Tasuta

Anna Karenina, 2. Band

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

2

Auf der Terrasse hatte sich die ganze weibliche Gesellschaft versammelt. Die Damen liebten es, überhaupt dort nach Tische zu sitzen, aber heute gab es da sogar etwas zu thun. Außer dem Nähen und Sticken, womit sich alle beschäftigten, wurde heute Eingemachtes nach einer für Agathe Michailowna ganz neuen Methode – ohne Zuguß von Wasser – zubereitet.

Kity hatte diese neue Methode, welche bei ihr zu Haus in Gebrauch war, eingeführt. Agathe Michailowna, welcher früher dieses Geschäft anvertraut gewesen war, hatte in der Ansicht, daß das, was im Haus der Lewin gemacht wurde, doch nicht schlecht sein könne, gleichwohl ihr Wasser über die Wald- und Gartenerdbeeren mit der Versicherung gegossen, daß es unmöglich anders sein könne, aber sie wurde in ihrer Meinung überführt, und jetzt brodelte vor aller Augen die Himbeere, und Agathe Michailowna mußte sich überzeugt sehen, daß auch ohne Wasser das Eingemachte gut werde.

Agathe Michailowna mit erhitztem, erbittertem Gesicht, wirren Haaren, und bis an den Ellbogen entblößten, hageren Armen schwenkte die Schüssel im Kreise über dem Feuerbecken und blickte grollend auf die Beeren, aus Seelengrunde wünschend, sie möchten nicht gar werden.

Die Fürstin, welche merkte, daß auf sie, als die hauptsächlichste Ratgeberin bei der Zubereitung der Beeren, der Zorn Agathe Michailownas gerichtet sein müsse, bemühte sich, den Anschein zu wahren, als sei sie mit ganz anderen Dingen beschäftigt, und interessiere sich gar nicht für die Himbeeren; sie sprach von Nebensächlichem, schaute aber immer dabei seitwärts nach dem Kohlenbecken.

„Ich kaufe den Mädchen stets Kleider,“ sagte die Fürstin, ein begonnenes Gespräch fortsetzend – „wollen wir jetzt nicht den Schaum abnehmen, Liebe?“ – fügte sie aber hinzu, sich an Agathe Michailowna wendend. „Das brauchst du durchaus nicht selbst zu thun, es ist heiß,“ hielt Kity diese dabei zurück.

„Ich werde es thun,“ sagte Dolly, stand auf und begann behutsam den Löffel über den schäumenden Zucker zu führen; bisweilen damit, um von ihm das daran haften Gebliebene zu entfernen, auf einen Teller klopfend, der bereits von mischfarbigem, gelbrotem Schaum und flüssigem blutrotem Syrup bedeckt war. „Wie sie das schlecken werden zum Thee,“ gedachte sie dabei ihrer Kinder und rief sich ins Gedächtnis zurück, wie sie selbst, als sie noch ein Kind gewesen, sich schon immer verwundert hatte, daß die Erwachsenen nicht gerade das Beste äßen – nämlich den Schaum – „Stefan sagt, es sei bei weitem besser, Geld zu geben,“ sagte Dolly dabei, das begonnene, interessante Gespräch darüber, wie man die Dienstleute beschenken solle, fortsetzend, „allein“ —

„So viel es möglich ist, Geld,“ sagten wie mit einer Stimme die Fürstin und Kity. „Sie schätzen das.“

„Nun, ich habe beispielsweise im vergangenen Jahre unserer Matrjona Ssemjonowna ein Kleid gekauft,“ sprach die Fürstin.

„Ich besinne mich, zu Eurem Geburtstage ging sie darin.“

„Ein reizendes Muster – so einfach und fein. Ich hätte es mir selbst machen lassen, wenn es nicht ihr gehört hätte; – so, wie das von Warenka war es. So hübsch und billig.“

„Jetzt scheint es fertig zu sein,“ sagte Dolly, den Syrup vom Löffel laufen lassend.

„Wenn Kringel werden, ist es gut. Kocht noch weiter, Agathe Michailowna.“

„Diese Fliegen,“ antwortete Agathe Michailowna gereizt.

„O, wie niedlich, verjagt ihn nicht!“ sprach Kity plötzlich, auf einen Spatz blickend, der sich auf dem Geländer niedergesetzt hatte und das Mark einer Himbeere zu picken begann.

