortung begriffen. Trotzdem hatte er Mühe, die Worte über die Lippen zu bringen. Schließlich sprach er:

„Ich will, dass endlich Frieden und Sicherheit in diesem Land herrschen. Ich will, dass es in meiner Heimat mit Benachteiligungen und Ausbeutung von armen Bürgern aufhört! Ja, ich will nach meinen Kräften behilflich sein, die Feinde Roms zu finden und zu vernichten. Ich bin sicher, dass mein Feldherr auch in diesem Sinne handeln würde. Publius Agrippa, ich stehe zu deinen Diensten, so wahr mir Jupiter helfe!“

Er ertappte sich dabei, wie er gegen Ende des Satzes unwillkürlich laut wurde.

„Aber, aber“, der Ton des Senators klang leicht tadelnd, „wir machen das schon, junger Mann. Dein Eifer ist lobenswert, aber in diesem Fall müssen wir sehr behutsam vorgehen. Der Feind ist mächtig und befindet sich überall. Also bitte, nicht mit dem Kopf durch die Wand! Ich habe dir einige wichtige Neuigkeiten bezüglich deines Auftrags mitzuteilen, aber lass uns vorher etwas Süßes essen. Und nun, zur Feier dieses Treffens, möchte ich das Glas erheben und zu den Göttern beten, dass sie unser Unternehmen schützen und begleiten mögen!“

Sie griffen beide zu den Bechern und Publius Agrippa leerte den seinen in einem Zug aus. Als Lucius dasselbe tun wollte, hörte er ein leises Geräusch hinter der Tür. Er hielt inne und drehte sich um. Aus dem Augenwinkel sah er, dass die Tür einen winzigen Spalt offen stand und jemand versuchte, sie möglichst lautlos wieder zu schließen. Er stellte den Becher ab und rannte zur Tür. Mit einem Ruck riss er sie auf und konnte gerade noch erkennen, dass eine kleine, kahle Gestalt um die Ecke verschwand. Er drehte sich zu seinem Gastgeber um.

„Senator, kann es sein, dass jemand uns belauscht?“

Der Blick des alten Mannes ging durch ihn hindurch. Er antwortete nicht.

„Senator, geht es dir nicht gut?“

„Doch, doch, es ist mir nur etwas schwindlig. Ich glaube, ich habe den Wein zu schnell getrunken.“

„Geht es dir wirklich gut? Du siehst sehr blass aus. Soll ich dir Wasser holen?“

„Nicht nötig, ich muss mich nur einen Augenblick hinlegen. Dieser Falernowein ist doch sehr stark und ich bin nicht mehr der Jüngste.“

Lucius schaute den Senator aufmerksam an. Er konnte verfolgen, wie diesem allmählich die Farbe aus dem Gesicht schwand.

Plötzlich erinnerte er sich an den noch unberührten Becher, den er abgestellt hatte. Er hob ihn hoch und schnupperte vorsichtig daran. Ein wunderbarer Duft von Veilchen und frischer Erde schlug ihm entgegen. Das war der Falernowein, wie er ihn kannte, er roch bloß etwas zu stark.

Publius Agrippa lag zusammengekauert auf der Liege. Er hielt sich den Bauch und winselte leise. Lucius eilte zu ihm und kniete nieder. Das bleiche Gesicht des Senators war schmerzverzerrt. Er bewegte die Lippen, bekam aber keinen einzigen Ton heraus.

Der Tribun legte sein Ohr an den Mund des alten Mannes. Keine Worte, sondern ein Hauchen kam heraus. Er hörte konzentriert zu. Auf einmal verstand er.

„Lucius, man hat mich … vergiftet… Es geht sehr schnell… Eingeweide brennen…. Keine Zeit. Hör mir zu …“

Er fing an, schneller zu atmen, zog die Knie noch stärker an und knirschte mit den Zähnen.

