Die Schule

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2.Kapitel

You never know how strong you are

until being strong is the only choice you have. Bob Marley

1

Müde und mit Augenringen, die in etwa so groß waren wie die riesigen kreisrunden Ohrringe seiner Mutter, stieg David in den schwarzen Chevrolet Orlando, der vor der Haustür parkte. Hinter sich zog er einen blauen Hartschalenkoffer mit 4 Rädern aus der Tür. Auf seinem Rücken trug er einen schwarzen Rucksack, der äußerlich nicht viel hermachte, jedoch erstaunlich robust war. Der gestrige Tag war anstrengender gewesen, als er angenommen hatte. Nachdem er bei Zoe angerufen hatte, um zu fragen, wie es ihr ging und um ihr zu beichten, dass er die Ferien über doch nicht zuhause verbringen würde, hatte wie aus heiterem Himmel ihr Vater vor der Tür gestanden, um sich bei ihm zu entschuldigen. Jedoch war dieser näher am Wasser gebaut als er je hatte durchblicken lassen und ergoss seinen Scham über seine Handgreiflichkeit in wahren Niagarafällen vor Davids Augen. So musste er nicht nur Zoe trösten, sondern auch ihren weinerlichen, reuevollen Vater. Zudem stellte sich heraus, dass seine Mutter offenbar doch nicht so gut über die Schule Bescheid wusste, wie sie wohl dachte. Also packte er neben seiner Kleidung und Handtüchern auch noch Bettzeug und Geld für die Kantine ein, falls er es denn brauchen würde.

In der Nacht von Samstag auf Sonntag hatte er zwar keine Begegnung mit Bobby, aber Schlaf konnte er trotzdem keinen finden. Er war viel zu nervös und aufgewühlt wegen des heutigen Tages gewesen, als dass er ans Schlafen auch nur hätte denken können. Erst in den frühen Morgenstunden war es ihm gelungen, etwas zur Ruhe zu kommen. Jedenfalls kurzfristig, bis Faye ihn vier Stunden später wieder geweckt hatte, dass er sich fertig machen konnte. Da saß er also nun. Verschlafen, mit einer Thermoskanne voll Kaffee auf dem Schoß, in dem Wagen seiner Mutter. Sein Gepäck hatte er im Kofferraum verstaut. Er hatte sich sogar entschieden, trotz der Hitze, seine Fleece Jacke von den Sacramento Kings mitzunehmen. Vielleicht sei die Sommerschule eine gut Gelegenheit, um mit der Vergangenheit abzuschließen und sich wieder auf das hier und jetzt zu konzentrieren, hatte er Trae am Vortag gesagt, als sie gemeinsam im Asia Restaurant gegessen hatten.

Trae hatte ihm vorher angeboten, dass sie eine Wohngemeinschaft gründen könnten. So könne David dem Ort entfliehen, der ihn gleichermaßen quälte, wie er ihm Sicherheit bot. Aber er hatte abgelehnt und gemeint, er wolle sehen wie sich die Situation nach den Ferien entwickeln würde. Damit war das Thema vom Tisch gewesen. Das Tragen der Jacke, die ihn so an die Ereignisse von vor drei Jahren erinnerte, war für ihn der erste Schritt zum Vergessen der Vergangenheit. Er schraubte den Deckel der Thermoskanne ab und füllte sich die erste Kappe voll. Einen Moment später hatte er sie bereits mit einem Schluck geleert und verschloss die Kanne wieder.

Die Fahrertür wurde geöffnet und seine Mutter stieg in das Auto ein. „Hast du an alles gedacht?“, fragte sie ihn hektisch.

„Ja, habe ich“, beantwortete er gähnend ihre Frage.

„Geld, Bettzeug, Klamotten?“

„Ja, und auch alles, was ich sonst brauchen könnte.“

„Hast du dir auch alle wichtigen Nummern aufgeschrieben?“

David nickte.

„Meine, die von Zoe und die von deinen Freunden?“

„Herrgott ja, ich habe alle“, antwortete er genervt.

„Hör auf, dich aufzuregen. Du hast absolut keinen Grund dazu“, ermahnte sie ihn und warf ihm einen warnenden Blick zu.