„Ja, aber du mußt etwas weiter vom Kohlenbecken weg,“ sprach die Mutter.

A propos de Warenka,“ begann Kity französisch, wie sie stets sprachen, damit Agathe Michailowna sie nicht verstehe. „Ihr wißt, maman, daß ich heute aus gewissen Gründen eine Entscheidung erwarte. Ihr versteht wohl, welche. Wie schön wäre das!“

„Ah, welch meisterhafte Freibewerberin du bist,“ sprach Dolly, „wie sie behutsam und geschickt die Leute zusammenführt.“

„Nun, maman, sagt doch, was Ihr dazu meint!“

„Was soll ich meinen? Er“ – unter dem Er verstand man Sergey Iwanowitsch – „konnte stets die erste Partie in Rußland machen, er ist zwar jetzt nicht mehr so jung, aber gleichwohl, ich weiß es, würden ihn auch jetzt noch viele Frauen nehmen. Sie ist sehr gut, aber er könnte doch“ —

„Nein, seht nur erst ein, maman, warum etwas Besseres für ihn, wie für sie nicht zu denken ist. Erstens – sie ist eine Schönheit!“ sprach Kity, einen Finger ausstreckend.

„Sie gefällt ihm sehr, das ist wahr,“ bestätigte Dolly.

„Dann nimmt er eine solche Stellung in der Welt ein, daß ihm ein Vermögen, ein Stand in der Welt für seine Frau ganz und gar nicht erforderlich ist. Ihm ist Eins nur nötig – ein gutes, liebevolles ruhiges Weib.“

„Jawohl, und mit ihr kann man ruhig leben,“ bestätigte Dolly.

„Drittens; sie muß ihn lieben! So ist es ja auch – und soweit wäre alles ganz gut. Ich erwarte, daß sie aus dem Walde kommen und alles entschieden ist. Ich werde es sogleich an ihren Augen erkennen; und würde mich so sehr freuen! Wie denkst du darüber, Dolly?“

„Rege dich nur nicht auf. Du darfst dich durchaus nicht erregen,“ sagte die Mutter.

„Aber ich rege mich ja gar nicht auf, maman; mir scheint nur, daß er heute seinen Antrag machen wird.“

„Ach; es ist so seltsam, wenn ein Mann eine Liebeserklärung macht. Erst ist so eine Scheidewand vorhanden, und plötzlich ist sie durchbrochen,“ sagte Dolly, gedankenvoll lächelnd und sich an die Vergangenheit mit Stefan Arkadjewitsch erinnernd.

„Mama, wie hat Euch denn Papa seine Liebeserklärung gemacht?“ frug Kity plötzlich.

„Es war nichts Außergewöhnliches dabei, sehr einfach,“ antwortete die Fürstin, aber ihr ganzes Gesicht erglänzte bei dieser Erinnerung.

„Nun, wie denn? Ihr habt ihn doch geliebt, bevor Euch noch erlaubt war, mit ihm zu sprechen.“

Kity fand einen eigenen Reiz darin, mit ihrer Mutter jetzt wie mit einer Gleichgestellten über diese höchsten Fragen des Frauenlebens sprechen zu können.

„Versteht sich, liebte er mich! Er kam zu uns auf das Land.“

„Aber wie entschied es sich? Mama?“

„Du denkst wahrscheinlich, daß ihr beide euch etwas Neues ausgedacht hättet? Es war ganz dieselbe Geschichte; mit Blicken und Lächeln“ —

„Wie Ihr das so schön ausgesprochen habt, maman! Ja, die Augen, das Lächeln,“ bestätigte Dolly.

„Aber welche Worte sprach er denn?“

„Was für Worte hat dir dein Konstantin gesagt?“

„Er schrieb sie mit Kreide. Es war wunderbar. Wie weit scheint mir dies schon dahinten zu liegen,“ antwortete Kity.

Die drei Frauen sannen jetzt über ein und dasselbe nach. Kity brach zuerst wieder das Schweigen. Der ganze letzte Winter vor ihrer Verheiratung, ihre Leidenschaft für Wronskiy kam ihr wieder ins Gedächtnis.