„Suche …“, er konnte kaum noch flüstern, „Ariostos von Croton. Puteoli…. Sage ihm … damit er weiß, dass du von mir kommst…“ Er flüsterte mit letzter Kraft einige Worte in Lucius’ Ohr.

Dann entspannten sich seine Züge und sein Mund blieb halb geöffnet, der Blick verlor sich irgendwo über Lucius’ linker Schulter.

Der Tribun richtete sich langsam auf. Er hatte das Gefühl nicht mehr schlucken zu können. Tränen kamen ihm in die Augen und liefen in Strömen über sein versteinertes Gesicht. Plötzlich explodierte etwas in ihm. Alles wurde dunkel. Er wusste nicht, ob das Augenblicke oder Stunden gedauert hatte.

Als er endlich seine volle Wahrnehmungsfähigkeit wiedererlangte, war sein Kopf ganz klar und eine unheimliche Ruhe bemächtigte sich seiner. Seine Wut erkaltete, sein Körper und die Muskeln verhärteten sich mit unbeugsamer Kraft. Mit federndem Schritt lief er aus dem Zimmer geradewegs in den Park. Einem Jagdhund gleich, folgte er instinktiv der besten Fährte, durchlief das Anwesen und gelangte zum Haupteingang zurück. Sein Pferd war nicht mehr da. Mühelos kehrte er im Laufschritt um und steuerte den Stall an. Er fühlte sich leicht und grenzenlos leistungsfähig.

Im Stall standen zwei Pferde. Er band eines davon los, sprang auf ohne es zu satteln und ritt in voller Geschwindigkeit den Weg, den er gekommen war, hinunter. Die Dunkelheit hätte ihm unter normalen Umständen zu schaffen gemacht, aber jetzt beachtete er sie nicht.

Plötzlich hörte er in nicht sehr weiter Ferne den Galopp eines anderen Pferdes. Mit zusammengebissenen Zähnen gab er seinem Tier die Sporen. Je schneller er wurde, umso lauter hörte er das Getrappel des anderen Tieres. Es kam immer näher. Nach kurzer Zeit erkannte er den unklaren Schatten des anderen Reiters vor sich. Mühelos holte er ihn ein, zog sein Schwert und schlug mit der flachen Seite auf den Hinterkopf des Flüchtenden. Der verlor das Gleichgewicht und rutschte seitwärts vom Pferd.

Der Tribun zog die Zügel energisch an und sprang sofort ab. Sein Gegenüber versuchte, noch benommen vom Schlag, auf die Beine zu kommen. Doch der Tribun ließ es nicht soweit kommen.

Erneut schlug Lucius auf den Mann ein, diesmal mit dem Griff der Waffe. Dieser ging wieder stöhnend zu Boden. Kurzerhand kniete der junge Römer sich auf dessen Brust. Jetzt erst erkannte er die Gesichtszüge seines Gegners. Es war kein anderer als der glatzköpfige kleine Sklave, der ihnen das Essen serviert hatte. In der Dunkelheit war das Einzige, was er vernahm, der keuchende Atem des Mannes der unter ihm lag. Mit leiser, hassgeladener Stimme fragte er:

„Warum?“

Der Sklave schwieg.

Lucius fragte erneut:

„Warum? Warum hast du uns töten wollen?“

Er bekam keine Antwort.

Mit einem kurzen, trockenen Schlag rächte er sich für das hartnäckige Schweigen. Der Mann heulte jämmerlich auf. Ohne zu zögern setzte ihm Lucius die Spitze des Schwertes an den Hals.

„Sterben wirst du auf jeden Fall, es liegt allein in deiner Hand wie.

 

Es kann kurz und schmerzlos oder lang und qualvoll sein.“

Ein seltsames Kichern schoss aus der Kehle des kleinen Numidiers.

„Von mir wirst du nichts erfahren!“, zischte er.