„Ich habe jeden Grund dazu“, murmelte er verdrossen und lehnte seinen Kopf an die warme Glasscheibe. Sie tat so, als hätte sie es nicht gehört und schnallte sich schweigend an. Dann drehte sie den Schlüssel im Zündschloss und legte den ersten Gang ein. Gemächlich rollte das schwarze Familienauto aus der Einfahrt hinaus und steuerte den nächsten Interstate Highway an, der Richtung Norden führte.

2

Die erste Stunde verbrachten die beiden schweigend miteinander. David hatte bereits die dritte Kappe Kaffee getrunken, fühlte sich jedoch kein Stück wacher, geschweige denn weniger müde. Faye hingegen schien so wach zu sein wie noch nie zuvor. Trotz ihres Nachtdienstes, den sie in den Knochen hatte, wirkte sie geradezu unverschämt munter und aufgeweckt. Vermutlich konnte sie es einfach nur nicht erwarten, dass sie die gesamten nächsten Wochen ungestört ihre Stecher zu sich einladen konnte und war deswegen so aufgedreht, dachte David sich. Vielleicht reagierte er aber auch einfach nur ein wenig übersensibel aufgrund seines Schlafdefizits, und seine Mutter würde sich wirklich bessern und die Zeit zum Nachdenken nutzen. Doch wer konnte das schon so genau sagen. Fest stand nur, dass sowohl ihre Verfassung, als auch ihre Stimmung, sich deutlich von Davids abhoben.

Das Klicken eines Feuerzeuges durchbrach die Stille im Auto. David drehte den Kopf zur Seite und warf ihr einen Blick zu, der sie darauf aufmerksam machen sollte, wie sehr er ihr Rauchen, wenn sie müde war, hasste. Aber ihre Augen blieben auf dem Interstate Highway haften wie ein altes Kaugummi unter einem Turnschuh. Stöhnend entfernte er den Kopf von seinem Fenster und öffnete es zwei Handbreiten weit, um wenigstens etwas gegen den Geruch ihrer Marlboro Zigaretten anzukommen.

„Was ist los?“, fragte Faye, die sein Aufstöhnen bemerkt hatte.

„Mir wird übel bei dem Gestank“, entgegnete er knapp und ehrlich.

„Weed riecht wohl besser oder was?“, keifte sie ihn an. Kritik hatte sie noch nie gut vertragen. Die Tatsache, dass sie müder war, als sie aussah, trug nicht unbedingt zur Besserung bei. Ebenso wenig wie der Fakt, dass David ohnehin bereits ziemlich angefressen von der ganzen Situation war und die Keiferei seiner Mutter genauso wenig vertrug, wie sie seine Kritik.

„Du hängst dich echt ewig daran auf, oder? Als hättest du es früher nie auch nur ausprobiert. Ach ja, und zu deiner Information. Nein, tut es nicht“, erwiderte er und rollte mit den Augen.

„Selbstverständlich habe ich es ausprobiert und gemerkt, dass es nichts Gutes mit sich bringt“, erklärte sie ihm mit ruhiger Stimme. Dass sie dennoch aufgebracht war, konnte sie jedoch nicht verstecken.

„Aber deine Zigaretten sind besser oder was?“, stichelte er zurück. Genervt stieß sie den Qualm ihrer Kippe aus.

„Im Gegensatz dazu sind sie erstens legal, und zweitens lassen sie dich keine rosaroten Elefanten sehen, die dir nach den ersten paar Malen auf deiner Schädeldecke anfangen, herumzutanzen“, antwortete sie ihm nun in einem nicht mehr ganz so ruhigen Ton.

„Wirklich gesünder oder weniger schädlich sind sie trotzdem nicht. Auch nicht für andere, die den ekelhaften Rauch einatmen müssen.“ Damit war die Diskussion beendet, und keiner von beiden sprach mehr über das Thema. Kurze Zeit später drückte sie angegiftet ihre, nur zur Hälfte aufgerauchte, Zigarette im Aschenbecher des Autos aus. Während der gesamten Hinfahrt über verkniff sie es sich, eine weitere anzustecken und somit die Diskussion von neuem aufzurollen. Lange würde es ja nicht mehr dauern, dann konnte sie so oft und so viel quarzen, wie sie wollte, ohne sich weitere Kommentare oder sonstige Belehrungen gefallen lassen zu müssen.

„Was wirst du in den Wochen, die ich weg bin machen?“, fragte David und schloss sein Fenster wieder.

„Nun ja. Ich werde arbeiten müssen.“

„Das meine ich nicht.“

Faye überlegte einen Augenblick, ehe sie ihm antwortete.