„Aber noch Eins – jene frühere Leidenschaft Warenkas,“ sagte sie, in einem natürlichen Gedankengang sich dessen erinnernd. „Ich wollte Sergey Iwanowitsch schon irgendwie Mitteilung machen, ihn vorbereiten. Sie sind ja alle Männer,“ fügte sie hinzu, „und entsetzlich eifersüchtig auf unsere Vergangenheit.“

„Nicht alle,“ antwortete Dolly, „du urteilst so nach deinem Manne; der martert sich noch jetzt ab in der Erinnerung an Wronskiy. Nicht wahr? Habe ich nicht recht?“

„Du hast recht,“ antwortete Kity, gedankenvoll mit den Augen lächelnd.

„Ich weiß nun nicht,“ fuhr die Fürstin fort, ihre mütterliche Obhut für die Tochter wieder übernehmend, „was eigentlich in deiner Vergangenheit ihn stören könnte? Daß Wronskiy dir den Hof machte? Das passiert jedem jungen Mädchen.“

„Ach, sprechen wir nicht davon,“ sagte Kity errötend.

„Nein, gestatte,“ fuhr die Mutter fort, „du selbst wolltest mir ja nicht gestatten, mit Wronskiy Rücksprache zu nehmen. Weißt du noch?“

„Ach, Mama!“ sagte Kity mit einem Ausdruck von Leiden.

„Deine Beziehungen zu ihm konnten ja nicht weitergehen als sie durften; ich selbst würde ihn noch ermutigt haben. Doch im übrigen, liebe Seele, taugt es nicht für dich, wenn du dich erregst. Denke, bitte, hieran, und beruhige dich.“

„Ich bin vollkommen ruhig, maman.“

„Wie war es doch zum Glück damals für Kity, daß Anna kam,“ sagte Dolly, „und wie verhängnisvoll wurde das für sie selbst. Da haben wir es gerade umgekehrt,“ fügte sie hinzu, betroffen über ihren eigenen Gedanken. „Damals war Anna so glücklich und Kity hielt sich für unglücklich. Welch ein völliger Umschlag! Ich denke oft an sie.“

„Das wäre das Weib, an welches man denken dürfte! Ein häßliches, ausschweifendes Weib ohne Herz,“ sprach die Mutter, welche nicht vergessen konnte, daß Kity nicht einen Wronskiy, sondern einen Lewin geheiratet hatte.

„Was ist es für ein Vergnügen, hiervon zu sprechen,“ fuhr Kity voll Verdruß fort, „ich denke nicht daran und will nicht daran denken. Ich will nicht daran denken,“ sprach sie, dabei dem wohlbekannten Klang der Schritte ihres Mannes auf den Stufen zur Terrasse lauschend.

„Wovon ist denn die Rede ‚ich will nicht daran denken?‘“ frug Lewin, die Terrasse betretend.

Niemand antwortete ihm, und er wiederholte seine Frage nicht.

„Ich bedaure, euer Frauenreich gestört zu haben,“ sprach er, mißvergnügt alle anblickend und wohl gewahrend, daß man über etwas gesprochen hatte, wovon man in seiner Gegenwart nicht geredet haben würde.

Einen Augenblick empfand er, daß er die Gefühle Agathe Michailownas teile, die Unzufriedenheit darüber, daß man die Himbeeren ohne Wasser einkoche, und über den fremdartigen Einfluß der Schtscherbazkiy. Er lächelte aber doch und trat zu Kity.

„Nun, wie befindest du dich?“ frug er sie, mit dem gleichen Ausdruck auf sie blickend, mit welchem sich ihr jetzt alle zuwandten.

„Oh; ich befinde mich recht wohl,“ sagte Kity lächelnd, „und wie geht es bei dir?“

 

„Man fährt dreimal mehr, als der Wagen aushält. Aber wollen wir zu den Kindern hinausfahren? Ich habe anspannen lassen.“

„Wie, willst du Kity im Wagen ausfahren?“ frug die Mutter vorwurfsvoll.

„Wir fahren natürlich Schritt, Fürstin.“

Lewin nannte die Fürstin nie maman, wie das sonst Schwiegersöhne thun, und dies war der Fürstin unangenehm, aber wenn er die Fürstin auch sehr lieb hatte und achtete, konnte er sie doch nicht so nennen, ohne die Empfindungen für seine dahingeschiedene Mutter zu entweihen.

„Fahret mit uns, maman,“ sagte Kity.