Lucius nahm mit einer schnellen Bewegung den Stoffgürtel des Sklaven, stieg von ihm hinunter und drehte ihn mit einem kurzen, brutalen Ruck auf den Bauch. Er fesselte seine Hände auf dem Rücken und zog ihn auf die Beine, stieß ihn zum Pferd und setzte ihn darauf. Dann stieg er hinter ihm auf, nahm das andere Pferd an den Zügeln und ritt langsam zur Villa des Senators zurück.

Noch bevor er zum Hauseingang gelangte, hörte er aufgeregte Stimmen streiten.

Unbekümmert stieg er ab und riss fast beiläufig seinen Gefangenen vom Pferd, der ein leises Stöhnen von sich gab, als er auf der Erde aufprallte. Lucius zerrte ihn hoch und schubste ihn durch die Eingangstür.

In der Halle standen einige aufgeregte Sklaven, die sich gegenseitig anschrien. Beim Erscheinen der beiden Männer verstummten sie sofort.

„Gibt es jetzt den Sklavenaufstand?“, fragte der junge Römer spöttisch.

Da er keine Antwort bekam, fuhr er in ernstem Ton fort.

„Wer ist der Koch und wer der Kellermeister?“

Die Worte schnitten scharf durch die Luft und versteinerten die Anwesenden, die sich nun gar nicht mehr zu rühren wagten.

„Nun, muss ich noch lange warten?“ Die Ungeduld seiner Stimme war nicht zu überhören.

Zwei Männer traten zitternd vor.

„Ich bin der Koch“, sagte der eine mit unsicherer Stimme, um dann nach kurzer Pause nachzusetzen: „und er hier ist der Kellermeister.“

„Ihr beide kommt mit, der Rest zurück in die Behausungen.“

Lucius schubste seinen Gefangenen in die Exedra, die beiden Sklaven folgten ihnen.

„Macht die Tür zu!“, befahl er.

„Ich will wissen, in welchem Verhältnis ihr zu dem da steht. Was hat er euch zu befehlen, wenn überhaupt?“

„Pantassis ist zuständig für die gesamte Hauswirtschaft, Herr“, sprach der Koch. „Er regelt die Aufgaben von uns allen, bestimmt die Speisekarte und kostet vor.“

„Auch den Wein?“

„Auch den Wein, Herr.“

Lucius wandte sich an seinen Gefangenen.

„Hast du heute Abend vorgekostet? Auch den Wein?“

Der Mann antwortete nicht.

„Scheinbar nicht, sonst wärst du jetzt nicht mehr hier. In Ordnung, ihr beide dürft wieder gehen. Ich hole euch, falls ich noch etwas brauche.“

Die Männer verließen den Raum.

Lucius stöhnte und warf seinem leicht wankenden Gefangenen einen langen Blick zu.

„Weißt du, ich glaube, wir haben eine lange Nacht vor uns. Willst du allen Ernstes, dass deine letzte Nacht lang wird? Irgendwie kann ich es verstehen. Andererseits weißt du selbst, dass es dann kein schönes Ende für dich geben wird. Sage mir lieber, wer dich beauftragt hat und warum, und ich verspreche dir einen schnellen Tod. Mehr kann ich dir nicht bieten. Ich finde, das ist für einen wie dich noch sehr großzügig.“

Pantassis schwieg eine Weile, als ginge ihn das nichts an. Dann fing er unerwartet an zu reden.

„Ihr Römer habt gar nichts verstanden. Du bist genau so dumm wie dieser alte Narr Agrippa. Ihr glaubt, die ganze Welt gehört euch und wenn nicht, dann wird sie euch demnächst zufallen. Das ist aber ein fataler Irrtum, ihr werdet bald eines Besseren belehrt. Mehr habe ich nicht zu sagen. Du kannst mich jetzt töten, ich bin vorbereitet.“ Lucius fühlte, wie erneut Wut in ihm emporstieg. Er musste sich größte Mühe geben, ihrer Herr zu werden.

