Tugenden für eine bessere Welt

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II. Die Rückkehr aus der großen Zerstreuung

Der zentrale Kern der neuen Phase der Geschichte ist die unauflösliche Einheit von Erde und Menschheit. Um diese Einheit zu begreifen, kommt es darauf an, die Erde neu zu entdecken, unsere gemeinsamen Wurzeln – kosmische, planetarische, biologische, anthropologische, soziale und spirituelle – zu identifizieren. Es sind Wurzeln, die im Reden und Handeln der vorgeblichen Lenker der heutigen Welt in Vergessenheit geraten sind. Ihr Reden und Tun dreht sich nur um Macht, die als Beherrschung der Anderen und der Natur ausgeübt wird. Sie sind die Geiseln einer Art von reduktionistischem und verarmtem Verständnis vom Menschen, von der Kultur, der Produktionsweise und dem Verhältnis zur Natur.

Unsere wirkliche Lage stellt sich folgendermaßen dar: Ob wir wollen oder nicht, wir sind Teil eines universalen Prozesses, der schon viele Milliarden Jahre im Gange ist. Die aktuelle Globalisierung hat ihre Grundlagen in dieser vorgängigen Dynamik, in der wir uns alle entwickeln: Universum, Erde und Menschheit. Wir sind und waren niemals einander entgegengesetzt. Wir waren immer miteinander verknüpft und bildeten einen einzigen, komplexen, in sich spannungsreichen und einander ergänzende Elemente in sich bergenden Organismus. Rufen wir uns die wichtigsten Schritte in Erinnerung, die den Weg aus der Vergangenheit bis in unsere Gegenwart markieren.

Alles hat seinen Ursprung in einem grundlegenden energetischen Zustand, der von den Quantenphysikern und zeitgenössischen Astronomen Quantenvakuum genannt wird. Dies ist ein Vakuum, das nichts mit Leere schlechthin zu tun hat. Es ist die Quelle von allem, was existiert. Denn es ist von einer ursprünglichen, geheimnisvollen und schöpferischen Energie geprägt. Deshalb nennen es einige vorzugsweise fruchtbares Vakuum, leere Fülle oder erfüllte Leere oder einfach ursprüngliche Quelle, aus der alles hervorgeht.

Plötzlich, ohne dass wir wissen, warum, dehnt sich dieser kleinste Punkt bis zur Größe eines Apfels aus. Und er explodiert mit einem unvorstellbaren Knall. Energien und Elementarteilchen werden nach allen Seiten hin geschleudert. Das ist der Urknall, der Big Bang, wie er sich vor etwa 15 Milliarden Jahren ereignet hat.

Nun beginnt der Prozess der Ausdehnung, wobei sich alle Faktoren in einem fein austarierten Gleichgewicht befinden. Wenn die Gravitation (Anziehungskraft) etwas stärker gewesen wäre, dann hätte sie die Ausdehnung verhindert, und es hätte eine Folge von Explosionen gegeben. Wenn sie etwas schwächer gewesen wäre, dann hätte sich alles verflüchtigt, ohne dass sich Körper mit einer bestimmten Dichte gebildet hätten, aus denen das Universum entstand. Unmittelbar nach der großen Explosion bildeten sich Gaswolken voller Elementarteilchen, besonders Wasserstoff und Helium, die einfachsten und häufigsten Elemente des Universums.

Dann verdichtete sich das Gas. Es entstanden die großen roten Sterne. Sie funktionierten wie riesige Atomreaktoren, die in ihrem Inneren im Laufe von Milliarden Jahren die 92 chemischen Elemente herstellten, aus denen das Universum bis hin zum Menschen selbst besteht, z. B. Silizium, Stickstoff, Kalium, Magnesium, Eisen, Phosphor, Uran und später Kohlenstoff.

