Anna Karenina | Krieg und Frieden

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4

Die persönliche Angelegenheit, die Ljewin während des Gespräches mit seinem Bruder sich hatte im Kopfe herumgehen lassen, war folgende: als er im vorigen Jahre einmal hinausgefahren war, um das Heumähen zu besichtigen, und sich dabei über den Verwalter hatte ärgern müssen, da hatte er sein beliebtes Beruhigungsmittel angewandt: er hatte einem Bauern die Sense weggenommen und selbst zu mähen angefangen.

Diese Arbeit hatte ihm so gut gefallen, daß er nachher noch mehrmals zu ihr gegriffen hatte; er hatte die ganze Wiese vor dem Hause gemäht und sich in diesem Jahre gleich bei Frühlingsanfang vorgenommen, mehrere volle Tage mit den Bauern zusammen zu mähen. Aber mit der Ankunft des Bruders war er wieder unschlüssig geworden, ob er mähen solle oder nicht. Es war ihm peinlich, den Bruder ganze Tage lang allein zu lassen; auch fürchtete er, der Bruder werde sich wegen dieser Arbeit über ihn lustig machen. Als er jedoch über die Wiese gegangen war und sich der fröhlichen Stimmung erinnert hatte, in die ihn damals das Mähen versetzt hatte, da war er in seinem Vorsatze zu mähen beinahe wieder fest geworden. Nun, nach dem aufregenden Gespräche mit dem Bruder, kam ihm sein Vorhaben wieder ins Gedächtnis.

›Ich bedarf dringend körperlicher Bewegung; sonst verschlechtert sich entschieden mein Charakter‹, sagte er sich und beschloß zu mähen, ohne Rücksicht auf die peinliche Empfindung seinem Bruder und dem Bauernvolke gegenüber.

Am Abend ging Konstantin Ljewin ins Kontor, traf Anordnungen für die bevorstehenden Arbeiten und schickte nach den Nachbardörfern, um für morgen Mäher zu bestellen, damit die Kalinowü-Wiese, die größte und beste von allen, gemäht werden könne.

»Ja, und dann schicken Sie doch auch, bitte, meine Sense zu Tit; er soll sie dengeln und morgen mit hinausbringen; vielleicht mähe ich auch mit«, sagte er, bemüht, seiner Verlegenheit Herr zu werden.

Der Verwalter antwortete lächelnd: »Wie Sie befehlen.«

Abends beim Tee teilte Ljewin es auch seinem Bruder mit.

»Es scheint, wir werden jetzt anhaltend gutes Wetter haben«, sagte er. »Morgen fange ich an zu mähen.«

»Das ist eine Arbeit, die ich sehr gern habe«, erwiderte Sergei Iwanowitsch.

»Ich habe sie außerordentlich gern. Ich habe schon früher manchmal mit den Bauern zusammen gemäht, und morgen habe ich vor, den ganzen Tag zu mähen.«

Sergei Iwanowitsch hob den Kopf in die Höhe und sah seinen Bruder neugierig an.

»Wie meinst du das? Ganz ebenso wie die Bauern, den ganzen Tag?«

»Ja, das macht viel Vergnügen«, antwortete Ljewin.

»Jedenfalls eine vorzügliche körperliche Übung; nur wirst du es schwerlich aushalten können«, erwiderte Sergei Iwanowitsch ohne allen Spott.

»Ich habe es schon versucht. Am Anfang ist es ja schwer; nachher findet man sich hinein. Ich denke, ich werde hinter den andern nicht zurückbleiben ...«

»Na so was! Aber sag mal, was machen denn die Bauern dazu für Gesichter? Die spötteln gewiß darüber, daß der Herr solche sonderbaren Einfälle hat?«

»Nein, das glaube ich nicht; und dann ist es auch eine so lustige und zugleich eine so schwere Arbeit, daß man gar keine Zeit hat, sich Gedanken zu machen.«

»Aber wie wirst du es denn mit dem Mittagessen halten, wenn du da mit ihnen zusammen bist? Dir eine Flasche Lafitte und eine gebratene Pute hinschicken zu lassen, würde doch nicht recht passend sein.«

»Nein; während ihrer Ruhepausen will ich nach Hause kommen, sonst nicht.«

Am andern Morgen stand Konstantin Ljewin früher als sonst auf; aber allerlei Wirtschaftssachen hielten ihn auf, und als er auf seinem Pferde zur Wiese hinauskam, gingen die Mäher schon in der zweiten Reihe.