„Was macht dich so sicher, dass ich es nicht aus dir herauskriegen werde? Für einen einfachen Sklaven, der bald sterben wird, bist du ganz schön übermütig. Ich möchte gern erfahren, woher du diese Überheblichkeit nimmst.“

Der Blick des Mannes durchbohrte ihn. Die schwarzen Augen flackerten böse auf. In ihnen war keine Spur von Demut oder Angst zu erkennen.

„Ich bin durch die Schule des Lebens gegangen, junger Herr, und kann die Menschen sehr gut einschätzen. Für mich bist du durchsichtig wie Glas.“

Er lachte leise.

Der Schlag kam plötzlich, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Er schickte Pantassis zu Boden, bevor dieser überhaupt merkte, was geschah.

Unter größter Mühe richtete sich der Numidier wieder auf.

„Du wirst noch bereuen, dass du jemals geboren wurdest“, zischte der Tribun. „Du wirst nichts mehr bedauern, als auf mein Angebot nicht eingegangen zu sein. Wer hat dich beauftragt, du elender Sklave? Warum? Warum solltest du uns beseitigen? Ich prügle die Seele aus dir heraus!“

„Töte mich, ich habe dir nichts zu sagen.“ Das Gesicht des Sklaven war regungslos. „Ich habe keine Angst vor dem Jenseits, weil ich weiß, dass meine Götter mich beschützen werden.“

Lucius zog bedächtig sein Schwert. Mit einem schnellen, kurzen Ruck durchbohrte er den linken Oberschenkel des Mannes, der wie vom Blitz getroffen zu Boden stürzte. Leise stöhnend rollte sich der Sklave auf die unverletzte Seite. Blut durchtränkte seine Toga, aber sein Gesichtsausdruck blieb trotz der Schmerzen weiterhin herausfordernd. Lucius spürte, wie er erneut die Kontrolle über sich verlor. Noch nie hatte ihn ein Sklave derart herausgefordert.

Er führte erneut eine energische Bewegung durch, seine Schwertspitze schnitt den noch unverletzten Oberschenkel von Pantassis auf. Der stieß diesmal einen erbärmlichen Schrei aus und versuchte das Bein wegzuziehen. Blut breitete sich auf dem Boden aus.

Lucius ging zum gedeckten Tisch und holte das Salzgefäß. Zurück bei Pantassis kniete er sich mit einem Bein neben den Verletzten und riss ihm von unten die Toga auf. Dann streute er Salz in eine der offenen Wunden. Der Schrei war so herzzerreißend, dass Lucius zusammenzuckte.

Was tue ich eigentlich hier? Wieso quäle ich diesen Menschen? Auch wenn er nur ein Sklave ist und er mich umbringen wollte, habe ich nicht das Recht, ihn derart zu plagen. Bei Jupiter, was tue ich? In welche Abgründe versinke ich?

Der weiße Marmorboden verschwand unter der wachsenden roten Lache. Es hatte den Anschein, als würden die beiden Elemente verschmelzen und das Blut nähme die Regungslosigkeit des Steines in sich auf, während der Geruch des Todes zusehends die Herrschaft über den Raum gewann.

Lucius spürte auf einmal eine unaufhaltsame Übelkeit. Ehe er dagegen ankämpfen konnte, brach ein Schwall aus ihm heraus. Er übergab sich neben dem stöhnenden, blutenden Mann, bis die beiden Gerüche sich zu einem unerträglichen Gestank verbanden und ihn zwangen, nach Luft ringend die Tür zum Park aufzureißen. Sein Magen zuckte weiter, aber die frische Luft entspannte ihn.

Mit unsicheren Schritten ging Lucius zurück. Nur unter größter Überwindung gelang es ihm schließlich hineinzugehen. Er hoffte inständig, dass alles nur ein furchtbarer Albtraum war, aus dem er bald erwachen würde. Doch der tödlich Verletzte, die riesige Blutlache und sein eigener Mageninhalt waren noch immer da.

Das war sein Werk.