Die atomaren Reaktionen im Inneren waren so heftig, dass sie diese Sterne zur Explosion brachten. Gott sei Dank passierte das, denn ohne die Selbstaufopferung dieser Sterne wären wir nicht hier und lebendig und könnten über diese Sache nicht sprechen. Materie breitete sich über das ganze Universum aus. Aus diesen Materialien – kosmischem Abfall, könnte man sagen – entstanden die Nebel, die Konglomerate von Galaxien, die Galaxien selbst wie etwa unsere Milchstraße, die Sterne wie die Sonne, die Planeten wie unsere Erde und unser körperliches Leben. Aber wie entstand nun genau die Erde, unser Gemeinsames Haus?

1. Ein Stern stirbt, und die Erde entsteht

Die Erde entstand nicht in dem fertigen Zustand, wie wir sie heute kennen. Sie hat eine Vorgeschichte von Millionen Jahren, bis sie zur Erde wurde, zum dritten Planeten der Sonne. Die Astronomen haben die Ereigniskette folgendermaßen rekonstruiert:

Zunächst war der „Großvater“ der Erde ein Stern, der vor fünf Milliarden Jahren zu einer Supernova wurde und explodierte. Eine Supernova ist ein Stern, dessen Glanz plötzlich unheimlich stark wird. Dies geht auf Explosionen in seinem Inneren zurück, die Teilchen herausschleudern und so einen Nebel und Sternentrümmer erzeugen. Die Wissenschaftler nennen diesen Stern Tiamat. Dies ist der Name jener Gottheit aus dem Mittleren Osten, aus deren Teilen dem Mythos zufolge Himmel und Erde entstanden. Dieser Vorfahr Tiamat starb also in einer großen Abschiedsvorstellung voller Glanz und Schönheit, und aus seinem Tod ging ein riesiger Nebel hervor. Elemente aus dem Inneren des Sterns breiteten sich im Raum aus und bildeten die Basis unserer Welt und unseres Lebens.

Diese Elemente waren bei den ersten Verdichtungsprozessen der Gase und Elementarteilchen ausgehend vom Higgs-Feld (das sind die ersten Kristallisationen von Energie in Form von Materieteilchen wie etwa den Top-Quarks) noch nicht vorhanden. Es war Tiamat, der sie in seinem Inneren erzeugte. Unter vielen anderen war auch Phosphor darunter, das Element, das die Photosynthese ermöglichte. Tiamat schleuderte Sauerstoff und Schwefel heraus, die zur Grundlage des Lebens gehören. Bei seinem Tod setzte er Kohlenstoff und Stickstoff frei. Beide Elemente sind grundlegend für die Verbindungen, die das Leben, den genetischen Code, das Gedächtnis und das Selbstbewusstsein formten. Ohne seine Selbstaufopferung in einer unvorstellbaren Explosion wäre nichts von der Geschichte unserer Intelligenz, Schöpferkraft, unserer Liebe und Ehrfurcht vor der Wirklichkeit entstanden.

Neben diesen ersten Elementen gingen aus Tiamat auch Bruchstücke hervor, aus denen sich die künftigen Planeten bildeten (Planetoiden). Sie sind von unterschiedlicher Größe: Ihr Radius kann von zehn Metern bis zu zweitausend Kilometern groß sein. Diese Planeten im Embryonalzustand befinden sich mitten im Nebel; sie stoßen aufeinander und bilden durch die Schwerkraft und die Rotation Anhäufungen. Während eines Zeitraums von einer Million Jahren hat sich der Nebel verdichtet, bis in seinem Zentrum plötzlich ein strahlender Stern, die Sonne, entstand. Nun beginnt eine neue Geschichte. Die Mutter oder – wenn man so will – der Vater der Erde betritt die Szene: Es ist ein Stern, die Sonne. Dank ihrer Gravitation organisierte die Sonne die Bewegung der Planetoiden in Umlaufbahnen um sie selbst. Die überaus heißen Sonnenstrahlen erhitzten uns und ließen die flüchtigen Elemente verdampfen. Dieser von den Solarwinden ausgehende Prozess führte zur Entstehung der größeren Planeten wie Jupiter, der massenreich genug war, um diese Gase um sich anzuhäufen. Im Laufe von hundert Millionen Jahren bildeten sich die übrigen Planeten als Ergebnis der zunehmenden Anhäufung (Aggregation) der Planetoiden. Zuerst entstand der Merkur, dann entstanden der Mars und die Venus. In der Folge ballten sich andere große Planetoiden zusammen. Aus ihnen entstand im Verlauf eines Prozesses, der noch einmal hundert Millionen Jahre dauerte, schließlich die Erde – unsere Erde, unser kosmisches Haus.