Schon von der Anhöhe aus erblickte er unter sich den im Schatten liegenden, bereits gemähten Teil der Wiese mit den grauen, durch das Mähen entstandenen Streifen und mit schwarzen Haufen, die von den Röcken der Mäher gebildet wurden; die Mäher hatten ihre Röcke an der Stelle niedergelegt, wo sie die erste Reihe begonnen hatten.

In dem Maße, wie er näher kam, wurden ihm immer deutlicher die Bauern sichtbar, die in langgestreckter Reihe einer hinter dem andern einherschritten und in verschiedener Art die Sensen schwangen; manche hatten die Röcke anbehalten, andere waren in Hemd und Hose. Er zählte ihrer zweiundvierzig Mann.

Sie bewegten sich langsam über den unebenen Wiesengrund hin, wo ehemals ein Teich gewesen war. Einige von seinen eigenen Bauern erkannte Ljewin. Da war der alte Jermil, der ein sehr langes weißes Hemd (nach Bauernsitte über der Hose) trug und sich bei jedem Schwunge der Sense tief bückte; da war der junge Wasili, Ljewins früherer Kutscher, der bei jedem Streiche weit ausholte. Da war auch Tit, in der Kunst des Mähens Ljewins Berater, ein kleines, mageres Männchen. Er schritt, ohne sich zu bücken, als erster vor den anderen dahin und schnitt, als ob er mit der Sense spiele, seine breite Reihe nieder.

Ljewin stieg vom Pferde, band es neben dem Wege an und begab sich zu Tit, der aus einem Busche eine zweite Sense hervorholte und ihm hinreichte.

»Sie ist in Ordnung, Herr, scharf wie ein Rasiermesser; sie mäht ganz von selbst«, sagte Tit, indem er lächelnd die Mütze abnahm und ihm die Sense übergab.

Ljewin nahm die Sense und holte ein paarmal damit aus. Nach Beendigung ihrer Reihen traten die schweißbedeckten Mäher einer nach dem andern fröhlich auf den Weg und begrüßten, ein wenig spöttisch lächelnd, ihren Herrn. Sie blickten ihn alle an; aber keiner sagte etwas, bis ein hochgewachsener Alter, mit runzligem, bartlosem Gesichte, in einer Jacke von Schaffell, auf den Weg heraustrat und sich an ihn wandte:

»Vergiß nicht, Herr: wer angefangen hat, muß auch bis zu Ende durchhalten!« sagte er, und Ljewin hörte ein unterdrücktes Lachen unter den Mähern.

»Ich werde mir Mühe geben, nicht zurückzubleiben«, antwortete er, stellte sich hinter Tit auf und wartete auf den neuen Beginn der Arbeit.

»Vergiß nicht, was ich gesagt habe«, sagte der Alte noch einmal.

Tit machte einen Platz frei, und Ljewin trat hinter ihn. Das Gras neben dem Wege war, wie in der Regel, niedrig, und Ljewin, der lange nicht gemäht hatte und den die vielen auf ihn gerichteten Blicke befangen machten, mähte in den ersten Augenblicken schlecht, obgleich er kräftig ausholte. Hinter sich hörte er Stimmen:

»Er setzt die Sense ungeschickt an; der Stiel liegt zu hoch; sieh mal, wie er sich bücken muß«, sagte einer.

»Drück mehr mit dem Sensenhacken an!« ermahnte ihn ein andrer.

»Schadet nichts! Laß nur gut sein, er wird schon in Zug kommen«, meinte der Alte. »Sieh nur, wie er drauflosgeht! ... Du nimmst den Strich zu breit, du wirst müde werden ... Ja, ja, es heißt ganz richtig: wenn sich der Gutsherr plagt, so hat er den Segen davon! Aber sieh mal, was hast du für einen Kamm stehen lassen! Dafür könnte unsereiner einen Buckel voll Prügel besehen.«

Jetzt kamen sie in weicheres Gras, und Ljewin, der auf die Bemerkungen hörte, aber nicht antwortete, ging immer hinter Tit her und gab sich Mühe, möglichst gut zu mähen. Sie hatten ungefähr hundert Schritte zurückgelegt. Tit ging stets gleichmäßig vorwärts, ohne stehenzubleiben und ohne die geringste Müdigkeit merken zu lassen; bei Ljewin aber regte sich bereits die Besorgnis, ob er auch werde bis zu Ende aushalten können, so müde war er schon.