Das Gesicht des sterbenden Sklaven hatte eine graubleiche Farbe angenommen. Sein Atem ging flach und schnell. Mit einer ungeheuerlichen Überwindung kniete sich Lucius wieder neben ihn nieder. Er beugte sich ganz nah an das schmerzverzerrte Gesicht und fragte leise, fast bettelnd:

„Warum? In wessen Auftrag hast du das getan?“

Der verlorene Blick des Mannes schien sich zu sammeln. Seine Lippen bewegten sich kaum merklich.

„Was sagst du? Ich kann dich nicht verstehen. Sag es mir noch einmal.“

Die Lippen bewegten sich erneut. Lucius hielt sein Ohr dicht daran, aber es war vergeblich. Pantassis blieb mit halbgeöffnetem Mund und verlorenem Blick für immer liegen.

Lucius kämpfte sich auf die Beine. Er kam sich wie ein Hundertjähriger vor, der nach langer Krankheit zum ersten Mal versucht, sich aus dem Bett aufzurichten. Mit schweren Schritten ging er in den Garten, ließ sich auf eine Bank fallen und hob den Blick zum Himmel.

Nach einer Weile erhob sich Lucius und kehrte ins Haus zurück, ins Zimmer, wo die beiden Leichen lagen. Er griff dem toten Senator in die Toga und zog den versiegelten Brief und die anderen beiden Nachrichten heraus, verstaute sie allesamt in der eigenen Kleidung, drehte sich um und verließ hastig den Raum. Mit leichten Schritten durchquerte er das Peristylium, griff sich im Vorbeigehen eine Fackel von der Wand und steuerte durch den Park hindurch auf die Hütten der Sklaven zu. Er klopfte kräftig an der erstbesten Tür. Sie ging sofort auf, woraus er folgerte, dass sie ihn erwartet hatten.

Vor ihm stand im schwachen Licht einer Öllampe die untersetzte Gestalt des Kochs.

„Ich stehe zu Diensten, Herr“, brachte er übereifrig hervor.

„Zeig mir die Behausung von Pantassis!“

„Jawohl, Herr.“

Sie gingen höchstens dreißig Schritte und standen bald vor einer etwas größeren, abseits gelegenen Hütte.

„Da ist sie.“

„In Ordnung. Du darfst gehen.“

Der Sklave verbeugte sich und verschwand.

Lucius blieb einige Augenblicke mit der Fackel in der Hand vor der Tür stehen. Er hatte das unangenehme Gefühl, als würde ihn eine unsichtbare Kraft zurückhalten.

Endlich gab er sich einen Ruck und stieß die Tür auf.

Das Innere der Hütte war ärmlich aber ordentlich. Ein Tisch mit zwei Stühlen stand in der Mitte des Raumes. In der rechten Ecke war eine Liege zu sehen und an der linken Wand lehnte ein kleiner, klappriger Schrank. Die Behausung sah dermaßen aufgeräumt aus, dass Lucius der Mut verließ hier fündig zu werden, wobei er im ersten Augenblick nicht recht wusste, wonach er suchen sollte.

Er machte sich systematisch daran, den Raum zu durchkämmen. Zuerst öffnete er den Schrank und nahm sich den Inhalt Stück für Stück vor. Damit wurde er schnell fertig. Die paar armseligen Kleidungsstücke hatten keine Geheimnisse preiszugeben. Danach widmete er sich dem Bett. Mit einem Ruck riss er die Decke herunter und spaltete die Matratze mit der Spitze des Schwertes. Außer dem üblichen Stroh konnte er nichts Besonderes entdecken.

Mit verhaltener Wut drehte er die Liege auf die Seite, aber darunter befanden sich lediglich zwei Paar abgenutzte Sandalen.

Entmutigt und erschöpft ließ er sich auf den Stuhl fallen. Ein trockenes Krachen erschreckte ihn, doch war es zu spät, um sich festzuhalten, und er ging samt kaputtem Stuhl zu Boden.