Die Erde stellt im Vergleich zu den übrigen Planeten des Sonnensystems eine Besonderheit dar. Sie weist optimale Bedingungen dafür auf, das zu sein, was sie heute ist. Sie hat einen idealen Abstand zur Sonne, der es ihr ermöglicht, viele flüchtige chemische Elemente festzuhalten und zu bewahren und zu verhindern, dass das Wasser verdampft. Wenn sie, wie die Venus, der Sonne sehr nahe wäre, dann hätten sie die Solarwinde verbrannt. Wenn sie, wie der Jupiter und der Saturn, sehr weit entfernt von der Sonne wäre, dann würde sie im Wesentlichen aus Gasen wie Wasserstoff und Helium bestehen. Es gäbe nicht die für die Bildung einer Atmosphäre, der Ozeane, der Flüsse und schließlich des Lebens notwendige Dichte von physikalisch-chemischen Elementen. Aber um so weit zu kommen, machte die Erde dramatische Entwicklungen durch. 800 Millionen Jahre lang blieb ihre Oberfläche aufgrund der immensen Hitze, die auf ihren stellaren Ursprung zurückging, aber auch aufgrund des Einflusses von Asteroiden und Meteoriten in einem Schmelzzustand. Als sich die Erdkruste abkühlte, entwickelten sich dank dem richtigen Abstand zur Sonne die Bedingungen, die einen herrlichen Garten entstehen ließen – die behagliche Wiege für das Leben in seiner immensen Vielfalt.

Das Leben ist ein Bestandteil der Evolution des Kosmos, und es fügt sich in die Gesetzmäßigkeiten der Physik und Chemie ein. Wenn es dieses Gleichgewicht der Gravitation, von der wir weiter oben bereits sprachen, nicht gegeben hätte und die Gesetze der Physik und Chemie nur ein wenig anders wären, hätte diese Form von Leben niemals entstehen können. Computersimulationen sprechen für die Wahrscheinlichkeit, dass das Leben spontan entsteht, wenn eine gewisse Anhäufung von Aminosäuren, Proteinen und phosphorisierten Basen ein gewisses Maß an Interaktion und einen gewissen Grad an Komplexität erreicht.

Sobald nun das Leben entstanden war, schuf es die am besten geeigneten Bedingungen für seine Entwicklung. So können wir entsprechend der Gaia-Hypothese von James Lovelock sagen, dass die Biosphäre eine Schöpfung des Lebens selbst ist. Das Leben entwickelte sich vorwärts, es erreichte immer höhere Stufen der Komplexität, und so brach innerhalb unserer Galaxie, innerhalb unseres Sonnensystems und auf unserem Planeten Erde das Leben als menschliches, mit Bewusstsein ausgestattetes, zur Liebe, Fürsorge, Synergie und Wahrnehmung Gottes fähiges Leben hervor.

Vor 4,44 Milliarden Jahren bildete sich die Erde als ein ganzer Körper mit den Ausmaßen von heute: mit einem Radius von 6400 Kilometern und einem Umfang von 40.000 Kilometern. Ihr Aufbau weist eine Reihe von Schichten auf, die in konzentrischen Kreisen angeordnet sind. Die äußere Schicht bildet die Atmosphäre; sie ist dünn und voller Gase. Auf der Oberfläche stoßen wir auf die Hydrosphäre, die von den Ozeanen, Meeren und kontinentalen Flüssen gebildet wird. Dann folgen die oberen Erdschichten, die aus der kontinentalen und ozeanischen Erdkruste gebildet werden. Dann kommt der Erdmantel, der 70 % des Gesamtvolumens der Erde ausmacht. 2900 Kilometer unter uns beginnt der Erdkern, der hauptsächlich aus flüssigem Eisen und festem Nickel besteht.