„Ich will diese Unüberlegtheit nicht mit ansehen.“

„Dann gehe ich zu Fuß. Ich befinde mich ja ganz wohl.“ Kity erhob sich, trat zu ihrem Gatten und nahm dessen Arm.

„Ganz wohl, aber alles mit Maßen“ – bemerkte die Fürstin.

„Nun, Agathe Michailowna, ist das Eingemachte fertig?“ sagte Lewin lächelnd zu Agathe Michailowna, mit dem Wunsche sie heiter zu stimmen. „Geht es gut nach der neuen Mode?“

„Muß wohl; es geht gut. Nach meiner Meinung ist es fertig.“

„Es ist besser so, Agathe Michailowna; das Eingemachte wird nicht sauer und bei uns ist das Eis jetzt ohnehin schon gethaut, so daß es keinen Platz zum Aufbewahren giebt,“ sagte Kity, sogleich die Absicht ihres Mannes durchschauend und sich in der nämlichen Absicht an die Alte wendend. „Übrigens ist Euer Pökel so gut, daß Mama behauptet, ihn noch nirgends so gegessen zu haben,“ fügte sie hinzu, sich lächelnd einen Zopf ordnend.

Agathe Michailowna blickte grollend Kity an.

„Ihr braucht mich nicht zu trösten, Herrin; ich beurteile Euch, wie er, und befinde mich wohl dabei“ – sprach sie; der rauhe Ausdruck „er“ statt „der Herr“ verletzte Kity.

„Wir wollen zusammen nach Pilzen gehen, Ihr könnt uns die Plätze zeigen.“ Agathe Michailowna lächelte kopfschüttelnd, als wollte sie sagen „wenn ich Euch auch gern gram sein möchte, so kann ich es doch nicht.“

„Handelt, bitte, nach meinem Rate,“ sprach die alte Fürstin, „über das Eingemachte legt Ihr ein Papier und feuchtet es mit Rum an; auch ohne Eis wird alsdann niemals ein Kahm darauf kommen.“

3

Kity war herzlich froh über die Gelegenheit, mit ihrem Gatten einmal Auge in Auge allein sein zu können, da sie bemerkt hatte, wie ein Schatten der Verstimmung über sein Alles so lebhaft ausdrückendes Gesicht huschte, im Augenblicke da er die Terrasse betreten und man ihm, als er gefragt hatte, wovon man spreche, nicht antwortete.

Als sie zu Fuß den anderen vorausgingen und außer Sehweite des Hauses den ausgefahrenen, staubigen und mit Kornähren und Körnern überstreuten Weg hinausschritten, stützte sie sich fester auf seinen Arm und preßte denselben an sich.

Er hatte jenen momentanen, unangenehmen Eindruck bereits vergessen, und empfand, in der Einsamkeit mit ihr, jetzt, da ihn der Gedanke an ihre Schwangerschaft keinen Augenblick verließ, jene ihm noch neue, freudige, vollkommen von Sinnenlust freie Befriedigung in der Nähe des geliebten Weibes.

Zu sprechen war nichts, aber ihn verlangte es, den Ton ihrer Stimme zu hören, die sich ebenso wie ihr Blick, jetzt in ihrer Schwangerschaft verändert hatte. In ihrer Stimme wie in ihrem Blicke war eine Weichheit, ein Ernst, ähnlich jener, die bei Leuten vorhanden zu sein pflegt, die beständig auf ein einzelnes geliebtes Werk konzentriert sind.

„Du wirst doch nicht müde werden? Stütze dich fester,“ sagte er.

„Nein, ich bin so froh über die Gelegenheit, mit dir einmal allein zu sein, und gestehe dir, daß mir, so wohl mir auch in ihrer Gesellschaft ist, doch unsere Winterabende zu Zweien recht leid thun.“

„Es war schön, doch dies ist noch besser. Wir beide sind besser daran,“ sagte er, ihren Arm drückend.

„Du weißt, wovon wir sprachen, als du eintratest?“

„Von dem Eingemachten?“

„Ja, auch von dem Eingemachten, dann aber davon, wie man einen Heiratsantrag macht.“

„Ah,“ sagte Lewin, mehr den Klang ihrer Stimme hörend, als die Worte die sie sprach, und fortwährend auf den Weg Bedacht nehmend, der jetzt im Walde hinführte und diejenigen Stellen vermeidend, die sie nicht sicher hätte betreten können.