Laut fluchend richtete sich der Tribun auf und schüttelte den Staub von seinen Kleidern. Er bückte sich wutentbrannt, um den Stuhl in die Ecke zu schmeißen. Sein Blick blieb aber unvermittelt an dem gebrochenen Stuhlbein hängen. Es war innen hohl. Vorsichtig hob er es hoch, drehte es mit der Öffnung nach unten und schüttelte ein paar Mal kräftig. Ein aufgewickeltes Stück Pergament fiel heraus.

Er rollte es mit zitternden Händen auf:


Verständnislos starrte Lucius auf das Stück Papier und drehte es auf alle Seiten. Er konnte damit nichts anfangen.

Das war ein verschlüsselter Text, daran gab es keinen Zweifel. Unglücklicherweise besaß der junge Tribun keinerlei Kenntnisse der Entschlüsselungskunst und konnte somit die vorliegende Zahlenfolge nicht deuten. Er überlegte fieberhaft, bis ihm schließlich sein alter Lehrer Panaitos einfiel, den er als glänzenden Mathematiker in Erinnerung hatte. Panaitos war womöglich der Einzige, der ihm in dieser Lage hätte weiterhelfen können. Zudem überlegte Lucius, ob er sich bei Panaitos über den geheimnisvollen Ariostos von Croton erkundigen sollte. So wie er den sterbenden Agrippa verstanden hatte, war der wahrscheinlich in Puteoli aufzufinden.

Der junge Tribun verließ eilig das Zimmer und ging zu seinem Pferd. Er schwang sich voller Elan in den Sattel und ritt in der Tiefe der Nacht zurück ins heimatliche Tusculum.

Zu Hause, in der Abgeschiedenheit seines Schlafgemachs, zog er mit zitternder Hand das versiegelte Schreiben, das er dem toten Senator abgenommen hatte, hervor. Er betrachtete es nachdenklich und riss es schließlich auf.

„Mein hoch geschätzter Publius Flaminius, ich schreibe dir diese Zeilen, weil die Angelegenheit für uns eine sehr ungünstige Wende zu nehmen scheint und ich von hier aus den Gang der Dinge zurzeit nicht mehr beeinflussen kann. Meine Kontaktleute berichten mir, dass die Zahlen im besorgniserregenden Maße zurückgegangen seien, was ich nur auf unsere gemeinsame Befürchtung zurückführen kann.

 

Da mir augenblicklich keine anderen Auskünfte zur Verfügung stehen, bitte ich dich dringende Nachforschungen anzustellen, um herauszubekommen, ob unsere Vermutung begründet ist. Falls ja, ersuche ich dich alles Menschenmögliche zu tun, um die Verursacher unserer Probleme ausfindig zu machen. Lasse es mich dann schnellstmöglich wissen, denn nur so kann ich gegensteuern, gegebenenfalls von hier, wenn es sein muss. Es ist wohl überflüssig zu erwähnen, dass wir mit der Belagerung vor größeren Problemen stehen, als in Rom bekannt ist. Das wiederum beansprucht leider meine ganze Zeit, sonst würde ich mich selbst um die gemeinsame Angelegenheit kümmern. Schicke mir baldmöglichst eine Antwort, und wenn du es für nötig hältst, verschlüssele sie.

Der Tribun Cornelius Castor ist ein tapferer Soldat, aber er ist unter keinen Umständen darin einzuweihen. Dieses Schreiben ist ausschließlich für deine Augen bestimmt.

Ich umarme dich mit Respekt und Liebe, dein Scipio Aemilianus.“

Lucius ließ das Schreiben auf den Tisch gleiten.

Vielleicht hätte ich das Schreiben doch nicht aufreißen sollen, dachte er.

Nachdenklich ließ er sich auf das Bett fallen und starrte eine ganze Weile mit leerem Blick an die Decke.