 

Im Lauf ihrer gesamten langen Geschichte war die Erde geologisch sehr aktiv. Von Zeit zu Zeit brachen Vulkane aus, oder die Erde war Meteoriteneinschlägen ausgesetzt, die riesige Krater hinterließen, die ihr aber auch beträchtliche Mengen an Wasser und an Metallen lieferten, und einige meinen auch, dass auf sie die Basismoleküle zurückgehen, aus denen sich das Leben formte.

2. Bruchstücke vereinigen und trennen sich

Die Geologen und Paläontologen sagen uns, dass es während der Epoche des Archaikums, die von der Entstehung der Erde vor 4,44 Milliarden Jahren 2,7 Milliarden Jahre dauerte, noch keine Kontinente gab. Wasser bedeckte den gesamten Erdball, und aus ihm tauchten immer wieder riesige Vulkaninseln auf.

Nach etwa 3,8 Milliarden Jahren tauchten große Landflächen auf, da und dort verstreut und immer in Bewegung. Sie vereinigten sich, was immer mit großen Reibungen, Seebeben und Verheerungen verbunden war, so dass sich eine Milliarde Jahre später bereits die Kontinente bildeten. Sie trieben auf einer Basaltschicht und veränderten ihre Lage, bis sie sich zu einem einzigen großen Kontinent vereinigten, der Pangäa genannt wird. Fünfzig Millionen Jahre lang bewegte sich dieser Urkontinent über den Erdball. Millionen Jahre später spaltete sich Pangäa in Bruchstücke auf, und langsam entstanden die Kontinente, wie wir sie heute kennen.

Unter ihnen sind die tektonischen Platten ständig aktiv; sie stoßen aufeinander (und erzeugen so die Gebirge), sie überlagern sich oder rücken voneinander ab – diese Bewegung nennt man Kontinentalverschiebung oder Kontinentaldrift. Immer, wenn sie aufeinanderstoßen, erzeugen sie ungeheure Katastrophen (Kataklysmen), wie es vor 245 Millionen Jahren der Fall war, als Pangäa auseinanderbrach. Dieses Ereignis war so verheerend, dass 75 – 99 % der damals existierenden Lebewesen vernichtet wurden.

Die Erde erlebte fünfzehn große massenhafte Auslöschungen von Leben. Zwei davon zeichnen sich dadurch aus, dass sie zu einer völligen Neuorganisation der Ökosysteme auf dem Land und im Wasser führten.

Die erste ist die oben bereits erwähnte. Die zweite geschah vor 65 Millionen Jahren. Ihre Ursachen waren Klimaveränderungen, Veränderungen des Meeresspiegels und der Einschlag eines Meteoriten von 9,6 km Durchmesser in Zentralamerika. Er löste infernalische Brände und ungeheure Seebeben aus, produzierte viele giftige Gase und verursachte eine lang andauernde Verdunkelung des Sonnenlichts. Pflanzen und Tiere, die von ihm lebten, starben. Die Dinosaurier, die 130 Millionen Jahre lang die Erde unangefochten beherrscht hatten, verschwanden völlig, genauso wie insgesamt die Hälfte aller lebendigen Arten. Die Erde brauchte zehn Millionen Jahre, um sich in ihrer unüberschaubaren Vielfalt der Arten zu erholen.