„Auch von Sergey Iwanowitsch und Warenka. Du hast wohl bemerkt? – Ich wünschte es sehr,“ fuhr sie fort, „wie denkst du darüber?“ Sie blickte ihm ins Gesicht.

„Ich weiß nicht, was man da denken muß,“ antwortete Lewin und lächelte. „Sergey erscheint mir in dieser Beziehung sehr seltsam. Ich habe dir wohl erzählt“ —

„Daß er jenes Mädchen, welches gestorben ist, geliebt hatte“ —

„Das war der Fall, als ich noch ein Kind war. Ich kenne dies nur aus der Überlieferung, kann mich aber noch auf ihn damals besinnen. Er war wunderbar liebenswert. Seit jener Zeit beobachte ich ihn im Umgang mit den Frauen; er ist liebenswürdig, manche gefallen ihm auch, aber man fühlt, daß sie für ihn einfach nur Menschen sind, keine Weiber.“

„Ja, aber jetzt mit Warenka. Es scheint, daß doch etwas“ —

„Kann sein, daß dem so ist – doch muß man ihn eben erst kennen lernen; er ist ein absonderlicher und wunderlicher Mensch. Er lebt nur ein geistiges Leben und ist ein Mensch von allzu reinem und erhabenem Gemüt.“

„Wie? Sollte ihn denn etwa ein solches Verhältnis erniedrigen?“

„Nein; aber er ist so daran gewöhnt, ein einsames Geistesleben zu führen, daß er sich mit der Wirklichkeit nicht vertragen kann, und Warenka ist doch immerhin eine Wirklichkeit.“

Lewin war jetzt schon gewohnt, seine Gedanken frei auszusprechen, ohne sich zu bemühen, dieselben dabei in präcise Worte zu kleiden, er wußte, daß sein Weib in den Minuten der Liebe, sowie auch jetzt schon aus der Andeutung verstehen würde, was er sagen wollte, und Kity verstand ihn auch.

„Ja; aber in ihr ist doch nicht diese Wirklichkeit, wie in mir; ich verstehe; daß er mich wohl niemals hätte liebgewinnen können; sie hingegen ist ganz Gemüt.“

„O nein; er liebt dich sehr, und mir ist es stets so angenehm, wenn die Meinigen dich lieb haben.“

„Ja; er ist gut gegen mich, aber“ —

„ – nicht so, wie mit dem verstorbenen Nikolay; ihr habt einander liebgewonnen,“ vollendete Lewin. „Weshalb sollte ich das nicht sagen?“ fügte er hinzu, „ich mache mir manchmal Vorwürfe, und das hört erst damit auf, daß man vergißt. O, welch ein furchterweckender, und doch reizvoller Mensch war er! Doch wovon sprachen wir?“ sagte Lewin, nachdem er eine Weile geschwiegen hatte.

„Du denkst, daß er nicht zu lieben vermag,“ sagte Kity, in ihre Sprache übersetzend.

„Nicht, daß er nicht lieben könnte,“ antwortete Lewin lächelnd, „aber er besitzt nicht die Schwäche, die dazu nötig ist – ich habe ihn stets beneidet und selbst jetzt, wo ich doch so glücklich bin, beneide ich ihn noch darum.“

„Du beneidest ihn, weil er nicht lieben kann?“

„Ich beneide ihn darum, daß er besser ist, als ich,“ antwortete Lewin lächelnd. „Er lebt nicht für sich; sein ganzes Leben ist der Pflicht geweiht, und infolge dessen kann er ruhig und zufrieden sein.“

„Und du?“ frug Kity mit schelmischem, liebevollem Lächeln.

Sie konnte nicht im entferntesten den Gedankengang ausdrücken, der sie lächeln machte; aber das letzte Resultat desselben war dies, daß ihr Gatte, von seinem Bruder entzückt, und sich vor demselben herabsetzend, nicht mehr aufrichtig blieb.

Kity wußte, daß diese Heuchelei seinerseits von der Liebe zu dem Bruder herrührte, von dem Gefühl seiner Besorgtheit darüber, daß er allzu glücklich sei, und insbesondere seinem Wunsche, der ihn nie verließ, besser zu sein. Sie liebte dies an ihm und lächelte daher.