Er fühlte, daß er die Sense mit seiner letzten Kraft schwang, und beschloß, Tit zu bitten, daß er anhalten möchte. Aber in diesem Augenblick blieb Tit von selbst stehen, bückte sich, nahm eine Handvoll Gras, wischte die Sense ab und begann sie zu wetzen. Ljewin reckte sich zurecht und blickte sich, tief aufatmend, um. Hinter ihm kam ein Bauer, der offenbar ebenfalls müde geworden war; denn er blieb sogleich, ohne zu Ljewin ganz heranzukommen, stehen und machte sich an das Wetzen. Tit wetzte seine eigene Sense und die Sense Ljewins, und dann gingen sie weiter.

Bei diesem zweiten Angriff wiederholte sich derselbe Vorgang. Tit schritt, einen Hieb nach dem andern führend, dahin, ohne stehenzubleiben und ohne müde zu werden. Ljewin ging hinter ihm her und gab sich alle Mühe, nicht zurückzubleiben, und es wurde ihm immer schwerer und schwerer: es kam der Augenblick, wo er fühlte, daß er keine Kraft mehr hatte; aber gerade in diesem Augenblicke blieb Tit stehen und wetzte.

So mähten sie die erste Reihe herunter. Diese lange Reihe hatte Ljewin besonders schwer gefunden. Aber dafür fühlte er sich auch sehr glücklich, als sie an das Ende der Reihe gelangt waren und Tit die Sense auf die Schulter nahm und langsamen Schrittes auf den Stapfen zurückging, die seine Stiefelhacken auf dem gemähten Streifen hinterlassen hatten, und er, Ljewin, ebenso auf dem von ihm gemähten Streifen zurückging. Und seine frohe Stimmung wurde auch dadurch nicht beeinträchtigt, daß ihm der Schweiß nur so über das Gesicht strömte und von der Nase tropfte und sein ganzer Rücken so naß war, als wenn er im Wasser gelegen hätte. Namentlich freute er sich darüber, daß er jetzt wußte, er werde bis zu Ende aushalten können.

Getrübt wurde sein Vergnügen nur dadurch, daß seine Reihe nicht gut ausgefallen war. ›Ich will weniger mit dem Arm schwingen und mehr mit dem ganzen Oberkörper‹, dachte er, als er Tits schnurgerade gemähte Reihe mit seiner eigenen zackig und ungleichmäßig daliegenden Reihe verglich.

Bei der ersten Reihe war Tit, wie Ljewin bemerkte, besonders schnell vorwärts gegangen, wohl um den Herrn auf die Probe zu stellen, und diese Reihe war gerade besonders lang gewesen. Die folgenden Reihen wurden Ljewin schon leichter; aber er mußte trotzdem alle seine Kräfte anspannen, um nicht hinter den Bauern zurückzubleiben.

 

Er hatte keinen andern Gedanken und keinen anderen Wunsch, als nicht hinter den Bauern zurückzubleiben und die Arbeit so gut wie möglich auszuführen. Er hörte nichts als das Zischen der Sensen und sah nur vor sich die gerade aufgerichtete, von ihm wegschreitende Gestalt Tits, den ausgebuchteten Halbkreis, den der Sensenhieb auf der Wiese bildete, die langsam und wellenartig sich neigenden Gräser und Blumenköpfchen an der Schneide seiner Sense und in einiger Entfernung das Ende der Reihe, wo die Ruhepause eintreten würde.

Ohne sich Rechenschaft geben zu können, was das war und woher es kam, empfand er auf einmal mitten in der Arbeit ein angenehmes Gefühl von Kühle an seinen heißen, schweißbedeckten Gliedern. Er blickte nach dem Himmel hinauf, während seine Sense gewetzt wurde. Eine tief herabhängende, schwere Wolke war herbeigezogen und schickte einen tüchtigen Regen herab. Manche von den Bauern gingen zu ihren Röcken hin und zogen sie an; andere regten gerade wie Ljewin nur erfreut die Schultern bei der angenehmen Erfrischung.