Geologen und Biologen behaupten, dass nun eine dritte große Dezimierung im Gange ist. Sie begann vor 2,5 Millionen Jahren, als ausgedehnte Eisflächen einen Teil des Planeten zu bedecken begannen. Genau zu dieser Zeit tauchte auch der homo habilis auf, der den Werkzeuggebrauch erfand (ein Stein, ein Stück Holz), um effizienter in das Naturgeschehen einzugreifen. Später, als er sich schon zum homo sapiens sapiens entwickelt hatte, legte er eine solche Zerstörungskraft an den Tag, dass man ihn mit einem Meteoriten vergleichen könnte. Heutzutage hat er um eines unverantwortlichen Konsums willen und ohne jede Rücksicht eine Praxis des systematischen Raubbaus an den Ökosystemen etabliert. Als Konsequenz davon setzt sich der Prozess der massenhaften Auslöschung von Arten beschleunigt fort, in einem Tempo, das die Natur selbst bei Weitem übertrifft.

Wir sind also von Kräften abhängig, die wir nicht kontrollieren können und die unsere Gattung vernichten können, so wie sie so viele vor uns ausgelöscht haben. Das Leben selbst hingegen wurde niemals vernichtet. Nach jeder Auslöschung kam es zu einer Neuentstehung. Da die Intelligenz zuerst im Universum vorhanden ist und erst dann in uns, können wir annehmen, dass sie in anderen Lebewesen fortleben wird – Lebewesen, die hoffentlich ein besseres Verhalten an den Tag legen als wir. Peter Ward, der Geologe von der Universität Washington, hat bereits festgestellt: „Was spricht dagegen, dass einige Arten, die heute unbedeutend sind, zu Vorläufern irgendeiner großen Intelligenz werden, die Größeres vollbringt und mehr Weisheit und Weitsicht an den Tag legt als wir? Wer hätte es denn vorhergesehen, dass die kleinen auf Bäumen lebenden Säugetiere, die vor 75 Millionen Jahren vor den Dinosauriern aus Furcht zitterten, eines Tages uns hervorbringen würden?“ (Ward, 289). Hier liegt ein Grund dafür, warum wir alle Arten erhalten sollten: nicht, weil sie wirtschaftlich, medizinisch und wissenschaftlich für uns wertvoll sind, sondern wegen ihres evolutiven Potentials, das sie möglicherweise enthalten. Die Zukunft der Intelligenz und des Bewusstseins kann anfanghaft in ihnen vorhanden sein.

Schließlich haben wir hier unsere bereits zur Reife gelangte Erde vor uns, wie wir sie heute kennen – mit ihren Ozeanen, Flüssen, Vulkanen, ihrer Atmosphäre, ihrer Flora und Fauna und der immensen Artenvielfalt. Die verschiedenen Elemente, Felsen, Berge, Wasser, Pflanzen, Tiere, Menschen und Mikroorganismen sind hier nicht – wie wir bereits sagten – einander entgegengesetzt, sondern sie sind miteinander verbunden und voneinander abhängig, sodass sie gemeinsam ein höchst komplexes lebendiges System bilden. Es ist das System Gaia, die Erde als lebendiger Superorganismus, das mit einem so fein austarierten Gleichgewicht der einzelnen Elemente ausgestattet ist – des Sauerstoffs in der Luft, des Stickstoffs in den Böden, des Salzes in den Ozeanen –, wie es nur einem lebendigen Wesen zugesprochen werden kann. Innerhalb dieses komplexen und sich vorwärtsentwickelnden Prozesses ist das Leben das spektakulärste Phänomen auf unserem Planeten.

3. Das schönste Kind: das Leben

Bis vor einiger Zeit hat man sich das Leben als etwas außerhalb des Entstehungsprozesses des Kosmos vorgestellt, als etwas Mirakulöses, das direkt von Gott kommt. Doch seit 1950, als man den genetischen Code entdeckte, wie er in der DNA von Zellen lebendiger Organismen vorhanden ist, änderte sich unsere Auffassung von der Entstehung des Lebens radikal. Es befindet sich nicht außerhalb des universalen Prozesses der Entstehung des Kosmos. Ganz im Gegenteil, es ist seine höchste Ausdrucksform. Die Forschung hat gezeigt, dass das Leben aus denselben physikalisch-chemischen Elementen besteht wie alle anderen Entitäten des Universums; sie organisieren sich in hochkomplexen Beziehungen zueinander. Alle lebenden Organismen verfügen über dasselbe grundlegende Alphabet: zwanzig Aminosäuren und vier in den „Nukleotiden“ enthaltenen Basen als Grundstoffe: Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin. Wir alle sind Brüder und Schwestern, Cousins und Cousinen. Wir unterscheiden uns jedoch durch unterschiedliche Silbenkombinationen dieses lebendigen Alphabets.