„Ich möchte einiges im Haus verändern“, sagte sie vorsichtig.

„Okay, und was möchtest du verändern?“, fragte David überrascht.

„Bobbys altes Zimmer. Es ist jetzt schon drei Jahre her, dass er nicht mehr bei uns ist. Langsam, denke ich, ist es an der Zeit, damit abzuschließen.“

Ich hab mein Zimmer aufgeräumt, damit Mommy nicht wieder so schimpft. Gefällt es dir, David?

Da war er wieder. Sein Alptraum, der ihm nicht aus dem Kopf gehen wollte. Wie eine lästige Fliege surrte er durch seinen Kopf, ohne Aussicht darauf, je wieder von dort zu verschwinden.

„Was genau schwebt dir vor?“, fragte er neugierig.

„Ich dachte, ich könnte seine Sachen einem Waisenhaus spenden und es neu einrichten. Als Gästezimmer, verstehst du?“, sagte sie, unsicher darüber, wie ihr Sohn diese Idee aufnehmen würde. Für einen kurzen Moment hatte sie vergessen, dass das ohnehin keine Rolle spielen würde.

„Ja, ich verstehe. Mir gefällt es.“

Mehr zufällig als gewollt trafen sich ihre Blicke kurzzeitig, und sie lächelten einander an. Einen Moment lang war die Welt ein Stück weit in Ordnung.

„Das freut mich. Wir könnten es vielleicht neu tapezieren und anstreichen. Was hältst du davon?“, schlug sie vor.

„Finde ich gut“, versicherte David ihr mit einem Anflug von Vorfreude auf die Zeit nach der Sommerschule. Vielleicht würde doch noch alles gut werden, dachte er sich zufrieden. Doch anders als David freute sich Faye nicht über ihre Pläne. Im Gegenteil. Innerlich hasste sie sich dafür und verteufelte ihr vorschnelles Mundwerk. Sie konnte es sich nicht erlauben, auf den letzten Metern einzuknicken und sich für das zu schämen, was sie tat. Aber schließlich musste sie irgendwie den Schein auf Veränderung und Besserung wahren. Etwas anderes blieb ihr nicht übrig. Sie hatte es begonnen und würde es nun auch zum Ende bringen. In etwa anderthalb Stunden wäre es vorbei. Dann wäre ihr Sohn David nicht länger ihr Problem. Er würde für niemanden mehr ein Problem darstellen können, wenn er erst einmal dort angekommen war. Schnell verwarf sie ihren Gedanken wieder und fokussierte sich wieder auf die Straße.

 

„Tu mir den Gefallen und kümmere dich um Zoe, falls sie von zuhause weg muss, weil ihr Vater wieder anfängt, das Haus auseinanderzunehmen“, bat er sie mit aufrichtiger Sorge.

„Wenn ich nicht da bin, hat sie niemanden, der sich ernsthaft um sie kümmert.“

Faye nickte ein paar Mal.

„Mach dir keine Sorgen, ich werde ihr garantiert nicht die Tür vor der Nase zuknallen, wenn sie verzweifelt ist und Hilfe braucht“, versicherte sie ihm. Hundertprozentig sicher war er sich nicht, ob es auch wirklich so kommen würde oder ob sie ihr tatsächlich ihre Hilfe anbieten würde. Doch für den Moment blieb ihm nichts anderes übrig, al ihr zu glauben. Während er sich kurz, aber ehrlich, bedankte, schenkte er sich den letzten Rest Kaffee aus der Kanne ein. In einem Zug trank er die Kappe aus, in der sich nicht mehr als ein Bodensatz befand und schraubte sie wieder auf die Thermoskanne. Ein Tropfen kalter Kaffee lief aus dem Deckel über das silberne Edelstahlgehäuse und landete auf Davids Zeigefinger. Gelassen wischte er ihn an seiner hellgrauen kurzen Sporthose ab und legte die Kanne in das Fach an seiner Tür.