Eine Reihe nach der andern legten sie so zurück. Lange und kurze Reihen folgten aufeinander, mit gutem und mit schlechtem Grase. Ljewin hatte jedes Gefühl für die Zeit verloren und wußte schlechterdings nicht, ob es jetzt spät oder früh war. In seiner Arbeit vollzog sich jetzt eine Veränderung, die ihm einen außerordentlichen Genuß gewährte. Mitten in der Arbeit kamen ihm Minuten, in denen er vollständig vergaß, was er tat; er fühlte sich so leicht, und gerade in solchen Minuten fiel seine Reihe fast ebenso schön und gleichmäßig aus wie die Reihe Tits. Aber sobald er sich wieder dessen bewußt wurde, was er tat, und anfing, sich Mühe zu geben, um es recht gut zu machen, empfand er sofort den ganzen schweren Druck der Arbeit, und die Reihe fiel schlecht aus.

Als er so wieder einmal eine Reihe hinter sich gebracht hatte, wollte er die folgende in Angriff nehmen; aber Tit blieb stehen, trat an den Alten heran und sprach leise etwas mit ihm. Beide blickten nach der Sonne. ›Wovon mögen sie wohl reden, und warum macht er sich nicht an die nächste Reihe?‹ dachte Ljewin, ohne darauf zu verfallen, daß die Bauern bereits ohne Unterbrechung nicht weniger als vier Stunden gemäht hatten und nun ihre Frühstückszeit da war.

»Nun wollen wir frühstücken, Herr!« sagte der Alte.

»Ist es denn schon Zeit? Na schön, dann tut das!«

Ljewin übergab Tit seine Sense und ging mit den Bauern, die zu ihren Röcken gingen, um ihr Brot herauszuholen, über die leicht vom Regen übersprühten Schwaden der langen abgemähten Fläche zu seinem Pferde. Erst jetzt wurde er sich darüber klar, daß seine Wettervoraussage falsch gewesen war und der Regen ihm sein Heu naß gemacht hatte.

»Der Regen wird das Heu verderben«, sagte er.

»Nein, Herr, der schadet nicht«, erwiderte der Alte. »Mähe, wenn der Himmel weint; harke, wenn die Sonne scheint.«

Ljewin band das Pferd los und ritt nach Hause, um Kaffee zu trinken.

Sergei Iwanowitsch war soeben aufgestanden. Nachdem Ljewin Kaffee getrunken hatte, ritt er gleich wieder nach der Wiese hinaus, noch ehe Sergei Iwanowitsch mit seiner Toilette fertig geworden und ins Eßzimmer gekommen war.

5

Nach dem Frühstück erhielt Ljewin in der Reihe der Mäher seinen Platz nicht mehr an der früheren Stelle, sondern zwischen jenem spaßliebenden Alten, der ihn gleich anfangs ermahnt und jetzt aufgefordert hatte, sein Nebenmann zu werden, und einem jungen Bauern, der sich erst im Herbst verheiratet hatte und für den dies der erste Sommer war, wo er an der Heuernte teilnahm.

Der Alte schritt in gerader Haltung voraus; gleichmäßig und breit setzte er die etwas auswärts gedrehten Füße von einer Stelle auf die andere, und mit einer genauen, sich unverändert wiederholenden Bewegung, die ihn anscheinend nicht mehr Mühe kostete als das Schlenkern mit den Armen beim Gehen, legte er wie spielend einen gleichmäßigen, hohen Schwaden nieder. Es war nicht, als ob er arbeitete, sondern als ob die scharfe Sense ganz von selbst durch das saftige Gras zischte.

Hinter Ljewin ging der junge Michail. In seinem hübschen, jugendlichen Gesichte, über dem er um die Haare ein aus frischem Grase gedrehtes Seil gebunden hatte, arbeiteten alle Muskeln vor Anstrengung mit; aber sobald man ihn ansah, lächelte er. Er war augenscheinlich bereit, eher zu sterben, als daß er zugestanden hätte, daß ihm die Arbeit schwerfalle.

Ljewin ging zwischen den beiden. Gerade in der größten Hitze erschien ihm das Mähen nicht so anstrengend. Der Schweiß, der an ihm herunterfloß, kühlte ihn ab, und die Sonne, die ihm auf dem Rücken, dem Kopfe und den bis zum Ellbogen entblößten Armen brannte, verlieh ihm Kraft und Ausdauer bei der Arbeit; und immer häufiger stellte sich bei ihm jener mehrere Minuten währende bewußtlose Zustand ein, in dem er gar nicht an das dachte, was er tat. Die Sense mähte ganz von selbst. Das waren glückliche Augenblicke. Noch vergnüglicher waren die Augenblicke, wenn sie an den Fluß gelangten, auf den die Reihen stießen, und dann der Alte mit einem festen, nassen Grasbüschel die Sense abwischte, ihre stählerne Klinge in dem frischen Wasser das Flusses abspülte, den Wetzsteinköcher vollschöpfte und ihn Ljewin zum Trinken anbot.