Zu Beginn der 1970er-Jahre begriff man im Zuge der thermodynamischen und physikalischen Chaosforschung (wir erinnern an dieser Stelle nur an einen bedeutenden Wissenschaftler dieser Richtung, an den im Jahr 2003 verstorbenen russisch-belgischen Wissenschaftler Ilya Prigogine), dass das Leben auf einer sehr hohen Komplexitätsstufe der Materie und im Zusammenhang mit Turbulenzen und chaotischen Verhältnissen der Erde selbst entsteht. Das Chaos ist niemals nur chaotisch. Von Anfang an erweist es sich als produktiv. Das Leben ist eine Ausdrucksform dieser Organisation des Chaos. Es stellt die Selbstorganisation der Materie dar, wenn diese sich in einem Zustand außerhalb ihres Gleichgewichts befindet. Durch das Leben überwindet die Materie das Chaos, findet zu einem neuen dynamischen, sich selbst organisierenden und sich selbst regenerierenden Gleichgewicht. Sobald ein bestimmter Grad an Komplexität erreicht ist, entsteht das Leben als kosmischer Imperativ. Dies geschieht überall im Universum, wo diese Komplexitätsstufe erreicht ist. Das Leben ist die schönste uns bekannte Kreatur des Universums, das entzückendste Kind, das die Evolution jemals hervorgebracht hat, es ist stark und zärtlich zugleich, zerbrechlich und dennoch bis heute unzerstörbar.

Es geschah vor ungefähr 3,8 Millionen Jahren, möglicherweise in den Tiefen eines Urozeans oder in einem der alten Sümpfe auf diesem winzigen Planeten Erde innerhalb eines Sonnensystems von nur einem winzigen Bruchteil der Größe in einem Winkel der Galaxie (29.000 Lichtjahre von seinem Zentrum entfernt, im Inneren des Orion-Spiralnebels): Die erste lebendige Zelle brach hervor, ein Urbakterium, das Aries genannt wurde. Es ist die Mutter aller Lebenden, die wahre Eva, denn von ihm ausgehend entwickelten sich alle Lebewesen, auch die Menschen.

Mit dem Entstehen dieses Neuen beginnt ein äußerst intensiver Dialog zwischen dem Leben, der Sonne, der Erde mit all ihren Elementen und mit dem ganzen Universum. Die Erde arbeitet ebenso mit dem Leben zusammen wie umgekehrt. Wie James Lovelock mit seiner Gaia-Theorie aufzeigte, ist die Atmosphäre zum großen Teil eine Schöpfung des Lebens selbst, das sich die geeigneten Bedingungen dafür schuf, dass sich sein Umfeld reproduzieren und erweitern kann. Langsam hörte die Erde auf, Erde zu sein, und wurde zu Gaia. James Lovelock definiert sie folgendermaßen:

„Gaia ist ein evolvierendes System, bestehend aus allem Lebendigen und seiner Oberflächenumwelt, den Meeren, der Atmosphäre, dem Krustengestein . . . ein System, das aus der gemeinsamen und wechselseitigen Evolution der Organismen und ihrer Umwelt im Laufe der Entwicklungszeitalter des Lebens auf der Erde hervorgegangen ist. In diesem System geschieht die Regulation von Klima und chemischer Zusammensetzung völlig selbsttätig. Die Selbstregulation bildet sich mit der Evolution des Systems heraus . . . Das Leben oder die Biosphäre regelt oder stabilisiert das Klima und die Zusammensetzung der Atmosphäre so, wie sie für den eigenen Bestand optimal sind.“ (Lovelock 1991, 11).