Das Klopfen an der Tür war anfangs kaum zu vernehmen, so dass er erneut hinhörte. Es gab nicht den leisesten Zweifel. Jemand hatte geklopft und das brachte ihn schließlich dazu, die Tür aufzumachen. Vor ihm stand, zu seiner Überraschung, die alte Frau, die ihn in Ostia angesprochen und ihm anschließend die Zukunft gelesen hatte. Ihr Gesicht war genauso verhüllt, wie damals in der Hafenstadt verdeckte das gleiche schmutzige Kopftuch ihre Züge. Nur die Augen leuchteten in einem gefährlichen Grün.

„Was suchst du hier? Wer hat dich ins Haus gelassen?“

Ihr starrer Blick schien ihn zu durchbohren. Es fiel ihm auf, dass die alte Frau einen grauen, ausgefransten Sack in der Hand hielt.

Langsam und wortlos schritt sie auf ihn zu.

Sie ließ den Sack vor seinen Füßen auf den Boden fallen. Der plumpste lautlos auf die Seite und lauter kleine, schwarze Gegenstände fielen heraus.

Lucius schaute mit einer Mischung aus Angst und Neugier hin, während er versuchte, sie zu erkennen. Sie waren ineinander verhakt und verknäuelt, so dass er sich nicht vorstellen konnte, was es wirklich war. Vorsichtig fasste er hin und merkte, dass es Buchstaben und Zahlen waren. Er starrte ratlos und verwundert auf die alte Frau. Ein ironisches Glänzen leuchtete in den smaragdenen Augen auf, während sie ihn stumm anstarrte.

Er wandte den Blick erneut zur schwarzen, zusammengeknäuelten Masse. Einen Augenblick lang schien sie sich zu bewegen. Er hob erneut fragend den Kopf und bemerkte, dass ihre Augen nicht von ihm abließen. Er schaute erneut nach unten. Der schwarze Knäuel quoll aus dem Sack heraus und kroch langsam seinen Arm entlang. Angewidert versuchte Lucius mit der freien Hand die kalte, klebrige Masse abzustreifen. Doch auch sie verfing sich im Konvolut der Buchstaben und Zahlen. Entsetzt versuchte er davon loszukommen, aber je mehr Mühe er sich gab, umso stärker versanken seine Hände darin. Er stieß einen erbärmlichen Schrei des Schreckens aus und versuchte sich mit aller Macht davon zu befreien. Alles, was ihm gelang, war nur, das ganze Geschehen zu beschleunigen.

Entsetzt musste er zusehen, wie sich die schwarze Masse unaufhaltsam in Richtung seines Kopfes ausbreitete. Die klebrigen Zahlen und Buchstaben krochen auf seinen Mund und seine Augen zu, ohne dass er etwas dagegen unternehmen konnte. Sie bedeckten im Nu seine Ohren, seine Haare, und als er entsetzt losbrüllte, drangen sie ihm in den Mund, in den Rachen und erstickten allmählich seinen Schrei, während er im Todeskampf nach Luft rang….

Schweißgebadet riss Lucius Castor die Augen auf. Er saß aufrecht im Bett und durch das kleine Fenster lachte ihn der sonnige Morgen freundlich an. Er atmete tief durch, um den furchtbaren Albtraum zu verjagen. Das Licht des jungen Tages kleidete die Brunnen und Statuen im Peristylium in ein warmes, goldenes Licht.

Lucius stieß einen tiefen, erleichterten Seufzer aus, stand auf, kleidete sich schnell an und verließ das Schlafgemach.

Panaitos saß unter der ausladenden Krone des alten Baumes und bereitete seine nächste Unterrichtsstunde vor. Sein weißer Bart war zerzaust wie immer und seine wenigen verbliebenen Haare zeigten in alle Richtungen, als wollten sie sich jeden Augenblick von seiner Kopfhaut verabschieden.