»Na, trink mal von meinem Kwaß! Der schmeckt! He?« sagte er mit den Augen zwinkernd.

Und in der Tat hatte Ljewin noch nie ein Getränk mit solchem Genuß geschlürft wie dieses laue Wasser mit dem darin schwimmenden Grün und dem Rostgeschmack von der Blechdose. Und gleich darauf folgte das glückselige, langsame Dahinschlendern mit der Sense im Arm, wobei man sich den herabrinnenden Schweiß abtrocknen, aus vollster Brust Atem holen und die ganze, sich lang hinziehende Reihe der Mäher, und alles, was ringsum im Walde und auf dem Felde geschah, betrachten konnte.

Je länger Ljewin mähte, um so häufiger wurden für ihn diese Zeiten der Selbstvergessenheit, wo nicht mehr die Hände die Sense schwangen, sondern die Sense selbst hinter sich den ganzen, von Bewußtsein und Leben erfüllten Körper bewegte und die Arbeit, ohne daß er an sie dachte, wie durch Zauberei ordnungsmäßig und regelrecht ganz von selbst vor sich ging. Das waren die glückseligsten Augenblicke.

Schwer wurde es nur dann, wenn es erforderlich war, diese unbewußt gewordene Bewegung zu unterbrechen und zu denken, wenn zum Beispiel ein bewachsener Erdhöcker oder eine nicht ausgejätete Sauerampferstaude ummäht werden mußte. Der Alte bewerkstelligte das mit größter Leichtigkeit. Kam er an einen Höcker, so änderte er die Bewegung und mähte bald mit dem Sensenhacken, bald mit dem spitzen Ende den Höcker von beiden Seiten mit kurzen Hieben rein. Und während er dergleichen tat, sah und beobachtete er doch alles, worauf er traf; bald pflückte er eine Siegwurz ab und aß sie auf oder gab sie Ljewin zum Essen, bald warf er mit dem spitzen Ende der Sense einen Zweig beiseite, bald betrachtete er ein Wachtelnest, von dem das Weibchen erst dicht unter der Sense aufgeflogen war, bald fing er eine kleine Schlange, die ihm in den Weg kam, hob sie, wie auf einer Gabel, mit der Sense in die Höhe, zeigte sie Ljewin und schleuderte sie zur Seite.

Sowohl Ljewin wie dem jungen Burschen hinter ihm fielen solche Veränderungen der Bewegungen schwer. Sie befanden sich beide, nachdem sie sich einmal in eine bestimmte kräftige Bewegung eingearbeitet hatten, in einer Art von Arbeitswut und waren nicht imstande, die Bewegung zu verändern und gleichzeitig auch noch zu beobachten, was vor ihnen war.

Ljewin merkte gar nicht, wie die Zeit verging. Hätte ihn jemand gefragt, wie lange er schon gemäht habe, so würde er gesagt haben: eine halbe Stunde; und doch rückte die Mittagszeit schon heran. Als sie die Reihe zurückgingen, um eine neue anzufangen, lenkte der Alte Ljewins Aufmerksamkeit auf eine Menge kleiner Mädchen und Knaben, die von verschiedenen Seiten her, kaum sichtbar, durch das hohe Gras und auf dem Wege nach den Mähern hinstrebten und Bündel mit Brot sowie oben mit Lappen verstopfte Krüge mit Kwaß schleppten, so daß die Last ihnen die schwachen Ärmchen herunterzog.

»Sieh mal, da kommen die Käferchen angekrochen!« sagte er, indem er auf sie hinzeigte, und blickte, die Augen mit der Hand beschützend, nach der Sonne.

Sie erledigten noch zwei Reihen dann blieb der Alte stehen.

»Na, Herr, jetzt kommt das Mittagessen!« sagte er in entschiedenem Tone. Und sobald die Mäher beim Flusse angelangt waren, begaben sie sich über die Schwaden hinweg zu ihren Röcken, wo die Kinder, die das Mittagessen gebracht hatten, saßen und auf sie warteten. Die Bauern setzten sich zusammen, die von weiter her gekommen in den Schatten ihrer Wagen, die aus der Nähe stammenden unter Weidengebüsch, über das sie Gras geworfen hatten.