Ausgehend von den Studien des deutschen Physikers Winfried Otto Schumann stellte man auch fest, dass die Erde von einem komplexen System elektromagnetischer Wellen umgeben ist. Es entsteht aus der Interaktion zwischen der Sonne, der Erde (ihren Böden, dem Magma, den Gewässern, den Ökosystemen) und dem unteren Teil der Ionosphäre in etwa 55 km Höhe. Sie produziert – von einigen Abweichungen abgesehen – eine mehr oder weniger konstante Resonanz von 7,8 Hertz, die auch Schumann-Resonanz genannt wird. Dies entspricht der Frequenz, die vom Gehirn von Säugetieren, auch des Menschen, ausgeht. Es ist, als würde der Herzschlag der Erde als Schrittmacher alle Verhältnisse ins Gleichgewicht bringen, die das Leben aufrechterhält. Dieses Gleichgewicht ist von grundlegender Bedeutung für die Meteorologie, für die Folge der Jahreszeiten, das Leben der Vulkane, den Rhythmus der Ozeane und die Bewegung der tektonischen Platten. Es gibt nicht wenige Wissenschaftler, die in Übereinstimmung mit diesen Tatsachen behaupten, dass das Gleichgewicht der Herztätigkeit und das emotionale Gleichgewicht der Lebewesen, besonders der Menschen, von der Schumann-Resonanz abhängig wäre. Wir haben es hier jedenfalls mit einem Hinweis mehr darauf zu tun, dass die Erde tatsächlich einen lebenden Gesamtorganismus bildet: Gaia. Doch zu Beginn der 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts passierte es, dass sich dieser Rhythmus änderte. Von 7,8 Hertz beschleunigte er sich auf 11 und bis zu 13 Hertz. Das Herz der Erde begann zu rasen. Möglicherweise ist die Veränderung der Magnetresonanz eine der Ursachen für Naturkatastrophen, Klimaveränderungen, ja sogar der Zunahme von gesellschaftlichen Konflikten auf der ganzen Welt.

Innerhalb von mehr als drei Milliarden Jahren brachte die Erde eine riesige Vielzahl von Viren, Bakterien, Protozoen, Pilzen, Pflanzen und Tieren hervor. Aufgrund der zahlreichen Krisen, die sie durchmachte und die zu Massenvernichtungen führten, verschwand der größere Teil dieser Arten wieder. Vielleicht blieb nur 1 % erhalten. Und selbst das ist noch viel. Man schätzt, dass es 5000 Arten von Bakterien, 100.000 Arten von Pilzen, 300.000 verschiedene Baumarten und 850.000 verschiedene Arten von Insekten gibt. Niemand weiß das genau. Die Biologen vermuten 30 Millionen verschiedener Arten insgesamt.

 

Mit dem Auftreten des Menschen nach dem Verschwinden der Dinosaurier gab es eine Vermehrung der Arten wie niemals zuvor in der Evolutionsgeschichte. Die Erde glich tatsächlich einem Paradies und einer wunderbaren Wiege. Plötzlich, ohne dass wir wissen, warum, wurde der Planet, der durch das Chlorophyll völlig grün war, bunt. Ein Frühling voller bunter Blüten brach herein.

Genau zu diesem Zeitpunkt erschien auf der Welt das komplexeste, das zerbrechlichste, das am stärksten auf andere bezogene und deshalb das Lebewesen, das mit der größten Fähigkeit zu widerstehen ausgestattet ist: der Mensch, Mann und Frau. Niemand fasste dieses Wunder des Universums besser in Worte als die alte Weisheit der Mayas, eines der Ursprungsvölker Mexikos: „Dass es hell werde, dass das Morgenrot erstrahle im Himmel und auf Erden! Es wird weder Ruhm noch Größe geben, bis die menschliche Kreatur, der gestaltete Mensch ins Leben tritt.“ (Popol Vuh)