„Wie lange sind wir noch unterwegs?“

„Etwa eine Stunde, wenn wir Glück und keinen Stau mehr haben.“

Er warf einen prüfenden Blick auf seine Armbanduhr. Es war eine schwarze Uhr mit ebenfalls schwarzem Lederarmband und Ziffernblatt. Das Einzige, was nicht schwarz war, war der rote Sekundenzeiger, welcher bereits etwas zitterte. Auf dem Ziffernblatt waren, anstelle der normalen, arabischen Zahlen, alte römische Zahlen zu sehen. Die Uhr war ein Geburtstagsgeschenk seiner ehemaligen Freundin, die sie ihm als hochwertig und teuer angepriesen hatte. Kurz nach ihrer Trennung erfuhr er jedoch von Trae, der auch sie mit dem nötigen Stoff versorgt hatte, dass die Uhr einfach aus einem Ramschladen um die Ecke stammte, und dort grade einmal die stolze Summe von fünf Dollar wert war. Doch es kümmerte ihn kein Stück weit. Selbst, wenn sie die Uhr aus einem Müllcontainer gefischt und lediglich etwas gesäubert hätte, würde er sie tragen, schließlich gefiel sie ihm ja. Geld war für ihn nie ein wichtiger Faktor, wenn es um Geschenke oder andere Gegenstände ging. Ob etwas viel oder wenig kostete war irrelevant für seine Sicht darauf, ob es ihm gefiel oder nicht.

Die Zeiger zeigten elf Uhr achtundvierzig an. Mittlerweile waren sie seit bereits etwa zwei Stunden unterwegs.

„Wieso diese Schule, Mom? Ich hätte doch auch auf eine Modernere in der Nähe gehen können. Die Colleges in Sacramento bieten doch auch Kurse über die Sommerferien an. Die Saint Mary bietet eine gute Sommerakademie an, meinte Trae. Er musste selber schon einmal dorthin“, berichtete er ihr.

„Das mag sein, aber die Lauriea Summer School ist nun mal etwas Besonderes. Dadurch, dass alle Schüler die Zeit über dort wohnen werden, habt ihr auch mehr Freizeit als auf einer normalen Sommerschule. Außerdem war es die Einzige, die deine Anmeldung noch so kurzfristig entgegengenommen hat und so freundlich war, dich trotz des späten Zeitpunktes noch anzunehmen“, erklärte sie ihm, ohne die wirklichen Beweggründe für ausgerechnet diese Wahl zu erläutern. Aber er akzeptierte ihre Antwort kommentarlos. Sein angeschwollenes Auge pochte sanft im Takt seines Pulses. Noch konnte er nicht ahnen, was die Wände der Gebäude inmitten des Waldes für ihn und alle anderen nichtsahnenden Jugendlichen bereithielten.

3

Gegen zehn Minuten vor eins, fast exakt eine Stunde später, rollte der schwarze Chevrolet Orlando mit gedrosseltem Tempo in die letzte Straße des Dorfes namens Reggieland, das sich etwa eine halbe Stunde nördlich von Weed befand. Die Häuser, an denen sie vorbeifuhren, unterschieden sich kaum voneinander. Trüb und grau standen sie säuberlich, in gegenüberliegenden Reihen, parallel zueinander. Man konnte meinen, man befände sich in einem der ersten Farbfilme, in denen selbst die grellsten Farben nicht mehr als ein Farbstich zu sein schienen. Die Bewohner hingegen waren alles andere als grau und trüb. Viele Familien saßen auf den Terrassen beisammen und frühstückten gemeinsam. Kinder tollten durch die Gärten, jagten ihren Bällen nach oder malten Bilder mit Kreide auf die Pflastersteine ihrer Auffahrt. Es war eben genau so, wie man sich nun mal ein Dorf an einem idyllischen und warmen Sonntag zu Beginn der Sommerferien vorstellen würde. Das Auto, in welchem sich Faye und David befanden, kam vor einem Schild am Ende der Straße zum Stehen. Ein weites goldenes Rapsfeld erstreckte sich vor ihnen, als wäre es aus einem Bilderbuch entsprungen. Das Schild zu ihrer Rechten war weiß angestrichen worden. Die herunterlaufenden Farbtropfen waren getrocknet und erhoben sich von dem Holz wie die Akne auf dem Gesicht eines Teenagers.

„Lauriea Summer School“, stand darauf in schwarzen Buchstaben geschrieben. Jedoch war von einer Schule, geschweige denn von irgendeinem Gebäude, welches kein normales Wohnhaus war, weit und breit nichts zu sehen. Hinter dem Schild befand sich ein steiniger und erdiger Weg, welcher gradewegs in den Wald führte, der etwa zweihundert Meter entfernt vom freudigen Dorfleben begann.