Ljewin setzte sich zu ihnen; er hatte keine Lust wegzureiten.

Alle Befangenheit vor dem Herrn war schon längst verschwunden. Die Bauern schickten sich an, ihre Mahlzeit einzunehmen. Manche wuschen sich; von den jüngeren Männern badeten einige im Flusse; andere machten sich ihr Ruheplätzchen zurecht, banden die Brotbündel auf und öffneten die Krüge mit Kwaß. Der Alte brockte Brot in eine Schüssel mit Wasser, zerdrückte es mit dem Löffelstiel, goß noch Wasser aus dem Wetzsteinköcher hinzu, schnitt noch etwas Brot hinein und streute Salz dazu; dann wandte er sich nach Osten, um zu beten.

»Nun, wie ist's, Herr? Willst du meine Brotsuppe kosten?« fragte er und ließ sich vor seiner Schüssel auf die Knie nieder.

Die Brotsuppe war so schmackhaft, daß Ljewin seine Absicht, nach Hause zu reiten, um dort zu Mittag zu essen, aufgab. Er aß mit dem Alten zusammen und unterhielt sich mit ihm über dessen häusliche Angelegenheiten, die sein lebhaftes Interesse erregten; auch teilte er von seinen eigenen Angelegenheiten dem Alten allerlei mit, was diesen interessieren konnte. Er fühlte sich ihm näher als seinem Bruder, und die Zuneigung, die er gegen diesen Menschen empfand, rief auf seinem Gesicht unwillkürlich ein freundliches Lächeln hervor. Als der Alte dann wieder aufstand, sein Gebet verrichtete und sich gleich an derselben Stelle unter dem Busche niederlegte, wobei er einen Haufen Gras als Kopfkissen benutzte, da legte sich Ljewin gleichfalls hin, und trotz der lästigen Fliegen und Käfer, die bei dem hellen Sonnenschein besonders zudringlich waren und ihn an dem schweißbedeckten Gesicht und am übrigen Körper kitzelten, schlief er sofort ein und erwachte erst, als die Sonne nach der anderen Seite des Busches herumgegangen war und ihn mit ihren Strahlen traf. Der Alte schlief schon längst nicht mehr; er saß aufrecht da und dengelte die Sensen der jüngeren Leute.

Ljewin blickte rings um sich und erkannte den Ort gar nicht wieder; so sehr hatte sich alles verändert. Die gewaltige Fläche der Wiese war abgemäht und schimmerte mit ihren bereits stark duftenden Schwaden geschnittenen Grases, von den schrägen Strahlen der Abendsonne beleuchtet, in einem eigentümlichen neuen Glanze. Die durch das Mähen freigelegten Büsche am Flusse und der Fluß selbst, der vorher nicht sichtbar gewesen war, aber jetzt wie Stahl in seinen Krümmungen glänzte, und die Mäher, die sich wieder regten und aufstanden, und die steile Graswand an dem noch nicht gemähten Teile der Wiese, und die Habichte, die über der kahlen Wiese kreisten: alles das bot ein ganz neues Bild dar. Als Ljewin seine Gedanken wieder gesammelt hatte, begann er zu überlegen, wieviel bereits gemäht sei und wieviel an diesem Tage noch geschafft werden könne.

Die geleistete Arbeit war für zweiundvierzig Mann außerordentlich groß. Die ganze große Wiese, an der früher zur Zeit der Fronarbeit dreißig Sensen zwei Tage lang gemäht hatten, war schon abgemäht; ungemäht waren nur die Ecken mit kurzen Reihen übrig. Aber Ljewin hatte den dringenden Wunsch, daß an diesem Tage möglichst viel gemäht werden möchte, und ärgerte sich über die Sonne, die sich so schnell hinabsenkte. Er verspürte keine Müdigkeit; er wünschte nur, daß noch recht schnell recht viel geschafft werden möchte.

»Nun, wie denkst du darüber? Mähen wir noch die Maschkin-Höhe?« fragte er den Alten.

»Wie Gott will; hoch steht die Sonne ja nicht mehr. Du gibst doch wohl den Leuten ein Schnäpschen?«

Während des Vesperbrotes, als die Mäher sich wieder hingesetzt und die Raucher zu rauchen angefangen hatten, verkündete der Alte den Leuten: »Wenn die Maschkin-Höhe noch fertiggemäht wird, gibt's Schnaps.«

 

»Nanu! Warum sollten wir die nicht fertigkriegen? Los, Tit! Das schaffen wir schnell! Essen können wir noch in der Nacht. Los!« riefen sie durcheinander, und während die Mäher noch ihr Brot zu Ende kauten, traten sie schon wieder an.