„Salve Panaitos, schon ewig nicht mehr gesehen.“

„Salve junger Herr, ich bin überrascht, dich zu sehen. Man sagte mir, du seist vor Karthago.“

„Tja alter Freund, es kommt manchmal anders, als man denkt. Ich muss einige Tage in Rom verweilen, da ich wichtige Aufgaben zu erledigen habe.“

Er hielt kurz inne und überlegte, wie er das Thema am besten ansprechen sollte.

„Aber wenn ich schon da bin, will ich dich gleich etwas fragen“, fuhr er fort. „Ich habe ein kleines Problem, bei dem du vielleicht behilflich sein könntest. Ein guter Freund hat mich gebeten einen Text zu entschlüsseln, der mit Hilfe von mathematischen Formeln für den normalen Leser unverständlich gemacht wurde. Es handelt sich wohl um jemand, der meinem Freund einen Streich spielen will.

Da der aber von Mathematik und Rätseln nichts versteht, hat er mich um Unterstützung gebeten. Du weißt, ich war nicht einer deiner schlechtesten Schüler, aber auf diesen Text kann ich mir keinen Reim machen.“

Der greise Grieche schaute zum ersten Mal mit einem Flackern von Neugier zu seinem ehemaligen Schüler hinauf.

„Lass mich sehen, was du da hast, Lucius.“

Der Tribun griff unter seine Tunica und holte die Papyrusrolle, die er bei Pantassis gefunden hatte, hervor.

Der alte Mann wickelte sie bedächtig auf und schaute sie lange und aufmerksam an. Nach einer Weile runzelte er die Stirn und hob den Blick zu Lucius empor.

„Weißt du, junger Herr, ich müsste es gründlicher untersuchen, um Genaueres sagen zu können.“

„Wie lange brauchst du?“

„Wenn ich es bis morgen nicht geschafft habe, dann kann ich dir nicht weiterhelfen.“

„Panaitos, ich vertraue dir das Schriftstück bis morgen an. Du haftest allerdings mit dem Kopf, wenn es verloren geht oder wenn es in die falschen Hände gerät. Hast du mich verstanden?“ Sein Ton duldete kein Missverständnis.

Panaitos war zwar ein sehr wissender und belehrter Mann, aber er blieb nach wie vor Sklave, und das ließ ihn Lucius deutlich spüren.

„Ja Herr, ich habe verstanden.“

Der junge Tribun erhob sich und ließ den alten Mann allein. Er beschloss, da er bezüglich des Textes im Augenblick nichts unternehmen konnte, sich um den Fortlauf der Untersuchungen im Todesfall des Centurio zu kümmern, der mit ihm im Gasthaus übernachtet hatte.

Der Raum war in völlige Dunkelheit gehüllt. Es gab kein Fenster und keine Öffnung, die dem Licht eine Möglichkeit zum Eindringen geboten hätte.

Anfangs war nur der Deut eines Flackerns zu erahnen. Allmählich schlich die schüchterne Flamme einer Öllampe die Treppe hinunter, begleitet vom leisen Huschen unsicherer Schritte. Unten angelangt schoss das Licht plötzlich in alle Ecken des Raumes, bis auf eine. Da schien es wie von Geisterhand fern zu bleiben, und die Dunkelheit beanspruchte hartnäckig den Ort. Der Mann mit der Öllampe blieb in der Nähe des Treppenabsatzes stehen. Es sah so aus, als hätte er Angst gehabt, etwas oder jemand zu stören. Er blieb wie versteinert stehen, ohne es zu wagen auch nur die kleinste Bewegung zu machen. Allein sein verhaltenes Atmen war zu hören.

„Nun?“ Die Stimme kam aus der dunklen Ecke des Raumes, wo sich das Licht nicht hineinwagte. Sie war weich und leise wie das Streicheln von Samt auf der bloßen Haut. Sie besaß eine beinahe einlullende Wirkung, aber es gab eine Vibration, einen bedrohlichen Nachhall, der einem ins Mark drang.

Der Mann mit der Öllampe konnte nur mit Mühe die paar Worte hervorbringen.