„Und du? Womit bist du unzufrieden?“ frug sie mit dem nämlichen Lächeln.

Ihr Mißtrauen seiner Unzufriedenheit mit sich selbst gegenüber, erfreute ihn und ohne Besinnen forderte er sie heraus, ihm die Ursachen ihres Mißtrauens mitzuteilen.

„Ich bin glücklich, aber mit mir nicht zufrieden,“ sprach er.

„So kannst du also unzufrieden sein, wenn du glücklich bist?“

„Wie soll ich sagen. Ich wünsche in meinem Herzen nichts, als daß du nicht strauchelst; so darf man natürlich nicht springen!“ brach er das Gespräch ab, mit einem Vorwurf, weil sie eine zu schnelle Bewegung gemacht hatte, indem sie über einen auf dem Fußwege liegenden Ast weggestiegen war, „wenn ich über mich Betrachtungen anstelle und mich mit anderen vergleiche, besonders mit meinem Bruder, dann fühle ich, daß ich ein Nichts bin.“

„Aber inwiefern denn?“ fuhr Kity noch mit dem nämlichen Lächeln fort, „wirkst du etwa nicht auch für andere? Und deine Meiereien, deine Ökonomie, dein Buch?“

„Nein; ich fühle es namentlich jetzt – und du bist schuld daran,“ sagte er, ihr den Arm pressend, „daß dem eben nicht so ist. Ich arbeite nur so leichthin. Wenn ich all dieses Wirken lieben könnte, wie ich dich liebe – aber so habe ich die ganze letzte Zeit gearbeitet, wie nach einer mir aufgegebenen Lektion.“

„Und was würdest du da über Papa sagen,“ frug Kity; „er ist jedenfalls auch nichts wert, weil er nichts für das Allgemeine gewirkt hat.“

„Er? Nein. Aber man muß jene Natürlichkeit, Klarheit, Güte besitzen, wie dein Vater. Habe ich die etwa? Ich arbeite nicht, ich quäle mich nur, und alles das hast du mir zugefügt! Wärest du nicht gewesen, so wäre auch das da noch nicht,“ sagte er, mit einem Blick auf ihren Körper, den sie verstand, „so würde ich alle meine Kräfte auf die Arbeit verwenden; jetzt aber kann ich dies nicht, und darüber ist mir das Herz schwer; ich arbeite wie man eine aufgegebene Lektion lernt, ich heuchle“ —

„Nun, dann würdest du dich sogleich mit Sergey Iwanowitsch ausgewechselt wünschen,“ sagte Kity. „Würdest wünschen, jene gemeinnützige Thätigkeit betreiben, und jene aufgegebene Lektion lieben zu können, wie er sie liebt, und weiter nichts?“

„Natürlich nicht,“ antwortete Lewin. „Im übrigen bin ich ja so glücklich, daß ich nichts weiter begreife. Du denkst also, daß er ihr heute schon seinen Antrag machen wird?“ fügte er nach einer Pause hinzu.

„Ich denke, vielleicht aber wird er's auch nicht. Jedenfalls wünsche ich es aufs Sehnlichste. Da, halt“ – sie beugte sich nieder und pflückte am Rande des Weges eine wilde Kamille ab. „Nun zähle: Entweder erklärt er sich heute, oder er erklärt sich nicht,“ sprach sie und reichte ihm die Blume.

„Er thut es, er thut es nicht,“ sagte Lewin, die weißen, schmalen langen Blätter abreißend.

„Nein, nein!“ hemmte ihn Kity jetzt, seine Hand erfassend, nachdem sie seinen Fingern voll Erregung gefolgt war. „Du hast zwei abgerissen!“

„Nun, dafür kommt dann dieses kleine hier nicht mit in Anrechnung,“ antwortete Lewin, ein kurzes, noch nicht entwickeltes Blättchen abpflückend, „doch da hat uns der Wagen erreicht.“

„Bist du nicht ermüdet Kity!“ rief die Fürstin.

„Nicht im geringsten!“

„So setze dich doch in den Wagen, wenn die Pferde ruhig sind, und fahrt Schritt.“

Doch in den Wagen zu steigen, hätte keinen Zweck mehr gehabt; man war schon dem Ziel nahe und alles ging zu Fuß weiter.