„Da wären wir“, verkündete Faye und begutachtete zuerst das Schild und dann den Wald.

„Bist du dir sicher?“, fragte David ungläubig und musterte die Umgebung. Alles in dem Dorf wirkte so natürlich und verständlich, dass es ihm fast wie eine Lüge vorkam, die ihnen vorgespielt wurde.

„Natürlich. Dort steht es doch. Lauriea Summer School.“

„Und wo ist sie dann bitte?“

„Ah, sieh mal da ist jemand“, bemerkte seine Mutter den Mann, der aus dem Wald herauskam und ihnen zuwinkte. Nun sah auch David ihn. Wie auf Wolken spazierte der junge Mann den Weg zu ihrem Auto entlang. Das laute Geräusch der zufallenden Autotüren verzerrte die Idylle und Ruhe des Dorfes für einen Augenblick. Die Familie, die scheinbar das letzte Haus am Straßenende bewohnte, blickte empört von ihrem reich gedeckten Tisch auf. Pancakes mit Sirup und Früchten stapelten sich über gebratenen Speck, frisch gekochten Eiern, altem Cheddar und diversen anderen Köstlichkeiten, deren Geruch David in die Nase stieg.

Mittlerweile hatte der Mann die Hälfte der Strecke zurückgelegt und war nun durchaus besser zu erkennen. Trotz der Hitze hatte er die untersten zwei Knöpfe seines rosa Polohemdes zugeknöpft und trug eine lange, verblichene Jeanshose. Seine braunen Haare waren zu einem klassischen Undercut frisiert worden und passten wie die Faust aufs Auge zu seinem ebenfalls braunen Vollbart. An seinem rechten Arm trug er, zusätzlich zu einer dunklen Uhr, mehrere schwarze Leder- und Stoffarmbänder. David öffnete den Kofferraum des Autos und holte seinen Koffer und seinen Rucksack daraus hervor. Mit einem lauten Knall schloss er ihn, was einen weiteren bösen Blick der Familie hinter ihm zur Folge hatte.

„Hallo. Ich bin Mr. Brenner, ich bin von der Schule“, stellte der Mann sich aus knapp zehn Meter Entfernung vor und deutete auf das weiße Schild.

„Ich bin Ms. Williams“, entgegnete Faye freundlich und reichte ihm die Hand.

„Ist mir eine Freude“, schmeichelte er und schenkte ihr ein warmes Lächeln, das sie erwiderte.

„Du bist vermutlich David, nicht wahr?“, fragte er und reichte auch ihm die Hand.

„Ja, Sir“, antwortete er höflich und schüttelte seine Hand. Sein Händedruck war fest und hinterließ weiße Flecken auf Davids Hand.

„Haben Sie eine gute Fahrt gehabt? Ich hoffe, die Wegbeschreibung war nicht allzu katastrophal. Es verfahren sich leider andauernd Eltern auf dem Weg hierher.“

„Tatsächlich?“, fragte Davids Mutter überrascht.

„Oh ja, leider schon. Meist haben wir fünf bis zehn Schüler weniger, als uns eigentlich angekündigt wurden, weil viele einfach nicht herfinden“, erklärte Mr. Brenner.

„Nun, also an Ihrer Wegbeschreibung liegt es jedenfalls nicht, wenn Sie mich fragen“, versicherte Faye ihm mit einem zuckersüßen Lächeln auf den Lippen. David drehte sich der Magen um. Er kannte ihr Lächeln genau und wusste, dass sie es meistens nur dann aufsetzte, wenn sie etwas haben wollte. Und in diesem Fall schien es der attraktive Mr. Brenner zu sein, den sie wollte.

„Verzeihung, Mr. Brenner?“, unterbrach der offensichtliche Familienvater des Hauses hinter ihnen die fröhliche Stimmung.

„Ja, Mr. Clarke?“, entgegnete er dem leicht korpulenten Mann, der ein beige, blau gestreiftes Leinenstrukturhemd trug.

„Ich möchte Sie freundlichst daran erinnern, dass es hier auch Bürger gibt, die ihren wohlverdienten Sonntag mit einer gewissen Ruhe verbringen möchten“, legte ihm Mr. Clarke nahe.

„Aber natürlich, ich bitte um Verzeihung. Ich versichere Ihnen, dass ich mich gleich wieder auf den Weg machen werde“, entschuldigte sich Mr. Brenner aufrichtig.