»Na, Kinder, haltet euch dran!« rief Tit und mähte fast im Trabe als erster los.

»Zu! Zu!« rief der Alte, der eilig hinter ihm herschritt und ihn mühelos einholte. »Nimm dich in acht, ich werde dich schneiden!«

Jung und alt mähte um die Wette. Aber obgleich sie so eilten, verdarben sie doch das Gras nicht, und die Schwaden wurden ebenso sauber und ordentlich hingelegt wie vorher. Die letzte noch übrige Ecke wurde in fünf Minuten erledigt. Die letzten Mäher gingen noch in ihren Reihen, als die vordersten schon ihre Röcke über die Schultern nahmen und über den Weg hinüber nach der Maschkin-Höhe wanderten.

Die Sonne senkte sich schon zu den Bäumen herab, als sie mit ihren klappernden Wetzsteinköchern in die kleine Waldschlucht bei der Maschkin-Höhe kamen. Das Gras reichte ihnen in der Mitte der Schlucht bis an den Gürtel; es war zart und weich und breithalmig, stellenweise im Walde bunt durchwachsen von Stiefmütterchen.

Nach kurzer Beratung, ob man beim Mähen längs oder quer gehen solle, nahm Prochor Jermilin, gleichfalls ein berühmter Mäher, ein riesenhafter, schwarzhaariger Bauer, die Spitze. Er schritt eine Reihe ab, kehrte dann wieder um und mähte ein Stückchen rein, und nun ordneten sich alle hinter ihm in langer Linie; jeder ging zuerst in der Schlucht bergab und stieg dann drüben allmählich den Berg hinan bis an den Saum des Waldes. Die Sonne sank schon hinter den Wald hinab, und es fiel bereits Tau. Nur auf der Höhe waren die Mäher noch in der Sonne; unten hingegen, wo schon die Dünste aufstiegen, und auf der andern Seite gingen sie im frischen, tauigen Schatten. Es wurde mit Aufgebot aller Kraft gearbeitet.

Das mit saftigem Tone abgehauene, würzig duftende Gras legte sich in hohen Schwaden nieder. Bei der Kürze der Reihen drängten sich die Mäher überall; die Wetzsteinköcher klapperten; die aufeinanderstoßenden Sensen klirrten; die Wetzsteine fuhren zischend an den Sensen hin; mit fröhlichen Zurufen trieben die Leute einander wechselseitig zur Eile an.

Ljewin ging auch jetzt wieder zwischen dem jungen Burschen und dem Alten. Der Alte, der seine Schaffelljacke wieder angezogen hatte, war noch ebenso lustig, spaßliebend und leichtbeweglich wie vorher. Im Walde stießen sie fortwährend auf Birkenpilze, die in dem saftigen Grase üppig gewachsen waren und nun von den Sensen zerschnitten wurden. Aber der Alte bückte sich jedesmal, wenn er auf einen Pilz stieß, und schob ihn sich an der Brust unter das Hemd. »Den bringe ich meiner Alten auch noch mit«, sagte er dabei.

So leicht es auch war, das feuchte, weiche Gras zu mähen, so schwierig war es, an den steilen Abhängen der Schlucht hinunter und hinauf zu steigen. Aber dem Alten machte das nichts aus. Immer gleichmäßig die Sense schwingend, stieg er in seinen großen Bastschuhen mit kleinen, festen Schritten langsam die steile Böschung hinan, und obgleich er am ganzen Leibe zitterte und die unter dem Hemde herabgerutschten Hosen schlotterten, ließ er doch auf seinem Wege keinen Grashalm ungemäht und keinen Pilz ungepflückt und machte mit den Bauern und mit Ljewin seine Späßchen ganz wie vorher. Ljewin ging hinter ihm und dachte oft, er werde sicher zu Fall kommen, da er mit der Sense einen Abhang hinanstieg, der so steil war, daß es auch ohne Sense nicht leicht gewesen wäre hinaufzukommen; aber er kam doch hinauf und verrichtete seine Arbeit ordnungsmäßig. Er hatte ein Gefühl, als ob irgendeine äußere Gewalt ihn in Bewegung setzte.