„Tun Sie das. Und Sie, gnädige Frau, bitte ich auch darum, sich möglichst leise zu entfernen“, wandte er sich nun Ms. Williams zu. Genervt rollte sie mit den Augen und stöhnte leise auf. Innerlich dankte David dem schlecht gelaunten Mann, der sich grade ein gewaltiges Stück des Cheddars abschnitt und genüsslich verspeiste, dass er den Verführungsversuch seiner Mutter unterbrochen hatte.

„Bis dann, mein Großer.“

Sie nahm ihn herzlich in den Arm und drückte ihn fest an sich. Er erwiderte ihre Umarmung und drückte sie ebenfalls fest.

„Pass auf dich auf.“

„Werde ich Mom, keine Sorge“, versprach er ihr.

„Ich ruf dich an, in Ordnung?“

Faye nickte in seine Schulter hinein.

„Ich hab dich lieb.“

Zum ersten Mal seit Jahren hatte er ihr das wieder sagen können, ohne dass es sich wie eine Lüge anfühlte.

„Ich dich auch“, erwiderte sie und drückte ihn noch einmal an sich, bevor sie ihn losließ.

„Bis dann, Mom.“

„Machs gut“, verabschiedete sie sich und drehte sich zu ihrem Auto um. Ihr Blick blieb an Mr. Clarke hängen.

„Haben Sie ein Problem?“, fragte er angesäuert.

„Wenn ich mir Sie so ansehe, Mister, merke ich eigentlich eher, dass ich ziemlich wenig Probleme habe, und es Menschen gibt, die es viel schlimmer haben“, entgegnete sie schlagfertig.

„Ein schönes Leben Ihnen noch, Mr. Clarke. So kurz es bei Ihren vermutlich längst verfetteten Organen auch sein wird.“

Empört stand er auf und blähte wutentbrannt seine Wangen auf, um etwas Schlagkräftiges zu erwidern. Doch ehe ihm ein passender Konterspruch eingefallen war, saß Faye schon in ihrem Chevrolet und startete den Motor. Sein Gesicht färbte sich vor Scham und Zorn gleichermaßen rot und stellte einen idealen Kontrast zu seinen grauen Koteletten dar, die ihm bis auf Höhe seiner Unterlippe reichten. David konnte sich das Grinsen nicht verkneifen, als Mr. Clarke sich auch, nachdem seine Mutter bereits weggefahren war, nicht setzen wollte. Beleidigt stand er an dem überfüllten Tisch auf seiner Terrasse und blickte ihr nach, als ob er immer noch etwas erwidern könnte und es jeden Moment aus ihm herausplatzen würde.

„Das findest du lustig, nicht wahr, du Bengel?“, meckerte er David an.

„Wenn ich ehrlich bin, schon“, gab er offen zu und musste noch stärker grinsen.

„Na warte, du Rotzlöffel!“

Er riss die Serviette aus dem Ausschnitt seines Hemdes und warf sie zornig auf seinen Teller. Doch bevor er den Tisch überhaupt wirklich verlassen konnte, ging Mr. Brenner dazwischen.

„Beruhigen Sie sich, Mr. Clarke. Sie wissen doch, wie das mit den Kindern ist. Sie denken nicht nach und sind nicht wirklich schlau, deswegen kommen sie ja zu uns. Ein gestandener Mann, wie Sie, steht da doch drüber, oder nicht?“ Einen kurzen Moment überlegte er, dann schien er sich wieder zu beruhigen.

„Sie haben natürlich Recht. Ich lasse mich nicht auf das Niveau dieser ungebildeten Proleten und Nichtskönner herab.“

Sein Gesicht nahm wieder eine normale gesunde Farbe an.

„Das weiß ich doch. Guten Tag, Mr. Clarke“, verabschiedete sich Mr. Brenner und hob seinen Arm. Der nun wieder beruhigte Mr. Clarke tat es ihm gleich und wünschte ihm ebenfalls einen guten Tag, bevor er sich wieder zu seiner Frau und seinen beiden Kindern an den Tisch setzte. Keiner von ihnen hatte während der Auseinandersetzung etwas gesagt oder versucht Partei für ihn zu ergreifen. Umso erfreuter waren sie, als David gemeinsam mit Mr. Brenner in Richtung des Waldes ging, und sie in Ruhe ohne weiteren Zwischenfall ihr Frühstück beenden konnten.

 

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